Autorenvita

 

 

© Thienemann Verlag GmbH

 

Hortense Ullrich bemüht sich seit Jahren darum, freundlich und gelassen zu sein. Doch in einem Haushalt mit zwei chaotischen Teenager-Töchtern, einem pragmatischen Ehemann und zwei wilden Jack-Russel-Terriern ist das nicht immer einfach. Genau genommen ist es unmöglich. Vor die Wahl gestellt, zu verzweifeln oder Bücher darüber zu schreiben, hat Hortense Ullrich sich für Letzteres entschieden. Als Vorlage dient das, was bei ihr zu Hause passiert. Natürlich abgeschwächt,denn die volle Wahrheit würde ihr niemand glauben. Nach acht Jahren in New York lebt Hortense Ullrich jetzt mit ihrer Familie in Bremen und versucht dort den alltäglichen Wahnsinn in den Griff zu bekommen.

 

Buchinfo

 

Chaos hoch drei:

Lola Pepper, 19, sucht einen Klempner und findet einen Barkeeper.

Lou Pepper, 15, sucht einen Freund und findet einen DJ.

Lissy Pepper, 13, sucht gar nichts und findet eine Geldquelle.

Ich wachte auf, weil jemand an meinem Ohr knabberte. Ich drehte den Kopf zur Seite und sah geradewegs in schwarze Knopfaugen. Sehr kleine Knopfaugen. Die mich aus einem kleinen pelzigen Gesicht anstarrten. Eine Ratte! In meinem Bett!

Ich schrie und sprang auf. Die Ratte machte einen Satz zur Seite. Sicher hätte auch sie geschrien, wenn sie gekonnt hätte. Sie huschte unter mein Bett. Ich stieg panisch auf einen Stuhl und dann auf meinen Schreibtisch. Aus sicherer Höhe schrie ich weiter.

Der gewünschte Erfolg stellte sich ein und meine beiden Schwestern stürzten ins Zimmer. Erst Lola, die ältere, dann Lissy, meine jüngere Schwester.

»Alles okay, Lou?«, fragte Lola.

»Natürlich ist alles okay!«, fauchte ich. »Das gehört doch zu meiner morgendlichen Routine – aufwachen, auf den Schreibtisch steigen und schreien!«

»Lous Ironie geht mir etwas auf den Geist«, sagte Lola zu Lissy.

»Mir geht sie komplett auf den Geist«, meinte Lissy, »aber zum Aussetzen ist sie zu alt. Eine 15-Jährige nimmt niemand mehr. Außerdem findet sie den Weg zurück zu uns.«

»Also, wieso schreist du?«, fragte Lola.

»Weil ich neben einer Ratte aufgewacht bin.«

»Du musst dir deine Bettgefährten eben sorgfältiger aussuchen«, meinte Lissy lakonisch. Doch dann schaute sie mich interessiert an. »Eine Ratte, sagst du?«

Mir kam ein Verdacht. »Ist das etwa eine Laborratte oder so? Machst du seit Neuestem Tests an Ratten?«

Lissy ist nämlich eine selbst ernannte Wissenschaftlerin und ständig am Austüfteln von neuen Erfindungen, mit denen sie den Nobelpreis gewinnen oder zumindest viele Millionen verdienen will. Am besten beides.

»Nein, ich lehne Tierversuche grundsätzlich ab. Schließlich hab ich zwei Schwestern, an denen ich meine Erfindungen testen kann«, sagte Lissy.

Ich glaubte ihr aufs Wort. Ich war oft genug ahnungsloses Opfer ihrer lebensgefährlichen Experimente.

Lola trat an mein Bett und hob die Decke und das Kopfkissen hoch. »Bist du sicher? Vielleicht hast du schlecht geträumt?«

»Sie hat an meinem Ohr geknabbert«, rief ich, schaudernd in der Erinnerung. »Und dann ist sie unters Bett gehuscht.«

»Vielleicht ist der Ratte nach der Ohr-Knabberei schlecht geworden und sie musste sich übergeben!«, schlug Lissy vor.

Ich beschloss, das zu überhören.

Lissy kniete sich auf den Boden und schaute unter meinem Bett nach. »War die Ratte vielleicht ein Frettchen?«

»Teufel auch!«, fluchte ich und stieg vom Schreibtisch. »Norbert!«

Den hatte ich ganz vergessen.

Lissy zog Norbert unter dem Bett hervor, hielt ihn im Arm und streichelte ihn. Ärgerlich sah ich auf das Frettchen.

»In was du dich aber auch immer hineinmanövrierst, Lou!« Lola seufzte und schüttelte den Kopf.

»Und immer wegen irgendwelcher Typen!«, ergänzte Lissy.

»Es war ein Missverständnis. Ich dachte, er redet von einem Hund. Er hat erzählt, dass man mit Norbert Gassi gehen muss. Und bei ›Gassi gehen‹ denkt doch jeder normale Mensch an einen Hund«, verteidigte ich mich.

Zum Beweis deutete ich auf die Leine, die neben dem Käfig lag. Dem offenen Käfig. Entweder war Norbert ein begabter Ausbrecher oder ich hatte vergessen, die Tür richtig zu schließen.

»Ist ja alles schön und gut, aber das erklärt nach wie vor nicht, wieso jetzt ein Frettchen bei uns wohnt!«, schimpfte Lola.

»Ich erklär’s dir«, rief Lissy sofort. »Ich stand daneben, als es passiert ist. Das ganze Drama hat sich direkt vor meinen Augen abgespielt.«

Lissy und ich sind in derselben Klasse, obwohl sie zwei Jahre jünger ist als ich. Lissy ist eine dieser Oberschlauen, die zu früh eingeschult werden und dann auch noch eine Klasse überspringen.

»Es waren Freddys grüne Augen. Und die Tatsache, dass er neu auf der Schule ist. Lou rechnet sich immer höhere Chancen aus, wenn jemand sie nicht kennt. Womit sie recht hat, denn wenn man sie erst mal kennt, macht man einen Riesenbogen um sie.«

Ich sah Lissy böse an und nahm ihr das Frettchen vom Arm. Ich setzte es in den Käfig und schloss die Tür. Sicherheitshalber schob ich noch einen Stapel Bücher vor die Käfigtür. Wer weiß, wie pfiffig Norbert war.

»Ich brauch einen Kaffee«, teilte ich meinen Schwestern mit und verließ mein Zimmer.

Sie folgten mir in die Küche. Währenddessen erzählte Lissy Lola alle Einzelheiten und schmückte meine Begegnung mit Freddy mit unnötigen Phrasen wie »völlig von den Socken«, »Hals über Kopf« und »unzurechnungsfähig auf den ersten Blick« aus.

»Sie sieht ihn an wie ein hypnotisiertes Kaninchen, sie ist völlig besessen von ihm«, erläuterte Lissy gerade.

»Jetzt reicht’s, wir haben es kapiert«, unterbrach ich sie.

»Was ist denn mit Niko?«, fragte Lola.

Bevor ich antworten konnte, sagte Lissy: »Vergiss Niko. Der ist zurück in seinem Internat. Fernbeziehungen halten bei Lou nicht. Wenn die Kerle erst mal Abstand von ihr gewonnen haben, kommen sie ganz schnell zur Besinnung und die Sache hat sich erledigt.«

Ich warf Lissy nur einen verächtlichen Blick zu, drückte auf den Knopf des Kaffeeautomaten und wartete, bis meine Tasse vollgelaufen war.

Erst nachdem ich drei Schlucke getrunken hatte, mischte ich mich wieder in das Gespräch ein. »Also, darf ich jetzt auch mal was sagen? Es war alles ganz anders. Freddy hat mich gefragt, ob ich jemanden kenne, der sich übers Wochenende um Norbert kümmert. Er muss nämlich zu seiner kranken Oma fahren und seine Mutter kann sich nicht um Norbert kümmern, weil sie auch nicht zu Hause ist.«

Lissy schüttelte den Kopf. »Er hat dich nicht persönlich gefragt, er hat allgemein in die Runde gefragt, da standen ’ne Menge Leute rum. Und nur du hast sofort gequiekt: ›Ich, Ich!‹«

Ja, so war’s! Ich fand, das war ein genialer Schachzug gewesen, um ihn kennenzulernen. Ich hatte zwei Wochen lang versucht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Ohne Erfolg. Er nahm mich gar nicht wahr. Also war das die perfekte Gelegenheit gewesen. Ich musste es einfach anbieten. Man muss halt auch mal Opfer bringen, wenn man jemanden erobern will. Aber davon verstand Lissy natürlich nichts.

»Und du lässt dir ein Frettchen zum Spazierengehen andrehen?«, wunderte sich Lola.

»Da wusste ich noch nicht, dass es sich um ein Frettchen handelt. Er hat nur von ›Norbert‹ und ›spazieren gehen‹ geredet. Erst dachte ich, er redet von seinem kleinen Bruder, aber als Freddy erwähnt hat, dass Norbert an der Leine läuft, dachte ich, es handelt sich um einen Hund.«

»Von denen du auch keine Ahnung hast. Und wenn ich mich recht erinnere, hast du sogar Angst vor Hunden. Wo hast du denn deinen Verstand gehabt?«, rief Lola.

Lissy winkte ab. »Das hat nix mit Verstand zu tun. Für Freddy hätte sich Lou auch bereit erklärt, mit einem Staubsauger an der Leine spazieren zu gehen.«

»Hätte ich nicht!«, widersprach ich, obwohl ich nicht wirklich davon überzeugt war. Für Freddy hätte ich es womöglich tatsächlich getan. Er war einfach … umwerfend. Er war cool. Und sah gut aus.

»Ich wollte bloß freundlich und hilfsbereit sein. Ihr sagt doch immer, ich soll netter sein.«

»Ja, zu uns, aber nicht zu wildfremden Typen. Vor allem, wenn es dazu führt, dass du uns einen Mitbewohner in die Wohnung holst«, schimpfte Lola.

»Also, entschuldige mal, da bin ich ja wohl nicht die Einzige, die das tut. Ich sage nur: Mike!«

Mike ist Lolas Freund. Sobald unser Vater das Haus verlässt und auf eine Expedition geht – und das tut er häufig, er ist nämlich Vulkanologe –, zieht Mike bei uns ein. Mike ist definitiv nicht die hellste Birne im Kronleuchter, aber er ist eigentlich ganz lieb. Das Problem ist nur, dass unser Vater Lola den Umgang mit Mike verboten hat. Mike ist nämlich Barkeeper im Phoenix, einer angesagten Bar in der Stadt. Und da er darüber hinaus keine weiteren Ambitionen hat, ist unser Vater nicht so beeindruckt von ihm wie Lola.

Also wohnt Mike heimlich hier. Da unser Vater ziemlich oft weg ist und auch für länger, gehört Mike inzwischen zum Hausstand. Einen kleinen Schönheitsfehler hat dieses Arrangement jedoch und der heißt Gerda von Dürckheim. Sie ist unsere Nachbarin und selbst erklärte Ersatzmutter und legt großen Wert auf das »von« in ihrem Nachnamen. Deshalb nennen wir sie immer »Gerda-von«. Wenn unser Vater verreist ist, übernimmt sie hier das Regiment. Deshalb sind wir dann gezwungen, Mike auch vor ihr geheim zu halten. Inzwischen sind wir die weltbesten Geheimhalter und gelegentlich gelingt es uns sogar, vor Gerda-von geheim zu halten, dass unser Vater verreist ist. Das sind dann unsere Sternstunden, denn wir kommen sehr viel besser alleine zurecht als mit Gerda-vons Fürsorge, ihren falsch zitierten Sprichwörtern und den Stoßseufzern: »O weh, wenn das euer Vater erfährt.«

Und hier liegt das eigentliche Problem. Wir müssen genau genommen unser komplettes Leben vor unserem Vater geheim halten und zwar in seinem eigenen Interesse. Denn er ist total überfürsorglich und ängstlich. Das kommt sicher daher, dass er gleichzeitig Vater und Mutter für uns sein will, denn unsere Mutter hat ihn vor vielen Jahren mit drei Töchtern sitzen gelassen, um in Indien die Welt zu retten. Da wir ihn lieben, bemühen wir uns stets darum, perfekte Töchter zu sein. Und weil wir das nicht sind, führen wir so etwas wie ein Doppelleben.

»Lass Mike aus dem Spiel!«, sagte Lola ärgerlich.

»Gut, wenn du Norbert nicht mehr erwähnst«, bot ich an.

Lissy wiegte den Kopf hin und her. »Norbert stellt aber das größere Problem dar. Mike ist stubenrein, schläft tagsüber und bleibt meist in Lolas Zimmer.«

»Und? Mit Norbert ist es fast dasselbe. Ob er allerdings stubenrein ist, weiß ich nicht.«

»Aber wenn Mike Gerda-von doch mal über den Weg läuft, hält sie ihn meistens für den Klempner. Das wird mit Norbert schwieriger. Oder willst du Norbert als Elektriker ausgeben?«, wandte Lola ein.

Hm, darüber hatte ich gar nicht nachgedacht.

»Also, einen von beiden musst du loswerden«, meinte Lissy.

»Wie? Wen soll ich loswerden?«

»Na, entweder Norbert oder Gerda-von.«

»Dann nehme ich Gerda-von!«, rief ich, denn Norbert wollte ich nicht aufgeben, er war meine Verbindung zu Freddy.

»Hey, wenn dir das gelingt, kriegst du ein paar extra Schwesternpunkte«, sagte Lola.

»Was soll denn das sein?«

»Bonuspunkte. Wenn du was ausgefressen hast, kannst du die bei uns einlösen, dann helfen wir dir«, erklärte sie.

Bei meinem Lebenswandel war das womöglich gar nicht so schlecht.

»Es nervt, immer darauf zu achten, dass Mike und Gerda-von sich nicht begegnen«, sagte Lola.

»Und mich nervt sie auch. Sie hat doch tatsächlich angekündigt, dass sie meinen Chemikalienvorrat überprüfen und alles Explosive und Hochgiftige konfiszieren will. Wo bleibt denn da der Spaß? Außerdem brauche ich die Küche für meine Experimente, mein Zimmer gerät so leicht in Brand, und Gerda-von sieht es nicht gern, wenn ich die Küche in ein Labor umwandle. Also, Lou: Lass dir was wegen Gerda-von einfallen.«

»Wieso ich? Ihr könnt euch doch auch was einfallen lassen.«

Lissy zeigte ein überlegenes Lächeln. »Könnten wir. Aber du hast im Moment das größte Problem.«

Stimmte leider. Mein Problem war wirklich das größte. Genau ein Meter achtzig groß. Und es hieß Freddy.

Als ich Freddy vor ein paar Wochen zum ersten Mal gesehen hatte, stellte ich fest, dass »Liebe auf den ersten Blick« keine Erfindung von geschäftstüchtigen Hollywood-Filmemachern ist, sondern dass es sie tatsächlich gibt. Ich sah Freddy und war total verknallt in ihn. Auf der Stelle. Er stand mit zwei anderen Jungs auf dem Schulhof und sah einfach umwerfend gut aus. Er wirkte cool und lässig und supersympathisch. Er war eine Klasse über mir, also älter als ich, was ihn ebenfalls attraktiv machte.

Da ich nicht zu der schüchternen Sorte Mädchen gehöre, sondern nur zu der Sorte, die sich ständig blamieren, ging ich zu ihm und sagte ganz freundlich: »Hi.«

»Hi«, antwortete er.

Ich war der Meinung, er hätte etwas mehr sagen können, aber gut. Also machte ich weiter: »Bist du neu hier?«

»Ja.«

Einer der Jungs, die neben ihm standen, schubste ihn an und meinte: »Hey, du scheinst ja sehr populär zu sein, das ist schon die Dritte, die dich anquatscht.«

Ich zuckte zusammen. »Ich quatsche ihn nicht an, ich bin vom Willkommenskomitee der Schule. Wir kümmern uns um neue Schüler!«, rief ich empört. Dass ich dabei rot wurde, machte die Sache nicht glaubwürdiger. Ich wandte mich an Freddy: »Also, alles okay, fühlst du dich hier wohl?«

Freddy sah mich mit seinen leuchtend grünen Augen an und lächelte. »Ja, alles okay.«

Meine Knie wurden schwach, offensichtlich gab es da einen Zusammenhang zwischen Verknalltsein und der Funktionstüchtigkeit von Knien.

Ich atmete tief durch. »Gut, das wollte ich nur wissen!«, sagte ich und wankte davon. Blöd halt, wenn die Knie nicht so richtig funktionieren. Mann, war das peinlich!

Regel Nummer eins: Quatsch keinen Typ an, wenn seine Kumpels danebenstehen.

Am nächsten Tag erwischte ich ihn nach der Schule auf dem Nachhauseweg. Er war allein. Meine Chance. Ich lief hinter ihm her, es war nicht meine Richtung, aber man muss eben Einsatz bringen, wenn man etwas erreichen will.

»Hi«, sagte ich, als ich ihn eingeholt hatte, und lächelte ihn betörend an.

»Hi«, grüßte er zurück und ging weiter.

»Das war echt peinlich, die Sache mit dem Willkommenskomitee«, sagte ich möglichst beiläufig.

»Welchem Willkommenskomitee?«

»Na gestern, auf dem Schulhof.«

»Oh, das warst du?«

Fazit: Meine erste Begegnung hatte keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.

»Ja«, sagte ich etwas verärgert. »Mein Name ist übrigens Lou.«

»Sorry, es sind so viele neue Gesichter und neue Namen für mich, ich kann die Leute noch nicht richtig einsortieren.«

»Ich könnte dir helfen.«

»Wie?«

»Ähm, ich könnte dir die wichtigsten Leute auf den Schulfotos zeigen und dir ihre Namen nennen.«

»Oh Gott, das klingt ja nach Arbeit. Nee danke. Dafür hab ich keine Zeit, ich komm schon zurecht.«

»Na gut, aber wenn du es dir anders überlegst, lass es mich wissen.«

»Und du bist …«

»Lou. Immer noch«, knurrte ich.

»Okay, Lou, danke für das Angebot«, rief er, ging schneller und hängte mich damit ab.

Mist. Das war echt dumm gelaufen. Aber es tat meiner Bewunderung für ihn keinen Abbruch.

In den darauffolgenden Tagen quatschte ich ihn zwar nicht mehr an, aber ich hielt mich in seiner Nähe auf, falls er doch mal den einen oder andren Namen von Mitschülern wissen wollte. Und so kam es, dass ich auch zur Stelle war, als er von Norbert erzählte.

Jetzt mal im Ernst, da hätte doch jeder »Hier« gerufen, das war doch die perfekte Chance für mich!

Und nun hatte ich Norbert. Sozusagen ein Unterpfand meiner Liebe. Oder seiner Liebe? Ach, egal. Jedenfalls hatte ich dieses Pelztier und das zwang ihn ja dazu, mit mir zu reden, und er musste mir dankbar sein. Gute Ausgangslage.

»Keine Sorge«, sagte ich zu meinen Schwestern, »ich hab alles im Griff.«

»Tzz«, machte Lissy, »das wär das erste Mal!«

Wir hörten einen Schlüssel in der Tür und jemand betrat die Wohnung.

»Morgenstund hat Sonne im Mund!«, begrüßte Gerda-von uns fröhlich vom Flur aus. Wir hatten es längst aufgegeben, ihre Sprichwörter zu korrigieren, wir nahmen sie hin wie das Wetter. »Ich wusste nicht, dass ihr heute so früh aufstehen würdet, sonst wäre ich schon eher gekommen und hätte euch Frühstück gemacht«, sagte sie, als sie die Küche betrat. »Ihr armen Mädchen, ihr müsst ja ganz verhungert sein. Aber wie heißt es so schön: Hunger kocht am besten.« Sie eilte zum Geschirrschrank. »Ich decke gleich den Tisch, setzt euch schon mal hin.«

Doch auf dem Küchentisch hatte Lissy ihr Chemielabor aufgebaut. Gerda-von begann, Fläschchen, Tiegel und Töpfchen zur Seite zu räumen. Lissy sprang erschrocken dazu, sammelte schnell alles ein und hielt es fest an sich gedrückt.

Lola sah argwöhnisch auf Lissys Materialsammlung und zog einen Nagellack und zwei Lippenstifte heraus.

»Das gehört mir«, teilte sie Lissy mit.

»Stell nicht immer dein Schminkzeug zu meinem Arbeitsmaterial!«, fauchte Lissy sie an. »Was ist, wenn ich mal was verwechsle?«

»Ich hab nichts hierhergestellt, das hast du aus meinem Zimmer genommen!«

»Ach so, stimmt. Dann brauch ich es noch. Du kriegst die Sachen zurück, wenn ich fertig bin damit«, sagte Lissy ungerührt und wollte Lola wieder das Nagellackfläschchen und die zwei Lippenstifte abnehmen. Es entstand ein kleiner Kampf darum, denn Lola wollte sie nicht loslassen.

»Aber, Kinder!«, ging Gerda-von dazwischen. Sie sah Lissy an. »Du bist doch noch zu jung, um dich zu schminken!«

»Gott, wer sagt denn was von Schminken, die brauch ich für meine Experimente.«

Das beruhigte Lola nicht gerade. Doch bevor sie Lissy in Grund und Boden brüllen konnte, zwitscherte Gerda-von: »Ich hab mir überlegt, dass wir heute alle zusammen etwas Nettes unternehmen. Im Rathaus findet eine Handarbeitsausstellung statt, das wäre doch was für euch Mädchen.«

Das stoppte tatsächlich den schwesterlichen Kampf, denn nun gab es Wichtigeres. Nämlich sich vor dem Ausflug zu drücken.

»Ich muss in die Uni«, rief Lola.

»Aber heute ist doch Samstag«, warf Gerda-von ein.

Stimmt, damit entfiel meine Ausrede, dass ich zur Schule musste.

»Wir haben ein Wochenend-Seminar über die ungewöhnlichsten Vulkane der Welt. Das will ich nicht verpassen«, erzählte Lola eifrig.

Gerda-von sah Lola liebevoll an. »Immer so fleißig, unsere Charlotte. Und tritt in Vaters Fußstapfen! Der Apfel fällt niemals vom Baum.«

Lola behauptet nämlich, sie würde Geologie studieren, um Vulkanologin zu werden. Aber Lissys und meiner Meinung nach studiert sie Mode-Design.