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Buch

Das Ende der Mondflut rückt immer näher, und der grausame Kaiser Constant zieht alle Kräfte zusammen, um endlich die totale Macht an sich zu reißen. Alaron und Ramita haben nur noch wenig Zeit, die Katastrophe zu verhindern. Zugleich müssen sie Ramitas Sohn, den Nachkommen des mächtigen Magiers Antonin Meiros, beschützen. Die Zeit ist gekommen, das Aszendenz-Ritual zu vollziehen, und neue Mächte machen sich bereit, Urte zu regieren. Diese können den Frieden bringen – oder ewige Verdammnis. Die Entscheidung muss fallen, bevor die Leviathanbrücke in den Fluten des Ozeans versinken wird …

Der Autor

Der neuseeländische Schriftsteller David Hair wurde für seine Jugendromane bereits mehrfach ausgezeichnet. Die Brücke der Gezeiten ist seine erste Fantasysaga für Erwachsene. Nach Stationen in England, Indien und Neuseeland lebt er nun in Bangkok, Thailand.

Die
Rückkehr
der Flut

DIE BRÜCKE DER GEZEITEN 8

Übersetzt von Michael Pfingstl

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Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel
»Ascendant’s Rite« (Pages 405–828) bei Jo Fletcher Books, London,
an imprint of Quercus.


1. Auflage
Copyright © der Originalausgabe 2015 by David Hair
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018 by Blanvalet Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Sigrun Zühlke
JB · Herstellung: sam
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN: 978-3-641-18115-4
V001

www.blanvalet.de

Dieses Buch ist meiner Schwester Robyn gewidmet, liebevolle Krankenschwester, hervorragende Köchin und Kuchendekorateurin und außerdem der Grund, warum es sich lohnt, Crabtree-&-Evelyn-Aktien zu kaufen.

Robyn wurde meinen Eltern am 6. September übergeben, etwas über ein Jahr nachdem sie von mir Besitz ergriffen hatten. Der Lieferant war kein Storch, sondern ein Arzt in Te Puke – dass wir adoptiert wurden, war nie ein Geheimnis und nie Grund für Drama oder Trauma. Unter den Fittichen unserer Adoptiveltern wuchsen wir genauso auf, wie »normale« Geschwister aufwachsen: Wir haben gespielt und gestritten, konkurriert und zusammengearbeitet, uns umarmt und beschimpft, uns geschlagen und wieder versöhnt. Als Adoptivkind kann man irgendjemanden zur Schwester bekommen, und ich bin froh, dass du, Robyn, die meine bist.

Inhalt

Karte: Urte c. 927

Was bisher geschah

Die Geschichte Urtes

Die Ereignisse von Septnon 929 bis Janun 930

Prolog: Die Plagen Kaiser Constants (Teil 5)

1 Ein kleiner Rückschlag

2 Verwundbarkeit

3 Die Reichweite des Attentäters

4 Trauerzug und Marsch

5 Familie

6 Mit Gott sprechen

7 Hammer und Amboss

8 Delta

9 Die Ebensar-Höhen

10 Deltas Geschichte

11 Die Grenzen der Macht

12 Gegenspieler

13 Jekuar

14 Der letzte Verrat

15 Die Kreuzung von Bassaz

16 Das Schwert gegen den König erheben

17 Alte Bande

18 Die Überschreitung

19 Prioritäten

20 Die Kaiserliche Flotte

21 Ein Sturm am Mittpunkt

22 Zu guter Letzt

23 Nach dem Sturm

Epilog: Das Ende der Mondflut

Anhang

Danksagung

Was bisher geschah

Die Geschichte Urtes

Auf Urte gibt es zwei bekannte Kontinente, Yuros und Antiopia. In Yuros ist das Klima kalt und feucht, seine Bewohner haben helle Haut; Antiopia liegt näher am Äquator, ist größtenteils trocken und dicht von verschiedenen dunkelhäutigen Stämmen bevölkert. Zwischen den beiden Landmassen tost eine unbezähmbare See, ständig aufgepeitscht von extrem starken Gezeiten, welche die Meere unpassierbar machen, sodass die Völker der beiden Kontinente lange Zeit nichts voneinander wussten.

Vor fünfhundert Jahren änderte sich dies grundlegend.

Auslöser war die Sekte des Corineus. Er gab seinen Jüngern einen Trank, der ihnen magische Kräfte verlieh, die sie Gnosis nannten. Noch in derselben Nacht starb die Hälfte seiner Anhänger und ebenso Corineus selbst, der offenbar von seiner Schwester Corinea ermordet wurde. Corinea floh, dreihundert der Überlebenden begannen unter Sertains Führung, den Kontinent mithilfe ihrer neu gewonnenen Kräfte zu erobern. Die Gnosis verlieh ihnen derart große Macht, dass sie das Reich Rimoni mühelos vernichteten und sich selbst als Herrscher des neu gegründeten Reiches Rondelmar einsetzten.

Dieses Ereignis, bekannt unter dem Namen »Die Aszendenz des Corineus«, veränderte alles. Die Magi, wie sie sich selbst nannten, stellten fest, dass auch ihre Kinder über magische Fähigkeiten verfügten. Die Gabe wurde zwar schwächer, wenn der andere Elternteil nicht ebenfalls ein Magus war, doch die Magi breiteten sich unaufhaltsam aus. Im Namen des Rondelmarischen Kaisers brachten sie immer mehr Landstriche und Völker Yuros’ unter ihre Herrschaft.

Von den anderen zweihundert, die die Aszendenz überlebt hatten, versammelte Antonin Meiros einhundert Männer und Frauen um sich, die wie er Gewalt verabscheuten, und zog mit ihnen in die Wildnis. Sie siedelten sich im südöstlichen Zipfel des Kontinents an, wo sie einen friedliebenden Magusorden gründeten, den Ordo Costruo.

Die restlichen hundert Überlebenden schienen keinerlei magische Kräfte entwickelt zu haben, doch stellte sich schließlich heraus, dass sie, um die Gnosis in sich wirksam werden zu lassen, die Seele eines anderen Magus verschlingen mussten; also taten sie es. Der Rest der Magigemeinschaft war darüber so entsetzt, dass sie die Seelentrinker gnadenlos jagten und töteten. Die wenigen, die noch übrig sind, leben im Verborgenen und werden von allen verachtet.

Schließlich entdeckte der Ordo Costruo mithilfe der Gnosis den Kontinent Antiopia, oder Ahmedhassa, wie er bei seinen Einwohnern heißt. Antiopia liegt südöstlich von Yuros. Die vielen Gemeinsamkeiten in Tier- und Pflanzenwelt, die die Ordensmitglieder entdeckten, brachten sie zu der Vermutung, dass die beiden Kontinente in vorgeschichtlicher Zeit einmal miteinander verbunden gewesen sein mussten. Meiros’ Anhänger kamen in Frieden und wurden bald dauerhaft in der großen Stadt Hebusal im Nordwesten Antiopias sesshaft. Im achten Jahrhundert begann der Orden mit der Arbeit an einer gigantischen Brücke, die die beiden Kontinente wieder miteinander verbinden sollte, und diese Brücke löste die zweite Welle epochaler Veränderungen aus.

Der Bau der Leviathanbrücke, wie das dreihundert Meilen lange Bauwerk genannt wird, war nur mithilfe der Gnosis möglich, die vieles bewirken kann, aber nicht alles. Sie erhebt sich nur während der alle zwölf Jahre stattfindenden Mondflut aus dem Meer und bleibt dann für zwei Jahre passierbar. Das erste Mal geschah dies im Jahr 808. Zunächst wurde die Brücke nur zögerlich genutzt, doch nach und nach entwickelte sich ein blühender Handel, und nicht wenige wurden dadurch reich. Es entstand eine neue Kaste, die Kaste der Händlermagi, die aufgrund ihres Reichtums auf beiden Seiten der Brücke immer mehr Einfluss gewann. Auch der Ordo Costruo gelangte zu beträchtlichem Wohlstand. Nach etwas mehr als einem Jahrhundert und zehn Mondfluten war der Handel über die Brücke der wichtigste politische und wirtschaftliche Faktor auf beiden Kontinenten.

Im Jahr 902 entsandte der Rondelmarische Kaiser, der seine Macht durch die Händlermagi bedroht sah, getrieben von Gier, Neid, Bigotterie und Rassenwahn, sein Heer über die Brücke: gut ausgebildete Legionen, die von Schlachtmagi angeführt wurden. Im Namen des Kaisers rissen sie die Kontrolle über die Brücke an sich, plünderten und besetzten Hebusal. Viele gaben Antonin Meiros die Schuld für diese Ereignisse, denn er und sein Orden hätten den Überfall verhindern können – doch dazu hätten sie die Leviathanbrücke zerstören müssen.

916 kam es zu einem zweiten, noch verheerenderen Kriegszug. Die Menschen Antiopias hatten keine Magi in ihren Reihen und waren den Legionen aus Yuros schutzlos ausgeliefert. Dennoch standen die Dinge für den Rondelmarischen Kaiser nicht zum Besten, denn seine tyrannische Herrschaft hatte in mehreren Vasallenstaaten zu einer Revolte geführt, am bekanntesten davon die von 909 im in Zentral-Yuros gelegenen Königreich Noros. Als im Jahr 928 die nächste Mondflut naht, hat der Kaiser bereits neue Pläne geschmiedet, um seine Macht auch in Zukunft zu sichern.

Die Ereignisse von Septnon 929 bis Janun 930
(geschildert in Die Brücke der Gezeiten: Die Verlorenen Legionen)

Nach Corineas Auftauchen befürchten Alaron und Ramita das Schlimmste, doch wie sich herausstellt, hegt sie keine bösen Absichten. Sie hatte die beiden schon seit Längerem beobachtet und sie schließlich zu ihrem Sprachrohr auserkoren: Jahrhundertelang war Corinea als Mörderin des Corineus geächtet, doch sie beteuert ihre Unschuld und bietet ihre Hilfe an, wenn Alaron und Ramita ihr im Gegenzug die Möglichkeit verschaffen, vor dem Ordo Costruo zu sprechen. Mit Corineas Unterstützung gelingt es schließlich, das Rezept für die Ambrosia zu entschlüsseln, woraufhin Alaron und Ramita eine neue Chance sehen, gegen Malevorn und Huriya zu bestehen und den entführten Nasatya zu befreien. Zur Umsetzung ihres Plans kehren sie mit Dasra, Yash und Corinea nach Mandira Khojana zurück und schlagen Meister Puravai vor, die Novizen mithilfe der Ambrosia in die Aszendenz zu erheben, falls sie dies möchten. Der Meister gibt seine Zustimmung, und die meisten Zain nehmen das Angebot an.

Mittlerweile haben sich zwei Verfolgergruppen an ihre Fersen geheftet. Cymbellea und Zaqri versuchen in Südkesh, Alarons Spur wiederaufzunehmen, und bitten schließlich die Seelentrinker in Sultan Salims Heerlager um Hilfe. Dort hält sich allerdings auch die abtrünnige Ordo-Costruo-Magierin Alyssa Dulayn auf. Sie ist die Geliebte von Emir Rashid Mubar, Anführer der Hadischa und Leiter der Zuchtanstalten, und ebenfalls auf der Suche nach der Skytale.

Malevorn und Huriya sind unterdessen mit Nasatya und den Überlebenden des Seelentrinkerrudels aus Teshwallabad in die Wildnis geflohen. Malevorn scheitert bei dem Versuch, die Skytale zu entschlüsseln, glaubt aber, dass sein ehemaliger Vorgesetzter Adamus Crozier ihm helfen kann. Er lockt Adamus nach Gatioch und nimmt ihn gefangen, woraufhin Huriya weitere Seelentrinkerrudel mit dem Versprechen, sie von ihrem Fluch zu heilen und sie in die Aszendenz zu erheben, ins Tal der Gräber ruft.

In Javon ist es Elena Anborn gelungen, Prinzessin Cera Nesti sowie ihren jüngeren Bruder, den offiziellen Thronfolger Timori Nesti, aus Gurvon Gyles Händen zu befreien. Das Volk glaubte, Cera sei gesteinigt worden, und bereitet ihr beim Einzug in Lybis einen begeisterten Empfang. Ihre Rückkehr wird als Zeichen verstanden, dass die Befreiung Javons von den Dorobonen kurz bevorsteht. Um dies zu erreichen, bringt Elena Cera und Timori heimlich nach Forensa. Dort übernimmt Cera die Führung über die javonischen Truppen und bereitet sich auf die kommenden Schlachten vor, während Elena und ihr Geliebter Kazim zu einer Geheimmission in den Süden des Landes aufbrechen. Gouverneur Tomas Betillon und Meisterspion Gurvon schließen sich unterdessen trotz ihres gegenseitigen Misstrauens zusammen, um die Nesti und ihre Verbündeten endgültig zu vernichten.

In Kesh lagern die Überlebenden der Katastrophe von Shaliyah am Ufer des Tigrates. Seth Korion, General der sogenannten Verlorenen Legionen, weigert sich, Ramon Sensini an die Inquisition zu übergeben, woraufhin ihm und seinem Heer die Überschreitung des Flusses verweigert wird: Die Kaiserkrone will unter anderem verhindern, dass die von der Inquisition in Kesh begangenen Kriegsverbrechen bekannt werden, deren Zeugen Seth und Ramon wurden. Somit bleibt Seth nichts anderes übrig, als ihre Stellung, die er die »Flussdünen« nennt, bestmöglich auf den Angriff des von Sultan Salim persönlich angeführten Keshi-Heers vorzubereiten. Seths Truppen sind zehn zu eins in der Unterzahl, ihre Siegchancen stehen denkbar schlecht.

Im Mandira-Khojana-Kloster hat Alaron inzwischen die erste Ambrosia gebraut und nimmt das Risiko auf sich, sie zu testen. Mit der Hilfe von Corinea und Ramita übersteht er die Verwandlung und wird zum Aszendenten.

Im Gegensatz dazu testet Malevorn die Ambrosia an einem gefangen genommenen Seelentrinker – mit beinahe katastrophalen Folgen: Während der Verwandlung ergreift ein Dämon von dem Seelentrinker Besitz, doch Malevorn gelingt es, den Dämon namens Bahil-Abliz zu unterwerfen. Er stellt außerdem fest, dass die Ambrosia die Seelentrinker nicht von ihrem Fluch heilen kann, und beschließt, die anderen Dokken, die Huriyas Ruf nach Gatioch gefolgt sind, in einer Massenverwandlung ebenfalls zu unterwerfen. Damit Huriya ihre Artgenossen nicht warnen kann, belegt er sie mit einer Kettenrune und wirft sie in einen Kerker. Hessaz kümmert sich unterdessen um den kleinen Nasatya und entwickelt eine immer tiefere Zuneigung zu ihm.

In Javon greifen Tomas Betillons Legionen und Gurvon Gyles Söldner mit Unterstützung der Harkun aus den Tieflanden die Stadt Forensa an. Trotz heldenhaften Widerstandes der Soldaten und Bürger droht Cera, die Schlacht zu verlieren, doch Elena und Kazim konnten in der Zwischenzeit neue Verbündete gewinnen: Mithilfe der Lamien haben sie Mitglieder des Ordo Costruo aus einer Zuchtanstalt der Hadischa befreit und bieten ihnen im Austausch für Unterstützung im Kampf gegen die Besatzer Asyl in Javon an. Die meisten Magi akzeptieren. Gerade noch rechtzeitig kommen sie in Forensa an und können das Blatt im letzten Moment wenden. Die Angreifer werden besiegt und in die Wüste getrieben.

Salims Heer versucht unterdessen, die Flussdünen zu stürmen, doch die Verlorenen Legionen unter Seths und Ramons Führung halten stand. Der Sultan beschließt, sie auszuhungern, aber Ramon durchkreuzt diesen Plan, indem er die Legionen mithilfe der einheimischen Fischer in einer gewagten Nacht-und-Nebel-Aktion ans andere Ufer des Tigrates evakuiert.

Cym und Zaqri werden von der skrupellosen Alyssa Dulayn gefangen genommen. Zaqri wird schließlich auf Alyssas Befehl hin getötet, nur Cym lässt sie am Leben, da sie als Enkelin von Antonin Meiros eine mächtige Verbündete darstellen könnte. Mithilfe der von den beiden erpressten Informationen kann sie Alarons und Ramitas Spur bis nach Teshwallabad verfolgen, wo sie schließlich von dem Kloster Mandira Khojana erfährt. Mit Cym als Geisel macht sie sich auf den Weg dorthin, um die Skytale an sich zu bringen.

In Gatioch ist Malevorn kurz davor, Hunderte von Seelentrinkern in die Aszendenz zu erheben und zu versklaven, da erhält Hessaz eine rätselhafte Botschaft von Huriya, in der sie andeutet, dass die Skytale die Dokken nicht heilen kann. Während der Massenverwandlung spuckt Hessaz als Einzige die Ambrosia aus. Während ihre Artgenossen in ein Delirium verfallen, schleicht sie sich zu Huriya und versucht sie zu befreien. Als der Versuch scheitert, tötet sie Huriya auf deren eigene Bitte: Malevorns Herz ist über einen Zauber an Huriyas Herz gebunden, wenn einer stirbt, stirbt auch der andere. Hessaz flieht mit Nasatya, und Malevorn bricht vor den Augen seiner verwirrten Sklaven bewusstlos zusammen.

In Mandira Khojana beginnen die in die Aszendenz erhobenen Zain-Novizen unterdessen mit ihrer Ausbildung und erlernen unter Puravais und Alarons Anleitung, alle sechzehn Aspekte der Gnosis zu gebrauchen. Von dem bevorstehenden Überfall durch Alyssa Dulayn ahnen sie nichts. In einer kalten Nacht dringt sie mit ihren Hadischa in das Kloster ein, doch Cym kann sich befreien und Alaron warnen. Zahlreiche Zain fallen im Kampf, und Cym wird von einem Hadischa getötet, aber mit Corineas Unterstützung gelingt es schließlich, die Attentäter zu besiegen. Ramita nimmt Alyssa gefangen und tötet sie beinahe.

Wir schreiben den Janun 930, die Mondflut dauert nur noch fünf Monate. Javon hat einen ersten Erfolg in seinem Freiheitskampf erzielt, dennoch scheinen Elenas und Ceras Feinde nach wie vor übermächtig. Die Verlorenen Legionen sitzen Hunderte Meilen von der Leviathanbrücke entfernt zwischen den Fronten fest, während Malevorns Dämonenheer ganz Urte bedroht. Lediglich Alaron, Ramita und ihre Magi-Zain wissen von der Gefahr.

Zur gleichen Zeit trifft Rondelmar die letzten Vorbereitungen für den entscheidenden Schlag: Die Leviathanbrücke soll zerstört und eine permanente Landbrücke zwischen den beiden Kontinenten aus dem Ozean gehoben werden, um die Unterwerfung Antiopias für alle Zeiten zu besiegeln. Der Hammer wird am letzten Tag der Mondflut fallen.

Es ist Zeit, Geschichte zu schreiben.

Prolog

Die Plagen Kaiser Constants
(Teil 5)

Über die Monarchie

Was ist ein König? Jemand, der nicht nur aufgezogen wurde, um über andere zu herrschen, sondern auch von den Göttern dazu bestimmt ist? Oder ein Tyrann, der sich verbissen an seine Macht klammert und jeden vernichtet, von dem er sich bedroht fühlt? Oder ist der König lediglich eine Galionsfigur, jemand, auf den die wahrhaft Mächtigen sich um der Stabilität willen einigen, um danach ihre eigenen Pläne weiterzuverfolgen?

Ordo Costruo, Hebusal 884

Pallas, Rondelmar
Sommer 927
Ein Jahr bis zur Mondflut

Es wurde still im Raum, einen Augenblick lang wirkten alle Anwesenden nachdenklich, den Blick nach innen gerichtet. Der Plan war klar, die Karten lagen auf dem Tisch, man hatte sich mehr oder weniger geeinigt. Es war der krönende Abschluss monatelanger Vorbereitungen und geheimer Treffen unter vier Augen, begleitet von reichlich Speis und Trank. Gurvon Gyle hob seinen Kelch, stellte enttäuscht fest, dass er leer war, und setzte ihn wieder ab. Er brauchte etwas Stärkeres als verdünnten Wein.

Wenn es wirklich Götter gäbe und sie uns jetzt hören könnten, wären sie entsetzt, dachte er, während er im Stillen alles noch einmal durchging.

Ich werde Javon erobern und es dann den Dorobonen übergeben. Er gestattete sich ein kleines Lächeln. Nun ja, vielleicht. Es gab noch andere Möglichkeiten. Das Kaiserreich unterschätzt Javon. Die Rondelmarer glauben, nur weil die Dorobonen es schon einmal erobert haben, wird es auch diesmal klappen. Sie vergessen nur, dass sie Javon auch wieder verloren haben. Vielleicht kann ich daraus Nutzen ziehen. Elena hätte bestimmt etwas zu dem Thema zu sagen. Er verbot sich jeden Gedanken an Elena. Ihr Verhältnis war nicht mehr das, was es einmal gewesen war.

Sobald wir Javon haben, locken wir den Herzog von Argundy in eine Falle. Er überlegte, ob Rashid Mubar seinen Teil der Vereinbarung auch wirklich erfüllen würde. Es wäre nicht gut, wenn der Herzog nur geschwächt würde und entkam. Dass es den Keshi gelänge, ein voll ausgerüstetes rondelmarisches Heer zu vernichten, war ausgeschlossen.

Was mich wirklich beunruhigt, ist, was Naxius mit den gestohlenen Seelen anstellt. Unfassbar! Der Kerl ist gefährlich …

Und dann der letzte Akt: die Zerstörung der Leviathanbrücke. Obwohl Gurvon selbst den Plan mit Belonius Vult ausgeheckt hatte, machte ihn der Gedanke an dessen Tragweite immer noch fassungslos. Das mächtige Bauwerk des Ordo Costruo zu zerstören war das eine, aber dann noch den Meeresboden anheben und die Landbrücke wiederherstellen? Das wäre wahrhaft erstaunlich. Es würde die Welt so grundlegend verändern, dass er es kaum gedanklich fassen konnte.

Gurvon ließ seinen Blick durch den Raum wandern und überlegte, was jeder der Anwesenden zu gewinnen hatte.

Belonius Vult, sein sogenannter Freund. Bel fand sich bestens am Hof zurecht und arbeitete zweifellos bereits daran, eine wichtigere Rolle zu spielen. Schließlich brauchte der Kaiser Sondergesandte und Legaten, sobald der Kriegszug begann.

Für Tomas Betillon und Kaltus Korion bot sich eine weitere Gelegenheit, ihre bereits übervollen Schatzkammern mit noch mehr Beutegold zu füllen. Aber wird Korion sich einem jungen – und unreifen – Kaiser unterordnen?

Calan Dubrayle war schwer in die Karten zu schauen. Der Schatzmeister hatte allerdings Verbindungen zu Belonius offenbart, von denen niemand etwas geahnt hatte. Kriege kamen den Staat bekanntlich teuer zu stehen, während sich wenige bereicherten, die an den richtigen Stellen saßen. Auf wessen Seite Dubrayle letztlich stand, schien Gurvon mehr als fraglich.

Erzprälat Dominius Wurther hatte sich bedeckt gehalten. Wenn er sich einmischte, dann nur, um die Dinge unnötig zu verkomplizieren. Er spielte unbeirrt die Rolle des frommen Kirchenmanns, auch wenn er den anderen damit auf die Nerven ging. Es war verlockend, ihn als Hornochsen abzuschreiben, aber ein Narr wäre niemals in der Kirchenhierarchie so hoch aufgestiegen. Auch er verfolgt seine ganz eigenen Ziele, da bin ich sicher.

Widerstrebend wandte Gurvon sich dem Nächsten zu: Ervyn Naxius. Der greise Ordo-Costruo-Verräter nickte ständig vor sich hin wie ein seniler Trottel, aber als ihre Blicke sich begegneten, sah Gurvon die eiskalte Verschlagenheit in Naxius’ Augen. Wie viel von Bels Anteil an dem Plan stammt in Wirklichkeit von Naxius?, überlegte er, weiter freundlich lächelnd.

Schließlich konzentrierte er sich auf Kaiser Constant und dessen Mutter Lucia, und zwar auf beide zusammen. Alles andere hatte keinen Sinn: Ohne Lucias Führung konnte Constant nicht herrschen, und ohne ihren Sohn, den Kaiser, hatte Lucia keinerlei Handhabe am Hof. Wenn dieser Plan aufging, würden die beiden zu unermesslicher Macht aufsteigen und Herrscher über Yuros und Antiopia werden. Keine angenehme Vorstellung für Gurvon, im Gegensatz zu der versprochenen Belohnung: genug Gold für den Rest seines Lebens. Oh ja, Verbrechen zahlte sich aus, wenn man es richtig anstellte. Aber was ihn wirklich lockte, waren die Dinge, die er mit Geld nicht kaufen konnte, zumindest nicht offiziell: Immunität vor dem Gesetz und ein Adelstitel, der ihn endlich in die Aristokratie erhob. Mit einem Streich würde er zu den Großen im Reich gehören, ausgestattet mit so viel Autorität, dass die alteingesessenen Reinblut-Familien wenigstens so tun mussten, als respektierten sie ihn. Zwar würde Elena nicht mit ihm in das Herrenhaus am Seeufer einziehen, von dem sie immer geträumt hatten, aber … Nun, es gab auch noch andere Frauen auf der Welt.

Betillons raue Stimme durchbrach die Stille. »Ich habe eine Frage«, sagte er und sah dabei Lucia an. »Wir alle wissen, dass der Kaiser unantastbar sein wird, sobald es vollbracht ist, und wir alle sind glücklich darüber. Aber was springt für uns dabei heraus, für uns alle hier im Raum?«

Gurvon horchte auf. Betillon brüstete sich gerne damit, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, aber das war selbst für ihn gewagt.

Lucia bedachte den Gouverneur von Hebusal mit einem amüsiert-überraschten Blick, was Gurvon sofort misstrauisch machte. Lucia war selten überrascht oder gar amüsiert.

»Ach, Tomas«, erwiderte sie seufzend. »Geldgierig und egoistisch wie immer.«

»Spart Euch die Worte, Lucia! Seht Euch doch um: Alle hier im Raum sind käuflich, jeder Einzelne von uns! Wir alle verfolgen unseren eigenen Vorteil, und wir wollen aufsteigen, genau wie Ihr es tun werdet. Deshalb sind wir hier und stellen uns in Euren Dienst! Alle wissen das, ich bin nur der Einzige, der die Eier hat, es auszusprechen!«

»Wenn es Eier braucht, um zu reden wie ein Strauchdieb, bin ich froh, dass ich keine habe«, gab Lucia zurück. »Was, glaubt Ihr, hättet Ihr denn als Dreingabe verdient, werter Tomas? Genügt Euch die versprochene Bezahlung nicht?«

»Die Aszendenz«, antwortete Betillon rundheraus, und es wurde schlagartig wieder still im Raum. Es war eine andere Stille als zuvor. Alle waren entsetzt – und mehr als nur ein wenig neugierig.

Die Aszendenz! Bei allen Hel-Huren … Gurvon merkte, dass ihm der Mund offenstand, und schloss ihn sofort. Oh ja, das wäre was.

»Unser ganzes Leben lang wurde uns die Skytale des Corineus wie eine Karotte vor die Nase gehalten«, fuhr Betillon fort. »Sei ein guter, treuer Diener, der Kaiser wird es dir vergelten, hieß es! Nun, hier stehen wir und bieten Euch die Welt auf einem Silbertablett dar. Wer hätte die Aszendenz verdient, wenn nicht wir?«

Kaltus Korion nickte, und die anderen, die es nicht wagten, sich Lucia so direkt zu offenbaren, schienen zumindest sehr interessiert.

»Mein geschätzter Tomas, nicht einmal mir wurde die Aszendenz zuteil«, erwiderte Lucia gemessen.

»Aber weshalb?« Betillon schaute sie verwirrt an, und vielleicht war er es tatsächlich. »Ihr seid eine Lebende Heilige, Mater-Imperia. Wenn jemandem diese Ehre gebührt, dann doch wohl Euch?«

Eine verdammt gute Frage, auch wenn ich sie selbst wahrscheinlich nicht stellen würde.

»Die Hüter entscheiden darüber, wer erhoben wird, nicht ich«, antwortete Lucia, die das Thema anscheinend beenden wollte. Die Hüter, jene geheimnisumwobene Gruppe noch lebender Aszendenten, unterstanden niemandem, nicht einmal dem Kaiser. Ihre einzige Funktion im Staat war, die Skytale zu bewahren und zu schützen.

»Versucht nicht, uns mit diesem Unsinn abzuspeisen«, fuhr Betillon auf. »Wenn wir ganz Urte für unseren Kaiser erobern, ist die Aszendenz das Mindeste, was wir verdienen!« Er schaute auffordernd in die Runde. Wieder war es lediglich Korion, der nickte; sein Blick wirkte allerdings, als fürchtete er schon jetzt, zu weit gegangen zu sein.

Gurvon schaute hinüber zu Belonius, der einen eigenartigen Gesichtsausdruck zur Schau trug. Als wüsste er etwas, das von großer Bedeutung hierfür war. Ich muss ihn danach fragen

»Ich bin sicher, dass die Hüter darüber nachdenken werden, sollte der Plan gelingen«, erwiderte Lucia kühl.

»Das möchte ich aus dem Mund eines Hüters hören«, erklärte Betillon. Korion legte ihm warnend eine Hand auf den Arm.

Lucia blickte ihm fest in die Augen. »Genug, Tomas. Die Hüter stehen über allem. Die Entscheidung liegt nicht bei mir.«

Die Spannung hielt noch ein paar Momente an, dann lehnte Betillon sich mit einem leisen Murmeln zurück.

Gurvon beobachtete Lucias Augen genau. Sie verschweigt etwas … Und Betillon bekommt ein Messer in den Rücken, sobald die Umstände es zulassen.

»Mutter, wir werden bald in der Kapelle erwartet«, warf Constant ein. »Sind wir hier fertig?«

»Ja, das sind wir«, antwortete die Kaiserinmutter entschlossen, und alle atmeten auf. »Meine Herren, danke für Eure Zeit. Ich möchte vor allem Gouverneur Vult und Magister Gyle meinen Dank aussprechen. Durch ihre Bemühungen verfügen wir nun über eine Kriegslist, die uns zum Sieg führen wird. Der Dank des Kaisers ist ihnen gewiss.«

Betillon, Korion und Dubrayle nickten leicht, Naxius lächelte gütig. Constant sah aus, als müsste er dringend pinkeln.

Die Diener brachten frischen Wein, und alle erhoben sich. Betillon und Korion vertieften sich sofort in ein Gespräch. Wurther brachte so viel Abstand wie möglich zwischen sich, Naxius und Dubrayle, und Constant verließ eilig den Raum, während Lucia sich zu Gurvon und Vult gesellte.

Vult hauchte ihr ehrfürchtig einen Kuss auf die Hand, und Gurvon verneigte sich ehrerbietig.

»Wir alle sind sehr beeindruckt«, begann Lucia. »Die anderen, vor allem Kaltus und Tomas, mögen es sich nicht anmerken lassen, aber ohne ihre rückhaltlose Unterstützung hätten wir Euren Plan niemals umgesetzt. Dass Männer immer untereinander konkurrieren müssen …«, fügte sie kopfschüttelnd hinzu, als wäre das weibliche Geschlecht in dieser Hinsicht auch nur einen Deut besser.

»Wir sind stolz, dem Haus Sacrecour einen Dienst zu erweisen«, erwiderte Vult anbiedernd.

»Und das Haus Sacrecour dankt Euch beiden zutiefst dafür. Das gilt auch für meinen Sohn.«

»Er kann sich glücklich schätzen, Euch als Beraterin zu haben«, erwiderte Gurvon taktvoll. Ohne Euch wäre er keine Stunde lang mehr Kaiser, sagte er nicht dazu.

Lucia lächelte aufrichtig, zumindest beinahe, denn selbstverständlich durchschaute sie ihn. »Die Rimonischen Kaiser hatten immer einen Sklaven, dessen einzige Aufgabe es war, ihnen jede Stunde ins Ohr zu flüstern: Bedenke, dass auch du nur ein Mensch bist. Natürlich hat der erste Magus-Kaiser den Brauch sofort wieder abgeschafft, aber manchmal frage ich mich, ob wir ihn nicht doch wieder einführen sollten.«

»Solange der Kaiser Euch an seiner Seite hat, sehe ich keinen Grund dafür, edle Lucia«, erwiderte Vult.

Die Worte waren zweifellos als Kompliment gemeint, doch Gurvon sah noch andere Deutungsmöglichkeiten; als er Lucias Blick auffing, wusste er, dass es ihr ebenso ging. Mit der gefährlichsten Frau Urtes einen stummen Moment des Einverständnisses zu teilen jagte ihm einen Schauder über den Rücken. Selbst Corinea würde vor Lucia Sacrecour die Flucht ergreifen, überlegte er, dann drängte sich ein zweiter Gedanke ungebeten in den Vordergrund. Gurvon hatte keine Ahnung, woher er so plötzlich kam. Ich frage mich, wie es wäre, das Bett mit ihr zu teilen.

Lucia neigte kokett den Kopf, dann wurde ihr Blick wieder kühl.

Ich werde es wohl nie herausfinden.

»Nun, meine Herren«, sagte sie in die Runde. »Wie Ihr wisst, habe ich eine gewisse Affinität zur Divination. Während unserer Besprechung hatte ich die spontane Vision, dass alle, die bis zum Ende dabeibleiben, nach der Mondflut als Wegbereiter einer neuen Ära in die Geschichte eingehen werden. Als Herolde eines Kaiserreichs, das sich über ganz Urte erstreckt.«

Gurvon ließ sich von einem der Diener einen gefüllten Kelch reichen. »Darauf trinke ich, Euer Heiligkeit«, sagte er und leerte den wohlschmeckenden, beruhigenden Alkohol in einem Zug. Das war nötig.

»Seht Euch um«, sprach Lucia weiter. »Gemeinsam mit diesen Männern werdet Ihr über Urte herrschen … Und natürlich mit meinem Sohn«, fügte sie hinzu, als hätte sie es beinahe vergessen. »Sie werden Euresgleichen sein, also pflegt guten Umgang mit ihnen«, sagte sie zum Abschied mit einem Nicken.

Dann schaute sie Gurvon ein letztes Mal in die Augen. Magister Gyle, Betillon wird für seine Impertinenz bezahlen. Seht gut hin, wenn es passiert, und lernt daraus.

Gurvon verneigte sich stumm.

Lucia verließ den Raum, Bel und Gurv atmeten still auf und ließen ihre Kelche klingen.

Bel übernahm den Trinkspruch: »Jeder, der etwas von Divination versteht, weiß, dass die spontanen Visionen die verlässlichsten sind. Ich glaube, Lucia hat recht: In drei Jahren, wenn die Mondflut vorüber ist, werden wir alle unsterblich sein.«