ANDI LAPATT

 

 

DIE SIEGEL

ASINJAS

 

Teil 3

Die Macht der Dämonen

 

 

Roman

Ein Buch aus dem FRANZIUS VERLAG

 

Cover: Simone C. Franzius nach einer Vorlage von Jacqueline Spieweg

Bildlizenz: Pixabay

Korrektorat/Lektorat: Dr. Michael Kracht

Verantwortlich für den Inhalt des Textes ist die Autorin Andi LaPatt

Satz, Herstellung und Verlag: Franzius Verlag GmbH

 

ISBN 978-3-96050-211-1 (E-Book)

 

Alle Rechte liegen bei der Franzius Verlag GmbH

Hogen Kamp 33, 26160 Bad Zwischenahn

 

Copyright © 2021 Franzius Verlag GmbH, Bremen

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INHALT

 

1. Heimkehr

2. Annasia

3. Dämonen der Vergangenheit

4. Sackgassen

5. Spurenwechsel

6. Unwillkommen

7. Robertas Haus

8. Wie entscheidest du dich?

9. Hoffnungsschimmer

10. Wiedersehen

11. Magischer Flügelschlag

12. Zwiespalt

13. Mortenso und der Besuch

14. Schattenreiter

15. Unwetter

16. Aufbruchstimmung

17. Familiengeheimnisse

18. Schwarze Federn

19. Unter Brüdern

20. Quinthas Blut

21. Fenrjok

22. Moorkrillentanz

23. Hell und Wotin

24. Der Bär, der Wolf, der brennende Hirsch

25. Wegweiser am Himmel

26. Blutiger Besuch

27. Einsame Pfade

28. Noonoomais neues Bündnis

29. Die Kinder des sonnigen Himmels

30. Unerwartet

31. Von der Vergangenheit eingeholt…

32. Den Kampf im Visier

33. Nyellas Reise

34. Festgefahren

35. Halbe Wahrheiten

36. Rauke und Rolin

37. Schneetreiben

38. Zerschlagene Hoffnung

39. Schneetreiben

40. Wintermond

41. Angriff auf Breithorien

42. Krieg

43. Der Schatz

44. Asinja

45. Zeit der Klärung

46. Eine neue Zeit

Über die Autorin

Weitere Veröffentlichungen der Autorin Andi LaPatt

Novitäten 2021 & 2022 im Franzius Verlag

 

 

Das Leben schenkt uns zwei Welten.

Die eine sehen wir, wenn wir die Augen öffnen, die andere, wenn wir die Augen schliessen. Du entscheidest, welche du verwirklichen willst.

 

Danke an meine wunderbaren Freunde, die mich ertragen haben während des Schreibens dieses Romans und die mich tragen in jeder Situation meines Lebens. Ihr seid meine heiligen Drachen, mit denen ich überall hinfliegen kann.

 

1. Heimkehr

Ein Blitz, ein glühend heißer Feuerstrahl, und ein schreiender Russ rannte um sein Leben.

»Herrje, muss das denn sein?«, schimpfte er keuchend, während Kathie sich krümmte vor Lachen. Seine Haut war von den langen Ritten in der Sonne dunkler geworden, ledrig beinahe schon und die Haare hatten an Glanz verloren. Die sonst so leuchtenden Augen wirkten erschöpft.

»Nofelia mag es nicht, wenn du sie reizt«, lachte Kathie Russ hinterher. Auch den jungen Frauen war anzusehen, dass sie mehr Zeit in der Wildnis verbracht hatten. Ihr Antlitz erinnerte an Kriegerinnen, so wie sie früher von Gebohan hergekommen waren.

»Du musst sie nicht auch noch foppen«, forderte Kathie Russ auf, der den angesengten Hosenboden abklopfte, um sicher zu gehen, dass sein Hintern nicht mehr brannte. Nofelia, die kleine Drachendame, hatte sich prächtig entwickelt. Zu prächtig, wie Russ fand. Ihre Pranken waren riesig und schienen viel zu mächtig im Verhältnis zu ihrem echsenhaften Körper. Das Drachenmädchen war während der Reise schnell gewachsen. Mit ihrem langen Schwanz sorgte sie immer wieder für Verletzungen bei den Menschen und ihr Fauchen war geradezu angsteinflößend.

Hinter ihr dackelte der kleine Weißberottener mit dem Namen »Nodra« her. Ein kleiner Vogeljunge, der sich an seiner vermeintlich großen Schwester orientierte, die er seit seinem Schlüpftag kannte und in ihr seine Familie sah. In seiner Welt wusste er nicht, dass er ein Vogel des Nordens war. Ein hässlicher kleiner Kerl, der in diesen Breitengraden für Ärger sorgte und beim Rest der Welt nicht gerade beliebt war. Vielmehr fühlte er sich wohl wie ein kleiner feuerspeiender Drache, ganz genau so, wie seine große Schwester, die er sichtlich vergötterte. Nichts anderes hatte sich seiner Welt von Geburt an gezeigt, seit er aus dem Ei geschlüpft war und einen Drachen als einziges Vorbild kannte. Die Mädchen hatten ihre anfängliche Scheu ihm gegenüber schnell abgelegt. Zu ausgeprägt war der mütterliche Instinkt, auch Nodra liebevoll zu umsorgen, insbesondere, weil sie sahen, wie sehr der kleine Vogel seine große Schwester nachahmte und sich als völlig harmlos entpuppte. Er wurde darum genauso herumgetragen, geknuddelt und im Arm gehalten wie Nofelia. Es machte immer ein wenig den Anschein eines Riesenbabys bei dem Drachen und doch forderte Nofelia die Nähe zu den Menschen vehement ein.

Und Nofelia? Sie ging nirgendwohin ohne ihren kleinen gefiederten Bruder. Ihre Liebe war ebenso ungebrochen zu ihrem Nestbruder wie seine zu ihr. Sie beschützte ihn mit ihrem Leben, und es war undenkbar, die beiden zu trennen. Selbst wenn es die jungen Damen mit einer List versuchten, endete das jedes Mal in einem Fiasko, sobald sich die beiden Tierkinder nicht mehr im Blickfeld hatten. Ihnen allen war schnell klar geworden, dass Nofelia Nodra buchstäblich mit ihrem Leben beschützte. Die meisten konnten davon ein Lied singen, wenn sie die Brandnarben und Kratzspuren auf ihren Leibern zählten.

»Wir sollten uns nochmals hinlegen. Wenn wir uns früh auf den Weg machen, müssten wir morgen endlich in Asinja eintreffen«, erklärte Kenoa aufatmend. Auf seine Lippen war ein breites Lächeln zurückgekehrt. Die Spuren der Natur richtig zu deuten, war die Kunst, die Kenoa beherrschte, wie kaum ein Zweiter. Rutha bewunderte ihn dafür, auch, dass er zudem alles über die leuchtenden Glitzerkugeln am Himmel wusste. Kenoa war ein guter Fährtensucher, doch jetzt war das nicht mehr nötig. Diese Gegend kannten er und die anderen Männer wie ihre Westentasche: Kenoas Wahlheimat. Ihm wurde sein Herz etwas weiter, gerade so, als würde es ein längst vergessenes Lächeln zurückerobert haben. Kenoa war aufgewühlt, nervös und glücklich zugleich, endlich wieder zu Hause anzukommen. Asinja hatte ihn damals aufgenommen und ihm Schutz geboten.

Lara seufzte laut und lehnte sich auf die Hände gestützt etwas nach hinten, während sie am Boden hockend versuchte, eine bequemere Position zu finden. Ein nicht gerade leichtes Unterfangen auf dem unebenen Waldboden. Ihr Rücken schmerzte, der Boden war steinhart. Langsam, aber sicher sehnte sie sich nach einem einfachen Bett mit frischer Wäsche und dem Duft jener Seife, mit der ihre Mutter die Kleidung der gesamten Familie wusch. Der anfängliche Zauber der Abenteuer vom Unterwegssein war der knallharten Realität zu Pferde gewichen ohne frisches Wasser, ohne regelmäßiges Essen und mit Gerüchen, die ihr manchmal sehr zu schaffen machten. Niemand hatte ihr erzählt, wie unberechenbar das Wetter sein konnte, vor allem, wenn man nicht in einem sicheren Haus schlief mit einem wärmenden Dach über dem Kopf. Doch das Schlimmste waren die Rückenschmerzen. Sie erinnerte sich nicht daran, wann sie das letzte Mal schmerzfrei geschlafen hatte, und das während einer ganzen Nacht. Der harte Boden der Wälder und die langen Ritte auf den Pferden drückten auf ihre Wirbelsäule und damit auch auf ihr Gemüt. Auch die anderen klagten darüber. In den Heldengeschichten erzählte niemand von den höllischen Rückenschmerzen und dem Gestank, den sie mit sich trugen, weil sie sich nicht immer waschen konnten.

Neben ihr regte sich Kathie, die sich die Handballen rieb. »Was gäbe ich für ein schönes, warmes, echtes Bett«, schwärmte sie und Lara nickte.

»Nur noch eine Nacht«, erwiderte Kenoa. »In Asinja wirds endlich gemütlicher.«

Der Hoffnungsschimmer ließ sie alle aufatmen. Die Aussicht auf weiche Betten, frisch herrlich duftende Wäsche, Wasser und Seife, das ließ sie aufatmen. Zudem waren sie gespannt, wie dieses Asinja in Wirklichkeit aussah. Kenoa nickte zuversichtlich, denn auch er litt unter den Reisebedingungen. Doch Idisio schüttelte den Kopf und hob sein Kinn in die Luft:

»Irgendetwas stimmt hier nicht.«

Kenoa sah seinen Freund irritiert an. Auch Badogan drehte sich zu ihnen herum: »Ich habe auch ein mulmiges Gefühl.«

Russ trat hinter einem Baum hervor, während Nodra ihm mit Nofelia im Schlepptau folgte. Sie stolperte über den Waldboden und ließ sich neben Lara derart plump auf den Boden fallen, dass dieser kurz wackelte.

»Na, Eleganz sieht definitiv anders aus«, grinste Russ.

Badogan konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen: »Bin gespannt, was Nyella zu Nofelia sagen wird.«

Kenoa schnaubte besorgt und beäugte Badogan kritisch: »Meinst du, die nehmen uns einfach so wieder auf?«

Sein Kinn zeigte in Richtung Asinja. Mit einem Mal verstummten die Männer und die Blicke der Frauen wirkten irritiert. Badogan schien mit einem Mal äußerst betrübt. Kenoa hatte ausgesprochen, was sie lange schon in Gedanken mit sich herumschleppten. Die unschöne Wahrheit hing nun wie eine trübe Regenwolke über ihnen. Diese überstürzte Abreise damals, die in Asinja wie ein Verrat angeklungen hatte. Sie sahen die Gesichter des Abschieds noch in lebendiger Erinnerung vor sich.

»Warum, was meinst du?«, fragte Kathie ahnungslos.

Russ und Idisio tauschten vielsagende Blicke aus. Badogans Miene schien mit einem Mal wie versteinert. Den Mädchen hatten sie bislang noch nicht erzählt, warum sie aus Asinja weggegangen waren.

»Ich sage immer noch, irgendwas stimmt hier nicht«, erklärte Idisio abermals bestimmt, ohne auf Kenoa’s Zweifel einzugehen, während er mit dem Finger auf den Wald zeigte.

»Lasst uns erst mal ankommen. Nyella wird vernünftig reagieren«, mischte sich Russ ein. Als er an sie dachte, wurde ihm schwer ums Herz. Nacht für Nacht dachte er an sie, an ihre wunderschönen Augen und an ihre wilde Art. Dieser Kuss ... Das alles berührte ihn noch immer. Und es wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen. Die Angst plagte ihn sehr, dass er zu spät kommen könnte, dass er alles kaputtgemacht hatte, weil er wortlos mit seinem Vater gegangen war. War Nyella denn auch ihm böse? Er würde mit Nyella reden, ihr alles erklären.

Kenoa war hellhörig geworden, beobachtete seinen alten Freund: »Du hattest schon immer ein sehr feines Gespür.«

Idisio erhob sich und sah sich besorgt um, horchte in den Wald hinein, doch nichts zeigte sich ihm, das ihm sein ungutes Gefühl hätte bestätigen können. Dennoch, sein Bauchgefühl schrie ihn förmlich an. Irgendetwas war nicht richtig.

»Mach dich nicht selbst verrückt«, versuchte Kathie ihn zu beruhigen. Erwartungsvolle Augen richteten sich auf Badogan, der schließlich seufzte. Es gab wohl kein Entkommen mehr. Schweren Herzens musste er gestehen, was geschehen war – warum sie Asinja verlassen hatten.

 

Der nächste Morgen brachte nicht nur Sonnenschein und eine kühle Brise mit sich, sondern vor allem Aufbruchstimmung und damit den süßen Duft der Hoffnung. Allen war anzusehen, wie erschöpft sie waren. Der Wunsch, endlich wieder richtig zu schlafen, sich zu waschen, war riesig. Und unter ihnen waren zudem einige, die eine lang ersehnte Klärung herbeiwünschten.

Badogan hatte in dieser Nacht besonders schlecht geschlafen. Mehr als sonst hatte er sich durch einen inneren Dialog gequält. Er haderte mich sich selbst, dass er nach Brintesia geritten war, dass er sich hatte blenden lassen von Walrivia. Hart ging er mich sich selbst ins Gericht, dass er seine Freunde in Asinja vor den Kopf gestoßen hatte. Würde er selbst so etwas verzeihen können, wenn man so mit ihm umgegangen wäre? Natürlich bereute er, dass er seine Freunde verletzt hatte, doch … Er kam auch immer wieder zu dem Schluss, dass die Reise für alle notwendig gewesen war. Ohne sie hätten sie nichts in Erfahrung bringen können. Wenn sie nicht zum Königshaus geritten wären, hätten sie nicht wenigstens einen der Drachen retten können. Badogan hoffte, dass Azales sich geirrt hatte. Dieser hatte von drei großen Eiern gesprochen, und wenn das wirklich stimmen sollte, dann waren die beiden anderen in der Obhut des Schlosses und damit in der gefährlichen Hand des Nordens. Nicht auszudenken, wenn dem wirklich so war. Badogan verzieh sich jedoch nicht, dass er nur einen Drachen im Gepäck hatte. Wenn er aufmerksamer gewesen wäre …, wenn er doch nur selbst in den Turm geschlichen wäre …, vielleicht hätte er alle Drachen retten können. Was, wenn Nyella ihm genau das nicht verzieh? War einer von drei Drachen wirklich genug?

Von Azales blieb jede Nachricht aus. Er war an den Hof zurückgekehrt, zusammen mit Gerham. Badogan dachte oft an die beiden und betete inständig, dass Gerham wieder gesund werden würde. Vielmehr betete er, dass Azales einen Weg gefunden hatte, die beiden anderen Drachen doch noch zu retten. Einen hatten sie hier: Nofelia. Hatten die zwei anderen überlebt? Wo waren sie? Gab es irgendeine Chance, sie zu retten?

Und Badogan hoffte insgeheim, dass das Geschenk eines Jungdrachen die Asinjaner und seine alten Freunde milde stimmen würde, allen voran Nyella. Wenn sie sehen würden, was er alles getan hatte – den Drachen retten, die Mädchen mitbrachte – dann mussten Shastro und die anderen ihn willkommen heißen, ihm vielleicht sogar verzeihen. Und wenn Nyella auf seiner Seite war, dann würden die anderen ihrem Beispiel folgen. Doch als die Pfade immer näher an Asinja führten, wurde Idisio mit jedem Schritt unruhiger. Schließlich hielt er sein Pferd an und gab den anderen das Kommando, anzuhalten: »Was ist denn hier los?«

Kenoa schloss zu ihm auf: »Sind wir wirklich auf dem Weg nach Asinja?«

Dabei schaute er zu Idisio, der sich irritiert umschaute: »All die Pflanzen …, sieh dir das an.« Er zeigte auf niedergebrannte Bäume, verwelkte Sträucher, die aussahen, als hätten tausend Tiere sie niedergetrampelt. Ein Bild des Schreckens offenbarte sich ihnen mit jedem Meter, den sie tiefer in den Wald kamen.

»Lass uns weiterreiten, vielleicht wird es da hinten besser«, bat Badogan mit besorgter Miene. Doch die nächsten Meter offenbarten nur noch mehr Chaos, denn der gesamte Wald hatte sich zu Boden gelegt und war zerstört worden. Schon nach kurzer Zeit standen Badogan und seine Begleiter inmitten von einer Waldleiche und nichts mehr deutete auf die einstige Schönheit dieses Ortes hin. Es sah aus wie nach einer grauenvollen Schlacht. Die grünen Blätter, die hohen Gräser, der erdig matschige Boden, all die majestätischen Bäume, sie waren nicht mehr da und die restlichen Pflanzen schienen mehr tot als lebendig. Die Zerstörung schrie ihnen entgegen.

»Wo ist Asinja?«, wollte Kenoa wissen, drehte sich immer wieder, ungläubig und verwirrt, traute seinen Augen nicht: »Das kann doch nicht einfach weg sein. Hier drüben müsste der geheime Zugang zum Dorf gewesen sein«, erklärte er verdutzt. Damit zeigte er auf eine Ecke, vor der die Vernichtung ebenfalls nicht Halt gemacht hatte. Auch dort lag alles in Trümmern. Von Asinja weit und breit keine Spur mehr. Selbst wenn die Stadt vorher nicht für alle sichtbar gewesen war, wusste Kenoa doch, wo sich der geheime Einlass zum Dorf befunden hatte. Und hier war sonst alles üppigst grün verwachsen gewesen, riesige Bäume, uneinsehbare Büsche. Ein Durchkommen durch diesen Wald war beschwerlich gewesen, weil sich die Bäume beinahe an den Ästen festgehalten hatten, wie Hände, die sie sich gereicht hatten, um unerwünschte Fremde fernzuhalten. Hier hatten früher Hunderte von Tieren gelebt, der Wald war bezaubernd und einzigartig gewesen. Und heute klaffte ein monströses Nichts, wo sonst ein geheimes Baumhausdorf gethront war, das vielen magischen Wesen eine sichere Heimat gewährt hatte.

Die Stille war gespenstisch. Kaum ein Tier regte sich mehr, alles schien tot, der Wald, die Gegend, die Luft, alles vernichtet. Fassungslos sah sich Kenoa wieder und wieder um, in der Hoffnung, er möge sich irren. Mehrmals kniff er die Augen zusammen, als könnte er sich davon überzeugen, dass das alles nur ein böser Traum war, von dem er hoffte, wieder aufzuwachen. Idisio und Kenoa rangen beide um Fassung, während die Mädchen neugierig nach einem Indiz suchten, das hätte auf das sagenumwobene Asinja hindeuten können, von dem ihnen in den letzten Tagen so oft erzählt worden war.

Russ kämpfte mit den Tränen: »Was ist hier nur geschehen?«

Badogan schüttelte betroffen den Kopf: »Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«

Nur das Knarren der Sättel war zu hören, wenn die Pferde sich bewegten und das Keuchen von Nodra, der kaum zu bändigen war.

Schließlich war es Nofelia, die die Stille brach, als sie sich bei Lara bemerkbar machte und anfing, unruhig zu werden auf ihrem Schoß: »Sie will runter.«

Kenoa drehte sich zu ihr um: »Dann lass sie. Hier waren schließlich für eine Weile ihre Geschwister zu Hause. Möglicherweise kann sie sie riechen. Vielleicht kann sie uns in irgendeiner Form helfen.«

Lara ließ sich mit dem Jungdrachen auf dem Arm vom Pferd gleiten und eilte zu den niedergebrannten Stämmen. Nofelias Nüstern weiteten sich, sie quengelte und schließlich ließ Lara sie auf den Boden. Sofort machte sich das Drachenmädchen mit seinen staksigen Schritten auf, zu den verkohlten Stämmen zu laufen, und schnüffelte die gesamte Gegend ab. Sie wirkte wie von etwas Unsichtbarem angestachelt. Schließlich wetzte sie zwischen den toten Hölzern umher und am Ende stellte sie sich auf ihre schon mächtig wirkenden Hinterfüße, hob ihre kleinen Flügel und fauchte schrill, bis sich ein Feuerstrahl gen Himmel entlud.

»So klein sie noch ist, aber die hat richtig was drauf, wenn sie sauer ist. Warte nur, bis die größer wird«, seufzte Kenoa.

»Ich möchte ihr dann lieber nicht in die Quere kommen. Mir reicht schon, wenn sie Fangen mit mir spielt und meine Hosen ansengt«, grinste Russ.

Nodra war untypischerweise bei Lara geblieben. Mit großen Augen wirkte er geradezu verängstigt und beobachtete Nofelia aus sicherer Entfernung. Das Drachenmädchen wiederholte mehrmals, Feuer in den Himmel zu speien, dann hopste sie zurück zu Lara, fing an zu winseln und wirkte äußerst aufgeregt.

»Meinst du, sie kann die anderen Drachen wirklich riechen?«, fragte Rutha vorsichtig und beobachtete Nofelia.

»Ich denke schon«, erwiderte Idisio besorgt: »Sonst müsstest du mir diese Reaktion gerade eben irgendwie sonst erklären können.«

»So wie die riesigen Stämme verkohlt sind, gibt es für mich nur eine Erklärung, was hier passiert sein könnte. Das war keine herkömmliche Feuersbrunst. Solche Bäume zum Einstürzen zu bringen, das kriegen wohl nur die Drachen hin«, erklärte Idisio.

»Aber warum sollten die Drachen das eigene Dorf abfackeln?«, wunderte sich Russ und schüttele vehement den Kopf.

»Ein gutes Argument. Aber wie du weißt, sind Drachen nun mal wilde Tiere. Möglicherweise konnten sie nicht mehr anders, als sich so zu befreien«, mutmaßte Badogan.

Idisio schüttelte auch den Kopf: »Und damit Nyella in Gefahr bringen? Das glaube ich kaum. Nyella hat eine ganz spezielle Beziehung zu ihren Drachen. Sie würden sie niemals in Gefahr bringen.«

Kenoa nickte: »Das stimmt allerdings. Es sei denn, Nyella war zu dem Zeitpunkt gar nicht hier.«

Badogan runzelte die Stirn.

»Vielleicht war es auch vollkommen anders«, gab Lara zu bedenken und es wurde still.

Eine Weile standen sie so da und überlegten. »Vielleicht mussten sie sich auch verteidigen«, kam es von weiter hinten und alle drehten sich zu Kathie um. Etwas betreten blickte sie in erstaunte Gesichter: »Ich mein ja nur …«

Idisio überlegte: »Vielleicht hast du sogar recht. Das hier sieht nicht nach Befreiung aus, so als hätte sich einer der Drachen nicht im Griff. Sieh dir den Krater an, der auf dem Boden wie ein riesiges Loch klafft. Es ist, als wäre gezielt von oben nach unten gefeuert worden.« Damit zeigte er von der Mitte nach außen, wo die Schneise der Zerstörung wie ein Wegweiser den Boden zierte.

»Hm«, sinnierte Badogan: »Was ist hier nur passiert?«

»Das wüsste ich auch gerne«, antwortete Kenoa.

»Wenn du dir den Krater genauer ansiehst, könnte die Theorie von Kathie sogar stimmen«, gab Russ zu.

»Wenn es Asinja nicht mehr gibt… was tun wir denn dann?«, fragte Kenoa und wirkte verloren. Er sah mit einem Mal zerbrechlich aus.

Badogan zuckte mit den Schultern: »Eine gute Frage. Ich habe leider nicht die leiseste Ahnung.«

Russ seufzte: »Meint ihr, dass es die Bewohner rechtzeitig geschafft haben, Asinja zu verlassen?«

Betroffen schaute Idisio auf: »Ich hoffe es.«

Kenoa suchte den Waldboden nach weiteren Spuren ab: »Sonst müssten wir auch verkohlte Körper finden.« Dafür erntete er erschrockene Blicke, doch dann winkte er ab: »Machen wir uns doch nichts vor. Asinja gibt es nicht mehr und so, wie das hier aussieht, gibt es keine große Hoffnung auf Überlebende.«

Was für ein Schock. Badogan und Kenoa wussten darauf keine Antwort. Zu grauenvoll war die Vorstellung, dass es nicht nur Asinja nicht mehr gab, sondern möglicherweise auch viele, die hier gelebt hatten. Als sie nach einer Weile noch immer inmitten von verbranntem Holz marschierten, entdeckte Badogan verkohlte Körper. Ihm blieb beinahe das Herz stehen. Er hieß die Karawane zu stoppen mit erhobener Hand und gab die Zügel seines Pferdes Idisio in die Finger. Badogan ging zitternd auf die verkohlten Leiber zu. Dann schluckte er und Kenoa kam hinter ihm her. »Pferde und Menschen?«, wunderte sich Badogan.

»Nicht alle sind völlig verkohlt, schau her…«, winkte Kenoa ihn zu sich.

»Schattenreiter«, flüsterte Badogan.

»Und hier, sieh, das sind Weißberottener und da ein großes Viech, das ich nicht identifizieren kann«, rief Kenoa und zeigte auf weitere Kreaturen.

»Das ist ein Knoallingenberserker«, flüsterte Badogan erschrocken. »Ein furchtbares Wesen aus dem Norden. Schau, da liegen verbrannte Hianthuße.« Badogan blickte Kenoa besorgt an: »Der Norden muss Asinja angegriffen haben…«

»Doch woher haben sie gewusst, wo das Dorf lag?«, wunderte sich Kenoa.

Badogan schüttelte den Kopf: »Keine Ahnung. Aber das bedeutet nichts Gutes.« Badogan hob seinen Blick, sah in alle Himmelsrichtungen, ob er sonst noch was erkennen würde: »Doch, wo sind die Dorfbewohner?«

Kenoa schüttelte den Kopf und gemeinsam gingen sie zu den anderen, um ihnen zu berichten, was sie gerade mit eigenen Augen gesehen hatten.

»Sind auch Asinjaner drunter?«, erkundigte sich Idisio besorgt.

»So wie es aussieht, glaube ich eher nicht«, entgegnete Badogan. Ein wenig Erleichterung machte sich breit.

»Doch wo sind sie nur hin?«, fragte Idisio aufgewühlt.

Badogan und Kenoa schüttelten beide zeitgleich den Kopf: »Bleibt zu hoffen, dass sie fliehen konnten und nicht zu Gefangenen wurden.«

Bestürzt hob Lara die Hand vor den Mund: »Gefangene?«

Kenoa schlenderte über den Platz, bis er weit hinten den Arm in die Höhe schnellen ließ: »Hier sind Spuren von Kutschen und Pferden.« Schnell drehte er um und kehrte zu den anderen zurück: »Es sind nur ein paar wenige Spuren erkennbar. Aber so wie es den Anschein macht, sind Kutschen aus Asinja weggefahren.«

Badogan überlegte: »Könnte es sein, dass sie fliehen konnten, bevor der Norden hier eingetroffen ist?«

Kenoa sah ihn lange an: »Möglich ist alles.« Er schluckte: »Ich hoffe es zumindest.«

Weiter hinten zeigten sich erste Bäume, die überlebt hatten und langsam schlängelte sich die Zerstörung aus dem Gebiet heraus und das Grün verlief wieder hinein in den alten Wald, wie er seit Jahrhunderten hier wuchs. Der Angriff sowie der Nebel der Zerstörung hatte zwar auch hier Spuren hinterlassen, aber lange nicht in derselben Weise wie die Vernichtung Asinjas.

Idisio winkte Badogan und Kenoa zu sich: »Hinter den Bäumen da hinten, da ist was.«

Sie drehten sich zu den besagten Baumstämmen um und ein Schatten verschwand eiligst hinter einem mächtigen Holzstrunk.

»Hallo?«, rief Rutha.

»Bist du verrückt?«, schimpfte Kathie und winkte in die Luft.

»Was denn?«, wunderte sich Rutha und schüttelte den Kopf.

»Der Norden hat hier angegriffen«, erboste sich Kathie und zeigte ins Leere.

»Ja, die werden wohl kaum hinter einem Baumstamm warten, bis ich nach ihnen rufe«, verdrehte Rutha genervt ihre Augen.

»Das stimmt allerdings«, grinste Russ und erntete dafür einen bösen Blick von Kathie.

»Lass uns mal rübergehen«, schlug Russ vor. Badogan und er zogen die Schwerter und marschierten mutig zu den Baumstämmen hinüber.

»Ist da jemand?«, rief Russ beherzt. Dabei strich er sich eine Strähne aus dem Gesicht.

»Wir wollen nur reden«, ergänzte Badogan.

»Hallo?«, wagte es Russ erneut. Das Schwert hatte er bereits in Position gebracht, doch nichts geschah.

Hinter ihnen tauchte plötzlich Kenoa auf. »Lass mich mal«, sagte er und stellte sich vor die beiden: »Ist da jemand, der uns Antworten geben kann, was hier geschehen ist?«

Alle Augen waren auf die Baumstämme gerichtet, doch noch immer passierte nichts.

Kenoa seufzte: »Wir wissen, dass der Norden angegriffen hat. Wir wissen um das Dorf in den Bäumen«, sagte er vorsichtig. Wieder blieb eine Antwort aus.

»Und wenn es jemand ist, der Asinja nicht kennt? Dann verraten wir Geheimnisse«, flüsterte Badogan besorgt in sein Ohr.

»Das glaube ich kaum«, antwortete Kenoa bestimmt. »Wer soll hier noch sein, der nicht auch aus Asinja stammt? Sofern es überhaupt noch Überlebende gibt. Sieh dir an, wie es hier aussieht«, flüsterte Kenoa. »Ich bin’s Kenoa«, fing er wieder an und wandte sich zu den Bäumen: »Kennst du mich denn nicht?«

Was auch immer er zu sehen erhoffte, wenn es jemand aus Asinja sein sollte, würde er oder sie ihn erkennen. Schließlich hatte er viele Jahre hier gelebt. »Bist du das, Asram?«

Hinter dem Ast raschelte es. Schließlich erschien ein Büschel grauer Haare: »Kenoa?« Eine Frauenstimme.

Kenoa atmete auf: »Marmilla.« Er rannte zu den Bäumen und eine alte Greisin zeigte sich. »Marmilla, was ist geschehen?«

Die alte Frau ließ sich in die Arme von Kenoa fallen. Es gelang ihm gerade noch, sie aufzufangen, bevor sie entkräftet zu Boden sackte. Mit starken Armen stellte er sie wieder auf die Füße und hielt sie fest. Erst nach einer Weile lösten sie sich aus der Umarmung und die Alte sah Kenoa ernst an.

»Der Norden…« Sie brach ab, sah zu den anderen hinüber: »Ich wusste, dass ihr irgendwann kommt.« Sie zeigte in den Himmel hinauf.

»Komm, leiste uns Gesellschaft«, forderte Kenoa sie auf und gemeinsam gingen sie zu den anderen.

Die alte Frau sah erschöpft aus. »Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?«, wollte Idisio schließlich wissen.

Nofelia hatte sich aufgemacht, Marmilla zu beschnuppern, und diese fiel in Verzückung, als sie den Jungdrachen sah: »Ihr habt noch einen Drachen gefunden? Wie ist das denn möglich?«

Badogan war etwas stiller geworden, er scheute den Augenkontakt mit Marmilla.

»Im Königsturm waren Eier versteckt, darunter drei Dracheneier«, erklärte Russ ihr.

»Drei?«, wollte sie neugierig wissen, während sie Nofelia liebevoll streichelte. »Was ist mit den anderen beiden?« Mit einem Mal sah sie besorgt aus.

Und diese Miene nahm Kenoa auch auf: »In den Händen des Königsturms.« Mehr wollte er nicht aussprechen.

Marmilla sah zu Boden: »Verstehe.« Sie überlegte gedankenverloren, als sie schließlich Nodra entdeckte. »Und was tut dieses verfluchte Biest hier?«, sagte sie unfreundlich, doch Kenoa hob schützend die Hand vor den Vogel.

»Er ist mit Nofelia zusammen geboren und wächst mit ihr auf. Er ist kein Teufel des Nordens.«

Marmilla sah ihn lange an: »Du weißt, dass wir mit unserem Blut verbunden sein. Den Norden kannst du so einem Biest nicht austreiben. Niemals.«

Doch dieses Mal war es Lara, die einschritt: »Nodra wächst mit Nofelia auf, weit weg vom Norden …«

Lara wollte mehr sagen, doch Marmilla hob die Hand: »Seid auf der Hut. Ich rate euch nur, seid auf der Hut. Aus einem Wolf macht ihr keinen Hund.« Dann vertiefte sich die Furche über ihrem Nasenrücken: »Der Norden kämpft nicht nur mit den Waffen aus Eisen.«

Niemand wagte, Marmilla zu widersprechen. Kenoa überlegte, ob er weiter argumentieren sollte, doch er ließ es besser sein. Die Worte Marmillas stimmten ihn allerdings nachdenklich. Hatte sie möglicherweise recht?

Eine Weile später schaute Marmilla zu Badogan, musterte ihn von Kopf bis Fuß, bis sie schließlich liebevoll sagte: »Wie ist es dir ergangen?«

»Ich fühle mich furchtbar«, erklärte er offen.

Marmilla nickte abermals: »Das kann ich gut verstehen. Die Zeit der Klärung wird kommen.« Sie hatte ohne Worte verstanden, was Badogans Herz belastete.

Russ seufzte: »Möchtest du uns erzählen, was hier geschehen ist?«

Und Marmilla räusperte sich, als sie begann, von dem Tag zu berichten, an dem Kergissa verschwand. Sie erzählte, wie Nyella mit Tapio weggeflogen war und davon, wie sich die Drachen erhoben hatten, um dem Norden den Krieg zu erklären. Sie erzählte in bunten Worten, wie die anderen das Dorf verlassen und wie der Norden angegriffen hatte.

»Dann sind alle in Sicherheit?«, atmete Idisio auf.

»Nun, nicht alle, nein. Asinja ist gestorben und auf der Flucht einige seiner Bewohner«, erklärte die Alte traurig. Dann berichtete sie davon, wie lange die alten Weisen in Asinja ausgeharrt hatten, um den Norden zu täuschen mit Zaubersprüchen. Wie sie mit magischen Werkzeugen hatten verzögern können, um den meisten zur Flucht zu verhelfen.

»Und wer ist noch hier?«, wollte Kenoa wissen, doch Marmilla schüttelte betrübt den Kopf: »Ich bin die Einzige, die von den Alten überlebt hat. Noch.« Sie sah Kenoa liebevoll an: »Ich wusste, dass ich noch diese eine Aufgabe habe, euch davon zu erzählen. Und diese ist hiermit beendet.«

Rutha verzog das Gesicht: »Was heißt das?«

Marmilla erhob sich und trottete langsam von ihnen weg: »Grüßt mir Asinja, lebt wohl.«

Rutha wollte aufstehen und ihr nachgehen, doch Idisio hielt sie zurück: »Sie wird sterben. Und sie weiß das.«

Rutha erschrak sich, hob die Hände vor den Mund: »Aber… wir müssen doch was tun können.«

»Sie hat ihr Leben gelebt. Glaub mir, die Götter wollten, dass sie uns noch trifft und von diesem Tag berichtet. Das ist alles. Nun ist sie bereit, zu gehen.«

 

Stunden später ritten sie weiter durch den Wald. Lange sagte niemand ein Wort, bis schließlich Kenoa das Schweigen brach: »Ist euch aufgefallen, was Marmilla am Schluss gesagt hat?«

Russ schüttelte den Kopf, auch die anderen konnten sich nicht an den genauen Wortlaut erinnern.

»Sie sagte ›grüßt mir Asinja‹ und nicht ›jemanden aus Asinja oder Gebohan oder sonst was‹. Sie sagte ausdrücklich Asinja«, sinnierte Kenoa.

»Ein Versprecher vielleicht? Ich meine, sie sah ihrem Tod quasi ins Auge«, gab Rutha zu bedenken.

»Seltsam ist das schon«, gab Yasmina Kenoa recht.

»Seltsam ist das in der Tat«, wiederholte auch Idisio. Kenoa schüttelte unmerklich seinen Kopf. Die letzten Minuten Marmillas brannten sich in seine Erinnerung.

 

2. Annasia

Ein Geruch von verwesten Körpern umhüllte den langen Flur wie eine lästige Plage, die sich nicht abschütteln ließ. An den Wänden hingen Fackeln, deren Flammen gerade genügend Licht spendeten wie nötig. Sie verströmten den Hauch einer Orientierung als Hinweis auf den düsteren Gang, der zu ihm führte. Der Weg durch dieses Labyrinth war bereits für mehr als Einen schon tödlich ausgegangen, warteten doch hinter der falschen Abzweigung bestialische Wesen, die seit langer Zeit ihren Hunger niemals völlig stillen konnten. Mercus von Cabergrat, Sohn eines der großen Herrscher aus dem Hause Cabergrat, aus dem Land der schwarzen Moore, schlich sich listig durch die Flure. Er war einer der Wenigen, die hier regelmäßig ein- und ausgingen. Er kannte die Wege gut, die Tricks, um dem Tod zu entgehen, der hinter mancher Tür wartete. Die Cabergrats waren seit jeher ein verschlagenes Volk gewesen und stets auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Aber … wer war das nicht im Norden?

Nur wenige schafften es, den Meister wirklich zufriedenzustellen. Eigentlich keiner, wenn man es genau nahm, zumindest seit langer Zeit nicht. Und in den letzten Wochen schien es geradezu unmöglich geworden zu sein. Das fiel selbst Mercus auf, dem sonst keine Bosheit zu viel war. Die große Eisentür baute sich vor ihm verschlossen auf wie ein eiserner Vorhang. Mercus ging schnurstracks darauf zu. Dahinter begrüßten ihn furchteinflößende Schreie, doch selbst das war Mercus seltsam vertraut. Man nannte ihn nicht umsonst »den Meister«. Für seine Grausamkeit bekannt, sah Mercus geradezu zu diesem Scheusal auf, wenngleich er das natürlich niemandem verriet. Fast schon ein wenig ehrfürchtig hatten sich die Cabergrats dem großen Meister angeschlossen, seit er sie aus dem Land der schwarzen Moore hatte zu sich rufen lassen. Ohne zu zögern, waren sie mit der gesamten Familie seinem Ruf gefolgt.

Bei der schweren Tür angekommen blickte Mercus zu den beiden hässlichen Kreaturen hoch, die den Eingang bewachten wie zu Stein gewordene Statuen. Ihre Körpergröße überragte den Kleinwüchsigen um einiges und ihre Hässlichkeit konnte er kaum in Worte fassen. Geräuschvoll wie Mercus sich angekündigt hatte, hatten ihn die Wachen natürlich registriert. Aber wie immer taten sie so, als würden sie ihn nicht bemerken, worüber sich Mercus jedes Mal ärgerte. Doch er ließ sich nichts anmerken, bestimmt nicht bei zwei solchen Tölpeln. So wartete Mercus geduldig, bis der Meister ihn empfing, während die düsteren Gesellen neben der Tür verharrten.

Als er ihm gegenübertrat, fielen Mercus seine blutverschmierten Hände auf. Wahrscheinlich hatte er dem anderen, der vor ihm hier gewesen waren, mit bloßen Händen den Hals umgedreht oder irgendwelche Gliedmaßen ausgerissen. Mercus schluckte.

»Was bringst du für Kunde?«, wollte der Meister wissen. Dunkel hallte seine rauchige Stimme wider in dem düsteren Raum. Der Gestank hier drin war noch übler als auf dem Flur. In die Verwesungswellen vermischten sich benebelnde Kräuterschwaden, aufgebrüht mit seltsamen Giften, die sich offenkundig in die Herzen der Besucher schlängelten, um ihre Sinne zu trüben.

»Die Hüterin der Tiere ist tot«, erklärte Mercus knapp.

Unter der dunklen Kapuze blitzte kurz ein Lächeln auf, doch dann – erneutes Schweigen. Damit drehte sich der Meister zur Wand, an der ein riesiges Symbol eingeritzt mit seiner Präsenz den ganzen Raum einnahm.

»Das freut mich zu hören«, erklärte der Meister heiser lachend. »Das wusste ich bereits. Es soll dein Schaden nicht sein, mich mit weiteren Informationen zu versorgen«, erklärte die Stimme unter der Kapuze und deutete Mercus mit herablassend winkender Geste an, dass er zu gehen hatte.

Mercus trat enttäuscht den Rückweg an, schritt energisch durch den grauenvoll stinkenden Korridor. Er war wütend. Der Meister hatte ihm gesagt, wenn er noch einmal eine so wichtige Information für ihn hätte, dann würde er »ihm« endlich persönlich gegenübertreten dürfen. Und nun? Mercus wusste, wie wichtig die Information über Roberta gewesen war. Doch woher hatte er vorher von ihrem Tod erfahren? Mercus tappte völlig im Dunkeln. Dass der Meister das gerade so abgetan hatte … Was war nun mit dem Versprechen des Meisters? Mercus war wirklich wütend. Wirklich außerordentlich wütend. Der Meister hatte sein Wort nicht gehalten. Schließlich hatte er es Mercus versprochen. Nun war er einfach so abgespiesen worden, als wäre er ein irgendein gemeiner Diener. Doch wo Mercus herkam, da war er schließlich von edlem Blut. Und in seiner Welt stand man zu seinem Wort. Der Meister selbst hatte kein blaues Blut, wie konnte er nur so anmaßend sein? Schließlich hatte der Meister ihm schon lange versprochen, ihn »ihm« vorzustellen. »Ihm« - dem König der Unterwelt, dem der Meister diente und schließlich sie alle.

Mercus bemerkte erst viel später, dass er schon kurz vor seinem Haus stand, als er irritiert innehielt. Den ganzen Weg über hatten ihn die Wutgedanken fast aufgefressen. Verwundert blieb er stehen und blickte auf die Straße hinter sich. Wie lange war er unterwegs gewesen? Mercus konnte sich nicht entsinnen, dass er den Weg so schnell hatte zurücklegen können. Er sah sich erneut um. Plötzlich bemerkte er, dass seine Cousine auf der großen Bank neben dem Haus hockte und in den Himmel starrte. Als er auf sie zuschritt, wandte sie sich ihm zu, versuchte, ihm so was wie ein Lächeln zu schenken.

»Was tust du hier draußen, es ist eisig kalt«, fragte Mercus unfreundlich und Annasia senkte ihren Blick: »Ich muss an zu Hause denken, an meinen Bruder.«

Das bemüht wirkende Lächeln fror augenblicklich ein. Mercus schnaubte auf. »Erwähne nicht seinen Namen. Ihn schon auszusprechen ist eine Schande. Er ist eine Schande. Erwähne nie wieder seinen Namen«, keifte Mercus seine Cousine an: »Wage bloß nicht, über ihn zu sprechen. Nie wieder. Wir haben dich trotz allem aufgenommen und bieten dir Heim, Nahrung und Schutz.«

Annasia schwieg und wandte ihren Blick ab. Natürlich wusste sie das. Wie könnte sie das vergessen? Schließlich hielt ihr Cousin ihr das immer wieder vor, damit sie es auf keinen Fall vergessen sollte.

Mercus starrte sie noch eine Weile an, nur um sicherzugehen, dass sie nicht doch noch anfing, über diesen vermaledeiten Kerl zu diskutieren. Als er sich seines Sieges sicher war, marschierte er ins Haus und pfefferte die Tür hinter sich zu.

Annasia verweilte auf der Bank und hielt einen inneren Dialog mit sich über ihren Bruder. Sie würde Mercus gegenüber nichts mehr erwähnen, nie wieder. Überhaupt, sie würde niemandem mehr etwas darüber sagen. Besser war es, wenn sie einfach schwieg. Sie fühlte sich mit jedem Tag unwohler in dieser Familie. Seit Gimle nicht mehr da war, war es schlimmer geworden. Und sie wollte nur noch weg. Weg von der Familie, weg von hier. Weg von allen.

Annasia beschloss, sich die Beine zu vertreten. Alleine machte sie sich also auf, um ihre Gedanken aus dem Kopf zu kriegen. Alsbald schlenderte sie durch die Stadt, deren Straßen sie bereits in- und auswendig kannte. Sie ging hier oft auf und ab, meist aus Langeweile, oft aus Einsamkeit. Alle Gassen hatte sie bereits eingehend erkundet, es gab nichts mehr Neues und schon gar nichts Spannendes mehr. Tagein tagaus schlenderte sie hier entlang, langweilte sich und sehnte sich nach zu Hause. Vor allem sehnte sie sich nach ihrer Familie, wie sie früher gewesen war, und nach ihrem Bruder. In der Familie ihres Cousins fühlte sie sich unverstanden und äußerst unwillkommen. Sie spazierte weiter, in Gedanken versunken, bis sie an den Rand der Stadtmauern kam. Wenn sie außerhalb der Stadt war, wurde ihr ein wenig leichter ums Herz.

Die Wächter brachten die Toten auf den Haufen vor der Stadt oder jene, die es bald sein würden. Der Platz war hinter den Stadtmauern angrenzend an den Wald. Soweit weg, dass der Geruch es nicht in die Stadt schaffte und die Stadtbewohner die Leichen nicht sehen mussten. Manchmal schafften die Gefangenen es, schnell genug zu verhungern, bevor der Meister sie zu Gesicht bekam. Wenn nicht, wurden ihre Einzelteile oder was von ihnen übrig war, hier entsorgt. Kaum einer schaffte es lebend hierher. Ein paar wenige verendeten hier im Haufen der seelenlosen Leiber qualvoll. Doch es ging das Gerücht um, dass es einen gegeben haben soll, dem es tatsächlich gelungen war, lebend zu fliehen. Man erzählte sich, dass Pferdemänner gekommen waren, um ihm zur Flucht zu verhelfen. Meist flammten die Geschichten auf, wenn die Nacht sich über die Stadt gelegt und der Met sich in die Hälse einen Weg gebahnt hatte. Da hatte es einen gegeben, der es aus Moqurien geschafft hatte – lebend, aus der Gefangenschaft des Meisters. Dabei überschlugen sich die fantastischen Geschichten und niemand wusste, ob es wirklich vor diesen Stadtmauern geschehen war oder in irgendeinem verfluchten Wald da draußen. Die Fantasie und der Alkohol hatten dieser Handlung viel Raum gegeben. Und der Meister hatte getobt. Sein Zorn hatte sich über die Stadt gesenkt und über jeden, der mit dieser Tat in Zusammenhang hätte stehen können. Eine schlimme Zeit war das gewesen, eine wirklich schlimme Zeit. Die Angst war der Seelen üppigste Nahrung innerhalb dieser Mauern und nicht nur der Meister ernährte sich genüsslich davon. Schließlich lebten sie im Norden, der Heimat des Grauens.

Annasia war kurz hinter dem Stadttor stehen geblieben. Angst war auch zu ihrem besten Freund geworden, seit sie hierhergekommen war, und so fürchtete sie sich auch heute davor, dass man sie für jeden weiteren Schritt aus der Stadt hinaus bestrafen könnte. Doch diese wenigen Meter aus der Stadt, die Mauer hinter sich lassend, waren es wert, das Risiko einzugehen. Ein paar Atemzüge in Freiheit. Einfach nur ein paar Atemzüge, nur ein bisschen… Sie war hungrig nach ein wenig Freiheit, sodass sie dafür sogar ihr Leben riskierte.

Die Wächter sagten meist nichts, wenn sie sich die Beine hier vertrat. Wahrscheinlich waren sie es selbst leid, die alten Regeln strikt zu befolgen und jeden zu töten, der diese Grenze überschritt. Die Wachen ließen Annasia gewähren. Möglicherweise nur, weil sie aus dem Hause Cabergrat stammte. Irgendwie hatten sie sich an sie gewöhnt.

Wehmütig dachte sie wieder an zu Hause. An die schwarzen Moore, an die Tiere dort, an das Haus, in dem sie groß geworden war. Ach, wenn sie doch nur wieder dorthin zurückkehren könnte. Diese Stadt hier raubte ihr den Atem, sie konnte kaum Luft holen, ihr Zuhause fehlte ihr sehr. Am liebsten wäre sie heute schon weggerannt, aber wie sollte sie nach Hause kommen? Die Cabergrats kannte man im ganzen Land. Wenn sie fliehen würde, müsste sie sich wohl ein Leben lang auf der Flucht vor der Welt verstecken. Noch viel schlimmer aber war, dass es ihr Zuhause nicht mehr gab ohne ihren Bruder. Die meisten ihrer Familie waren tot, ihre Heimat leer und die restlichen Angehörigen mit ihr hier in diesem vermaledeiten Ort. Sie hatten sich verändert, als hätte diese Stadt ihre Herzen noch mehr vergiftet, als sie ohnehin schon waren. Kurz blitzten Erinnerungsfetzen aus ihrer Kindheit auf und sie sah vor ihrem inneren Auge die Gestalt von Gimle. Sofort musste sie lächeln. Was hatten sie doch für Streiche angestellt, als sie klein gewesen waren. Viele schöne Momente huschten durch ihren Kopf.

Annasia bemerkte einen Todesraben, der neben ihr auf dem Ast herumhüpfte. Mit einem lauten »Roa Roa« hatte er ihre Aufmerksamkeit erlangt. Sie wandte sich dem Vogel zu und beobachtete ihn, wie er seine Federn säuberte. Ein Todesrabe so nah an der Stadt? Annasia wunderte sich. Die Vögel waren normalerweise sehr scheu, vor allem in diesen Breitengraden, aber in diesen Tagen war wohl alles ein wenig anders. Seltsame Gestalten waren in die Stadt eingekehrt, noch üblere Gesellen, als es ohnehin schon hier gab. Und die Geschichten über den Wandel der Zeit wurde immer abstruser. Im ganzen Land war es zu seltsamen Veränderungen gekommen, die auch Annasia nicht verborgen geblieben waren. Sie kannte die Gerüchte, die man hinter vorgehaltener Hand munkelte. Sie war nicht naiv, zu glauben, dass der Meister sie nicht ohne Grund hatte rufen lassen. Die alten Geschichten fanden keine Ruhe, der Norden führte nichts Gutes im Schilde.

Annasia erinnerte sich daran, wie überstürzt sie die schwarzen Moore verlassen mussten. Der Meister hatte sie alle zu sich rufen lassen, die mächtigen Familien aus aller Herren Länder des Nordens, ihnen prunkvolle Häuser innerhalb der Stadtmauern angeboten, weil er sie um sich scharen wollte. Annasia verstand nichts von den politischen Zusammenhängen dieser Zeit. Sie wusste nur, dass sie sich hier nicht wohlfühlte und mit den Neuankömmlingen legte sich eine seltsame neue Schwere über die Stadt. Mercus und Bavario waren oft bis tief in die Nacht beim Meister, trugen seltsame Gerüche nach Hause, sprachen in eigenartigen Worten über Dinge, die Annasia nicht verstand.

Der Todesrabe hockte neben ihr im Geäst und beobachtete sie aus den schwarzen Knopfaugenwinkeln heraus. Annasia starrte verwundert zurück. »Na du«, sagte sie liebevoll. Der Vogel legte seinen Kopf schräg, hüpfte ein wenig weiter weg, hob den Kopf und starrte sie weiterhin unverwandt an. Annasia schwieg, verhielt sich ruhig. »Was tust du hier?«, fragte sie den Todesraben, als würde sie tatsächlich erwarten, eine Antwort von dem Vogel zu bekommen.

Annasia musste lächeln: »War klar, dass du nicht mit jedem redest.« Annasia sah dem Todesraben liebevoll zu. »Ich würde viel darum geben, auch fliegen zu können.« Dann blickte sie hinauf aufs Feld, das vor dem Haupttor lag und seufzte. »Dann würde ich von hier wegfliegen«, erklärte sie leise. »Sofort.«

Der Vogel wackelte etwas weiter nach vorne in ihre Richtung. Mit ihren Gedanken war sie bereits in der Luft in Richtung Heimat. »Mir fehlt jemand zum Reden. Die Kreaturen hier, alles ist so seltsam. Das ist alles so schwer und so kompliziert«, sagte sie flüsternd und sah wieder hinüber zu dem Vogel, der erneut den Kopf schief legte »Außerdem…«, Annasia seufzte: »Weißt du, mein Cousin …, ich weiß nicht … Er hat sich so verändert. Alle haben sich so verändert. Ich weiß nicht, aber …«, sie brach ab. Dann holte sie Luft und es fiel ihr sichtlich schwer, auszusprechen, was in ihr vorging: »Manchmal wünschte ich mir, er wäre tot.«

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, schlug sie sich die rechte Hand lautstark vor den Mund. Gehetzt blickte sie sich um. Mercus meinte es trotz allem gut mit ihr, beschützte sie. Sie, die sie mit einem solchen Bruder eigentlich verstoßen worden wäre. Trotz allem duldete er sie in der Familie, gab ihr ein Zuhause. Annasia seufzte. Warum nur war sie so undankbar?

»Was tust du da?«, hörte sie plötzlich eine Männerstimme näherkommen und einer der Wachen tauchte hinter ihr auf.

Annasia stellte sich vor das Geäst, damit er den Todesraben nicht sehen konnte. »Ich hab nur etwas die Zeit vergessen, verzeih«, erwiderte Annasia verlegen und setzte ein künstliches Lächeln auf.

Der Wächter beäugte sie kritisch: »Du weißt, dass du dich hier eigentlich nicht aufhalten darfst. Wir lassen dich nur gewähren, weil Mercus …« Er brach ab und Annasia nickte artig: »Ich werde dann jetzt heimgehen, guten Tag.«

Sie senkte ihren Blick, beeilte sich und zwängte sich an ihm vorbei. Der Wächter blickte ihr nach, verharrte und kehrte schließlich wortlos zu seinem Posten zurück.

 

Das Abendessen verlief wie die Abende zuvor auch. Die Frauen aus dem Hause Cabergrat plapperten um die Wette. Im Gegensatz zu Annasia liebten sie die pulsierende Stadt. Weg aus dem langweiligen Sumpf hinein in eine Stadt voller Männer und Kleider, wo es an jeder Ecke Leckereien zu kaufen gab. Geschichten wurden in den Tavernen erzählt, die ihre Welt erhellten. Klatsch und Tratsch erheiterten sie und das Leid anderer Familien lenkte von ihren eigenen Problemen ab. Jeden Tag erreichten neue Clans die Hauptstadt des Nordens. Und mit diesen Neuankömmlingen erhöhte sich der Puls der Stadt Bredla um ein Vielfaches. Noch mehr Geschichten, noch mehr attraktive Gesichter und unzählige Möglichkeiten taten sich da auf. Die Frauen vergaßen die Zeit regelrecht auf dem Markt beim Einkauf von Gewürzen, Vergleichen von Schnittmustern und sie kauften den Reisenden teure Stoffe ab, um sie zu Gewändern zu verarbeiten, die sie von den anderen Frauen abheben sollten. Sie wollten zeigen, dass sie etwas Besseres waren, schließlich waren die Cabergrats von edlem Blut. Obwohl sie hier im Norden waren, bestach die Stadt mit Leben und interessanten Ereignissen. Die üblen Gesellen hier waren für die Cabergrats und die Bewohner dieser Stadt Alltag. Hier verkrochen sich die Kreaturen, die sonst nirgendwo gerne gesehen waren. Dass die Gewalt hinter jeder Ecke lauerte und die dunklen Gassen zu den verdorbensten gehörten, war ein übliches Szenario. Jedoch nichts im Vergleich zu dem Übel auf der Insel »Licht des Nordens«, doch wer wollte schon freiwillig dorthin?