Das Buch
Wir fühlen uns oft allein. Zuweilen sehr allein, sogar verlassen. Dieses Alleinsein hat jedoch nichts mit dem All-Ein-Sein zu tun, das der Zen-Meister Alexander Poraj beschreibt. Im All-Ein-Sein spüren wir Weite, eine Art Entgrenzung und gleichzeitig Fülle. Wir urteilen kaum und sind mit dem Sosein völlig einverstanden und zusehends eins. Wir sind da und im Frieden.
»Zen ist die Erfahrung, dass nichts miteinander in Verbindung stehen muss, denn es gibt überhaupt keine Trennung. Es gibt nur das -All-Ein-Sein. All-Ein-Sein gibt und vergibt sich und bleibt so, wie es ist: All-Ein.«
Der Autor
Dr. Alexander Poraj, geboren 1964, ist Zen-Meister der Zen-Linie »Leere Wolke« und »Wolke des Nichtwissens – Kontemplationslinie Willigis Jäger«. Er ist spiritueller Leiter des Benediktushofes und Vorstandsvorsitzender der »West-Östliche Weisheit – Willigis Jäger Stiftung«.
ALEXANDER PORAJ
ALL-EIN
ZEN ODER DIE ÜBERWINDUNG
DER EINSAMKEIT
KÖSEL
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Copyright © 2018 Kösel-Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Textredaktion: Dr. Peter Schäfer, Gütersloh
Umschlag: Weiss Werkstatt, München
Umschlagmotiv: © charles taylor/shutterstock.com/Nr. 9118381;
© Feliks Kogan shutterstock.com/Nr. 42844252
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-22053-2
V002
www.koesel.de
Unseren Ahnen gewidmet
Inhalt
Prolog: Die Lese beginnt
Das Alleinsein
Sind wir vereinzelt, und wenn ja, was soll die Frage?
Wir sind ver-rückt, ohne es zu merken
Ich allein?
Es kommt der Frage nichtauf die Antwort an
Infragestellen unerwünscht
Meditation als Ausweichmanöver
Was Vorstellungen mit uns anstellen
Gedanken: das reinste Theater
Im Auge des Wirbelsturms
Die Ungewissheit: aushaltbar?
Die Angst: Bieten Selbstbilder genügend Schutz?
Der Ernst: Gut ist, was festgelegt wurde
Die Selbstgewissheit: Geht’s auch ohne?
Das Selbstgefühl
Die Sehnsucht
Die Vermeidung der Sehnsucht
Sehen und Gesehen werden
Die Verwechslung
Bitte nicht fliehen!
David gegen Goliath
Das All-Ein-Sein
Der Wirbelsturm der Sehnsucht
Karussell fahren
Die Gefühle
Der Sinn spinnt
Unvorstellbar
Wir waren nie wirklich weg
Der Notruf
Das Er-Lesene
Die Spät-Lese
All-Ein
Leben: Die Fülle des Unfassbaren
Das Heilige
Die Liebe
Die Zen-Haltung
Epilog
Lesenswertes, Hörenswertes
Textnachweis
Prolog: Die Lese beginnt
»Etwas zu schreiben, um es der Nachwelt zu hinterlassen, ist nur ein weiterer Traum. Wenn ich erwache, weiß ich: Da wird es keinen geben, der es liest.«
Ikkyu Sojun (1394–1481)
Einer alten Redewendung zufolge ist Reden Silber und Schweigen Gold. Wo wäre dann aber das Schreiben zu verorten? Es scheint mit beidem zu tun zu haben: Man schweigt und drückt sich dennoch aus.
Wie ist es mit dem Lesen? Zunächst können wir sagen: Schreiben hängt mit Lesen zusammen. Sollte Sie diese Feststellung etwas überraschen, dann lassen Sie uns bitte das Wort »Lesen« auf seine ursprüngliche Bedeutung zurückführen: Unter »legere« verstanden die Römer in einer konkreten Bedeutung »sammeln«, »pflücken« und »zusammentragen«. In einer übertragenen Bedeutung war damit das Deuten und Zusammensetzen von Buchstaben gemeint. Die konkrete Bedeutung hat sich bis heute in Wörtern wie »Lese« und »Weinlese« erhalten. Wir dürfen daher unter der »Lese« nicht die Beschäftigung mit Buchstaben, die aneinandergereiht Worte und Begriffe ergeben, mit denen wir die Wirklichkeit zu erfassen versuchen, verstehen. Bei Weitem nicht. Die Lese ist vielmehr das Einsammeln reifer Früchte.
Und dennoch kann es passieren, dass beide Bedeutungen zusammenkommen: Das Lesen eines Buchs kann einem Sammeln von Früchten gleichkommen, wenn es in dem Buch um besondere Erkenntnisse geht. Um Erkenntnisfrüchte, die es zu pflücken gilt.
Die Lese darf also weder zu früh noch zu spät erfolgen. Das gilt für beide Seiten, für die Frucht und für den Sammler beziehungsweise den Leser gleichermaßen. Dessen ungeachtet geschieht es trotzdem häufig, dass der Leser den »Ruf der Reife« nicht abwartet. Er folgt eher seiner Ungeduld oder seiner Unruhe. Dann aber ereignet sich kein Lese-Vergnügen, denn dann verweigert sich das Gelesene dem Leser oder umgekehrt, der Leser dem zu Lesenden, und jeder bleibt bei sich, voneinander unberührt und damit gewissermaßen unerkannt.
Bleiben wir einen Augenblick länger bei der Lese, so werden wir gewahr, dass sie nur ein weiterer Schritt in der Wandlung der Früchte und des Lesers ist. Das beinhaltet schon die Tatsache, dass einige der Früchte sofort verzehrt werden. Es sind derer aber so viele, und bei genauerem Hinsehen ist der Ertrag so reich, dass wohl niemals ein einziger Leser auch nur einen nennenswerten Teil davon vertragen könnte. Der Ertrag ist einfach unermesslich.
Und so geschieht es dem Schreibenden. Ausgestattet mit den Werkzeugen der Sprache, »liest« er das Geschehene zusammen und sammelt das Erlebte ein. Deswegen folgt das Schreiben wie die Lese der Reife der Frucht. Die Reife aber ist nicht immer gegeben. In einem ganzen Buch sind manchmal nur wenige Sätze oder Passagen, die der Lese wirklich entsprechen. Sie sind dann mehr »der Lese wert« als andere Passagen.
Beides also, sowohl Lesen als auch Schreiben, können Gold oder aber Silber sein, um noch einmal auf die alte Redewendung zurückzukommen.
Der überwiegende Teil des Buches beschreibt die Suche und das Ringen um die Frucht. Nicht die Frucht selbst. Diese kann nämlich nur im Lesenden zur Reife gelangen.
Leser und Schreibender ernten nicht exakt die gleiche Frucht. Das ist ein Geheimnis. Die Lese ist eine Haltung, die sich ereignet, wenn die Umstände reif sind. Damit ist die eigentliche Frucht das, was kurzzeitig wirkt, wenn ein Augenblick gelesen wurde. Wurde der Augenblick wirklich geerntet, so ist er gelesen. Ist er gelesen, so ist er für den Leser »erlesen«. Und im Erlesen-Sein findet eine gewisse Vollendung statt, an der wir als Menschen Anteil haben. Wir waren dabei, und wir wissen es. Mehr können wir nicht tun. Mehr müssen wir nicht tun.
Dann aber keltert und destilliert der Schreibende das Aufgelesene und füllt das Destillat ab. So kann ein Buch entstehen. Es ist in der Regel ein niedergeschriebenes, mithin abgefülltes Destillat. Ein Trank für gewisse Anlässe. Dieses Buch hat jedenfalls solch eine Entstehungsgeschichte. Es ist die Geschichte einer bestimmten Lese und lädt Sie, liebe Leserin und lieber Leser, ebenfalls zu einer Lese ein. Lesen Sie aber in sich selbst. Die Worte des Buches sind lediglich das gewisse Etwas, welches der in uns schlummernden Lese-Bereitschaft den nötigen Stoß versetzt, damit sie aus ihrem Schlummer erwacht. Es sind aber Ihre eigenen Früchte, die Sie ernten werden und nicht meine. Das ist mir wichtig zu erwähnen. Denn stimmt die Zeit, dann fällt die Frucht. Ihre Anwesenheit als Leser macht aus dieser Tatsache einen erlesenen Moment. Auf jeden Fall wünsche ich Ihnen solche Momente.
DAS ALLEINSEIN