N. Bernhardt

Buch XII: Des eigenen Glückes Schmied

Der Hexer von Hymal

N. Bernhardt

Buch XII: Des eigenen Glückes Schmied

Der Hexer von Hymal

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-954185-15-3

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Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel: Das Ziel vor Au­gen

Zwei­tes Ka­pi­tel: Auf den Spu­ren des Groß­meis­ters

Drit­tes Ka­pi­tel: Ers­ter Kon­takt

Vier­tes Ka­pi­tel: Die große Stadt am Ende des Stroms

Fünf­tes Ka­pi­tel: Auf Irr­we­gen zum Ziel

Sechs­tes Ka­pi­tel: Ein neu­er Ver­bün­de­ter?

Sieb­tes Ka­pi­tel: Kein Zu­rück mehr

Aus­blick

Nach dem Vor­fall bei der Nie­der­kunft der Her­zo­gin will Nik­ko ein­fach nur noch weg! Dem Her­zog, sei­nem ehe­ma­li­gen Freund, wird er die fei­ge Tat wohl nie ver­zei­hen. Doch hat der Zau­be­rer nicht auch ein Recht auf Ra­che - oder gar die Pf­licht dazu?

So oder so, es ist für Nik­ko erst ein­mal Zeit, end­lich die Meis­ter des Sü­dens zu tref­fen. Doch stellt sich schnell her­aus, dass er von Pe­ryn­dor kei­ne Hil­fe er­war­ten kann. Wird es dem jun­gen Meis­ter den­noch ge­lin­gen, sei­nen Weg in den Sü­den zu fin­den?

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Erstes Kapitel: Das Ziel vor Augen

Das Schlimms­te an der Sa­che war, dass Nik­ko mit nie­man­dem rich­tig dar­über re­den konn­te. Mit wem auch?

Der Her­zo­gin woll­te der Zau­be­rer nie wie­der un­ter die Au­gen tre­ten. Sie al­lein wür­de sei­nen ei­ge­nen Schmerz ver­ste­hen, ihn tei­len. Doch hat­te er sie im Stich ge­las­sen und sein groß­mäu­li­ges Ver­spre­chen ge­bro­chen. Nicht mit Ab­sicht zwar, aber was mach­te das nun noch für einen Un­ter­schied?

Nein, er könn­te Yo­la­jas Bli­cke nicht er­tra­gen. Nicht jetzt und auch nicht in der Zu­kunft. Es hät­te oh­ne­hin kei­nen Sinn, sich und die Dame da­mit zu quä­len. Es war so­wie­so al­les vor­bei.

Nik­ko war nach dem Vor­fall wie ver­stei­nert ge­we­sen und hat­te al­les um sich her­um nur noch ganz dumpf wahr­ge­nom­men. Auch der Se­ne­schall war zu­nächst scho­ckiert ge­we­sen, hat­te sich dann je­doch em­sig dar­um be­müht, den Scha­den zu be­gren­zen. Nach au­ßen hin muss­te schließ­lich die Nor­ma­li­tät ge­wahrt wer­den.

»Was für eine Tra­gö­die«, hat­te er an­fangs noch den Kopf ge­schüt­telt. »Wie konn­te das nur ge­sche­hen?«

»Bes­ser ein Ende mit Schre­cken als …«, hat­te er dann ge­keucht, wäh­rend man im Hin­ter­grund noch die Her­zo­gin jam­mern und schrei­en hör­te.

»Wäre es kein Sohn ge­we­sen, hät­te man ja …«, hat­te er die Schul­tern ge­zuckt, als er sich einen Über­blick über die Lage ver­schafft hat­te. »Aber ein frem­des Kind als Stamm­hal­ter? Nein, so ist es wohl die bes­te Lö­sung für alle.«

Lang­sam und wie in Tran­ce hat­te Nik­ko sich dann in sei­nen Turm zu­rück­ge­zo­gen und dort stun­den­lang ins Lee­re ge­st­arrt. Die bes­te Lö­sung für alle – die­se Wor­te wa­ren ihm seit­her nicht mehr aus dem Sinn ge­gan­gen.

Ei­ni­ge Tage war die Sa­che nun schon her, schmerz­te je­doch noch im­mer kei­nen Deut we­ni­ger. Ir­gend­wann hat­te sich Nik­ko dann zu­rück nach Hal­fuár tele­por­tiert, doch wuss­te er selbst nicht mehr, wann das ge­nau ge­we­sen war. Es schi­en ihm aber auch egal. So egal, wie vie­les in die­sen dunklen Stun­den, wenn nicht gar al­les.

Wie hat­te Fy­dal nur …? Der jun­ge Zau­be­rer konn­te den Ge­dan­ken nicht zu Ende füh­ren, so ver­werf­lich er­schi­en ihm die Tat. Ein Neu­ge­bo­re­nes zu … nein, schon die Idee al­lein war viel zu schreck­lich!

Den­noch, es war ge­sche­hen, und der Her­zog hat­te kei­nen Zwei­fel dar­an ge­las­sen, da­für ver­ant­wort­lich zu sein. Die blu­ti­ge Klin­ge in sei­ner Hand – er muss­te ja so­gar selbst zu­ge­sto­chen ha­ben!

Wie konn­te Fy­dal nur zu ei­ner der­ar­ti­gen Tat fä­hig sein? Hat­te Nik­ko sei­nen Freund denn wirk­lich so falsch ein­ge­schätzt? Si­cher­lich, der Her­zog war ein Mann mit viel Stolz. Den­noch, das war doch kei­ne Recht­fer­ti­gung!

In sein Un­ver­ständ­nis misch­te sich nun auch mehr und mehr Wut. Ja, in die­sem Au­gen­blick hass­te der Zau­be­rer sei­nen Freund. Nein, sei­nen ehe­ma­li­gen Freund! Für solch eine ab­scheu­li­che Tat gab es schließ­lich kein Ver­zei­hen, kei­ne Gna­de.

Gna­de? Ein in­ter­essan­ter Ge­dan­ke. Wer je­man­den be­gna­dig­te, müss­te ihn doch vor­her erst ein­mal zur Re­chen­schaft zie­hen. Der Zau­be­rer hat­te nicht vor, Gna­de wal­ten zu las­sen. Aber den Her­zog zur Re­chen­schaft zu zie­hen, war eine Aus­sicht, die Nik­ko das ers­te Mal seit Ta­gen auf­at­men ließ.

Ja, im­mer­hin war er ein Zau­be­rer und ver­füg­te über die Macht, sich am Mör­der sei­nes Kin­des zu rä­chen. Der de­so­la­te Zu­stand des Ar­ka­nen Or­dens wür­de ihm da­bei auch weitaus mehr Frei­hei­ten las­sen, als dies un­ter nor­ma­le­ren Um­stän­den der Fall wäre.

Am liebs­ten hät­te sich Nik­ko gleich wie­der nach Sinál tele­por­tiert und den Her­zog dort sei­ne Feu­er­bäl­le spü­ren las­sen. Doch wäre dies ein viel zu schnel­ler Tod, dazu mit un­wäg­ba­ren Kon­se­quen­zen nicht nur für den Zau­be­rer. Wie aber soll­te er sei­ne Ver­gel­tung be­kom­men?

Vi­el­leicht ein Fluch, der Fy­dal ganz lang­sam und mit großen Schmer­zen da­hin­raf­fen wür­de, ohne da­bei den Ver­dacht auf Nik­ko zu len­ken? Schon bes­ser! In der Biblio­thek fän­de sich dazu be­stimmt ge­eig­ne­te Lek­tü­re. Wäre das aber Ra­che ge­nug da­für, was der eins­ti­ge Freund ihm an­ge­tan hat­te?

Lang­sam! Woll­te Nik­ko wirk­lich so sein? Woll­te er sei­ne Zeit etwa da­mit ver­brin­gen, zu pla­nen und zu stu­die­ren, wie er es Fy­dal am bes­ten heim­zah­len könn­te? Nein, oder? Vi­el­leicht ja doch?

Es wäre wohl am bes­ten, wenn er jetzt erst ein­mal et­was Ab­stand ge­win­nen wür­de. Ob und wie er den Her­zog zur Re­chen­schaft zie­hen wür­de, konn­te er auch noch spä­ter ent­schei­den. Eine der­ar­ti­ge Ak­ti­on müss­te so oder so gut durch­dacht sein. Klar zu den­ken, war je­doch nichts, was dem Zau­be­rer in die­sem Zu­stand der wü­ten­den Trau­er leicht fiel.

Am Abend des­sel­ben Ta­ges woll­te Nik­ko das ers­te Mal wie­der ge­mein­sam mit Pe­ryn­dor spei­sen, der noch im­mer als Gast auf der Burg Hal­fuár weil­te. Die Tage zu­vor hat­te er den Al­ten lie­ber ge­mie­den, so­weit dies in dem be­eng­ten Turm über­haupt mög­lich war.

Mit ei­nem Ni­cken be­grüß­te der Groß­meis­ter den jun­gen Zau­be­rer, der ge­dan­ken­ver­lo­ren am Tisch saß und Lö­cher in sein Es­sen starr­te.

»Ihr habt mir noch gar nicht be­rich­tet, wie die … An­ge­le­gen­heit in Sinál letzt­lich aus­ge­gan­gen ist«, fing der Alte ein Ge­spräch an, wäh­rend er sich den Tel­ler voll­pack­te. »Ich hof­fe doch sehr, dass Ihr er­folg­reich wart.«

»Ich hat­te gar kei­ne Ge­le­gen­heit«, seufz­te Nik­ko nach ei­ni­gen Au­gen­bli­cken des Schwei­gens.

»Was soll das hei­ßen?«, schi­en Pe­ryn­dor ver­wirrt, was sei­nen Ap­pe­tit je­doch nicht min­der­te. »Nun lasst Euch doch nicht je­des Wort ein­zeln aus der Nase zie­hen, Meis­ter!«

»Der Her­zog war wo­chen­lang nicht in Sinál, son­dern in­spi­zier­te ir­gend­wel­che Le­hen«, schüt­tel­te Nik­ko sein Haupt. »Als er wie­der zu­rück­kam, lag die Her­zo­gin schon in den We­hen.«

»Ihr habt ihn dem­nach vor­her nicht mehr spre­chen kön­nen«, kraul­te sich der Alte den Bart. »Dann … nun er­zählt doch end­lich!«

»Es war eine … Tot­ge­burt«, be­rich­te­te der jun­ge Zau­be­rer mit lei­ser Stim­me. »Da­für hat der Her­zog mit sei­nem Dolch ge­sorgt.«

»Dolch?«, war Pe­ryn­dor eher ver­wirrt als scho­ckiert. »Ihr meint … soso.«

»Nun, dann hat sich die An­ge­le­gen­heit ja so­zu­sa­gen von selbst er­le­digt«, zuck­te er einen Au­gen­blick spä­ter mit den Schul­tern. »So­lan­ge die Sa­che mit dem Dolch nicht im Reich die Run­de macht, ist dies oh­ne­hin die bes­te Lö­sung.«

Die bes­te Lö­sung – da wa­ren sie wie­der, die wi­der­li­chen Wor­te! Wie konn­te der Alte nur so herz­los sein?

»Die Her­zo­gin und ihr er­mor­de­tes Kind pflich­ten Euch mit Si­cher­heit bei, Groß­meis­ter«, er­wi­der­te Nik­ko sar­kas­tisch.

»Bei­de sind ohne jede Re­le­vanz«, kon­ter­te Pe­ryn­dor mit ei­nem ge­mei­nen Grin­sen. »Die ein­zi­ge Auf­ga­be der Her­zo­gin ist es, dem Her­zog des­sen Nach­kom­men zu ge­bä­ren, nicht ir­gend­wel­che … Kuckucks­kin­der. Das Kind … nun ja, freu­en wir uns lie­ber, dass das Reich letzt­lich doch um einen … un­ap­pe­tit­li­chen Skan­dal her­um­ge­kom­men ist.«

Mit ei­nem Kopf­schüt­teln nahm Nik­ko das Ge­sag­te zur Kennt­nis, ver­zich­te­te aber lie­ber auf Wi­der­wor­te. Ein we­nig ent­täusch­te ihn der Groß­meis­ter zwar mit sei­ner Re­ak­ti­on, aber ir­gend­wie war es kei­ne Über­ra­schung.

Wie auch der Se­ne­schall schi­en Pe­ryn­dor er­leich­tert zu sein, dass die Sa­che aus po­li­ti­scher Sicht so glimpf­lich ver­lau­fen war. Mit­leid für die Her­zo­gin und ihr ge­tö­te­tes Kind war für die fei­nen Her­ren da­ge­gen kein The­ma.

Wie an­ders sähe das wohl aus, wenn sie wüss­ten, wer der Va­ter war? Ei­nen Au­gen­blick lang er­wog Nik­ko so­gar, Pe­ryn­dor da­von zu be­rich­ten, wenn auch nur, um sich an des­sen Ge­sichts­aus­druck zu er­göt­zen. Ei­nen Au­gen­blick spä­ter war die­ser Plan je­doch schon wie­der ver­wor­fen.

»Nehmt Euch die Sa­che nicht zu sehr zu Her­zen, jun­ger Meis­ter«, riet der Alte dann mit freund­li­che­rer Mie­ne. »Ihr seid noch zu jung, um vie­les rich­tig ein­schät­zen zu kön­nen. Glaubt mir, die Sta­bi­li­tät des Rei­ches wiegt un­end­lich schwe­rer als das … be­dau­er­li­che Schick­sal der Her­zo­gin und ih­res Kin­des.«

»Na­tür­lich«, zwang sich Nik­ko ein Lä­cheln auf die Lip­pen und woll­te nun nur noch al­lein sein. »Groß­meis­ter, ich bin müde. Wenn Ihr mich ent­schul­di­gen wür­det.«

Mit ei­nem Schul­ter­zu­cken pack­te sich der Alte den zwei­ten Tel­ler voll, wor­auf­hin sich der jun­ge Zau­be­rer mit ei­nem Kopf­ni­cken ver­ab­schie­de­te und sich in sein Quar­tier im Haupt­haus der Burg zu­rück­zog. Pe­ryn­dor woll­te er an die­sem Abend je­den­falls nicht mehr über den Weg lau­fen.

Stun­den­lang lag Nik­ko jetzt schon wach in sei­nem Bett. Den Mord an sei­nem Kind hat­te er ja noch im­mer nicht rich­tig ver­ar­bei­ten kön­nen. Doch die ge­häs­si­gen Re­ak­tio­nen des Se­ne­schalls und nun auch noch Pe­ryn­dors wa­ren wie tie­fe Na­del­sti­che, die alle Wun­den im­mer wie­der blu­ten lie­ßen.

Was war nur los in die­ser Welt, dass so ge­stan­de­ne Her­ren die Tö­tung ei­nes Neu­ge­bo­re­nen gut­hie­ßen, nur um einen Skan­dal bei Hofe zu ver­hin­dern? Wür­den sie ge­nau­so den­ken, wenn es ihr Kind ge­we­sen wäre? Wohl kaum!

In was für ein Sys­tem war Nik­ko da nur hin­ein­ge­ra­ten? In sei­nem Dorf hät­ten sie so einen Kinds­mör­der gleich am nächs­ten Baum auf­ge­knüpft, so wie er es ver­dient hät­te. Als An­ge­hö­ri­ger des ho­hen Adels konn­te sich Fy­dal je­doch fast al­les er­lau­ben.

Ob­wohl, Da­nu­wil war da­mals in Bri­go ja auch mit ei­nem blau­en Auge da­von­ge­kom­men. Er hat­te dort im­mer­hin den Gast­wirt ge­tö­tet. Da das Op­fer je­doch nur ein Leib­ei­ge­ner war und Fy­dal den Rit­ter­sohn un­ter den Schutz sei­nes ho­hen Hau­ses ge­stellt hat­te, war es bei ei­ner def­ti­gen Geld­bu­ße ge­blie­ben. Aber konn­te man die bei­den Ta­ten über­haupt ver­glei­chen?

Hier der sturz­be­trun­ke­ne Da­nu­wil, der lie­bes­toll die Schank­maid be­dräng­te und so an ih­ren Herrn Va­ter ge­riet, den er dann im Af­fekt er­stach. Da der über­stol­ze Fy­dal, der mo­na­te­lang Zeit ge­habt hat­te, sein Vor­ge­hen in die­ser hei­klen An­ge­le­gen­heit ab­zu­wä­gen und ge­nau zu pla­nen, und dem trotz al­lem nichts Bes­se­res ein­ge­fal­len war, als das frem­de Kind ein­fach so ab­zu­ste­chen.

Nein, die bei­den Ta­ten konn­te man wohl kaum mit­ein­an­der ver­glei­chen. Trotz­dem blie­ben sie ohne große Kon­se­quen­zen. Wa­rum? Weil bei­de Tä­ter ad­lig wa­ren! Je­der Ge­wöhn­li­che wür­de schon für viel ge­rin­ge­re Ver­ge­hen bau­meln.

Adel? Nik­ko war ja selbst ein Graf und schäm­te sich auf ein­mal da­für. Mach­te ihn das nicht zu ei­nem von ih­nen? De­nen, die sich al­les er­lau­ben konn­ten. Woll­te er wirk­lich so ei­ner sein?

Der jun­ge Zau­be­rer moch­te sich die­se Fra­ge lie­ber nicht stel­len, ob­wohl sein Herz kei­ne Zwei­fel an der Ant­wort heg­te. Am liebs­ten wür­de er in die­sem Au­gen­blick hier al­les ste­hen und lie­gen las­sen, sich ir­gend­wo in die Ein­sam­keit flüch­ten und dort nur noch der Zau­be­rei frö­nen.

Nein, da­für war die Zeit noch lan­ge nicht reif. Doch ir­gend­wann wür­de er die­sen Traum wahr ma­chen! Vi­el­leicht so­gar hier in Hal­fuár, al­ler­dings dann nicht als Graf und nicht als Va­sall ei­nes so un­ge­rech­ten Herrn wie des Her­zogs. Wie aber soll­te er das je be­werk­stel­li­gen?

Mit die­sen und ähn­li­chen Fra­gen im Geis­te fie­len Nik­ko lang­sam die Au­gen zu – auch wenn er sich nicht schon jetzt dem Schlaf er­ge­ben woll­te, der ihm doch nichts als Alb­träu­me ver­sprach.

Am nächs­ten Mor­gen fühl­te sich Nik­ko nicht bes­ser. Die Nacht war so grau­sam ge­we­sen wie auch schon die Näch­te zu­vor. In je­dem wa­chen Mo­ment sah der Zau­be­rer wie­der den blu­ti­gen Dolch vor sei­nem in­ne­ren Auge und hör­te dazu das Jam­mern der Her­zo­gin. In den sel­te­nen Au­gen­bli­cken des Schlafs hat­ten ihn schlim­me Alb­träu­me in ver­schie­dens­ten Va­ri­an­ten er­le­ben las­sen, was sich ge­nau ab­ge­spielt ha­ben könn­te.

Trau­er und Wut, dazu eine wei­te­re Nacht ohne Er­ho­lung – der Zau­be­rer blick­te er­neut ei­nem ver­lo­re­nen Tag ent­ge­gen. Wie lan­ge soll­te das denn so wei­ter ge­hen? Wie lan­ge durf­te es so wei­ter ge­hen?

Es war nun ge­nau eine Wo­che her, wenn Nik­ko da rich­tig zähl­te. Ge­nug, um wie­der zu sich zu fin­den? Ge­nug, da­mit das Le­ben wei­ter geht? Vi­el­leicht. Er muss­te es we­nigs­tens ver­su­chen.

Was aber soll­te er nun tun? Das Amt als Hof­ma­gier des Her­zogs war hin­fäl­lig – für ihn je­den­falls. Wenn er über­haupt je­mals wie­der nach Sinál zu­rück­keh­ren wür­de, dann nur um Fy­dal zur Re­chen­schaft zu zie­hen.

Soll­te er das Amt nicht auch of­fi­zi­ell nie­der­le­gen? Aber wie? Ei­gent­lich wäre das eine An­ge­le­gen­heit des Or­dens. Doch was küm­mer­te es den jun­gen Zau­be­rer über­haupt noch? Der Or­den war ihm völ­lig egal, und Fy­dal konn­te oh­ne­hin se­hen, wo er blieb!

Dann war da noch das ei­ge­ne Le­hen. Le­hen – wenn Nik­ko die­ses Wort schon hör­te, wür­de er sich am liebs­ten über­ge­ben. Ein Zau­be­rer als Va­sall ei­nes Kinds­mör­ders? Nein, das war kei­ne hin­nehm­ba­re Si­tua­ti­on!

Was aber wür­de pas­sie­ren, wenn er sich vom Her­zog los­sag­te und Hal­fuár zu sei­nem Ei­gen er­klär­te? Krieg! Fy­dal wür­de es nicht hin­neh­men, wenn ei­ner sei­ner Va­sal­len ihm den Ge­hor­sam ver­wei­ger­te.

Wür­den sei­ne Ge­treu­en hier auf Hal­fuár dem Zau­be­rer dann fol­gen? Die Sol­da­ten un­ter­stan­den oh­ne­hin dem Her­zog. Auch die Be­am­ten hat­te Fy­dal ihm zur Ver­fü­gung ge­stellt. Es war da­her un­wahr­schein­lich, dass sich sein Stab und die Un­ter­ge­be­nen an Nik­kos Sei­te ge­gen des­sen Lehns­herrn wen­den wür­den.

Für einen sol­chen Schritt war es oh­ne­hin viel zu früh. Hal­fuár war schließ­lich noch im­mer von Lie­fe­run­gen aus Sinál ab­hän­gig. Nein, um ge­gen den Her­zog auf­zu­be­geh­ren, be­dürf­te es lan­ger Pla­nung und vie­ler Vor­be­rei­tun­gen. Vor al­lem müss­te Nik­ko sei­ne Un­ter­ta­nen hin­ter sich wis­sen.

So sehr sein Herz ihm auch die schnel­le Ver­gel­tung be­fahl, so si­cher war sich sein Ver­stand, dass es erst ein­mal ab­zu­war­ten galt. Noch muss­te er das Spiel mit­ma­chen. Spä­ter dann wür­de er sei­ne Ra­che umso bes­ser aus­kos­ten kön­nen!

Die blo­ße Aus­sicht dar­auf zau­ber­te wie­der ein klei­nes Lä­cheln auf sei­ne Lip­pen. Im­mer­hin gab es et­was, wor­auf er nun hin­ar­bei­ten konn­te – und Ar­beit gab es ge­nug!

Es gab vor al­lem zwei wich­ti­ge Punk­te. Zum einen muss­te Nik­ko sei­ne Macht hier in Hal­fuár fes­ti­gen, wenn mög­lich so­gar aus­bau­en. Bis­her hat­te er ja viel zu sehr durch Ab­we­sen­heit ge­glänzt und die Ar­beit sei­nen Leu­ten über­tra­gen, auf de­ren Ge­folg­schaft er sich im Ernst­fall al­ler­dings kaum ver­las­sen könn­te.

Zum an­de­ren soll­te der Zau­be­rer wei­ter an sei­nen ma­gi­schen Fä­hig­kei­ten ar­bei­ten. Es war da­bei eine mehr als glück­li­che Fü­gung, dass Pe­ryn­dor ge­ra­de jetzt hier in Hal­fuár weil­te. Auch wenn der Alte ihm in den ver­gan­ge­nen Ta­gen eher ein un­lieb­sa­mer Gast ge­we­sen war, durf­te Nik­ko des­sen Nut­zen nicht un­ter­be­wer­ten.

Ja, es war höchs­te Zeit her­aus­zu­fin­den, was der Groß­meis­ter der Biblio­thek des Ne­kro­man­ten bis­her ent­lo­cken konn­te. Au­ßer­dem wa­ren da noch die­se Meis­ter des Sü­dens, die Nik­ko zu gern auf­su­chen wür­de, um dort sein Wis­sen und Kön­nen zu ver­voll­stän­di­gen. Was das be­traf, war er eben­falls auf Pe­ryn­dor an­ge­wie­sen.

Vi­el­leicht wür­de er den Al­ten ja beim Früh­stück an­tref­fen. Bis da­hin war al­ler­dings noch Zeit. Nik­ko hat­te es an die­sem Mor­gen schließ­lich schon lan­ge vor den ers­ten Son­nen­strah­len auf­ge­ge­ben, wei­te­ren Schlaf zu su­chen.

Am bes­ten, er wür­de sich im Mor­gen­grau­en einen Über­blick über Hal­fuár ver­schaf­fen. Im­mer­hin war es um die drei Wo­chen her, dass er das Holz hier­her trans­por­tiert hat­te. Mal se­hen, was in­zwi­schen dar­aus ge­wor­den war.

Oben, auf der Platt­form des Berg­frieds an­ge­kom­men, von wo aus sich Nik­ko einen Blick auf sein gan­zes Land er­hoff­te, muss­te er erst ein­mal wie­der zu Atem kom­men. Der schlech­te Schlaf der ver­gan­ge­nen Tage for­der­te nun sei­nen Tri­but.

Auch nach­dem sich der Zau­be­rer ge­setzt hat­te und et­was zur Ruhe ge­kom­men war, ging es ihm nicht viel bes­ser. Er fühl­te sich der­art müde, dass er kaum noch die Au­gen of­fen­hal­ten konn­te.

Soll­te er doch lie­ber wie­der in sein Bett krie­chen und hof­fen, von Alb­träu­men aus­nahms­wei­se ver­schont zu blei­ben? Aber es gab ja auch noch an­de­re Mög­lich­kei­ten, die Mü­dig­keit zu be­kämp­fen, näm­lich die Kraft – ein Bad in der Kraft, um ge­nau­er zu sein.

Viel zu sel­ten hat­te sich Nik­ko in der letz­ten Zeit der Me­di­ta­ti­on in der rei­nen Kraft ge­wid­met. An­fangs hat­ten die­se Übun­gen nur dazu ge­dient, sich erst ein­mal rich­tig an den Um­gang mit der Kraft zu ge­wöh­nen. Aber der ge­üb­te Ma­gier kann in ihr Er­qui­ckung fin­den und schein­bar so­gar kurz­fris­tig sei­nen Hun­ger stil­len, je­den­falls, wenn Pe­ryn­dors Aus­sa­ge stimm­te.

So mach­te der jun­ge Zau­be­rer es sich auf sei­nem Turm be­quem und schloss die Au­gen. Nach Os­ten ge­rich­tet, wo schon die ers­ten Strah­len der Mor­gen­son­ne das Ge­sicht wärm­ten, ließ er dann die Kraft durch sich hin­durch­flie­ßen. Bis in die Ze­hen­spit­zen spür­te er sie in sei­nen Kör­per strö­men und da­bei al­les in ihm auf ih­rem Weg auf­la­den.

Ja, das war ein tol­les Ge­fühl! Nik­ko öff­ne­te die Au­gen und fühl­te sich wie neu­ge­bo­ren. Wie lan­ge er so da­ge­s­es­sen hat­te, war ihm gar nicht be­wusst. Doch stand die Son­ne nun schon ein gan­zes Stück hö­her und tauch­te die wei­te Ebe­ne in ein gol­de­nes Licht.

Von hier oben konn­te der Ma­gier al­les gut se­hen und die Ver­än­de­run­gen be­wun­dern. Wann hat­te er das ers­te Mal hier oben ge­stan­den? Zwei Jah­re oder et­was mehr muss­te es be­reits her sein, dass er zu­sam­men mit Da­nu­wil die da­mals in trü­ben Ne­bel gehüll­te Ebe­ne in­spi­ziert hat­te.

Aus­ge­rech­net den klei­nen Ork­trupp mit den Ge­fan­ge­nen hat­ten sie da­bei er­späht und dar­auf­hin Fy­dal be­freit. Hät­ten sie den spä­te­ren Kinds­mör­der doch bloß den Orks über­las­sen! Aber wer konn­te schon wis­sen, wie dann al­les ge­kom­men wäre?

Nein, Nik­ko woll­te sich die Lau­ne nicht wie­der ver­der­ben las­sen und ver­dräng­te alle Ge­dan­ken an den Her­zog und des­sen schänd­li­che Tat.

Viel lie­ber kon­zen­trier­te er sich auf all die neu­en Din­ge, die er nun auf der Ebe­ne se­hen konn­te. Ei­ni­ge Ein­frie­dun­gen und so­gar klei­ne Her­den konn­te er er­spä­hen, ver­mut­lich Scha­fe oder Zie­gen – ge­nau ließ es sich von hier oben nicht er­ken­nen.

Im Wes­ten, wo der lan­ge Schat­ten des Hü­gels noch al­les ver­dun­kel­te, lag das neue Dorf. Viel konn­te Nik­ko dort zwar nicht aus­ma­chen, aber ge­baut wur­de schein­bar über­all. Ein gu­tes Zei­chen!

Spon­tan ent­schied sich der Zau­be­rer, dem Dorf einen kur­z­en Be­such ab­zu­stat­ten. Er be­ab­sich­tig­te nicht nur, den Fort­schritt der Bau­ar­bei­ten ge­nau­er zu in­spi­zie­ren, es war ihm auch be­wusst, dass er viel mehr Prä­senz zei­gen muss­te – umso mehr, wenn er woll­te, dass sei­ne Leu­te ihm spä­ter die Treue hiel­ten.

Auf sei­nem Weg hin­un­ter ins Dorf be­geg­ne­te er in der Burg kaum ei­ner See­le. Le­dig­lich ei­ni­ge Wa­chen wa­ren auf ih­ren Pos­ten, an­sons­ten herrsch­te noch fried­li­che Ruhe.

Un­ten im Dorf sah die Sa­che schon ganz an­ders aus. Er selbst konn­te sich ja noch zu gut an sei­ne Zeit in Vyl­do­ro er­in­nern, wo stets mit den ers­ten Son­nen­strah­len des Ta­ges die har­te Ar­beit auf den Hö­fen be­gann. Auch hier herrsch­te bei den Bau­ern be­reits ein ähn­lich em­si­ges Trei­ben.

Mit re­spekt­vol­len, aber zu­rück­hal­ten­den Bli­cken, so­wie ge­le­gent­li­chem Ver­beu­gen wür­dig­ten die Un­ter­ge­be­nen ih­ren Herrn, den die meis­ten von ih­nen wohl seit ih­rer An­kunft hier in Hal­fuár vor über zwei Mo­na­ten nicht mehr ge­se­hen hat­ten.

Nik­ko ge­noss dies zwar, war sich aber un­si­cher, ob ihre Er­ge­ben­heit so stark wäre, dass sie ihm ge­gen den Her­zog fol­gen wür­den. Auch wenn er es war, der sie aus Ho­ca­tin ge­ret­tet hat­te, und die meis­ten den Her­zog noch nicht ein­mal kann­ten, muss­te der Zau­be­rer deut­lich mehr tun, um sich der Treue sei­ner Un­ter­ta­nen ge­wiss sein zu kön­nen.

Re­spekt war zwar gut, al­ler­dings nicht ge­nug. Sie müss­ten ihn lie­ben. Dann wür­den sie ihm wohl über­all hin fol­gen. Lie­ben? Ja, oder aber fürch­ten!

Nik­ko schau­te sich die neu ge­bau­ten Hüt­ten aus der Nähe ge­nau­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­