Cover

Buch

Sie sind zwischen 1995 und 2005 geboren und damit die erste ­Generation, die schon im Jugendalter ein Smartphone besitzt. Sie verbringen Stunden in sozialen Netzwerken und mit dem Schreiben von Kurznachrichten, sehen ihre Freunde aber seltener von Angesicht zu Angesicht. Sie sind toleranter, drehen sich jedoch mehr um sich selbst. Sie werden langsamer erwachsen und haben ein höheres Sicherheitsbedürfnis. Anhand von zahlreichen Interviews zeichnet die Psychologin Dr. Jean M. Twenge ein erhellendes Bild dieser neuen Generation und verdeutlicht, warum es für uns alle wichtig ist, sie zu verstehen. Denn sie werden es sein, die unser aller ­Zukunft prägen.

Autorin

Dr. Jean M. Twenge ist Professorin für Psychologie an der San ­Diego State University. In Langzeitstudien erforscht sie dort die Entwicklung von Generationen. Sie lebt mit ihrem Ehemann und drei Töchtern in San Diego, USA.

Dr. Jean M. Twenge

Mein Kind,
sein Smartphone und ich

Warum es so wichtig ist,
die neue Generation zu verstehen

Aus dem amerikanischen Englisch
von Nikolaus de Palézieux

Deutsche Bearbeitung:
Hendrik Heisterberg

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »iGen« bei Atria Books, New York.

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

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Dieses Buch ist bereits 2018 unter dem Titel
»Me, My Selfie and I« im Mosaik Verlag erschienen.

1. Auflage

Aktualisierte vollständige Taschenbuchausgabe Juli 2021

Copyright © 2017 der Originalausgabe: Jean M. Twenge. PhD

Copyright © 2021 dieser Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München

Published in agreement with the author, c/o Baror International, Inc.,
Armonk, New York, USA

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: Stocksy / Alto Images

Redaktion und Aktualisierung 2020: Hendrik Heisterberg

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

GS ∙ TW

ISBN 978-3-641-26216-7
V001

Besuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

Für Julia, die Letzte aus der Generation Selfie

Inhalt

Vorwort zur deutschen Ausgabe

EINLEITUNG: Wer ist die Generation Selfie, und woher weiß man das?

Die Geburtsjahrgangsgrenze

Die Daten

Der Kontext

Die Einwände

Der Weg vor uns

KEINE EILE: Erwachsen werden – aber langsam

(Nicht) Ausgehen und (nicht) miteinander rummachen

Warum Teenager sich immer weniger wie Erwachsene benehmen

Der Rückgang der Schlüsselkinder

Der Rückgang der Teenjobs

Kredit von der Mama-und-Papa-Bank

Wer säuft, verliert

Die Ausdehnung der Kindheit

Kommt das, weil Teens mehr Verantwortung übernehmen?

Partner, keine Gefangenen

ONLINE-ZEIT: Internet – ach ja, und andere Medien

Alle machen mit: Soziale Medien

Sind Bücher tot?

Witzige Katzen-Videos 2018!

NICHT MEHR PERSÖNLICH: Ich bin bei dir, aber nur virtuell

Einfach nur abhängen

Lasst uns treffen (oder auch nicht)

Die Displays werden dunkel: Psychische Gesundheit und Glück

Steinzeitmenschen-Gehirne und soziale Kompetenz

UNSICHER: Die neue psychische Krise

Alles ist (nicht) super

FOMO – Verlassen und einsam

Die Angst, dass du leben musst: Depression

Eine Epidemie der Qualen: Schwere depressive Störung, Selbstverletzung und Selbstmord

Woher kommt der Anstieg von psychischen Problemen?

Den Schlaf rauben

Was können wir tun?

GOTTLOS: Verlust von Religion (und Spiritualität)

Ein Teil der Herde: Öffentliche Religionsausübung

Gläubig, aber anders

Ich verliere meine Religion: Private religiöse Überzeugungen

Die Religion und das 21. Jahrhundert

Aus »spirituell, aber nicht religiös« wurde »nicht spirituell und nicht religiös«

Die Spaltung: Religiöse Polarisierung durch sozioökonomischen Status und Region

Zu viele Regeln: Warum Religion zurückgegangen ist

Wie Europa, nur mit größeren Autos: Die religiöse Landschaft der Zukunft

ISOLIERT, ABER NICHT WIRKLICH: Mehr Sicherheit, weniger Gemeinschaft

Pass auf dich auf

Die Gefahren des Trinkens und die Sicherheit des (Haschisch-)Rauchens

Rückgang der Prügeleien und Abnahme der sexuellen Übergriffe

Bitte kein Risiko

Ein Safe Space für alle Studenten

Die Sicherheit des Elternhauses – überall

Es ist Ihr Job, uns zu schützen und für unsere Sicherheit zu sorgen

Wie sind wir da hingekommen?

Vor- und Nachteile des Beschützens

Nicht mehr intrinsisch

Ich bin nur hier, weil ich es muss: Einstellungen gegenüber Schule und College

Fürsorge und Gemeinschaft

Was lernen sie online?

EINKOMMENSUNSICHERHEIT: Arbeiten für Geld – aber nicht, um zu shoppen

Das Beste am Job

Ein Ort zum Arbeiten

Arbeit ist was für alte Leute

Kann ich das schaffen?

Erwartungen: Ist die Blase endlich geplatzt?

Was sie wollen: Die Generation Selfie als Käufer

UNBESTIMMT: Sex, Ehe und Kinder

Sex in der Tinder-Generation

Generation Porno

Sich Gefühle einfangen

Ich heirate … irgendwann

Ich weiß nicht, ob ich Kinder will

INKLUSIV: LGBT und Gender-Themen im neuen Zeitalter46

LGBT: Die Liebe gewinnt

Jung und transsexuell

Geschlechterrollen: Wer macht was?

Meinungsfreiheit, Safe Spaces und Triggerwarnungen

Nur ein paar Aktivisten – oder eine neue Norm?

Mikroaggressionen: Tausend kleine Nadelstiche

Freie und offene Diskussion

UNGEBUNDEN: Politik

Probleme politischer Parteien

Libertäre Jugend: Marihuana und Abtreibung legalisieren, Todesstrafe und Waffenkontrolle abschaffen

Ich traue dir einfach nicht und will nicht mitmachen

Kein großer Fan von Nachrichten

SCHLUSS: Die Generation Selfie verstehen – und ihr helfen

Leg das Smartphone weg

Smartphone-Lebenshilfe

Nacktfotos und Porno

Das personifizierte Defizit

Angst und Depression besiegen

Langsam erwachsen werden

Sicher, dabei nicht unvorbereitet

Die Generation Selfie im Klassenzimmer

Die Generation Selfie in Jobs holen und halten

Was erwartet die Generation Selfie?

Danksagung

Quellennachweis

Anmerkungen

Personenregister

Sachregister

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Viele Trends schwappen aus den USA zu uns herüber – wenn diese These in den letzten fünfzig Jahren auf einen Lebensbereich besonders zutraf, dann war es die Jugendkultur. Das gilt nicht zuletzt für das World Wide Web, den wichtigsten US-Import der jüngeren Vergangenheit. Im Internet fühlen sich heutige Jugendliche zu Hause, bevölkern soziale Netzwerke und Chatrooms und beherrschen wie selbstverständlich die dafür notwendigen Technologien. Ihr treuester Begleiter, das Smartphone, garantiert ihnen permanente Online-Mobilität und macht sie rund um die Uhr verfügbar.

In ihrem Porträt der heute dreizehn- bis dreiundzwanzigjährigen US-Amerikaner, die keine Welt ohne Internet kennen, zeichnet die Soziologin Jean M. Twenge das vielschichtige Bild einer Generation, die ein ganz und gar anderes Leben führt als die vorausgegangenen »Babyboomer« (ab Mitte der 1940er bis Mitte der 1960er geboren), die »Generation X« (zwischen 1965 und 1979 geboren) und die »Millennials« (in den 1980ern und frühen 1990ern geboren). Mutmaßlicher Grund: das Smartphone.

Obwohl Dr. Twenges Studien und Erkenntnisse vor allem die Vereinigten Staaten betreffen (die sich beispielsweise hinsichtlich Demographie und Schulsystem deutlich von Deutschland unterscheiden), kann man davon ausgehen, dass sich ein Großteil der Entwicklungen auf Deutschland übertragen lässt. Zahlreiche hiesige Jugendstudien und Interviewzitate, die in die deutsche Bearbeitung ihres Buchs eingeflossen sind, zeigen: Auch hierzulande bestimmen Smartphone und Internet längst den Alltag der Jugendlichen, verändern deren Medienkonsum und Freizeitgestaltung. Die heutigen Teenager in Deutschland unterscheiden sich in ihrem Verhalten und in ihren Vorlieben nur unwesentlich von Jugendlichen in anderen westlichen Ländern, wie etwa den USA. Die Lektüre dieses Buches dürfte also auch für deutsche Leserinnen und Leser lohnend und erhellend sein.

Die vorliegende Bearbeitung folgt nicht in jeder Hinsicht dem wissenschaftlichen Ansatz der Originalausgabe. So wurde auf einige US-spezifische Informationen verzichtet, ebenso auf die umfangreichen bibliographischen Nachweise. Die Namen der zitierten Kinder und Jugendlichen wurden aus Rücksicht auf ihre Persönlichkeitsrechte teilweise geändert.

EINLEITUNG
Wer ist die Generation Selfie, und woher weiß man das?

Als ich die 13-jährige Athena an einem Sommertag gegen Mittag erreiche, hört sie sich so an, als sei sie gerade aufgestanden. Wir plaudern ein wenig über ihre Lieblingssongs und Fernsehshows, und ich frage sie, was sie mit ihren Freundinnen am liebsten macht: »Wir gehen ins Shoppingcenter«, meint sie. »Lassen eure Eltern euch denn alleine losziehen?«, frage ich, wobei ich an meine eigene Schulzeit in den Achtzigern denke, als ich ein paar elternfreie Stunden mit meinen Freundinnen genoss. »Nein – ich gehe mit meiner Familie da hin«, sagt sie. »Wir gehen mit Mama und meinen Brüdern los und bleiben ein Stück hinter ihnen. Ich muss meiner Mama nur sagen, wohin wir gehen. Ich muss mich jede halbe oder ganze Stunde zurückmelden.«

Mit der Mutter im Shoppingcenter abzuhängen ist nicht der einzige Unterschied im sozialen Leben der heutigen Jugend im Vergleich zu früher. Athena und ihre Freundinnen auf der Middleschool in Houston, Texas, kommunizieren eher über ihre Smartphones, als dass sie sich persönlich treffen. Ihr Lieblingsmedium ist Snapchat, eine Smartphone-App, die es den Teilnehmern ermöglicht, Bilder zu verschicken, die schnell wieder verschwinden. Vor allem lieben sie den »dog filter« von Snapchat, der den Gesichtern von Menschen comicartige Hundenasen und Hundeohren verpasst, wenn sie fotografiert werden. »Das ist Hammer – einfach der süßeste Filter ever«, meint sie. Sie sind auch sehr hinter ihren Snapstreaks her, die ihnen zeigen, wie viele Tage hintereinander sie schon miteinander über Snapchat gechattet haben. Manchmal machen sie Screenshots von besonders albernen Bildern ihrer Freundinnen, die sie dann behalten – »damit kann man sie gut erpressen«.

Athena sagt, dass sie den Großteil des Sommers alleine mit ihrem Smartphone in ihrem Zimmer verbringt. »Ich bin lieber allein in meinem Zimmer und schaue Videos auf Netflix, als dass ich Zeit mit meiner Familie verbringe. Das mache ich schon fast den ganzen Sommer lang. Ich bin mehr mit meinem iPhone als mit wirklichen Leuten zusammen.« Und das gilt für ihre gesamte Generation, meint sie. »Wir haben ja nie ein anderes Leben ohne iPads oder iPhones kennengelernt. Ich glaube, wir lieben unsere Phones mehr als wirkliche Menschen.«

Das ist die Generation Selfie. Denn wenn man diese Generation nach irgendetwas benennen möchte, dann wohl nach dem Smartphone – oder noch besser nach dem, was die Angehörigen dieser Generation unablässig damit tun: sich selbst fotografieren, Selfies machen.

Die Angehörigen der Generation Selfie – kurz: die Selfies – sind im Jahr 1995 oder später geboren, sie sind mit Handys aufgewachsen und hatten schon vor der weiterführenden Schule ein Instagram-Konto. An eine Zeit vor dem Internet, das 1995 kommerzialisiert wurde, können sie sich nicht erinnern.

Die vollständige Beherrschung der Teenager durch das Smartphone wirkt sich auf das ganze Leben der Generation Selfie aus – von den sozialen Interaktionen bis hin zur geistigen Gesundheit. Dies ist die erste Generation, die ständig über Internetzugang verfügt, den sie direkt in ihrer Hand hält. Der durchschnittliche Selfie checkt sein iPhone mehr als achtzig Mal pro Tag. (Auch wenn sie über ein geringeres Einkommen verfügen: Jugendliche aus benachteiligten Schichten verbringen heute genauso viel Zeit online wie diejenigen aus finanziell bessergestellten Schichten – noch ein Effekt des Aufkommens der Smartphones.)

Welche Smartphones nutzen die Jugendlichen?

Nach einer Absatzanalyse vom Herbst 2015 besaßen zwei von drei US-Teenagern ein iPhone, was einer nahezu vollständigen Marktsättigung im Hinblick auf ein Produkt entspricht.

Zum Vergleich: In Deutschland besitzen 40 Prozent der Jugendlichen ein Handy der Marke Samsung. Nur gut jeder Vierte (27 Prozent) besitzt ein iPhone, jedoch ist unter den konkreten Smartphone-Modellen das Apple iPhone 6 (9 Prozent) insgesamt am weitesten verbreitet.1

Doch die Technologie ist nicht die einzige Veränderung, die diese Generation kennzeichnet. Das »Self« in Generation Selfie repräsentiert auch den Individualismus, den ihre Mitglieder für selbstverständlich halten – ein allgemeiner Trend, der ihr ausgeprägtes Gespür für Gleichberechtigung wie auch ihre Ablehnung traditioneller gesellschaftlicher Regeln begründet.

Hinzu kommt: Verunsichert durch das Einkommensgefälle macht sich diese Generation eher Gedanken darüber, wie man finanziell erfolgreich wird, um zu den Habenden zu gehören statt zu den Besitzlosen.

Dank dieser und anderer Einflüsse unterscheidet sich die Generation Selfie von allen früheren darin, wie ihre Mitglieder ihre Zeit verbringen, wie sie sich verhalten; sie bestimmen ihre Haltung zu Religion, Sexualität und Politik. Die Selfies sozialisieren sich auf vollkommen neue Art, weisen einst geheiligte gesellschaftliche Tabus zurück und wollen ganz einfach etwas anderes von ihrem Leben und ihrer Karriere. Sie sind besessen von Sicherheit, haben Angst vor ihrer wirtschaftlichen Zukunft, lehnen Benachteiligung ab, die auf Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung beruht. Zugleich bilden sie die Vorhut der größten psychischen Krise seit Jahrzehnten, mit Prozentzahlen für Depression und Selbstmorde, die in den USA seit 2011 raketenartig in die Höhe schießen. Im Gegensatz zur früher herrschenden Vorstellung, dass Kinder schneller als die vorangegangene Generation aufwachsen, wird die Generation Selfie tatsächlich langsamer erwachsen: Heute verhalten sich 18-Jährige wie früher 15-Jährige, 13-Jährige benehmen sich wie Zehnjährige. Physisch leben die Teenager heute sicherer als früher, psychisch aber sind sie verwundbarer.

Bei der Auswertung von vier großen, landesweit repräsentativen Befragungen von elf Millionen Amerikanern seit den 1960er Jahren habe ich zehn bedeutende Trends herausgearbeitet, die die Generation Selfie – und letztlich uns alle – charakterisieren: Keine Eile (die Verlängerung der Kindheit in die Jugend); Online-Zeit (wie viele Stunden tatsächlich im Internet verbracht werden – und was dadurch wegfällt); Nicht mehr persönlich (der Niedergang der persönlichen sozialen Interaktion); Unsicher (deutlich erhöhtes Aufkommen psychischer Krisen); Gottlos (Niedergang der Religion); Isoliert, aber nicht wirklich (Streben nach Sicherheit und Nachlassen des bürgerlichen Engagements); Einkommens-Unsicherheit (veränderte Haltung gegenüber der Arbeit); Unbestimmt (neue Einstellung zu Sex, Beziehungen und Kindern); Inklusiv (Akzeptanz, Gleichberechtigung und freies öffentliches Debattieren) und Ungebunden (ihre politischen Ansichten). Die Generation Selfie ist ideal, um nach Trends Ausschau zu halten, die unsere Kultur in den nächsten Jahren bestimmen werden, da die Selfies noch sehr jung sind und trotzdem alt genug, um ihre Ansichten auszudrücken und von ihren Erfahrungen zu berichten.

Seit fast 25 Jahren forsche ich bereits über Generationenunterschiede, genauer seit meinem 22. Lebensjahr, als ich meine Doktorarbeit in Persönlichkeitspsychologie an der Universität von Michigan begann. Damals untersuchte ich, wie meine eigene Generation, die Generation X, sich von den Babyboomern unterschied (u. a. durch mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und auch durch mehr Ängste). Im Lauf der Zeit fand ich viele generationsbedingte Unterschiede in Verhalten, Einstellung und Persönlichkeitsmerkmalen, die dann die Generation der in den 1980ern und frühen 1990ern Geborenen auszeichneten, die sogenannten Millennials (auch Generation Y genannt). Diese Forschung fand ihren Niederschlag in meinem 2006 erschienenen Buch Generation Me (Generation Ich) überarbeitet 2014), das zeigt, wie sich diese Generation von ihren Vorläufern unterschied. Die meisten Generationenunterschiede zwischen der Generation X und den Millennials kamen im Lauf der Zeit auf und prägten sich erst nach ein bis zwei Jahrzehnten der steten Veränderung immer deutlicher aus. Ich war darin geübt, Grafiken von Trends zu zeichnen, die ein wenig wie Hügel aussahen, welche dann zu Gipfeln wurden. Kulturelle Veränderungen traten jeweils nach einer eher gemäßigten Einführung auf, die mit ein paar jungen Leuten anfing, aus denen schließlich aber sehr viele wurden.

Doch um das Jahr 2012 sah ich plötzlich abrupte Veränderungen im Verhalten und emotionalen Zustand der Teenager: Mit einem Mal sahen die Linien auf meinen Grafiken wie steile Berge aus – Kurven, die steil nach unten gingen und die Errungenschaften von Jahrzehnten in nur wenigen Jahren auslöschten. Nach Jahren allmählichen Ansteigens traten wahre Steilklippen auf, die den Übergang bestimmter Merkmale in Allzeit-Hochs bezeichneten. In all meinen Datenanalysen zu den Generationen – von denen einige bis in die 1930er Jahre zurückreichen – hatte ich dergleichen noch nie gesehen.

Das Smartphone: zentrales Medium deutscher Jugendlicher

Ein Jugendlicher zwischen 14 und 19 Jahren ohne Smartphone ist die absolute Ausnahme: Mit einer Smartphone-Verbreitung von fast 100 Prozent kann man von einer Vollversorgung der Jugendlichen in Deutschland sprechen.2

Zwei von fünf Kindern zwischen sechs und 13 Jahren besitzen ein eigenes Handy oder Smartphone. Während bei den Sechs- bis Siebenjährigen nur acht Prozent ein eigenes Smartphone besitzen, sind es bei den 12- bis 13-Jährigen 70 Prozent (8–9 Jahre: 25 Prozent, 10–11 Jahre: 52 Prozent).3

Zunächst fragte ich mich, ob dies nur zufällige Zacken in den Kurven wären, die nach ein, zwei Jahren verschwinden würden. Doch das taten sie nicht – die Trends hielten an und hatten weitere, nachhaltige und oft beispiellose Entwicklungen zur Folge. Nachdem ich mich in die Daten vertieft hatte, zeichnete sich ein Muster ab: Viele der großen Veränderungen begannen um 2011 oder 2012 – zu spät, um sie auf die große Rezession in den USA zurückzuführen, die offiziell von 2007 bis 2009 dauerte.

Doch dann ging mir ein Licht auf: 2011 und 2012 waren exakt die Jahre, als die Mehrheit der Amerikaner sich Handys anschaffte, mit denen man ins Internet gelangen konnte, allgemein Smartphones genannt. Und das Ergebnis dieser plötzlichen Veränderung ist die Generation Selfie.

Solche umfassenden generationsbedingten Veränderungen haben große Auswirkungen: Eine vollständig neue Gruppe junger Menschen, die anders handeln und fühlen – anders selbst als ihre nächsten Nachbarn, die Millennials –, tritt ein in das Leben als junge Erwachsene. Wir alle müssen diese Generation verstehen. Dazu gehören auch ihre Freunde und Familien, die sich um sie kümmern, Firmen, die sich nach neuen Angestellten umschauen, Hochschulen, die Studenten ausbilden und anleiten, und auch Marketing-Fachleute, die herausfinden, wie man dieser Generation etwas verkauft. Doch die Generation Selfie muss sich auch selber begreifen, wenn sie den älteren und selbst den nur wenig älteren Mitmenschen erklären will, wie sie die Welt sieht und was sie von anderen unterscheidet.

Generationenunterschiede sind größer und haben größere Auswirkungen als je zuvor. Der größte Unterschied zwischen den Millennials und ihren Vorgängern bestand in der Weltanschauung, wobei mehr Gewicht auf das Ich und weniger auf gesellschaftliche Regeln gelegt wurde (daher der Ausdruck Generation Ich). Doch wegen der Beliebtheit des Smartphones unterscheidet sich die Generation Selfie von anderen am deutlichsten dadurch, wie sie ihre Zeit verbringt. Die Lebenserfahrungen, die sie jeden Tag macht, unterscheiden sich radikal von denjenigen ihrer Vorgänger. In gewisser Hinsicht ist das ein noch fundamentalerer Generationenwechsel als der, den die ab 1980 Geborenen verursachten – vielleicht sind deshalb die Trends, die die Ankunft der Generation Selfie ankündigten, so unerwartet und so umfassend.

Die Geburtsjahrgangsgrenze

Das halsbrecherische Tempo der technologischen Veränderungen hat eine überraschend große Lücke zwischen denen aufgetan, die in den Achtzigern geboren wurden, und denen, die erst nach 1990 auf die Welt kamen.

»Ich gehöre nicht wirklich der digitalen Generation an«, meinte Juliet Lapidos, Jahrgang 1983, in der New York Times. »Das Internet gehörte noch nicht dazu. Ich musste erst lernen, was das war und wie man es nutzt … Mein erstes Handy hatte ich erst mit 19.«

Im Jahr 2002, als Lapidos 19 Jahre alt war, musste man noch mehrfach dieselbe Taste auf dem Klapphandy drücken, um damit zu schreiben, und im Internet surfen hieß, an einem PC zu sitzen. Als wenige Jahre darauf das Smartphone aufkam, änderte sich alles. Die Generation Selfie ist die erste, die ihre Jugend mit einem Smartphone in der Hand beginnt – ein bedeutender Unterschied mit weitreichenden Implikationen.

Die Generation Selfie kam schneller an diesen Punkt als angenommen. Bis vor Kurzem hat man sich bei der Erforschung der Generationen auf die Millennials konzentriert, manchmal definiert als die zwischen 1980 und 1999 Geborenen. Doch das ist eine lange Zeitspanne für eine neue Generation: Die Generation X, unmittelbar vor den Millennials, währte nur 14 Jahre, von 1965 bis 1979. Wenn die Generation der Millennials ebenso lange währt, dann ist das letzte Geburtsjahr der Millennials 1994 – was bedeutet, dass die Generation Selfie mit den 1995 Geborenen anfängt. Gemeinhin gilt dies auch als das Jahr, in welchem das Internet entstand. Noch weitere Eckdaten sind dem Jahr 1995 sehr nahe. So wurde 2006 Facebook für alle über 13 Jahre freigegeben – weshalb auch die, die nach 1993 geboren wurden, ihre gesamte Jugend auf den Websites der sozialen Netzwerke verbringen konnten. Ein Schnitt zur Mitte der 1990er Jahre erscheint auch sinnvoll, wenn man sich auf harte Daten beruft: Im Jahr 2011 – dem Jahr also, in dem sich alles innerhalb der Erhebungsdaten veränderte – wurden 13- bis 18-Jährige befragt, geboren zwischen 1993 und 1998.

Niemand weiß, wann die Generation Selfie endet; ich würde darauf setzen, dass das 17 Jahre nach 1995 der Fall sein könnte. Das würde wiederum bedeuten, dass die letzten Selfies zwischen 2009 und 2015 geboren wurden, wobei 2012 exakt in der Mitte liegt. Das ergibt eine Geburtsjahresspanne dieser Generation von 1995 bis 2012. Im Lauf der Zeit mögen diese Grenzen nach vorne oder hinten verschoben werden, doch 1995 bis 2012 ist ein guter Anfang. Viel wird von der Technologie abhängen, die innerhalb der nächsten zehn Jahre entwickelt wird, und davon, ob sie das Leben der jungen Menschen so verändert, wie es das Smartphone getan hat.

Jede Generationsgrenze ist willkürlich. Es gibt keine exakte Wissenschaft, keinen offiziellen Konsens, der festlegt, welches Geburtsjahr zu welcher Generation gehört. Zusätzlich haben diejenigen, die kurz vor oder nach der Zeitengrenze geboren wurden, im Wesentlichen die gleiche Kultur aufgenommen, während die, die zehn Jahre später zur Welt kamen, technisch wohl noch derselben Generation angehören, dabei aber eine andere Kultur erlebten. Trotzdem sind Generationenetiketten mit bestimmten Grenzziehungen sinnvoll – so wie Stadtgrenzen, die Festlegung von 18 Jahren als Beginn des gesetzlichen Erwachsenenalters und auch die Unterscheidung einzelner Persönlichkeitstypen, die uns gestatten, Menschen einzuordnen und zu beschreiben. Und das trotz der offensichtlichen Beschränkungen, wenn man eine klare Trennlinie einführt, wo eine unscharfe Trennung der Wahrheit näher käme. Ganz gleich, wo wir die Trennlinie ansetzen: Man muss begreifen, wie diejenigen, die nach Mitte der 1990er geboren wurden, sich von denen unterscheiden, die einige Jahre früher zur Welt kamen.

Die Daten

Zu den vielen gewichtigen Gründen, die Generation Selfie verstehen zu wollen, zählt deren hoher Anteil an der Bevölkerung: Ausgehend von den Geburtsjahrgängen 1995 bis 2012, umfasst die Generation Selfie 74 Millionen Amerikaner, also etwa 24 Prozent der Bevölkerung. Das bedeutet, dass einer von vier Amerikanern zur Generation Selfie gehört.

Generation Selfie in Zahlen

Wegen der abweichenden demographischen Entwicklung gehört nur einer von sechs Deutschen zur Generation Selfie (13 Millionen von 82,2 Millionen).

Was wir über die Generation Selfie wissen, ist erst der Anfang. Befragungen könnten ergeben, dass 29 Prozent der jungen Erwachsenen keiner Religion angehören oder dass 86 Prozent der Teenager sich darum sorgen, einen Job zu finden. Doch diese einmaligen Befragungen könnten Meinungen widerspiegeln, die von jungen Menschen quer durch alle Generationen geteilt werden. Die Babyboomer oder die Jugendlichen der Generation X in den 1970ern bzw. 1990ern können zum Beispiel auch das Thema Religion gemieden und sich wegen Jobs Sorgen gemacht haben. Einmalbefragungen ohne Vergleichsgruppen sagen uns nichts über kulturelle Veränderungen oder die besonderen Erfahrungen der Generation Selfie. Man kann keine generellen Schlüsse nur aus Daten einer einzigen Generation ziehen. Doch bislang haben fast alle Bücher und Artikel über die Generation Selfie sich auf solche wenig hilfreichen Befragungen gestützt.

Andere Einmalerhebungen schließen Angehörige verschiedener Generationen ein. Das ist immerhin schon besser, doch auch sie haben ein grundlegendes Defizit: Sie können nicht die Auswirkungen des Alters von denen der Generation unterscheiden. Wenn eine Studie etwa herausfindet, dass die Generation Selfie mehr Freunde bei der Arbeit suchen will als die Generation X, dann kann das daher rühren, dass sie jünger und Singles sind, die Generation X dagegen älter und verheiratet. Bei einer Einmalbefragung gibt es keine Möglichkeit, das herauszufinden. Das ist ungünstig, denn wenn man Unterschiede erfasst, die auf dem Alter beruhen, erfährt man nicht viel darüber, was sich geändert hat – oder ob das, was junge Angestellte oder Studenten vor zehn Jahren motivieren konnte, jetzt immer noch funktioniert.

Um wirklich zu begreifen, was an dieser Generation besonders ist – was tatsächlich neu an ihr ist –, müssen wir die Generation Selfie mit vorangegangenen Generationen vergleichen, als deren Mitglieder ebenso jung waren. Wir brauchen also Daten, die im Laufe der Zeit erhoben wurden. Und genau das leisten die großen Langzeitbefragungen, die ich in diesem Buch analysiere: Sie stellen jungen Menschen Jahr für Jahr dieselben Fragen, so dass deren Antworten über mehrere Generationen hinweg verglichen werden können.4

Diese Interviews können uns zeigen, was die Babyboomer trieben, als sie in den 1970ern die Highschools besuchten; wie die Generation X in den 1980ern und 1990ern rockte; wie die Millennials durch die 2000er Jahre kamen; und wie die Generation Selfie in den Jahren ab 2010 ihre eigenen Wege geht.

Indem wir eine Generation mit einer anderen im selben Alter vergleichen, können wir die Sicht der jungen Leute auf sich selbst vergleichen, anstatt uns auf die Überlegungen älterer Menschen aus früheren Zeiten zu verlassen. Wir können Unterschiede erkennen, die kulturellen Veränderungen geschuldet sind und nicht dem Alter. Diese Unterschiede können nicht durch die Behauptung abgetan werden, dass »junge Leute schon immer so gewesen sind«. So zeigen diese Untersuchungen in der Tat, dass junge Leute heute ganz anders sind als Jugendliche vergangener Jahrzehnte. Die relative Neuheit dieser Untersuchungen ist gleichfalls aufregend – sie erlaubt uns, einen Blick auf die Generation Selfie zu werfen, wie sie ihre Identität ausbildet, eigene Meinungen äußert und den Weg ins Erwachsenenleben findet.

Diese Datenquellen haben noch drei weitere Vorteile. Zunächst sind sie sehr groß, was Menge und Umfang der Daten angeht, da alljährlich Tausende von Menschen interviewt wurden, die Hunderte von Fragen anonym beantwortet haben. Insgesamt wurden elf Millionen Menschen befragt. Zweitens waren die Verantwortlichen der Erhebungen sorgfältig darauf bedacht, dass die Teilnehmer, die die Fragen beantwortet haben, repräsentativ für die Bevölkerung der USA waren, was Geschlecht, ethnische Herkunft, Ort und sozioökonomischen Status angeht. Das bedeutet, dass Schlussfolgerungen auf die amerikanische Jugend insgesamt (bzw. im Fall von Collegestudenten auf Collegestudenten insgesamt) angewendet werden können. Drittens sind all diese Datensätze öffentlich und online kostenlos abrufbar. Sie sind ein nationaler Schatz an riesigen Datenmengen, die einen Blick auf das Leben und die Überzeugungen von Amerikanern aus vergangenen Jahrzehnten wie auch einen aktuellen Blick auf die Jugend der letzten Jahre erlauben. Mit dieser soliden Menge an Generationsdaten, die uns nun zur Verfügung stehen, brauchen wir uns nicht länger auf unzuverlässige Einmalstudien zu verlassen, wenn wir die Generation Selfie verstehen wollen.

Um eine Vorschau auf einige Generationenunterschiede zu erhalten, verwenden Sie den folgenden Fragebogen, um herauszubekommen, ob sich Ihre eigenen Erfahrungen mit denen der Generation Selfie überlappen. Ganz gleich, wann Sie geboren sind: Wie viel Generation Selfie sind Sie?

Wie viel Generation Selfie sind Sie?

Verwenden Sie diesen Fragebogen und beantworten Sie jede Frage mit »ja« oder »nein«, um es herauszufinden.

1. Haben Sie in den letzten 24 Stunden mindestens eine Stunde damit verbracht, per Mobiltelefon Textnachrichten zu senden?

ja nein

2. Haben Sie einen Snapchat-Account?

ja nein

3. Sind Sie der Meinung, gleichgeschlechtliche Ehen sollten legalisiert werden?

ja nein

4. Wissen Sie, was ein »Safe Space«, eine »Mikroaggression« oder eine »Triggerwarnung« ist?

ja nein

5. Ordnen Sie sich einer politischen Partei zu?

ja nein

6. Unterstützen Sie die Legalisierung von Marihuana?

ja nein

7. Ist es wünschenswert, Sex ohne große emotionale Beteiligung zu haben?

ja nein

8. Fühlten Sie sich oft ausgeschlossen und einsam, als Sie die achte bis zwölfte Klasse besuchten?

ja nein

9. Betrachten Sie sich als religiös?

ja nein

10. Haben Sie den Führerschein gemacht, als Sie 17 Jahre alt waren?

ja nein

11. Haben Sie jemals Alkohol getrunken (mehr als nur einige Schlucke), als Sie 16 Jahre alt waren?

ja nein

12. Haben Sie sich häufig mit Ihren Eltern gestritten, als Sie Teenager waren?

ja nein

13. Als Sie die achte bis zwölfte Klasse besuchten, haben Sie da fast jedes Wochenende abends mit Ihren Freunden verbracht?

ja nein

14. Hatten Sie einen Job neben der Schule, als Sie die achte bis zwölfte Klasse besuchten?

ja nein

Je häufiger Ihre Antwort auf die Fragen 1 bis 8 »ja« und auf die Fragen 9 bis 14 »nein« lautete, umso mehr gehören Sie zur Generation Selfie, was Ihr Verhalten, Ihre Einstellung und Ihre Überzeugungen angeht.

Falls Sie Frage 4 mit »nein« beantwortet haben, hier die Antwort: Ein »Safe Space« ist ein Ort, an dem nicht diskriminiert werden darf. Als »Mikroaggression« versteht man eine winzige, als übergriffig wahrgenommene Äußerung, als »Triggerwarnung« einen Warnhinweis auf mögliche Auslösereize bei Menschen mit belastenden Erfahrungen.

Der Kontext

Um die Darstellung meiner abstrakten Zahlen durch die Begegnung mit realen Menschen zu ergänzen, habe ich die Generation Selfie auf mehrfache Weise einer genaueren Betrachtung unterzogen. Zunächst habe ich 23 Selfies im Alter von zwölf bis 20 persönlich oder am Telefon bis zu zwei Stunden lang interviewt, wobei ich mich intensiv mit ihren Gedanken zur Popkultur, zum Sozialleben von Teenagern, zu Campuskonflikten und ihrem so wichtigen Smartphone beschäftigt habe.

Meine Quellen sind nicht für die gesamte Bevölkerung der USA repräsentativ, sind also kein Ersatz für Untersuchungsdaten. Diese individuellen Erfahrungen einzelner Mitglieder der Generation Selfie sind nicht mehr als das und mögen daher auch nicht repräsentativ für die gesamte Generation sein. Die Untersuchungsdaten sind immer der grundlegende Standard – die Interviews und erwähnten Meinungsäußerungen illustrieren diese Daten, ersetzen sie aber keineswegs. Doch sie sind eine Möglichkeit, den jungen Menschen hinter den Daten ein Gesicht zu geben. Da die Selfies älter werden und bald anfangen, unsere Welt zu gestalten, verdienen sie zusätzlich zur empirischen Erfassung auch angehört zu werden.

Als ich Generation Me schrieb, mein Buch über die Millennials, war ich kaum älter als die Leute, über die ich schrieb, und ich teilte viele der kulturellen Phänomene. Eindeutige Daten aus den Befragungen bildeten den Kern jenes Buches, was auch für das hier vorliegende gilt, doch weil ich selbst der Generation X angehörte, spiegelte sich mein eigenes Leben in dem, was ich damals schrieb. Für das vorliegende Buch gilt dies nicht, da ich jetzt 25 Jahre älter bin als die Teenager der Generation Selfie. (Zu meinem großen Kummer sagte mir einer der Studenten, dass ich ihn an seine Mutter erinnerte. Und tatsächlich hatte ich das gleiche Alter wie seine Eltern.) Statt einer Teilnehmerrolle nehme ich hier nun vielmehr diejenige einer Beobachterin ein. Und nun habe ich noch eine weitere Perspektive hinzugewonnen: Meine drei Töchter wurden 2006, 2009 und 2012 geboren, also in den späten Jahren der Generation Selfie. So habe ich aus erster Hand einige wesentliche Erfahrungen von Selfies miterlebt, wie etwa ein Kleinkind, das kaum laufen konnte, aber selbstbewusst auf einem iPad herumpatschte. Und ich habe erlebt, dass eine Sechsjährige um ein Handy bat und auch, wie eine Neunjährige die neueste App beschrieb, die einem helfen soll, die vierte Klasse zu bestehen. Wenn ich mich also mit ihrer Generation beschäftige, werden meine Kinder mir vielleicht auch zuhören, wenn ich ihnen sage, dass sie ihre Schuhe anziehen sollen.

In diesem Buch sprechen die Stimmen der Generation Selfie für sich selbst – ob nun in den Statistiken oder in ihren eigenen Worten in den Interviews. Das Buch beinhaltet zudem zahlreiche Grafiken mit den Erhebungsdaten, die die gesamten Generationen umfassen, so dass man die Daten für sich sehen kann – nicht nur die Daten der Generation Selfie, sondern auch die der Millennials, der Generation X und der Babyboomer. Die Grafiken fassen sehr viele Daten auf sehr wenig Raum zusammen (eine Grafik sagt mehr als tausend Worte). Man wird aus erster Hand erfahren, wodurch die Generation Selfie sich auszeichnet, mit all den plötzlichen Abstürzen und Aufstiegen um das Jahr 2011, in Bezug auf viele Merkmale und Verhaltensweisen sowie auf eher schrittweise Veränderungen in anderen Bereichen.

Die Einwände

Als Generationsforscherin werden mir oft Fragen gestellt wie »Warum machen Sie den Kindern Vorwürfe? Ist das nicht der Fehler der Eltern?« (oder »der Fehler der Babyboomer?« oder »der Generation X?«) Diese Fragen gehen von zwei falschen Annahmen aus: Erstens, dass sämtliche Generationsveränderungen negativ sind, zweitens implizieren sie, dass für jede Veränderung eine einzige Ursache (wie etwa die Kindererziehung) ausgemacht werden kann. Keines von beiden stimmt jedoch. Denn manche Generationsveränderungen sind positiv, manche negativ, viele sind beides. Es entspricht der natürlichen Neigung der Menschen, Dinge entweder als vollkommen gut oder vollkommen schlecht zu bewerten. Doch bei kulturellen Veränderungen schaut man besser auf Grauzonen und Wechselwirkungen. Da viele Generationsunterschiede positiv oder zumindest neutral sind, ist es wenig sinnvoll, Begriffe wie »Fehler« oder »Vorwurf« zu benutzen. Und es ist außerdem kontraproduktiv, weil es uns die Frage beschert, wem man Vorwürfe machen soll, anstatt die Trends, die guten wie die schlechten, zu verstehen. Eine kulturelle Veränderung hat viele Gründe, nicht nur einen – es sind nicht nur die Eltern, sondern auch die Technologie, die Medien, die Geschäftswelt und die Erziehung, die zusammen eine Kultur ausmachen und erschaffen, die tatsächlich vollkommen anders ist als diejenige, die unsere Eltern und Großeltern erlebt haben. Sie ist die Schuld von niemandem bzw. die Schuld von allen. Kulturen verändern sich nun einmal, und Generationen verändern sich mit ihnen – darum geht es. Es ist kein Wettbewerb, bei dem sich herausstellt, welche Generation schlechter (oder besser) ist. Die Kultur hat sich verändert, und wir stecken alle mitten drin.

Wenn wir dann wissen, dass eine Generationsveränderung stattgefunden hat, ist natürlicherweise die nächste Frage: Warum? Diese Frage kann sehr schwierig zu beantworten sein. Der wissenschaftliche Standard, der belegt, dass ein Ding ein anderes zur Folge hat, ist das Experiment, in dem Menschen zufälligen, unterschiedlichen Erfahrungen zugeordnet werden. Übertragen auf Unterschiede in den Generationen würde das bedeuten, Menschen zufällig danach auszuwählen, dass sie zu verschiedenen Zeiten aufwachsen – eine wahrhaft unmögliche Mission. Der zweitbeste Weg, mögliche Ursachen herauszufinden, besteht in einem zweistufigen Prozess. Zunächst müssen beide Parameter miteinander in Verbindung gesetzt werden. So kann man zum Beispiel erkennen, ob Teenager, die mehr Zeit mit sozialen Medien verbringen, tatsächlich auch depressiver sind. Danach müssen sich beide Parameter verändern, in der richtigen Richtung. Wenn der Gebrauch von sozialen Medien und die Depression in denselben Jahren zunehmen, kann das eine das andere verursachen. Ist das nicht der Fall (steigt also ein Parameter an, während der andere ungefähr gleich bleibt), wird der eine wohl kaum den anderen verursachen. Diese Annäherung kann zumindest mögliche Ursachen ausschließen. Sie kann zwar nicht Ursachen eindeutig benennen, aber immerhin Belege dafür anführen, dass eine Sache für eine andere verantwortlich ist.

Ein weiterer Einwand: Die hier genannten Zahlen sind Durchschnittswerte. So verbringt zum Beispiel der durchschnittliche Teenager der Generation Selfie mehr Zeit online, als dies 2005 für den durchschnittlichen Millennial galt. Natürlich verbringen manche Selfies nur wenig Zeit online, und manche Millennials verbrachten dagegen sehr viel Zeit damit – es gibt eine beträchtliche Überlappung zwischen den beiden Gruppen. Aber nur, weil es einen Unterschied im Durchschnitt gibt, heißt das noch nicht, dass alle innerhalb der Generation genau gleich sind. Warum also nicht jeden als Individuum behandeln? Wenn man Daten analysiert, ist das schlicht unmöglich. Statistiken beruhen auf dem Durchschnitt, man kann also Gruppen von Menschen nicht ohne einen solchen Wert vergleichen. Daher beruht praktisch jede wissenschaftliche Studie von Menschen auf Durchschnittswerten. Das hat nichts mit Stereotypisierung zu tun – es ist vielmehr der Vergleich von Gruppen mithilfe einer wissenschaftlichen Methode. Stereotypien treten dann auf, wenn man annimmt, dass jede einzelne Person für ihre entsprechende Gruppe repräsentativ sein müsste. Es ist daher kein triftiges Argument gegen Generationsstudien, wenn behauptet wird, dass sie »jeden« innerhalb einer Generation auf eine bestimmte Art beschreiben, oder wenn man sagt, dass sie »zu sehr verallgemeinern«. Jede Verallgemeinerung, die auftritt, geht auf eine fehlerhafte Interpretation durch Einzelne zurück, nicht auf die Daten selbst.

Was aber, wenn kulturelle Veränderungen jeden betreffen, nicht nur die Generation Selfie? In vielen Fällen trifft das tatsächlich zu. Man kennt das als Zeit-Perioden-Differenz, oder als kulturelle Veränderung mit gleicher Wirkung auf Menschen aller Altersstufen. Reine Zeit-Perioden-Effekte sind sehr selten, weil zumeist das Alter Auswirkungen darauf hat, wie die Menschen bestimmte Ereignisse erfahren. Kulturelle Veränderungen betreffen oft zuerst die Jüngeren, erst danach greifen sie auf die Älteren über. Dafür sind Smartphones und die sozialen Medien perfekte Beispiele. Ein Großteil dieses Buches handelt jedoch davon, auf welche Weise die Jugend der Generation Selfie sich deutlich von ihren Vorgängern unterscheidet, was naturgemäß ein Generationsunterschied ist, da die Teenagerjahre der Babyboomer, der Generation X und der Millennials längst vergangen sind.

Der Weg vor uns

Die Richtung, die die Generation Selfie einschlägt, bestimmt, wohin die Gesellschaft geht. Eltern von Heranwachsenden fragen sich, wie der ständige Gebrauch von Smartphones das Gehirn, die Gefühle und Beziehungen von Teenagern beeinflusst. Die meisten Studenten gehören bereits dieser Generation an und bringen ihre Werte, Ansichten und allgegenwärtigen Smartphones an die Unis und Hochschulen im ganzen Land mit. Junge Berufsanfänger werden bald von der Generation Selfie dominiert, nicht von den Millennials, was einige Firmen durchaus unvorbereitet treffen kann, bedenkt man die veränderte Sichtweise der Selfies. Die Vorlieben für bestimmte Produkte haben in dieser Generation bereits Auswirkungen auf den Markt, der durch die Teens und jungen Erwachsenen beeinflusst wird; ihre Vorlieben werden bald den lukrativen Markt der 18- bis 29-Jährigen beherrschen. Die politischen Vorlieben der Generation Selfie werden die Wahlen bis weit in die Zukunft hinein beeinflussen, und ihre Einstellung wird Politik und Gesetze diktieren. Ihre Heirats- und Geburtsraten werden die demographische Balance des Landes beeinflussen und bestimmen, ob es noch genügend junge Arbeitnehmer geben wird, die die Millennials und die Generation X bei ihren Rentenbezügen unterstützen. Die Generation Selfie steht an der Spitze enormer Veränderungen, die bereits heute in vollem Gang sind; Grundlage hierfür sind Internet, Individualismus, Einkommensschere und andere Kräfte, die bei kulturellen Veränderungen eine Rolle spielen. Die Generation Selfie verstehen heißt, die Zukunft verstehen – unser aller Zukunft.

Was also ist tatsächlich anders bei der Generation Selfie?