Arthur Schnitzler

Reigen

 

 

 

Arthur Schnitzler: Reigen

 

Vollständige Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

William Adolphe Bouguereau, Nymphen und Satyr, 1873

 

ISBN 978-3-8430-5627-4

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-1822-7 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-1862-3 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden 1896–1897. Erster Privatdruck 1900 auf 200 Exemplare limitiert. Vollständige Uraufführung am 23.12.1920, Kleines Schauspielhaus, Berlin.

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Arthur Schnitzler: Die Dramatischen Werke. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, 1962.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

1. Die Dirne und der Soldat

Spät abends. An der Augartenbrücke.

 

SOLDAT kommt pfeifend, will nach Hause.

DIRNE. Komm, mein schöner Engel.

SOLDAT wendet sich um und geht wieder weiter.

DIRNE. Willst du nicht mit mir kommen?

SOLDAT. Ah, ich bin der schöne Engel?

DIRNE. Freilich, wer denn? Geh, komm zu mir. Ich wohn gleich in der Näh.

SOLDAT. Ich hab keine Zeit. Ich muß in die Kasern!

DIRNE. In die Kasern kommst immer noch zurecht. Bei mir is besser.

SOLDAT ihr nahe. Das ist schon möglich.

DIRNE. Pst. Jeden Moment kann ein Wachmann kommen.

SOLDAT. Lächerlich! Wachmann! Ich hab auch mein Seiteng'wehr!

DIRNE. Geh, komm mit.

SOLDAT. Laß mich in Ruh, Geld hab ich eh keins.

DIRNE. Ich brauch kein Geld.

SOLDAT bleibt stehen. Sie sind bei einer Laterne. Du brauchst kein Geld? Wer bist denn du nachher?

DIRNE. Zahlen tun mir die Zivilisten. So einer wie du kanns immer umsonst bei mir haben.

SOLDAT. Du bist am End die, von der mir der Huber erzählt hat.

DIRNE. Ich kenn kein Huber nicht.

SOLDAT. Du wirst schon die sein. Weißt – in dem Kaffeehaus in der Schiffgassen – von dort ist er mit dir z'Haus gangen.

DIRNE. Von dem Kaffeehaus bin ich schon mit gar vielen z'Haus gangen ... oh! oh! –

SOLDAT. Also gehn wir, gehn wir.

DIRNE. Was, jetzt hasts eilig?

SOLDAT. Na, worauf solln wir noch warten? Und um zehn muß ich in der Kasern sein.[327]

DIRNE. Wie lang dienst denn schon?

SOLDAT. Was geht denn das dich an? Wohnst weit?

DIRNE. Zehn Minuten zum gehn.

SOLDAT. Das ist mir zu weit. Gib mir ein Pussel.

DIRNE küßt ihn. Das ist mir eh das liebste, wenn ich einen gern hab!

SOLDAT. Mir nicht. Nein, ich geh nicht mit dir, es ist mir zu weit.

DIRNE. Weißt was, komm morgen am Nachmittag.

SOLDAT. Gut is. Gib mir deine Adresse.

DIRNE. Aber du kommst am End nicht.

SOLDAT. Wenn ich dirs sag!

DIRNE. Du, weißt was – wenns dir zu weit ist heut abend zu mir – da ... da ... weist auf die Donau.

SOLDAT. Was ist das?

DIRNE. Da ist auch schön ruhig ... jetzt kommt kein Mensch.

SOLDAT. Ah, das ist nicht das Rechte.

DIRNE. Bei mir is immer das Rechte. Geh, bleib jetzt bei mir. Wer weiß, ob wir morgen nochs Leben haben.

SOLDAT. So komm – aber g'schwind!

DIRNE. Gib Obacht, da ist so dunkel. Wennst ausrutschst, liegst in der Donau.

SOLDAT. Wär eh das beste.

DIRNE. Pst, so wart nur ein bissel. Gleich kommen wir zu einer Bank.

SOLDAT. Kennst dich da gut aus.

DIRNE. So einen wie dich möcht ich zum Geliebten.

SOLDAT. Ich tät dir zu viel eifern.

DIRNE. Das möcht ich dir schon abgewöhnen.

SOLDAT. Ha –

DIRNE. Nicht so laut. Manchmal is doch, daß sich ein Wachter her verirrt. Sollt man glauben, daß wir da mitten in der Wienerstadt sind?

SOLDAT. Daher komm, daher.

DIRNE. Aber was fällt dir denn ein, wenn wir da ausrutschen, liegen wir im Wasser unten.

SOLDAT hat sie gepackt. Ah, du –

DIRNE. Halt dich nur fest an.

SOLDAT. Hab kein Angst ...

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

DIRNE. Auf der Bank wärs schon besser gewesen.

SOLDAT. Da oder da ... Na, krall aufi.[328]

DIRNE. Was laufst denn so –

SOLDAT. Ich muß in die Kasern, ich komm eh schon zu spät.

DIRNE. Geh, du, wie heißt denn?

SOLDAT. Was interessiert dich denn das, wie ich heiß?

DIRNE. Ich heiß Leocadia.

SOLDAT. Ha! – So an Namen hab ich auch noch nie gehört.

DIRNE. Du!

SOLDAT. Na, was willst denn?

DIRNE. Geh, ein Sechserl fürn Hausmeister gib mir wenigstens! –

SOLDAT. Ha! ... Glaubst, ich bin deine Wurzen. Servus! Leocadia ...

DIRNE. Strizzi! Fallott! –

 

Er ist verschwunden.[329]

 

2. Der Soldat und das Stubenmädchen

Prater. Sonntagabend.

Ein Weg, der vom Wurstelprater aus in die dunkeln Alleen führt. Hier hört man noch die wirre Musik aus dem Wurstelprater, auch die Klänge vom Fünfkreuzertanz, eine ordinäre Polka, von Bläsern gespielt. Der Soldat. Das Stubenmädchen.

 

STUBENMÄDCHEN. Jetzt sagen S' mir aber, warum S' durchaus schon haben fortgehen müssen.

SOLDAT lacht verlegen, dumm.

STUBENMÄDCHEN. Es ist doch so schön gewesen. Ich tanz so gern.

SOLDAT faßt sie um die Taille.

STUBENMÄDCHEN läßts geschehen. Jetzt tanzen wir ja nimmer. Warum halten S' mich so fest?

SOLDAT. Wie heißen S'? Kathi?

STUBENMÄDCHEN. Ihnen ist immer eine Kathi im Kopf.

SOLDAT. Ich weiß, ich weiß schon ... Marie.

STUBENMÄDCHEN. Sie, da ist aber dunkel. Ich krieg so eine Angst.[329]

SOLDAT. Wenn ich bei Ihnen bin, brauchen S' Ihnen nicht zu fürchten. Gott sei Dank, mir sein mir!

STUBENMÄDCHEN. Aber wohin kommen wir denn da? Da ist ja kein Mensch mehr. Kommen S', gehn wir zurück! – Und so dunkel!

SOLDAT zieht an seiner Virginierzigarre, daß das rote Ende leuchtet. s' wird schon lichter! Haha! Oh, du Schatzerl!

STUBENMÄDCHEN. Ah, was machen S' denn? Wenn ich das gewußt hätt!

SOLDAT. Also der Teufel soll mich holen, wenn eine heut beim Swoboda mollerter gewesen ist als Sie, Fräul'n Marie.

STUBENMÄDCHEN. Haben S' denn bei allen so probiert?

SOLDAT. Was man so merkt, beim Tanzen. Da merkt man gar viel! Ha!

STUBENMÄDCHEN. Aber mit der Blonden mit dem schiefen Gesicht haben S' doch mehr tanzt als mit mir.

SOLDAT. Das ist eine alte Bekannte von einem meinigen Freund.

STUBENMÄDCHEN. Von dem Korporal mit dem aufdrehten Schnurrbart?

SOLDAT. Ah nein, das ist der Zivilist gewesen, wissen S', der im Anfang am Tisch mit mir g'sessen ist, der so heisrig redt.

STUBENMÄDCHEN. Ah, ich weiß schon. Das ist ein kecker Mensch.

SOLDAT. Hat er Ihnen was tan? Dem möcht ichs zeigen! Was hat er Ihnen tan?

STUBENMÄDCHEN. Oh, nichts – ich hab nur gesehn, wie er mit die andern ist.

SOLDAT. Sagen S', Fräulein Marie ...

STUBENMÄDCHEN. Sie werden mich verbrennen mit Ihrer Zigarrn.

SOLDAT. Pahdon! – Fräul'n Marie. Sagen wir uns du.

STUBENMÄDCHEN. Wir sein noch nicht so gute Bekannte.

SOLDAT. Es können sich gar viele nicht leiden und sagen doch du zueinander.

STUBENMÄDCHEN. 's nächstemal, wenn wir ... Aber, Herr Franz –

SOLDAT. Sie haben sich meinen Namen g'merkt?

STUBENMÄDCHEN. Aber, Herr Franz ...

SOLDAT. Sagen S' Franz, Fräulein Marie.

STUBENMÄDCHEN. So sein S' nicht so keck – aber pst, wenn wer kommen tät!

SOLDAT. Und wenn schon einer kommen tät, man sieht ja nicht zwei Schritt weit.[330]

STUBENMÄDCHEN. Aber um Gottes willen, wohin kommen wir denn da?

SOLDAT. Sehn S', da sind zwei grad wie mir.

STUBENMÄDCHEN. Wo denn? Ich seh gar nichts.

SOLDAT. Da ... vor uns.

STUBENMÄDCHEN. Warum sagen S' denn: zwei wie mir? –

SOLDAT. Na, ich mein halt, die haben sich auch gern.

STUBENMÄDCHEN. Aber geben S' doch acht, was ist denn da, jetzt wär ich beinah g'fallen.

SOLDAT. Ah, das ist das Gatter von der Wiesen.

STUBENMÄDCHEN. Stoßen S' doch nicht so, ich fall ja um.

SOLDAT. Pst, nicht so laut.

STUBENMÄDCHEN. Sie, jetzt schrei ich aber wirklich. – Aber was machen S' denn ... aber –

SOLDAT. Da ist jetzt weit und breit keine Seel.

STUBENMÄDCHEN. So gehn wir zurück, wo Leut sein.

SOLDAT. Wir brauchen keine Leut, was, Marie, wir brauchen ... dazu ... haha.

STUBENMÄDCHEN. Aber, Herr Franz, bitt Sie, um Gottes willen, schaun S', wenn ich das ... gewußt ... oh ... oh ... komm!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

SOLDAT selig. Herrgott noch einmal ... ah ...

STUBENMÄDCHEN. ... Ich kann dein G'sicht gar nicht sehn.

SOLDAT. A was – G'sicht ...

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

SOLDAT. Ja, Sie, Fräul'n Marie, da im Gras können S' nicht liegenbleiben.

STUBENMÄDCHEN. Geh, Franz, hilf mir.

SOLDAT. Na, komm zugi.

STUBENMÄDCHEN. O Gott, Franz.

SOLDAT. Naja, was ist denn mit dem Franz?

STUBENMÄDCHEN. Du bist ein schlechter Mensch, Franz.

SOLDAT. Ja, ja. Geh, wart ein bissel.

STUBENMÄDCHEN. Was laßt mich denn aus?

SOLDAT. Na, die Virginier werd ich mir doch anzünden dürfen.

STUBENMÄDCHEN. Es ist so dunkel.

SOLDAT. Morgen früh ist schon wieder licht.

STUBENMÄDCHEN. Sag wenigstens, hast mich gern?

SOLDAT. Na, das mußt doch g'spürt haben, Fräul'n Marie, ha!

STUBENMÄDCHEN. Wohin gehn wir denn?[331]

SOLDAT. Na, zurück.

STUBENMÄDCHEN. Geh, bitt dich, nicht so schnell!

SOLDAT. Na, was ist denn? Ich geh nicht gern in der finstern.

STUBENMÄDCHEN. Sag, Franz, hast mich gern?

SOLDAT. Aber grad hab ichs gsagt, daß ich dich gern hab!

STUBENMÄDCHEN. Geh, willst mir nicht ein Pussel geben?

SOLDAT gnädig. Da ... Hörst – jetzt kann man schon wieder die Musik hören.

STUBENMÄDCHEN. Du möchtst am End gar wieder tanzen gehn?

SOLDAT. Na freilich, was denn?

STUBENMÄDCHEN. Ja, Franz, schau, ich muß zuhaus gehn. Sie werden eh schon schimpfen, mei Frau ist so eine ... die möcht am liebsten, man ging gar nicht fort.

SOLDAT. Na ja, geh halt zuhaus.

STUBENMÄDCHEN. Ich hab halt dacht, Herr Franz, Sie werden mich z'haus führen.

SOLDAT. Z'haus führen? Ah!

STUBENMÄDCHEN. Gehn S', es ist so traurig, allein z'haus gehn.

SOLDAT. Wo wohnen S' denn?

STUBENMÄDCHEN. Es ist gar nicht so weit – in der Porzellangasse.

SOLDAT. So? Ja, da haben wir ja einen Weg ... aber jetzt ists mir zu früh ... jetzt wird noch draht, heut hab ich über Zeit ... vor zwölf brauch ich nicht in der Kasern zu sein. I geh noch tanzen.

STUBENMÄDCHEN. Freilich, ich weiß schon, jetzt kommt die Blonde mit dem schiefen Gesicht dran!

SOLDAT. Ha! – Der ihr G'sicht ist gar nicht so schief.

STUBENMÄDCHEN. O Gott, sein die Männer schlecht. Was, Sie machens sicher mit einer jeden so.

SOLDAT. Das wär z'viel! –

STUBENMÄDCHEN. Franz, bitt schön, heut nimmer, – heut bleiben S' mit mir, schaun S' –

SOLDAT. Ja, ja, ist schon gut. Aber tanzen werd ich doch noch dürfen.

STUBENMÄDCHEN. Ich tanz heut mit kein mehr!

SOLDAT. Da ist er ja schon ...

STUBENMÄDCHEN. Wer denn?

SOLDAT. Der Swoboda! Wie schnell wir wieder da sein. Noch immer spielen s' das ... tadarada tadarada ... Singt mit. ... Also, wannst auf mich warten willst, so führ ich dich z'haus ... wenn nicht ... Servus –[332]

STUBENMÄDCHEN. Ja, ich werd warten.

 

Sie treten in den Tanzsaal ein.

 

SOLDAT. Wissen S', Fräul'n Marie, ein Glas Bier lassens Ihnen geben. Zu einer Blonden sich wendend, die eben mit einem Burschen vorbeitanzt, sehr hochdeutsch. Mein Fräulein, darf ich bitten? –[333]

 

3. Das Stubenmädchen und der junge Herr

Heißer Sommernachmittag. – Die Eltern sind schon auf dem Lande. – Die Köchin hat Ausgang. – Das Stubenmädchen schreibt in der Küche einen Brief an den Soldaten, der ihr Geliebter ist. Es klingelt aus dem Zimmer des jungen Herrn. Sie steht auf und geht ins Zimmer des jungen Herrn. Der junge Herr liegt auf dem Diwan, raucht und liest einen französischen Roman.

 

DAS STUBENMÄDCHEN. Bitt schön, junger Herr?

DER JUNGE HERR. Ah ja, Marie, ah ja, ich hab geläutet, ja ... was hab ich nur ... ja richtig, die Rouletten lassen S' herunter, Marie ... Es ist kühler, wenn die Rouletten unten sind ... ja ...

 

Das Stubenmädchen geht zum Fenster und läßt die Rouletten herunter.