Theodor Fontane


Schach von Wuthenow


Erzählung aus der Zeit des Regiments Gensdarmes

Impressum



Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-945667-11-8


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Kapitel 21 - Victoire von Schach an Lisette von Perbandt



Rom, 18. August 1807. Ma chère Lisette.

Daß ich Dir sagen könnte, wie gerührt ich war über so liebe Zeilen! Aus dem Elend des Krieges, aus Kränkungen und Verlusten heraus, hast Du mich mit Zeichen alter, unveränderter Freundschaft überschüttet und mir meine Versäumnisse nicht zum Ueblen gedeutet.

Mama wollte mehr als einmal schreiben, aber ich selber bat sie, damit zu warten.

Ach, meine theure Lisette, Du nimmst Theil an meinem Schicksal und glaubst, der Zeitpunkt sei nun da, mich gegen Dich auszusprechen. Und Du hast Recht. Ich will es thun, so gut ich's kann.

"Wie sich das alles erklärt?" fragst Du und setzest hinzu: "Du stündest vor einem Räthsel, das sich Dir nicht lösen wolle." Meine liebe Lisette, wie lösen sich die Räthsel? Nie. Ein Rest von Dunklem und Unaufgeklärtem bleibt, und in die letzten und geheimsten Triebfedern andrer oder auch nur unsrer eignen Handlungsweise hineinzublicken, ist uns versagt. Er sei, so versichern die Leute, der schöne Schach gewesen, und ich, das Mindeste zu sagen, die nicht-schöne Victoire, das habe den Spott herausgefordert, und diesem Spotte Trotz zu bieten, dazu habe er nicht die Kraft gehabt. Und so sei er denn aus Furcht vor dem Leben in den Tod gegangen.

So sagt die Welt, und in vielem wird es zutreffen. Schrieb er mir doch ähnliches und verklagte sich darüber. Aber wie die Welt strenger gewesen ist, als nöthig, so vielleicht auch er selbst. Ich seh es in einem andern Licht. Er wußte sehr wohl, daß aller Spott der Welt schließlich erlahmt und erlischt, und war im Uebrigen auch Manns genug, diesen Spott zu bekämpfen, im Fall er nichterlahmen und nicht erlöschen wollte. Nein, er fürchtete sich nicht vor diesem Kampf, oder wenigstens nicht so, wie vermuthet wird; aber eine kluge Stimme, die die Stimme seiner eigensten und innersten Natur war, rief ihm beständig zu, daß er diesen Kampf umsonst kämpfen, und daß er, wenn auch siegreich gegen die Welt, nicht siegreich gegen sich selber sein würde. Das war es. Er gehörte durchaus, und mehr als irgendwer, den ich kennen gelernt habe, zu den Männern, die nichtfür die Ehe geschaffen sind. Ich erzählte Dir schon, bei früherer Gelegenheit, von einem Ausfluge nach Tempelhof, der überhaupt in mehr als einer Beziehung einen Wendepunkt für uns bedeutete. Heimkehrend aus der Kirche, sprachen wir über Ordensritter und Ordensregeln, und der ungesucht ernste Ton, mit dem er, trotz meiner Neckereien, den Gegenstand behandelte, zeigte mir deutlich, welchen Idealen er nachhing. Und unter diesen Idealen, all seiner Liaisons unerachtet, oder vielleicht auch um dieser Liaisons willen, war sicherlich nicht die Ehe. Noch jetzt darf ich Dir versichern, und die Sehnsucht meines Herzens ändert nichts an dieser Erkenntniß, daß es mir schwer, ja fast unmöglich ist, ihn mir au sein de sa famille vorzustellen. Ein Kardinal (ich seh ihrer hier täglich) läßt sich eben nicht als Ehemann denken. Und Schach auch nicht.

Da hast Du mein Bekenntniß, und ähnliches muß er selber gedacht und empfunden haben, wenn er auch freilich in seinem Abschiedsbriefe darüber schwieg. Er war seiner ganzen Natur nach auf Repräsentation und Geltendmachung einer gewissen Grandezza gestellt, auf mehr äußerlicheDinge, woraus Du sehen magst, daß ich ihn nicht überschätze. Wirklich, wenn ich ihn in seinen Fehden mit Bülow immer wieder und wieder unterliegen sah, so fühlt ich nur zu deutlich, daß er weder ein Mann von hervorragender geistiger Bedeutung, noch von superiorem Charakter sei; zugegeben das alles; und doch war er andererseits durchaus befähigt, innerhalb enggezogener Kreise zu glänzen und zu herrschen. Er war wie dazu bestimmt, der Halbgott eines prinzlichen Hofes zu sein, und würde diese Bestimmung, Du darfst darüber nicht lachen, nicht bloß zu seiner persönlichen Freude, sondern auch zum Glück und Segen andrer, ja vieler anderer, erfüllt haben. Denn er war ein guter Mensch, und auch klug genug, um immer das Gute zu wollen. An dieser Laufbahn als ein prinzlicher Liebling und Plenipotentiaire, hätt ich ihn verhindert, ja, hätt ihn, bei meinen anspruchslosen Gewohnheiten, aus all und jeder Karrière herausgerissen und ihn nach Wuthenow hingezwungen, um mit mir ein Spargelbeet anzulegen oder der Kluckhenne die Küchelchen wegzunehmen. Davor erschrak er. Er sah ein kleines und beschränktes Leben vor sich, und war, ich will nicht sagen auf ein großes gestellt, aber doch auf ein solches, das ihm als groß erschien.

Ueber meine Nichtschönheit wär er hinweggekommen. Ich hab' ihm, ich zögre fast es niederzuschreiben, nicht eigentlich mißfallen, und vielleicht hat er mich wirklich geliebt. Befrag ich seine letzten, an mich gerichteten Zeilen, so wär es in Wahrheit so. Doch ich mißtraue diesem süßen Wort. Denn er war voll Weichheit und Mitgefühl, und alles Weh, was er mir bereitet hat, durch sein Leben und sein Sterben, er wollt es ausgleichen, so weit es auszugleichen war.

Alles Weh! Ach wie so fremd und strafend mich dieses Wort ansieht! Nein, meine liebe Lisette, nichts von Weh. Ich hatte früh resignirt, und vermeinte kein Anrecht an jenes Schönste zu haben, was das Leben hat. Und nun hab ich es gehabt. Liebe. Wie mich das erhebt und durchzittert, und alles Weh in Wonne verkehrt. Da liegt das Kind und schlägt eben die blauen Augen auf. SeineAugen. Nein, Lisette, viel Schweres ist mir auferlegt worden, aber es federt leicht in die Luft, gewogen neben meinem Glück.

Das Kleine, Dein Pathchen, war krank bis auf den Tod, und nur durch ein Wunder ist es mir erhalten geblieben.

Und davon muß ich Dir erzählen.

Als der Arzt nicht mehr Hülfe wußte, ging ich mit unserer Wirthin (einer ächten alten Römerin in ihrem Stolz und ihrer Herzensgüte) nach der Kirche Araceli hinauf, einem neben dem Kapitol gelegenen alten Rundbogenbau, wo sie den 'Bambino,' das Christkind, aufbewahren, eine hölzerne Wickelpuppe mit großen Glasaugen und einem ganzen Diadem von Ringen, wie sie dem Christkind, um seiner gespendeten Hülfe willen, von unzähligen Müttern verehrt worden sind. Ich bracht ihm einen Ring mit, noch eh ich seiner Fürsprache sicher war, und dieses Zutrauen muß den Bambino gerührt haben. Denn sieh, er half. Eine Krisis kam unmittelbar, und der Dottore verkündigte sein 'va bene'; die Wirthin aber lächelte, wie wenn sie selber das Wunder verrichtet hätte.

Und dabei kommt mir die Frage, was wohl Tante Marguerite, wenn sie davon hörte, zu all dem 'Aberglauben' sagen würde? Sie würde mich vor der 'alten Kürche' warnen, und mit mehr Grund, als sie weiß.

Denn nicht nur alt ist Araceli, sondern auch trostreich und labevoll, und kühl und schön.

Sein Schönstes aber ist sein Name, der 'Altar des Himmels' bedeutet. Und auf diesem Altar steigt tagtäglich das Opfer meines Dankes auf.

 

 

Inhalt



Kapitel 1 - Im Salon der Frau von Carayon

Kapitel 2 - "Die Weihe der Kraft"

Kapitel 3 - Bei Sala Tarone

Kapitel 4 - In Tempelhof

Kapitel 5 - Victoire von Carayon an Lisette von Perbandt

Kapitel 6 - Bei Prinz Louis

Kapitel 7 - Ein neuer Gast

Kapitel 8 - Schach und Victoire

Kapitel 9 - Schach zieht sich zurück

Kapitel 10 - "Es muß etwas geschehn"

Kapitel 11 - Die Schlittenfahrt

Kapitel 12 - Schach bei Frau von Carayon

Kapitel 13 - "Le choix du Schach"

Kapitel 14 - In Wuthenow am See

Kapitel 15 - Die Schachs und die Carayons

Kapitel 16 - Frau von Carayon und der alte Köckritz

Kapitel 17 - Schach in Charlottenburg

Kapitel 18 - Fata Morgana

Kapitel 19 - Die Hochzeit

Kapitel 20 - Bülow an Sander

Kapitel 21 - Victoire von Schach an Lisette von Perbandt

 

 

Kapitel 1 - Im Salon der Frau von Carayon



In dem Salon der in der Behrenstraße wohnenden Frau von Carayon und ihrer Tochter Victoire waren an ihrem gewöhnlichen Empfangsabend einige Freunde versammelt, aber freilich wenige nur, da die große Hitze des Tages auch die treuesten Anhänger des Zirkels ins Freie gelockt hatte. Von den Offizieren des Regiments Gensdarmes, die selten an einem dieser Abende fehlten, war nur einer erschienen, ein Herr von Alvensleben, und hatte neben der schönen Frau vom Hause Platz genommen unter gleichzeitigem scherzhaftem Bedauern darüber, daß gerade der fehle, dem dieser Platz in Wahrheit gebühre.

Beiden gegenüber, an der der Mitte des Zimmers zugekehrten Tischseite, saßen zwei Herren in Civil, die, seit wenig Wochen erst heimisch in diesem Kreise, sich nichtsdestoweniger bereits eine dominirende Stellung innerhalb desselben errungen hatten. Am entschiedensten der um einige Jahre jüngere von beiden, ein ehemaliger Stabskapitän, der, nach einem abenteuernden Leben in England und den Unionsstaaten in die Heimat zurückgekehrt, allgemein als das Haupt jener militärischen Frondeurs angesehen wurde, die damals die politische Meinung der Hauptstadt machten, beziehungsweise terrorisirten. Sein Name war von Bülow. Nonchalance gehörte mit zur Genialität, und so focht er denn, beide Füße weit vorgestreckt und die linke Hand in der Hosentasche, mit seiner Rechten in der Luft umher, um durch lebhafte Gestikulationen seinem Kathedervortrage Nachdruck zu geben. Er konnte, wie seine Freunde sagten, nur sprechen um Vortrag zu halten, und er sprach eigentlich immer. Der starke Herr neben ihm war der Verleger seiner Schriften, Herr Daniel Sander, im Uebrigen aber sein vollkommener Widerpart, wenigstens in allem was Erscheinung anging. Ein schwarzer Vollbart umrahmte sein Gesicht, das ebensoviel Behagen wie Sarkasmus ausdrückte, während ihm der in der Taille knapp anschließende Rock von niederländischem Tuche sein Embonpoint zusammenschnürte. Was den Gegensatz vollendete, war die feinste weiße Wäsche, worin Bülow keineswegs excellirte.

Das Gespräch, das eben geführt wurde, schien sich um die kurz vorher beendete Haugwitzsche Mission zu drehen, die, nach Bülows Ansicht, nicht nur ein wünschenswerthes Einvernehmen zwischen Preußen und Frankreich wieder hergestellt, sondern uns auch den Besitz von Hannover noch als "Morgengabe" mit eingetragen habe. Frau von Carayon aber bemängelte diese "Morgengabe", weil man nicht gut geben oder verschenken könne, was man nicht habe, bei welchem Worte die bis dahin unbemerkt am Theetisch beschäftigt gewesene Tochter Victoire der Mutter einen zärtlichen Blick zuwarf, während Alvensleben der schönen Frau die Hand küßte.

"Ihrer Zustimmung, lieber Alvensleben," nahm Frau von Carayon das Wort, "war ich sicher. Aber sehen Sie, wie minos- und rhadamantusartig unser Freund Bülow dasitzt. Er brütet mal wieder Sturm, Victoire, reiche Herrn von Bülow von den Karlsbader Oblaten. Es ist, glaub' ich, das Einzige, was er von Oesterreich gelten läßt. Inzwischen unterhält uns Herr Sander von unsern Fortschritten in der neuen Provinz. Ich fürchte nur, daß sie nicht groß sind."

"Oder sagen wir lieber, gar nicht existiren," erwiderte Sander. "Alles was zum welfischen Löwen oder zum springenden Roß hält, will sich nicht preußisch regieren lassen. Und ich verdenk es Keinem. Für die Polen reichten wir allenfalls aus. Aber die Hannoveraner sind feine Leute."

"Ja, das sind sie," bestätigte Frau von Carayon, während sie gleich danach hinzufügte: "Vielleicht auch etwas hochmüthig."

"Etwas!" lachte Bülow. "O, meine Gnädigste, wer doch allzeit einer ähnlichen Milde begegnete. Glauben Sie mir, ich kenne die Hannoveraner seit lange, hab ihnen in meiner Altmärker-Eigenschaft so zu sagen von Jugend auf über den Zaun gekuckt, und darf Ihnen danach versichern, daß alles das, was mir England so zuwider macht, in diesem welfischen Stammlande doppelt anzutreffen ist. Ich gönn' ihnen deshalb die Zuchtruthe, die wir ihnen bringen. Unsere preußische Wirthschaft ist erbärmlich, und Mirabeau hatte Recht, den gepriesenen Staat Friedrichs des Großen mit einer Frucht zu vergleichen, die schon faul sei, bevor sie noch reif geworden, aber faul oder nicht, Eines haben wir wenigstens: ein Gefühl davon, daß die Welt in diesen letzten funfzehn Jahren einen Schritt vorwärts gemacht hat, und daß sich die großen Geschicke derselben nicht nothwendig zwischen Nuthe und Notte vollziehen müssen. In Hannover aber glaubt man immer noch an eine Spezialaufgabe Kalenbergs und der Lüneburger Haide. Nomen est omen. Es ist der Sitz der Stagnation, eine Brutstätte der Vorurtheile. Wir wissen wenigstens, daß wir nichts taugen, und in dieser Erkenntniß ist die Möglichkeit der Besserung gegeben. Im Einzelnen bleiben wir hinter ihnen zurück, zugegeben, aber im Ganzen sind wir ihnen voraus, und darin steckt ein Anspruch und ein Recht, die wir geltend machen müssen. Daß wir, trotz Sander, in Polen eigentlich gescheitert sind, beweist nichts; der Staat strengte sich nicht an und hielt seine Steuereinnehmer gerade für gut genug, um die Kultur nach Osten zu tragen. In soweit mit Recht, als selbst ein Steuereinnehmer die Ordnung vertritt, wenn auch freilich von der unangenehmen Seite."

Victoire, die von dem Augenblick an, wo Polen mit ins Gespräch gezogen worden war, ihren Platz am Theetisch aufgegeben hatte, drohte jetzt zu dem Sprecher hinüber und sagte: "Sie müssen wissen, Herr von Bülow, daß ich die Polen liebe, sogar de tout mon coeur." Und dabei beugte sie sich aus dem Schatten in den Lichtschein der Lampe vor, in dessen Helle man jetzt deutlich erkennen konnte, daß ihr feines Profil einst dem der Mutter geglichen haben mochte, durch zahlreiche Blatternarben aber um seine frühere Schönheit gekommen war.

Jeder mußt' es sehen, und der Einzige, der es nicht sah, oder, wenn er es sah, als absolut gleichgültig betrachtete, war Bülow. Er wiederholte nur: "o ja, die Polen. Es sind die besten Mazurkatänzer, und darum lieben Sie sie."

"Nicht doch. Ich liebe sie, weil sie ritterlich und unglücklich sind."

"Auch das. Es läßt sich dergleichen sagen. Und um dies ihr Unglück könnte man sie beinah beneiden, denn es trägt ihnen die Sympathien aller Damenherzen ein. In Fraueneroberungen haben sie, von alter Zeit her, die glänzendste Kriegsgeschichte."

"Und wer rettete ...."

"Sie kennen meine ketzerischen Ansichten über Rettungen. Und nun gar Wien! Es wurde gerettet. Allerdings. Aber wozu? Meine Phantasie schwelgt ordentlich in der Vorstellung, eine Favoritsultanin in der Krypta der Kapuziner stehen zu sehen. Vielleicht da, wo jetzt Maria Theresia steht. Etwas vom Islam ist bei diesen Hahndel- und Fasahndelmännern immer zu Hause gewesen, und Europa hätt' ein bischen mehr von Serail- oder Haremwirthschaft ohne großen Schaden ertragen ...."

Ein eintretender Diener meldete den Rittmeister von Schach, und ein Schimmer freudiger Ueberraschung überflog beide Damen, als der Angemeldete gleich darnach eintrat. Er küßte der Frau von Carayon die Hand, verneigte sich gegen Victoire, und begrüßte dann Alvensleben mit Herzlichkeit, Bülow und Sander aber mit Zurückhaltung.

"Ich fürchte, Herrn von Bülow unterbrochen zu haben ...."

"Ein allerdings unvermeidlicher Fall," antwortete Sander und rückte seinen Stuhl zur Seite. Man lachte, Bülow selbst stimmte mit ein, und nur an Schachs mehr als gewöhnlicher Zurückhaltung ließ sich erkennen, daß er entweder unter dem Eindruck eines ihm persönlich unangenehmen Ereignisses oder aber einer politisch unerfreulichen Nachricht in den Salon eingetreten sein müsse.

"Was bringen Sie, lieber Schach? Sie sind präokkupirt. Sind neue Stürme ...."

"Nicht das, gnädigste Frau, nicht das. Ich komme von der Gräfin Haugwitz, bei der ich um so häufiger verweile, je mehr ich mich von dem Grafen und seiner Politik zurückziehe. Die Gräfin weiß es und billigt mein Benehmen. Eben begannen wir ein Gespräch, als sich draußen vor dem Palais eine Volksmasse zu sammeln begann, erst Hunderte, dann Tausende. Dabei wuchs der Lärm und zuletzt ward ein Stein geworfen und flog an dem Tisch vorbei, daran wir saßen. Ein Haar breit und die Gräfin wurde getroffen. Wovon sie aber wirklich getroffen wurde, das waren die Worte, die Verwünschungen, die heraufklangen. Endlich erschien der Graf selbst. Er war vollkommen gefaßt und verleugnete keinen Augenblick den Kavalier. Es währte jedoch lang', eh' die Straße gesäubert werden konnte. Sind wir bereits dahin gekommen? Emeute, Krawall. Und das im Lande Preußen, unter den Augen Seiner Majestät."

"Und speziell uns wird man für diese Geschehnisse verantwortlich machen," unterbrach Alvensleben, "speziell uns von den Gensdarmes. Man weiß, daß wir diese Liebedienerei gegen Frankreich mißbilligen, von der wir schließlich nichts haben als gestohlene Provinzen. Alle Welt weiß, wie wir dazu stehen, auch bei Hofe weiß man's, und man wird nicht säumen, uns diese Zusammenrottung in die Schuh zu schieben."

"Ein Anblick für Götter," sagte Sander. "Das Regiment Gensdarmes unter Anklage von Hochverrath und Krawall."

"Und nicht mit Unrecht," fuhr Bülow in jetzt wirklicher Erregung dazwischen. "Nicht mit Unrecht, sag' ich. Und das witzeln Sie nicht fort, Sander. Warum führen die Herren, die jeden Tag klüger sein wollen, als der König und seine Minister, warum führen sie diese Sprache? Warum politisiren sie? Ob eine Truppe politisiren darf, stehe dahin, aber wenn sie politisirt, so politisire sie wenigstens richtig. Endlich sind wir jetzt auf dem rechten Weg, endlich stehen wir da, wo wir von Anfang an hätten stehen sollen, endlich hat Seine Majestät den Vorstellungen der Vernunft Gehör gegeben und was geschieht? Unsere Herren Offiziere, deren drittes Wort der König und ihre Loyalität ist, und denen doch immer nur wohl wird, wenn es nach Rußland und Juchten und recht wenig nach Freiheit riecht, unsere Herren Offiziere, sag' ich, gefallen sich plötzlich in einer ebenso naiven wie gefährlichen Oppositionslust, und fordern durch ihr keckes Thun und ihre noch keckeren Worte den Zorn des kaum besänftigten Imperators heraus. Dergleichen verpflanzt sich dann leicht auf die Gasse. Die Herren vom Regiment Gensdarmes werden freilich den Stein nicht selber heben, der schließlich bis an den Theetisch der Gräfin fliegt, aber sie sind doch die moralischen Urheber dieses Krawalles, sie haben die Stimmung dazu gemacht."

"Nein, diese Stimmung war da."

"Gut. Vielleicht war sie da. Aber wenn sie da war, so galt es, sie zu bekämpfen, nicht aber sie zu nähren. Nähren wir sie, so beschleunigen wir unsern Untergang. Der Kaiser wartet nur auf eine Gelegenheit, wir sind mit vielen Posten in sein Schuldbuch eingetragen, und zählt er erst die Summe, so sind wir verloren."

"Glaub's nicht," antwortete Schach. "Ich vermag Ihnen nicht zu folgen, Herr von Bülow."

"Was ich beklage."

"Ich desto weniger. Es trifft sich bequem für Sie, daß Sie mich und meine Kameraden über Landes- und Königstreue belehren und aufklären dürfen, denn die Grundsätze, zu denen Sie sich bekennen, sind momentan obenauf. Wir stehen jetzt nach Ihrem Wunsch und allerhöchstem Willen am Tische Frankreichs und lesen die Brosamen auf, die von des Kaisers Tische fallen. Aber auf wie lange? Der Staat Friedrichs des Großen muß sich wieder auf sich selbst besinnen."

"So er's nur thäte," replizirte Bülow. "Aber das versäumt er eben. Ist dies Schwanken, dies immer noch halbe Stehen zu Rußland und Oesterreich, das uns dem Empereur entfremdet, ist das Fridericianische Politik? Ich frage Sie?"

"Sie mißverstehen mich."

"So bitt ich, mich aus dem Mißverständniß zu reißen."

"Was ich wenigstens versuchen will .... Uebrigens wollen Sie mich mißverstehen, Herr von Bülow. Ich bekämpfe nicht das französische Bündniß, weil es ein Bündniß ist, auch nicht deshalb, weil es nach Art aller Bündnisse darauf aus ist, unsere Kraft zu diesem oder jenem Zweck zu doubliren. O, nein; wie könnt' ich? Allianzen sind Mittel, deren jede Politik bedarf; auch der große König hat sich dieser Mittel bedient und innerhalb dieser Mittel beständig gewechselt. Aber nichtgewechselt hat er in seinem Endzweck. Dieser war unverrückt: ein starkes und selbstständiges Preußen. Und nun frag' ich Sie, Herr von Bülow, ist das, was uns Graf Haugwitz heimgebracht hat, und was sich Ihrer Zustimmung so sehr erfreut, ist das ein starkes und selbstständiges Preußen? Sie haben mich gefragt, nun frag ich Sie."

Kapitel 2 - "Die Weihe der Kraft"



Bülow, dessen Züge den Ausdruck einer äußersten Ueberheblichkeit anzunehmen begannen, wollte repliziren, aber Frau von Carayon unterbrach und sagte: "Lernen wir etwas aus der Politik unserer Tage: wo nicht Friede sein kann, da sei wenigstens Waffenstillstand. Auch hier .... Und nun rathen Sie, lieber Alvensleben, wer heute hier war, uns seinen Besuch zu machen? Eine Berühmtheit. Und von der Rahel Lewin uns zugewiesen."

"Also der Prinz," sagte Alvensleben.

"O nein, berühmter oder doch wenigstens tagesberühmter. Der Prinz ist eine etablirte Celebrität, und Celebritäten, die zehn Jahre gedauert haben, sind keine mehr .... Ich will Ihnen übrigens zu Hilfe kommen, es geht ins Litterarische hinüber, und so möcht' ich denn auch annehmen, daß uns Herr Sander das Räthsel lösen wird."

"Ich will es wenigstens versuchen, gnädigste Frau, wobei mir Ihr Zutrauen vielleicht eine gewisse Weihekraft, oder sagen wirs lieber rund heraus, eine gewisse 'Weihe der Kraft' verleihen wird."

"O vorzüglich. Ja, Zacharias Werner war hier. Leider waren wir aus, und so sind wir denn um den uns zugedachten Besuch gekommen. Ich hab es sehr bedauert."

"Sie sollten sich umgekehrt beglückwünschen, einer Enttäuschung entgangen zu sein," nahm Bülow das Wort. "Es ist selten, daß die Dichter der Vorstellung entsprechen, die wir uns von ihnen machen. Wir erwarten einen Olympier, einen Nektar- und Ambrosiamann, und sehen statt dessen einen Gourmand einen Putenbraten verzehren; wir erwarten Mittheilungen aus seiner geheimsten Zwiesprach mit den Göttern und hören ihn von seinem letzten Orden erzählen oder wohl gar die allergnädigsten Worte citiren, die Serenissimus über das jüngste Kind seiner Muse geäußert hat. Vielleicht auch Serenissima, was immer das denkbar Albernste bedeutet."

"Aber doch schließlich nichts Alberneres, als das Urtheil solcher, die den Vorzug haben, in einem Stall oder einer Scheune geboren zu sein," sagte Schach spitz.

"Ich muß Ihnen zu meinem Bedauern, mein sehr verehrter Herr von Schach, auch auf diesemGebiete widersprechen. Der Unterschied, den Sie bezweifeln, ist wenigstens nach meinenErfahrungen thatsächlich vorhanden, und zwar, wie Sie mir zu wiederholen gestatten wollen, zuNicht-Gunsten von Serenissimus. In der Welt der kleinen Leute steht das Urtheil an und für sich nicht höher, aber die verlegene Bescheidenheit, darin sich's kleidet und das stotternde Schlechte-Gewissen, womit es zu Tage tritt, haben allemal etwas Versöhnendes. Und nun spricht der Fürst! Er ist der Gesetzgeber seines Landes in all und jedem, in Großem und Kleinem, also natürlich auch in Aestheticis. Wer über Leben und Tod entscheidet, sollte der nicht auch über ein Gedichtchen entscheiden können? Ah, bah! Er mag sprechen was er will, es sind immer Tafeln direkt vom Sinai. Ich habe solche zehn Gebote mehr als einmal verkünden hören und weiß seitdem was es heißt:regarder dans le Néant."

"Und doch stimm' ich der Mama bei," bemerkte Victoire, der daran lag das Gespräch auf seinen Anfang, auf das Stück und seinen Dichter also zurückzuführen. "Es wäre mir wirklich eine Freude gewesen, den 'tagesberühmten Herrn', wie Mama ihn einschränkend genannt hat, kennen zu lernen. Sie vergessen, Herr von Bülow, daß wir Frauen sind, und daß wir als solche ein Recht haben, neugierig zu sein. An einer Berühmtheit wenig Gefallen zu finden, ist schließlich immer noch besser, als sie gar nicht gesehen zu haben."

"Und wir werden ihn in der That nicht mehr sehen, in aller Bestimmtheit nicht," fügte Frau von Carayon hinzu. "Er verläßt Berlin in den nächsten Tagen schon und war überhaupt nur hier, um den ersten Proben seines Stückes beizuwohnen."

"Was also heißt," warf Alvensleben ein, "daß an der Aufführung selbst nicht länger mehr zu zweifeln ist."

"Ich glaube, nein. Man hat den Hof dafür zu gewinnen oder wenigstens alle beigebrachten Bedenken niederzuschlagen gewußt."

"Was ich unbegreiflich finde," fuhr Alvensleben fort. "Ich habe das Stück gelesen. Er will Luther verherrlichen, und der Pferdefuß des Jesuitismus guckt überall unter dem schwarzen Doktormantel hervor. Am räthselhaftesten aber ist es mir, daß sich Iffland dafür interessirt, Iffland, ein Freimaurer."

"Woraus ich einfach schließen möchte, daß er die Hauptrolle hat," erwiderte Sander. "Unsere Prinzipien dauern gerade so lange, bis sie mit unsern Leidenschaften oder Eitelkeiten in Konflikt gerathen und ziehen dann jedesmal den kürzeren. Er wird den Luther spielen wollen. Und das entscheidet."

"Ich bekenne, daß es mir widerstrebt," sagte Victoire, "die Gestalt Luthers auf der Bühne zu sehen. Oder geh' ich darin zu weit?"

Es war Alvensleben, an den sich die Frage gerichtet hatte. "Zu weit? O, meine theuerste Victoire, gewiß nicht. Sie sprechen mir ganz aus dem Herzen. Es sind meine frühesten Erinnerungen, daß ich in unserer Dorfkirche saß, und mein alter Vater neben mir, der alle Gesangbuchsverse mitsang. Und links neben dem Altar da hing unser Martin Luther in ganzer Figur, die Bibel im Arm, die Rechte darauf gelegt, ein lebensvolles Bild, und sah zu mir herüber. Ich darf sagen, daß dies ernste Mannesgesicht an manchem Sonntage besser und eindringlicher zu mir gepredigt hat als unser alter Kluckhuhn, der zwar dieselben hohen Backenknochen und dieselben weißen Päffchen hatte wie der Reformator, aber auch weiter nichts. Und diesen Gottesmann, nach dem wir uns nennen und unterscheiden, und zu dem ich nie anders als in Ehrfurcht und Andacht aufgeschaut habe, den will ich nicht aus den Koulissen oder aus einer Hinterthür treten sehen. Auch nicht, wenn Iffland ihn giebt, den ich übrigens schätze, nicht blos als Künstler, sondern auch als Mann von Grundsätzen und guter preußischer Gesinnung."

"Pectus facit oratorem", versicherte Sander, und Victoire jubelte. Bülow aber, der nicht gern neue Götter neben sich duldete, warf sich in seinen Stuhl zurück und sagte, während er sein Kinn und seinen Spitzbart strich: "Es wird Sie nicht überraschen, mich im Dissens zu finden."

"O, gewiß nicht," lachte Sander.