In diesem ersten populärwissenschaftlichen Sachbuch zum Thema Magen nimmt uns der renommierte Chirurg Prof. Dr. med. Schäffer mit auf eine ebenso unterhaltsame wie informative Reise in unser Inneres. Wir erfahren, warum sich unser Magen nicht selbst verdaut, uns die Magensäure vor Infektionen und krebserregenden Substanzen schützt, was gegen Reflux hilft, wodurch wir Schluckauf bekommen (und ob er durch Luftanhalten wirklich weggeht), welche Magenbeschwerden alarmierend und welche harmlos sind, warum Stress uns auf den Magen schlägt, Diäten nicht unbedingt magenfreundlich sind, und wieso Hering bei Kater hilft.
Ein umfassender, charmanter Blick auf ein vielseitiges Organ, der zeigt: Den Magen muss man mögen – obwohl man erstaunlicherweise sogar ohne ihn leben könnte, wenn man es denn müsste.
Dieses Buch soll den Leserinnen und Lesern die erstaunliche Welt ihres eigenen Magens – unserem meist verkannten aber hochempfindsamen Organ – auf unterhaltsame Weise näherbringen. Auch wenn es kein Gesundheitsratgeber ist, sind alle medizinischen Schilderungen sorgfältigst recherchiert und entsprechen sowohl der klinischen Praxis als auch dem neusten wissenschaftlichen Stand. Die beschriebenen Fälle bzw. Operationen hat der Fachautor selbst erlebt und vorgenommen. Die Namen der Patienten wurden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes, ebenso wie die Hintergründe der persönlichen Gespräche, geändert. Alle Schilderungen entsprechen jedoch dem medizinischen Alltag von Prof. Dr. med. Michael Schäffer und seiner über 10.000 Operationen im Bauchraum. Alle in diesem Buch gemachten Angaben erfolgen ohne jegliche Gewährleistung des Verlags sowie der Autoren und können den Arztbesuch und den direkt eingeholten individuell erforderlichen, medizinischen Rat nicht ersetzen. Eine Haftung des Verlags und der Autoren sowie dessen Mitarbeiter und Beauftragten für Personen- oder Sachschäden sind deshalb ausgeschlossen.
Prof. Dr. med. Michael Schäffer
Jeder
Magen
hat
seinen
Reiz
Warum wir Sodbrennen bekommen und Liebe durch den Magen geht. Alles über unser empfindsamstes Organ
In Kooperation mit Christiane Paulsen
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text das generische Maskulinum verwendet. Die Personenbezeichnungen gelten jedoch gleichermaßen für alle Geschlechter.
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Originalausgabe 2021
Copyright © 2021 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Anne-Kathrin Janetzky
Illustrationen: Ann-Kathrin Hahn, Das Illustrat
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie unter Verwendung eines Fotos von: © Kay Blaschke
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering ISBN: 978-3-641-25839-9
V001
www.heyne.de
All jenen Menschen gewidmet, denen der Magen mehr als er sollte zu schaffen macht und die auf Linderung hoffen.
Und außerdem: Von Michael Schäffer für Julia, Leopold, Luise, Ludwig
sowie von
Christiane Paulsen für ihre Familie und allen, die sie bei ihren Buchprojekten seit Jahren mit Interesse begleiten.
Inhalt
Prolog
Haben alle den gleichen Magen – und was treibt den Magen eigentlich an? Ein kleiner Überblick
Näherung an das große Unbekannte – Testen, Tasten, Technik: Wie untersucht man einen Magen?
Achtung Ekelalarm: Wenn der Magen platzt – und andere unfeine Geschichten
Essen ist gar nicht so einfach – von Sodbrennen und verrutschten Mägen
Kann der Magen ausleiern? Kuriose Fragen, spannende Fakten und unbequeme Tatsachen
Von Magenknurren, Schluckauf und saurem Hering
Warum verdaut der Magen sich nicht selbst – und geht Liebe wirklich durch den Magen?
Rettung vor Rundungen? Hilft die Magen-OP?
Wenn der Magen das Sagen hat und durch die Galle zu uns spricht
Magengeschwüre, Magenkrebs und Magentherapien
Black Box Bauch – und wie Botox verschlossenen Mägen helfen kann
Bauchspeicheldrüse – oder: Wie näht man Butter?
Fischgräten, Gebisse und Bodypacker – Schwerenöter des Magens
Deinen Magen musst du mögen
Wissen, was wir essen – wissen, was nicht nur unserem Magen guttut
Wer beschäftigt sich womit? Hilfreiche Adressen
Kleines Magen-ABC
Anmerkungen
Literatur
Dank
Register
Prolog
Er ist Schwerstarbeiter, Sicherheitsdienst, Kommunikationsexperte und Gefühlsbarometer. Kaum vorstellbar, dass in 80 Lebensjahren 30 Tonnen Nahrung (bei Männern sogar 35 Tonnen) – und eben soviel Flüssigkeit (!) den Weg durch Ihren Magen passieren. Und wenn alles gut geht, nehmen Sie nicht einmal Notiz davon. Ihr Magen ist ein Allround-Künstler. Er sortiert, desinfiziert und zerkleinert die Nahrung im Vorhof zum Darm. Doch manchmal bekommen Sie zu spüren, dass das Powerzentrum Magen auch ein wahres Sensibelchen ist. Dann nämlich, wenn Sie allzu viel oder Verdorbenes gegessen haben. Da fackelt der Magen nicht lange, verweigert die Annahme und befördert alles flugs wieder nach oben.
Das Wunderwerk Magen kann uns mitunter auch richtig böse mitspielen. Übersäuerung und eine Infektion mit dem Keim Helicobacter pylori plagen so manchen und führen zu einer Magenschleimhautentzündung, zu Magengeschwüren und im schlimmsten Fall zu Magenkrebs. Zum Glück ist es aber meist nicht ganz so dramatisch. Häufig streikt der Magen auch ohne erkennbare Ursache. Wir nennen das Reizmagen. Wenn ihm etwas nicht passt – oft ist es schwer zu ergründen woran es mangelt – lässt er uns sauer aufstoßen. Ja, der scheinbare Grobarbeiter ist ein wahres Sensibelchen. Er lässt uns auf verschiedene Weise spüren, wenn wir Kummer haben und uns »etwas auf den Magen schlägt« und – weit positiver empfunden – wenn wir Schmetterlinge im Bauch haben, weil wir verliebt sind. Nicht umsonst heißt es, dass Liebe durch den Magen geht. Bei genauer Betrachtung erkennen wir – weitaus mehr, als wir gemeinhin glauben – dass Signale nach dem Motto »Magen an Hirn« in unser Denkzentrum gehen und umgekehrt. So ist unser Bauchgefühl ein wichtiges Stimmungsbarometer, wenn unser Kopf nicht weiterweiß. Der Magen ist Projektionsort unserer körperlichen und seelischen Freuden und Leiden. Dass es dennoch möglich ist, auch ohne Magen zu leben, ist ein Wunder der modernen Chirurgie, die aufgrund der robusten Schale des Organs am Magen buchstäblich »das Laufen gelernt« hat.
Von all diesen emotionalen und medizinischen Fakten, vom Magenkribbeln bis zum Magendurchbruch, vom Magen ausleiern und vom Magen verkleinern, alles, was einem Arzt und Chirurgen im Alltag begegnet, davon handelt dieses Buch. Sie erfahren, wie Aperitifs und Digestifs wirken, was gegen Gallenbeschwerden hilft, welche Möglichkeit der Krebsvorsorge es beim Magen gibt und wie Sie Ihr Sodbrennen loswerden. Reale, erstaunliche und beeindruckende Geschichten zum Magen und spektakuläre Erlebnisse aus dem OP-Saal erwarten Sie. Kommen Sie mit auf eine Reise in Ihr eigenes Inneres und lernen Sie Ihren Magen kennen und lieben.
Anmerkung: Es erwarten Sie in diesem Buch spannende Fakten und Geschichten rund um das Thema Magen und zum Teil spektakuläre Magenoperationen, mit denen akut in Lebensgefahr schwebende Menschen gerettet werden konnten. Sollten Sie ungeduldig sein, so beginnen Sie das Lesen mit dem Kapitel »Achtung Ekelalarm« auf Seite 40. Doch versäumen Sie nicht, das Anfangskapitel »Haben alle den gleichen Magen?« ebenfalls zu lesen. Denn um die spannende Welt des Magens zu verstehen, ist es wichtig, einige Grundlagen zu kennen. Und die sind ganz bewusst den anderen Teilen des Buches vorangestellt. Sie werden es daher nicht bereuen, gleich mit dem ersten Kapitel zu beginnen und Erstaunliches über dieses Organ und die verschiedenen Untersuchungsmethoden zu entdecken.
Haben alle den gleichen Magen – und was treibt den Magen eigentlich an? Ein kleiner Überblick
»Bei leerem Magen sind alle Übel doppelt schwer.«
Christoph Martin Wieland (1733–1813)
»Wer interessiert sich denn schon für seinen Magen«, habe ich lachend gesagt, als Christiane Paulsen bei einem unserer Gespräche anregte, doch diesem Körperorgan ein ganzes Buch zu widmen. Begeistert war sie von meinen Erzählungen über Magenverkleinerungen, komplette Magenentfernungen und all die Funktionen des Magens. »Genauso gut könnte man auch sagen, wer interessiert sich schon für sein Herz, das Gehirn, den Darm oder die Haut, wenn er keine Krankheit hat«, entgegnete Christiane Paulsen und überzeugte mich mehr und mehr, doch wenigstens einen Teil meiner Freizeit zwei Jahre lang dem Projekt »Magen-Buch« zu widmen. Ganz einfach das aufzuschreiben, was mich als ärztlichen Direktor der Chirurgie des Marienhospitals in Stuttgart und auch in den Berufsjahren zuvor an verschiedenen Kliniken und medizinischen Berufsstationen immer wieder beschäftigt und gleichermaßen fasziniert hat.
Die meisten Menschen interessieren sich so gut wie nicht für ihre Organe. Warum auch? Solange diese funktionieren und keine Beschwerden verursachen, gibt es ja auch keinen Grund dafür – außer es ist jemand generell an medizinischem Wissen interessiert. Sei es aus reiner Neugier, sei es, weil man Verwandten oder Freunden, die ein Leiden haben, beistehen will, oder weil jemand mit zunehmendem Alter selbst Beschwerden bekommt. Eigentlich müssten alle über die grundlegenden Funktionen ihres Körpers und seiner Organe Bescheid wissen. Eigentlich! Doch wird leider in Elternhaus, Kindergarten oder Schule heute viel zu wenig Grundlagenwissen vermittelt, und dies oft nicht unter ganzheitlicher Betrachtung. Dennoch gibt es immer wieder Menschen, die mehr wissen wollen – über sich selbst, über ihr Inneres. Nach anfänglichen Zweifeln dieses Buch anzugehen, wurde ich durch meine Familie, durch Freunde, aber auch Kolleginnen und Kollegen bestärkt, allgemein verständlich (frei nach dem Motto: »Seinen Magen muss man mögen«) die erstaunliche Welt des Magens, seiner Funktionen, aber auch potenziellen Erkrankungen im Dialog mit Christiane Paulsen aufzuschreiben.
Auf den ersten Blick ist der menschliche Magen nicht besonders spektakulär. Er besteht ganz schlicht aus einer Kammer. Im Grundsatz ist der Magen ein Hohlorgan aus Muskelgewebe, das innen mit Schleimhaut ausgekleidet ist. Der obere Magenteil, der direkt an die Speiseröhre anschließt, hat eine relativ gleichbleibende Wandspannung und besitzt vor allem eine Speicherfunktion. Der untere Magenabschnitt ist viel aktiver und bewegt sich fast die ganze Zeit. Denn er besitzt so etwas wie ein Schrittmacherzentrum in seiner Muskelschicht und hat vor allem Durchmischungs- und Aufbereitungsfunktionen. Der Magen von Wiederkäuern (wie Hirsche, Gämsen, Rinder, Schafe oder Antilopen) und Vögeln besitzt im Gegensatz zu dem des Menschen mehrere abgegrenzte Hohlraumsysteme, ist also mehrhöhlig. Insekten haben zum Teil hoch spezialisierte Organe, magenlos sind etwa Karpfenfische. Möglicherweise spielt bei diesem Fisch die Anpassung an die ursprüngliche Schnecken- und Muschelnahrung eine Rolle, gegen deren Kalkschalen Magensäure machtlos ist.
Nicht nur ein Magen
Bei den Wiederkäuern ermöglicht der mehrteilige Magen, durch eine mikrobielle Verdauung auch solche Pflanzen (insbesondere Kohlenhydrate aus ihnen) als Nahrung zu nutzen, welche für Tiere mit nur einem Magen unverdaulich sind. Der Ausdruck »Wiederkäuer« kommt daher, dass der vorverdaute Mageninhalt hochgewürgt und nochmals zerkaut wird, bevor die mechanisch weiter zerkleinerte Nahrung erneut geschluckt und der eigentlichen Verdauung zugeführt wird. Formal besteht der Wiederkäuermagen aus drei Vormägen, entwicklungsgeschichtlich unterschiedlich differenzierte Abschnitte der Speiseröhre, und dem Labmagen. Der Labmagen entspricht dem Magen jener Spezies mit nur einem Magen wie bei uns Menschen. Die Vormägen der Wiederkäuer werden Pansen, Netzmagen und Blättermagen genannt. Grob zerkaute Pflanzennahrung wird im Pansen und Netzmagen »fermentiert«, das heißt, sie wird mithilfe von Bakterien und anderen Mikroorganismen angedaut. Dabei frei werdende Gase (vor allem Methan und Kohlendioxid) werden durch Rülpsen an die Umwelt abgegeben. Nicht nur für uns Menschen unverdauliche Pflanzen können so verwertet werden. Die Produktion von Aminosäuren durch Mikroorganismen in den Vormägen macht Wiederkäuer auch unabhängig von mit der Nahrung zugeführten Aminosäuren – ganz anders als bei uns Menschen.
Zu unserer Nahrung gehören sogenannte essenzielle Aminosäuren, ohne die wir nicht leben können. Diese können wir nicht selbst herstellen. Ansonsten gibt es noch die nicht essenziellen Aminosäuren, die der Mensch wiederum aus anderen Aminosäuren selbst herstellen kann. Aminosäuren sind die Bausteine der Proteine, also von Eiweiß. Eiweiß benötigt der Mensch für die unterschiedlichsten Körperfunktionen. Dass Muskeln aus Eiweiß bestehen, wissen viele, dass ohne Proteine im Körper aber auch sonst fast nichts geht, ist eher wenigen bekannt. Proteine erfüllen Transportfunktionen im Blut – etwa als roter Blutfarbstoff Hämoglobin. Viele Hormone und Nervenbotenstoffe sind Proteine, aber auch Enzyme, oder auch das in der Haut, im Bindegewebe und in Knorpel und Knochen vorkommende Eiweißgerüst Kollagen. Daher ist es so wichtig, dass wir uns ausgewogen ernähren. Denn nicht in allen Nährstoffen sind die gleichen Aminosäuren enthalten, und Eiweiß ist nicht gleich Eiweiß. Interessanterweise kommen aber alle essenziellen Aminosäuren in für den Menschen geeigneten Pflanzen vor – günstig für die Veganer unter uns.
Der Nahrungsbrei im Wiederkäuermagen wird, nachdem er angedaut und durchgemischt wurde, durch Kontraktionen der Vormägen und durch rückwärtslaufende, sogenannte peristaltische Wellen der Speiseröhre wieder in die Mundhöhle befördert.1 Nach dem »Wiederkauen« wird die Nahrung erneut geschluckt. Der Netzmagen gibt dann kleine Nahrungsbestandteile an den Blättermagen ab, hier wird der Nahrungsbrei eingedickt, indem Wasser rückresorbiert wird. Von dort geht es in den Labmagen, in dem – ähnlich wie bei Tieren mit nur einem Magen – durch Salzsäure ein saures Milieu vorherrscht. Die Verdauung von Eiweißen und Fetten beginnt mithilfe körpereigener Enzyme. Neugeborene Wiederkäuer haben noch keinen funktionierenden Wiederkäuermagen. Hier nimmt der Labmagen die wichtigste und größte Fraktion ein. In dieser Phase sind die Neugeborenen stark von der Muttermilch abhängig. Durch die rasche Besiedelung des Pansens mit Mikroorganismen und der Umstellung auf pflanzliche Nahrung bilden sich jedoch rasch ein großer Pansen und damit auch ein funktionierender mehrkammeriger Wiederkäuermagen aus.
Haben alle Menschen den gleichen Magen?
In Form und Größe variiert der Magen beim Menschen genauso wie alle anderen Organe – so wie jeder eine andere Nase hat, groß, klein, breit oder flach, gerade oder krumm. Das durchschnittliche Fassungsvermögen des Magens beträgt ein bis zwei Liter, größere und dickere Menschen haben tendenziell einen etwas größeren Magen – allerdings längst nicht in dem Ausmaß, wie man vermuten würde. Der »typische« Magen ist asymmetrisch nach rechts geschwungen und besitzt einen kleinen nach links oben gerichteten Blindsack mit Reservoirfunktion. Im Stehen bildet er sogar eine Art »Hakenform«.
Bereits beim etwa fünf Zentimeter großen Embryo hat der Magen seine endgültige Form und Lage im Körper eingenommen, anschließend wächst er nur noch proportional weiter. Die Form eines jeden Magens verändert sich mit dem Füllungszustand, mit der Körperstellung – im Stehen streckt sich der Magen entsprechend der Schwerkraft – und mit der Lagebeziehung zu den benachbarten Organen. Hat der Magen etwa mehr Platz, weil die ansonsten neben ihm liegende Milz nach einem Unfall mit Milzriss entfernt werden musste, dehnt sich der Magen sofort aus und nimmt diesen Platz für sich in Anspruch. Die Magenform verändert sich entsprechend, da der Mageneingang an der Speiseröhre und der Magenausgang zum Zwölffingerdarm in ihrer Position festgelegt sind. Der Magen wirkt plump und liegt eher quer. Es gibt aber auch durchaus kuriose Magenformen, zum Teil als Geburtsfehler, zum Teil im späteren Leben erworben. Als Fehlbildung bei der Geburt etwa gibt es eine doppelte Ausführung mit zwei Mägen, umgekehrt kann der Magen ganz fehlen (Agenesie) oder man findet den Magen nur als schlankes Rohr (Mikrogastie). Auch Einschnürungen in der Mitte sind bekannt, dann sieht er aus wie eine Sanduhr, oder Ausstülpungen, sogenannte Divertikel. Häufig machen diese Fehlbildungen schon direkt nach der Geburt große Probleme, können aber glücklicherweise durch eine Operation meist weitgehend korrigiert werden. Im Laufe des Lebens erworbene, »kuriose« Lage- und Formvarianten sind am häufigsten durch einen Zwerchfellbruch bedingt. Der Magen rutscht dann teilweise oder ganz in den Brustraum und führt dabei oftmals sogar noch Teildrehungen um die eigene Achse durch (siehe hier).
Es gibt sogar die Variante »Alles verkehrt herum«, ein sogenannter Situs inversus – zum Glück keine Krankheit, sondern nur eine anatomische Besonderheit, denn alle Organe funktionieren normal. Otto Spiegel, der sich mit krampfartigen linksseitigen (!) Oberbauchbeschwerden bei mir vorstellte, musste uns Ärzte erst einmal auf die richtige Spur bringen. »Ich glaube, ich habe es an der Galle«, sagte er. Als er unsere ungläubigen Gesichter sah – Gallenbeschwerden sind normalerweise im rechten Oberbauch lokalisiert –, schmunzelte er und sagte: »Wundern Sie sich nicht, bei mir ist alles spiegelverkehrt. Gallenblase und Leber liegen links, auch der Magen macht eine Krümmung nach links und nicht nach rechts, sogar das Herz liegt auf der rechten Seite.« Und wirklich, unsere weiteren Untersuchungen mit Ultraschall und Computertomografie – wir wollten einfach auf Nummer sicher gehen, denn ein kompletter Situs inversus kommt höchstens bei einem von 8000 Menschen vor – zeigten ein spiegelverkehrtes Bild aller inneren Organe. Herr Spiegel erzählte weiter, dass er schon als Jugendlicher von seiner anatomischen Besonderheit erfuhr, aber unter eher unangenehmen Umständen. Damals wurden noch Röntgenbilder an Leuchtschirmen zur Betrachtung aufgehängt und nicht, wie heute meist üblich, digital am Computer begutachtet. Schnell war so ein Röntgenbild auch einmal verkehrt herum aufgehängt – ein typischer Anfängerfehler, denn die Organe bildeten sich nun verkehrt herum ab, genauso, wie sie beim Situs inversus tatsächlich liegen. Man ahnt es nun schon – der damalige Arzt bezichtigte die arme Röntgenassistentin, die Bilder falsch herum beschriftet und aufgehängt zu haben, während sie natürlich und zu Recht ihre Unschuld beteuerte. Ein Wort gab das andere und die Assistentin verließ türknallend den Raum. Wir dagegen waren glücklicherweise vorgewarnt und bereiteten alles für die nun anstehende Gallenblasenoperation vor. Ich muss gestehen, dass ich mich richtig auf diesen Eingriff freute. Als Linkshänder versprach ich mir sogar gewisse Vorteile, denn eine »normale« Gallenblase wird mit rechts operiert. Aber die Macht der Gewohnheit und Übung zeigte uns, wie schwierig das Umdenken manchmal sein kann – in etwa so, als ob man zum ersten Mal im Linksverkehr in England oder Südafrika Auto fährt, am besten in einem mehrspurigen Kreisverkehr. Im Operationssaal stand das ganze Team mit OP-Schwester und Ärzten dann auch komplett spiegelverkehrt, die Kamera bei der Schlüssellochoperation kam von der gegenüberliegenden Seite – immer wieder mussten wir uns neu orientieren und uns versichern, dass alles korrekt verlief. Letztendlich ging die Operation gut und Herr Spiegel konnte das Krankenhaus nach wenigen Tagen gesund und ohne Gallenbeschwerden verlassen.
Gibt es einen Magenschrittmacher?
Der Verdauungsprozess im Magen ist stark von der Muskelaktivität der Magenwand abhängig. Die Muskelaktivität wiederum unterliegt elektrischen Impulsen aus verschiedenen Nerven. Wissenschaftler nehmen an, dass es ähnlich wie beim Herzen auch am Magen so etwas wie einen Schrittmacher gibt, der speziell die unteren Abschnitte des Magens koordiniert. Entsprechend gibt es krankhafte Veränderungen, die mit einer verminderten oder erhöhten Muskelaktivität einhergehen. So ist bei Patienten mit Blutzuckererkrankung (Diabetes) die Muskelaktivität vermindert, es entsteht ein »schlaffer« Magen. Die Folge ist eine verlangsamte Magenentleerung. Patienten leiden dann selbst schon bei kleinen Mahlzeiten unter chronischem Völlegefühl und Übelkeit. Umgekehrt können wir bei übergewichtigen Patienten eine vermehrte Muskelaktivität mit entsprechend beschleunigter Magenentleerung beobachten. Ein voller Magen bedeutet für den Körper: »Ich bin satt.« Eine schnellere Magenentleerung führt zu einem kürzer anhaltenden Sättigungsgefühl, da der Speisebrei rascher in den hinter dem Magen liegenden Zwölffingerdarm abgegeben wird. Die Folge ist erneuter Hunger und die Versuchung sofort wieder zu essen.
Bei »Verdauungsproblemen«, für die der Magen verantwortlich gemacht wird, werden von Ärzten zunächst meist eine ganze Reihe verschiedener Tropfen oder Tabletten verschrieben. Diese sollen die Magenentleerung beschleunigen. Meist helfen diese dann auch, allerdings unterschiedlich gut. Ist die Wirkung dieser Medikamente nicht ausreichend, führt in sehr seltenen und besonders hartnäckigen Fällen der Weg schließlich zum Chirurgen.
Aus der Erkenntnis, dass es auch am Magen einen natürlichen Schrittmacher gibt, wurde die Idee geboren, im Falle einer Fehlfunktion einen künstlichen Schrittmacher mit Elektroden in den Magen einzusetzen. Und so funktioniert es: Die Elektroden werden in einem kleinen chirurgischen Eingriff in Schlüssellochtechnik (in Vollnarkose) nahe dem Magenausgang platziert, da hier der größte Effekt zu erwarten ist. Das Steuerungsgerät, über Kabel mit den Elektroden verbunden, ist ein kleiner Computer und wird direkt unter der Haut eingesetzt. Dadurch kommt man leichter an das Steuergerät heran, falls die Batterie ausgetauscht werden muss oder der Ersatz des Gerätes erforderlich ist. Wird nun das Steuergerät entsprechend eingestellt, kommt es zu einer verlangsamten Magenentleerung und damit zu einem länger währenden Sättigungs- und Völlegefühl. Umgekehrt können die Elektroden aber auch so platziert und eingestellt werden, dass sie die Magenaktivität insgesamt stimulieren und damit eine schnellere Magenentleerung bewirken. Dies ist bei Patienten mit Blutzuckerkrankheit und einer verlangsamten Magenentleerung bis hin zur kompletten Magenlähmung erwünscht. Die Erfolge einer solchen Therapie sind leider sehr unterschiedlich und die Erwartungen sollten nicht zu groß sein. Eine völlige Normalisierung kann meist nicht erreicht werden. Aber für manche Menschen bedeutet ein solcher künstlicher Magenschrittmacher dennoch eine Verbesserung der Lebensqualität.
Wie so häufig bei chronischen Erkrankungen und nur mäßigen Erfolgen der Schulmedizin, sind auch hier alternative Behandlungsmethoden nachgefragt. Eine davon ist Akupunktur. Bei der Akupunktur, die eine Behandlungsmethode der traditionellen chinesischen Medizin darstellt, werden in mehreren Sitzungen meist dünne Nadeln an bestimmten Stellen im Körper eingestochen, an den sogenannten Akupunkturpunkten. Hierüber soll der Fluss der »Lebensenergie«, auch Qi genannt, beeinflusst und so eine Wirkung auf Organe und Körperfunktionen ausgeübt werden. Die Ergebnisse der Akupunktur beim Magen sind im Einzelfall ganz gut, im Rahmen von wissenschaftlichen Überprüfungen aber häufig widersprüchlich. Eine systematische Analyse kommt daher auch zu dem Schluss, dass keine verlässliche Aussage zum Stellenwert der Akupunktur bei der Behandlung von Magenentleerungsstörungen getroffen werden kann – das heißt, man weiß bis heute nicht wirklich, ob sie hilft oder nicht.