Während sich die junge Imani aufopfernd um den schwer verletzten Soldaten Germano kümmert, tobt der Krieg zwischen der portugiesischen Krone und dem mosambikanischen Herrscher Ngugngunyane immer erbarmungsloser. Schließlich fasst Imanis Vater einen verzweifelten Entschluss: Er will Imani dem Herrscher zur Frau anbieten – damit sie ihn tötet.
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Mia Couto (*1955) gehört zu den herausragenden Schriftstellern des portugiesischsprachigen Afrika. Mehrere Jahre war er als Journalist und Chefredakteur tätig. Für sein Werk wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Prémio Camões, dem Neustadt-Literaturpreis und dem Jan-Michalski-Preis.
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Karin von Schweder-Schreiner (*1943) hat in Deutschland und Portugal studiert und mehrere Jahre in Brasilien gelebt. Zu den von ihr übersetzten Autoren aus dem portugiesischen Sprachraum zählen Jorge Amado, Antonio Callado, Bernardo Carvalho, Mia Couto, Rubem Fonseca, Lídia Jorge und Moacyr Scliar.
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Asche und Sand
Roman
Aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner
Der Imani-Zyklus (2 & 3)
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Die Originalausgaben erschienen 2016 (A Espada e a Azagaia) und 2017 (O Bebedor de Horizontes) bei Editorial Caminho, Alfragide.
Zweiter und dritter Band des Imani-Zyklus.
Die Übersetzung wurde gefördert durch DGLAB/Cultura und das Instituto Camões, IP - Portugal.
Der Auszug aus Fernando Pessoas Meeresode wurde von Inés Koebel ins Deutsche übertragen.
Originaltitel: A Espada e a Azagaia (Band 2) und O Bebedor de Horizontes (Band 3)
© by Mia Couto, 2016 und 2017
Diese Ausgabe erscheint in Vereinbarung mit der Literarischen Agentur Mertin, Inh. Nicole Witt e. K., Frankfurt am Main
© by Unionsverlag, Zürich 2021
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Gavin Mather (Alamy Stock Foto)
Umschlaggestaltung: Peter Löffelholz
ISBN 978-3-293-30985-2
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Was bisher geschah
Ende des 19. Jahrhunderts nimmt der Staat Gaza den größten Teil des Südens der portugiesischen Kolonie Mosambik ein. 1895 startet die portugiesische Kolonialregierung eine militärische Offensive, um ihre uneingeschränkte Herrschaft über die auch von anderen europäischen Staaten begehrte Kolonie zu festigen. Der König des Staates Gaza ist zu diesem Zeitpunkt Ngungunyane (den die Portugiesen als Gungunhana kennen).
In dieser Kriegssituation wird der junge portugiesische Sargento Germano de Melo auf einen Militärposten in einem Dorf namens Nkokolani geschickt, das sich in dem Gebiet der VaChopi befindet (ein Volk, das die Portugiesen als Chopes kennen). Die VaChopi haben sich, da sie von den VaNguni unterdrückt und massakriert werden, mit den Portugiesen militärisch verbündet.
In Nkokolani verliebt sich Germano in Imani, eine junge MuChope, die eine katholische Missionsschule der Portugiesen besucht hat, geleitet von dem aus Goa stammenden Priester Rudolfo Fernandes.
Der Krieg führt zu dramatischen Ereignissen in Imanis Familie; innerhalb weniger Monate kommt ihr Bruder Dubula ums Leben, und ihre Mutter erhängt sich am heiligen Baum auf ihrem Grundstück. Zurück bleiben Imanis Vater Katini Nsambe, ein Musiker, und der geistig gestörte Bruder Mwanatu, den Germano aus Mitleid als Wachmann für seinen Militärposten einsetzt.
Um der Einsamkeit zu entfliehen, schreibt der Sargento Germano eine Reihe von Briefen an den Tenente Ayres de Ornelas. Eine gute Bekannte des Sargento, die Italienerin Bianca Vanzini Marini, kommt zu Besuch nach Nkokolani. Wenige Tage später werden Germanos Hände von einem Schuss getroffen, als er sich gegen eine Meute verteidigen will, die, von Imanis geistesschwachem Bruder Mwanatu angeführt, auf den Militärposten zumarschiert. In der äußerst angespannten Situation hat Imani auf den Sargento geschossen, um ihren Bruder zu verteidigen. Imani, ihr Vater Katini, Bianca und Mwanatu transportieren den verletzten Sargento zum Rio Inharrime, an dessen Ufer sich das einzige Krankenhaus der ganzen Region befindet.
»Verschwinde, du Aasgeier, der du unsere Hennen dezimiert hast«, rief das Volk, als Gungunhana vom portugiesischen Militär gefangen genommen wurde.
Raul Bernardo Manuel Honwana, zitiert von Adelino Timóteo,
in: Canal de Moçambique
Der Herrscher
Sie nahmen ihn mit über das Meer,
wo die Körper Korallen gleichen.
So dachte er nicht mehr
an die Knochen, die ihn plagten.
Beim Aufbruch
setzte er keinen Fuß auf den Strand.
Eine Welle wird ihn zurückbringen, sagten sie.
Hilflos erzitterten die einen.
Erleichtert seufzten die anderen.
Sie streuten Salz auf seinen Namen,
damit wir auf sein Andenken spuckten.
Doch der Speichel
blieb in der Kehle stecken.
Mit diesem Verbannten
entfernten wir uns von
dem, der wir waren.
Jener Tote
waren wir.
Und ohne ihn
wären wir
weniger einsam geboren.
Ich sage nicht,
dass Stille mich erstickt und knebelt.
Ich schweige still, werde stillschweigen,
denn die Sprache, die ich spreche, ist anderer Art.
José Saramago, Poema à boca fechada
An jedem Anfang steht ein Abschied. Diese Geschichte beginnt mit einem Ende: dem Ende meiner Jugend. Mit fünfzehn Jahren ließ ich in einem kleinen Boot mein Dorf und meine Vergangenheit hinter mir. Und doch sagte mir etwas, dass ich erneut auf frühere Sorgen stoßen würde. Das Boot trug mich von Nkokolani fort, brachte mich aber meinen Toten näher.
Vor zwei Tagen waren wir in Nkokolani aufgebrochen, flussaufwärts bis zur Quelle in Richtung von Manjankhazi, das die Portugiesen Manjacaze nannten. Mein Bruder Mwanatu saß im Bug und mein alter Vater im Heck. Außerdem befanden sich Germano de Melo und seine italienische Freundin Bianca Vanzini im Boot.
Die Riemen schlugen ohne Unterlass in den Fluss. Und das musste sein, denn wir brachten Germano de Melo zu dem einzigen Krankenhaus im gesamten Gaza-Gebiet. Dem Sargento waren bei einem Unfall, für den ich verantwortlich war, die Hände zerfetzt worden. Ich hatte auf ihn geschossen, um Mwanatu zu retten, als er eine Menge anführte, die den allein von Germano verteidigten Militärposten stürmen wollte.
Wir mussten unbedingt schnell Manjankhazi erreichen, wo der einzige Arzt in unserem ganzen Land arbeitete, der Missionar Georges Liengme. Die Schweizer Protestanten hatten den Standort für das Krankenhaus klug gewählt: in der Nähe vom Hof des Herrschers Ngungunyane und weit weg von den portugiesischen Staatsvertretern.
Die ganze Fahrt über quälte mich mein Gewissen. Der Schuss hatte die Hände des Sargento fast vollständig zerfetzt, ebenjene Hände, die ich so oft aus seinen Wahnvorstellungen in die Wirklichkeit zurückgeholt hatte. Die Männerfinger, von denen ich so oft geträumt hatte, waren hinüber.
Während der Fahrt ließ ich meine Füße auf dem Boden des Bootes stehen, wo sich das angesammelte Wasser rot verfärbt hatte. Es heißt, dass wir sterben, wenn wir Blut verlieren. Es ist umgekehrt. Wir sterben darin ertrinkend.
Unser Boot glitt mit der gemächlichen Stille eines trägen Krokodils dahin. Das Wasser des Inharrime lag so ruhig, dass es mir einen Moment lang vorkam, als bewegte sich nicht das Boot, sondern der Fluss. Die silbrige Spur, die wir mit dem Kielwasser zogen, schlängelte sich wie ein Riss durch das Gebiet der VaChopi. Ich beugte mich über die Bordwand und betrachtete die flimmernden Reflexe auf dem Sand im Flussbett, ruhelose Lichtfalter.
»Das sind die Schatten des Wassers«, sagte mein Vater und legte sich den Riemen über die Schultern.
Er ruhte seine Arme auf dem improvisierten Balken aus. Mein Bruder Mwanatu tauchte die Hände ins Wasser und gab nuschelnd verschiedene Laute von sich, die ich so übersetzte: »Mein Bruder sagt, dass dieser Fluss Nyadhimi heißt. Aber die Portugiesen haben ihn umbenannt.«
Mein Vater Katini Nsambe lächelte nachsichtig. Er sah die Dinge anders. Die Portugiesen zivilisierten unsere Sprache, sagte er. Außerdem könne man von denen, die dem Wasser Namen geben, keine Klarheit verlangen. Denn selbst wir, die VaChopi, änderten unsere Namen im Laufe des Lebens. So war es auch bei mir, als ich von Layeluane zu Imani wurde. Ganz zu schweigen von meinem Bruder Mwanatu, über den sie heiliges Wasser laufen ließen, um ihn von seinen drei vorherigen Namen reinzuwaschen. Dreimal haben sie ihn getauft: gleich nach der Geburt auf den »Namen der Knochen«, der ihn mit den Vorfahren verband; mit dem »Namen der Beschneidung«, als er die Initiationsriten durchlaufen musste; und mit dem »Namen der Weißen«, den er zum Beginn des Schulbesuchs erhielt.
Mein Vater kam auf das Thema zurück. Da es sich um einen Wasserlauf handelte, warum fiel es uns dann so schwer, den Willen der Portugiesen zu akzeptieren? Für den Rio Inharrime, schloss er, hatten sie zwei Namen gewählt, weil zweierlei Wasser im selben Flussbett lief. Je nach Licht wechselten sie sich ab, ein Tagesfluss und ein Nachtfluss. Aber niemals flossen sie zusammen.
»So war es schon immer, jeder zu seiner Zeit. Jetzt, wegen des Krieges, sind sie durcheinandergeraten.«
Wo der Inharrime und der Nhamuende zusammenfließen, liegt eine kleine Insel voller Bäume und Felsen. Dort machten wir Rast. Mein Vater wies uns an, das Boot zu verlassen. Ich wartete nicht, bis das Boot am Ufer anlegte. Ich sprang in das warme Wasser, ließ mich vom Fluss umfangen und von der Strömung mitreißen. Die Worte meiner verstorbenen Mutter Chikazi Makwakwa kamen mir in den Sinn: »Im Wasser bin ich ein Vogel.«
Man sagt von den Toten, sie würden beerdigt. Aber niemand kann je ihre Stimme begraben. Die Worte meiner Mutter blieben lebendig. Vor wenigen Monaten hatte sie sich von einem Baum gestürzt, sich nur mit dem eigenen Gewicht umgebracht. Dann hing sie an einem Seil, gleichsam im Rhythmus eines ruhig schlagenden Herzens pendelnd.
Die Insel, an der wir anlegten, diente nicht nur als Rastplatz, sondern auch als Zufluchtsort. Um uns herum setzte der Krieg die Welt in Brand. Auf seine italienische Freundin Bianca gestützt, bat der Portugiese um einen Platz im Schatten. Man gab ihm taktvoll zu verstehen, dass die Sonne sich schon vor langer Zeit versteckt habe. Er machte ein paar Schritte, dann fiel er auf die Knie.
»Die da hat mich umgebracht!«, schrie er und wies auf mich. »Die da, dieses Luder.«
Er solle seine Kräfte schonen, sagte man ihm. Die Italienerin gab ihm zu trinken und erfrischte ihm das Gesicht mit etwas Wasser. Zu meiner Überraschung verteidigte Bianca mich. Voller Überzeugung behauptete sie, die unselige Kugel sei nicht von mir, sondern von den Schwarzen abgeschossen worden, die den Posten stürmen wollten. Der Portugiese hielt unbeirrt an seiner Beschuldigung fest – ich hätte es getan, er habe ja direkt vor mir gestanden. Worauf die Italienerin erwiderte: Ja, ich hätte geschossen, doch auf etwas anderes gezielt. Und dann fügte sie hinzu: Hätte ich das nicht getan, wäre der Sargento von der rasenden Menge niedergemetzelt worden und befände sich nun nicht mehr unter den Lebenden. »Imani hat dich gerettet. Du solltest ihr dankbar sein.«
»Es wäre besser gewesen, sie hätten noch einmal geschossen und besser gezielt.«
Gleich darauf wurden seine Worte undeutlich, das Fieber übermannte seine Sinne. Bianca half ihm, sich hinzulegen. Dann gab sie mir ein Zeichen, ihren Platz einzunehmen. Ich zögerte. Doch ich hörte Germano fast kraftlos flehen: »Komm, Imani. Komm her.«
Widerstrebend gehorchte ich, während Bianca sich zurückzog. Der rasselnde Atem des Portugiesen übertönte das Rauschen des Flusses. Ich nahm ein altes Heft aus meinem Beutel und legte es als Kopfkissen auf den Boden. Seit langer Zeit schon benutzte der Sargento kein Kopfkissen. Mal bettete er seinen Kopf auf seine alte zerfledderte Bibel, mal auf herausgerissene Seiten aus dem Heft, das er zum Schreiben nutzte. Jedenfalls bescherte ihm nur ein Stück Papier den Schlaf.
Dieses Mal jedoch lehnte er das improvisierte Kopfkissen ab. Er sah mich befremdet an und knurrte, dass er mich nicht in der Nähe haben wolle. Als ich weggehen wollte, strampelte er mit den Füßen wie ein bockiges Kind. »Bleib bei mir«, bat er. Wieder gehorchte ich. Und dann legte er den Kopf auf meine Beine. Regungslos, fast ohne zu atmen, ließ ich mich von ihm betrachten. Ich spürte, dass sein fiebriger Blick auf meiner Brust, meinem Hals, meinen Lippen ruhte. Schließlich stammelte er fast unverständlich: »Gib mir einen Kuss, Imani. Gib mir einen Kuss, ich will sterben. An deinem Mund sterben.«
Viele Jahre wiederholte sich das immer Gleiche: In der größten Trockenheit säte mein Großvater Maiskörner, immer drei zusammen, in die ausgetrocknete, tote Erde. Meine Großmutter rief ihn zur Vernunft, als könnte es Vernunft geben in einem Leben, das noch karger ist als die Wüste. Ihr Mann antwortete: »Ich säe doch den Regen.«
Mein Vater, ein exzellenter Marimba-Spieler, hatte sich nie mit Feldarbeit angefreundet. Auf der kleinen Insel, auf der wir rasteten, taten seine Finger, was sie immer machten, sie trommelten im Sand, als sehe er in allem Klangtasten. Aber es war eine Melodie, die nur aus Stille bestand, eine verzweifelte Botschaft an jemanden am Flussufer, der die Sprache des Erdbodens verstand.
Doch inzwischen horchte niemand mehr am Erdboden, in der gesamten Region bereiteten sich Portugals und Ngungunyanes Soldaten auf die entscheidende Schlacht vor. Nicht der Sieg war ihr größtes Ziel. Sondern das, was danach folgen würde. Das wie durch Zauber bewirkte Verschwinden derer, die zuvor ihre Feinde gewesen waren, die Berichtigung eines Fehlers im göttlichen Werk. Mein Großvater säte nutzlose Saat. Mein Vater spielte mit den Fingern Wiegenlieder für jene, die in der Erde schlafen.
Dies war die traurige Ironie unserer Zeit: Während wir verzweifelt versuchten, einen weißen Soldaten zu retten, wurde wenige Kilometer von uns entfernt ein Blutbad an Tausenden von Menschen vorbereitet. Wo der blinde Zorn von beiden Seiten aufeinandertraf, waren wir, die VaChopi, am stärksten gefährdet. Ngungunyane hatte geschworen, unser Volk auszurotten, als wären wir Tiere, die Gott bereute, geschaffen zu haben. Wir waren auf den Schutz der Portugiesen angewiesen, aber dieser Schutz hing von befristeten Abkommen zwischen Portugal und den VaNguni ab.
Der Sargento Germano de Melo war einer von jenen, die von der anderen Seite der Welt gekommen waren, um mich zu beschützen. Als Kind glaubte ich, Engel wären weiß und hätten blaue Augen. Die wässrige Färbung bedeutete für uns, dass sie blind waren. Pater Rudolfo, erst vor Kurzem nach Afrika gekommen, hatte zurückhaltend geantwortet, als ich ihn fragte, was er über die himmlischen Wesen wisse.
»Ich kenne die Engel im Diesseits nicht. Alle behaupten, sie hätten Flügel, aber das sagt nur, wer sie noch nie gesehen hat …«
In einem Punkt war ich mir sicher: Mein Engel wäre weiß und hätte blaue Augen. Wie dieser Sargento, der sich Jahre später auf meinem Schoß abstützte. Die Tücher um seine Arme waren seine zerfetzten Flügel. Er war ein Nachtbote. Nur im Dunkeln fiel ihm wieder ein, welche Botschaft er überbringen sollte. Dieser göttliche Auftrag ruhte nun zwischen seinen Lippen. Ich befolgte seine flehentliche Bitte. Und beugte mich über seinen Mund.
Germano löste sich aus seiner Benommenheit, schien wieder klarer, klagte weniger und flüsterte mir ins Ohr: »Reiß die Blätter aus dem Heft und verteil sie rings um uns. Wir machen uns ein Bett.«
Langsam riss ich einige Seiten heraus, aber als ich Anstalten machte, sie auf dem Erdboden zu verteilen, hielt ich inne: »Und worauf werden Sie die Briefe an Ihre Vorgesetzten schreiben?«
»Ich habe keinen Vorgesetzten. Ich bin der letzte Soldat einer Armee, die nie existiert hat.«
Es sei alles nur Einbildung, angefangen bei dem Posten in Nkokolani. Selbst mein Bruder Mwanatu mit seiner falschen Uniform und seinem falschen Gewehr sei eher ein echter Soldat als er.
»Ich glaube, man hat Sie vergessen«, wollte ich ihn trösten.
»Ich habe schon vor langer Zeit den Befehl erhalten, nach Lourenço Marques zurückzugehen.«
»Und warum sind Sie nicht gegangen?«
»Ich bin nicht in Afrika, weil man mich vergessen hätte«, sagte Germano. »Ich bin hier, weil ich sie vergessen habe.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich bin deinetwegen hier.«
Ich hörte Schritte im Gras. Man suchte nach mir. Und ich hörte, wie mein Vater seine Begleiter wegschickte: »Imani versorgt den Portugiesen, lassen wir sie in Ruhe.«
Stimmen und Lachen entfernten sich und verstummten allmählich in der Dunkelheit.
Schließlich kehrten wir zum Boot zurück, wo man schon auf uns wartete. Bianca tadelte mich mit einem langen, geräuschvollen Seufzer. Dann machten wir uns auf den Weg Richtung Sana Benene. Dieser Ort am Ufer des Inharrime war eigentlich kein Dorf. Seit Beginn des Krieges hatten sich Dutzende von Flüchtlingen rings um die Kirche niedergelassen, die die Portugiesen dort vor langer Zeit gebaut hatten.
An der ersten Flussbiegung ließ ein furchtbarer Schrecken unsere Fahrt beinah scheitern. Mit der Strömung kam uns ein riesiges, glänzendes Ungeheuer entgegen. Das kolossale Ungetüm pflügte geräuschlos und flammend wie ein Stück Sonne durch das Wasser. Langsam näherte es sich, gleich einem metallenen Krokodil, und bannte zuerst unsere Augen und dann unsere Herzen.
»Das ist der Nwamulambu!«, flüsterte unser Vater entsetzt. »Keiner sagt etwas, keiner sieht ihn direkt an!«
Denn wenn man das mythische Wassergeschöpf ansah, bestand die Gefahr, dass die Augen austrockneten und das Gehirn schmolz. Der Gott der Flüsse, der die Erdbeben ruft und den Regen bringt, durfte nicht gestört werden. Mein Bruder bekreuzigte sich, mein Vater ruderte unendlich vorsichtig, um auch noch das geringste Geräusch zu vermeiden.
Früher waren die Flüsse unsere Brüder, sie webten ein Wassernetz, das uns schützte. Nun hatten sie sich mit unseren Feinden verbündet. Sie waren zu Wasserschlangen geworden, zu gewundenen Wegen, auf denen sich Engel und Dämonen bewegten.
Die gespenstische Begegnung war kurz. Doch in mir blieb eine unheilvolle Vorahnung. Zum Glück hatte uns niemand gesehen, unser Boot blieb unbemerkt. Der Sargento lag im Boot, die weiße Bianca schlief unter einer capulana. Sichtbar waren nur wir, die drei Schwarzen. Ich beruhigte mich. Im Zweifelsfall waren wir ein Boot mit Fischern aus der Gegend. Nichts konnte Verdacht wecken, nichts konnte die Flussgeister aufschrecken.
Als ich es wagte, den Blick wieder zu heben, war der Nwamulambu im Nebel verblasst, und wir atmeten auf. Bianca wachte noch rechtzeitig auf, um ihn in der Ferne zu sehen. Sie versuchte zu erkennen, ob an der Reling des seltsamen Flussungeheuers der charismatische Mouzinho de Albuquerque zu erahnen war. Doch das Boot folgte einer Flussbiegung, und die Italienerin lachte laut auf: »Das da, ein Ungeheuer? Das ist ein blocausse.«
Was uns so sehr erschreckt hatte, war nichts anderes als eines der Flöße mit befestigen Aufbauten, wie die Portugiesen sie zum Befahren der Flüsse im Süden benutzten. So erklärte es Bianca. Der Aufbau glänzte so, weil er aus Blechen auf einem Holzgerüst bestand. So schützten sich die weißen Soldaten vor Angriffen der aufständischen Schwarzen aus dem Hinterhalt. Aus ihrem Versteck in der Vegetation am Flussufer schossen die afrikanischen Krieger auf die Boote. Der dichte Wald war für die Portugiesen undurchdringlich. Nur die Einheimischen kannten sich aus im Schlick und zwischen den mächtigen Wurzeln, die wie umgekehrte Aufbauten aus den Baumstämmen ragten. Diese Pfade öffneten sich, wenn die Götter es wollten, und schlossen sich wieder nach jedem Hinterhalt.
Unser Boot durchfurchte nicht die Wasserfläche, sondern durchschnitt eine tiefe Stille. Man hörte nur die Fliegen rings um den Sargento, diese zu früh gekommenen Klageweiber.
Dann sahen wir am Ufer einen Mann die Arme schwenken. Unser Vater zögerte. Es konnte eine Falle sein, in dieser Zeit konnte man niemandem trauen. Der Mann winkte mit einem Briefumschlag in der Hand und rief den Namen des Sargento Germano. Als wir ihn ansprachen, gab er sich zu erkennen. Er war ein Bote vom Militärposten in Chicomo. Und er brachte einen Brief für Germano de Melo.
Die Waffe – ohne Abzug – über der Schulter, auf der Mauer einer verfallenen Festung, mit einem Zollamt und einem Palast, wo schlechtes und schlecht bezahltes Personal dahinvegetiert, mit verschränkten Armen dem Handel zusehen, den die Fremden treiben und wir nicht treiben können; tagtäglich auf die Angriffe der Schwarzen warten und jederzeit hören, mit welchem Hohn und welcher Verachtung sie über uns alle sprechen, die wir durch Afrika reisen, das, ehrlich gesagt, lohnt sich nicht.
Oliveira Martins,
O Brasil e as Colónias Portuguesas, 1880
Militärposten Chicomo, 9. Juli 1895
Werter Sargento
Germano de Melo,
wundern Sie sich nicht, mein werter Sargento, wer Ihnen hier schreibt, ist Tenente Ayres de Ornelas, womit er, wenn auch nicht mit gebührender Pünktlichkeit, der Pflicht nachkommt, auf Ihre zahlreichen Briefe zu antworten. Ich habe erfahren, dass Sie bei einem Attentat auf den Militärposten Nkokolani schwer verletzt wurden. Auch wurde ich darüber informiert, dass man Sie zu der Kirche von Sana Benene transportiert, von wo man Sie vermutlich zu dem Krankenhaus des Schweizers Georges Liengme bringen wird. Sie müssen wissen, dass wir gegenüber diesem Liengme, der eher Arzt als Missionar ist, die größte Abneigung hegen. Dieser Arzt, der vermutlich Ihre Verletzung versorgen wird, hat die Eingeborenen zum Aufruhr angestiftet und hätte schon vor langer Zeit aus dem portugiesischen Afrika ausgewiesen werden müssen.
Vergessen Sie nicht, Sargento: In Sana Benene sind Sie in den Händen der Kaffern, die sich als unsere Freunde ausgeben. Aber Sie sind ein portugiesischer Soldat. Sie hätten zur Kaserne in Chicomo gebracht werden sollen, wo wir über einen Arzt und ein Lazarett verfügen. Jeder andere Vorgesetzte hätte Sie schon längst bestrafen lassen. Ich drücke beide Augen zu, aber nur vorübergehend. Sie werden die richtige Entscheidung über Ihren Verbleib treffen, sowie Sie im Vollbesitz Ihrer Kräfte sind. Ich habe den Überbringer dieses Briefes angewiesen, der Route, die Sie zurückgelegt haben, in umgekehrter Richtung zu folgen, das heißt, von der Quelle bis zur Mündung des Inharrime. Auf diese Weise kann ich dessen gewiss sein, dass mein Schreiben Ihnen direkt und ohne Verzögerung ausgehändigt wird.
Mit diesen wenigen Zeilen will ich Ihnen in erster Linie etwas versprechen: Ich werde dafür sorgen, dass Sie, werter Sargento, so schnell wie möglich ins Vaterland zurückkehren! Sie haben dies verdient – so wie ich verdiene, unter den höchsten Rängen der Militärhierarchie genannt zu werden. Ich bin für Führungsränge bestimmt, und nur eine traurige Verschwörung hat mich von meiner Bestimmung ferngehalten. Andere, wie Paiva Couceiro und Freire de Andrade, wurden unter dem Vorwand befördert, sie hätten lange Afrikaerfahrung. Für António Enes bin ich in Sachen Kriegsführung ein Anfänger. Portugal wird mit dem Ultimatum gedemütigt, unsere Regierung steckt in einem Sumpf aus politischen und Finanzskandalen, und ein erdrückender Alltag lastet auf unserem Volk. Was bedeutete das alles? Das bedeutet, dass Portugal Helden braucht. Ich verstehe nicht, warum man einem, der in seiner kurzen, aber intensiven militärischen Laufbahn bereits so viel Talent bewiesen hat, diese Chance nicht gibt.
Wie gesagt, sobald ich befördert bin, werde ich unverzüglich für Ihre Versetzung nach Portugal sorgen. Doch eines schicke ich voraus: Sie werden allein fahren müssen. Die schwarze Frau, die Sie in Ihren Briefen so preisen, wird in Mosambik bleiben müssen. Unzählige Male habe ich mich schon gefragt, welche Eigenschaften Sie in dieser Kafferin sehen mögen. Doch dies ist eine Randbemerkung, ein Stoßseufzer ohne weitere Folgen. Sie können beruhigt sein, wir werden die Frau nicht fallen lassen. Mit ihren Kenntnissen unserer Sprache kann sie uns sehr nützlich sein. Nach Abschluss der Befriedungskampagnen werden wir sie in unserem Posten in Nkokolani unterbringen. Dort wird sie fraglich weniger Sehnsucht nach Ihnen haben. Denn das Gebäude – halb Ladenkneipe, halb Militärposten – ist ein wenig, wie wir alle sind: Zwitter aus Ente und Pfau. Aber es ist auch so etwas wie eine der steinernen Säulen, die unsere Seefahrer überall an den afrikanischen Küsten aufstellten, als ein Zeichen der Zivilisation in einem Kontinent, auf dem Finsternis herrschte.
Und schließlich möchte ich Ihnen sagen, wie froh ich darüber bin, mit Ihnen, mein werter Sargento, zu korrespondieren. Dieses glückliche Zusammentreffen verdanken wir einer Ironie des Schicksals. Ursprünglich waren Ihre Briefe ja für den Conselheiro José d’Almeida bestimmt. Nun hegt unser Conselheiro eine rigorose Abneigung gegen Briefe und Telegramme. Mit seinen zwei Meter Größe zuckt er die Achseln, kneift die hellen Augen, die mit dem dunklen Bart kontrastieren, zusammen und verkündet: »Ich lese nichts!« Und das rechtfertig er so: »Niemand kann mich überraschen. Aus Lourenço Marques erreichen mich nur Ermahnungen; und aus dem Landesinnern kommt nur ärgerliches Zeug.«
Aus diesem Grund erhielt ich den Auftrag, die an ihn gerichteten Schreiben zu beantworten, auch die Korrespondenz mit dem Königlichen Kommissar, der bis heute glaubt, es sei der Conselheiro Almeida, der auf seine Gesuche antwortet. Und so kam ich durch Zufall in Berührung mit Ihren Briefen, die von so großer Sensibilität sprechen, wie ich sie – Sie entschuldigen meinen unverblümten Kommentar – von einem Sargento aus der tiefen Provinz nicht erwartet hätte. Nach und nach offenbarten Sie sich mir als ein Mensch, mit dem ich den Kummer teilen konnte, mich so fern von meinem Heimatort und meiner geliebten Mutter zu befinden. Unsere Korrespondenz ist kein Versehen. Vielmehr die schicksalhafte Begegnung von zwei Seelenverwandten. Und auf diese Weise habe ich auch Ihre Reisegefährten kennengelernt: Imani, in die Sie verliebt sind, mit ihrer so portugiesischen Seele; den Vater des Mädchens, diesen Katini Nsambe, ein unserer Fahne so getreuer Musiker; Imanis Bruder, von der Natur so wenig bedacht und dennoch der lusitanischen Präsenz so ergeben; und schließlich diese verwunderliche Italienerin Bianca Vanzini, die ungeachtet aller Ethik und der katholischen Sitten unseren Truppen so liebevolle Dienste erwiesen hat. Sie alle leisten mir inzwischen in dieser kargen afrikanischen Steppe Gesellschaft.
Zwar bestehen zwischen uns profunde Unterschiede. Mit meinen neunundzwanzig Jahren bin ich überzeugter Monarchist. Sie sind ein halbes Dutzend Jahre jünger als ich und wurden wegen Ihrer republikanischen Gesinnung nach Afrika verbannt. Kuriose Diskrepanzen: In Afrika liegen wir in denselben Schützengräben; in Portugal stehen wir jeweils auf der anderen Seite der Barrikaden. Ich gestehe Ihnen, mein werter Sargento: Sollte die Republik sich durchsetzen, reiche ich meinen Abschied von der Armee ein und kehre nicht nach Portugal zurück. Sie wurden von der Monarchie ins Exil geschickt. Ich werde dann die Monarchie im Exil sein.
Ich habe jedoch gelernt, dass die Politik nicht der Maßstab für Anfang oder Ende von Freundschaften sein kann. Ich habe in den Reihen meiner Partei Leute, deren ich mich sehr schäme. Und in den gegnerischen Truppen habe ich Menschen kennengelernt, an denen ich gewachsen bin. Die Grenzen zwischen den Menschen sind anderer Natur. Welcher, weiß ich nicht, aber ganz fraglos anderer Art. Tatsache ist, dass wir beide, dank großer Missverständnisse und kleiner Lügen, diese Grenzen überwinden. Unsere Korrespondenz zelebriert den Sieg über die Unterschiede. In einem Land, durch das große Flüsse strömen, ist jeder Brief wie ein Boot, das weite Strecken zurücklegt. Wäre ich ein Dichter, würde ich sagen: Durch das Wort wird das Ufer zum Gestade. Leider klingen alle diese Einfälle für mich affektiert und lassen mich lächerlich wirken.
PS: Ich erwarte Sie hier in Chicomo, sobald es Ihnen möglich ist. Lassen Sie keine Gelegenheit, zu Ihrer Natur, Ihrer Bestimmung zurückzukehren, ungenutzt verstreichen. Etwas liegt in der Luft, in Kürze wird sich etwas Entscheidendes ereignen, und dann wäre es gut, Sie bei mir zu haben. Sie befänden sich fraglos in besserer Gesellschaft als bei dem perfiden Schweizer.