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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2021 Evelin Heinecke

Cover: Evelin Heinecke

Neuauflage des Romans „Frühlingsinsel der Illusionen“

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783755745884

In stiller Demut,

unbeschwerter Freude,

und unendlicher Dankbarkeit

für die positiven Fügungen,

befruchtenden Erfahrungen,

liebevollen Begegnungen

und Geschenke des Universums,

die dieses Werk haben entstehen lassen …

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Vorbereitungen

Mona setzt sich erschöpft auf den Bordstein und zündet sich eine Zigarette an.

»Ich denke, die letzten Packstücke bekommen wir noch gut unter«, teilt ihr der große Möbelpacker mit tiefer Stimme aus dem Inneren des Containers mit. Seit vier Stunden sind drei Männer damit beschäftigt, ihr gesamtes Hab und Gut zu verladen.

»Hier kommen Packstücke 178 und 179«, ruft der Kleinste von den Männern und wuchtet eine riesige Kiste in den Container.

»Vorsicht«, schreit Mona, »das ist mein Fernseher.« Sie hat die Packliste auf den Knien. Sie hakt die beiden Nummern ab. Seit Wochen ist sie damit beschäftigt, die umfangreichen Anforderungen ihrer Verschiffung zu erfüllen. Jedes noch so winzige Teil muss erfasst und nummeriert werden. Noch sechs Kisten, dann ist es geschafft. Der Container ist schon randvoll, trotzdem sie vor einem Monat ihre Dreizimmerwohnung auf den Inhalt eines Zimmers reduziert hat. Mona bläst den Rauch ihrer Zigarette in die klare Spätsommerluft. Es ist Ende August. So viele Gewitter wie in diesem Sommer hat sie in Berlin noch nie erlebt. Nur gut, dass das Wetter heute eine Pause macht. Von regendurchtränkten Kisten für einige Wochen im Container zu wissen, hätte Mona schlaflose Nächte bereitet. Die Männer laden gerade Nummer 180 und 181 ein, als Monas Handy klingelt. Sie nimmt ab.

»Moment«, sprudelt sie nervös, »ich muss kurz noch was notieren.« Sie setzt zwei Kreuze in die Liste. »Wer ist da?«

»Ich bin’s, Falk.«

Mona rollt die Augen. »Was willst du schon wieder? Es ist aus, begreif es doch endlich!«

»Ich will dich doch nur vor einem großen Fehler bewahren. Du stürzt dich ins Verderben. Du kennst diesen Typen gar nicht und willst für den alles hier aufgeben.«

»Du bist doch nur frustriert, weil du mich nicht haben kannst, und willst mir alles schlecht machen.«

»Mona, ich brauche dich! Bleib hier! Ich verspreche dir, dass …«

Mona legt auf.

So ein blöder Heini! Ich sollte einfach nicht mehr rangehen. Falk ist ein lieber Kerl, aber kein richtiger Mann.

Mona liebt Machos. Die geben ihr dieses süße Prickeln.

Genau so ist Rafael. Mona lernte ihn im März während ihres Urlaubs auf Gran Canaria im Hotel kennen. Zwei Wochen Strandurlaub ganz allein hatte sich Mona nach zwei Jahren ohne Urlaubspause gegönnt. Rafael ist ein rassiger Spanier von dreiunddreißig Jahren, drei Jahre jünger als Mona. Er ist ein braun gebrannter, schwarzhaariger, sportlicher Typ mit hypnotischen, schwarzen Augen. Rafael ist Rezeptionist. Er arbeitet in verschiedenen Hotels in Playa del Inglés. Schon am dritten Tag ihres Urlaubs hatte Rafael sie angesprochen und auf ein Glas Wein am Abend eingeladen. Aufgeregt war Mona in ihrem kurzen, schwarzen Minikleid von Playa del Inglés die Strandpromenade entlang gelaufen und die vielen Treppen nach unten gestiegen. Unten am Rondell, wo es direkt an den Strand geht und wo die vielen Schwarzen Sonnenbrillen und anderes verkaufen wollen, hatte sie kurz angehalten und überwältigt auf den Atlantik geschaut. Dieser Ozean hatte sie sofort verzaubert, seit sie ihn zum ersten Mal im Leben sah. Monas lange, feine blonde Haare wehten verführerisch im leichten Windzug, der vom Wasser herüber wehte, welches sich an diesem Abend in kleinen Wellen am Ufer brach.

Die schwarzen Männer drängten sich plötzlich um sie. Jeder wollte ihr etwas verkaufen. So attraktiv sie auch waren, so aufdringlich empfand Mona ihr Verhalten. Kühl lehnte sie ab. Ihr ganzer Sinn galt nur Rafael. Wo war nur dieses verflixte Restaurant? Um zwanzig Uhr waren sie zum Flamencoabend verabredet. Sie wäre gerne mit Rafael zusammen dorthin gegangen, aber er wollte sie dort treffen.

Zwanzig Minuten zu spät fand sie das Lokal. Das Flamencoprogramm hatte schon begonnen. Mona schaute sich um. Der Gastraum war gut gefüllt. Wo war nur Rafael? Ein Kellner stürmte auf sie zu.

»English? German?«

»German«, antwortete Mona. »Ich bin hier mit Rafael verabredet«, sagte sie, und im selben Augenblick war sie sich der Sinnlosigkeit dieser Aussage bewusst. Woher sollte der Kellner Rafael kennen?

Doch der Kellner antwortete tatsächlich: »Rafael kommen gleich. Er noch Geschäfte haben. Du hier warten sollst.«

Der Kellner geleitete sie zu einem Zweiertisch, stellte ihr den Stuhl bereit, Mona setzte sich.

»Was du trinken wollen?«

»Ein Glas Rotwein, trocken bitte.«

Der Kellner enteilte, um ihr kurz darauf das Gewünschte auf den Tisch zu stellen.

Mona zündete sich eine Zigarette an. Sie nippte nervös an ihrem Rotwein. Die Flamencomusik begann erneut zu spielen. Ein rotblonder Mann und eine attraktive Spanierin tanzten leidenschaftlich auf der kleinen Bühne in der Mitte des Raumes. Mona starrte fasziniert auf dieses Paar. Ihre Bewegungen, Gesten, Blicke strömten pure Erotik aus, obwohl der Mann mit seinen rotblonden Haaren überhaupt nicht Monas Bild eines typischen Spaniers entsprach. Der musste schwarzhaarig sein und schwarze Augen haben. Das fand sie unglaublich anziehend. Ihr Glas Rotwein war schon fast leergetrunken, als sich plötzlich von hinten Hände über ihre Augen legten. »Da bin ich«, sagte Rafael wie selbstverständlich und setzte sich auf den Stuhl Mona gegenüber. Er nahm ihre Hände, die auf dem Tisch lagen. Heiße Wellen durchströmten Mona, seine Augen fixierten sie.

»Du siehst umwerfend aus«, lobte er sie mit verführerischer Stimme. Er hob den Finger, der Kellner kam sofort. »Ein Wasser bitte, und was möchtest du?«

»Ich möchte noch ein Glas Rotwein.« Mona reichte das leere Glas dem Kellner.

Rafael bewegte seinen aufrechten Zeigefinger hin und her. »Ich finde es nicht gut, wenn du so viel Alkohol trinkst.«

»Wieso nicht?«, fragte sie zurück. Im Stillen fragte sie sich auch, warum er sich für sein Zuspätkommen überhaupt nicht entschuldigt hatte.

Doch Rafael antwortete nicht. So zündete sich Mona eine weitere Zigarette an.

»Dass du rauchst, gefällt mir auch nicht«, teilte er ihr mit und blickte so tief in ihre Augen, dass sie innerlich erzitterte. Seine Maßregelung machte sie wütend. Dir werde ich es zeigen! Ich lasse mir von niemandem meine Gewohnheiten schlecht reden.

Mona rauchte genüsslich weiter, trank demonstrativ langsam und sinnlich den Rotwein. Sie hätte sich gewünscht, dass Rafael sie zum Tanz auffordert, seine starken Arme um sie schlingt und sie an sich presst. Er strahlte eine so starke Männlichkeit aus. Plötzlich winkte Rafael dem Keller wieder. Mona hörte etwas von »cuenta«. Sie hatte sich für den Urlaub ein Wörterbuch für Touristen gekauft, kannte nur ein paar Wörter auf Spanisch. Der Kellner kam mit der Rechnung. Mona kramte ihr Portmonee hervor. Rafael winkte ab.

»Lass stecken, ich zahle!« Rafael sprach perfekt Deutsch und zwei weitere Sprachen. Er hatte in Deutschland Germanistik studiert und lebte einige Jahre in Kanada, wo er auch Englisch und Französisch gelernt hatte. Das wusste sie seit ihrem ersten Gespräch an der Rezeption im Hotel.

»Danke«, flüsterte Mona, während Rafael den Kellner eine Handvoll Münzen auf den Tisch legte und diesem bedeutete, das Geld zu zählen.

Mona schüttelte im Stillen den Kopf. Rafael schien ein sehr bestimmender Mann zu sein, der keinen Widerspruch duldete, weder von Frauen, noch von Männern. Der Kellner machte ein unwirsches Gesicht und zählte notgedrungen die vielen Münzen, bis der Rechnungsbetrag erreicht war.

Der rotblonde Spanier wirbelte gerade die Tänzerin noch einmal besonders wild über die Bühne, als Rafael aufstand, Monas Hand nahm und mit ihr das Restaurant verließ. Er hatte einen sehr festen Griff, als wollte er sie nicht mehr loslassen.

»Wo gehen wir jetzt hin?«, fragte Mona.

Rafael antwortete nicht. Mit großen Schritten, denen sie in ihren hohen Sandalen kaum folgen konnte, steuerte er vorbei an etlichen Restaurants, lief mit ihr über den Kreisverkehr, stieg die nächste Treppe nach oben. Der Lärm aus den Bars wurde langsam leiser. Es war zwischenzeitlich nach dreiundzwanzig Uhr. In einigen Abständen standen grüne Masten mit wechselnden Anzeigen zu Temperatur und Uhrzeit. Zweiundzwanzig Grad herrschten noch. Rafael zog sie schweigend über die spärlich beleuchtete Strandpromenade weiter. Als sie die Restaurantanlagen unterhalb der Promenade hinter sich gelassen hatten, blieb Rafael stehen. Kein Mensch war weit und breit zu sehen. Er zog Mona mit ganzer Kraft an sich. Sie ließ es geschehen. Er küsste sie so stürmisch, wie sie noch niemals in ihrem Leben geküsst worden war. Seine Küsse waren verzehrend, raubten ihr die Luft. Er ließ von ihr ab, nahm wieder Monas Hand und zog sie weiter. Die Strandpromenade wurde flacher, es gab einen Mauerdurchbruch zu den Dünen.

»Zieh deine Schuhe aus«, hörte sie Rafael leise sagen.

Sie nahm ihre Sandalen in die Hand, und Rafael lief mit ihr in die Dünen von Maspalomas. Kühl umschloss der Wüstensand ihre heißen Füße.

Rafael lief schnell. Immer tiefer führte er Mona in die dunklen Sandberge hinein, bis um sie herum nur noch Dünen waren und über ihnen der sternenübersäte Nachthimmel.

Rafael blieb stehen und zog sein Hemd aus. Er legt es auf den Sand, setzte sich darauf und zog Mona zu sich herab. Heiß küsste er sie und zog ihr den Slip aus. Er öffnete seine Hose und drückte sie auf sich …

Ein lautes Klingeln reißt Mona aus ihren Erinnerungen. Ohne aufs Display zu schauen, nimmt sie das Gespräch an.

»Mona, ich kann ohne dich nicht sein!« Falk. Er weint. »Du machst dich unglücklich und mich auch.«

Mona atmet tief durch.

»Jetzt lass mich endlich in Ruhe! Ich habe den Mann meines Lebens getroffen. Ich werde zu ihm ziehen und auf Gran Canaria glücklich werden. Basta!«

»Ich werde dich finden, wo auch immer du bist! Ich werde dich aufspüren, und dann …«

Mona legt auf. Was bildet der sich eigentlich ein! Schon vor Wochen hatte sie mit Falk Schluss gemacht. Sie hatten sich vor einigen Monaten in einem Berliner Club kennengelernt. Falk war der typische Untertan. Mona hatte es eine Zeit lang genossen, ihn für sich von A nach B zu schicken, Besorgungen machen und ihre Wohnung putzen zu lassen. Falk lag ihr zu Füßen. Sie hatte ihn sehr dicht an sich herangelassen. Zu dicht, wie sie erst merkte, 14 als sie sich in Rafael verliebt hatte und Falk loswerden wollte. Was hatte er ihr alles versprochen an dem Abend, als sie mitteilte, dass sie einen anderen Mann kennengelernt hatte und es aus sei! Er jammerte und bettelte.

»Ich will dein Hund sein, dein treuer Begleiter. Du kannst dich immer auf mich verlassen. Ich werde dich nie enttäuschen!«

Egal, was sie erwiderte, Falk hörte nicht zu. Er wollte es nicht wahrhaben. Falk war für Mona einige Zeit ein praktischer Zeitvertreib und Erfüllungsgehilfe für viele Dinge und Annehmlichkeiten des Alltags gewesen. In der Tiefe ihrer Seele hasste sie weinerliche und schwächliche Männer.

»Wir sind fertig! Haben Sie die letzten Kisten abgestrichen?«

Mona steht auf, steckt das Handy in die Hosentasche ihrer engen Bluejeans und tritt an den noch geöffneten Container. »Pardon, ich war in Gedanken. Haben Sie jetzt alle 185 Packstücke verladen?«

»Ja, die Wohnung ist leer, der Container voll.«

Mona reicht dem gut aussehenden Möbelpacker ihre Liste.

»Haben Sie für sich eine Kopie?«

»Nein, ich dachte, ich bekäme eine.«

»Tut mir leid. Ich muss diese Liste mitnehmen. Sie gehört zu den Verschiffungsunterlagen unbedingt dazu. Unterschreiben Sie hier!«

»Mist! Können Sie nicht im Büro noch eine Kopie anfertigen und mir später zufaxen?«

»Nein, das geht nicht. Alle Papiere sind fertig. Diese Liste kommt mit in diesen Umschlag, der wird wie der Container versiegelt und noch heute nach Hamburg zum Überseehafen gebracht.«

Mona wird es heiß. Wo bekomme ich jetzt auf die Schnelle eine Kopie her?

»Okay Haben Sie und ihre Kollegen noch dreißig Minuten Zeit auf einen Kaffee oder Bier? Sie haben so prima gearbeitet, daher würde ich mich gerne erkenntlich zeigen.

Der Große schaut auf seine Armbanduhr, die anderen beiden nicken wie verrückt, um seine Zustimmung zu erheischen.

»Halbe Stunde, mehr nicht«, sagt er freundlich, aber bestimmt.

»Kommen Sie mit. Um die Ecke von meinem Hochhaus ist ein Biergarten. Sie können sich dort etwas bestellen. Wenn ich zurück bin, zahle ich. Ich muss schnell noch die Liste kopieren. Sie kommen ohne mich klar?«

»Machen Sie schon!«

»Danke«, ruft Mona und eilt zum Biergarten voraus. Nebenher wählt sie Kurzwahl zwei, Falks Nummer. Falk nimmt sofort ab.

»Du willst doch alles für mich tun?«

»Ja«, ruft er ausgelassen ins Telefon.

»Setz dich sofort ins Auto und komm zu mir. In zehn Minuten musst du da sein. Ich brauche dich ein allerletztes Mal.« Mona kann nicht weiterreden. Falk hat schon aufgelegt. Wahrscheinlich hetzt er jetzt die vier Treppen von seiner Hinterhauswohnung im Prenzlauer Berg hinab zu seinem Auto, um rechtzeitig bei ihr zu sein.

Mona lässt sich auf die noch in ihrer Wohnung verbliebene Schlafcouch fallen. Der Container ist weg. Es wird einige Wochen dauern, bis sie ihn in Las Palmas am Zollhafen auslösen kann. Zwei Wochen muss sie noch auf ihren Abflug warten. Sie hätte die Termine gerne anders gelegt, musste sich aber nach der Verschiffung richten.

Sie zieht sich Jeans und T-Shirt aus und öffnet das Fenster. Ihre Einzimmerwohnung liegt im zwölften Stockwerk eines Hochhauses im Prenzlauer Berg. Von hier aus hat sie einen weiten Blick über Berlin. In einiger Entfernung ragt der Fernsehturm in den heute klaren Himmel. Tief inhaliert sie die Berliner Luft. Seit fünfzehn Jahren lebt sie hier. Jahre voller spannender Ereignisse und einschneidender Schicksalsschläge.

Gerade will Mona zu den Zigaretten greifen, da gebietet sie sich Einhalt. »Es reicht!«, ruft sie laut ins Zimmer. Schon mehrfach hatte sie versucht, mit dem Rauchen aufzuhören. Dreiundzwanzig Jahre Raucherdasein waren genug. Sie hatte Nikotinpflaster benutzt, Nikotinkaugummis gegessen. Alles war umsonst. Jetzt will sie es endgültig schaffen. Sie weiß, dass Rafael es hasst, wenn sie nach kaltem Qualm stinkt. Als sie im Juni bei ihm war, hatte er ihr das Küssen einfach verweigert. Er hat ihr aufgetragen, das Rauchen abzustellen, bis sie zu ihm kommt. So nimmt sie die Zigaretten und zerkrümelt sie auf dem Fensterbrett.

Ich werde es schaffen! Ich will Rafael nicht enttäuschen. Ich will nicht auf seine Küsse verzichten wegen diesem stinkenden Kraut. Monas Hände zittern etwas. Jedes Mal, wenn sie an Rafael denkt, wird sie unruhig. Sie kann sich das nicht erklären. Sie schiebt es auf die Sehnsucht und Leidenschaft, die sie für ihn empfindet.

Monas Handy klingelt. Unbekannte Nummer zeigt das Display. Ihr Herz schlägt bis zum Hals. Das ist bestimmt Rafael.

»Hallo?«, haucht sie ins Telefon.

»Mona, es war so schön, nochmal deine Haare zu riechen, dich neben mir zu haben. Ich weiß, dass du mich brauchst!«

Es ist schon wieder Falk. Die gemeinsame Fahrt zum Copyshop hat ihm wohl wieder neue Hoffnung gegeben. Er hatte es sogar gewagt, Mona zu berühren, sie küssen zu wollen. Und jetzt ruft er mit unterdrückter Nummer an.

»Ich habe es schon bereut, dich um diesen Gefallen gebeten zu haben«, schnauzt sie ins Telefon, enttäuscht, nicht Rafaels Stimme zu hören. »Lass mich in Ruhe und ruf nicht mehr an!« Sie legt auf und wirft das Handy so kräftig ins Zimmer, dass es mit Wucht auf den PVC-Boden knallt. Die Abdeckung und der Akku segeln durch den Raum. Schon drei Tage konnte sie Rafael nicht erreichen. Sie ist darauf angewiesen, dass er rangeht. Er hat sie bisher nur einmal angerufen. Das war kurz bevor sie im Juni zu ihm geflogen war. Den ganzen Tag heute war sie durch das Packen des Containers abgelenkt, jetzt steigt die Unruhe wieder auf. Sie setzt den Akku wieder ein. Achtzehn Uhr ist es, bei ihm also eine Stunde früher. Sie weiß, dass er mittwochs als Nebenjob Kamelsafaris begleitet. Heute ist Mittwoch, und die große Safari ist meistens um siebzehn Uhr zu Ende. Dann sind alle Touristen in ihre Hotels verteilt, und er hat den Abend frei. An den anderen Tagen arbeitet er in verschiedenen Rezeptionen als Springer. So weiß sie nie, wann, wie lange und wo er arbeitet. Heute ist also der perfekte Tag, um ihn anzurufen.

»Ich werde noch eine Stunde warten«, flüstert sie vor sich hin und zieht sich wieder an. Sie setzt sich auf die Couch und nimmt ihren Terminkalender. In den verbleibenden Tagen sind noch einige organisatorische Dinge zu erledigen. Außerdem will sie am nächsten Wochenende ein Abschiedsfest für ihre Freunde und Bekannten organisieren. Sie blättert auf den morgigen Tag. Acht Uhr Termin bei Frau Dr. Schillas. Das hätte sie fast vergessen! Morgen findet das Abschlussgespräch bei ihrer Psychiaterin statt. Drei Jahre ist Mona bei ihr in Behandlung. Diverse Therapieformen und unterschiedlichste Psychopharmaka hat Frau Doktor in dieser Zeit an Mona ausprobiert. Mona hatte nie den Eindruck, dass ihr irgend etwas davon richtig geholfen hat, wollte die Therapie aber auch nicht abbrechen. Es war fast unmöglich, kurzfristig wieder einen Therapieplatz zu bekommen. Richtig gut geht es ihr erst, seitdem sie Rafael kennengelernt hat. Bereits vier Wochen nach dem Kennenlernen flog sie für nur zwei Tage wieder zu ihm.

Als er sie nach dem leidenschaftlichen Wochenende zum Flughafen von Las Palmas brachte und sie dort noch einige Zeit warten mussten, besprachen sich schon im Detail, welche ihrer Möbel mit in seine Wohnung passen, welchen Hausrat sie alles doppelt hätten.

Nach diesem Wochenende kündigte sie ihre Arbeit. Die Kündigungsfrist ist Ende August abgelaufen, die letzten zwei Wochen hatte sie Urlaub.

Rafael hat eine Wohnung mit drei Schlafzimmern in Vecindario, einem kleinen Ort an der stürmischen Ostküste.

Sie liegt im Erdgeschoss eines Reihenhauses in einer der vielen Gassen, die alle gleich aussehen. Diese Wohnung sei nur eine vorübergehende Notlösung, hatte er gesagt. Er plane, in Playa del Inglés, San Fernando de Maspalomas oder El Tablero ein Haus zu kaufen. Er hatte nur noch keine Zeit, sich darum zu kümmern. Aber das würde ihre Aufgabe sein, wenn sie bei ihm wäre. Die Aussicht auf ein gemeinsames Haus im Süden von Gran Canaria mit diesem heißen attraktiven Mann, der sie tatsächlich haben wollte, ließen Mona all ihre Vergangenheitsprobleme vergessen. Trotz alledem würde sie morgen zum Abschlussgespräch zu Frau Doktor Schillas gehen.

Mona greift sich ihre Umhängetasche, das Handy, den Schlüssel und verlässt ihre Wohnung. Sie fährt mit dem Fahrstuhl nach unten, tritt in die warme Abendluft und läuft zur nahe gelegenen Pizzeria. Seit heute Morgen hat sie nichts mehr gegessen. Immer wieder schaut sie auf die Uhr. Noch dreißig Minuten muss sie warten, dann wird sie Rafael anrufen. Sie setzt sich in den Biergarten und bestellt eine große Berliner Weiße mit Schuss. Mit hastigen Schlucken lässt sie das rote, kalte, schaumige Getränk in sich fließen.

»Was willst du essen?«, fragt der Kellner. Sie duzen sich, das ist in Berlin bei Stammgästen so üblich.

»Bring mir Pizza mit vier Käsesorten. Ich sterbe vor Hunger.« Gierig schlingt Mona die Pizza in sich, immer wieder auf die Uhr schauend.

»Und? Wann geht es los?«, will der Kellner wissen. Er weiß um Monas Auswanderungspläne.

»In anderthalb Wochen, besser gesagt nächsten Samstag.«

»Ich beneide dich«, ruft er noch und eilt zu den nächsten Gästen.

Mona trinkt die Weiße mit einem Mal aus. Der Alkohol macht sie ruhig und beschwingt. Alles wird gelingen, sie weiß es genau.

Aus dem Kneipeninneren hört sie plötzlich den Nachrichtensprecher. Es ist neunzehn Uhr, verkündet er, und Mona zückt sofort ihr Handy. Rafaels Nummer kennt sie zwischenzeitlich auswendig, so oft hat sie sie schon gewählt. Er soll auf keinen Fall als Kurzwahl gespeichert werden. Sie liebt die Wähltöne seiner Nummer im Ohr. Sie klingen wie ein berauschendes Symphoniekonzert.

Sie wählt, es klingelt und klingelt. Monas Herz schlägt bis zum Hals.

Wenn ich ihn heute wieder nicht erreiche, werde ich keinen Schlaf finden.

Nach zwanzigmal Klingeln legt sie auf. Ihre Unruhe wird unerträglich. Sie steht auf, geht in den Gastraum an den Zigarettenautomaten und zieht sich eine Schachtel Zigaretten.

»Machste mir noch ’ne Weiße, diesmal mit doppeltem Schuss?«

»Geht klar.«

Sie setzt sich wieder nach draußen, starrt auf ihr Handy, welches sie auf den Tisch gelegt hat. Sie inhaliert den Rauch der Zigarette so tief, dass sie husten muss.

»Na, Kleene, nüscht Jutet mehr jewöhnt, wa?« Der Wirt bringt ihr die Weiße persönlich.

»Danke«, hustet Mona und drückt die Zigarette aus. Sie wählt wieder Rafaels Nummer. Nebenher nimmt sie einen großen Schluck.

Er hebt nicht ab.

Er sieht doch, dass ich täglich anrufe. Warum ruft er nicht einmal zurück? Er weiß doch, dass ich heute meine Sachen verladen habe und in zehn Tagen zu ihm ziehe.

Mona laufen die Tränen. Sie trinkt die restliche Weiße aus, legt viel zu viel Geld auf den Tisch und verlässt schwankend den Biergarten.

Unterwegs zündete sie sich noch eine F6 an. Wie in Trance bewegt sie sich auf die Eingangstür ihres Hochhauses zu.

»Du hast heute noch nicht in den Briefkasten geschaut«, nuschelt sie rauchend vor sich hin und öffnet ihr Fach.

Eine ältere Frau schüttelt missbilligend den Kopf. »Hier ist Rauchen verboten«, keift sie.

»Ich sehe aber kein Rauchverbotsschild«, zischt Mona zurück. Sie greift in den Briefkasten, drei Briefe fallen ihr aus der Hand. Sie bückt sich, es wird ihr schwindelig. Sie schafft es gerade noch im Fahrstuhl nach oben, die Tür aufzuschließen, den Schlüssel, die Tasche und die Briefe in den Flur zu schmeißen. Sie erreicht das Bad und erbricht sich ins WC.

Erschöpft sinkt sie nach hinten. Sie schüttelt sich. Was ist nur mit mir los? Ich müsste tanzen, springen und jubeln, bei dem, was ich vorhabe.

Sie zieht sich aus, duscht sich ab. Das Wasser ist viel zu kalt für sie, aber sie hat die Hoffnung, sich so wieder zu klarem Verstand zu bringen. Je länger sie das kalte Wasser über sich laufen lässt, desto wütender wird sie. Wütend auf sich und auf Rafael.

»Ich gebe nicht auf!«, schreit sie laut ins Bad hinein.

Mit weichen Knien läuft sie ins Wohnzimmer. Sie trocknet sich die noch nassen Haare notdürftig ab und stellt den alten, kleinen Fernseher an, den sie Ilka überlassen will. Die Tagesschau läuft, die berichtende Stimme des Nachrichtensprechers beruhigt Mona. Nackt setzt sie sich auf ihre Couch.

Da waren doch noch drei Briefe, erinnert sie sich. Sie läuft in den Flur und hebt sie auf. Der erste ist Werbung, der fliegt sofort in den Müll. Der zweite ist dick. Er ist von der Rentenkasse. Mona bezieht eine kleine Witwenrente, die allerdings im Moment auf null steht, da sie auf ihr Einkommen angerechnet wird. Sie hatte der Rentenkasse vor Wochen schon mitgeteilt, dass sie ab ersten September arbeitslos sein wird und um Neuberechnung gebeten. Eine Neuberechnung wäre erst möglich, wenn sie einen Bescheid vom Arbeitsamt vorlegen würde. Den bekommt sie aber frühestens im September. In ihrer Rage hatte sie ins Telefon gebrüllt, dass sie im September bereits ausgewandert sei und es keine Möglichkeit mehr gäbe, die ewigen bürokratischen Angelegenheiten vor Ort zu regeln. Das war ein großer Fehler. Entsetzt starrt sie auf das Blatt Papier. Die Rentenkasse schickt ihr ein Formular für Rentner, die Deutschland verlassen. Die Weiterzahlung der Witwenrente stehe grundsätzlich infrage. Erst nach Prüfung ihres Falles und Vorliegen aller Formulare wird über ihre Rente entschieden.

Mona zittert. Im Moment hat sie nichts in der Hand. Alles ist ungeklärt. Sie weiß nicht, ob sie weiter Rente bekommen wird. Sie hat kein Auto mehr, das hatte sie bereits verkauft. Sie brauchte das Geld für die Verschiffung. Die Kalkulation der Gesamtkosten liegt bei 7500 Euro. Das Auto hatte gerade mal noch 5000 Euro gebracht. Reserven hat sie keine. Ihr Job als Bürokraft war zwar nicht schlecht bezahlt, aber seit der Euroeinführung kommt sie mit dem Geld nicht mehr klar. Es bleibt einfach nichts übrig, um es zu sparen. Auf Gran Canaria wird es ihr besser gehen. Bei Rafael braucht sie keine Miete zahlen und kann sein Auto mitbenutzen. Das hat er ihr versprochen. Wenn sie ihre Rente weiterbekommt, würde es grundsätzlich zum Leben ausreichen, natürlich ohne Mietzahlung. Sie wird sich auf der Insel eine kleine Arbeit suchen. Krankenversichert wäre sie weiter über die Rente von Deutschland aus. Davon geht sie aus. Sie öffnet den dritten Brief. Der ist von der Krankenkasse.

Vom Rententräger wurde uns bekannt, dass Sie Ihre Rente ab September aus dem Ausland beziehen werden. Somit sind Sie ab diesem Zeitpunkt nicht mehr über uns gesetzlich krankenversichert. Wir bieten Ihnen gerne eine günstige private Krankenversicherung an. Bitte nehmen Sie mit uns Kontakt auf.

Mona knallt den Brief auf die Couch. Abrupt steht sie auf, geht in die Küche und gießt sich einen großen Whisky ein. Gerade als sie das Glas ansetzt, um es mit einem Mal leerzutrinken, klingelt es an der Tür. Nackt, wie sie ist, stürmt sie in den Flur, erbost, wer sie jetzt am Abend noch stört. Sie blickt durch den Spion. Es ist Ilka, ihre Bekannte aus dem Haus. Ilka ist achtunddreißig Jahre alt, geschieden und lebt mit ihrem sechzehnjährigen Sohn fünf Stockwerke über Mona. Sie hatten sich vor zwei Jahren, als Mona hier einzog, eines Abends im Biergarten kennengelernt. Mona öffnet die Tür. Irritiert tritt Ilka ein.

»Mach dir nichts draus, ich war gerade duschen.« Sie umarmen sich. Mona schiebt Ilka ins Zimmer. »Ich zieh mir schnell was an.« Mona greift sich aus einem Koffer im Flur das erste Kleidungsstück, was sie in die Finger bekommt. Das übergezogene Kleid reicht ihr bis über die Knie.

»Magst du einen Whisky mit mir trinken? Ich habe aber nur noch einen Becher.«, fragt sie Ilka, als sie ins Zimmer tritt. Ilka sitzt auf der Couch und schaut sie besorgt an.

»Du gefällst mir gar nicht, was ist los mit dir?« Ilka ist die typische Mutterfrau. Dicke, kastanienrote Haare umrahmen ihr freundliches, offenes Gesicht. Sie ist einen Kopf größer als Mona, bestimmt einen Meter achtzig groß und hat eine sehr frauliche Figur.

Ilka steht auf, geht auf Mona zu und umarmt sie spontan. »Rede mit mir. Ich hatte gedacht, du würdest vor Glück nur so strahlen.«

Mona löst sich aus der Umarmung, reicht Ilka einen Whisky, zündet sich eine Zigarette an und lässt sich kraftlos auf die Couch fallen. »Ich kann Rafael nicht erreichen. Seit vier Tagen geht er nicht ans Telefon. Ich werde bald wahnsinnig.« Sie trinkt den Whisky mit einem Mal aus.

Ilka steht auf, nimmt Glas und Flasche und stellt sie weg. »Wenn du dich jetzt bewusstlos trinkst, wird es auch nicht besser«, schimpft sie.

»Soll ich es jetzt noch einmal versuchen, ihn anzurufen? Vielleicht klappt es ja, wenn du hier bist.«

»Wie spät ist es dort jetzt?«

»21:15 Uhr.«

»Versuch es einfach!«

Mona nimmt das Handy mit zittrigen Fingern und wählt. Es klingelt fünfmal.

»Si?«

Ihr bleibt fast das Herz stehen. Rafaels Stimme. »Hallo, Rafael, ich bin’s, Mona.«

»Hallo, Kindchen, weißt du, wie spät es schon ist?«

»Oh, tut mir leid, aber ich habe schon so oft versucht, dich zu erreichen.«

»Gibt es etwas besonders Wichtiges, ich habe jetzt keine Zeit.«

»Ich wollte dir vom Container berichten und deine Stimme hören.«

»Das hast du ja jetzt. Ich melde mich die Tage bei dir. Und rauch und trink nicht so viel, Kindchen!«

Er hat aufgelegt.

Mona sitzt fassungslos.

»Was ist,« fragt Ilka, »bist du nun beruhigt?«

Mona atmet tief durch. »Ja und nein. Er war so kühl. Er hatte es eilig, als wolle er noch irgendwohin. Was, wenn er sich nebenher mit jungen Touristinnen vergnügt?«

Ilka schüttelt den Kopf. »Wenn du dir solche Gedanken machst, brauchst du dich nicht wundern, wenn du durchdrehst. Nimm es doch einfach so! Er hatte einen anstrengenden Tag. Er will jetzt seine Ruhe haben. Immerhin ist er rangegangen, also ist alles in Ordnung. Hat er zu dir gesagt, dass du nicht kommen sollst?«

»Nein, hat er nicht.«

»Also, nimm’s locker!«

»Er hat gesagt, ich solle nicht so viel rauchen und trinken.«

»Womit er absolut recht hat.« Ilka steht auf und öffnet das Fenster weit. Schwüle Abendluft füllt das Zimmer. »Ich wollte mit dir noch ein wenig ums Eck gehen, aber ich glaube, deine Verfassung lässt das wohl nicht zu.«

»Oh doch, bitte, ich möchte auf andere Gedanken kommen.« Mona springt auf und umarmt Ilka spontan.

»Ich muss nur noch meine Haare föhnen und mich schminken. Du kannst so lange die Briefe lesen, die da auf dem Tisch liegen. Dann weißt du schon ein paar Details, wenn ich dir nachher davon berichte.«

Nach fünf Minuten ist Mona fertig. Strahlend und frisch geschminkt betritt sie das Wohnzimmer. »Wir können gehen.«

Ilka steht auf und schließt die Fenster.

»Sieh mal, Wetterleuchten in der Ferne. Vielleicht bekommen wir heute Nacht wieder ein Gewitter.«

»Das wird mir fehlen, wenn ich auf Gran Canaria bin. Rafael hat gesagt, dass Gewitter dort eine Seltenheit sind. Dafür gibt es ein anderes Wetterphänomen, das heißt Kalima.«

»Erzähl mir davon«, bittet Ilka.

Sie verlassen die Wohnung und begeben sich zur Pizzeria. Monas Augen leuchten in die Nacht, als sie weiter erzählt. »Bei Kalima verdunkelt rotbrauner Sand Luft und Sonne. Alles sieht gespenstisch vernebelt aus. Der Sand wird aus der Sahara herüber geweht, und wenn noch der heiße Wüstenwind dazukommt, steigt die Temperatur innerhalb von Minuten bis über vierzig Grad. Man sollte alle Fenster schließen. Der feine Sand weht in alle Ritzen. Die Hitze wird unerträglich. Die Luft wird schwer zu atmen. Manchmal hält solch ein Wetter über eine Woche an.«

»Hast du das schon einmal erlebt?«

»Ja, während meines Urlaubs, als ich Rafael kennengelernt hatte. In der zweiten Woche hatten wir drei Tage Kalima. Da waren es sechsunddreißig Grad im Schatten, und ich bin pausenlos ins Wasser gesprungen. Nur so konnte ich es aushalten.«

»Da hast du mit Rafael sicherlich eine heiße Zeit am Strand erlebt«, bemerkt Ilka neidisch.

»Leider nein, er musste ja arbeiten. Wir haben uns nur stundenweise nachts gesehen.«

»Das ist sehr schade.«

Als am nächsten Morgen der Wecker klingelt, weiß Mona nicht, wo sie ist und was für ein Tag ist. Mühsam setzt sie sich auf. Ihr Kopf ist schwer. Sie war am Abend mit Ilka noch in einer Nachtbar. Dort hatten sie getanzt und Cocktails getrunken. Mona hatte versucht, sich den Frust abzutanzen. Doch so richtig hat es wohl nicht gewirkt. Ihr fallen auf einen Schlag alle ungeklärten Probleme wieder ein.

Mist, der Termin bei Frau Dr. Schillas. Mona springt von der Couch auf und eilt ins winzige Bad. Nur kurz erfrischen, ein wenig Make-up. Sie schaut auf die Uhr. Noch dreißig Minuten bis zum Termin.

Das schaffe ich zu Fuß niemals. Also muss ich ein Taxi rufen. Ihren kurzen Gedanken an Falk verwirft sie sofort wieder. Er hat zwar im Moment frei, aber nein. Die Fahrt gestern hatte sie derart genervt, das will sie sich nicht noch einmal antun. Den Taxiruf von Berlin hat sie im Handy eingespeichert.

»Schaffen wir es in zwanzig Minuten vom Einkaufszentrum Prenzlauer Berg bis nach Mitte?«

»Wird knapp, bei dem Verkehr heute früh, aber ich beeile mich.«

Mona springt in Jeans und T-Shirt, eilt zum Fahrstuhl. Vor dem Haus zündet sie sich schnell noch eine Zigarette an, da kommt auch schon das Taxi. Kurz nach acht Uhr betritt sie die Praxis von Frau Dr. Schillas. Mit strengem Blick tippt diese auf ihre Uhr, bevor sie Mona die Hand reicht. »Kommen Sie herein! Setzen Sie sich! Sie wissen, dass Sie Bescheid geben sollen, wenn Sie sich verspäten.«

»Aber ich hatte gehofft, das Taxi schafft es noch zur rechten Zeit.« Mona lässt sich in den großen Behandlungsstuhl fallen, der auch zur Liege heruntergeklappt werden kann.

Frau Dr. Schillas steht ihr gegenüber und blickt sie über ihre Halbbrille hinweg an. Die stechenden grünen Augen der brünetten Frau bohren sich in Mona. »Berichten Sie mir! Ich habe den Eindruck, Sie sind sehr angespannt. Ich weiß, es ist unsere letzte Sitzung, bevor Sie auswandern. Mir wäre es ehrlich gesagt lieber, wenn Sie die Therapie weiterführen würden. Ich sehe Sie noch sehr instabil. Haben Sie sich auf Gran Canaria umgehört, ob es dort eine Anschlusstherapie geben könnte?«

»Ja«, sagt Mona mit Tränen in den Augen. »Ich habe mit einer Psychologin telefoniert. Aber diese Termine müsste ich privat bezahlen. Dafür fehlt mir das Geld. Ich weiß nicht mal, ob ich meine Rente weiter bekomme.« Jetzt bricht alles aus Mona raus. Völlig aufgelöst und zitternd berichtet sie von den letzten Tagen, von Rafael, welcher sich nie meldet, vom Container, der Rentenkasse und dem Rausschmiss aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Mona steigert sich so sehr hinein, dass sie einen heftigen Weinkrampf bekommt.

Frau Dr. Schillas zieht sich Gummihandschuhe an, redet beruhigend auf sie ein. Sie bindet einen Arm ab, klopft sich eine Vene hart und injiziert Mona eine große Kanüle mit gelblicher Substanz. Augenblicklich hört das Zittern auf.

»Atmen Sie ruhig«, ordnet Frau Dr. Schillas an und leuchtet mit einer Stablampe in Monas rechtes Auge, während sie es auf spreizt. »Das Beruhigungsmittel hat gut angeschlagen«, bemerkt sie zufrieden. »Wie geht es Ihnen jetzt?«

Mona atmet tief durch. »Ein wenig benommen fühle ich mich, aber ruhig. Das ist sehr angenehm.«

»Gut, ich denke, dass Sie nun in der Lage sind, mir ruhig alles noch einmal zu berichten.«

Mona spricht mit schwerer Zunge. Das Beruhigungsmittel scheint stark zu sein. Dennoch genießt sie den Zustand. Er erinnert sie an eine Zeit vor zwei Jahren, als sie in eine kurze Drogenabhängigkeit abgedriftet war. Ihrer Psychiaterin hatte sie davon nichts erzählt. In Berlin war es sehr einfach, an Drogen zu kommen. Nach dem Tod ihres Mannes und ihres Sohnes stürzte sich Mona ins Berliner Nachtleben. In einer Diskothek hatte sie zusammen mit ihrer damaligen Freundin Corinna ein Gemisch aus Trance- und Powerdroge probiert. Sie erinnert sich noch immer an die faszinierende Wirkung. Zuerst wurde ihr alles egal. Plötzlich bekam sie einen unglaublich starken Energieschub und konnte stundenlang durchtanzen.

Frau Dr. Schillas macht sich noch immer Notizen, als Mona mit leiser, monotoner Stimme ihren Bericht beendet. »Sie haben sich eine große Herausforderung geschaffen, gehen ein extremes Risiko ein, und das bei Ihrer Vorgeschichte. Das ist Ihnen doch bewusst?«

»Natürlich«, antwortet Mona matt. »Aber was kann mir Schlimmeres passieren, als Mann und Kind an einem Tag zu verlieren?«

»Ich habe befürchtet, dass sie dieses traumatische Ereignis noch nicht richtig verarbeitet haben. Deswegen lasse ich Sie so ungern gehen in dem Wissen, dass Sie keine Anschlusstherapie haben. Ich biete Ihnen an, dass wir heute noch einmal kurz ergründen, welche Erinnerungen Ihnen noch die meisten Probleme bereiten. Ich würde Ihnen in den verbleibenden anderthalb Wochen noch zwei Termine zur Traumatherapie zur Verfügung stellen. Sie nehmen Ihre Antidepressiva regelmäßig?«

Mona nickt. Nur gut, dass Frau Doktor nicht hellsehen kann. Mona hat bereits im Juni die Tabletten heimlich abgesetzt. Sie fühlte sich so stark, seit es Rafael gab und sie gemeinsam planten, dass sie zu ihm ziehen wird. Die übrig gebliebenen Tabletten hat Mona für Notfälle aufgehoben. Das Fluoxetin hatte tatsächlich eine erhellende Wirkung bei ihr entfaltet. Deshalb wollte sie darauf zurückgreifen können, wenn es vielleicht wieder einmal notwendig werden würde.

»Können Sie mir noch Tabletten für einen längeren Zeitraum verordnen? Ich weiß ja nicht, wann und wo ich wieder welche herbekomme.«

Frau Doktor Schillas schaut in ihren Laptop. Sie wiegt den Kopf. »Ich kann Ihnen höchstens noch für sechs Monate Tabletten aufschreiben. Das Fluoxetin sollte einige Jahre hintereinander genommen werden, damit es eine stabile Wirkung erzielt.« Sie steht auf. »Ich mache mir Sorgen um Sie. Sie müssen mir versprechen, egal wie schwierig es wird, dort einen Therapeuten ausfindig zu machen. Es ist wichtig. Unterschätzen Sie Ihren Zustand nicht!«

Mona atmet auf. Klasse. Für sechs Monate Fluoxetin. Sie selbst hat noch für drei Monate übrig. Das reicht, um sich eine Kurztherapie über ein dreiviertel Jahr zu verordnen. Dafür braucht sie keinen Therapeuten.

Es ist Freitagmorgen. Die letzten anderthalb Wochen sind wie im Flug vergangen. Morgen früh um 6.50 Uhr startet Monas Maschine von Berlin-Tegel nach Gran Canaria. Sie hat gerade ihr spartanisches Frühstück auf dem kahlen Fußboden beendet, als es an der Tür klingelt. Das müssen Ilka und ihr Sohn sein. Sie holen die letzten Möbelstücke ab. Die letzte Nacht wird sie bei Ilka verbringen. In Gedanken versunken läuft Mona zur Tür und öffnet, ohne durch den Spion zu schauen. In dem Moment wird sie in den Flur gestoßen. Ein schwarzer Müllsack landet über ihr, und sofort wird ein Seil um ihren Oberkörper geschlungen, dass sie ihre Arme nicht mehr zur Abwehr benutzen kann.

»Was wollen Sie, wer sind Sie?«, schreit sie. Sie hört extrem starke Atemgeräusche eines Mannes. Der drückt sie nieder, dass sie sich hinknien muss. Sie zittert, wagt nicht, einen Laut von sich zu geben. Sie hört Spraygeräusche, es riecht nach Farbe. Aber das kann auch der ekelhafte Geruch des Plastiksackes sein. Plötzlich legen sich kurz zwei kräftige Hände um ihren Hals und drücken zu. Im nächsten Augenblick hört sie, wie die Person zur Tür läuft und diese kurz darauf ins Schloss fällt.

Mona bewegt sich mit ganzer Kraft, sie windet sich, um sich aus den Fesseln zu lösen. Endlich bekommt sie einen Arm frei und reißt den Sack von innen auf. Den Rest kann sie abstreifen. Sie stürzt zum Fenster, reißt es auf, um Luft zu schnappen und eventuell zu sehen, ob sich jemand eilig entfernt. Aber das ist eine sinnlose Hoffnung vom zwölften Stockwerk aus. Außerdem sind die Parkplätze auf der anderen Seite des Hauses. Derjenige wird ins Auto steigen und unbemerkt davonfahren.

Mona setzt sich zitternd hin. Wo sind nur die Zigaretten? Sie hat keine mehr. Sie wollte ja aufhören zu rauchen. Sie steht auf, und in dem Moment bleibt sie wie erstarrt stehen. Auf der leeren Wand über der Couch hat der Angreifer mit schwarzer Farbe einen Satz hinterlassen: Ich werde wieder erscheinen, wenn du nicht mehr damit rechnest!

Mona fährt zusammen. Es klingelt an der Tür. Sie stürmt hin und schaut durch den Spion. Diesmal sind es Ilka und ihr Sohn Daniel.

»Wir wollen die Möbel abholen. Alles in Ordnung? Du siehst aus, als hättest du Geister gesehen.«

»Habe ich auch«, haucht Mona, greift Ilkas Hand und zieht die große Frau ins Zimmer hinein. Sprachlos schaut Ilka auf die Wandbemalung.

»Welcher Freak war das denn?«, lacht Daniel, er sieht es locker. »Bestimmt einer von den abgefahrenen Typen, die deine Corinna am Samstagabend noch mitgebracht hat.«

Ilka und Daniel waren am Samstag auch einige Stunden mit zur Abschiedsfeier in ihrer Wohnung gewesen. Arbeitskollegen, Freunde, Bekannte, alle hatten sich von Mona verabschieden wollen. Gerade als Ilka und Daniel die Feier verließen, tauchte Corinna mit drei Männern auf. Sie war nicht eingeladen, sie muss von irgendjemandem davon erfahren haben. Mona hatte Corinna seit Wochen weder gesprochen noch gesehen. Corinna hatte noch immer ein Drogenproblem und war nymphomanisch veranlagt. Als Mona Rafael kennengelernt hatte und Corinna davon berichtete, ihr auch ein Foto von Rafael zeigte, war ihre erste Reaktion: »Den würde ich auch nicht von der Bettkante schubsen. Wenn du das nächste Mal hin fliegst, komme ich mit. Dann vernaschen wir ihn zusammen.«

Mona hatte den Kontakt zu Corinna seitdem stetig minimiert. Als Corinna von Monas Auswanderungsplänen erfuhr, war sie sofort davon überzeugt, dass auch sie Deutschland verlassen würde. Corinna hatte etliche halbseidene Kontakte in Berlin. Mona hatte keine Ahnung, womit sich Corinna ihre tollen Klamotten, eine teure Dachgeschosswohnung und die Drogen finanzierte. Ihr kleiner Job als Sekretärin konnte niemals so viel Geld abwerfen. Aber sie fragte nicht danach.

Corinna berichtete Mona eines Abends im Juli, als sie sich zufällig im KitKatClub trafen, dass sie ihre Fühler schon nach Gran Canaria ausgestreckt hatte und es nur noch eine Frage der Zeit wäre, bis sie dort Fuß fassen könne. Es gäbe da so eine Bar, dort könnte sie arbeiten.

Mona hatte überhaupt keine Lust, auf dieser Insel mit der Chaosnudel in Verbindung gebracht zu werden. Berlin ist riesig, da verläuft sich alles. Aber nicht auf so einer kleinen Insel.

Einer von Corinnas Begleitern, ein Typ, der komplett in Leder gekleidet war, hatte Mona den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen. Er hatte sie mehrfach zum Tanz aufgefordert und fest an sich gedrückt, bis es Mona zu viel wurde. Sie hatte sich fast gewaltsam von ihm losgerissen. Niemand hatte den Vorfall bemerkt, zu voll war das kleine Zimmer, alle Gäste waren angeregt in Gespräche vertieft, tranken, rauchten, tanzten. Der Typ berührte Mona unsittlich und raunte ihr ins Ohr, dass man sich auf jeden Fall wiedertreffen würde. Irgendwann verschwand das seltsame Quartett, und Mona atmete erleichtert auf. Sie konnte es überhaupt nicht leiden, wenn ungebetene Gäste zu ihr mitgebracht wurden. Doch Corinna beachtete niemals irgendwelche Grenzen. Da es einer der letzten Abende in der Wohnung war, machte sich Mona keine weiteren Gedanken um diesen Typen und sein anmaßendes Verhalten. Doch jetzt kommt alles wieder hoch.

»Das musst du anzeigen!« Ilka fuchtelt vor Aufregung mit den Armen herum. »Wer kommt hier einfach in die Wohnung und beschmiert die Wände?«

Mona berichtet im Detail, was passiert ist.

Daniel hört interessiert zu.

»Ich weiß, du sollst nicht rauchen, aber hast du eine Kippe dabei?«

»Klar.« Daniel greift in seine hintere Hosentasche und holt ein zerdrücktes Päckchen filterlose Zigaretten hervor.

Ilka schüttelt den Kopf, als sie ihren Sohn mit Zigaretten sieht. »Ich habe es immer geahnt«, murmelt sie vor sich hin, unfähig, im Moment resolut durchzugreifen. »Hol die Polizei!«, fordert Ilka Mona auf. »Das kannst du nicht einfach so hinnehmen.«

»Das geht nicht.«

»Wieso nicht?«

»Wenn ich jetzt darüber ein Fass aufmache, kann ich meinen Flug morgen vergessen. Die Angelegenheit kann sich ewig ziehen, und ich will hier nichts wie weg.«

»Du hast recht«, gibt Ilka zu. »Hast du irgendeine Idee, wer es gewesen sein könnte? Hast du irgendetwas gerochen oder gehört, was dich an jemanden erinnert?«

Mona überlegt, schüttelt den Kopf. »Der Müllsack hat dermaßen nach Chemie gestunken, das hat alles andere überdeckt. Gesehen habe ich gar nichts. Ich hatte zuerst sofort an Falk gedacht, weil ich ihn nicht zum Abschied eingeladen hatte. Aber dem traue ich sowas nicht zu.«

Ilka nickt beistimmend. Sie kennt Falk durch Mona flüchtig.

»Vielleicht der Ledertyp. Der war mir sehr suspekt.«

»Welchen Ledertyp meinst du?«

»Stimmt, ihr seid am Samstagabend gerade gegangen, da kam Corinna mit drei Kerlen zur Abschiedsfete. Einer davon war der Ledertyp.«

»Habe ich doch vorhin schon gesagt, Mutter, haste wieder nicht zugehört.«

Ilka winkt ab. »Ich werde dir heute Abend, wenn du bei uns übernachtest, ein Schutzritual machen.«

»So etwas kannst du?« Mona blickt überrascht auf. »Davon hast du mir noch nie etwas erzählt.«

»Ja, meine Mutter ist eine heimliche Hexe«, meint Ilkas Sohn.

»Ach hör doch auf, du weißt doch, dass ich das Wort Hexe nicht mag. Ich lege Karten, aber nur für mich selbst, und ich habe mich eine geraume Zeit mit weißer Magie beschäftigt.«

»Das ist ja spannend.«

»Ich habe mich nicht getraut, dir davon zu erzählen. Ich wollte unsere Freundschaft nicht aufs Spiel setzen, belasten oder zerstören. Ich weiß doch, wie so etwas auf die meisten Leute wirkt. Die tippen sich an den Kopf und stempeln einen als verrückt ab.«

»Das hätte ich nicht«, wirft Mona ein.

»Ich verliere mit dir meine allerbeste Freundin und will wenigstens noch etwas Gutes für dich tun.« Ilka schluchzt laut auf.

»Du verlierst mich nicht, wir sind nur getrennt.«

Mona umarmt sie.

»Können wir endlich mal die Sachen hochbringen. Ich bin mit meinem Kumpel verabredet und muss weg.«

Die beiden Frauen lösen sich voneinander. Ilka und Daniel greifen sich die Couch. Mona nimmt den kleinen Fernseher. Ohne Probleme schaffen sie alles in Daniels Zimmer fünf Stockwerke höher.

»Hey, du magst wohl Vampire?« Mona blickt fasziniert die Wände von Daniels Zimmer an. Sie sind übersät mit Postern und Zeitungsausschnitten von Vampirfilmen und -berichten.

»Mein Kumpel will mich demnächst in einen Vampirclan einführen«, berichtet er stolz.

Ilka steht hinter ihm und tippt sich mit rollenden Augen an die Stirn, dass Daniel es nicht sehen kann.

»Glaubst du, dass es Vampire gibt?«, fragt sie Mona.

Die zuckt mit den Schultern. »Das Universum ist unergründlich«, raunt sie mit so tiefer Stimme, dass Daniel lachen muss.

»Danke nochmal für Couch und TV. Endlich habe ich das blöde Jugendbett aus meinem Zimmer und kann fernsehen.« Ilka bittet Mona ins Wohnzimmer.

»Hier, eine Schüssel Kaltschale und ein Glas Holunderblütensekt. Wird uns guttun.«

Mona lässt sich am Tisch nieder. »Das schmeckt ja sehr lecker«, lobt sie nach dem ersten Löffel, »genauso hat meine Mutter früher Kaltschale gemacht.«

»Ja, ich schneide immer gerne kalte Eierkuchen hinein, das verfeinert den Geschmack und macht richtig satt. Wie geht es eigentlich deiner Mutter?« Ilka füllt Mona noch eine weitere Kelle auf.

»Ich denke, gut. Wenn sie nichts von sich hören lässt, ist meistens alles in Ordnung.«

»Du hast schon ewig nicht mehr über sie gesprochen.«

»Ja, das stimmt. Es hat wohl damit zu tun, dass ich den Kontakt vor einigen Wochen komplett abgebrochen habe. Du weißt ja, dass ich sowieso nicht das beste Verhältnis zu meiner Mutter habe. Seit sie ihren neuesten Lover hat, der ist fünfundzwanzig Jahre jünger als sie, dreht sie völlig ab. Außerdem hat sie ständig versucht, mir ein schlechtes Gewissen einzureden, weil ich sie verlasse und zu irgendeinem Typen weit wegziehe. Sie hatte nicht ein einziges Wort der Freude für mich übrig. Sie denkt immer nur an ihre Schönheit und an ihre Stecher. Entschuldige den harten Ausdruck. Für den Neuen will sie sich jetzt sogar ein Gesichtslifting machen lassen.«

Ilka schüttelt den Kopf. »Da hätte sie dich lieber beim Umzug unterstützen können, wenn sie so viel Geld übrig hat.«

Mona winkt ab. »Damit habe ich in keiner einzigen Sekunde gerechnet. Lass uns bitte über etwas anderes reden! Ich muss ja heute auch noch die Wand streichen. Mit der Schmiererei kann ich die Wohnung nicht hinterlassen.«

»Ach lass das mal meine Sorge sein! Bis zur Wohnungsabnahme in fünf Tagen, die ich für dich wie vereinbart machen werde, habe ich Daniel und seine Kumpel dazu motiviert, das Zimmer komplett zu renovieren. Das ist mein Abschiedsgeschenk für dich.«

»Danke, Ilka, du bist wirklich eine echte Freundin.« Die beiden Frauen stoßen noch einmal mit dem prickelnden Holunderblütensekt an.

»Lass uns das Schutzritual machen!«

Kapitel 2: Erste Hürden

»Holen Sie sich erst einmal einen Wagen, ich lade Ihr Gepäck so lange aus.« Der Taxifahrer wuchtet Monas riesige Tasche aus dem Kofferraum. Der Kofferwagen, den Mona sich genommen hat, fährt mit Rechtsdrall.

»Da haben Sie ja ganz schön viel Gepäck, das wird wohl was kosten.«

»Ich hoffe nicht. Ich habe mit Air Berlin meine Auswanderung besprochen, so dass ich zwanzig Kilo mehr Gepäck in den Flieger nehmen kann, als Tourist.«

»Sie wandern aus? Wohin soll es denn gehen?«

»Nach Gran Canaria.«

»Sie Glückliche«, murmelt der dicke Taxifahrer mit der glimmenden Kippe im rechten Mundwinkel und packt Monas Rucksack als letztes Gepäckstück oben auf.

»Was macht das?«

»Achtundzwanzig Euro.«