Die Hände hinter dem Rücken verschränkt und die Pfeife im Mund, schob Maigret sein schweres Gewicht langsam und nicht ohne Mühe durch das morgendliche Gedränge der Rue Saint-Antoine. Vom klaren Himmel fielen Sonnenstrahlen auf die kleinen, mit Obst und Gemüse beladenen Karren und die Auslagen der Läden, die fast die ganze Breite des Gehsteigs einnahmen.

Es war die Stunde der Hausfrauen, der Artischocken, die gewogen wurden, der Kirschen, die gekostet wurden, der Schnitzel und Koteletts, die einander auf den Waagschalen ablösten.

»Hier die herrlichen Spargel! Nur fünf Franc das Bund!«

»Frischer Dorsch! Gerade eingetroffen! Greifen Sie zu …«

Die Verkäufer in weißen Kitteln, die Metzger mit karierten Schürzen, vor einem Milchgeschäft der Geruch von Käse und ein Stück weiter der von geröstetem Kaffee. Alle Händler waren auf den Beinen, argwöhnische Hausfrauen zogen vorüber, Registrierkassen klingelten, Busse rumpelten vorbei …

Schräg gegenüber der Rue de Birague befand sich ein kleines Café, das Tonnelet Bourguignon, vor dem nur drei Tischchen Platz hatten. Dort ließ sich Maigret wie ein erschöpfter Spaziergänger nieder. Er hob nicht einmal den Blick, als der hochgewachsene, schlanke Kellner an den Tisch kam, um seine Bestellung aufzunehmen.

»Einen kleinen weißen Mâcon«, brummte der Kommissar.

Und wer hätte vermutet, dass der etwas ungeschickt hantierende Kellner des Tonnelet Bourguignon niemand anderes war als Inspektor Janvier?

Er kam mit dem Glas Wein wieder, das bedenklich auf dem Tablett schwankte. Mit einer fleckigen Serviette wischte er den Tisch ab, dabei fiel ein Zettel auf den Boden, den Maigret kurz danach aufhob.

Die Frau ist einkaufen gegangen. Den Einäugigen nicht gesehen. Der Bärtige hat das Hotel schon früh verlassen. Die drei anderen müssen noch drin sein.

Inzwischen war es zehn Uhr, und das Gedränge wurde noch größer. Vor einem

Genau an der Ecke der Rue de Birague war das Schild eines schäbigen Hotels zu sehen. Es war eines jener Hotels, in denen man, wohlgemerkt nur mit Vorauszahlung, monate-, wochen- oder tageweise ein Zimmer mieten kann, und es trug den Namen Beauséjour, was vermutlich ironisch gemeint war.

Das bunte Treiben in der Frühlingssonne betrachtend, trank Maigret bedächtig seinen leichten, trockenen Weißwein und hielt vermeintlich nach nichts Besonderem Ausschau. Doch bald blieb sein Blick an einem Fenster im ersten Stock eines Hauses in der Rue de Birague hängen, das dem Hotel fast gegenüber lag. An diesem Fenster saß ein kleiner alter Mann neben dem Käfig eines Kanarienvogels und schien nichts anderes im Sinn zu haben, als sich in der Sonne zu wärmen, solange Gott ihm das Leben noch vergönnte.

Es war Lucas, Inspektor Lucas, der sich geschickt um zwanzig Jahre älter gemacht hatte und sich hütete, Maigret auch nur zuzublinzeln, obwohl er ihn längst auf der Terrasse erkannt hatte.

Das alles war Teil einer polizeilichen Beschattungsaktion, die nun schon sechs Tage andauerte.

Was Lucas Neues zu berichten hatte, würde Maigret gleich erfahren, wenn man ihn ans Telefon des Tonnelet Bourguignon rufen würde. Aber es würde bestimmt nicht aufregender sein als das, was Janvier zu melden gehabt hatte.

Die Menschenmenge kam so dicht an die winzige Terrasse heran, dass der Kommissar unablässig genötigt war, seine Füße unter den Stuhl zu ziehen.

Da setzte sich plötzlich, ohne dass Maigret ihn zuvor bemerkt hatte, ein Mann zu ihm an den Tisch, ein hagerer rothaariger Mann mit traurigen Augen, dessen trübsinniges Gesicht an das eines Clowns erinnerte.

»Sie schon wieder?«, brummte der Kommissar.

»Verzeihen Sie, Monsieur Maigret, aber ich bin sicher, Sie werden mich schließlich doch verstehen und meinen Vorschlag annehmen …«

Und an Janvier gewandt, der sich in vollkommener Kellnermanier näherte:

»Bitte dasselbe wie mein Freund hier …«

»Sie gehen mir allmählich auf die Nerven«, sagte Maigret ohne Umschweife. »Verraten Sie mir doch bitte, woher Sie wussten, dass ich heute Morgen hier sein würde?«

»Ich wusste es nicht.«

»Wieso sind Sie dann hier? Wollen Sie mir einreden, Sie hätten mich zufällig gesehen?«

»Nein!«

Die Bewegungen des Mannes waren so langsam, dass er aussah wie einer dieser Zeitlupenakrobaten in den Varietés. Mit seinen gelblichen Augen starrte er vor sich hin, wie ins Leere. Und er sprach mit einer so monotonen, traurigen Stimme, als ob er endlos Beileidsbekundungen aufsagen würde.

»Sie sind gemein zu mir, Monsieur Maigret …«

»Das ist keine Antwort auf meine Frage. Wie kommt es, dass Sie heute Vormittag hier sind?«

»Ich bin Ihnen gefolgt.«

»Vom Quai des Orfèvres?«

»Nein, schon viel früher. Seit Sie Ihre Wohnung verlassen haben …«

»Sie gestehen also, dass Sie mir nachspionieren.«

»Ich spioniere Ihnen nicht nach, Monsieur

Er seufzte sehnsüchtig und betrachtete seine falsche Zigarre mit der aufgemalten Asche am hölzernen Ende.

 

Die Zeitungen hatten noch nichts berichtet, bis auf eine, die den Tipp Gott weiß woher hatte, und dem Kommissar die Arbeit deutlich erschwerte.

Die Polizei hat allen Grund anzunehmen, dass sich die polnische Bande, darunter »Stan der Killer«, im Augenblick in Paris aufhält.

Das stimmte zwar, aber es wäre besser gewesen, darüber Stillschweigen zu bewahren. In den letzten vier Jahren hatte eine polnische Verbrecherbande, von der man fast nichts wusste, fünf Bauernhöfe überfallen, alle im Norden Frankreichs und jedes Mal dem gleichen Muster folgend.

Erstens handelte es sich stets um einsam gelegene Höfe, die von alten Leuten bewirtschaftet wurden. Zweitens fand der Überfall immer am Abend eines Markttages statt und bei Leuten, die ihr Vieh gut verkauft und darum große Mengen Bargeld zu Hause hatten.

Die Methode war alles andere als ausgeklügelt. Es

Die Polen töteten! Sie töteten wahllos jeden, den sie auf dem Hof fanden, selbst Kinder, da sie wussten, dass sie nur so unerkannt bleiben würden.

Waren es zwei, fünf oder acht?