Zum Buch:
Maya Mensah ist im deutschen Exil geboren und täglich damit konfrontiert, anders zu sein. Auch ihre Eltern sind anders. Ihr Vater ist ein scheuer Intellektueller, und ihre schöne Mutter liebt es, das Geld mit vollen Händen auszugeben und an ihre königliche Abkunft zu erinnern. Doch wenn Maya in der Schule von ihrer glanzvollen Familie erzählt, wird sie verspottet. Beistand leistet ihr einzig ihr Cousin Kojo. Maya ist fasziniert von seinen farbenprächtigen Erzählungen aus Ghana, das sie nur von Besuchen kennt. Sie klingen für sie wie Märchen, die mythisch und wirklich zugleich scheinen, und öffnen ihr den Blick: für ein Land, das seine Seele nach all den Jahren der Kolonialzeit erst wiederfinden muss, für ihre entwurzelten Eltern – und endlich erkennt sich Maya als Teil dieser Geschichte.
Zur Autorin:
Nana Oforiatta Ayim, geboren und aufgewachsen in Deutschland, ist die Enkelin des Königs der ghanaischen Region Akyem Abuakwa. Sie studierte Afrikanische Kunstgeschichte, arbeitete für die UN in New York und ist heute weltweit v. a. als Kunstvermittlerin und Kuratorin, aber auch als Filmemacherin tätig. »OkayAfrica« zählt sie zu den »12 wichtigsten Frauen aus Afrika, die Geschichte schreiben«. Sie gehört auch zu den »Apollo 40 unter 40« und damit zu »den talentiertesten und inspirierendsten jungen Personen, die die Kunstwelt heute voranbringen«. 2019 verantwortete sie den ghanaischen Pavillon auf der Biennale von Venedig. Wir Gotteskinder ist ihr hochgelobter Debütroman. Sie lebt in Accra/Ghana.
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NANA OFORIATTA AYIM
WIR GOTTESKINDER
ROMAN
Aus dem Englischen
von Reinhild Böhnke
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel
The God Child bei BLOOMSBURY CIRCUS,
an imprint of Bloomsbury Publishing Plc., London.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde mit Mitteln des Auswärtigen Amts unterstützt durch Litprom e. V. – Literaturen der Welt.
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Copyright © der Originalausgabe Nana Oforiatta Ayim 2019
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021
Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Favoritbüro nach einem Entwurf von Greg Heinimann
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-27074-2
V002
www.penguin-verlag.de
Für John Berger
Meine Mutter war mein erstes Land,
der erste Ort, an dem ich lebte.
Nayyirah Waheed
TEIL I
1
Ich kann mich nicht daran erinnern, wie mir erstmals bewusst wurde, dass mein Leben nicht mir gehörte. Die Erkenntnis kam zu mir, nicht plötzlich, nicht in Worten oder Traumbildern, nicht in Großbuchstaben, Befehlen oder Behauptungen, sondern als ein immer wiederkehrendes wortloses Raunen, ein Strom, dessen Anfänge außer Sichtweite waren und dessen Enden ich auf irgendeine Weise mitzuführen schien.
Ich schaute hinüber zu ihm; er war es, den sie für mich ausgewählt hätten, und doch hatte ich mich aus eigenem Willen hier eingefunden.
Ich hatte all die Jahre lang genau beobachtet, von beiden Seiten und aus nächster Nähe, wie an einem Pokertisch, einem zu verrauchten, zu männlichen, in Chiffren verschlüsselten, die zu verstehen ich weder fähig noch willens war.
Ich dachte, die Generation vor mir sei noch zu behaftet von kolonialem Unwohlsein, meine Generation sei eine Brücke, unsere Töchter und Söhne seien die hoffentlich wahrhaft Freien.
Und doch war ich auf stille, kaum wahrnehmbare Weise Zeugin eines Übergangs gewesen: von einer Geschichte, zu groß, zu unhandlich, zu wenig befasst mit dem Kleinen und dem Menschlichen, formuliert mit zu viel Arroganz und Anspruchsdenken – hin zu einer Erzählung der harten Arbeit, der hohen Gesinnung, der Loyalität und Treue.
An allen Fronten herrschte Müdigkeit, Erschöpfung, Enttäuschung, Zynismus, Misstrauen, doch seltsamerweise hatte man zugleich das Gefühl, dass etwas Neues beginnt, nicht für die eine oder die andere Seite, sondern für uns als Menschen, die einen geografischen Raum teilen und eine gemeinsame Geschichte schaffen.
Das Einzige, was fehlte, waren die Freude, die Leichtigkeit und Unschuld meiner Mutter, ihrer Brüder und von Kojo; doch sie hatten nicht überlebt.
Ich sah ihn jetzt an, wie er auf mich zukam – ich sah sie alle an, die schließlich gewonnen hatten –, aber ich war mehr die Tochter meiner Mutter, Kojos Schwester, als dass ich zu ihnen gehörte.
Konnte ich zurückblicken auf die erste Zersplitterung, das erste Erwachen, und daraus lernen?
Konnte ich gewinnen, wie sie gewonnen hatten, und trotzdem, anders als sie, offen bleiben?
Konnte ich, anders als meine Mutter und Kojo, überleben?
2
Abele«, sang meine Mutter vor dem Frisierspiegel, während ich auf der Satinsteppdecke auf dem Bett hinter ihr lag und sie beobachtete.
»Abele.« Sie bewegte sich auf ihrem Stuhl tanzend hin und her, und ihre Mundwinkel waren anerkennend ein wenig nach unten gezogen. »Schade, dass mein Kind nicht meine Schönheit geerbt hat«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, während sie Creme auf ihrem Gesicht verteilte und sie in die weiche Haut hineinstreichelte, dabei die Höhlung unter den Wangenknochen betrachtete und den Glanz, der in den Bernsteinwinkeln ihrer Haut gefangen war. Sie drehte sich zu mir um, als erinnere sie sich. »Du musst immer mehr als perfekt aussehen. Nicht bloß gut genug, sondern perfekt. Du musst bei allem, was du tust, besser als sie sein, sonst denken sie, du bist weniger wert.«
Meine Mutter tauchte vor mir auf, der Geruch ihres pudrigen Luxus umgab mich und ließ meine Augen tränen. Ich öffnete sie. Sie lief seitwärts die Treppe hinunter, und ihre Schuhe klapperten gegen ihre Fersen.
Würde er über Nacht kommen, der Wunsch nach Perfektion, wie auch die Fähigkeit, teuer zu riechen und maßgeschneiderte Kleider zu tragen?
»Maya, was ist los mit dir, Mädchen? Willst du, dass dein Vater nach Hause kommt und mir das Leben schwer macht? Ah.«
Ich ging langsam, seitwärts, die Treppe hinunter, auf meine Mutter zu, die weit weg war wie der Rest der Welt. Als ich sie eingeholt hatte, knöpfte sie meinen Mantel zu. Meine Arme ragten an beiden Seiten heraus. Ich sah an ihr vorbei auf mein Spiegelbild, halb dort, halb an einem anderen Ort. Sie trat zurück, um mich zu betrachten, und bewegte sich auf den offenen Karton neben der Eingangstür zu.
Ich schloss die Augen, weil ich nicht sehen wollte, wie sie fiel.
»Aich«, schrie sie.
Ich machte die Augen auf.
Sie saß nicht auf dem großen neuen Fernseher, sondern hing darüber, die Arme hatte sie hinter sich gegen die Wand gestemmt, die Beine waren ausgestreckt, der Rock hochgerutscht.
Ich fing an zu lachen.
»Ah!« Diesmal klang ihr Gelächter schrill. »Kwasiaa! Komm und hilf mir.«
Ich zog sie hoch, und ihr Gewicht warf mich beinah um.
Sie schaute in den Karton und zog die Mundwinkel nach unten. »Hmm«, sagte sie, der Rock noch immer bis zu den Schenkeln hochgerutscht, »sie sollen ihn sehen.«
Ich lief neben ihr her durch das makellose Viertel mit den Doppelhaushälften aus rotem Backstein, dessen Wert nur durch die afrikanische Familie, der eine davon als Tarnung diente, nicht ganz makellos war. Nicht ganz makellos, was aber auch nicht allzu sehr auffiel, weil er Arzt war, seine Frau schön und seine Tochter tadellos gepflegt. Nicht ganz makellos, weil sie ihre Wäsche im Garten aufhängten, bis die Nachbarin ihnen sagte, sie sollten das nicht machen. Nicht ganz makellos, weil ihr Fernseher auf Büchern stand, nicht auf einem Gestell. Nicht ganz makellos, weil der Vater den neuen Fernseher mit Gestell, den die Mutter mit seiner Kreditkarte gekauft hatte, für zu teuer hielt und ihn zurückschicken ließ. Aber immer noch besser als die Männer, die zusammengedrängt vor dem Bahnhof und McDonald’s standen und nach Illegalität stanken, als die Frauen, die in den Afroshops saßen und in einem schrillen Stimmengewirr schwatzten, während die Friseure Haare flochten und die Stoffhändler gepunktete, gestreifte, in den Niederlanden bedruckte Stoffbahnen herauszogen, wie farbenprächtige exotische Tierarten.
Ich sah zu meiner Mutter auf, die zu laut mit ihrem unperfekten Akzent sprach. Die Leute musterten sie, als sie vorbeiging, doch sie nahm es nicht wahr. Selbst wenn ich nicht ihre Schönheit geerbt hatte, begriff ich, was sie nicht begriff, dass du nämlich, um besser als sie zu sein, ihnen so vollkommen gleichen musstest, dass sie dein Anderssein nicht mehr wahrnahmen.
Ich weiß nicht, ob es von Anfang an da war, dieses Wissen, dass ich nie einfach nur ich war, sondern ein Ich, das sowohl in mir als auch außerhalb von mir war und das alles beobachtete und bezeugte, was ich tat und was um mich herum war. Als ich später von den Ahnen berichten hörte, wusste ich es bereits, und als mein Vater mir meinen Namen gab – Εno, Großmutter –, ich war fast noch ein Baby, geschah das, weil auch er sehen konnte, dass das, was ich sah und verstand, nicht nur mir gehörte.
Es fing an zu regnen. Sie zog mich dicht an sich, und ihr erbsengrüner seidener Regenmantel schützte uns beide, als wir rannten.
Wir kamen am Kaufhaus an und fuhren mit der Rolltreppe nach oben, vorbei an den Abteilungen für Elektronik, Kosmetik, Haushaltswaren und Unterwäsche bis zur Abteilung für Damenmode. Sie war fast leer. Draußen wurde es dunkel, und die Deutschen ließen sich zu ihrem Abendbrot nieder.
Die Verkäuferin musterte uns von oben bis unten, als wir, immer noch tropfend, vorbeigingen. Meine Mutter schlängelte sich zwischen den Kleiderständern hindurch wie eine Betrunkene, mit den Händen prüfte sie Seide, Polyester, Pailletten und Federn, nahm ein Kleidungsstück nach dem anderen herunter, bis sie die Arme vollgeladen hatte und Kleider auf dem Boden hinter sich herzog.
Die Verkäuferin stand jetzt hinter uns, aber meine Mutter bekam es immer noch nicht mit.
»Kann ich helfen?«, fragte sie in einem keineswegs hilfreichen Ton.
Nun drehte sich meine Mutter um und lachte. »Ich will alles kaufen«, sagte sie. »Alles. Hier hilf mir.« Sie sprach die Frau mit dem familiären Du an, nicht dem höflichen Sie, und übergab ihr die Kleider. Sie schaute vage nach links, dann nach rechts und runzelte die Stirn, als konzentriere sie sich, doch ihre Bewegungen ließen keinen Fokus erkennen. Sie ließ ihren Schal hinter sich fallen.
Ich sah auf ihn hinunter, sah in das stirnrunzelnde Gesicht der Frau, als sie sich bückte, um ihn aufzuheben, und meiner Mutter wie eine Bedienstete folgte. Ich begab mich in die Kinderabteilung und fuhr mit den Händen durch die Kleidungsstücke wie meine Mutter, verweilte bei den Samtstoffen und weichen dunklen Cordsachen. Ich schloss die Augen und sah mich in Cordsachen: ein perfektes deutsches Mädchen, eine junge Romy Schneider, die durch den Wald lief, die Arme ausgestreckt nach einem Reh im Gehege, lächelnd wie das Mädchen auf der Sechsfrucht-Saftflasche von Rotbäckchen, die Wangen apfelrot, passend zu ihrem Kopftuch.
»Guck mal! Guck mal, der Neger!«
Das war die Stimme eines kleinen Mädchens hinter mir. Meine Hand verharrte auf dem weinroten Cordkleid. Ich blickte hoch, um zu sehen, wen sie meinte, und wandte mich dann zu ihr um. Sie zeigte auf mich. Sie hatte mich für einen Jungen gehalten. Ihre Mutter sah mich verärgert an, nahm das Mädchen bei der Hand und ging weg. Ich blieb stehen und schaute in den bodentiefen Spiegel links von mir. Meine Haare waren zu vier dicken Zöpfen geflochten. Es stimmte, ich hatte Hosen an, aber wie konnte sie mich mit einem Jungen verwechseln? Mein Vater sagte mir immer, ich solle Ohrringe tragen, was ich nicht tat. Ich berührte meine Ohren.
»Schön«, hörte ich hinter mir. »Ja.«
Meine Mutter wählte das rote Cordkleid von der Stange und noch ein anderes, pfirsichfarben mit weißen Rüschen und einem Satinband. Sie wählte weiße Schuhe und ein weißes Kleid mit Erdbeeren auf der linken Brust. Sie wählte Cord-Latzhosen und eine passende Bluse.
»Ich bin Prinzessin, wissen Sie?«, sagte sie zu der Verkäuferin. »Prinzessin Yaa.« Sie erzählte ihr, wo sie herkomme, seien ihre Kleider aus Spitze und Gold, sie habe Diener und sei in einem Palast aufgewachsen.
Die Frau hatte jetzt einen etwas erschrockenen Gesichtsausdruck.
Meine Mutter ging in die Umkleidekabine, und ich folgte ihr, um in eine kleine zukünftige Prinzessin verwandelt zu werden, Erbin der Schönheit.
Vier Verkäuferinnen hatten meine Mutter bedient, als wir mit fünf Plastiktüten davonzogen. Sie zahlte mit der Kreditkarte meines Vaters. Sie begleiteten uns. Sie strichen mir übers Haar. Sie halfen meiner Mutter auf die Rolltreppe. »Tschüss Prinzessin Yaa. Tschüss.«
Sie sah sich nicht um. Ihr Blick war nach unten gerichtet. Ich folgte ihm und sah, was sie sah: einen großen Schrank voller Teller in allen Größen und Tiefen; weiße Teller mit tintenblauen Rändern und Goldarabesken, die in die Ränder eingebettet waren wie Schwäne mit goldenen Flügelspitzen am Rand eines Sees, verzaubert.
Wir kamen im Erdgeschoss an, und sie lief darauf zu, nicht geradewegs, sondern in einer Art Zickzackkurs. Ich sah mich um. Keiner beobachtete uns. Sie blieb vor dem Schrank stehen, und diesmal kam ein Mann zu ihr.
»Ja?«, sagte er mit erhobenen Augenbrauen.
»Wie viel?«, fragte sie.
»Wie viele Teller?«, fragte er die exzentrische Frau, die die Anzahl der Teller wissen wollte.
»Wie viel kostet sie?« Sie zeigte auf die Teller.
Der Mann blickte verwirrt. Wollte sie den Preis eines Tellers wissen?
»Sie will wissen, wie viel alles zusammen kostet«, bot ich an.
»Ah«, sagte der Mann, ging zum Ladentisch und öffnete ein Buch. Er kam damit zurück und zeigte es meiner Mutter, während er sie wortlos anblickte.
»Ich kaufe«, sagte sie.
Seine Brauen wanderten noch höher. Er klappte das Buch zu und führte uns zum Ladentisch.
Meine Mutter reichte dem Verkäufer die Kreditkarte und sagte ihm, dass die Teller tagsüber vor 18 Uhr und nicht am Wochenende geliefert werden sollten. Sie wollte nicht, dass mein Vater sie zu sehen bekam.
»Natürlich«, sagte der Mann und lächelte schmallippig. Er reichte ihr die Quittung und blickte auf mich herab. »Du sprichst aber gut Deutsch«, sagte er, weniger ein Kompliment als eine Feststellung.
Es überraschte sie stets, dass ich fließend Deutsch sprach.
Ich produzierte mein breites Klein-Mädchen-Lächeln und mein »Ich weiß auch nicht, wieso ich so fließend spreche«-Schulterzucken, mein entschuldigendes und von meiner eigenen Klugheit überraschtes Schulterzucken, damit er nicht mitbekam, dass ich mir die Sprachbeherrschung erarbeitet und nicht, wie sie annahmen, zufällig oder aus Versehen erworben hatte. Ich lächelte das Lächeln, das wie eine Rosenmuster-Tapete über noch vorhandenen nicht tapezierten Rissen war, durch die sie, wenn sie genau genug hingesehen hätten, ein Zimmer in einem Zimmer hätten entdecken können. Eine Glühbirne, nackt und allein. Ein leerer Tisch, bedeckt mit Schichten von verblasstem Gekritzel, sein Holz splitterig und zerfurcht. Ein leerer Stuhl. An der Wand ein Schatten von etwas oder jemandem, das oder der schon längst verschwunden war. Und am anderen Ende, kaum zu sehen, aber doch da, eine offene Tür.
3
England war immer der Ort, von dem wir träumten. Ich träumte von einem eigenen Zimmer und mitternächtlichen Festen und Naschbüchsen und Mädchen, die Gwendolyn und Catherine hießen, und von Schuluniformen. Mein Vater träumte von den großen Hallen von Cambridge, zu denen er Zutritt gehabt hätte, wenn er bloß nicht zu nervös gewesen wäre und seine Prüfungen verschlafen hätte. Meine Mutter träumte von Klavierunterricht und Reitstunden für mich und von den Träumen ihres Vaters für sie selbst. Mein Zimmer war voller englischer Bücher, und zum Frühstück tranken wir hellbraunen Tee mit Milch und Zucker und aßen weiches, pappiges Weißbrot mit Margarine und Marmelade, das wir im Laden bei den Kasernen der britischen Armee kauften. Dorthin nahm mich mein Vater mit, und ich sah dort meine ersten Filme auf Breitwand, E. T. und The Jungle Book. Sowohl E. T. als auch Mowgli waren wie wir, weit weg von zu Hause. Sie waren auch wie die Charaktere in einem der Bücher im Regal meines Vaters, Die drei Schwestern, die immerzu davon träumten, nach Moskau zurückzukehren, nur dass sie am Ende nicht zurückkehrten.
Wem glichen wir, fragte ich mich, Disney oder Tschechow? Ich ging nach oben, um Die drei Schwestern zu holen, und legte das Buch auf die Küchentheke vor meine Mutter hin.
»Was soll ich damit?«, fragte sie. »Du und dein Vater und eure Lesewut.«
Ich sagte nichts über die Liebesromane von Danielle Steel, die ich aus dem Regal neben ihrem Bett holte und beim Schein einer Taschenlampe unter der Bettdecke las.
Sie hob den Tschechow hoch und warf ihn wieder auf die Theke. »Die ganzen Bücher, die er von seinen ›medizinischen Tagungen‹ mitbringt. Warum? Hmm? Erzählt er dir, wo er hingeht? Erzählt er dir von seinen Freundinnen? Was für Buchläden gibt es auf medizinischen Tagungen? Dieser Name von dir. Maya … Heißt irgendjemand in seiner Familie Ma-ya? Hmm? Schau dir doch mal seine Ex-Freundinnen an, dann weißt du Bescheid.«
Ich nahm das Buch in die Hand und wischte die Abdrücke von ihren Fettfingern weg. Ich war schon im Flur, als sie immer noch redete. Ich ging die Treppe hoch, setzte mich oben auf die Stufen und schlug das Buch auf. Ihre Stimme und die vom Hühnereintopf geschwängerte Luft stiegen hoch zu mir, während ich auf meinen Vater wartete, auf das Geräusch des Schlüssels im Schlüsselloch, die metallische Drehung, die Trost und Bestätigung bedeutete.
Einen Peugeot 304 hatte er, zusammen mit anderen Dingen, die wir für unsere Heimkehr brauchen würden, schon zurückgeschickt. Meine einzigen Erinnerungen stammten aus den Erzählungen meiner Mutter und den Dorfbeschreibungen meines Vaters, wenn er mir drohte, mich dorthin zu schicken, wenn ich ungezogen war, und sie stammten aus zweiter Hand. Abomosu. Es klang wie das Timbuktu, in das die Katzen in Aristocats, meinem Lieblingszeichentrickfilm, verbannt worden waren: ein staubiger, trockener Ort jenseits jeder Vorstellung. Ich hätte ihn gern gefragt, wie der Ort so schlimm sein konnte, wenn er doch ihn hervorgebracht hatte, ob der Ort, zu dem wir zurückkehren würden, identisch mit dem Ort der Bestrafung sei, doch das wäre zu altklug von mir gewesen. Außerdem sollte ich dort als junge Lady ankommen, die please und thank you und pardon me wie die Engländer sagen konnte und nicht wie die Deutschen redete, die kein Benehmen hatten und unhöflich waren.
Mein Vater erzählte mir, dass Dr. Larteys Sohn in Oxford zur Schule gegangen war, in seiner Freizeit jetzt Profi-Tennisspieler war und für seinen Schulchor in rot-weißen Talaren sang, wie sie auch in Cambridge üblich waren. Also ging ich nach der Schule zum Englischunterricht, um den Unterschied zwischen th und s zu lernen und think statt sink zu sagen. Doch der Unterricht verwirrte meine Zunge nur und brachte ihr ein Lispeln ein, einen fast unmerklichen Protest gegen den Überfluss von Wörtern, von Dingen.
Schließlich klickte es. Ich stand auf und ließ meinen Fuß über einer Stufe baumeln, dann verlagerte ich mein ganzes Gewicht darauf, Stufe für Stufe. Er legte den Mantel ab, stellte die schwarze, in den Falten braun verfärbte Aktentasche ab, die sein Wissen, das Stethoskop, Tabletten und Spritzen enthielt. Ich kam bei ihm an, als er mit seinen Füßen und noch in Socken in die braunen Lederpantoffeln fuhr, die mir, als ich damals zu Weihnachten hinunterschaute, verraten hatten, dass es sich bei dem Weihnachtsmann mit der weißen Plastikmaske und dem Bart nur um meinen Vater handelte. Von dieser Entdeckung hatte ich ihm nichts erzählt, wie ich ihm auch nicht verriet, dass ich bei Schnippschnapp immer gewann, weil ich die Kartendubletten durch unseren Glastisch von unten sehen konnte. Ich verriet ihm auch nicht, dass ich beim Anblick eines Keyboardspielers in der Fußgängerzone unserer Stadt deshalb »Moonlighters« gerufen hatte, weil ich das Wort an diesem Tag in der Sesamstraße gehört und nicht weil ich Beethovens Mondscheinsonate erkannt hatte, wie er so stolz glaubte.
»Die Jungen werden dich nicht mögen, wenn du zu klug bist«, sagte er mir, wenn ich mit ihm stritt und nicht nachgeben wollte, und dann war ich innerlich voller Tränen.
Ich ging voran in den Keller hinunter und schaltete das Licht hinter dem Bücherregal an, das mit medizinischen Enzyklopädien, Romanen und Schachteln mit klassischen Musikschallplatten gefüllt war. Das war unsere Welt, seine und meine. Meine Mutter kam nie hier herunter, es sei denn zum Saubermachen. Er setzte sich in den ledernen Drehstuhl. Ich wartete darauf, dass er hochsah, mir die Stichworte lieferte, auf das metallische Klicken in der Tür.
»Nun?«, fragte er.
»Ich habe das Buch gelesen«, sagte ich. »Die Kinder klettern auf einen Zauberbaum, und dort gibt es die verschiedensten seltsamen Wesen. Und es gibt einen Traum, in dem sie sich in einem riesigen Bett befinden und in ihrem Traum träumen und …«
Er hörte nicht zu. Er sah über mich hinweg in die Luft und hörte nicht zu.
»Ich habe im englischen Diktat zehn von zehn bekommen«, sagte ich, »und acht von zehn.«
»Warum acht von zehn?« Er runzelte die Stirn. »Warum nicht zehn von zehn? Du musst immer dein Bestes geben. Verstehst du?«
Ich nickte. »Ja.«
»Ja, was?«
Ich zögerte, denn ich wollte mich nicht diesem sinnlosen Wortgeplänkel aussetzen, von dem ich wusste, dass es von seinem Vater stammte, war es doch auch nicht seine eigene Stimme, mit der er mich fragte.
»Ja, was?«
»Ja, Daaad.« Ich stand auf und wollte gehen. Hier gab es keine Antworten. Aber, vielleicht … »Muss ich morgen in die Schule? Ich fühle mich nicht gut.« Es war nicht mal ganz gelogen.
Er sah mich jetzt richtig an. »Oh yeh«, sagte er und sprach das yeh aus wie die Deutschen in »oh weh«, aber anglisierte es auf ghanaische Art. »Wie fühlst du dich?«
Ich öffnete den Mund, ohne zu wissen, was herauskommen würde. »Ich habe Kopfschmerzen, und mir ist schlecht … und schwindlig, als würde ich immerzu hinfallen und als wäre etwas Schweres in meinem Magen, es tut weh«, sagte ich und versuchte, die Symptome in meiner Miene widerzuspiegeln; nicht übertrieben, gerade genug.
Er fühlte meine Stirn, machte dann seine Tasche auf, holte ein Thermometer heraus und steckte es mir in die Achselhöhle. Ich presste den Arm kräftig gegen seine Kälte, um es zu erwärmen.
»Normal«, sagte er, als er es herausholte und schüttelte. Er kramte einige Tabletten aus seiner Tasche und gab mir eine. »Nimm die«, sagte er, »und geh zeitig zu Bett. Kein Lesen unter der Bettdecke.«
Ich hielt die Tablette in der Hand, wo sie schmelzen würde, bis ich sie in der Toilette hinunterspülen konnte. Ich stand da in dem von Büchern gesäumten Zimmer. Später dachte ich, wie sehr das alles einer Kirche glich: mein Vater priesterähnlich in seiner Gedankenversenkung und Unnahbarkeit; die in meiner Hand schmelzende Tablette, das Sakrament; die Bücher, die er mir gab, heilige Texte voller Hinweise, zum Beispiel dem, wie man in einem Traum träumen konnte.
Ich versuchte es noch einmal. »Daddy?«
»Hmm?«
»Warum muss Mowgli sein Zuhause und seine Freunde und Familie verlassen?«
»Weil …« – er stützte die Stirn auf die Fingerspitzen – »er von den Menschen lernen muss. Wie du von diesen Menschen hier lernen musst.«
Ich setzte mich. War’s das?
»Aber er kehrt heim. Und du wirst auch heimkehren«, sagte er leise. »Hic sunt leones.« Er blickte wieder in den Raum, an dem ich keinen Anteil hatte.
Ich wartete, doch er sagte nichts mehr. »Was bedeutet das, Daddy?«
Er drehte sich um und sah nachgerade durch mich hindurch. Ich legte meine Hand auf die Bücherrücken, um zu spüren, dass es mich wirklich gab – ja, es gab mich.
»Es bedeutet, dass wir Löwen sind, du und ich.«
Und das klang wie ein Versprechen.
Als sie zu Bett gegangen waren, nahm ich meine Taschenlampe und schlich mich in den Keller, wobei ich den ganzen Weg hinunter die Luft anhielt, damit mich niemand hörte.
In der Encyclopaedia Britannica meines Vaters fand ich die Formulierung. Hic sunt leones: Forschungsreisende gebrauchten sie, um unbekannte Territorien zu bezeichnen, stand da.
Ich hatte gedacht, dass der Ort, an dem er gefangen war und wo ich keinen Platz hatte, vor meiner Geburt existiert hatte. Wir waren durch die Weizenfelder gewandert, an deren Rändern die verdunkelten Fabriken mit den ohnmächtigen Schornsteinen standen, als er mir erzählte, wie er, meine Mutter, ihr Bruder und andere wie sie mit Stipendien nach Deutschland, England, Amerika und Russland geschickt wurden, um Wissen und Bildung zu erwerben, damit sie bei ihrer Rückkehr helfen konnten, ihre neue Nation aufzubauen.
»Warum bist du dann immer noch hier?«, fragte ich und schob meine Hand in die seine.
»Es funktionierte nicht, wie sie es sich vorstellten«, sagte er und hielt meine Hand umschlossen wie zuvor. »Zu Hause pflegten sie zu sagen, nur der König habe Träume.«
»Warum nur er?«, fragte ich. Ich überlegte, wer »sie« waren, und machte bei jedem seiner Schritte zwei, bis ich schließlich längere Schritte machte.
»Weil er eins mit dem Staat war, und selbst wenn sein Volk träumte, träumte es für ihn. Außerdem habe ich ihnen nicht geglaubt«, sagte er leise und blieb stehen. Er schaute zu den großen, verblassten Schildern hinüber, die von den Rüstungswerken Mannesmann und Krupp kündeten, obwohl sie zu weit weg waren, als dass er sie entziffern konnte.
Ich zog an seiner Hand, weil ich nicht wollte, dass er dort stehen blieb und auf etwas schaute, was er nicht erkennen konnte. »Ich kann sie erkennen, Daddy«, sagte ich.
Hic sunt leones. Das bedeutete nicht, dass er wie ein Löwe in all seiner Macht heimkehren würde, sondern dass er der Unbekannte in einem unbekannten Land war, dass er verloren war – und ich mit ihm.
4
Ich stand neben Andrea. Obwohl sie Lehrerin war, ließ sie sich von uns mit dem Vornamen anreden und lachte, wenn etwas lustig war, statt wohlwollend zu schmunzeln wie die anderen Erwachsenen. Sie trug derbe Wanderschuhe, und ihre Haare waren dick und standen wie Zuckerwatte um ihren Kopf. Ich blickte auf meine eigenen glänzenden schwarzen Schuhe hinunter, die meine Zehen zusammendrückten, und strich meine entkräuselten Haare glatt, damit sie flach auf der Kopfhaut lagen. Die Dax-Pomade wischte ich an meinem Kleid ab. In meiner rechten Hand hielt ich eine Papierlaterne in Sonnenform. Sie hatte innen eine kleine Glühlampe, die ich mit einem Schalter am Plastikstock, an dem die Laterne hing, anschalten konnte. Einige der anderen Kinder hatten selbst gemachte Laternen. Sie stießen ihren Atem kräftig aus, um zu prüfen, ob er in der kalten Nachtluft zu sehen war. Sie stampften mit den Füßen und rieben sich die Hände, und ich wusste nicht, wie ich ihnen nahe sein konnte. Ich schaltete meine Laterne an.
»Weißt du, dass wir am Sankt-Martinstag Gans essen, weil Martin weglief und sich in einem Gänsestall versteckte, als sie ihn zum Bischof von Tours machen wollten?« Andrea sprach nur zu mir, aber sie sprach laut, mit ihrer Lehrerin-Erzählstimme, obwohl ich sie mit anderen Stimmen sprechen gehört hatte. »Er wollte nicht Bischof werden. Er wollte Mönch bleiben. Er meinte, das sei eine sehr große Aufgabe und er sei sehr klein. Aber als die anderen ihn suchten, machten die Gänse solchen Lärm, dass sie ihn entdeckten. So wurde er zum Bischof und dann zum Märtyrer.«
Ich wartete, bis sie fertig war, ehe ich mich umblickte. Inzwischen waren alle Mütter da, außer meiner. Sie kam immer zu spät. Sie traten von einem Fuß auf den anderen, schüttelten die Köpfe, rollten mit den Augen. Ich konnte nicht hören, was sie sagten, aber ich hörte den missbilligenden de-de-de-de-Rhythmus, in dem Deutsche sprachen, wenn etwas nicht nach Plan verlief.
Ich spürte, wie mein Gesicht plötzlich in der kalten Nachtluft heiß wurde, wartete auf die schmerzhaften Stiche des Frosts auf meinen Wangen und wünschte sie herbei, damit ich nicht spüren musste, wie die Mütteraugen an mir vorbeisahen. Ich stampfte mit den Füßen auf und rieb mir die Hände wie die anderen und sagte ihnen wortlos, dass ich am nächsten Tag an einer englischen Schule neu anfangen würde, weil sie unhöflich waren.
Da kam sie an, rennend, in einem dreieckigen Trenchcoat mit drei riesigen Knöpfen. Sie trug ihre Diana-Ross-Perücke mit den toupierten Haaren und dem Seitenscheitel, außerdem schwarze Lacklederschuhe mit einer goldenen Schnalle, die perfekt zu ihrer Handtasche passten. Die anderen Mütter hörten auf, von einem Fuß auf den anderen zu treten. Sie trugen alle Jeans und Parkas. Sie redete und lachte und wedelte mit den Händen, und alle sahen sie an, als hätte sie all die kleinen Lämpchen aus ihren Laternen genommen und für sich vereinnahmt, und ich wünschte mir, dass sie manchmal einfach das Licht ausknipsen würde.
Wir gingen los, unsere Laternen schaukelten im Takt unseres Gesangs. »Ich geh mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir. Dort oben leuchten die Sterne, und unten leuchten wir.«
Meine Mutter redete immer noch, und alle anderen Mütter lachten, als sei sie die lustigste Person auf der Welt. Ich wusste nur, dass sie die lauteste war.
Ich schaute zu den Sternen hoch. Sie waren dort oben – und wir hier unten und leuchteten als Spiegelbild. Der Nacken tat mir weh. Ich schloss die Augen, hielt die Hand meiner Mutter fest, das Gesicht zum Himmel erhoben. Ich spürte die Sterne noch hinter meinen Lidern, obwohl ich sie nicht sehen konnte. Ich lief mit geschlossenen Augen, zuerst voller Furcht, mit Straßenlampen, Mauern, anderen Kindern zusammenzustoßen, doch ich ging weiter, und allmählich fühlte sich der Raum vor mir leer an. Sogar die Sterne waren hinter meinen Lidern verschwunden, und es war, als wären sie überhaupt nicht da.
»Wo bist du?«, fragte ich. »Kennst du mich?«
»Oh-ho, Maya, adεn?«
Ihre Stimme war so weit weg wie die Stimmen der anderen Kinder, und ich wollte die Augen nicht aufmachen, wollte nicht die Sterne daran hindern zu antworten.
»Nwaseasεm kwa na wonim.« Sie zog mich an der Hand.
Ich öffnete die Augen. Sie sah auf mich herunter, lächelte und schüttelte den Kopf. Sie sprach nur dann auf Twi zu mir, wenn sie Beschimpfungen ausstieß, und ich überlegte, ob einige Sprachen angriffslustiger als andere waren, wie einige andere mehr Komposita hatten. Der Mann, der auf einem Pferd vor der Prozession herritt, hatte bei den Wiesen nicht weit von unserem Haus angehalten. Dort loderte ein großes Feuer, bei dem schon die anderen Lehrer standen. Er hatte ein weißes Laken wie eine Toga um den Körper geschlungen und darüber einen roten Umhang, den er jetzt in zwei Hälften zerschnitt. Er gab die eine Hälfte einem anderen Mann in Unterhemd und Jeans, der sie um sich wickelte.
Andrea kam heran und stellte sich neben meine Mutter. »Das ist genau wie die Rituale, die ihr in eurem Land habt. Unsere Leute sangen und tanzten auch, aber wahrscheinlich nicht so gut wie eure.« Sie lächelte. »Sie trugen die Laternen, um die Winterdämonen zu vertreiben …«
»Ich bin Christin«, sagte meine Mutter und wandte sich ab.
Ich sah Andrea an, wie sie hinter dem Rücken meiner Mutter dastand, blinzelte und nicht wusste, was sie sagen sollte.
Als wir weggingen, drehte ich mich um, weil ich Andrea sagen wollte, sie müsse nicht Englisch sprechen, mit einer Stimme, von der sie annahm, sie würde meiner Mutter das Gefühl geben, zu Hause zu sein, weil meine Mutter schon wusste, wie sich zu Hause anfühlte.
Ich versuchte, die Leere hinter meinen Lidern zurückzuholen, doch sie war schon von den Worten meiner Mutter erfüllt.
Hätte die törichte Deutsche neben irgendeiner der anderen Mütter gestanden und diesen Blödsinn über Dämonen erzählt? Und von ihr wurde erwartet, dass sie dort stand und sich solchen Un-fug von einer Frau anhörte, die keine anständigen Schuhe trug und nie einen Kamm benutzt hatte. Un-fug.
Wir liefen auf der Hauptstraße zwischen den Feldern entlang. Ich konnte die Leuchtzeichen der Industriebauten sehen, die mein Vater nicht gesehen hatte, das M von Mannesmann, das jetzt flackernd an und aus ging.
»Bis morgen dann«, hatte Andrea gesagt.
Meine Eltern hatten ihnen nicht einmal mitgeteilt, dass ich die Schule verlassen würde.