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Über den Autor:


Wunibald Müller hat sich sein Leben lang mit Gott und der Kirche auseinandergesetzt. Das verlangte von ihm, Stellung zu beziehen, auch auf die Gefahr hin, damit anzuecken und in Ungnade zu fallen. Mit diesem sehr persönlichen Buch legt er kritisch Rechenschaft darüber ab, warum er trotz aller Kritik in der Kirche bleibt.



Dr. Wunibald Müller, geb. 1950, ist Theologe, Psychologe und Psychotherapeut. Der Leiter des Recollectio-Hauses der Abtei Münsterschwarzach ist Autor zahlreicher Bücher zu Themen der Spiritualität, Lebenshilfe und Psychologie.




Über das Buch:


»Bezogen auf Gott gibt es bei mir eine innere Gewissheit, dass es ihn gibt, Kräfte in unsere Welt und in mein Leben einwirken, die unser und mein bewusstes Tun und Können überschreiten. Mit der Kirche ist das anders. Es hat eine Weile gedauert, bis ich Gott und Kirche auseinanderhalten konnte. Das war und ist für meine Gottesbeziehung von großer Bedeutung. Welche Bedeutung die Kirche für mich heute hat und ob sie heute und in Zukunft meine Kirche sein kann oder sein wird, hängt vor allem davon ab, inwieweit das mit meinem Glauben an Gott in Einklang zu bringen ist.«

Wunibald Müller

Warum ich dennoch
in der Kirche bleibe












Kösel

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Copyright © 2016 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Weiss Werkstatt, München

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München

ISBN 978-3-641-19988-3
V001

www.koesel.de

Inhalt

Prolog

Das Wasser des Lebens

Vorwort

Behütet und Aufbruch

Kindheit, Internat, Schule

Studienjahre in Freiburg und Jerusalem

Studienjahre in Würzburg und Berkeley

Die Herausforderung

Die Freiburger Zeit

Konflikte mit Rom

Klerikalismus

Im Dienst der Kirche

Das Recollectiohaus

Der Missbrauchsskandal

Sexualität und Kirche

Homosexualität und Kirche

Zölibat

Meine Vision von Kirche

Eine Kirche, die das Herz der Menschen erwärmt

Eine Kirche, der es zuerst um Gott geht

Ausblick

Angekommen sein

Literatur

Wer die Kirche liebt,

muss auch bereit sein,

an der Kirche,

mit der Kirche

und durch die Kirche zu leiden.

Bernhard Häring CSSR

Prolog

Das Wasser des Lebens

Das Wasser des Lebens, beseelt von dem Wunsch, sich auf der Erde zu zeigen, sprudelte unablässig und ohne Anstrengung aus einem natür­lichen Brunnen. Die Menschen kamen von überall her, um von dem magischen Wasser zu trinken, und spürten, dass es sie nährte, da das Wasser so klar, so rein und belebend war. Doch die Menschen waren nicht zufrieden damit, die Dinge in ihrem paradiesischen Zustand zu belassen. Mit der Zeit fingen sie an, einen Zaun um den Brunnen zu bauen, Eintrittsgeld zu verlangen, Besitzansprüche auf das Grundstück zu erheben. Sie schufen Vorschriften, wer Zutritt zum Brunnen hat und wer nicht, und brachten Schlösser an den Zugangstoren an. Sehr bald war der Brunnen im Besitz der Mächtigen und der Elite.

Das Wasser ärgerte sich darüber und empfand das als eine Beleidigung. Es hörte auf zu fließen und begann, an einem anderen Ort zu sprudeln. Die Leute, die das Grundstück rund um den ersten Brunnen besaßen, waren so beschäftigt mit ihren Machtsystemen und Besitzansprüchen, dass sie gar nicht mitbekamen, dass das Wasser aufgehört hatte zu fließen. Sie fuhren fort, das nicht mehr vorhandene Wasser zu verkaufen, und nur wenige merkten, dass die ursprüng­liche Kraft des Wassers verloren gegangen war. Aber einige Unzufriedene machten sich mit großem Mut auf die Suche nach dem neuen Brunnen.

Die gute Botschaft ist: Das Wasser fließt weiter. Wenn ich diese Geschichte auf die katholische Kirche übertrage, stimmt mich das sehr nachdenklich. Die Menschen sehnen sich nach dem lebendigen Wasser, sie sehnen sich nach spiritueller Nahrung, die sie wirklich nährt. Doch finden sie dieses leben­spendende Wasser nicht an den Plätzen, die für sich in Anspruch nehmen, der Ort zu sein, an dem es fließt.

Ich finde es wichtig, dass die katholische Kirche nicht länger mit großer Selbstverständlichkeit davon ausgeht, dass sie das lebendige Wasser anbietet, das den spirituellen Durst der Menschen zu stillen vermag. Nicht, dass ich an der Anwesenheit Gottes in unserer Welt zweifle. Nein! Das tue ich nicht. Gerade, weil ich nicht daran zweifle, ist es für mich wichtig, dass die Kirche der Ort ist, an dem die Menschen das lebendige Wasser, nach dem sie sich sehnen, finden, und ich kann es durchaus verstehen, dass sie es anderswo suchen, wenn sie es dort nicht finden oder ihnen der Zugang zu diesem Wasser verwehrt wird.

Ab und zu ergeht es mir hier wie dem Trappisten Thomas Merton, der in einem Brief an die Theologin Rosemary Radford Ruether (in: Tardiff 1995,17) schreibt: »Ich frage mich manchmal, ob die Kirche echt ist. Ich glaube es, wie du weißt. Aber manchmal frage ich mich, ob ich verrückt bin, das zu glauben. Bin ich Teil eines großen Schwindels? Ich drücke mich vielleicht nicht so gut aus, wie ich möchte: Ich spüre echtes Vertrauen in die Tatsache, dass Christus in der Welt präsent ist, und daran zweifle ich keinen Augenblick. Aber ist diese Präsenz dort, wo wir es von ihr behaupten? Wir zeigen alle irgendwo hin, aber mein Verdacht ist, dass wir in die falsche Richtung zeigen.«

Mir helfen Menschen wie Thomas Merton oder Bruder David Steindl-Rast, die meinen Blick für das Wesent­liche schärfen, ohne, so hoffe ich, dabei den Blick zu trüben für das, was nicht gut ist an der Kirche, was es zu beanstanden oder auch abzulehnen gibt. Bruder David Steindl-Rast vergleicht die Tradition der Kirche mit einer rostigen Wasserleitung. Würden wir die unterirdischen Wasserleitungen, über die wir unser Trinkwasser bekommen, sehen, würden wir, so meint er, nie wieder Wasser trinken. Doch auch wenn sie verrostet sind, bringen sie reines Wasser. Dieses reine Wasser aber ist die frohe Botschaft, die am Anfang steht, die lebendig wie eine Fontäne klaren Wassers empor springt (vgl. Anselm Grün/David Steindl-Rast 2015, 81).

Vorwort

Vor einiger Zeit hatte ich eine heftige Diskussion mit unseren Kindern, bei der es um die katholische Kirche ging und warum ich in der katholischen Kirche bleibe. Es war eine harte Diskussion, bei der unsere Kinder nichts ausließen, was gegen die katholische Kirche und die Zugehörigkeit zu ihr spricht. Ich konnte die Kritik unserer Kinder an der Kirche gut hören, kannte die von ihnen genannten Argumente aus anderen Diskussionen, und doch war es anders als sonst, wenn ich mit diesen Fragen konfrontiert wurde. Die Diskussion beschäftigte mich noch lange und machte mich auch traurig.

Unsere Kinder versuchten, mich zu verstehen, sie respektieren meine Haltung. Aber, so mein Eindruck, es gelang mir nicht, ihnen wirklich zu vermitteln, was mir meine Kirche bedeutet und warum ich sie nicht verlassen kann oder nicht verlassen will. Dazu kam sicher auch, wenn ich ehrlich bin, meine Betroffenheit darüber, wie viel Distanz, ja Ablehnung ich bei ihnen gegenüber dem feststellen musste, was mir immer noch viel bedeutet. Dazu kam, dass ich mir die Frage stellte, wie sehr ich tatsächlich bereit bin, mich ernsthaft und radikal damit auseinanderzusetzen, ob die katholische Kirche tatsächlich immer noch meine Kirche ist und ob ich es vor mir selbst verantworten kann, mich weiterhin zu ihr zu bekennen.

Ich habe mich ein Leben lang mit Gott auseinandergesetzt. Auch heute tue ich das. Bezogen auf Gott gibt es bei mir eine innere Gewissheit, dass es Gott gibt, Kräfte in unsere Welt und in mein Leben einwirken, die unser und mein bewusstes Tun und Können überschreiten. Mit der Kirche ist das anders. Es hat eine Weile gedauert, bis ich Gott und Kirche auseinanderhalten konnte. Das war und ist für meine Gottesbeziehung von großer Bedeutung. Welche Bedeutung die Kirche für mich heute hat und ob sie heute und in Zukunft meine Kirche sein kann oder sein wird, hängt vor allem davon ab, inwieweit das mit meinem Glauben an Gott in Einklang zu bringen ist.

So will ich, zusätzlich dazu motiviert durch die Diskussion mit unseren Kindern am Ende meiner beruf­lichen Tätigkeit im kirch­lichen Dienst, der Frage nachgehen, was mich in der katholischen Kirche bleiben lässt. Ich will es mir selbst erklären, meinen Kindern verständ­licher machen, aber auch so manchen, die mich mit dieser Fragestellung konfrontieren, zumindest zu erklären versuchen. Dabei werde ich auf meine eher äußeren Erfahrungen mit der katholischen Kirche, der sogenannten offiziellen Kirche, dann aber auch auf meine mehr inneren Erfahrungen mit Kirche eingehen.

Nicht zuletzt durch den kirch­lichen Dienst, zunächst in der Erzdiözese Freiburg, später – über 25 Jahre – als Leiter des Recollectiohauses der Benediktinerabtei Münsterschwarzach, habe ich Einblicke in die katholische Kirche gewonnen, die einzigartig schön und zugleich furchtbar erschreckend waren. Sie haben natürlich in die eine und in die andere Richtung entsprechende Auswirkungen auf mein Bild von Kirche, aber auch mein Verhältnis zur katholischen Kirche gehabt.

Dazu kommt: Ich habe mich schon sehr bald nicht nur als irgendein Mitglied meiner Kirche verstanden, sondern als einer, der es als seine Aufgabe sieht, mit dazu beizutragen, dass diese Kirche die Kirche ist, die ich meine Kirche nennen kann. Das aber verlangte von mir, Stellung zu beziehen, mich zu Wort zu melden, auch auf die Gefahr hin, damit anzuecken und in Ungnade zu fallen. Das gilt für mich bis heute und hat sicher dazu bei­getragen, dass ich noch in der Kirche bin, während viele andere, unter ihnen Menschen, die mir viel bedeuten, ihr längst den Rücken zugekehrt haben.

Ich will mir mit diesem Buch selbst Rechenschaft darüber ablegen, warum ich in der Kirche bleibe, und dabei natürlich auch aufzeigen, was sie mir bedeutet. Ich will es dabei aber nicht belassen. So werde ich auch meine Vision von Kirche entfalten, wohlwissend, dass es sich dabei nur um einen ganz persön­lichen, vorläufigen, unvollkommenen Versuch handelt, das zu beschreiben, was ich mir unter Kirche vorstelle und wo sie den Menschen von heute, uns, dienen, vor allem aber mit dazu beitragen kann, dass Gott, der die Liebe ist, konkret erfahrbar und fühlbar ist.

Ich schreibe dieses Buch am Ende meiner Tätigkeit im kirch­lichen Dienst. Ich habe bewusst so lange damit gewartet. Ich habe mich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu Wort gemeldet, auf kirch­liche Missstände aufmerksam gemacht, mich für Randgruppen, wie schwule Männer und lesbische Frauen, eingesetzt oder auf die Nöte zölibatär lebender Priester hingewiesen. Das erwuchs aus meinem Verständnis von Kirche und der Aufgabe, die sich daraus für mich ergab. Mir war es wichtig, bei meiner Kritik durchscheinen zu lassen, dass es mir um meine Kirche geht, die ich – früher hätte ich das ohne darüber nachzudenken gesagt – liebe, die mir jedenfalls, immer noch, viel bedeutet. Auch war mir in allen diesen Jahren wichtig, der Kirche und später natürlich auch der Abtei Münsterschwarzach gegenüber loyal zu sein, wusste ich doch aus eigener Erfahrung, dass Rom, wenn ich mich kritisch äußere, auf den zuständigen Bischof Druck ausübt, der dann den Druck an die entsprechenden Verantwort­lichen, sprich Abtei beziehungsweise deren Abt, weitergibt, mich zu maßregeln. Das hielt mich nicht davon ab, Kritik zu üben, führte aber auch dazu, dass ich manches vorsichtiger formulierte, als ich es hätte formulieren können oder manchmal auch müssen.

Diese Zurückhaltung will ich und muss ich mir nicht länger auferlegen. Dazu kommt, dass mit Papst Franziskus die Atmosphäre der Angst, die unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. in der Kirche vorherrschte, einer Atmosphäre gewichen ist, in der es weit mehr als früher möglich ist zu sagen und zu schreiben, was man denkt und für richtig erachtet, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen, sollten diese Überlegungen oder Überzeugungen angeblich nicht in Einklang zu bringen sein mit der Lehre der Kirche. Dennoch macht man sich, so denke ich, etwas vor, wenn man glaubt, dass die alten Mechanismen, das alte Denken, aber auch die so lange vorherrschende Angst in der Kirche, damit ausgemerzt oder vertrieben worden sind. Sie haben die Kirche noch nicht verlassen.

Ich will und werde jedenfalls in aller Freiheit über meine Erfahrungen mit der Kirche berichten. Ich bin selbst gespannt darauf, was mir dadurch deut­licher wird. Vor allem aber hoffe ich, damit meinen Kindern und manch anderen verständ­licher zu machen, warum ich dennoch in der Kirche bleibe, was mir die Kirche bedeutet, was ich ihr verdanke, was mich, so vermute ich, bis zu meinem Lebensende an ihr festhalten lässt.

Ich widme dieses Buch unseren Kindern Dorothea und Thomas Morus.

Herrn Uwe Globisch vom Kösel-Verlag danke ich für die un­­komplizierte und ermutigende Begleitung.

Wunibald Müller