Michaela Hansen · Eva Goris

Als

GRANNY
AUPAIR

in die Welt

Deutscher Taschenbuch Verlag

Originalausgabe 2013

© 2013 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

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Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,
KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

eBook ISBN 978-3-423-41995-6 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-26007-7

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website
www.dtv.de/ebooks

Dieses Buch ist all jenen Frauen gewidmet,
die als Granny Aupair in die Welt aufgebrochen sind.

Sie sind Botschafterinnen unseres Landes, schlagen Brücken
zwischen den Kulturen und den Generationen.

Zum Schutz der Privatsphäre wurde bei den Grannys auf
Familiennamen verzichtet und einige Orte wurden verändert.

GELEITWORT

von Maria von Welser

Es ist phantastisch und so typisch weiblich: Granny Aupair. Frauen, die sich in die Welt aufmachen – in ihrem »dritten Leben«, das dann wahrlich wie ein neues Leben gerät. Die Zeit nach dem beruflichen Eingebundensein ist eine höchst spannende und auf eine neue Weise fordernde.

Diese Frauen wagen sich hinein in fremde Familien, lernen vielleicht noch einmal unbekannte Sprachen, erleben aufregende Kulturen. Jedes Jahr sind es mehr, die sich auf dieses Abenteuer einlassen. Ich finde das einfach großartig.

Diese Frauen wissen oder ahnen intuitiv, wie wichtig und bereichernd es ist, weiterhin aktiv zu bleiben. Nicht nur zu Hause rumzuhängen, sondern vor allem dem Gehirn neue Herausforderungen anzubieten. Damit Synapsen entstehen, die uns wiederum länger jung und lebendig und aktiv erhalten. Und in einem bestimmten Alter sind lange Flugreisen und eine völlig ungewohnte Umgebung ganz gewiss Herausforderungen. Sicher, es hilft allemal, wenn eine Granny auch selbst Kinder großgezogen hat. Die sind weltweit gar nicht so unterschiedlich. Voraussetzung ist es aber nicht, wie etliche Erfahrungsberichte zeigen.

Vor allem aber helfen: Offenheit. Bereitschaft, auf andere Menschen zuzugehen. Mit fremdem Essen zurechtzukommen und sich in puncto Kleidung an das Land und die Menschen anzupassen. In der spannenden Studie der Körber-Stiftung »Alter: Leben und Arbeit« wird deutlich, dass auch ältere Menschen Lust auf Neues haben und gerne lernen. Das Leben frei zu gestalten, finden die meisten von ihnen besonders verlockend. Dabei wünschen sich die Befragten vor allem zwei Dinge: »Zeit für Weiterentwicklung« und »Anerkennung und Lebensfreude über aktives Leben«.

Das passt auf all die Grannys, die die Welt erkunden. Gerontologen attestieren ihnen jetzt schon längeres Leben, ein gesünderes Alter und vor allem ein zufriedeneres Selbst. Was will man mehr?

Also kann es doch nur heißen: Machen wir uns auf! Lernen wir andere Menschen, andere Kulturen, aber vor allem andere Kinder kennen. Dann fühlen wir uns gebraucht, glücklich und gesund. Ein Vivat auf all die Grannys, die diesen Weg schon gegangen sind!

VORWORT

In 20 Jahren werden Sie eher von den Dingen enttäuscht sein,
die Sie nicht getan haben, als von denen, die Sie getan haben.
Lichten Sie also die Anker und verlassen Sie den sicheren Hafen.
Lassen Sie den Passatwind in die Segel schießen.
Erkunden Sie.
Träumen Sie.
Entdecken Sie.

Mark Twain

Ich werde oft gefragt, wie ich auf die Idee kam, Granny Aupair zu gründen. Das war an einem ganz normalen Sonntagnachmittag, als ich mich mit der Fernbedienung in der Hand vor dem Fernseher gelangweilt durch die Programme zappte. Beim Hin-und-Her-Schalten blieb ich plötzlich bei einer Sendung hängen, in der junge Aupairs über ihre Auslandserfahrungen berichteten. Und mit einem Mal war dieses altbekannte Gefühl wieder da: Fernweh! Ein Gefühl, das im Alltag im Verborgenen schlummert, aber wie eine schlecht verheilte Wunde immer wieder aufbricht, wenn die große, weite Welt in mein Wohnzimmer dringt. Aupair Mädchen! Das wäre ich als junge Frau auch gern gewesen!

Aber mein Leben verlief anders: Mit 19 habe ich geheiratet, mit 20 meine Tochter Sarah, mit 21 meinen Sohn Alex bekommen. Das Leben nahm seinen Lauf, der Traum, als Aupair ins Ausland zu gehen, zerplatzte. Heute bin ich selbst Großmutter – und mit meinem Leben glücklich. Trotzdem: Dieser uralte Traum vom Leben im Ausland blieb unerfüllt.

Als ich an diesem Sonntag so sehnsuchtsvoll in die Kiste guckte, dachte ich: Sicher geht es vielen Frauen wie mir. Sie sind vital, neugierig, unternehmungslustig – aber längst keine »Mädchen« mehr und damit zu alt für den ursprünglichen Aupair-Gedanken. Doch warum sollten Frauen über 50 nicht in Gastfamilien reisen? Das war die Geburtsstunde von Granny Aupair. Diese Frauen besitzen Lebenserfahrung, haben oftmals eigene Kinder erzogen, sind geerdet und verantwortungsvoll. Einige haben selbst noch keine Enkel und genießen es, Großmutter auf Zeit zu sein.

Als ich meiner Freundin Eva davon erzählte, war sie sofort wie elektrisiert. Gemeinsam haben wir dieses Buch geschrieben. Es ist ein Frauenbuch geworden. Es erzählt die Geschichten mutiger Frauen, die jenseits der 50 bewiesen haben, dass da noch was geht! Wir möchten anderen Mut machen, sich wie unsere Grannys auf Neues einzulassen, jenseits der ausgetrampelten Pfade zwischen Beruf und Familie etwas zu wagen.

Heute sind »meine Grannys« ein »Exportschlager«. Und mit jeder von ihnen reise ich ein bisschen mit.

Michaela Hansen

CARPE DIEM:
TRAU DICH ODER STIRB TRAURIG!

Heutzutage traut sich kaum jemand, von den »Alten« zu sprechen: Verschämt werden Kunstbegriffe wie »Best Ager« oder »Silver Surfer« erfunden. Warum nur? Ist alt sein ein Makel? Aufmerksame Beobachter bekommen schnell den Eindruck – selbst auf Seniorenmessen, wo es von Alzheimer über Busreisen mit ärztlicher Begleitung bis hin zur Bestattungsberatung geht. Wo sind die Angebote für die jungen Alten? Ist man gleich nach der Pensionierung reif für die Pflegestation und den Friedhof?

Wann ist man heute alt? Mit 60, 70 oder erst mit 80 Jahren? In vielen Bereichen unserer Gesellschaft gehört man schon mit Mitte 40 zum alten Eisen, bekommt keine Arbeit und wird an den Rand der Gesellschaft abgeschoben. Das ist die real existierende Altersdiskriminierung! Fernseh- und Rundfunkmoderatoren werden entlassen, weil ihre Stimmen »zu alt« klingen, weil »alte Gesichter« nicht mehr auf den Bildschirm gehören. Was die Medienmacher nicht begriffen haben: Dieser Jugendwahn ist völlig überholt. Mittlerweile sollte jedem die demographische Entwicklung bekannt sein.

Aktive, dynamische und intelligente Frauen tauchen nach der Pensionierung nicht von heute auf morgen einfach in die Bedeutungslosigkeit ab. Sie stehen weiter mitten im Leben, sind immer noch ehrgeizig und viel mutiger als ihre Mütter und Großmütter. Noch nie zuvor hat eine Generation von Frauen so konsequent mit Vorurteilen aufgeräumt und das Leben in fortgeschrittenen Jahren in die eigenen Hände genommen. Viele Frauen weigern sich schlicht, so zu altern, wie Teile der Gesellschaft es leider noch immer von ihnen erwarten. Sie wollen nicht still und bescheiden in der Versenkung verschwinden, sie wollen noch einmal ihre persönlichen Träume verwirklichen und sich dabei nicht ausbremsen lassen. Mit einem ganz neuen Selbstbewusstsein gehen die Frauen der Generation 50 plus heute ihrem nächsten Lebensabschnitt entgegen. 48 Prozent der Frauen in Deutschland sind bereits über 50 Jahre alt, und diese Gruppe wächst rasant – ein Umbruch, der die Gesellschaft in Zukunft verändern wird.

Diese Generation Frauen macht im Rentenalter neue Überlegungen zur Lebensplanung. Sie fragen provokant: Soll das alles gewesen sein? Unter ihnen sind auch all jene, die schon in ihrer Jugend nach alternativen Lebensformen gesucht haben. Sie haben viel ausprobiert, die sexuelle Revolution angestoßen, die Pille genommen und sich in der Männerwelt im Beruf durchgeboxt. Es sind die Frauen der »Alt-68er« und die Generation der Hippies, die kritisch und experimentierfreudig diesen dritten Lebensabschnitt angehen. Mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben oft zwangsweise in den »Unruhestand« versetzt, werden alte Sehnsüchte wieder wach. Getreu dem Udo-Jürgens-Song ›Ich war noch niemals in New York‹ fragen sie sich: Warum also nicht jetzt? Sie sind noch nie durch San Francisco gelaufen, haben die Sonne noch nie in der Südsee untergehen sehen. Diese Generation der Selbstverwirklicher setzt sich nicht einfach hinter den Ofen und strickt: Sie will sich noch einmal ins Leben stürzen.

Zu Hause ist es den meisten jungen Alten zu langweilig. Die eigenen Kinder sind längst erwachsen und aus dem Haus, die berufliche Karriere ist vollendet, das Haus abbezahlt, die Ehe geschieden oder wird oftmals als Partnerschaft von Verständnis getragen. Im Alter tun sich auf einmal neue Freiräume auf. Ein wertvolles Gut ist jetzt in ausreichendem Maße vorhanden: Zeit! Zeit für eigene Interessen, für neue Aufgaben und für den Start in die Welt. Übrigens: Entgegen allen Vorurteilen sind die meisten älteren Menschen glücklich. Sie haben an Freiheit gewonnen, sind nicht mehr abhängig von der Meinung anderer und entdecken sich neu.

Die jungen Alten verfügen über unbezahlbare Erfahrungen eines gelebten Lebens. Sie wollen sich in eine Gesellschaft einbringen, die sie ohnehin immer mehr braucht. Ihr Know-how und ihre soziale Kompetenz bleiben jedoch immer noch allzu oft ungenutzt, sie werden von der Gesellschaft unterschätzt. Doch das ändert sich gerade. Die moderne Frau der Generation 50 plus macht sich sehr selbstbewusst auf den Weg. Sie sucht nach neuen Lebensperspektiven, ist dabei lernfähig und flexibel. Außerdem kann sie die neue Freiheit jenseits von Beruf, Kindererziehung und Hausfrauendasein genießen. Dabei spielt der Wunsch, noch einmal durchzustarten, eine große Rolle. Fernweh und unerfüllte Reiseträume stehen oben auf der Liste. Jetzt oder nie! Warum nicht als Granny Aupair in die Welt reisen?

Almut ist mit 70 Jahren als Granny Aupair nach Australien aufgebrochen. »Das ruhige Rentnerleben war mir zu langweilig!« Die Reise ans andere Ende der Welt war für sie eine Herausforderung, die sie gemeistert hat. Sie plant seither nicht mehr lange im Voraus. Sie lebt im Hier und Heute. Für Angela war ihr Aufenthalt in Korea zunächst ein Sprung ins kalte Wasser. Die agile 65-Jährige kam als Helferin in der Not und reiste als Familienmitglied wieder heim. Hedda hatte nach dem Tod ihres Mannes allen Lebensmut verloren. Doch in Guatemala hat die 71-Jährige erlebt, wie Kindersklaven ausgebeutet werden. Das Leiden der Kinder hat ihr eigenes relativiert. Sona hat vor Ort aus dem Bauch heraus ihre Pläne geändert. Die 74-Jährige hat zwar von Anfang an mit dem Begriff »Granny« gehadert, aber sie wusste, wohin sie als »Oma« reisen wollte: nach Afrika! Durch einen Journalisten hat sie Kontakt zu Bürgerkriegsopfern in Ruanda bekommen.

Sabine fühlte sich mit 60 Jahren zwangsverrentet und nach 33 Arbeitsjahren auf üble Weise vor die Tür gesetzt. Als Granny Aupair hat sie dann bei einer deutschen Unternehmerfamilie in China viel Anerkennung erfahren. Christa hat sich mit 72 Jahren ihren Jugendtraum erfüllt und ist nach Kanada gereist. Dort wurde sie von der Familie mit offenen Armen empfangen. Regine hat mit 64 Jahren in Tansania eine sehr alte Dame betreut und dabei die Vorzüge einer Großfamilie kennengelernt.

Christel ging zunächst als Aupair zu einer gut situierten deutsch-indischen Familie. Doch die krassen sozialen Unterschiede haben sie so bedrückt, dass sich die 69-Jährige schließlich ganz der Betreuung von Straßenkindern zuwendete. Auch Ria hat in einem sozialen Projekt gearbeitet. Als ehrenamtliche Helferin betreute sie behinderte Kinder in Saigon. Die 61-Jährige konnte sich nur schwer von den Kindern in dem Waisenhaus in Vietnam lösen. Wie sie sich über Kleinigkeiten freuen konnten, hat sie berührt. Anni wollte ursprünglich nach Afrika, aber dann ist die 67-Jährige in Wien gelandet. Die Zeit mit einer alleinerziehenden Mutter in Österreich hat ihr gezeigt, dass sie gebraucht wird.

Das sind nur einige Beispiele, die beweisen, was alles jenseits der 50 möglich ist.

Experten wie Zukunftsforscher, Gerontologen und Psychologen betonten in Interviews, die für dieses Buch geführt wurden, immer wieder: Die Alters-Apokalypse kommt nicht! Die Verlangsamung des Lebensrhythmus geht einher mit weniger Zwängen, einem Zugewinn an Ruhe und Freude am Leben. Die Mobilität hat zugenommen, die Alten fühlen sich jünger denn je. Auf dem Weg zum Glück ist allerdings das Wie eine zentrale Frage.

EINGEBUNDEN SEIN IST WICHTIG

Im Alter geht es verstärkt um die Sinnfrage. Neben vielen Philosophen beschreibt auch Viktor Frankl, Neurologe und Psychiater, wie »das Leid am sinnlosen Leben« zu Depressionen und schweren neurologischen Erkrankungen führt. Alterseinsamkeit und die Angst davor sind nicht zu vernachlässigende Faktoren, wenn es um das Wohlbefinden der Generation 50 plus geht. Wer gebraucht wird, altert glücklicher. Ursula Lehr, führende Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Erforschung und Gestaltung des Alterns – sie hat bereits 1986 in Heidelberg das Institut für Gerontologie gegründet –, betont: »Wer im Alter keine Aufgaben mehr hat, wird unglücklich.« Die kämpferische Gerontologin macht das Glück im Alter auch an sinnvollen Sozialkontakten fest. Doch nicht nur das: Sie behauptet, dass man länger fit und gesund bleibt, wenn man sich dafür interessiert, was andere Menschen denken und fühlen. Was das Glücksempfinden anbelangt, spielt Fernweh häufig eine zentrale Rolle. Mit einer langen und intensiven Reise erfüllen sich die Grannys einen lang gehegten Wunsch. Doch dieser Schritt ist weitreichender als ein Urlaub. Die Frauen, die als Granny Aupair unterwegs waren, sind kontaktfreudig, offen und empathisch – und sie sind nach Meinung von Ursula Lehr auf dem richtigen Weg.

Granny Aupair ist eine Wortschöpfung, die sich bewusst an den bekannten Aupair-Gedanken anlehnt. Denn auch die gleichnamige Hamburger Initiative, mit deren Hilfe sich die in diesem Buch beschriebenen Frauen ihren Traum vom Auslandsaufenthalt erfüllt haben, basiert auf Gegenseitigkeit. Die Frauen kommen als Fremde in eine Familie und gehen oft als gute Freundin. Sie gliedern sich in die Familie ein, helfen in sozialen Projekten oder kommen als Gesellschafterin und teilen den Alltag mit der Gastfamilie. Die Grannys erleben so ein fremdes Land aus der Innenansicht, bekommen einen wesentlich intimeren Einblick und finden im Idealfall sogar Familienanschluss. Für die Gastfamilien und die Grannys kommt ein kultureller Austausch zustande. Meistens genießen beide Seiten das Anderssein und überbrücken gleich mehrere Grenzen: Ländergrenzen, kulturelle Grenzen und Altersgrenzen. In der Konkurrenz zu jungen Aupairs schneiden die gestandenen Grannys unterm Strich besser ab. Sie sind – im Gegensatz zu jungen Mädels – nicht so sehr an Mode und Männern, Partys und Popkultur interessiert. Frauen zwischen 50 und 75 wollen zwar auch viel erleben, aber sie wollen sich nicht mehr exzessiv austoben. Außerdem tragen sie ganz selbstverständlich Verantwortung und integrieren sich bewusst. Vielen Gastfamilien ist deshalb eine erfahrene Frau lieber als eine Abiturientin. Die Granny bringt neben ihrem Engagement häufig auch eine gewisse Gelassenheit und Ruhe mit.

RUNTER VOM SOFA – RAUS IN DIE WELT!

Heute haben sich bereits mehrere Hundert Grannys auf die Reise in über 40 Länder dieser Erde gemacht. Und es werden täglich mehr. Nicht nur Familien sind von den lebenserfahrenen Frauen begeistert: Auch die Verantwortlichen in sozialen Projekten greifen gern auf die tatkräftige Unterstützung von Grannys zurück. Zwischenmenschliche Bindungen und Freundschaften entstehen. Die Idee hat Menschen zusammengebracht, die sonst nie zusammengekommen wären: den Farmer in Namibia und die Rentnerin aus Berlin, die alleinerziehende Mutter in Kanada und die unternehmungslustige Arztfrau aus dem Ruhrgebiet, Straßenkinder, Bürgerkriegsopfer und Frauen aus der saturierten Wohlstandswelt der Bundesrepublik.

Eine Granny Aupair ist keine klassische Babysitterin. Neben dem interkulturellen Austausch spielen auch soziale Aspekte bei der Vermittlung eine große Rolle. Die Geschichte einer Granny Aupair, die auf Mallorca einer alleinstehenden älteren Dame Gesellschaft geleistet hat, zeigt das. Ihr Aufenthalt war für die Dame auf Mallorca wie der Besuch einer hilfsbereiten Freundin. Beide sind zusammen in Palma einkaufen gegangen, haben gemeinsam gekocht und Museen besucht. Für die alte Dame war die Zeit mit der Granny eine willkommene Abwechslung in ihrer Einsamkeit.

In diesem Buch geht es auch um die Erfüllung von Träumen. Die Geschichten beweisen: Auch die dritte Lebenshälfte hat ihre Reize. Viele Granny Aupairs berichten nach einem Auslandsaufenthalt, sie seien verändert zurückgekehrt. Ihr Selbstbewusstsein ist gewachsen. »Ich bin so stolz auf mich – ich habe ein Abenteuer gewagt und an Erfahrung und Erfüllung gewonnen.« Diese Aussage von Christa steht stellvertretend für viele Grannys.

ALLER ANFANG IST SCHWER

Leider wissen wir oftmals nicht auf Anhieb, wie wir aus unserer Alltagsroutine ausbrechen können. Das Verlassen der heimischen Komfortzone und damit der bequemen Couch ist nach all den Jahren der Gewohnheit nicht selten ein Gewaltakt. Doch die Angst vor Veränderungen ist etwas ganz Normales und Natürliches. Ein Anstoß genügt oft schon, um neue Wege zu gehen. Dabei soll auch dieses Buch helfen.

Wer als Granny in die Welt reist, muss sein Leben ja nicht radikal ändern und gleich alles aufgeben. Es ist ein Ausstieg auf Zeit, ein Gefühl von Freiheit mit der Sicherheit des Zuhauses in der Heimat. Natürlich treffen fremde Menschen aufeinander. Gut, das führt anfangs manchmal zu Unsicherheiten auf beiden Seiten. Die Gastfamilie holt sich einen Menschen ins Haus, den sie vorher in der Regel nur übers Telefon und E-Mail-Kontakte kennengelernt hat. Für die Granny ist das Wagnis größer. Für sie sind Land und Leute fremd, die Sprache, der Kulturkreis und vieles mehr. Aber gerade darin liegt der Reiz. Das Neue, Unerwartete wird zum langersehnten Abenteuer für alle, die flexibel und offen für Neues sind.

ACTIVE-AGING STATT ANTI-AGING

Die Ergebnisse einer Altersstudie des Allensbach-Instituts zeigen auf, dass gleich nach Familie und Hobbys ein Ehrenamt für die meisten Senioren im Alltag eine große Rolle spielt. 45 Prozent der 65- bis 85-Jährigen engagieren sich durchschnittlich vier Stunden pro Woche im kirchlichen Umfeld oder im gesellschaftlichen Bereich ehrenamtlich. »Gerade die jungen Alten können und wollen sich mehr als bisher in die Gesellschaft einbringen«, betonte Kristina Schröder, Ex-Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, im 6. Altersbericht der Bundesregierung. »Sie wollen noch einmal etwas Neues anfangen, eine Aufgabe haben und mitgestalten.« Leider hinkt die Gesellschaft dem Ist-Zustand mit ihrem Bild über das Alter noch hinterher, doch Veränderungen kommen allmählich in Gang. »Dabei sehen die Alten heute nicht nur jünger aus – sie sind auch leistungsfähig und länger gesund«, sagt die Psychologin und Alternsforscherin Ursula M. Staudinger von der Bremer Jacobs University. Was die Angst vor einer Überalterung der Gesellschaft angeht, so werde vieles undifferenziert dargestellt. Der Begriff »Alterspyramide« sei schlicht falsch: Es handele sich eher um ein stehendes Rechteck. Sie sieht in den Alten keineswegs »frühverrentete Müßiggänger«, sondern Menschen, die sich nützlich in die Gesellschaft einbringen. Wer sich engagiert, ist nicht einsam. Und: »Anerkennung hält länger aktiv«, betont Gerhard Naegele, Direktor des Institutes für Gerontologie an der TU Dortmund.

Dieses Buch will Frauen ermutigen, den Schritt in die Welt zu wagen. Unter dem Motto: »Jetzt oder nie« können Frauen mit 50 plus als Granny Aupair noch einmal richtig Gas geben. Die Grannys, die in diesem Buch ihre Geschichte erzählen, sind jung geblieben und abenteuerlustig. Frauen ihrer Generation gelten als sozial kompetent, tatkräftig, souverän, verantwortungsbewusst und lebenserfahren, aber auch als spontan und neugierig. Sie gehören keinesfalls in die »Alte-Oma-Schublade« – das beweisen sie überall auf der Welt.

GRANNYS IN ALLER WELT

Sich auf den Weg zu machen, bedeutet auch Grenzen zu überschreiten: Dabei sind Ländergrenzen nur der Anfang einer langen Reise in einen neuen Lebensabschnitt. Wer sich bewegt, kommt weiter. Das sind die Erfahrungen, die die meisten Granny Aupairs teilen. Ihre Lebens- und Reisegeschichten sind unterschiedlich, aber sie haben eins gemein: Wer den Aufbruch wagte, fand am Ende zu sich selbst.

ANGELA (65):
KOREA WAR EIN SPRUNG INS KALTE WASSER

Als Granny ins Ausland zu gehen, ist eine Möglichkeit, intensiver als jede Pauschalreise es bieten kann, in fremde Länder einzutauchen – ohne viele Tausend Euro für einen längeren individuellen Aufenthalt ausgeben zu müssen. So wie Angela, die ein halbes Jahr bei einer deutsch-koreanischen Familie in Seoul gelebt hat.

Die agile 65-Jährige kam als Helferin in der Not, denn die deutsche Frau des Hauses wollte ihre schwere Nierenerkrankung in Deutschland behandeln lassen. Ihr koreanischer Ehemann Yun, der zur Unternehmensleitung eines bekannten Elektronikkonzerns gehört und als Repräsentant zahlreiche Veranstaltungen besuchen muss, hatte beruflich bedingt nicht genügend Zeit, sich während des Klinikaufenthalts hinreichend um die 15-jährige Tochter Kairi zu kümmern. Der Manager geht morgens um fünf Uhr aus dem Haus und kehrt oft erst spät am Abend wieder heim. Die Mutter legt Wert darauf, dass ihr Kind zweisprachig aufwächst und eng an beide Kulturkreise herangeführt wird, doch in Seoul selbst fand sich keine deutschsprachige Betreuung. Und so wandte sich die Familie an die Hamburger Agentur, von der sie über einen Beitrag im Firmenmagazin des Unternehmens erfahren hatte.

Korea stand seit Jahren auf der Wunschliste der Länder, die Angela kennenlernen wollte. Aber mit einem Koreaner und seiner 15-jährigen Tochter in einem großen Haus allein zu leben, während die Mutter in Deutschland operiert wird – diese Vorstellung bereitete ihr Bauchweh. Am Ende siegte ihre Neugier auf die außergewöhnliche und fremde Kultur. »Ich besorgte mir Reiseführer, habe im Internet recherchiert und dann bei der Agentur angerufen.« Sie wollte alle Unwägbarkeiten ausschließen, wollte genau wissen, wie und wo die Familie wohnt, wie die Lebensverhältnisse und das Preis-Leistungs-Verhältnis in Seoul sind. »Den Sprung ins kalte Wasser habe ich vor der Abreise gefürchtet wie der Teufel das Weihwasser«, sagt die Frau, die in der Großstadt Frankfurt lebt. »In einer Millionenmetropole wie Seoul wäre Frankfurt ein Vorort.« Heute weiß sie: »Auf alles kann man sich bei einem solchen Wagnis ohnehin nicht vorbereiten.« Sie habe als Granny auch gelernt, Dinge auf sich zukommen zu lassen und kulturelle Gegebenheiten offen und wertfrei aufzunehmen.

Im Internet hat sie das Profil der Familie intensiv studiert, sie schaute sich Fotos der Familie und des großzügigen Hauses in Seoul an, dessen Bewohner offensichtlich zur ökonomischen Elite gehörten. Zwischen Deutschland und Korea wurde viel hin und her telefoniert. Per Mail wurden praktische Dinge abgeklärt: Was muss in den Koffer, was ist bei der Einreise zu beachten, welche persönlichen Dinge müssen mit? Angela empfand die Zeit der Vorbereitung zwar als kurz, war aber auch froh darüber. »Ich hatte keine Zeit, Zweifel zuzulassen.« Drei Wochen nach der Entscheidung saß sie im Flugzeug Richtung Seoul. Ungefähr zur gleichen Zeit flog die nierenkranke Frau nach Hamburg zur Behandlung. Trotz eines geschäftlichen Termins holte ihr Mann Yun die Granny persönlich vom Flughafen ab. Sie war erstaunt, dass ein Fahrer ihr Gepäck in die Limousine lud. Sie wusste zwar, dass es Personal im Haus gab – aber ein Chauffeur? Das hat sie dann doch überrascht.

Auf dem über zehnstündigen Flug ins 8500 Kilometer entfernte Seoul saß sie in der Businessklasse neben einer deutschen Geschäftsfrau, die über Benimmregeln und Etikette in Korea referierte und ihr eine kleine Einführung in die Landessitten gab. Man müsse sich unbedingt vor einem Aufenthalt die Verhaltensmaßregeln zu Gemüte führen. »Ein Fettnäpfchen steht neben dem anderen«, sagte sie. »Nichts ist leichter, als mit beiden Füßen im Schlusssprung geradewegs im größten Fass zu landen.« Die Begegnung mit der erfahrenen Koreareisenden hat Angela verunsichert. War sie selbst hinreichend vorbereitet? »Ich habe die sympathische Frau ausgequetscht wie eine Zitrone«, erzählt die Granny. Als die Sprache aufs Essen kam, wurde Angela ganz anders zumute. »Es gibt kaum etwas ohne Knoblauch und Chili«, meinte die Geschäftsfrau. »Das Essen ist scharf und feurig, vielfältig und voller Überraschungen.« Und eine Regel gab die Koreareisende der Granny mit auf den Weg: »Niemals die Stäbchen im Reis stecken lassen – das gilt als unhöflich.« Angela hat auch erfahren, dass die erste Begegnung für Koreaner äußerst wichtig ist und besonders ernst genommen wird. Unachtsamkeiten wie eine fehlende Visitenkarte können Geschäftsabschlüsse gefährden. Selbst der Winkel und die Tiefe der Verbeugung bei der Begrüßung sind ausschlaggebend für die zukünftige Beziehung. In Korea ist eben alles anders.

Während sich Angela bei der Ankunft noch Gedanken über ihre Verbeugung machte, begrüßte der koreanische Gastgeber sie mit einem herzlichen Händeschütteln. Es stellte sich heraus, dass er als Kind mit seinen Eltern in Deutschland gelebt hatte und mit europäischen Gepflogenheiten vertraut war. Die Sorge um seine kranke Frau, die schon viele Klinikaufenthalte in Korea hinter sich hatte, wurde auf der Fahrt nach Hause deutlich. Der Kampf gegen die Krankheit gehe jetzt in eine entscheidende Phase – ihm sei bewusst, dass er der Granny viel zumute. Die Tochter leide aufgrund der schweren Erkrankung ihrer Mutter unter psychischen Problemen. Sie habe sich von einem lebhaften Teenager in ein stilles und ernstes Mädchen verwandelt. Durch die extreme Belastung der Familie habe sie sich immer mehr in sich zurückgezogen. Der Vater erhoffte sich von einer älteren Dame aus Deutschland, die wie eine Großmutter ins Haus kommt, Hilfe und Nähe für die Tochter. »Als mir bewusst wurde, welche Verantwortung auf mir lasten wird, war ich verunsichert, aber auch entschlossen, diesen Weg bis zur Abreise zu gehen«, gesteht Angela. Der wohlhabende Manager hatte der Granny auch für den Rückflug ein Flugticket in der Businessklasse besorgt, das jederzeit umgebucht werden konnte. Der Gedanke daran tröstete sie über Ängste und Zweifel hinweg und gab ihr eine gewisse Freiheit.

Der Umgang mit Kranken und Sterbenden und ihren Familien ist Angela nicht fremd. In Deutschland engagiert sie sich seit dem Tod ihres Vaters in der Hospizbewegung und hat bereits vielen Angehörigen zugehört. Sie weiß um die Sorgen und Nöte, sie kann sich gut in die Gefühle des Mädchens hineinversetzen. Trotzdem: War die Reise nach Korea ein Wagnis? Was ist, wenn die Mutter während der Behandlung stirbt? »Es hätte viel schiefgehen können, aber es wurde für uns alle eine bereichernde Zeit.« Im Nachhinein ist Angela froh, dass sie zugesagt hat. »Man kann im Leben nie alle Eventualitäten durchspielen – auch in Deutschland nicht. Wer Angst hat, bleibt am besten zu Hause auf der Couch sitzen, bis die Sargträger kommen.«

Der erste Kontakt mit dem Mädchen verlief gut. Kairi hat die »Oma« aus der Heimat ihrer Mutter durchs Haus geführt und vorgeschlagen, am nächsten Sonntag mit ihr ins Stadtzentrum zu fahren. Das mächtige Standbild des Yi Sun-sin, eines koreanischen Seehelden aus dem 16. Jahrhundert, wollte sie der Granny als Erstes zeigen. »Dem Vater ist ein Stein vom Herzen gefallen, als er uns am nächsten Morgen gemeinsam beim Frühstück sitzen sah«, sagt Angela.

Im Haushalt musste sich Angela um nichts kümmern. Es gab eine Köchin, eine Reinigungshilfe, einen Fahrer und sogar einen Gärtner. Jeden Morgen ist die Granny mit dem Mädchen aufgestanden und hat sie verabschiedet, bevor Kairi in die Schule aufgebrochen ist. Bis sie am Nachmittag wieder heimkam, hatte Angela Zeit für sich, die sie häufig für Fahrten ins Zentrum von Seoul, für Museums- und Restaurantbesuche genutzt hat. Der Umgang mit dem freundlichen, wohlerzogenen Mädchen war angenehm. »Sie war in der ersten Woche beobachtend und zurückhaltend, taute dann aber auf und vertraute sich mir an.« Die Granny hat bei den Hausaufgaben geholfen, englische Vokabeln abgehört und mit ihr Geschichte gepaukt. Kairi geht auf eine internationale Schule, die von Kindern aus aller Welt besucht wird. Doch im Unterricht wird viel Wert auf die koreanische Kultur gelegt. »Durch Kairi habe ich selbst viel über die uralte Kultur, das Kory-Reich und die Yi-Dynastie bis hin zum Koreakrieg erfahren.« Während ihres Aufenthaltes drohte der nordkoreanische Diktator immer wieder mit Angriff und Krieg. »Das war schon ein bedrückendes Gefühl«, sagt sie. »Die Fernsehbilder aus dem Koreakrieg habe ich noch im Kopf.«

Angela war bewusst, dass sie für das Mädchen kein Mutterersatz sein konnte, aber Kairi habe sich ihr gegenüber schnell geöffnet. »Das hat mich glücklich gemacht.« Sie erzählte der Granny, wie sehr die Nierenerkrankung und die Dialyse der Mutter die Familie belastet. Dieses Warten auf den Tod eines anderen Menschen, der der Mutter dann eine Niere spenden kann, hat dazu geführt, dass sich das Mädchen schuldig fühlte. Die sensible Kairi, die so sehr auf eine Spenderniere für ihre Mutter hoffte, hatte Sorge, für diesen Wunsch, der ihr egoistisch erschien, von Gott »bestraft« zu werden. Den Vater konnte und wollte sie mit Fragen rund um eine Nierentransplantation nicht zusätzlich beunruhigen und belasten. In Angela fand Kairi eine Vertrauensperson, der sie diese »sündigen« Gedanken anvertrauen konnte. Mit ihr konnte Kairi, die schon viel über das Leben und Sterben nachgedacht hat, über den Tod philosophieren und letzte Fragen ansprechen. Wo werden wir sein, wenn wir tot sind? Bleibt unsere Seele lebendig, wenn unser Körper gestorben ist? Natürlich kennt auch die Granny aus Deutschland die Antworten nicht, aber sie kann eins: geduldig und verständnisvoll zuhören. Das hat sie auch durch ihre Hospizarbeit gelernt. Die Vertrautheit zwischen den beiden ist bis zum heutigen Tag geblieben: »Kairi und ich skypen, chatten und mailen – ich bin immer auf dem Laufenden, was in Seoul passiert.«

Als Angela vier Wochen im Haus der Familie war, kam die Mutter aus Hamburg zurück. »Sie hatte durch die Operation stark abgenommen – und erinnerte nur noch entfernt an die Frau, die ich vom Foto kannte. Man hatte ihr eine Niere entfernen müssen.« Anfangs habe sie sich der Hausfrau gegenüber seltsam befangen gefühlt, wie ein Eindringling. Doch die offene Frau nahm ihr jede Scheu und schon nach kurzer Zeit verstanden sich die beiden gut. »Sie müssen meine Freundinnen kennenlernen«, sagte sie. »Ich bin noch zu schwach und kann Ihnen nichts vom Land zeigen – aber ich möchte, dass Sie etwas von Korea sehen.« Sie vereinbarte ein Treffen mit ihren deutschen Freundinnen. Gleich am nächsten Tag gab es eine Einladung zu einer Welcome-Party und man beschloss, die Granny in ein traditionelles Restaurant zum Essen auszuführen. »Meine Angst vor Hunde- oder Katzenfleisch wurde von den Damen entkräftet.« Stattdessen gab es Guk, die typische koreanische Suppe, ohne die eine Mahlzeit unvollständig wäre. »Zum ersten Mal hatte ich Twoenjang Guk – eine Suppe aus vergorenem Sojabrei mit Muscheln. Köstlich! Von da an habe ich viel herumprobiert, denn im Haus meiner Gastfamilie standen eher internationale Gerichte wie Steaks, Salate und Gemüsegerichte auf dem Speiseplan.« Besonders gern hat Angela eine kräftig gewürzte Fischsuppe namens Maeuntang gegessen. Kimchi kannte die Granny schon aus Deutschland. »Aber das Kimchi bei unserem Koreaner in Frankfurt ist nicht zu vergleichen mit original koreanischem Kimchi!« Kimchi ist Kult. Die Köchin der Familie hat eigens Gemüse und weißen Rettich angepflanzt, den sie in dickwandigen Steingutgefäßen einlegt und vergären lässt, um klassisches Kimchi herzustellen. Sie nimmt dazu auch Meeresfrüchte wie Krebse und Austern, um das Haus-Kimchi zu verfeinern. Im Küchengärtchen der Familie wächst alles, was sie dazu braucht. Auch Spinat. »Einmal habe ich die Köchin mit Rahmspinat, Kartoffelpüree und Spiegeleiern überrascht – aber ich glaube, sie hat nur aus Höflichkeit zugegriffen.« Der Familie hingegen habe es geschmeckt.

Mit dem Damenkreis traf sich Angela nach dem ersten Kennenlernen regelmäßig. Sie bekam wertvolle Tipps und Ratschläge, die das Leben in diesem für sie doch recht exotischen Land erleichterten. Wo finde ich was? Wie bewege ich mich von A nach B? Worauf muss ich achten? Das war eine enorme Hilfe beim Einkaufen. »Wir schlenderten über die unterschiedlichen Märkte, haben Apotheken mit traditioneller koreanischer Medizin aufgesucht. Dort wurde ich über die verschiedenen Ginseng-Heilmittel unterrichtet.« Für ihre Freundin in Deutschland hat sie gleich »ein paar Kostproben« erstanden.

Die Gemeinschaft dieser Frauen ist ein Stück Heimat im Ausland – das hat die Frau des Hauses immer betont. Schon die Kommunikation in der Muttersprache schweißt zusammen. Angela hat sich besonders mit der Frau eines Auslandskorrespondenten angefreundet. »Sie hat mich in ihrem Auto überall mit hingenommen und mir Koreanerinnen vorgestellt, die in Deutschland gelebt haben«, berichtet sie. Gemeinsam haben sie den Kyongbok-Palast mit seinem prachtvollen Thronsaal besichtigt. Im modernen Myeong-dong-Viertel mit seinen engen Gassen und schicken Boutiquen waren sie shoppen, und sie haben Reisen ins Umland unternommen. »Dieses wunderschöne Land individuell zu bereisen, würde ich mir auch nach einem halben Jahr Koreaerfahrung nicht zutrauen«, sagt sie und ist dankbar für die Unterstützung des Frauenkreises. Die Sprachbarrieren in Korea seien einfach zu groß. Englisch sei nicht weit verbreitet, die Schriftzeichen nicht zu entziffern. Sich mit einem Taxi durch die Stadt zu bewegen, findet sie schwierig. Schon ein Taxi zu bekommen sei eine Geduldsprobe – gerade für Ausländer. »Die Fahrer fürchten sprachliche Probleme und halten einfach nicht an, wenn sie einen Ausländer sehen.«

Highlights der Reise hätte sie ohne den Frauenkreis nicht erlebt. »Ich habe einem Changgu-Trommler gelauscht, der vor der Aufführung eines traditionellen Maskenspiels sein sanduhrförmiges Instrument gespielt hat.« Ein Flötist im höfischen Gewand und akrobatische Tänzer haben sie besonders beeindruckt. Berührt von dieser fremdartigen Musik, hat sich Angela diverse Aufnahmen als Erinnerung gekauft.

Seoul erschlägt jeden Ankömmling, der in die Metropole eintaucht. Angela beschreibt die Stadt als ein wirres Gemisch aus Hightech und Tradition, hohen Wolkenkratzern, traditionellen Tempeln und historischen Palästen. Das alles bilde ein seltsames Nebeneinander von Alt und Neu. Die Stadt sei fremdartig und dann wieder europäisch vertraut. Souvenirs gehen rasch ins Geld, doch sie habe kaum widerstehen können. Ihrem 27-jährigen Sohn hat sie edle Essstäbchen mitgebracht und der 24-jährigen Tochter eine Holzmaske, die sie bei einem Ausflug nach Taegu gekauft hat. Diese Art Masken werden bei den jahrhundertealten Tänzen von den Darstellern getragen. Für sich selbst hat Angela einen Seidenschal erstanden.

Angela ist in puncto Reisen keine Anfängerin. Sie war ihr ganzes Leben lang viel unterwegs. Mit ihrem Mann, er war Chefeinkäufer für eine große Warenhauskette, ist sie gleich nach ihrem Germanistikstudium kreuz und quer durch Afrika gereist. »Als wir frisch verliebt waren, haben wir einen VW-Bully umgebaut und sind einfach losgefahren.« Bei der Ankunft in Gibraltar haben die beiden Studenten beschlossen: Wir setzen über nach Marokko! Damals war das Pärchen drei Monate unterwegs, hat sich bis in den Süden des Landes vorgewagt und Touren in die Sahara unternommen. »Unsere Reiseleidenschaft galt Afrika.« Sie hält eine Weile inne, um all die schönen Erinnerungen abzurufen. »Später waren wir dann mehrfach in Kenia und Südafrika, auf Sansibar und in Tansania.«