Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
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© 2019 Emons Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Die Erstausgabe erschien 2006
Umschlagmotiv: iStockphoto.com/81arctic;
shutterstock.com/Mateusz Liberra
Umschlaggestaltung: Nina Schäfer
eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-86358-356-9
Kulinarischer Kriminalroman
Neuausgabe
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Für meine Familie – dass sie weiter wächst
und gedeiht wie ein strunzgesunder Ahrtaler Rebstock
»Vom Urbeginn der Schöpfung
Ist dem Wein eine Kraft beigegeben,
Um den schattigen Weg
Der Wahrheit zu erhellen«
(Dante)
»Das Leben ist voller Leid, Krankheit, Schmerz –
und zu kurz ist es übrigens auch …«
(Woody Allen)
Es wird behauptet, Katzen würden Gefahr spüren. Sie würden einen Buckel machen, die Ohren anlegen oder sich in eine dunkle Kellerecke verkriechen. Instinktiv.
Julius Eichendorffs Katzen mussten kaputt sein.
Herr Bimmel putzte sich die Pfoten, als der Anruf kam, und Felix prüfte, wie oft er gegen den Geranientopf schlagen musste, bis dieser von der Fensterbank fiel. Julius selbst drapierte Serranoschinken so auf ein frisches Stück Ciabatta, dass es komplett bedeckt war und nichts überhing. Das erforderte professionelle Origami-Fertigkeiten.
Das Wetter hatte auch keine shakespearische Qualität. Der Herbst war schatzkammergolden, der Himmel sonnig mit drei malerischen Wölkchen, die sich wie leckere Baisers am Firmament türmten. So war es nun schon seit Tagen. Julius hatte außerdem nicht schlecht geträumt, keine düsteren Vorahnungen mit großen, roten Spinnen gehabt, keine Visionen strömenden Blutes oder wandelnder Leichen.
Es war also ein verteufelt herrlicher, ausgeschlafener Morgen mit der Aussicht auf ein baldiges Frühstück inklusive eines Flugtees Darjeeling FTGFOP 1 Garden Orange Valley First Flush oder »der Superleckere«, wie Julius ihn nannte, für den das Wasser bald kochen würde.
Das Telefon klingelte wie immer, und es hörte nicht auf damit, obwohl Julius sich missachtend der Zubereitung des Frühstücks widmete. Das war seiner Meinung nach schließlich die wichtigste Mahlzeit des Tages. War die verpfuscht, konnte man denselbigen vergessen. Als der Geranientopf klirrend auf dem Boden landete, das Parkett gleichmäßig mit Blumenerde bedeckend, entschloss sich Julius, zum Telefon zu gehen, um wenigstens eine Sache zu ändern, die ihn störte. Felix schaute sich interessiert das Ergebnis seines Experiments an und tapste zwei Schritte weiter zum nächsten Geranientopf.
»Eichendorff. Ich frühstücke!« Warum hatte er nur den Anrufbeantworter aus dem Haus entfernt? Weil es ihn nervte, ständig jemanden zurückrufen zu müssen. Aber war drangehen zu müssen während eines Serranoschinken-Frühstücks nicht noch viel schlimmer?
In diesem Fall mit Sicherheit.
Die Stimme im Hörer war nicht menschlich. Sie klang wie ein sprechender Thunfisch. Aus der Dose. Blechern und ölig.
»Julius, ich habe Nachrichten aus dem Totenreich für dich. Bald wird jemand sterben, dem die Natur nicht genügt.«
Herr Bimmel machte einen Buckel. Die Stimme fuhr ohne Pause fort.
»Eigentlich solltest du diese Nachricht vierundzwanzig Stunden vor seinem Tod bekommen, aber da ich dich gestern Abend nicht erreicht habe, sind es jetzt deutlich weniger. Tja, Pech.«
Julius vergaß sein Ciabatta. Er wollte den Anrufer nach seinem Namen fragen und danach, was diese Drohung sollte, ob es vielleicht der miserable Scherz eines der unzähligen vermeintlich lustigen Radio-Telefonterroristen war, aber er kam nicht dazu. Die Stimme am anderen Ende der Leitung fuhr bereits fort:
»Du wirst heute eine Flasche mit Wein erhalten, die dir einen Hinweis auf das Opfer gibt. Doch ich ahne schon, dass du ihn nicht erkennen wirst, Meisterdetektiv. Du wirst nichts am Lauf der Dinge ändern.«
Der Anrufer legte auf.
Julius sah sich selbst als einen Mann mit dem Gemüt eines frisch gesuhlten Nilpferds. Doch die angeborene Zufriedenheit war ihm auf einen Schlag abhanden gekommen. Er hielt den Hörer lange in der Hand, bevor er ihn so sachte zurücklegte, als könne er dabei zerbrechen.
Der Appetit war ihm jedoch nicht vergangen, da brauchte es mehr als einen anonymen Telefonanruf. Essen verkommen zu lassen war eine Sünde. Zudem hatte er sich diesen wohlgeformten Bauch nicht über Jahre hart erfuttert, um nun wertvolle Gramm zu verlieren. Und vor allem: Nur ein gefüllter Magen dachte gut. Und zu denken gab es nun einiges.
Doch sein Serranoschinken-Ciabatta, auf dem nur noch der Rucola gefehlt hatte, war verschwunden. Allerdings nicht spurlos. Herr Bimmel und Felix hockten wie zwei Geier um die Überreste ihrer Beute auf dem Boden. Julius hasste Unordnung. Das bekamen seine Katzen jetzt zu spüren.
»Abendessen ist gestrichen! Und es hätte Leberpaté gegeben. Das habt ihr jetzt davon. Denkt da mal drüber nach!« Wütend stapfte er in die Küche, um mit dem zweiten Gang der Frühstückszeremonie zu beginnen.
Ein normaler Mensch wäre von dem Anruf so verschreckt gewesen, dass er sofort die Polizei angerufen und atemlos berichtet hätte. Doch Julius war, nur zu einem Teil zum eigenen Bedauern, keiner dieser Menschen mehr. Er hatte zu viele Leichen gesehen und zu oft in die Augen von Mördern.
Es waren Menschen wie du und ich.
Sie waren erschreckend normal.
In jedem Menschen schien ein Ungetüm darauf zu lauern, entfesselt zu werden.
Bevor er jemandem von dem Anruf erzählte, wollte er sich erst selbst darüber klar werden, was da gerade eigentlich passiert war. Dann würde er darüber reden. Mit FX, der eigentlich Franz-Xaver hieß und nicht nur der österreichische Maître d’Hôtel der »Alten Eiche« – also Oberkellner, was er nicht gern hörte – war, sondern auch sein ältester Freund. Und erst dann mit Anna, die als Kommissarin bei der Polizei arbeitete. Sie war mehr als eine Bekannte und mehr als eine Freundin. Lebensabschnittsgefährtin klang Julius zu bürokratisch, Partnerin zu sehr nach einem Tanzwettbewerb, Geliebte nach einer auf die fraglos angenehmen körperlichen Seiten konzentrierte Beziehung. Sie war Anna, und sie gehörte zu ihm.
Wenn er mit ihr sprach, würde die Morddrohung offiziell werden, wo er die Sache doch lieber ins Reich der Phantasie abschieben wollte. Doch etwas in ihm ließ Julius bereits jetzt spüren, dass der Anruf kein übler Scherz war.
Sein Hauptberuf hatte mit diesem eigentümlichen Gespür nur bedingt etwas zu tun. Er war Besitzer und Koch des Ahrtaler Renommierrestaurants »Zur alten Eiche«, doch über die Jahre hatte er sich einen Ruf als »kulinarischer Detektiv« erworben. Es war ihm gelungen, einige Morde aufzuklären, und der Presse war kein besserer Name eingefallen. Damit musste er leben. Und das ging besser, indem er nun ein Weckchen, darauf Quark und Mirabellenkonfitüre mit Tahiti-Vanille, verspeiste.
Der saure Flaum und der süße Wohlgeschmack jagten ihm Schauer mit kleinen Fingern über den Rücken.
Doch in seinem Kopf ertönten die Worte des anonymen Anrufers.
Der Garten der »Alten Eiche« war für Julius eine Insel der Selbstvergessenheit gleich neben dem mühsam organisierten Chaos, das eine Sterneküche nun mal bedeutete. Hier wuchsen Rosen, hier zwitscherten Vögel, hier standen seine geliebten wurzelechten Rebstöcke, gehegt und gepflegt von Julius’ Restaurantpersonal, damit sie selbst an diesem schlechten Standort ein paar richtig gute Trauben produzierten. Die Reblaus hatte den einheimischen Rebstöcken vor Jahren den Garaus gemacht, sodass nun europäische »Oberteile« auf amerikanische Unterlagsreben gepfropft wurden, weil diese gegen die Biester resistent waren. Ein wurzelechter Rebstock war zu hundert Prozent europäisch und deshalb leider nicht vor Rebläusen gefeit. Er war ein Wagnis. Doch viele Experten behaupteten, er bringe die größeren Weine hervor. Anlass genug für Julius, es darauf ankommen zu lassen.
Er nahm seine zwölf Schätzchen nun genau unter die Lupe. Simon Petrus stand in vollem Saft, aber Jakobus wirkte irgendwie bedrückt, und seine Farbe war auch ungesund, viel zu gelblich. Jetzt, wo Julius genau hinsah, wirkte Jakobus geradezu verkümmert. Warum hatte ihm niemand der Brigade davon berichtet? Wahrscheinlich hatten sie das, und er hatte nicht genau hingehört wegen dieser einen anderen Sache. Diesem großen Auftrag, wahrscheinlich dem wichtigsten seines Lebens. Der würde ihn noch mehr in Hektik stürzen. Immer nur drauf auf den großen Dicken mit dem luftigen Haar, dachte Julius. Der Bursche kann’s ja vertragen.
Jakobus ließ den Kopf hängen wie ein altes gramgebeugtes Mütterchen. So kannte er ihn nicht. Da konnte was nicht stimmen. Julius holte Taschentücher aus seiner Jacke, drapierte sie im Quadrat auf den Boden und kniete sich darauf. Fast zärtlich hob er eines von Jakobus’ Blättern an, um zu schauen, ob sich darunter eine verräterische Färbung zeigte, ein hinterlistiger Belag oder ein heimtückisches Insekt. Doch das kleine Blatt war nur gelb und träge, als habe jemand den Saft abgestellt, als gelange nichts mehr hinein aus dem nährstoffreichen Boden.
Das hieße ja dann, Julius ließ das Blatt zurückwitschen, dass etwas an den Wurzeln nicht in Ordnung war!
Konnte es so schlimm sein?
Warum kennt er meinen Namen?, schoss es Julius plötzlich wie ein Blitz durch den Kopf.
Warum hat er mich informiert?, folgte der zweite aus heiterem Himmel.
Was für eine Flasche werde ich bekommen?, donnerte es dann.
Und was hat es mit der ungenügenden Natur auf sich?, fragte er in die laute Stille nach dem Gewitter.
Doch die geistige Wettererscheinung brachte keine Klärung. Im Gegenteil, sie zeigte nur, wie viele Risse der Himmel hatte.
Julius hatte nicht gemerkt, wie sich seine Hände Maulwürfen gleich in den Boden um den Rebstock gebuddelt und Dreck auf den Taschentüchern und seiner sauberen Hose verteilt hatten. Wenn er jemals eine seiner Notfallpralinen gebraucht hatte, dann jetzt – aber er konnte die Schokolade doch nicht mit seinen erdverschmutzten Händen anpacken! Nein, er musste jetzt weiterbuddeln und Jakobus’ Wurzeln betrachten. Seine rechte Hand bekam eine zu packen – es war eine starke, knollenartige.
So sollte sie sich nicht anfühlen.
Knollen sollten da überhaupt nicht dran sein. Die hatten da nichts zu suchen. Das waren ja schließlich keine Kartoffeln!
Herr Bimmel erschien neben Julius, Felix im Schlepptau. Beide setzten sich auf ihre bepelzten Katzenhintern und schauten interessiert zu, wie ihr Mitbewohner hundegleich und mit rotem Kopf Dreck schaufelte. Echtes Katzenfernsehen.
Julius buddelte so lange, bis er Wurzeln sehen konnte, drei an der Zahl. Die beiden jungen Wurzeln hatten knollenförmige Wucherungen, die alte wies abgestorbene Verdickungen auf.
Julius’ Hände zitterten.
Das war der Rebstock-Supergau.
Es hätte die eiförmigen, nur einen mickrigen Millimeter großen braun-gelb-grünen Bestien gar nicht gebraucht, die er ebenfalls zutage gefördert hatte. Julius wusste auch so, welche Plage einen seiner zwölf Apostel befallen hatte. Es war die Reblaus. Sie war in seinen Garten vorgedrungen und hatte Jakobus in Besitz genommen wie ein unbarmherziger Eroberer. Der Rebstock musste raus, sofort, er musste aus der Erde, bevor er die anderen elf anstecken konnte. Er musste weg. Jetzt!
Der großzügig dimensionierte Julius stand so rasch auf, dass er dabei einige Gesetze der Physik brach, und riss dann wie ein Irrer an Jakobus.
Der Rebstock brach entzwei.
Julius landete, eine Pirouette drehend, auf dem Rasen.
Sein Bein gab ein komisches Geräusch von sich, als es aufschlug.
Konnte dieser Tag noch schlimmer werden? War es nicht sowieso schon der schlimmste Tag seines Lebens? Wenn man mal jene in tödlicher Gefahr ausklammerte, die sich in den letzten Jahren unerwartet gehäuft hatten. Doch dies heute war ein echtes All-inclusive-Paket der Unannehmlichkeiten: ein irrer Anrufer, ein kranker Weinstock und ein Bein, das sich jetzt entschieden weniger funktionstüchtig anfühlte als sonst. Er konnte es nicht bewegen.
Es war im Übrigen sein Lieblingsbein. Mit ihm stand er immer zuerst auf.
Jetzt begann es auch noch zu regnen.
Nein, schlimmer konnte es wirklich nicht kommen.
FX beugte sich über ihn und lächelte. »Schau an, da liegt ein dicker Käfer auf dem Rücken! Putzig samma heut!«
Er hätte es nicht beschreien sollen …
Auf FX’ Mitleid konnte er gut verzichten. Wenn er jetzt eine Schwäche zeigte, würde er es monatelang aufs Brot geschmiert bekommen. »Ich schau mir den Himmel an.«
FX hatte seinen Zwirbelbart zu geradezu architektonischer Meisterschaft gebracht, er glänzte in dem wenigen Sonnenlicht, das den Regenwolken noch entkam.
»Da liegt der Maestro mitten im Dreck und kann net hoch. Wie tief sinken doch die Mächtigen.«
»Geh in die Küche und tu was für dein Geld!« Der ganze Rücken brannte nun, als würde er auf großer Flamme geröstet. Julius presste die Lippen aufeinander.
»Für um fünf sind die großkopferten Weinbauern bestellt, vielleicht ist es dem Herrn bis dahin genehm, sich aufzuraffen. Zwickt es vielleicht irgendwo, schmerzt es gar?«
»Ach wo!« Der Schmerz zog nun den Hals hinauf und verschlang Julius schließlich wie eine Schlange mit Haut und Haaren. Er bäumte sich auf.
»Des schaut aber anders aus, Herr Käfer! Ich mach mir jetzt doch Sorgen. Ich geh mal besser die Sanitäter rufen.«
»Nix wirst du! Ich komm schon wieder hoch.«
»Ja, freilich, aber net allein. Ich geh jetzt telefonieren – oder kannst du mich etwa zurückhalten?«
Und weg war er, und schnell kam der Krankenwagen. Doch Julius dachte nur noch an die Rebläuse. Und daran, dass er Jakobus ausreißen musste, sobald sein Körper wieder instand gesetzt war.
Der Wein funkelte wie flüssiger Edelstein im Glas. Mit sicherer Hand wurde er genau bis zu dem Punkt eingegossen, an dem es sich verjüngte. Jeder der Anwesenden wusste, dass dies die größte Duftentfaltung ermöglichte. Fünf Augenpaare beobachteten, wie Glas um Glas gefüllt wurde und tiefrot zu glänzen begann.
Und es waren nicht irgendwelche Augenpaare.
Nicht dass sie besonders schön gewesen wären. Aber sie saßen in Köpfen, die man in der Weinwelt kannte. Und sie gehörten zu Nasen, die zu den feinsten der Republik zählten. Ihre Besitzer machten Wein, verkauften oder sammelten ihn wie kostbare Gemälde. Jeder ernsthafte Weinconnaisseur hätte eine Hypothek aufgenommen, um Teil dieser Runde zu sein.
Zurzeit fiel sie über alles Essbare in Julius’ Küche her wie ein Schwarm Heuschrecken. Ihre Aufgabe war eine außergewöhnliche, nicht nur mit nationaler, sondern mit internationaler, ja geradezu kosmischer Bedeutung.
Wolf Kiefa sah nach vollbrachtem Einschenken hoch, kaute fröhlich ein großes Stück Weinbrötchen weiter und nahm den Faden der Diskussion wieder auf.
»Also der Bourgignon erzählt doch bloß Quatsch. Das ist eine ganz riskante Sache mit den wurzelechten Rebstöcken, wegen den verdammten Rebläusen. Die machen nur Ärger – seht ihr ja an Julius!«
Kiefa war nicht der Erste, der auf Julius’ Kosten einen Spaß machte und ihm danach freundschaftlich über sein bandagiertes und geschientes Bein strich, das wie ein großer Elefantenstoßzahn wirkte.
Wolf Kiefa setzte zur allgemeinen Belustigung nach: »Warum hast du nicht einfach eine Gartenbaufirma angerufen, die hätte ihn mit dem Bagger rausgeholt? Oder hat ein Bagger nicht genug Kraft dafür – im Gegensatz zu dir?«
Alle lachten. Julius schwieg.
»Warum sagt er denn jetzt nichts?«, fragte Kiefa gespielt überrascht. »Ist ›die Nase‹ etwa verstopft? Hat der Besitzer des exzellentesten Riechkolbens nördlich und südlich der Milchstraße etwa einen Kolbenfresser?«
Da war heute ja jemand richtig witzig, dachte Julius.
Um sich weiteren Spott dieser Kategorie zu ersparen, erzählte er eine peinliche Geschichte aus der Vergangenheit, die seine Gewaltaktion erklärte. Sie war für den Ordnungs- und Reinlichkeitsfanatiker Julius allerdings so beschämend, dass er inständig hoffte, niemand würde einen Scherz darüber machen. Nicht Wolf Kiefa, der hochgewachsene Öko-Schlaks aus Bacharach mit dem Schalk in den Augen, der immer so spitzbübisch schaute, als habe er gerade jemandem einen Knallfrosch in die Hose gesteckt.
Nicht Hermann Horressen aus Bingen, der Großwesir des deutschen Weinjournalismus, Besitzer einer wohltönenden Stimme, eines gewaltigen Egos und eines prachtvollen Weinguts. Er kritisierte die Tropfen anderer und produzierte selbst einige der besten des Landes. Gerade strich er sich zärtlich über seine Glatze, als wäre sie mit Samt bespannt. Er war fraglos der am häufigsten fotografierte Kahlkopf der Weinwelt.
Auch nicht Gerdt Bassewitz, der barocke Besitzer des Walporzheimer Restaurants »Sanct Paul«, der guten Stube des Tals, welcher sich gerade ein ordentliches Stück Lukanisches Würstchen einverleibte, das Julius als kleinstgestreifte Suppeneinlage gedacht hatte. Die zwei weiteren in die Küche der »Alten Eiche« eingeladenen Koryphäen des vergorenen Rebensaftes tuschelten gerade nahe der Wildschweinkeule über die Toastung bei amerikanischen Barriques und die Luftdurchlässigkeit von Plastikkorken.
Der eine redete nur über das eine, der andere ausschließlich über das andere.
Sie verstanden sich prächtig.
Der Ältere, eleganter Gekleidete der beiden hieß Oliver Fielmann, bewegte sich wie ein Storch und hatte seine gewaltige Nase tief im Glas stecken, als wolle er den Wein mit seinem riesigen Rüssel einsaugen. Fielmann war der Einzige, der in der heißen Küche nicht schwitzte. Das war vermutlich unter der Würde eines Weinaristokraten. Der jüngere, Harald Uhlen, genannt Django, sah mit Oberlippenbart und seiner vor zwanzig Jahren für fünf Monate modernen Brille zwar aus wie ein Fußballtrainer der Kreisklasse, war aber einer der Vordenker des deutschen Weins. Django war der lebende Beweis, dass auch ausgesprochen kleine Männer große Weine machen konnten.
Ihnen würde Julius jetzt erzählen.
Von seinen Untermietern.
Damit sie nicht dachten, er neige grundsätzlich zu Gewaltaktionen wie mit dem armen Jakobus. Das konnte nämlich schlecht für den Ruf sein. Hitzköpfigen Köchen gingen viele lieber aus dem Weg.
Es war Jahrzehnte her, doch wenn Julius daran dachte, kam es ihm wie gestern vor, und er war wieder fünf. Diese verdammten Mistviecher!
»Ihr erzählt es keinem! Noch nicht mal euren Frauen, gerade nicht euren Frauen. Und auch sonst keinem. Nicht den Kindern, euren besten Freunden oder im Suff. Und falls ihr gefoltert werdet, beißt ihr euch die Zunge ab. Für den Fall, dass –«
Django Uhlen streichelte Julius über den Kopf. »Wenn du jetzt aufhörst, bin ich sogar bereit, mein Schweigen mit Blut vertraglich zu fixieren. Und ich wette eine Magnumflasche Röttgen, allen anderen geht es genauso.«
Ein Nicken machte die Runde im Raum, der plötzlich wirkte, als wäre er voll von Wackeldackeln.
»Gut«, sagte Julius und kratzte sich am Kopf. Die Geschichte hatte er noch nie jemandem erzählt, aber nun ging es nicht anders. »Ich hatte als Kind, also ich konnte natürlich nichts dafür, ich hatte sie mir im Urlaub eingefangen, trotz regelmäßiger Kopfwäsche, so was passiert einfach, also ich hatte … Läuse. In den Haaren. Damals gab es auf meinem Kopf noch etwas, in dem sie wie die Fürsten wohnen konnten. Die haben mich wahnsinnig gemacht! Und alle Haare mussten ab. Ich war das Gespött der Schule. ›Da kommt der Junge mit der fleischfarbenen Badekappe‹, haben sie gerufen oder ›Schalt doch mal an, Glühbirne‹. Es war peinlich, es war richtig erniedrigend. Seit der Geschichte habe ich eine besondere Beziehung zu allen Arten von Läusen. Ich hasse sie. Ob am Kopf oder an meinen Rebstöcken. Ich hasse sie, ich hasse sie, ich hasse sie. Diese schmutzigen krabbelnden Viecher müssen weg. Versteht ihr doch, oder?«
Das Nicken ging in die nächste Runde. Besonders Horressen zeigte Mitgefühl.
»Und jetzt hört bitte auf, meine Lukanischen Würstchen wegzufuttern, und sagt mir endlich, welcher eurer Weine zu der Sau passt.«
Hermann Horressen löste seinen Blick mit viel Anstrengung von der einkochenden Wildschwein-Sauce und zog eine Flasche Rotwein aus dem Karton nahe seinen Füßen. »Meine ›Stéphanie‹ passt da perfekt. Ein samtiger Spätburgunderriese mit Biss. Müsst ihr probieren! Ich sage nichts, aber müsst ihr probieren.« Er entfernte mit dem Kapselschneider das Stanniol vom Flaschenhals.
»Hermann, du gehst die Sache leider vollkommen falsch an.« Uhlen legte seine Hand auf Horressens, der das Kellnermesser mit dem Korken nun extra heftig herauszog. Uhlens Hand wurde hochgeschossen. »Julius ist für diesen besonderen, man kann schon sagen historischen Anlass auserwählt worden, weil er altrömisch kochen kann. Da müssen die Weine auch Geschichte atmen. Deine ›Stéphanie‹ ist klasse, aber eben nicht klassisch. Zum Wildschwein gehört ein traditioneller Riesling, ein richtig kräftiger. Zu der Sauce kann ich mir was Halbtrockenes vom Wolf vorstellen oder einen dicken Roth Lay von mir.«
Julius wandte sich an die letzte Instanz in Sachen Wein-Speisen-Kombination, Oliver Fielmann, dem der Tod seiner Frau vor einem knappen halben Jahr immer noch im Leib steckte wie Feuchtigkeit in klammen Pullovern. Er sprach nicht gern darüber, und niemand hatte ihn heute danach gefragt. Sie war an einem anaphylaktischen Schock, einer starken allergischen Reaktion, gestorben. Kein Thema für ein geselliges Beisammensein.
»Was meinst du, Oliver?«
»Nimm einen großen Frühburgunder vom Gerdt, der ist würzig, der balsamiert die Sau im Mund, das fließt zusammen.«
Hermann Horressen hob den Zeigefinger und stieß einen kurzen Pfiff aus. »Ich hab da eine Idee! Wir sollten zu jedem Gang zwei Weine stellen, und jeder am Tisch wählt selbst.«
Uhlen schlug ihm auf den Rücken wie einem kranken Gaul. »Das würde mir gefallen, die Truppe nach dem zweiten Gang besoffen zu sehen. Grandios, Hermann!«
Und so kämpften sie sich durch die Gänge, die Julius’ Sous-Chef unter seiner Anleitung kochte.
Keinem hatte Julius von dem anonymen Anruf erzählt, es war auch nicht die richtige Runde dafür. Dies war nicht wirklich ein Freundeskreis, sondern eine Zweckgemeinschaft. Die Burschen waren ständig damit beschäftigt, sich gegenseitig Fettnäpfchen vor die Füße zu stellen. Aber das Kölner Erzbistum hatte sie sich für dieses besondere Menü ausdrücklich gewünscht. Julius war froh, als sie beim Dessert ankamen. Die illustre Runde hatte so viel probiert, dass sich jeder einen Stuhl aus dem Restaurant genommen hatte, um den gefüllten Wanst nicht mehr allein gegen die Schwerkraft verteidigen zu müssen. Hermann Horressen öffnete mit großer Geste eine Flasche, schenkte ein und brummte dabei mit seiner tiefen Stimme genussvoll wie ein honigschleckender Grizzly.
»Mein Eiswein«, hob er an, wohl wissend, dass ihm nun niemand widersprechen würde, »und dies möchte ich in aller Bescheidenheit sagen, wird die Krönung des Menüs für den Papst sein.«
Der Papst, dachte Julius, den schickte tatsächlich der Himmel.
Und zwar zur rechten Zeit. Julius verschwieg es, aber der »Alten Eiche« war es, wie vielen Sterneküchen im Land, schon einmal besser gegangen. Geiz war plötzlich geil, und es wurde lieber wenig Geld für Gammelfleisch gezahlt als etwas mehr für gute handwerkliche Produkte. Seine Sterneküche wollte er nicht opfern, niemals, aber ein zweites Restaurant zu eröffnen, ein gutbürgerliches, das sich auch an den schmaleren Geldbeutel wandte, ohne Kompromisse bei den Zutaten zu machen, das musste doch möglich sein. »Eichenklause« sollte es heißen, mehr als einen kleinen Anbau bräuchte es nicht, gekocht würde in der Küche der »Alten Eiche« vom selben Team. Alles kein Problem. Julius hatte sich bereits jedes Detail ausgemalt, in sattestem Technicolor mit lauter lächelnden Menschen. Seit der Gründung der »Alten Eiche« hatte er sich nichts mehr so gewünscht wie diese Erweiterung, wo er der heimischen Ahrtaler Küche in ihrer ganzen Ursprünglichkeit frönen könnte. Es würde wunderbar werden.
Wenn endlich die finanziellen Mittel zur Verfügung stünden.
Gelänge das Papstessen, winkte ein Beratervertrag mit den Küchen des Erzbistums. Sicheres Geld. Ganz zu schweigen vom Imagegewinn. Das Menü wäre eigentlich ein Auftrag für einen der zwei Schloss-Magier von der anderen Rheinseite gewesen oder für Dieter Kauffmann von der Grevenbroicher »Traube«, dem Eleganz und Eigengeschmack seiner Zutaten über alles ging. Aber Julius’ altrömisches Menü hatte bei den richtigen Kirchenmännern Eindruck hinterlassen. Eine Kölner Bistumsdelegation war extra zum Probeschlemmen zu ihm gekommen – sie hatte die »Alte Eiche« pappsatt und breit grinsend wieder verlassen.
Julius hatte das altrömische Menü während der Ermittlungen um die ermordete Weinkönigin entwickelt. Sie hatte sich vor ihrem Tod eingehend mit der Geschichte des Tals befasst, was Julius dazu inspirierte, dies auf seine eigene kulinarische Weise ebenfalls zu tun.
Das altrömische Menü hatte ihm nun eine unerwartete Möglichkeit eröffnet.
Und die galt es zu nutzen.
Das Treffen katholischer Jugendlicher aus aller Welt in Köln stand kurz bevor, es galt ein Menü zu kreieren, das bei einem gemeinsamen Mittagessen des Papstes mit zwölf Auserwählten von fünf Kontinenten aufgetragen würde. Die Presse würde die Menüfolge aufsaugen wie ein knochentrockener Schwamm.
Dieses Essen musste wahrhaft paradiesisch werden.
Als Julius sich nach dem Probeessen auf den Weg zum nächsten Termin machte, packte er die mysteriöse Flasche einfach ein. Sie hatte plötzlich vor der Küchentür des Restaurants gestanden, die raus in den Garten führte. Da kam jeder rein, der wollte. Der Zaun war nur hüfthoch, und keiner der Nachbarn würde sich was dabei denken, wenn einer drüberstieg, weil Julius’ Köche es ab und an so machten, wenn sie zu spät kamen und heimlich in die Küche schleichen wollten.
Es war eine antikgrüne Burgunderflasche. Das Etikett war abgelöst worden. Sie hatte auf einem weißen Umschlag gestanden, teures Büttenpapier mit Wasserzeichen, darin eine Blanko-Karte mit zwei Worten: »Vinum Mysterium«.
Julius hatte sie zuerst mit einem Kochlöffel angestoßen, ein amateurhafter Test auf Plastiksprengstoff, aber ihm war nichts Besseres eingefallen. Sie war umgefallen. Und nicht explodiert. Da die Zeit drängte, nahm er sie mit zu August Herold, der nicht nur ein Freund war, sondern auch eine der schillerndsten Winzerpersönlichkeiten des Tals. Er kannte die hiesige Weinszene besser als den Motor seines Porsches – das konnte sich als hilfreich erweisen. Herold thronte in einem Seitental der Ahr, als wäre sein Gut der Familiensitz eines uralten Adelsgeschlechts im Herzen Burgunds.
Da der anonyme Anrufer, was die Flasche betraf, Wort gehalten hatte, stieg das Risiko, so fürchtete Julius, dass er es auch mit dem angekündigten Mord tun würde.
Andererseits gab es weiterhin die Möglichkeit, dass es nur ein dummer Scherz auf seine Kosten war. Mit einer nicht etikettierten Flasche konnte man seinen mittlerweile legendären Geruchssinn am besten auf die Probe stellen.
Und aufs Glatteis führen.
Das würde es sein. Ganz sicher.
FX hatte Julius zum Weingut Porzermühle gefahren, da dieser sich mit seinem Bein nicht hinters Steuer setzen wollte. Die anschließenden Schritte in den Keller waren schmerzhaft gewesen, aber nun saß Julius dort auf einem Hocker und übergab die sicherheitshalber ordentlich in einen Kaschmirpullover gehüllte Bouteille zur Begutachtung an August Herold. Obwohl Boden und Decke des Weinkellers aus kaltem Beton bestanden und der Raum mit keinerlei Utensilien der Winzerromantik geschminkt war, stellte sich mit dem ersten Atemzug der kaltfeuchten Kellerluft Magie ein. Denn in den kleinen französischen Barrique-Eichenholzfässern, die Hüfte an Hüfte lagen und unmerklich feinsten Wein ausatmeten, reiften Schätze. Es war, als würde man Kohle dabei zusehen, wie sie zu Diamanten wurde.
»›Vinum Mysterium‹, sagst du? Das interessiert mich aber jetzt. Die mach ich sofort auf! Was meinst du, Rolli, sollen wir Schutzbrillen aufsetzen?«
Rolli war auch da. Der krumm und schief gewachsene Rolli, wie ein alter Rebstock sah er aus. Und Rolli war nicht unbedingt Julius’ bester Freund. Er gehörte zu jenen Zeitgenossen, die nur zu den Menschen freundlich waren, von denen sie sich etwas versprachen. Das konnte Julius auf den Tod nicht ausstehen. Rolli Löffler kelterte Weine, die einen entweder dazu brachten, erfreut die Augenbrauen hochzuziehen oder sich äußerst unerfreut über einem Brückengeländer seines Mageninhalts zu entledigen. Wieso das so war? Das war eines der Geheimnisse, die nie jemand gelüftet hatte, und Julius lag nichts daran, sich noch eines aufzubürden. Immerhin war es kein tödliches Geheimnis, und damit fiel es nicht in seinen Zuständigkeitsbereich. So hatte es sich in den letzten Jahren nun mal entwickelt.
Herold setzte furchtlos das Kellnermesser an, bohrte die Spindel tief ins Fleisch des Korkens, zog ihn schwungvoll heraus und hielt ihn Julius zum Schnüffeln unter die Nase.
»Mal gucken, wann du tot umfällst!« Herold begann zu kichern, und Julius merkte erst jetzt, dass sein Freund bereits tief in einige Fässer geschaut hatte. Aber das war auch nötig gewesen, denn es war Melchior-Tag. Heute wurde das Top-Cuvée des Hauses kreiert. Die besten Fässer mussten herausgesucht und das Mischverhältnis der edlen Spätburgunder von Spitzenlagen festgelegt werden. Das hieß schauen, schnüffeln, schlürfen. Und ab und an einen Schluck, eigentlich musste natürlich immer gespuckt werden, aber wenn er doch so gut schmeckte?
Rolli lächelt debil wie ein zu groß geratenes Honigkuchenpferd. Er hatte Mühe, sich gerade zu halten.
Der Korken roch, wie gute Korken riechen – nach nichts. Es gab keine Prägung, die den Namen des Weingutes verriet. Vermutlich war die Flasche neu verkorkt worden. August Herold goss einen großen Schwall des Weins in einen der stets im Keller bereitstehenden Burgunderkelche und reichte ihn Julius.
»Ist deine Flasche, der erste Schluck steht dir zu!«
Rolli musste sich vor lauter Lachen gegen ein Fass lehnen, um nicht umzukippen.
Die Flasche gehörte ins Labor, das wusste Julius. Sie musste auf Gift untersucht werden. Aber wenn der Telefonanruf kein übler Scherz gewesen war, tickte die Uhr bedrohlich. Der Anrufer hatte von deutlich weniger als vierundzwanzig Stunden gesprochen und dass er ihn schon gestern Abend erreichen wollte. Die Uhr zeigte zwanzig nach acht. Wann hatte er ihn gestern wohl anrufen wollen? Gab es schon eine Leiche, die er hätte verhindern können? Oder blieb noch Zeit? Er musste sich dem einzigen Hinweis auf die entscheidende Weise nähern. Mit seinem Geruchssinn. Der würde mehr in Erfahrung bringen können als die polizeilichen Labore, da war sich Julius sicher. Wenn die Morddrohung echt war, würde er nun das einzig Richtige machen.
»Also, wenn ich so ein cleverer Mörder wäre, würde ich Gift in den Wein geben und dich damit binnen vierundzwanzig Stunden umbringen«, sagte Herold, nachdem er aus einem Barrique mit einem Plastikschlauch Wein angesaugt hatte. »Ich wäre mir absolut sicher, dass du ihn probieren würdest. Weiß doch jeder, dass deine Neugier vor nix Halt macht.« Er zog ein breites Grinsen in sein drei-Tage-bärtiges Gesicht.
Julius atmete tief durch. Riskierte er wirklich sein Leben?
War es nur ein Trick, um ihn dazu zu bringen, vergifteten Wein zu trinken? Aber das hätte der Täter doch viel einfacher in die Wege leiten können, oder?
Julius sah auf seine Uhr, beschloss mit dem Nachdenken aufzuhören und schnüffelte am Wein – amüsiert beobachtet von den beiden Winzern. Schwarze Kirsche, Cassis, dann noch reife Erdbeere und ein Hauch Schiefer.
Nichts an dem Wein roch nach Gift. Aber wie roch Gift eigentlich?
Julius wurde auch nicht schwindlig.
Er musste nachdenken. Was hatte er im Glas? Es war ein Burgunder, und er stammte von der Ahr. Sonst gab es diese besondere Duftkombination nirgendwo. Heimat konnte er riechen, ohne groß nachdenken zu müssen. Heimat hatte er schon im Mutterleib aufgenommen, da seine Erzeugerin fest an die stärkende Kraft des Ahrrotweins in der Schwangerschaft geglaubt hatte. Wie Obelix den Zaubertrank hatte Julius Spätburgunder in den Adern.
»Kommt aus dem Tal«, sagte er deshalb und reichte das Glas an Herold weiter, der es nur zögernd nahm. »Was meinst du, August? Untere Ahr?«
»Ich muss das Cuvée für meinen ›Melchior‹ zusammenstellen, weißt du doch. Ich hab jetzt keine Zeit für so was.«
»Nur riechen«, sagte Julius. »Siehst doch, dass ich noch stehe.«
Herold schnüffelte aus gehöriger Entfernung an dem Glas, und als er nicht direkt tot umfiel, näherte er sich der ziegelroten Flüssigkeit, ab und an zögerlich einatmend.
»Kann schon hinkommen, so floral, wie der ist. Wenig Schiefer in der Nase, kommt nicht von hier, eher aus Rollis Gegend. Müsste so zwei Jahre alt sein.«
»Eher vier«, erwiderte Julius. »Schau dir doch die Ränder an. Schon gut orange.«
Herold nickte und reichte das Glas an den bereits ordentlich angesäuselten Rolli weiter. Der roch nicht dran, sondern trank direkt. Wozu der Alkohol die Menschen doch machen konnte, dachte Julius. Goethe zum Dichterfürsten und Rolli zum Versuchskaninchen.
»Kommt mir irgendwie bekannt vor, den hab ich schon mal wo getrunken. Aber überzeugt mich nicht, ist irgendwie so aufgesetzt. So gewollt. Wüsste nicht, wer so was macht. Vielleicht hat eine Genossenschaft mal mit irgendwas rumexperimentiert.«
Julius beschloss, den Wein an der Luft stehen zu lassen. Er würde sich entwickeln und weitere Geheimnisse preisgeben. Einen Wein konnte man nicht hetzen, er musste sich stets die Zeit nehmen dürfen, die er brauchte. Morddrohung hin oder her.
Die drei Nasen trotteten nun gemeinsam von Fass zu Fass. Jedes wurde verkostet, jeder Tropfen analysiert. Eine Pilgerreise zum perfekten Cuvée. Was musste vermählt werden, um einen komplexen, ausgewogenen und typischen Porzermühle-Wein zu kreieren?
»Ich begreif nicht, wie die alle immer so unterschiedlich ausfallen können«, sagte Rolli fassungslos und trank das nächste Glas. »Alles dieselben Fässer vom selben Küfer. – Aber hinten das macht den Wein ruppig, und das hier gibt ihm das gewisse Etwas«, er klopfte auf eines der Alliereiche-Fässer, »der Tropfen muss unbedingt mit in den ›Melchior‹!«
August Herold füllte etwas in eine Karaffe ab und stellte sie zu den anderen auf einen schlichten Holztisch, dann goss er den Wein der besten Fässer zusammen. »Der muss es jetzt sein!«, sagte er hoffnungsvoll, denn vier Stunden Verkosten schlauchten Gaumen und Hirn.
Aber sein Gesicht verriet: Der ist es wieder nicht. »Ich bin es leid, dann gibt es dieses Jahr eben keinen ›Melchior‹. Ich mach mir meinen Namen nicht durch einen Wein kaputt, der einfach nicht gut genug ist.«
Rolli hatte das Probeglas leer getrunken. »Aber der ist doch super! Beim nächsten Mal nimmst du noch mehr neues Holz, dann wird er noch besser, und der Horressen gibt dir eine Wahnsinnspunktzahl, glaub es mir!« Rollis Handy klingelte, das heißt, es spielte polyphon einen Top-Ten-Dancetrack.
»Weinvernichtungsstelle Mayschoss. – Ach, du bist es! – Nein, ich bin beim August, weißt du doch. – Was? Wirklich? – Ja, klar, da komm ich direkt. – Natürlich kann ich noch fahren, kling ich etwa schon so besoffen? – Du fängst gleich eine! Bin direkt da. Bis gleich!« Er blickte Herold an. »Muss leider weg, die Pflicht ruft. Ruhm und Ehre winken. Aber ich darf nichts verraten. Man sieht sich!« Er verabschiedete sich noch nicht einmal von Julius, der in einer weit entfernten Ecke des Kellers vor sich hinwerkelte.
Herold sank auf den Boden, die Luft war raus.
Neben ihm tauchte nach einigen Minuten Julius auf, der unbemerkt an einem Fass gezapft hatte, das bereits in der ersten Runde aussortiert worden war. Während Herold den Boden anstarrte, als würde dort gleich in brennenden Lettern die Lösung auftauchen, stellte Julius ein neues Cuvée zusammen. Doch er nahm nicht nur Anteile der besten Fässer, sondern auch aus dem mit dem »kleinen« Wein, den er gerade ausgewählt hatte.
Das so gefüllte Glas reichte er Herold.
»Lass es gut sein, Julius. Ich will nicht mehr. Und ich dachte, dieses Jahr wird’s besonders einfach. So ein Superjahrgang, wahnsinnig reif und gesund, die Trauben, hohe Analysewerte, alles passt. Tja, Satz mit X!«
Julius schnippte mit dem Fingernagel an das Glas, sodass es hell erklang. »Probier mal deinen neuen ›Melchior‹.«
Herold lächelte schwach und trank den Wein.
Innerhalb von Sekunden war er auf den Füßen.
Und stand wieder wie gewohnt unter Starkstrom.
Er strahlte, und Julius strahlte zurück.
»Wie hast du das gemacht?«
»Ein Koch denkt wie ein Koch. Man muss manchmal das Profane mit dem Feinen kombinieren, um Aha-Erlebnisse zu schaffen. In einem heißen Jahr fehlt es den Weinen an Säure, deshalb hab ich deine kleinste Spätlese mit reingemischt, die ist jetzt das Gegengewicht zu den dicken Krachern. Nun ist alles im Lot. Und dafür krieg ich zwölf Flaschen von dem Zeug, sonst erzähl ich überall rum, dass du so verzweifelt warst und sogar Rolli um Hilfe gebeten hast.«
»Vierundzwanzig!«, rief Herold. »Und eine Wildschweinsalami obendrauf, und wenn ich eine Tochter hätte, würdest du sie zur Frau bekommen, Schwiegersohn!« Er gab Julius einen Schmatzer auf die Stirn. »Wahnsinn, bist du also doch zu was zu gebrauchen. Muss ich direkt der Christine erzählen. Bin sofort wieder da.«
Julius konnte sich gerade noch in den Weg stellen, um Herold am Hochsprinten zu hindern. »Mach dir mal einen schönen Abend mit deiner Frau, ich muss jetzt sowieso weg, Bein hochlegen.«
»So machen wir das. Werd schnell wieder gesund, mein Lieber!«, sagte Herold und verschwand.
Julius nahm wieder den mit »Vinum Mysterium« gefüllten Burgunderkelch in die Hand, der nun ausgiebig Zeit zum Atmen gehabt hatte. Zeigte der Wein jetzt sein wahres Gesicht?
Er hängte seine Nase ins Glas.
Untere Ahr, keine Frage.
Vier Jahre alt, auch da kein Zweifel.
Zu viel Holz, aufgesetzt, da hatte Rolli Recht.
Hier hatte einer prahlen wollen. So ein Wein bekam hohe Wertungen. Wer hatte die vor vier Jahren eingeheimst? August Herold natürlich, das Weingut Schultze-Nögel wie immer, Ninnat, Bassewitz hatte einen guten Jahrgang gehabt, und Rolli. Sein Heimersheimer Burggarten Spätburgunder war so ein Bodybuilder gewesen. Aber der hätte seinen legendären Wein wohl erkannt. Er musste François hinzuziehen, den Sommelier der »Alten Eiche«, vielleicht hatte der eine Idee. Vielleicht war es aber auch vollkommen egal. Es war nach elf, und kein Mord war geschehen, sonst hätte sein Handy längst geklingelt. So war das eben, wenn die Freundin in der Mordkommission arbeitete.
Julius kraxelte umständlich die steilen Stufen ins Flaschenlager hinauf und stahl sich dann durch das große Eichentor nach draußen. Irgendetwas knackte klirrend unter seinen Füßen, doch in der Düsternis konnte er nicht erkennen, was es war. Der Mönchberg wurde vom Mond beschienen und hatte das wunderbare tiefe Blau eines Chagall-Bildes.
Gott, konnte es hier schön sein.
Julius humpelte Richtung Weinberge, um Empfang für sein Handy zu bekommen, damit er ein Taxi rufen konnte. Auf dem großen Weingutsparkplatz stand nur ein einziger Wagen. Bei dem Grand Cherokee, einem elenden Angeberauto, wie Julius fand, brannte innen noch Licht. Er konnte seiner Neugier nicht widerstehen und riskierte einen Blick.
Rolli saß auf dem Fahrersitz.
Es sah aus, als sei er eingenickt.
Doch überall war Blut.
Als hätte man eine Sau geschlachtet.
Und die große Wunde an Rollis Hinterkopf klaffte eine gute Hand breit auf.
»Ich sag jetzt nicht, dass man dich nicht allein lassen darf, okay? Und dafür hab ich was bei dir gut!«
Anna von Reuschenbergs fein gezeichnetes Gesicht wurde flackernd vom Blaulicht der Polizeiwagen erhellt. Sie wirkte erstaunlich ruhig in dem wahnsinnigen Trubel vor dem Weingut Porzermühle, fand Julius. Aber sie blickte ihn vorwurfsvoll an.
Sämtliche Hunde der Nachbarschaft heulten jetzt wie ein riesiges Wolfsrudel, nachdem der Rauhaardackel eines Proktologen begonnen hatte, sich ordentlich in die Brust zu werfen. Ganz Mayschoss war auf den Beinen, genauer auf den Zehenspitzen, um auch ja nichts zu verpassen. Ein bärtiger Nachbar, dem man die Abstammung vom Affen deutlich ansah, hatte es so eilig gehabt, dass er nur eine dünne Jacke über seinem abgewetzten beige-rosa Schlafanzug trug.
Julius ertappte sich dabei, wie er die Menge nach bekannten Gesichtern absuchte, während der Tatort mit Kamera und Blitzlicht dokumentiert wurde. Rollis Grand Cherokee auf dem Parkplatz. Blitz. Nahaufnahme: Alle Scheiben hoch, die Türen zu. Blitz. Die Umgebung des Wagens von jeder Seite, keine Fußspuren im Kiesbett. Blitz. Das Wageninnere: Rollis Kopf vornübergebeugt, die Arme schlaff am Körper. Blitz. Die Wunde am Hinterkopf. Blitz. Blut auf der seitlichen Fensterscheibe. Blitz. Blut auf Armaturenbrett und Frontscheibe. Blitz.
Die Bilder hatten sich längst auf Julius’ Netzhaut eingebrannt. Und sie schmerzten. Rolli war sicherlich kein besonders liebenswerter Mensch gewesen, aber so etwas war niemandem zu wünschen.
Anna schob Julius in die Einfahrt zur Kelterhalle, stellte sich vor ihn und verschränkte die Arme. Ihre Haare waren vom Wind zerzaust, weswegen Julius sie notdürftig zurechtstrich. Dabei stellte er wieder einmal fest, wie gut ihre katzenhaften Züge zur Nacht passten.
»Wie kommt es, dass ich dich hier treffe?«, fragte sie. »Ich bekomme langsam wirklich den Eindruck, du ziehst Morde an wie ein Kuhfladen Schmeißfliegen«
Julius war zu durcheinander, um Anna eine angemessene Retourkutsche zu geben. »Ich muss dir was erzählen …« Und er berichtete von dem anonymen Anruf und der rätselhaften Flasche. Allerdings nicht, dass er sie verkostet hatte. Bevor Anna etwas erwidern konnte, schob er ein »Du hättest die Sache sowieso nicht ernst genommen, gib’s doch zu!« hinterher.
Anna blickte unruhig zum Tatort, wo sie jetzt eigentlich sein sollte. »Wir müssen von Berufs wegen jeder Spur nachgehen.«
»Hör doch auf!«
Ihr Name wurde gerufen. »Wir reden gleich weiter …« Sie rannte mehr, als dass sie ging, in Richtung des abgesperrten Parkplatzes. Neben Julius erschien August Herold.
»Julius, ich bin nüchtern. So stocknüchtern war ich mein ganzes Leben nicht. Der gute, alte Rolli vor meinem Weingut ermordet. So was gibt’s doch gar nicht.«
»Lass uns reingehen, hier ist es mir zu ungemütlich. Außerdem könnte ich jetzt gut was vertragen.«
Julius humpelte, sein bandagiertes Bein nur vorsichtig aufsetzend, neben August Herold zum Wintergarten, der wie eine riesige durchsichtige Schmuckschatulle an den Weingutsturm grenzte.
Herold sah ihn fragend an. »Was passiert da jetzt bei Rolli?«
Julius öffnete die Wintergartentür und ließ sich rasch auf einen der Korbstühle mit den blauen Hussen fallen. Es knackte vernehmlich.
»Die suchen Zeugen, klingeln an allen Nachbarshäusern. Andere Beamte packen alles, was am Tatort nicht niet- und nagelfest ist, in kleine Tütchen, wieder andere fotografieren, und erst wenn das erledigt ist, bist du sie los.«
Herold ging zum mannshohen Kühlschrank, der im Gang zum Büro stand. Eine Flasche bereits in der Hand hielt er inne. »Meinst du, wir sollten den gerade komponierten Wein zum Gedenken an ihn …?«
»›Rolli‹ nennen? Klingt nicht gut. ›Melchior‹ ist viel besser, August. Du fühlst dich doch nicht etwa schuldig?«
»Ich hätte Überwachungskameras einbauen lassen sollen.«
»Tot wäre er trotzdem«, sagte Julius, obwohl er sich dabei nicht sicher war. Doch was brachte es, August Herold ein schlechtes Gewissen zu machen?
Der Winzer kam und goss Julius den kühlen Wein in ein schlankes Weißweinglas, das sofort beschlug. Plötzlich kam Anna hereingeschossen.
»Herr Herold, könnten Sie mich und Herrn Eichendorff bitte einen Moment allein lassen. Zu Ihnen komme ich später.«
Herold hob abwehrend die Hände empor – er sprach gern mit vollem Körpereinsatz – und verschwand in den Wohntrakt. Julius bekam einen Kuss auf die Stirn und einen Klaps auf den Hinterkopf, bevor Anna sich ihm gegenübersetzte.
»So, jetzt wissen die Kollegen, was zu tun ist. – Julius, ich ahne schon, ich brauche dich nicht darum zu bitten, nicht auf eigene Faust zu ermitteln.«
»Mit doppelten Verneinungen habe ich so meine Probleme. Ich sag’s mal so: Nein, du musst mich nicht bitten.«
Anna blickte ihm tief in die Augen. Julius versuchte, so unschuldig zu gucken wie ein Welpe. Ein Lächeln erschien auf Annas rosa Lippen.
»Sehr clever! Ich muss dich nicht bitten, weil du es sowieso machst.«
»Jetzt hatte ich mich gerade an doppelte Verneinungen gewöhnt. Du überforderst mich!«
Anna griff sich sein Glas. Das war eine ihrer schlechten Angewohnheiten, wie Julius fand. Immer trank sie ihm seinen Wein weg, auch wenn sie vorher gesagt hatte, sie wolle keinen. Dann meist sogar noch mehr.
»Der tat mir jetzt gut.« Sie blickte Julius an und nickte. »Ich weiß, was du von mir hören willst: Informationen. Viel gibt es aber noch nicht. Roland Löffler ist wohl gerade mal eine Stunde tot, aber das weißt du ja selbst. Er wurde mit einem stumpfen, keulengroßen Gegenstand erschlagen. Und wer immer das gemacht hat, er wusste genau, wo die Sollbruchstelle am Kopf ist. Was für eine Waffe es war, werden wir erst nach den Laboruntersuchungen wissen. Vielleicht finden sich ja Partikel davon in der Kopfhaut, mal schauen.« Sie lehnte sich über den Tisch und sprach nun leiser. »Eine Sache ist allerdings merkwürdig. Das, was überall im Auto klebt, an den Scheiben, auf dem Lenkrad, am Polster, an der Kopflehne, ist kein Blut. Das ist Wein.«
Ein Treppenlift, das wär’s jetzt, dachte Julius, als er sich am nächsten Nachmittag Stufe um Stufe in den Weinkeller der »Alten Eiche« hinunterquälte. Ein Knopfdruck, und er wäre unten, könnte auf dem Weg sogar noch die Aussicht genießen. Wunderbar. Aber nein, er hatte ja keinen und musste sich deshalb mit Krücken an FX vorbeischleichen, damit der ihn nicht wie einen gebrechlichen älteren Herrn stützte, der nicht mehr allein zu seinen geliebten Flaschen kommt. Der Arzt hatte Julius heute einen unpraktischen Gipsverband verpasst, und je schneller der wieder abkam, desto besser. Und wenn er sich dafür schonen musste, dann würde er sich schonen, wie sich noch nie ein Mensch zuvor geschont hatte. Er würde sich schonen, bis der Rücken wund wurde vom Liegen. Keinen Zentimeter würde er sich mehr bewegen. Und nur noch Multivitaminsaft trinken. Selbst entsaftet natürlich. Sein Hausarzt würde Augen machen. Das Wunder von Heppingen, das würde er werden.
Aber erst nach einem Besuch im Weinkeller.
Flaschen angucken.
Als er unten ankam und sich endlich wieder auf beide Krücken stützen konnte, atmete er erst einmal durch. Und noch einmal. Dann erst fragte er sich, wie er je wieder hochkommen würde.
Er wäre bepackt mit Flaschen.
Das würde den Schwierigkeitsgrad noch etwas steigern.
Aber das war, beschloss Julius, etwas, worüber er nach seinem Besuch im Keller nachdenken konnte. Da gab es nämlich Gläser. Und die halfen, richtig gefüllt, beim Denken ungemein. Allein im Weinkeller, das war wie Kurzurlaub.
Er öffnete die unverschlossene Tür.
Ein erschrecktes Kieksen erklang.
François zog seine Hände vom Flaschenregal, als habe er eine Bouteille unsittlich berührt. Als Sommelier der »Alten Eiche«, als Verantwortlicher für alles, was mit Wein zu tun hatte, durfte er natürlich hier sein. Zur Kontrolle der Bestände, zur Auswahl der offenen Weine, es gab viele gute Gründe. Aber Julius hatte das Gefühl, dass es keiner davon war, der den Sommelier hierher geführt hatte. Sein südafrikanischer Angestellter mit der schlanken und hochgewachsenen Figur eines Dressman würde sonst nicht rot anlaufen. Und das kleine Schüsselchen mit dem Wasser und der Seife auf dem Eichentischchen ergab auch keinen Sinn.
»Hast du mir was zu sagen, Herr van de Merwe?«, fragte Julius.
»Ich dachte, du könntest mit deinen Krücken nicht hier runterkommen! Schön, dass es dir schon besser geht.«
»Ist der Keller jetzt dein privates Badezimmer, oder wie darf ich das verstehen?«
François stellte den Kellerhocker vor Julius und half ihm beim Hinsetzen. »Möchtest du vielleicht einen Schluck trinken?«
»Ist es so schlimm, dass du mich erst besoffen machen musst, bevor du es mir erzählst?«
François blickte nervös auf die Uhr. Und dann noch einmal. Er schien zerstreut. »Was? Ach, du meinst das Wasser? Nein. Du dürftest, also solltest, Julius, du musst dich wirklich schonen, das Bein hochlegen. Du solltest jetzt zu Hause sitzen, wirklich.«
Julius schubste mit einer Krücke die Wasserschüssel an. »Treibst du hier irgendwas Amouröses? Hat sich da irgendwo noch jemand versteckt?«