Johann Wolfgang von Goethe

Faust

Der Tragödie zweiter Teil
in fünf Akten

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»Faust II« erschien erstmals vollständig im Druck postum 1832 bei Cotta in Stuttgart. Diese Ausgabe folgt der Edition Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 3: Dramatische Dichtungen. Band 1: Faust I und II. 7. Auflage. Hamburg: Wegner 1965. Der Text wurde unter Wahrung von Interpunktion, Lautstand und grammatischen Eigenheiten den Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.

© 2010 Anaconda Verlag ,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.

ISBN 978-3-7306-9015-4
V002

www.anacondaverlag.de

Inhalt

Erster Akt

ANMUTIGE GEGEND

KAISERLICHE PFALZ • SAAL DES THRONES

WEITLÄUFIGER SAAL MIT NEBENGEMÄCHERN

LUSTGARTEN

FINSTERE GALERIE

HELL ERLEUCHTETE SÄLE

RITTERSAAL

Zweiter Akt

HOCHGEWÖLBTES ENGES GOTISCHES ZIMMER

LABORATORIUM

KLASSISCHE WALPURGISNACHT

FELSBUCHTEN DES ÄDÄISCHEN MEERS

Dritter Akt

VOR DEM PALASTE DES MENELAS ZU SPARTA

INNERER BURGHOF

Vierter Akt

HOCHGEBIRG

AUF DEM VORGEBRIG

DES GEGENKAISERS ZELT

Fünfter Akt

OFFENE GEGEND

PALAST

TIEFE NACHT

MITTERNACHT

GROSSER VORHOF DES PALASTS

GRABLEGUNG

BERGSCHLUCHTEN

Erster Akt

ANMUTIGE GEGEND

FAUST auf blumigen Rasen gebettet, ermüdet, unruhig,
Schlaf suchend. Dämmerung
.

GEISTERKREIS schwebend bewegt, anmutige kleine Gestalten.

ARIEL. Gesang, von Äolsharfen begleitet.
Wenn der Blüten Frühlingsregen  
Über alle schwebend sinkt,  
Wenn der Felder grüner Segen 4615
Allen Erdgebornen blinkt,  
Kleiner Elfen Geistergröße  
Eilet, wo sie helfen kann,  
Ob er heilig, ob er böse,  
Jammert sie der Unglücksmann. 4620
Die ihr dies Haupt umschwebt im luft’gen Kreise,  
Erzeigt euch hier nach edler Elfen Weise,  
Besänftiget des Herzens grimmen Strauß,  
Entfernt des Vorwurfs glühend bittre Pfeile,  
Sein Innres reinigt von erlebtem Graus. 4625
Vier sind die Pausen nächtiger Weile,  
Nun ohne Säumen füllt sie freundlich aus.  
Erst senkt sein Haupt aufs kühle Polster nieder,  
Dann badet ihn im Tau aus Lethes Flut;  
Gelenk sind bald die krampferstarrten Glieder, 4630
Wenn er gestärkt dem Tag entgegenruht;  
Vollbringt der Elfen schönste Pflicht,  
Gebt ihn zurück dem heiligen Licht.  
CHOR. Einzeln, zu zweien und vielen, abwechselnd und gesamt.
Wenn sich lau die Lüfte füllen  
Um den grünumschränkten Plan, 4635
Süße Düfte, Nebelhüllen  
Senkt die Dämmerung heran.  
Lispelt leise süßen Frieden,  
Wiegt das Herz in Kindesruh;  
Und den Augen dieses Müden 4640
Schließt des Tages Pforte zu.  
Nacht ist schon hereingesunken,  
Schließt sich heilig Stern an Stern,  
Große Lichter, kleine Funken  
Glitzern nah und glänzen fern; 4645
Glitzern hier im See sich spiegelnd,  
Glänzen droben klarer Nacht,  
Tiefsten Ruhens Glück besiegelnd  
Herrscht des Mondes volle Pracht.  
Schon verloschen sind die Stunden, 4650
Hingeschwunden Schmerz und Glück;  
Fühl es vor! Du wirst gesunden;  
Traue neuem Tagesblick.  
Täler grünen, Hügel schwellen,  
Buschen sich zu Schattenruh; 4655
Und in schwanken Silberwellen  
Wogt die Saat der Ernte zu.  
Wunsch um Wünsche zu erlangen,  
Schaue nach dem Glanze dort!  
Leise bist du nur umfangen, 4660
Schlaf ist Schale, wirf sie fort!  
Säume nicht, dich zu erdreisten,  
Wenn die Menge zaudernd schweift;  
Alles kann der Edle leisten,  
Der versteht und rasch ergreift. 4665
Ungeheures Getöse verkündet das Herannahen der Sonne.
ARIEL. Horchet! horcht dem Sturm der Horen!  
  Tönend wird für Geistesohren  
  Schon der neue Tag geboren.  
  Felsentore knarren rasselnd,  
  Phöbus’ Räder rollen prasselnd, 4670
  Welch Getöse bringt das Licht!  
  Es trommetet, es posaunet,  
  Auge blinzt und Ohr erstaunet,  
  Unerhörtes hört sich nicht.  
  Schlüpfet zu den Blumenkronen, 4675
  Tiefer, tiefer, still zu wohnen,  
  In die Felsen, unters Laub;  
  Trifft es euch, so seid ihr taub.  
FAUST. Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig,  
Ätherische Dämmerung milde zu begrüßen; 4680
Du, Erde, warst auch diese Nacht beständig  
Und atmest neu erquickt zu meinen Füßen,  
Beginnest schon, mit Lust mich zu umgeben,  
Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen,  
Zum höchsten Dasein immerfort zu streben. – 4685
In Dämmerschein liegt schon die Welt erschlossen,  
Der Wald ertönt von tausendstimmigem Leben,  
Tal aus, Tal ein ist Nebelstreif ergossen,  
Doch senkt sich Himmelsklarheit in die Tiefen,  
Und Zweig und Äste, frisch erquickt, entsprossen 4690
Dem duft’gen Abgrund, wo versenkt sie schliefen;  
Auch Farb’ an Farbe klärt sich los vom Grunde,  
Wo Blum’ und Blatt von Zitterperle triefen –  
Ein Paradies wird um mich her die Runde.  
Hinaufgeschaut! – Der Berge Gipfelriesen 4695
Verkünden schon die feierlichste Stunde;  
Sie dürfen früh des ewigen Lichts genießen,  
Das später sich zu uns hernieder wendet.  
Jetzt zu der Alpe grüngesenkten Wiesen  
Wird neuer Glanz und Deutlichkeit gespendet, 4700
Und stufenweis herab ist es gelungen; –  
Sie tritt hervor! – und leider schon geblendet,  
Kehr’ ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.  
So ist es also, wenn ein sehnend Hoffen  
Dem höchsten Wunsch sich traulich zugerungen, 4705
Erfüllungspforten findet flügeloffen;  
Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen  
Ein Flammenübermaß, wir stehn betroffen;  
Des Lebens Fackel wollten wir entzünden,  
Ein Feuermeer umschlingt uns, welch ein Feuer! 4710
Ist’s Lieb’? ist’s Hass? die glühend uns umwinden,  
Mit Schmerz und Freuden wechselnd ungeheuer,  
Sodass wir wieder nach der Erde blicken,  
Zu bergen uns in jugendlichstem Schleier.  
So bleibe denn die Sonne mir im Rücken! 4715
Der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend,  
Ihn schau’ ich an mit wachsendem Entzücken.  
Von Sturz zu Sturzen wälzt er jetzt in Tausend,  
Dann Abertausend Strömen sich ergießend,  
Hoch in die Lüfte Schaum an Schäume sausend. 4720
Allein wie herrlich, diesem Sturm ersprießend,  
Wölbt sich des bunten Bogens Wechseldauer,  
Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend,  
Umher verbreitend duftig kühle Schauer.  
Der spiegelt ab das menschliche Bestreben. 4725
Ihm sinne nach, und du begreifst genauer:  
Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.  

KAISERLICHE PFALZ • SAAL DES THRONES

Staatsrat in Erwartung des Kaisers.
Trompeten
.

HOFGESINDE aller Art, prächtig gekleidet, tritt vor.

Der KAISER gelangt auf den Thron, zu seiner
Rechten der
ASTROLOG.

KAISER. Ich grüße die Getreuen, Lieben,  
Versammelt aus der Näh’ und Weite; –  
Den Weisen seh’ ich mir zur Seite, 4730
Allein wo ist der Narr geblieben?  
JUNKER. Gleich hinter deiner Mantelschleppe  
Stürzt’ er zusammen auf der Treppe,  
Man trug hinweg das Fettgewicht,  
Tot oder trunken? weiß man nicht. 4735
ZWEITER JUNKER. Sogleich mit wunderbarer Schnelle  
Drängt sich ein andrer an die Stelle.  
Gar köstlich ist er aufgeputzt,  
Doch fratzenhaft, dass jeder stutzt;  
Die Wache hält ihm an der Schwelle 4740
Kreuzweis die Hellebarden vor –  
Da ist er doch, der kühne Tor!  
MEPHISTOPHELES am Throne knieend.  
Was ist verwünscht und stets willkommen?  
Was ist ersehnt und stets verjagt?  
Was immerfort in Schutz genommen? 4745
Was hart gescholten und verklagt?  
Wen darfst du nicht herbeiberufen?  
Wen höret jeder gern genannt?  
Was naht sich deines Thrones Stufen?  
Was hat sich selbst hinweggebannt? 4750
KAISER. Für diesmal spare deine Worte!  
Hier sind die Rätsel nicht am Orte,  
Das ist die Sache dieser Herrn. –  
Da löse du! das hört’ ich gern.  
Mein alter Narr ging, fürcht’ ich, weit ins Weite; 4755
Nimm seinen Platz und komm an meine Seite.  
MEPHISTOPHELES steigt hinauf und stellt sich zur Linken.
GEMURMEL DER MENGE. Ein neuer Narr – Zu neuer Pein –  
Wo kommt er her? – Wie kam er ein? –  
Der alte fiel – Der hat vertan –  
Es war ein Fass – Nun ist’s ein Span – 4760
KAISER. Und also, ihr Getreuen, Lieben,  
Willkommen aus der Näh’ und Ferne!  
Ihr sammelt euch mit günstigem Sterne,  
Da droben ist uns Glück und Heil geschrieben.  
Doch sagt, warum in diesen Tagen, 4765
Wo wir der Sorgen uns entschlagen,  
Schönbärte mummenschänzlich tragen  
Und Heitres nur genießen wollten,  
Warum wir uns ratschlagend quälen sollten?  
Doch weil ihr meint, es ging’ nicht anders an, 4770
Geschehen ist’s, so sei’s getan.  
KANZLER. Die höchste Tugend, wie ein Heiligenschein,  
Umgibt des Kaisers Haupt; nur er allein  
Vermag sie gültig auszuüben:  
Gerechtigkeit! – Was alle Menschen lieben, 4775
Was alle fordern, wünschen, schwer entbehren,  
Es liegt an ihm, dem Volk es zu gewähren.  
Doch ach! Was hilft dem Menschengeist Verstand,  
Dem Herzen Güte, Willigkeit der Hand,  
Wenn’s fieberhaft durchaus im Staate wütet 4780
Und Übel sich in Übeln überbrütet?  
Wer schaut hinab von diesem hohen Raum  
Ins weite Reich, ihm scheint’s ein schwerer Traum,  
Wo Missgestalt in Missgestalten schaltet,  
Das Ungesetz gesetzlich überwaltet 4785
Und eine Welt des Irrtums sich entfaltet.  
Der raubt sich Herden, der ein Weib,  
Kelch, Kreuz und Leuchter vom Altare,  
Berühmt sich dessen manche Jahre  
Mit heiler Haut, mit unverletztem Leib. 4790
Jetzt drängen Kläger sich zur Halle,  
Der Richter prunkt auf hohem Pfühl,  
Indessen wogt in grimmigem Schwalle  
Des Aufruhrs wachsendes Gewühl.  
Der darf auf Schand’ und Frevel pochen, 4795
Der auf Mitschuldigste sich stützt,  
Und: Schuldig! hörst du ausgesprochen,  
Wo Unschuld nur sich selber schützt.  
So will sich alle Welt zerstückeln,  
Vernichtigen, was sich gebührt; 4800
Wie soll sich da der Sinn entwickeln,  
Der einzig uns zum Rechten führt?  
Zuletzt ein wohlgesinnter Mann  
Neigt sich dem Schmeichler, dem Bestecher,  
Ein Richter, der nicht strafen kann, 4805
Gesellt sich endlich zum Verbrecher.  
Ich malte schwarz, doch dichtem Flor  
Zög’ ich dem Bilde lieber vor. Pause.  
Entschlüsse sind nicht zu vermeiden;  
Wenn alle schädigen, alle leiden, 4810
Geht selbst die Majestät zu Raub.  
HEERMEISTER. Wie tobt’s in diesen wilden Tagen!  
Ein jeder schlägt und wird erschlagen,  
Und fürs Kommando bleibt man taub.  
Der Bürger hinter seinen Mauern, 4815
Der Ritter auf dem Felsennest  
Verschwuren sich, uns auszudauern,  
Und halten ihre Kräfte fest.  
Der Mietsoldat wird ungeduldig,  
Mit Ungestüm verlangt er seinen Lohn, 4820
Und wären wir ihm nichts mehr schuldig,  
Er liefe ganz und gar davon.  
Verbiete wer, was alle wollten,  
Der hat ins Wespennest gestört;  
Das Reich, das sie beschützen sollten, 4825
Es liegt geplündert und verheert.  
Man lässt ihr Toben wütend hausen,  
Schon ist die halbe Welt vertan;  
Es sind noch Könige da draußen,  
Doch keiner denkt, es ging’ ihn irgend an. 4830
SCHATZMEISTER.  
Wer wird auf Bundsgenossen pochen!  
Subsidien, die man uns versprochen,  
Wie Röhrenwasser bleiben aus.  
Auch, Herr, in deinen – weiten Staaten  
An wen ist der Besitz geraten? 4835
Wohin man kommt, da hält ein Neuer Haus,  
Und unabhängig will er leben,  
Zusehen muss man, wie er’s treibt;  
Wir haben so viel Rechte hingegeben,  
Dass uns auf nichts ein Recht mehr übrig bleibt. 4840
Auch auf Parteien, wie sie heißen,  
Ist heutzutage kein Verlass;  
Sie mögen schelten oder preisen,  
Gleichgültig wurden Lieb’ und Hass.  
Die Ghibellinen wie die Guelfen 4845
Verbergen sich, um auszuruhn;  
Wer jetzt will seinem Nachbar helfen?  
Ein jeder hat für sich zu tun.  
Die Goldespforten sind verrammelt,  
Ein jeder kratzt und scharrt und sammelt, 4850
Und unsre Kassen bleiben leer.  
MARSCHALK. Welch Unheil muss auch ich erfahren!  
Wir wollen alle Tage sparen  
Und brauchen alle Tage mehr,  
Und täglich wächst mir neue Pein. 4855
Den Köchen tut kein Mangel wehe;  
Wildschweine, Hirsche, Hasen, Rehe,  
Welschhühner, Hühner, Gäns’ und Enten,  
Die Deputate, sichre Renten,  
Sie gehen noch so ziemlich ein. 4860
Jedoch am Ende fehlt’s an Wein.  
Wenn sonst im Keller Fass an Fass sich häufte,  
Der besten Berg’ und Jahresläufte,  
So schlürft unendliches Gesäufte  
Der edlen Herrn den letzten Tropfen aus. 4865
Der Stadtrat muss sein Lager auch verzapfen,  
Man greift zu Humpen, greift zu Napfen,  
Und unterm Tische liegt der Schmaus.  
Nun soll ich zahlen, alle lohnen;  
Der Jude wird mich nicht verschonen, 4870
Der schafft Antizipationen,  
Die speisen Jahr um Jahr voraus.  
Die Schweine kommen nicht zu Fette,  
Verpfändet ist der Pfühl im Bette,  
Und auf den Tisch kommt vorgegessen Brot. 4875
KAISER nach einigem Nachdenken zu MEPHISTOPHELES.  
Sag, weißt du Narr nicht auch noch eine Not?  
MEPHISTOPHELES.  
Ich? Keineswegs. Den Glanz umher zu schauen,  
Dich und die Deinen! – Mangelte Vertrauen,  
Wo Majestät unweigerlich gebeut,  
Bereite Macht Feindseliges zerstreut? 4880
Wo guter Wille, kräftig durch Verstand,  
Und Tätigkeit, vielfältige, zur Hand?  
Was könnte da zum Unheil sich vereinen,  
Zur Finsternis, wo solche Sterne scheinen?  
GEMURMEL. Das ist ein Schalk – Der’s wohl versteht – 4885
Er lügt sich ein – So lang’ es geht –  
Ich weiß schon – Was dahinter steckt –  
Und was denn weiter? – Ein Projekt –  
MEPH. Wo fehlt’s nicht irgendwo auf dieser Welt?  
Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld. 4890
Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen;  
Doch Weisheit weiß das Tiefste herzuschaffen.  
In Bergesadern, Mauergründen  
Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden,  
Und fragt ihr mich, wer es zutage schafft: 4895
Begabten Manns Natur- und Geisteskraft.  
KANZLER.  
Natur und Geist – so spricht man nicht zu Christen.  
Deshalb verbrennt man Atheisten,  
Weil solche Reden höchst gefährlich sind.  
Natur ist Sünde, Geist ist Teufel, 4900
Sie hegen zwischen sich den Zweifel,  
Ihr missgestaltet Zwitterkind.  
Uns nicht so! – Kaisers alten Landen  
Sind zwei Geschlechter nur entstanden,  
Sie stützen würdig seinen Thron: 4905
Die Heiligen sind es und die Ritter;  
Sie stehen jedem Ungewitter  
Und nehmen Kirch’ und Staat zum Lohn.  
Dem Pöbelsinn verworrner Geister  
Entwickelt sich ein Widerstand: 4910
Die Ketzer sind’s! die Hexenmeister!  
Und sie verderben Stadt und Land.  
Die willst du nun mit frechen Scherzen  
In diese hohen Kreise schwärzen;  
Ihr hegt euch an verderbtem Herzen, 4915
Dem Narren sind sie nah verwandt.  
MEPHISTOPHELES. Daran erkenn’ ich den gelehrten Herrn!  
Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern,  
Was ihr nicht fasst, das fehlt euch ganz und gar,  
Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr, 4920
Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,  
Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.  
KAISER. Dadurch sind unsre Mängel nicht erledigt,  
Was willst du jetzt mit deiner Fastenpredigt?  
Ich habe satt das ewige Wie und Wenn; 4925
Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff es denn.  
MEPH. Ich schaffe, was ihr wollt, und schaffe mehr;  
Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer;  
Es liegt schon da, doch um es zu erlangen,  
Das ist die Kunst, wer weiß es anzufangen? 4930
Bedenkt doch nur: in jenen Schreckensläuften,  
Wo Menschenfluten Land und Volk ersäuften,  
Wie der und der, so sehr es ihn erschreckte,  
Sein Liebstes da- und dortwohin versteckte.  
So war’s von je in mächtiger Römer Zeit, 4935
Und so fortan, bis gestern, ja bis heut.  
Das alles liegt im Boden still begraben,  
Der Boden ist des Kaisers, der soll’s haben.  
SCHATZMEISTER. Für einen Narren spricht er gar nicht schlecht,
Das ist fürwahr des alten Kaisers Recht. 4940
KANZLER. Der Satan legt euch goldgewirkte Schlingen:  
Es geht nicht zu mit frommen rechten Dingen.  
MARSCHALK. Schafft’ er uns nur zu Hofwillkommne Gaben,
Ich wollte gern ein bisschen Unrecht haben.  
HEERMEISTER. Der Narr ist klug, verspricht, was jedem 4945
frommt;  
Fragt der Soldat doch nicht, woher es kommt.  
MEPH. Und glaubt ihr euch vielleicht durch mich betrogen,
Hier steht ein Mann! da, fragt den Astrologen!  
In Kreis’ um Kreise kennt er Stund’ und Haus;  
So sage denn: wie sieht’s am Himmel aus? 4950
GEMURMEL. Zwei Schelme sind’s – Verstehn sich schon –  
Narr und Fantast – So nah dem Thron –  
Ein matt gesungen – Alt Gedicht –  
Der Tor bläst ein – Der Weise spricht –  
ATSROLOG spricht, Mephistopheles bläst ein.  
Die Sonne selbst, sie ist ein lautres Gold, 4955
Merkur, der Bote, dient um Gunst und Sold,  
Frau Venus hat’s euch allen angetan,  
So früh als spat blickt sie euch lieblich an;  
Die keusche Luna launet grillenhaft;  
Mars, trifft er nicht, so dräut euch seine Kraft. 4960
Und Jupiter bleibt doch der schönste Schein,  
Saturn ist groß, dem Auge fern und klein.  
Ihn als Metall verehren wir nicht sehr,  
An Wert gering, doch im Gewichte schwer.  
Ja! wenn zu Sol sich Luna fein gesellt, 4965
Zum Silber Gold, dann ist es heitre Welt;  
Das Übrige ist alles zu erlangen:  
Paläste, Gärten, Brüstlein, rote Wangen,  
Das alles schafft der hochgelahrte Mann,  
Der das vermag, was unser keiner kann. 4970
KAISER. Ich höre doppelt, was er spricht,  
Und dennoch überzeugt’s mich nicht.  
GEMURMEL. Was soll uns das? – Gedroschner Spaß –  
Kalenderei – Chymisterei –  
Das hört’ ich oft – Und falsch gehofft – 4975
Und kommt er auch – So ist’s ein Gauch –  
MEPHISTOPHELES. Da stehen sie umher und staunen,  
Vertrauen nicht dem hohen Fund,  
Der eine faselt von Alraunen,  
Der andre von dem schwarzen Hund. 4980
Was soll es, dass der eine witzelt,  
Ein andrer Zauberei verklagt,  
Wenn ihm doch auch einmal die Sohle kitzelt,  
Wenn ihm der sichre Schritt versagt.  
Ihr alle fühlt geheimes Wirken 4985
Der ewig waltenden Natur,  
Und aus den untersten Bezirken  
Schmiegt sich herauf lebend’ge Spur.  
Wenn es in allen Gliedern zwackt,  
Wenn es unheimlich wird am Platz, 4990
Nur gleich entschlossen grabt und hackt,  
Da liegt der Spielmann, liegt der Schatz!  
GEMURMEL. Mir liegt’s im Fuß wie Bleigewicht –  
Mir krampft’s im Arme – Das ist Gicht –  
Mir krabbelt’s an der großen Zeh’ – 4995
Mir tut der ganze Rücken weh –  
Nach solchen Zeichen wäre hier  
Das allerreichste Schatzrevier.  
KAISER. Nur eilig! du entschlüpfst nicht wieder,  
Erprobe deine Lügenschäume 5000
Und zeig uns gleich die edlen Räume.  
Ich lege Schwert und Zepter nieder  
Und will mit eignen hohen Händen,  
Wenn du nicht lügst, das Werk vollenden,  
Dich, wenn du lügst, zur Hölle senden! 5005
MEPH. Den Weg dahin wüsst’ allenfalls zu finden –  
Doch kann ich nicht genug verkünden,  
Was überall besitzlos harrend liegt.  
Der Bauer, der die Furche pflügt,  
Hebt einen Goldtopf mit der Scholle, 5010
Salpeter hofft er von der Leimenwand  
Und findet golden-goldne Rolle  
Erschreckt, erfreut in kümmerlicher Hand.  
Was für Gewölbe sind zu sprengen,  
In welchen Klüften, welchen Gängen 5015
Muss sich der Schatzbewusste drängen,  
Zur Nachbarschaft der Unterwelt!  
In weiten, altverwahrten Kellern  
Von goldnen Humpen, Schüsseln, Tellern  
Sieht er sich Reihen aufgestellt; 5020
Pokale stehen aus Rubinen,  
Und will er deren sich bedienen,  
Daneben liegt uraltes Nass.  
Doch – werdet ihr dem Kundigen glauben –  
Verfault ist längst das Holz der Dauben, 5025
Der Weinstein schuf dem Wein ein Fass.  
Essenzen solcher edlen Weine,  
Gold und Juwelen nicht alleine  
Umhüllen sich mit Nacht und Graus.  
Der Weise forscht hier unverdrossen; 5030
Am Tag erkennen, das sind Possen,  
Im Finstern sind Mysterien zu Haus.  
KAISER. Die lass’ ich dir! Was will das Düstre frommen?  
Hat etwas Wert, es muss zu Tage kommen.  
Wer kennt den Schelm in tiefer Nacht genau? 5035
Schwarz sind die Kühe, so die Katzen grau.  
Die Töpfe drunten, voll von Goldgewicht –  
Zieh deinen Pflug und ackre sie ans Licht.  
MEPHISTOPHELES. Nimm Hack’ und Spaten, grabe selber,  
Die Bauernarbeit macht dich groß, 5040
Und eine Herde goldner Kälber,  
Sie reißen sich vom Boden los.  
Dann ohne Zaudern, mit Entzücken  
Kannst du dich selbst, wirst die Geliebte schmücken;  
Ein leuchtend Farb- und Glanzgestein erhöht 5045
Die Schönheit wie die Majestät.  
KAISER. Nur gleich, nur gleich! Wie lange soll es währen!  
ASTROLOG wie oben. Herr, mäßige solch dringendes Begehren,
Lass erst vorbei das bunte Freudenspiel;  
Zerstreutes Wesen führt uns nicht zum Ziel. 5050
Erst müssen wir in Fassung uns versühnen,  
Das Untre durch das Obere verdienen.  
Wer Gutes will, der sei erst gut;  
Wer Freude will, besänftige sein Blut;  
Wer Wein verlangt, der keltre reife Trauben; 5055
Wer Wunder hofft, der stärke seinen Glauben.  
KAISER. So sei die Zeit in Fröhlichkeit vertan!  
Und ganz erwünscht kommt Aschermittwoch an.  
Indessen feiern wir, auf jeden Fall,  
Nur lustiger das wilde Karneval. 5060

Trompeten. Exeunt.

MEPHISTOPHELES. Wie sich Verdienst und Glück verketten,  
Das fällt den Toren niemals ein;  
Wenn sie den Stein der Weisen hätten,  
Der Weise mangelte dem Stein.  

WEITLÄUFIGER SAAL MIT NEBENGEMÄCHERN

verziert und aufgeputzt zur Mummenschanz

HEROLD. Denkt nicht, ihr seid in deutschen Grenzen 5065
Von Teufels-, Narren- und Totentänzen;  
Ein heitres Fest erwartet euch.  
Der Herr, auf seinen Römerzügen,  
Hat, sich zu Nutz, euch zum Vergnügen,  
Die hohen Alpen überstiegen, 5070
Gewonnen sich ein heitres Reich.  
Der Kaiser, er, an heiligen Sohlen  
Erbat sich erst das Recht zur Macht,  
Und als er ging, die Krone sich zu holen,  
Hat er uns auch die Kappe mitgebracht. 5075
Nun sind wir alle neugeboren;  
Ein jeder weltgewandte Mann  
Zieht sie behaglich über Kopf und Ohren;  
Sie ähnelt ihn verrückten Toren,  
Er ist darunter weise, wie er kann. 5080
Ich sehe schon, wie sie sich scharen,  
Sich schwankend sondern, traulich paaren;  
Zudringlich schließt sich Chor an Chor.  
Herein, hinaus, nur unverdrossen;  
Es bleibt doch endlich nach wie vor 5085
Mit ihren hunderttausend Possen  
Die Welt ein einzig großer Tor.  
GÄRTNERINNEN. Gesang, begleitet von Mandolinen.  
Euren Beifall zu gewinnen,  
Schmückten wir uns diese Nacht,  
Junge Florentinerinnen 5090
Folgten deutschen Hofes Pracht;  
Tragen wir in braunen Locken  
Mancher heitern Blume Zier;  
Seidenfäden, Seidenflocken  
Spielen ihre Rolle hier. 5095
Denn wir halten es verdienstlich,  
Lobenswürdig ganz und gar,  
Unsere Blumen, glänzend künstlich,  
Blühen fort das ganze Jahr.  
Allerlei gefärbten Schnitzeln 5100
Ward symmetrisch Recht getan;  
Mögt ihr Stück für Stück bewitzeln  
Doch das Ganze zieht euch an.  
Niedlich sind wir anzuschauen,  
Gärtnerinnen und galant; 5105
Denn das Naturell der Frauen  
Ist so nah mit Kunst verwandt.  
HEROLD. Lasst die reichen Körbe sehen,  
Die ihr auf den Häupten traget,  
Die sich bunt am Arme blähen, 5110
Jeder wähle, was behaget.  
Eilig, dass in Laub und Gängen  
Sich ein Garten offenbare!  
Würdig sind sie zu umdrängen,  
Krämerinnen wie die Ware. 5115
GÄRTNERINNEN. Feilschet nun am heitern Orte,  
Doch kein Markten finde statt!  
Und mit sinnig kurzem Worte  
Wisse jeder, was er hat.  
OLIVENZWEIG MIT FRÜCHTEN.  
Keinen Blumenflor beneid’ ich, 5120
Allen Widerstreit vermeid’ ich;  
Mir ist’s gegen die Natur:  
Bin ich doch das Mark der Lande  
Und, zum sichern Unterpfande,  
Friedenszeichen jeder Flur. 5125
Heute, hoff’ ich, soll mir’s glücken,  
Würdig schönes Haupt zu schmücken.  
ÄHRENKRANZ, golden. Ceres’ Gaben, euch zu putzen,  
Werden hold und lieblich stehn:  
Das Erwünschteste dem Nutzen 5130
Sei als eure Zierde schön.  
FANTASIEKRANZ. Bunte Blumen, Malven ähnlich,  
Aus dem Moos ein Wunderflor!  
Der Natur ist’s nicht gewöhnlich,  
Doch die Mode bringt’s hervor. 5135
FANTASIESTRAUSS. Meinen Namen euch zu sagen,  
Würde Theophrast nicht wagen;  
Und doch hoff’ ich, wo nicht allen,  
Aber mancher zu gefallen,  
Der ich mich wohl eignen möchte, 5140
Wenn sie mich ins Haar verflöchte,  
Wenn sie sich entschließen könnte,  
Mir am Herzen Platz vergönnte.  
ROSENKNOSPEN. Ausforderung.  
Mögen bunte Fantasien  
Für des Tages Mode blühen, 5145
Wunderseltsam sein gestaltet,  
Wie Natur sich nie entfaltet;  
Grüne Stiele, goldne Glocken,  
Blickt hervor aus reichen Locken! –  
Doch wir – halten uns versteckt: 5150
Glücklich, wer uns frisch entdeckt.  
Wenn der Sommer sich verkündet,  
Rosenknospe sich entzündet,  
Wer mag solches Glück entbehren?  
Das Versprechen, das Gewähren, 5155
Das beherrscht in Florens Reich  
Blick und Sinn und Herz zugleich.  

Unter grünen Laubgängen putzen die Gärtnerinnen
zierlich ihren Kram auf
.

GÄRTNER. Gesang, begleitet von Theorben.  
Blumen sehet ruhig sprießen,  
Reizend euer Haupt umzieren;  
Früchte wollen nicht verführen, 5160
Kostend mag man sie genießen.  
Bieten bräunliche Gesichter  
Kirschen, Pfirschen, Königspflaumen,  
Kauft! denn gegen Zung’ und Gaumen  
Hält sich Auge schlecht als Richter. 5165
Kommt, von allerreifsten Früchten  
Mit Geschmack und Lust zu speisen!  
Über Rosen lässt sich dichten,  
In die Äpfel muss man beißen.  
Sei’s erlaubt, uns anzupaaren 5170
Eurem reichen Jugendflor,  
Und wir putzen reifer Waren  
Fülle nachbarlich empor.  
Unter lustigen Gewinden,  
In geschmückter Lauben Bucht, 5175
Alles ist zugleich zu finden:  
Knospe, Blätter, Blume, Frucht.  

Unter Wechselgesang, begleitet von Gitarren und Theorben, fahren beide Chöre fort, ihre Waren stufenweis in die Höhe zu schmücken und auszubieten.

MUTTER und TOCHTER.

MUTTER. Mädchen, als du kamst ans Licht,  
  Schmückt’ ich dich im Häubchen;  
  Warst so lieblich von Gesicht 5180
  Und so zart am Leibchen.  
  Dachte dich sogleich als Braut,  
  Gleich dem Reichsten angetraut,  
  Dachte dich als Weibchen.  
  Ach! Nun ist schon manches Jahr 5185
  Ungenützt verflogen,  
  Der Sponsierer bunte Schar  
  Schnell vorbeigezogen;  
  Tanztest mit dem einen flink,  
  Gabst dem andern feinen Wink 5190
  Mit dem Ellenbogen.  
  Welches Fest man auch ersann,  
  Ward umsonst begangen,  
  Pfänderspiel und dritter Mann  
  Wollten nicht verfangen; 5195
  Heute sind die Narren los,  
  Liebchen, öffne deinen Schoß,  
  Bleibt wohl einer hangen.  

GESPIELINNEN, jung und schön, gesellen sich hinzu, ein vertrauliches
Geplauder wird laut
.

FISCHER und VOGELSTELLER mit Netzen, Angeln und Leimruten, auch sonstigem Geräte treten auf, mischen sich unter die schönen Kinder. Wechselseitige Versuche, zu gewinnen, zu fangen, zu entgehen und festzuhalten, geben zu den angenehmsten Dialogen Gelegenheit.

HOLZHAUER treten ein, ungestüm und ungeschlacht.  
Nur Platz! nur Blöße!  
Wir brauchen Räume, 5200
Wir fällen Bäume,  
Die krachen, schlagen;  
Und wenn wir tragen,  
Da gibt es Stöße.  
Zu unserm Lobe 5205
Bringt dies ins reine;  
Denn wirkten Grobe  
Nicht auch im Lande,  
Wie kämen Feine  
Für sich zustande, 5210
So sehr sie witzten?  
Des seid belehret!  
Denn ihr erfröret,  
Wenn wir nicht schwitzten.  
PULCINELLE, täppisch, fast läppisch. Ihr seid die Toren, 5215
Gebückt geboren.  
Wir sind die Klugen,  
Die nie was trugen;  
Denn unsre Kappen,  
Jacken und Lappen 5220
Sind leicht zu tragen;  
Und mit Behagen  
Wir immer müßig,  
Pantoffelfüßig,  
Durch Markt und Haufen 5225
Einherzulaufen,  
Gaffend zu stehen,  
Uns anzukrähen;  
Auf solche Klänge  
Durch Drang und Menge 5230
Aalgleich zu schlüpfen,  
Gesamt zu hüpfen,  
Vereint zu toben.  
Ihr mögt uns loben,  
Ihr mögt uns schelten, 5235
Wir lassen’s gelten.  
PARASITEN, schmeichelnd-lüstern. Ihr wackern Träger  
Und eure Schwäger,  
Die Kohlenbrenner,  
Sind unsre Männer. 5240
Denn alles Bücken,  
Bejahndes Nicken,  
Gewundne Phrasen,  
Das Doppelblasen,  
Das wärmt und kühlet, 5245
Wie’s einer fühlet,  
Was könnt’ es frommen?  
Es möchte Feuer  
Selbst ungeheuer  
Vom Himmel kommen, 5250
Gäb’ es nicht Scheite  
Und Kohlentrachten,  
Die Herdesbreite  
Zur Glut entfachten.  
Da brät’s und prudelt’s, 5255
Da kocht’s und strudelt’s.  
Der wahre Schmecker,  
Der Tellerlecker,  
Er riecht den Braten,  
Er ahnet Fische; 5260
Das regt zu Taten  
An Gönners Tische.  
TRUNKNER unbewusst. Sei mir heute nichts zuwider!  
Fühle mich so frank und frei;  
Frische Lust und heitre Lieder, 5265
Holt’ ich selbst sie doch herbei.  
Und so trink’ ich! Trinke, trinke!  
Stoßet an, ihr! Tinke, Tinke!  
Du dort hinten, komm heran!  
Stoßet an, so ist’s getan. 5270
Schrie mein Weibchen doch entrüstet,  
Rümpfte diesem bunten Rock,  
Und, wie sehr ich mich gebrüstet,  
Schalt mich einen Maskenstock.  
Doch ich trinke! Trinke, trinke! 5275
Angeklungen! Tinke, Tinke!  
Maskenstöcke, stoßet an!  
Wenn es klingt, so ist’s getan.  
Saget nicht, dass ich verirrt bin,  
Bin ich doch, wo mir’s behagt. 5280
Borgt der Wirt nicht, borgt die Wirtin,  
Und am Ende borgt die Magd.  
Immer trink’ ich! Trinke, trinke!  
Auf, ihr andern! Tinke, Tinke!  
Jeder jedem! so fortan! 5285
Dünkt mich’s doch, es sei getan.  
Wie und wo ich mich vergnüge,  
Mag es immerhin geschehn;  
Lasst mich liegen, wo ich liege,  
Denn ich mag nicht länger stehn. 5290
CHOR. Jeder Bruder trinke, trinke!  
  Toastet frisch ein Tinke, Tinke!  
  Sitzet fest auf Bank und Span!  
  Unterm Tisch dem ist’s getan.  

Der HEROLD kündigt verschiedene POETEN an, Naturdichter, Hof- und Rittersänger, zärtliche sowie Enthusiasten. Im Gedräng von Mitwerbern aller Art lässt keiner den andern zum Vortrag kommen. Einer schleicht mit wenigen Worten vorüber.

SATIRIKER. Wisst ihr, was mich Poeten 5295
  Erst recht erfreuen sollte?  
  Dürft’ ich singen und reden,  
  Was niemand hören wollte.  

Die Nacht- und Grabdichter lassen sich entschuldigen, weil sie soeben im interessantesten Gespräch mit einem frisch erstandenen Vampyren begriffen seien, woraus eine neue Dichtart sich vielleicht entwickeln könnte; der Herold muss es gelten lassen und ruft indessen die griechische Mythologie hervor, die, selbst in moderner Maske, weder Charakter noch Gefälliges verliert.

Die Grazien.

AGLAIA. Anmut bringen wir ins Leben;  
  Leget Anmut in das Geben. 5300
HEGEMONE. Leget Anmut ins Empfangen,  
  Lieblich ist’s, den Wunsch erlangen.  
EUPHROSYNE. Und in stiller Tage Schranken  
  Höchst anmutig sei das Danken.  

Die Parzen.

ATROPOS. Mich, die Älteste, zum Spinnen 5305
  Hat man diesmal eingeladen;  
  Viel zu denken, viel zu sinnen  
  Gibt’s beim zarten Lebensfaden.  
  Dass er euch gelenk und weich sei,  
  Wusst’ ich feinsten Flachs zu sichten; 5310
  Dass er glatt und schlank und gleich sei,  
  Wird der kluge Finger schlichten.  
  Wolltet ihr bei Lust und Tänzen  
  Allzu üppig euch erweisen,  
  Denkt an dieses Fadens Grenzen, 5315
  Hütet euch! Er möchte reißen.  
KLOTHO. Wisst, in diesen letzten Tagen  
  Ward die Schere mir vertraut;  
  Denn man war von dem Betragen  
  Unsrer Alten nicht erbaut. 5320
  Zerrt unnützeste Gespinste  
  Lange sie an Licht und Luft,  
  Hoffnung herrlichster Gewinste  
  Schleppt sie schneidend zu der Gruft.  
  Doch auch ich im Jugendwalten 5325
  Irrte mich schon hundertmal;  
  Heute mich im Zaum zu halten,  
  Schere steckt im Futteral.  
  Und so bin ich gern gebunden,  
  Blicke freundlich diesem Ort; 5330
  Ihr in diesen freien Stunden  
  Schwärmt nur immer fort und fort.  
LACHESIS. Mir, die ich allein verständig,  
  Blieb das Ordnen zugeteilt;  
  Meine Weife, stets lebendig, 5335
  Hat noch nie sich übereilt.  
  Fäden kommen, Fäden weifen,  
  Jeden lenk’ ich seine Bahn,  
  Keinen lass’ ich überschweifen,  
  Füg’ er sich im Kreis heran. 5340
  Könnt’ ich einmal mich vergessen,  
  Wär’ es um die Welt mir bang;  
  Stunden zählen, Jahre messen,  
  Und der Weber nimmt den Strang.  
HEROLD. Die jetzo kommen, werdet ihr nicht kennen, 5345
Wärt ihr noch so gelehrt in alten Schriften;  
Sie anzusehn, die so viel Übel stiften,  
Ihr würdet sie willkommne Gäste nennen.  
Die Furien sind es, niemand wird uns glauben,  
Hübsch, wohlgestaltet, freundlich, jung von Jahren; 5350
Lasst euch mit ihnen ein, ihr sollt erfahren,  
Wie schlangenhaft verletzen solche Tauben.  
Zwar sind sie tückisch, doch am heutigen Tage,  
Wo jeder Narr sich rühmet seiner Mängel,  
Auch sie verlangen nicht den Ruhm als Engel, 5355
Bekennen sich als Stadt- und Landesplage.  

Die Furien.