KIM LEOPOLD
how to be happy
Veilchensturm
Für Jessica,
Krankenschwester für alle,
Schwester im Herzen für mich.
The earth has music for those who listen.
- William Shakespeare
Ich weiß, du hast auf meine Geschichte gewartet, seit du mich vor ein paar Jahren zum ersten Mal in dein Leben gelassen hast. Du hast gesehen, wie nah ich am Abgrund getanzt bin. Du ahnst, wie dunkel die Schatten meiner Vergangenheit sind – und ich warne dich, nur dann in dieses Buch einzutauchen, wenn du bereit bist, mit mir zu fallen.
Falls du mehr Infos zu den Themen meiner Vergangenheit brauchst, findest du hier eine explizite Triggerwarnung.
Und weil die Autorin dieses Buches drauf besteht: Denk dran, ich bin Schotte – wenn ich den Mund aufmache, verlieren die Frauen der Reihe nach ihre Höschen.
Okay, ist ja gut. Eigentlich soll ich dir mitteilen, dass wir uns auf die amerikanische Schreibweise für Wörter wie Mum und Whisky geeinigt haben – damit niemand denkt, wir hätten einen Fehler gemacht.
Hochachtungsvoll
Maddox Madness
Auf den Plottwist, den wir alle so gut gebrauchen können!
The Madness Returns – Neverland Records kündigt ein neues Album von Stargeiger Maddox Madness an!
»Sie waren schon eine Weile nicht mehr hier, Maddox.«
Auf meine Lippen stiehlt sich ein Lächeln. Ich lehne mich zurück, lasse mich tiefer in die weiche Ledercouch sinken und betrachte die Frau vor mir. Sie trägt eine weiße Bluse zu einer hellen Hose, klassisch, zeitlos. Genau wie ihre zurückgebundenen blonden Haare und das schmale Brillengestell. Ihre grünen Augen ruhen abwartend auf mir.
Sie will es. Ich weiß es genau. Also enttäusche ich sie nicht. »Ich hab mich nach Ihnen verzehrt, Gabriella.« Ich zwinkere ihr zu. »Es ist viel zu lange her.«
Ich muss ihr zugutehalten, dass sie die Miene nicht verzieht. Sie sitzt bloß da, die Hände entspannt auf ihr Klemmbrett gelegt, und erwidert meinen Blick. Aber da, ihre Mundwinkel beginnen zu zucken, dann bricht das Lächeln aus ihr heraus.
Ein warmes Gefühl breitet sich in meinem Bauch aus.
»Na ja, es gab ja auch keinen Grund dazu«, erwidert sie und greift nach ihrem Glas, welches auf dem niedrigen Holztisch zwischen uns steht. In der Praxis hat sich in den letzten sieben Monaten nichts geändert, es ist, als hätte ich meine Therapie nie unterbrochen. »Ihnen ging es gut. Sie haben sogar auf meinen Rat gehört und sich ein Haustier angeschafft.«
»Alice, ja.« Ich denke an das Fellknäuel, das in meinem Brownstone im Greenwich Village auf mich wartet. »Toby hat sie an mich vermittelt. Vielleicht erinnern Sie sich an ihn.«
»Lizzies Freund, oder?«
Überrascht, dass sie sich das merken konnte, nicke ich.
»Wie fühlt sich das an, so viel Verantwortung für ein Tier zu haben?«, fragt sie.
Ich deute auf das Bild hinter ihrem Schreibtisch, das ihre beiden Terrier zeigt, die einem Ball im Wasser hinterherflitzen. »Müssten Sie das nicht bestens wissen?«
»Ich habe einen Mann, drei Kinder und zwei Hunde. Ich weiß, wie sich Verantwortung anfühlt.« Sie lächelt mich sanft an und legt den Kopf schief. »Ich bin aber wirklich neugierig, wie sich Verantwortung für Sie anfühlt.«
Gabriella Montgomery erzählt nie viel von sich. Schätze, das ist auch nicht ihre Aufgabe. Immerhin bezahle ich sie dafür, mir zuzuhören. Und doch juble ich innerlich immer wieder, wenn ich ihr einen kleinen Fetzen Privatleben entlocken kann. So wie heute. Dass sie Kinder hat, wusste ich nicht. Hätte ich auch nicht gedacht. Ich habe sie immer für den Typ »knallharte Karrierefrau« gehalten. Aber andererseits schließt das eine das andere heutzutage ja nicht mehr unbedingt aus.
»Alice hat eine Weile gebraucht, um mir zu vertrauen. Aber mit vielen Leckerlis und einigen langen Spaziergängen habe ich sie davon überzeugt, dass ich nun ihr neuer bester Freund bin«, erzähle ich. »Ich glaube, es war auch nicht der optimale Zeitpunkt für einen Hund. Die wechselnden Orte haben ihr zu schaffen gemacht, aber mittlerweile geht’s ihr gut. Seit die Tour vorbei ist und wir die meiste Zeit zu Hause sind, ist sie richtig entspannt.«
»Das ist schön. Also verbringen Sie nun auch mehr Zeit miteinander?«
»So oft es geht, ja. Ich bring sie zu Toby und Liz, wenn ich den ganzen Tag unterwegs bin. Aber ich versuche zumindest, morgens genug Zeit für eine große Runde einzuplanen.«
Monty schreibt etwas auf ihr Klemmbrett. »Das hört sich an, als hätte sie Ihnen beigebracht, was Verantwortung bedeutet.«
Ich zucke mit den Schultern, spüre, wie sich das schlechte Gewissen meinem Hund gegenüber wieder in mir ausbreiten will. »Ich denke manchmal, ich könnte noch einen besseren Job machen. Vielleicht hätte sie auch bei jemand anders ein schöneres Leben.«
»Meinen Sie?«
Ich trinke etwas, um Zeit zu schinden. Monty ist eine der wenigen Personen auf dieser Welt, die ich hinter meine Mauern blicken lasse. Für sie ist es bloß ein Job, für mich bedeutet es allerdings ziemlich viel. Sie treibt mich immer wieder an Grenzen. Entlockt mir Wahrheiten, von denen ich nicht einmal wusste, dass ich sie in mir trage. Und manchmal – so wie jetzt, wenn mich das schlechte Gewissen in seinen Klauen hat – fällt es mir verdammt schwer, diese Mauern weitereinreißen zu lassen. Lieber würde ich einen blöden Witz reißen und zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung übergehen. Aber ich weiß, dass es mir hinterher besser gehen wird. So ist es immer – egal, wie schwer der Termin ist.
»Vielleicht. Keine Ahnung. Ich mein, sie hat sich jetzt an mich gewöhnt. Und sie freut sich auch immer, wenn ich nach Hause komme … Aber werde ich ihr wirklich gerecht? Wie machen Sie das? Wie schaffen Sie es, all das unter einen Hut zu bekommen?«
»Das Zauberwort lautet Routine.« Sie lächelt. Ich ahne schon, was als Nächstes kommt. Und richtig: »Apropos: Wie läuft es denn mit Ihrer Routine?«
»Gut«, murmle ich und fahre mit einem Finger über den Rand meines Wasserglases. Gut lief es zumindest, als ich auf Tour gewesen bin. Als ich Leute um mich herum hatte, feste Zeiten, einen festen Speiseplan … Seit ich zurück in New York bin, habe ich keine Routine mehr. »Ich gehe fast jeden Tag eine lange Runde mit Alice spazieren«, wiederhole ich.
Monty macht sich erneut Notizen. Versagt gnadenlos, wenn es um Tagesroutinen geht, oder etwas in die Richtung.
»Und wann ist das so?«
»Der Spaziergang?« Ich zucke mit den Schultern. »In der Regel so zwischen acht und neun Uhr. Wir sind meistens eine gute Stunde unterwegs. Sie mag den Washington Square Park echt gern.«
»Und Sie? Genießen Sie die Spaziergänge?«
»Ich höre oft Podcasts oder Musik, manchmal nutze ich die Runde für Telefonate. Es ist schön, für solche Dinge eine Stunde Zeit zu haben.«
»Haben Sie schon mal versucht, das Handy zu Hause zu lassen?« Montys Mundwinkel zuckt, weil die Hexe genau weiß, dass sie einen wunden Punkt getroffen hat.
Ich schüttle langsam den Kopf, den Kiefer aufeinandergepresst. Als ich merke, wie angespannt ich bin, stelle ich das Glas zurück auf den Tisch, lasse den Nacken kreisen und lehne mich wieder zurück.
»Haben Sie schon mal was von Gehmeditation gehört?«
Mir entfährt ein Lachen, was sich mehr wie ein Grunzen anhört. »Ich bin nicht der Typ für Meditation, Monty. Wenn ich mich entspannen will, gehe ich in eine Broadwayshow oder habe Sex.«
Sie notiert sich wieder etwas auf ihrem Zettel. Manchmal würde ich wirklich viel Geld dafür bezahlen zu sehen, was sie dort über mich aufschreibt. Aber dann wiederum denke ich, dass ich es gar nicht wissen will.
Ich erliege lieber der Illusion, dass sie mich mag, statt der Realität ins Auge zu blicken.
»Wir haben uns ja wirklich lange nicht mehr gesehen. Führen Sie gerade eine Beziehung?« Tja, hätte mir denken können, dass ich meine Antwort noch bereuen würde.
»Ich war vier Monate lange im Tourbus unterwegs«, entgegne ich sarkastisch.
Sie hebt eine Braue und legt das Klemmbrett auf den Boden neben ihren Sessel. »Auf Ihrer ersten Tour hat Sie das nicht daran gehindert, Sex zu haben.«
»Sie sagen das, als wären Sex und eine Beziehung das Gleiche.«
»Sind sie das für Sie nicht?«
»Müssten Sie das nicht am besten wissen?«
Sie lacht leise auf. »Ich glaube, am besten müssten Sie das selbst wissen, Maddox.«
»Touché.« Ich muss selbst grinsen, obwohl mir das Thema Bauchschmerzen bereitet. Meine letzte Beziehung ist eine halbe Ewigkeit her. »Meine Arbeit lässt Beziehungen gerade nicht zu.«
Monty nickt langsam, als würde sie sich meine Worte durch den Kopf gehen lassen. Vielleicht überlegt sie aber auch, mit welcher Frage sie mich dazu bringen kann, noch mehr zu offenbaren.
»Mir ist seit Sofia noch keine Frau begegnet, mit der ich mir etwas Ernsthaftes vorstellen könnte«, füge ich hinzu, weil sie nichts sagt. »Das liegt natürlich daran, dass ich viel arbeite und es nicht unbedingt drauf anlege, jemanden kennenzulernen … Aber oft sind es auch einfach die Frauen an sich. Die meisten von ihnen interessieren sich gar nicht für mich. Sie wollen Maddox Madness. Nicht mich.«
»Wie meinen Sie das?«
Ich zucke mit den Schultern und denke an die Groupies, die ich nach manchen Shows mit in den Tourbus genommen habe, um gegen die Einsamkeit anzukämpfen. Sie sind Fans meiner Musik, stehen auf meine Tätowierungen, auf die Show, die ich ihnen liefere. »Eine hat nach dem Sex mal gesagt: ›Das war … madness! Verstehst du? Madness?‹«, zitiere ich eine der letzten Frauen, die ich unüberlegt mitgenommen habe. »Ich meine, wer sagt so was?«
Monty presst die Lippen aufeinander, um nicht loszulachen.
Jetzt lasse ich mich von ihrer Belustigung anstecken, aber in dem Moment selbst hatte ich beschlossen, nie wieder mit Groupies zu schlafen.
»Nicht alle Frauen sind so.«
»Ich weiß.« Ich beuge mich vor, stütze die Unterarme auf den Knien ab und denke unweigerlich an die paar wenigen zurück, die den wahren Maddox kennengelernt und verletzt haben. Sofia. Norah. Zwei Frauen, zwei Grammy-Nominierungen, zwei neue Wohnorte – wobei ich beim letzten Mal nicht wegen Sofia umgezogen bin. Daran war tatsächlich der wahnwitzige Stalker schuld, der eines Tages nackt auf meinem Bett auf mich gewartet hat. »Ich weiß, Monty. Und glauben Sie mir, ich würde gerne mal wieder jemanden kennenlernen … Aber es fällt mir wirklich schwer, mich drauf einzulassen, nach all den Erfahrungen, die ich nun schon gemacht habe.«
»Das kann ich verstehen.« Sie legt den Kopf schief und lächelt mich warm an. Vergewissernd. Als könnte sie in die Zukunft blicken und wüsste bereits, dass da irgendwo meine Seelengefährtin auf mich wartet. »Vielleicht setzen Sie sich dieses Jahr einfach mal das Ziel, ein bisschen zu entspannen. Weniger Projekte, weniger Stress. Sie sind so unglaublich weit gekommen, Maddox. Sie haben dem Alkohol und den Schmerzmitteln die kalte Schulter gezeigt und sich Ihren gesunden Körper mit viel Geduld erarbeitet. Damit sind Sie ganz vielen Menschen weit voraus.«
Nur mit Mühe kann ich den Kloß in meinem Hals herunterschlucken.
»Aber ich glaube, Sie wissen genauso gut wie ich, dass auch Arbeit zur Sucht werden kann – wenn Sie nicht darauf achten«, fährt sie sanft fort.
Mir wird heiß und kalt gleichzeitig. Ich winde mich auf der Couch und blicke zur Uhr. Die Stunde ist fast um. Gott sei Dank.
»Lassen Sie nicht zu, dass das passiert, okay?«
Stumm nicke ich. Mehr geht nicht. Wenn ich jetzt den Mund aufmache, wird mehr rauskommen als Worte.
»Versuchen Sie es bei den nächsten Spaziergängen mal ohne Ihr Handy, ja?« Sie steht auf und streicht ihre Hose glatt. Die Sitzung ist vorbei.
Ich leere mein Glas in einem Zug und stehe ebenfalls auf. »Mach ich«, sage ich dann rau. »Danke.«
»Bis nächste Woche.« Sie legt mir eine Hand auf die Schulter, drückt sie kurz und erinnert mich damit an meine Mutter, die ich viel zu früh verloren habe. »Passen Sie auf sich auf.«
»Wer ist die Schönste im ganzen Land? Naa, wer?« Ich lasse mich auf die Knie fallen, um Alice gebührend zu begrüßen. Sie wuselt aufgeregt um mich herum, wedelt mit ihrem flauschigen Schwanz und versucht, mir das Gesicht abzulecken. Ich vergrabe mein Gesicht für einen Moment in ihrem Fell und knuddle sie, bis sie sich beruhigt hat. Manchmal kann ich immer noch nicht glauben, dass diese hübsche Australian-Shepherd-Hündin mir gehört und bei mir bleiben wird, bis einer von uns nicht mehr ist. »Hast du Lust auf einen Spaziergang? Ich muss noch mit Tristan telefonieren. Und danach meditieren wir eine Runde. Anweisung von meiner Psychologin.«
Alice legt den Kopf schief und blickt mich aus hellbraunen Augen an. Manchmal habe ich das Gefühl, sie versteht jedes meiner Worte.
»Monty war heute echt gemein«, erzähle ich ihr, während ich ins obere Stockwerk gehe, um mir etwas anderes anzuziehen und eine Mütze aus dem Schrank zu holen, damit ich möglichst unerkannt bleibe. »Ich schwöre dir, die Frau weiß genau, wo es wehtut. Mit der würde ich wirklich nicht gerne zusammenleben wollen.«
Alice ist unbeeindruckt. Sie springt auf mein Bett und räkelt sich auf den Laken.
»Runter da«, schimpfe ich und deute auf das riesige Hundebett, das ich ihr gekauft habe, als sie eingezogen ist. »Du hast dein eigenes.«
Sie winselt und rollt sich auf den Rücken, um sich den Bauch kraulen zu lassen.
»Aber nur, weil du es bist«, gebe ich mich geschlagen und setze mich zu ihr, um sie zu verwöhnen.
Ein paar Streicheleinheiten später schaffen wir es mit Sonnenbrille und Beanie endlich aus dem Haus und marschieren auf direktem Weg zum Washington Square Park, um dort eine große Runde zu laufen. Ich stopfe mir die Kopfhörer in die Ohren und rufe bei Tristan an, bevor ich mir die Leine ums Handgelenk schlinge und die Hände in die Jackentaschen stopfe.
Für Mitte April ist es bitterkalt, aber wenigstens trocken. Als wir im Park angekommen sind, atme ich tief ein und aus und lasse die Anspannung der letzten Tage von mir abfallen. Heute habe ich zum ersten Mal seit Wochen keine Termine und kann die Nachmittagsrunde mit Alice selbst laufen. Die Sonne steht zwar schon tief, aber das Licht tut mir unglaublich gut.
Ich sollte auf Monty hören und diese kleinen Auszeiten zu meiner Priorität machen.
Nur dass das hier keine Auszeit ist, wie mich Tristans Stimme erinnert, als er endlich abhebt. »Maddox, hey!«
»Hey, Tristan.«
»Wo brennt’s?«
»Wieso glaubst du, es würde brennen, wenn ich dich um ein Telefonat bitte?«
»Wie lange kennen wir uns jetzt? Fünf Jahre?« Er lacht leise auf. Ich muss grinsen, obwohl ich genau weiß, dass er mich gleich wieder verfluchen wird. »Mittlerweile weiß ich genau, dass es genau zwei Gründe gibt, wegen derer du mich um einen Termin bittest.«
»Ach ja?« Ich ziehe verwundert eine Braue hoch. Das war mir noch nicht so bewusst. »Welche denn?«
»Tu doch nicht so scheinheilig«, erwidert er amüsiert. »Entweder hast du was richtig Blödes ausgefressen oder du schaffst es nicht, deine Deadlines einzuhalten.«
Ich lache in mich hinein. Da hat er vermutlich nicht ganz unrecht. »Dieses Mal ist es weder das eine noch das andere«, verspreche ich ihm.
»Na dann bin ich mal gespannt.«
Ich mache eine theatralische Pause, in der ich einen Beutel aus meiner Tasche hole, um Alice’ Hinterlassenschaft aufzusammeln und in den nächsten Mülleimer zu werfen, dann erzähle ich ihm, was ich letzte Woche getan habe: »Ich habe ein Sommercamp gekauft.«
Auf der anderen Seite der Leitung ist es einen Moment still. Dann fängt er an zu lachen. »Du hast … Ein Sommercamp? Was zum Henker? Hab ich dich gerade richtig verstanden? Du? Ein Sommercamp?«
Ich rolle mit den Augen. »Ich gl–«
»Sorry.« Er gackert noch mal los. »Das ist … das ist so verrückt, dass es schon wieder zu dir passt.«
Ich marschiere weiter und warte, bis er sich beruhigt hat. Seine Reaktion nervt mich, aber eigentlich hätte mir klar sein sollen, dass es so sein würde.
»Bist du fertig?«, grummle ich irgendwann. »Kann ich weitererzählen?«
»Tut mir leid. Ich bin ganz Ohr.«
»Merk ich.« Ich erzähle ihm von dem Camp in den Hamptons, das letzten Monat zum Verkauf stand. Der Vorbesitzer will seine Rentenjahre nicht mehr damit zubringen, anderer Leute Kinder über den Sommer zu hüten, und Liz, deren kleiner Bruder dort schon ein paar Mal gewesen ist, hat mir davon erzählt. »Ich habe vor ein Kunst- und Musikcamp für Kinder draus zu machen, deren Eltern sich keine Zusatzausbildung leisten können. Du weißt, wie gerne ich andere unterstütze, Tristan. Du bist damals auf meinen Partys gewesen. Du kennst mich. Dieses Projekt wird großartig. Ich werde ein Team zusammentrommeln, nach dem sich die Leute die Finger lecken werden. Der Sommer wird gigantisch.«
»Ich will echt kein Spielverderber sein, aber glaubst du wirklich, deine Leute können sich zwölf Wochen aus ihren eigenen Projekten lösen, um deinen Traum zu unterstützen?«, fragt Tristan skeptisch. »Und was ist mit deinem neuen Album? Maddox, ich kann hören, wie wichtig dir das ist, aber … deine Fans wollen neuen Stoff. Das Label hat gerade bekannt gegeben, dass du einen Vertrag für ein neues Album unterzeichnet hast. Zwölf Wochen Pause kannst du dir nicht erlauben. Nicht, nachdem du die letzten beiden Abgabetermine schon überschritten hast.«
Meine Vorfreude bekommt einen Dämpfer. Tristan ist ein guter Mensch, aber ich hasse es wie die Pest, wenn er versucht, mich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.
»Ich krieg das hin. Die Aufnahmen sind doch sowieso erst für Ende Oktober geplant. Das Label bekommt sein Album und die Kinder ihr Sommercamp.« Sobald die Worte raus sind, weiß ich schon, dass ich das niemals hätte sagen dürfen … Nicht ohne eine einzige Idee für dieses neue Album.
Tristan seufzt. »Ich kann dich eh nicht davon abhalten, oder?«
»Gekauft ist gekauft«, erwidere ich betont fröhlich, um ihm nicht zu zeigen, wie sehr es mich verletzt, dass er nicht begeistert von meiner Idee ist. »Toll, dass du dich für mich freust!«
»Verkack das nicht«, grummelt er. »Ich mein’s ernst. Wenn Neverland Records deinetwegen nicht mehr mit mir arbeiten will, …«
»… finden wir ein neues Label und zeigen dem alten den Mittelfinger«, beende ich seinen Satz, bevor er etwas sagen kann, was die Stimmung zwischen uns unwiderruflich verschlechtern würde. Ich hole mein Handy aus der Tasche und aktiviere das Display. »Ich halt dich auf dem Laufenden. Telefonate für gute Entwicklungen. Hab ich mir gemerkt. Bis bald!«
Ich beende das Telefonat mit seinem Lachen im Ohr und stecke das Handy zurück in meine Jackentasche. Mit meiner freien Hand fahre ich mir über den Nacken und seufze. Wo habe ich mich da bloß hineinmanövriert?
Luxuriöses Brownstone im Greenwich Village zum Verkauf – Hat die Insolvenz der Familie White zum Bruch der Familie geführt?
»Verdammt, ist das dein Ernst?« Ungläubig starre ich auf das Display meines E-Book-Readers und blättere noch mal zurück. Und wieder vor. Und wieder zurück. »W-Wieso?«
Ich deaktiviere das Display und blicke auf. Der Typ mir gegenüber unterdrückt ein Grinsen. Offenbar habe ich meine Gedanken laut ausgesprochen. Seine grünen Augen blitzen mich neugierig an. »Hat der Autor deinen Lieblingscharakter gekillt?«, traut er sich schließlich zu fragen.
»Keine Ahnung«, jammere ich und stecke den Reader in die Tasche, weil ich gleich aussteigen muss. »Das finde ich wohl erst im nächsten Buch heraus. Und das erscheint erst im September.«
»Au, das tut mir leid.« Er verzieht das Gesicht. »Aber bis dahin denkst du vielleicht nicht mehr dran.«
»Und dann killt sie ihn wirklich und es tut noch mal von vorn weh.« Ich seufze theatralisch auf. »Ich weiß wirklich nicht, wieso ich ihre Bücher überhaupt noch lese. Sie murkst einfach ständig jemanden ab. Aber ohne Witz, die Geschichte ist so gut.«
»Worum geht’s denn?«
»Hexen, Wächter, Gestaltwandler und so was … Verbotene Liebe, Intrigen, epische Kämpfe. Das volle Programm. Aber sie kennt wirklich keine Grenzen, was die Toten angeht«, erzähle ich ihm und gebe ihm den Titel und den Namen der Autorin, weil er offenbar echtes Interesse hat. Bevor wir aber noch weitersprechen können, kündigt eine blecherne Stimme meine Haltestelle an. »Sorry, das ist meine.« Ich stehe auf und schultere meine Handtasche, bevor ich die beiden schweren Koffer aus dem Kofferfach hinter meinem Sitz hole. »War nett mit dir zu quatschen.«
»Danke für den Buchtipp.« Er grinst mich an und zückt sein Handy. Vielleicht, um sich die Reihe aufzuschreiben, vielleicht aber auch, um Musik zu hören.
Ich zerre meine Koffer zum Ausgang und zähle die Sekunden, bis die Tür vor mir aufgleitet. Als ich auf die Subway-Station am Union Square trete, ist es, als wäre ich nie weg gewesen.
Sehnsüchtig inhaliere ich die New Yorker Stadtluft, die überhaupt nichts mit dem Pariser Großstadtsmog gemein hat, und seufze erleichtert auf. Ich mochte Paris, aber ich liebe New York.
Und noch mehr liebe ich meine Familie. Ich kann es kaum erwarten, sie endlich wiederzusehen. Voller Vorfreude ziehe ich meine Koffer hinter mir her und tauche in die Straßen der Stadt ab, die ich jetzt seit sieben Monaten nicht mehr gesehen habe. Die gewohnten Gebäude um mich herum lassen mich zumindest für eine Weile vergessen, dass der Grund, aus dem ich hier bin, kein schöner ist.
Vor unserem Haus bleibe ich schließlich stehen. Die Treppe führt zu einer doppelten Flügeltür hinauf, hinter der sich ein heller, einladender Flur befindet. Das Innere des Gebäudes ist hinter weißen Vorhängen verborgen, aber ich weiß genau, wie es dort aussieht. Ich könnte jeden einzelnen Raum im Schlaf nachzeichnen.
Zuhause.
Ich hieve die Koffer nacheinander die Treppe hoch und drücke dann auf die Klingel, weil der Schlüssel irgendwo in den Tiefen meiner Handtasche vergraben ist. In meinem Bauch kribbelt es aufgeregt. Zwar freue ich mich auf dieses Wiedersehen, aber die Angst vor der Reaktion meiner Eltern wabert trotzdem irgendwo in meinem Hinterkopf herum.
Meine Mutter reißt die Tür auf. »Violet!«
»Mom!« Ich falle ihr in die Arme, drücke sie an mich und atme tief ein. Ihr Duft nach Chanel N°5 beruhigt meine flatternden Nerven beinahe sofort. »Es tut so gut, dich zu sehen.«
Ich lehne mich zurück und sehe sie an. Irgendwas ist anders, aber ich komme nicht drauf, was.
Sie lächelt mich sanft an, bevor sie mich loslässt. »Ich hab dich vermisst, Süße. Komm rein.«
Wir holen meine zwei Koffer in den Flur meines Elternhauses – und ich blinzle irritiert, weil hier überall Kartons stehen.
»Was …? Renoviert ihr?«, frage ich verwirrt nach und drehe mich zu Mom um.
Sie seufzt und da merke ich, was anders ist. Sie sieht müde aus. So müde, wie man es nur sein kann, wenn das Leben plötzlich nicht mehr einfach, sondern verdammt kompliziert geworden ist.
»Steve?«, ruft sie die elegante weiße Holztreppe hinauf. »Violet ist da!«
»Ich komme sofort.« Irgendwie erleichtert es mich, Dads Stimme zu hören, auch wenn ich plötzlich das Gefühl habe, dass nicht ich die schlechten Neuigkeiten habe.
»Komm, wir gehen ins Wohnzimmer.« Mom streicht ihre Bluse glatt und weicht meinem Blick aus. »Der Flur ist gerade echt nicht auszuhalten.«
»Okay«, murmle ich, lege meine Handtasche und den roten Mantel ab, bevor ich ihr in das Wohnzimmer folge und abrupt stehen bleibe. »Wo sind denn all die Bücher hin?«
Die weißen Regale auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes sind bis auf einen Bilderrahmen mit einem Foto von meinen Schwestern und mir leer. All die Liebesromane, die Mom Jahr für Jahr gesammelt hat, sind fort – dabei hat Dad ihr jedes Jahr zum Hochzeitstag ein signiertes Buch geschenkt. Das war sein Ding. Und die Bücher waren ihr Allerheiligstes.
Und jetzt ist es, als hätte es sie nie gegeben.
»Eingepackt«, erwidert Mom knapp und setzt sich auf das Ledersofa. Sie schlägt die Beine in dem cremefarbenen Rock übereinander und legt die Hände in den Schoß.
Ich lasse meinen Blick noch einmal über die leeren Regale gleiten, dann setze ich mich zu ihr – der Knoten in meinem Magen kommt jetzt jedenfalls nicht mehr von meiner eigenen Beichte. Das, was meine Eltern mir zu sagen haben, macht mir viel mehr Angst.
Als Dad wenig später zu uns stößt und Moms stechendem Blick ausweicht, weiß ich sofort, was Sache ist.
Noch bevor sie überhaupt zu sprechen beginnen, weiß ich, dass unsere Familie bald keine Familie mehr ist.
Zum zweiten Mal an diesem Tag zerre ich meine Koffer vor eine Haustür, aber die Vorfreude darüber, Scarlett wiederzusehen, hat einen ordentlichen Dämpfer bekommen.
Sie öffnet die Tür, sieht meinen Gesichtsausdruck und verzieht die Lippen zur Schnute. »Oh, Süße, komm her.«
Ich falle ihr in die Arme und versuche hart nicht zu weinen. Die Nachricht, dass sich meine Eltern scheiden lassen, hätte mich nicht überraschen sollen. Um genau zu sein, hätte ich es sogar vorausahnen können, wenn ich mehr auf meine Familie geachtet hätte, statt mich in meinem eigenen Elend zu baden. Dann wäre mir nämlich längst aufgefallen, dass ich in den letzten Wochen nie Mom und Dad zusammen gesprochen habe – und dass auch Everly und Scarlett ihre Gespräche mit mir immer kürzer gehalten haben.
»Warum hast du es mir nicht gesagt?« Ich löse mich von ihr und hole meine Koffer rein. »Eine kleine Vorwarnung wäre nett gewesen.«
»Sie haben uns gebeten, es dir noch nicht zu erzählen.« Scarlett zuckt mit den Schultern. Ihre blonden Locken sind kürzer als beim letzten Mal, aber sie trägt immer noch den gleichen roten Lippenstift und das gleiche Parfüm. Manche Dinge ändern sich eben nie. »Sie wollten nicht, dass du ganz allein in Paris bist, wenn du es erfährst.«
»Und daran haltet ihr euch neuerdings?«
»Na ja, ja. Du hattest genug um die Ohren und du hast immer dran geglaubt, dass sie ihren Scheiß geregelt kriegen.« Scarlett nimmt mir meinen Mantel ab und hängt ihn in die Garderobe, bevor sie voran in den großzügigen Wohnbereich geht. »Und keiner von uns wollte, dass du wieder …«
»Dass ich wieder was?« Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Durchdrehe?«
»Du bist nicht durchgedreht. Du hattest einen Burn-out.« Sie seufzt. »Hör zu, Violet. Wir wollten es dir einfach nicht noch schwerer machen, als es sowieso schon ist. Hier können wir wenigstens für dich da sein, während du das alles verarbeitest. Möchtest du was trinken? Eine heiße Schokolade vielleicht?«
»O ja, unbedingt.« Seufzend löse ich meine verschränkten Arme und setze mich an die Kücheninsel, während Scarlett ihren Kaffeevollautomaten einschaltet. Was bringt es mir, böse auf sie zu sein? Immerhin wollte sie mich nur beschützen.
So wie sie mich immer alle beschützen wollen.
»Ich bin froh, dass du wieder da bist«, sagt sie und holt Tassen aus dem Schrank. »Ich hab dich vermisst.«
»Ich hab euch auch vermisst.« Das ist immerhin der Grund, wieso ich wieder hier bin. Weil ich Zeit mit meiner Familie verbringen wollte. Einer intakten Familie. Keiner, die mitten in einer Scheidung steckt. »Wann haben sie euch Bescheid gesagt?«
»Vor ein paar Wochen. Kurz nachdem wir mit O’Hara in das neue Atelier gezogen sind.« Sie stellt eine dampfende Tasse vor mir ab und macht sich selbst einen Kaffee. »Ich war nicht besonders überrascht. Nach allem, was in den letzten Jahren passiert ist, wundert mich das nicht.«
»Ich wusste ja nicht mal, dass es so schlimm ist.«
Zum ersten Mal, seit ich hier bin, schleicht sich ein trauriger Zug in Scarletts Gesicht. »Sie haben sich ja auch viel Mühe gegeben, den Schein aufrechtzuerhalten.«
Wie damals. Als wir alles verloren haben. Das macht die Upper East Side aus Menschen: Sie lügen sich selbst immer noch was vor, lange nachdem alle anderen längst hinter die Fassade gesehen haben.
»Ich hasse es jetzt schon«, grummle ich und versuche nicht an die Vorwürfe zu denken, die Mom und Dad sich eben an den Kopf geworfen haben. Ich glaube, so habe ich sie noch nie erlebt. Früher haben sie sich wenigstens Mühe gegeben, ihren Streit vor uns zu verbergen.
Nun ja, vor mir zumindest.
Scarlett und Everly scheinen nicht besonders überrascht gewesen zu sein.
Vorsichtig puste ich in meinen Kakao und frage mich, ob ich wirklich so empfindlich auf alle wirke, dass man mir nicht mal mehr die Wahrheit sagen will. Mein Burn-out ist jetzt fast vier Jahre her. Mir geht’s gut.
Mehr oder weniger.
Aber jeder hat mal schlechte Tage, oder nicht?
»Na ja, lass uns über was anderes reden«, schlage ich betont fröhlich vor. »Ihr habt nicht zufällig noch ein freies Gästezimmer?«
»Ich hab das Bett sogar schon für dich bezogen.« Scarlett lächelt mich warm an. »Vicky bringt nach der Arbeit etwas zum Essen mit. Worauf hättest du Lust? Pizza? Chinesisch?«
»Gibt’s den Burgerladen an der 14ten noch?«
»Du meinst Jo’s? Klar. Ich sag Vicky eben Bescheid und dann erzählst du mir alles über Paris.« Sie zückt ihr Handy, während ich meinen Kakao trinke und mich umsehe. Auf dem Esstisch liegen ein paar Stoffmuster und ein riesiger Ordner, der vermutlich voll mit Zeichnungen ist. Neugierig stehe ich auf und gehe hin, um mir die Sachen anzusehen, die Scarlett entworfen hat.
»Ist das für die Modenschau?«, frage ich sie und blättere vorsichtig durch die Entwürfe. Scarletts Modelinie O’Hara ist klassisch schick, aber gleichzeitig rebellisch. Jedes Stück hat etwas Besonderes an sich, sei es der Stoff oder der raffinierte Schnitt, und trotzdem kann man die Kleidungsstücke gut im Alltag tragen.
»Ich versuch gerade die finalen Outfits zusammenzustellen«, erklärt Scarlett mir. »Bin immer noch ein bisschen unentschlossen.«
Mein Blick fällt auf einen Hefter mit der Bezeichnung Models. Ich klappe ihn auf und betrachte die Fotos im Inneren. Es sind vier Models. Zwei Frauen, zwei Männer – und sie könnten unterschiedlicher nicht aussehen.
Eine der beiden Frauen hat weibliche Kurven, rote, glatte Haare und einen Haufen Sommersprossen, die andere hat dunkle, fast schwarze Haut. Ihre Frisur allein ist ein Kunstwerk für sich. Während die eine Seite geschoren ist, kringeln sich auf der anderen ihre schweren Locken bis über ihre Schulter und sind versetzt mit blauen Strähnen.
Wow, denke ich überrascht. Nicht gerade das, was man auf den Laufstegen der New York Fashion Week sehen würde, aber wunderschön. Beide Frauen haben allein auf den Fotos eine so krasse Ausstrahlung, dass ich ihnen auf der Straße bestimmt hinterhersehen würde.
Und das soll was heißen. Immerhin bin ich eine Frau.
Aber auch die beiden Männer unterscheiden sich sehr. Während der eine blonde, raspelkurze Haare hat und sehr muskulös gebaut ist, hat der andere langes braunes Haar, tätowierte Oberarme und stechend blaue Augen. Er ist sexy – und er kommt mir vage bekannt vor.
»Wer ist das?«, frage ich Scarlett, die mittlerweile neben mir aufgetaucht ist. Ich halte ihr das Foto des tätowierten Models entgegen.
Sie lacht in sich hinein. »War ja klar, dass du dich ausgerechnet für ihn interessierst. Das ist Maddox Madness.«
»Der berühmte Geiger?« Ich widme seinem Bild noch mal einen zweiten Blick. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, unter dessen Kragen ebenfalls Tätowierungen hervorblitzen, und lächelt in die Kamera. Obwohl ich ihm in den sozialen Netzwerken nicht folge, weiß ich, dass ein schwarzes T-Shirt und ein breites Lächeln nicht üblich für ihn sind. In den Klatschzeitschriften landet er jedenfalls meistens in dem Bereich, in dem die Redaktion Top oder Flop für die Outfits der Stars vergibt. »Wie hast du den denn als Model gewinnen können?«
»Er schuldet mir noch einen Gefallen.« Scarlett grinst mich an, als ich die Augen aufreiße. Ein Weltstar schuldet meiner Schwester einen Gefallen …
»Na auf die Geschichte bin ich gespannt«, entgegne ich und lege das Foto zurück in die Mappe. Wir setzen uns an den Tisch, damit Scarlett mir die Outfits zeigen kann, die sie geplant hat, während sie mir die Geschichte erzählt.
»Du kennst doch noch das Hellfire, oder? Den Diner, in dem ich mal gejobbt habe?«
Ich erinnere mich nur vage. Das ist schon echt lange her. Da müsste ich noch auf der Highschool gewesen sein. »Du meinst den am Broadway?«
»Ja, genau den!« Scarletts Locken hüpfen auf und ab, als sie nickt. »Er gehört Maddox’ Onkel Xander Reed. Wir haben da oft zusammen gearbeitet und uns angefreundet. Ich hab ihm mal den Arsch gerettet und seine Schicht übernommen, als er nicht mehr in der Lage dazu war.« Sie grinst. »Sagen wir’s mal so.«
»Und jetzt ist er berühmt und läuft für dich über den Laufsteg«, fasse ich ungläubig zusammen. »Man lerne: Sei immer freundlich und zuvorkommend, irgendwann ist dein Gegenüber vielleicht ein Megastar.«
Scarlett kichert. »Er hätte es bestimmt auch getan, wenn er mir nichts geschuldet hätte. Er ist wirklich nett.«
»Du hättest ihn mal mit nach Hause bringen sollen«, beschwere ich mich. »Wieso enthältst du uns so jemanden vor?«
Die Haustürklingel reißt uns aus dem Gespräch. »Das muss deine Überraschung sein«, sagt sie und springt auf, um die Tür zu öffnen.
»Aw, du hast mir eine Überraschung besorgt?«, rufe ich ihr hinterher, aber sie antwortet nicht. Ein paar Augenblicke später zieht sie unsere älteste Schwester um die Ecke.
»Everly!«
»Tadaa!« Everly breitet die Arme aus. In der einen Hand hält sie einen Rucksack, in der anderen eine Flasche Alkohol. Das Bild ist völlig absurd, denn eigentlich ist sie die Bravste von uns dreien. Und doch steht sie da, als wäre sie Mrs. Party höchstpersönlich. »Ich wollte eigentlich Sekt mitbringen, aber Graham meinte, ich solle lieber was Stärkeres nehmen. Immerhin feiern wir nicht, sondern ertränken unsere Sorgen in Alkohol.«
Zwei Tequila und einen vegetarischen Burger von Jo’s später fühle ich mich etwas besser. Die Zeit mit meinen Schwestern und Vicky gibt mir die Lebenskraft zurück, die mir Paris genommen hat. Ich lausche Scarletts Erzählungen über O’Hara und Vickys Beschwerden über ihre Familie und lächle zufrieden, als die beiden sich aneinanderkuscheln. Wenigstens ein Pärchen, das glücklich ist.
Denn Everly erzählt nicht viel. Ich kann ihr ansehen, dass sie gerade mit etwas zu kämpfen hat, aber sie war schon immer so. Wenn sie bereit ist, wird sie reden. Keine Sekunde eher. Also lasse ich sie in Ruhe und versuche, meine Zukunft nicht allzu düster zu malen, während ich den anderen von mir erzähle.
»Sieben Monate in Paris waren nicht annähernd genug Zeit, um Geld zu sparen. Ich hab zwar ein paar Rücklagen, aber die reichen vielleicht ein oder zwei Wochen, wenn ich mir eine Wohnung hier suche. Ich dachte, ich könnte zu Hause einziehen, aber jetzt, da es kein Zuhause mehr gibt, weiß ich nicht, wohin«, erkläre ich zögerlich. Das Stipendium war nicht besonders großzügig. Wenn ich ehrlich bin, reichen meine Ersparnisse vermutlich nicht einmal für die Anzahlung, die ich leisten müsste, um eine Wohnung anzumieten. Und ohne einen Job in Aussicht werde ich sowieso keinen Mietvertrag bekommen. Und ohne einen Abschluss werde ich so schnell wohl auch keinen Job finden, der mir genug einbringt, um mir ein Leben in New York leisten zu können.
Vielleicht hätte ich darüber nachdenken sollen, bevor ich in Paris das Handtuch geworfen habe.
»Du kannst bei uns bleiben«, bietet Vicky an. Sie blickt zu Scarlett, die sofort nickt. »So lange du möchtest. Wir benutzen das Gästezimmer ja sowieso kaum.«
»Danke.« Ich atme erleichtert aus. Eine Sorge weniger.
»Und wenn du willst«, setzt Scarlett nachdenklich an, »arbeite doch für mich? Ich könnte wirklich dringend Unterstützung für die Modenschau gebrauchen, aber es ist viel zu knapp, eine Stelle auszuschreiben. Du kennst mich, du weißt, was ich mag, du brauchst Geld, ich hab Geld. Bitte sag Ja!«
»Das ist eine furchtbare Idee.« Ich lache auf, weil sie einen Schmollmund zieht. »Du weißt ganz genau, dass wir uns schon in der ersten Woche streiten würden.«
»Ich geb mein Bestes, dich nicht anzuzicken, wenn ich kurz vor der Show bin«, erwidert sie flehend. »Komm schon, Vi. Wir könnten zusammenarbeiten. Du könntest meine Assistentin sein. Probier es doch einfach aus. Es sind drei Wochen bis zur Modenschau. Wenn wir merken, dass es nicht passt, hörst du danach einfach auf, okay?«
»Wie kann ich da noch Nein sagen?«, frage ich mit einem theatralischen Seufzen.
»JA!« Scarlett stößt einen Jubelschrei aus. Everly lacht und öffnet die Flasche Tequila, um eine weitere Runde einzugießen. In dem Tempo liegen wir in einer Stunde sturzbetrunken unterm Tisch.
»Auf uns«, sagt sie mit glasigen Augen und hebt ihr Glas hoch. Ein bisschen goldene Flüssigkeit schwappt über den Rand. »Und darauf, dass dieses verdammte Jahr endlich besser wird.«
»Auf eine bessere Zukunft!«, stimmt Scarlett zu.
»Und eine erfolgreiche Modenschau!«, wirft Vicky ein.
Ich hebe mein Glas. »Auf den Plottwist, den wir alle so gut gebrauchen können!«
In dieser Welt zählt nicht, was du fühlst. Hier zählt nur, wer du bist.
Stargeiger Maddox Madness läuft für New Yorker Modelabel O’Hara über den Laufsteg
Ich stoße einen Triumphschrei aus und überfliege Dorians Zeilen ein zweites Mal. Er ist dabei! Dorian ist dabei. Damit hätte ich im Leben nicht gerechnet.
Hey Maddox,
das hört sich nach einer saucoolen Sache an. Wie der Zufall es will, macht Heathcliff eine dreimonatige Sommerpause. Ich hab Zeit, ich hab Lust, kurz: Ich bin dabei! Danke, dass du an mich gedacht hast. Schick mir die Details und dann sehen wir uns im Sommer!
X Dorian
Alice hebt müde den Blick und ich erzähle von den positiven Nachrichten. »Du wirst Dorian mögen«, verspreche ich ihr. »Ich bin mit ihm zur Schule gegangen. Gibt keinen cooleren Schlagzeuger auf dieser Welt.«
Sie legt den Kopf schief.
»Du weißt nicht, was ein Schlagzeuger ist, oder?«
Sie wedelt mit dem Schwanz.
»Das ist jemand, der seine Stöckchen nicht mit dir teilt.«
Das Wort Stöckchen motiviert sie genug, um sich aus ihrem Körbchen zu erheben und zu mir zu kommen. Sie legt ihre Schnauze auf meinem Oberschenkel ab, ich streichle ihr über den Kopf. »Heute gehst du mit Toby und Liz raus«, erkläre ich ihr. »Ich hab gleich eine Anprobe für das Modenschauding. Erinnerst du dich? Ich hab dir gestern davon erzählt.«
Sie winselt.
»Hab ich wirklich.« Nach einem Blick auf die Uhr klappe ich den Laptop zu. »Na komm, wir müssen los.«
Ich ziehe mich um und packe meinen Laptop, die Biografie von Barack Obama und Alice’ Futter in meine Umhängetasche. Ein paar Minuten später nehmen wir die Subway zur Lexington Avenue und tauchen in die gut gefüllten Straßen ein. Alice hat sich schon dran gewöhnt, nur in den Parks zu trödeln. Vor allem hier – wo es immer alle eilig haben – wird man schnell angerempelt oder über den Haufen gelaufen, wenn man nicht Schritt hält. Wir mischen uns in den Strom von Anzugträgern und Frauen in Businesskostümen, passen unser Tempo den anderen an und biegen an der 68ten Straße ab, um zum Apartmentgebäude zu kommen, in das Liz und Toby vor ein paar Wochen gezogen sind.
Meine Zeit reicht gerade, um Liz einen Kuss auf die Wange und die Leine in die Hand zu drücken. »Wir reden später, ja?«
»Viel Spaß bei der Anprobe«, zwitschert sie, weil sie genau weiß, wie gern ich ausgefallene Kleidung mag. »Grüß Scarlett von mir. Sag ihr, das Video ist fast fertig.«
»Mach ich«, entgegne ich gerade rechtzeitig, bevor mich die Fahrstuhltüren wieder verschlucken und ins Erdgeschoss bringen.
Das Geschäftsgebäude von O’Hara liegt in Soho, ich nehme ein Taxi, um den Rest der Strecke zurückzulegen. Zu Fuß wäre ich locker eine halbe Stunde unterwegs und die Subway nehme ich nur, wenn ich Alice dabeihabe. Wenn ich mich auf sie konzentrieren kann, fallen mir die Blicke der anderen Menschen nicht so sehr auf.
Das Taxi bringt mich in sechzehn Minuten ans Ziel. Noch vier, um zu bezahlen und in die obere Etage des Gebäudes zu kommen. Läuft ja wie am Schnürchen.
»Behalten Sie den Rest«, sage ich beim Aussteigen. Auf dem Gehweg weiche ich einer Gruppe Touristen aus, die mit verwirrten Gesichtern eine Stadtkarte studieren. Ich ziehe meine Cap und die Sonnenbrille ab, sobald ich durch die Tür bin.
Im O’Hara selbst ist es deutlich ruhiger. Zwei Kundinnen lassen sich gerade von einer Beraterin die neue Kollektion zeigen. Ich gehe zur Ladentheke der Luxusboutique, wo mich eine Frau mit kurzem Haar und pink geschminkten Lippen begrüßt.
»Hi, ich bin Maddox Reynolds. Scarlett wartet bereits auf mich«, erkläre ich meine Anwesenheit.
»Natürlich. Folgen Sie mir bitte, Mr. Reynolds.« Die Frau tritt hinter dem Marmortresen hervor und bringt mich in den hinteren Teil des Gebäudes, wo sie den Fahrstuhl mit der Karte an ihrem Gürtel entsperrt. »Der bringt Sie direkt ins Atelier.«
»Danke, …«, ich linse auf ihr Namensschild, »Mrs. Littleton.« Ich lächle ihr kurz zu und frage mich, ob sie mich nicht erkannt hat oder ob sie einfach nur gut darin ist, ein neutrales Gesicht zu wahren.
»Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt. Scarlett wird gleich dazukommen.«
Im goldenen Fahrstuhl checke ich noch ein letztes Mal die Benachrichtigungen auf meinem Handy, dann schalte ich es stumm und stecke es in meine Tasche. Dabei fällt mir auf, dass ich Alice’ Futter immer noch mit mir herumtrage.
Mist.
Und wieder hat mich die Arbeit davon abgelenkt, ein zuverlässiger Hundebesitzer zu sein. Wenigstens haben Toby und Liz selbst Hunde und dürften so nicht extra wegen Alice noch mal losmüssen.
Die Fahrstuhltüren springen mit einem leisen Pling auf. Ich trete auf den Flur und will mich umschauen, als ich – PAFF – zu Boden gerissen werde.
Dumpfe Schmerzen schießen durch meinen Körper, mein Hinterkopf hat einen leichten Schlag abbekommen, etwas Schweres liegt auf mir. Ich blinzle gegen das helle Licht über mir an. Eine Frau ist so heftig in mich hineingerannt, dass sie uns beide damit zu Boden befördert hat. Mit einem leisen Stöhnen befreie ich mein Gesicht von ihren blonden Haaren und helfe ihr dann dabei, sich aufzurichten.
»Ich … O Gott, es tut mir so leid«, stammelt sie und lässt sich auf die Knie zurückfallen. Sie hat ein weiches Gesicht, blaue Augen und blonde, lange Haare, die ihr in weichen Wellen ums Gesicht fallen und von hinten beleuchtet werden.
Sie sieht aus wie ein Engel.
Ein schockierter Engel.
»Ich wollte Sie nicht plattwalzen. Haben Sie sich stark verletzt?«, fragt sie und fasst an meinen Kopf. Ihr Blick gleitet suchend umher, bis ich meine Fassung wiedererlange und ihre Hände von meinem Kopf löse. »Ist Ihnen schwindelig? Soll ich einen Notarzt rufen? Wenn Sie sich übergeben müssen, haben Sie vielleicht …«
»Mir geht’s gut. Nichts passiert«, verspreche ich ihr.
Sie klappt den Mund zu, ihre Augen weiten sich noch mehr. Ich glaube, ihr wird gerade klar, dass sie wie ein Wasserfall zu reden begonnen hat. Vielleicht hat sie mich aber auch erkannt.
Ich stehe auf, ignoriere die Schmerzen an meinem Steißbein und strecke ihr eine Hand entgegen. Sie hebt ihre High Heels auf und lässt sich von mir aufhelfen. »Sieht aus, als hätten Sie es eilig gehabt, …?«
»Violet.« Sie lässt meine Hand los und streicht das blaue Kleid glatt, das ich schon unten im Schaufenster an einer Puppe gesehen habe. Violet steht es deutlich besser. Sie hat die richtigen Kurven an den richtigen Stellen. Es sieht fast so aus, als hätte Scarlett dieses Kleid für sie entworfen. »Und ja, das habe ich tatsächlich, aber das ist kein Grund, mich wie eine Abrissbirne zu benehmen.«
»Keine Sorge. Ich habe schon damit gerechnet, dass mein Ausflug hierher umwerfend wird.« Ich beginne zu grinsen, als sie den Mund auf der Suche nach einer Erwiderung auf- und zuklappt. Süß. Ich liebe es, Frauen aus dem Konzept zu bringen.
Schließlich deutet sie mit geröteten Wangen hinter sich. »Ich … ich sollte mal …«
Ich lasse meinen Blick auf ihr ruhen, während sie ein paar Schritte rückwärts macht. Ich kann einfach nicht widerstehen, dafür reagiert sie viel zu gut auf mich. Ihre blauen Augen beobachten mich mit einer Mischung aus Neugier und Nervosität, sie wendet sich erst ab, als sie mit der Hüfte gegen einen Tisch stößt, auf dem eine Kaffeemaschine und Geschirr stehen.
Ich unterdrücke ein Lachen und beobachte, wie sie am Ende des Flures um die Ecke biegt, bevor ich mich dem Anblick vor mir zuwende.
Das Atelier von O’Hara ist ein wahrer Augenschmaus. Bisher kannte ich nur die Boutique im Erdgeschoss, aber auch das Atelier in der oberen Etage kann sich sehen lassen. Rohe Backsteinwände, gemischt mit Holz und dunklen Metallen. Offene Schränke voll mit Stoffbahnen, Garnen und beigen Kisten, in denen sich Gott weiß was für Zeug befindet.
Die großen Fenster tauchen den Raum in ein sanftes Licht und bieten einen großzügigen Ausblick auf die Gebäude der gegenüberliegenden Straßenseite. Vor der Fensterfront steht ein riesiger Arbeitstisch, mehrere Fuß lang, der an drei Stellen mit Behältern für Stifte, Maßbänder, Scheren und anderem Kram ausgestattet ist – und an einer Stelle hat jemand ein kleines Buffet mit Donuts, Obst und Getränken aufgebaut.
Ich gehe durch den Raum und erkunde den Rest des Ateliers. Zwei Büros sind mit Glasfronten abgetrennt, aber sie sind verlassen. Die Bildschirme sind aus. Wenn eines davon Scarlett gehört – wovon ich fast ausgehe –, ist sie nicht hier.
Auf der anderen Seite führen zwei weitere Türen ab. Die eine ist mit »Küche« beschriftet, die andere mit »Anprobe«.
Und dann gibt es da noch den Flur, in dem Violet verschwunden ist und der auf die Rückseite des Gebäudes zu führen scheint, wo vermutlich noch mehr Büros und Lagerräume verborgen sind.
Ehe ich mir darüber allerdings den Kopf zerbrechen kann, spuckt der Fahrstuhl eine Handvoll Menschen aus, angeführt von keiner anderen als Scarlett.
»Maddox!«, ruft sie aus, als sie mich in ihrem Atelier entdeckt. Sie trägt ein knallrotes Kleid und passenden Lippenstift dazu, ihre Absätze machen laute Geräusche auf dem Parkett. Die anderen folgen ihr in den luftigen Raum.
Ich umarme sie zur Begrüßung. »Es ist schon wieder viel zu lange her.«
»Da sagst du was.« Sie lehnt sich zurück, um mich anzusehen – große blaue Augen, blonde, lange Haare, die sie aber gerade in einem tiefen Knoten trägt. Sie sieht aus wie eine etwas ältere Version von Violet. »Meine Schwester ist auch gleich hier, denke ich.«
»Violet?«, frage ich nach, um meinen Verdacht bestätigt zu bekommen.
Scarlett runzelt kurz die Stirn und nickt.
»Ich hab sie gerade schon getroffen. Sie hatte es ziemlich eilig.«
»Sie holt noch die Kleiderstangen«, erklärt Scarlett und stellt mich den anderen vor. Ihre Näherin Beth und ihre Freundin Nia, die genau wie ich für O’Hara über den Laufsteg laufen wird, kenne ich bereits. Die anderen beiden Models – Aidan und Olivia – habe ich vorher noch nie getroffen. Wir sind ein kunterbunter Mix und das mag ich an O’Hara so sehr – Scarlett hat sich schon immer große Mühe gegeben, mit ihrer Modelinie für mehr Diversität einzustehen.
»Bist du nicht Maddox Madness?«, fragt Aidan verwundert, als ich mich als Maddox Reynolds vorstelle. Kurz überlege ich ihm zu sagen, dass er mich verwechseln muss, aber spätestens auf der Modenschau hätte ich sowieso keine Chance mehr, meine Identität zu verbergen.
»Der einzig wahre«, erwidere ich also mit einem angespannten Lächeln. Aidan pfeift anerkennend.
Olivia wickelt sich eine rote Locke um den Finger und blinzelt mich durch ihre dichten Wimpern an. »Wie cool. Wir laufen mit einem echten Star über den Laufsteg. Wie hast du es bloß geschafft, einen solchen Fang für deine Show zu bekommen?«, fragt sie Scarlett, während sie mich mustert, als würde sie mir bereits die Kleidung vom Leib schälen.
Nicht, dass sie nicht attraktiv wäre, aber mit ihrer offensichtlichen Reaktion auf meinen Namen hat sie sich gerade selbst ins Aus gespielt. Abgesehen davon ist sie mir – zumindest heute – nicht blond genug.
»Wir kennen uns von früher«, erklärt Scarlett. »Ich hab ihn schon geärgert, als er noch nicht berühmt war.«
Ich lege einen Arm um ihre Schultern. »Du meinst, als wir noch nicht berühmt waren«, korrigiere ich sie und deute auf das Atelier, das ein Zeugnis ihres eigenen Standes in der New Yorker Fashionindustrie ist.
Ein Rattern in meinem Rücken kündigt Violets Rückkehr mit den Kleiderstangen an. Sie schiebt eine vor sich her, die andere zieht sie. Mittlerweile trägt sie auch wieder ihre hohen Schuhe, die ihre gebräunten Beine auf eine sehr sexy Weise betonen.
Ja. Olivia interessiert mich nicht die Bohne. Mein bester Freund und ich sind uns einig. Wir stehen auf den blonden Engel. Und wenn ich Violets Blick richtig deute, ist sie zumindest nicht ganz abgeneigt.
Das könnte eine interessante Anprobe werden.