Stefan Berg | Günter de Bruyn
Landgang
Ein Briefwechsel
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Stefan Berg wurde 1964 in Ostberlin geboren. Nach dem Abitur 1982 Wehrdienst als Bausoldat. Seit 1986 Redakteur bei verschiedenen kirchlichen Zeitungen. 1991 Wechsel zum ›Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt‹. Seit 1996 schreibt Stefan Berg für den SPIEGEL. 2011 erschien die Erzählung ›Zitterpartie‹ (Edition Chrismon/Suhrkamp).
Günter de Bruyn, 1926 in Berlin geboren, lebt im brandenburgischen Görsdorf als freier Schriftsteller. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Heinrich-Böll-Preis, dem Thomas-Mann-Preis und dem Johann-Heinrich-Merck-Preis. Zu seinen wichtigsten Werken gehören u.a. die beiden kulturgeschichtlichen Essays ›Als Poesie gut‹ und ›Die Zeit der schweren Not‹, die autobiographischen Bände ›Zwischenbilanz‹ und ›Vierzig Jahre‹ sowie die Romane ›Buridans Esel‹ und ›Neue Herrlichkeit‹.
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Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014
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ISBN 978-3-10-400665-9
Quelle: Archiv der Akademie der Künste, Berlin.
Vgl. Matthias Braun: Stephan Hermlins Traum. Die »Berliner Begegnung zur Friedensförderung«. In: Deutschland-Archiv 40 (2007), S. 86–96.
Jean Paul (Johann Paul Friedrich Richter): deutscher Schriftsteller (1763–1825), dem Günter de Bruyn bereits 1975 die Biographie »Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter« gewidmet hat.
Die hier publizierten Dokumente, die sich im Archiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik befinden, wurden unverändert übernommen. Die vorhandenen Schwärzungen wurden von der Behörde vorgenommen und sind ebenfalls unverändert übernommen worden.
Der zitierte Brief stammt von Stefan Bergs Schulfreund, dem Schauspieler Tobias Langhoff (*1962).
Die SED-Zeitung »Neues Deutschland«.
Der Dissident Robert Havemann (1910–1982) wurde am 17. April 1982 beigesetzt.
Die Aufnäher mit dem Schriftzug »Schwerter zu Pflugscharen« wurden zum Symbol der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR.
WKK: Wehrkreiskommando.
Die sogenannten Bausoldaten legten keinen Eid ab, sondern lediglich ein »Gelöbnis«.
Bezieht sich auf die Novelle »Episode am Genfer See« von Stefan Zweig (1881–1942), die die Geschichte des russischen Fahnenflüchtlings Boris im Ersten Weltkrieg erzählt.
Zentralkomitee der SED.
Heinz Keßler (*1920), damals Generaloberst, Stellvertretender Minister für Nationale Verteidigung und Chef der Politischen Hauptverwaltung der Nationalen Volksarmee.
Gemeint ist der französische Pianist Richard Clayderman (*1953).
Rudi Strahl (1931–2001) gehörte zu den meistgespielten DDR-Theaterautoren, er schrieb zahlreiche Drehbücher fürs DDR-Fernsehen, darunter »Endlich Fliegen«.
Kirchliche Theatergruppe aus Berlin, die in der gesamten DDR aufgetreten ist.
»Rat der Götter«: DEFA-Film aus dem Jahr 1950 nach einem Drehbuch von Friedrich Wolf (1888–1953) über den IG-Farben-Konzern im Nationalsozialismus. »Die Mörder sind unter uns«: DEFA-Film von 1946, Buch und Regie: Wolfgang Staudte (1906–1984).
Günter de Bruyn wurde 1943 im Alter von 16 Jahren Luftwaffenhelfer, 1944 versetzte man ihn zum Reichsarbeitsdienst nach Ostpreußen, wo er schwer erkrankte. Nach einem Lazarettaufenthalt wurde er zu einer Ausbildung für Offiziersanwärter geschickt. Anfang April 1945 wurde er schwer verletzt.
Stefan Berg war bis zum 17. Juni 1983 Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ).
Die »Flüchtlingsgespräche« von Bertolt Brecht (1898–1956).
Bezieht sich auf den Schriftsteller Paul Schuster, eine Figur aus Günter de Bruyns Roman »Preisverleihung«.
Günter de Bruyn: »Märkische Forschungen. Erzählung für Freunde der Literaturgeschichte«.
Von Klaus Bernsdorf stammt die hier abgebildete Postkarte.
In Jena kam es zu einer Verhaftungswelle gegen Aktivisten der dortigen Friedensbewegung.
BE: Berliner Ensemble.
Die Schauspieler Otto Mellies (*1931), Rolf Ludwig (1925–1999), Reimar Johannes Baur (*1928) und Dietrich Körner (1926–2001) gehörten viele Jahre lang zum Ensemble des Deutschen Theaters Berlin.
Der Graphiker und Karikaturist Klaus Staeck (*1938).
MHO: Militärhandelsorganisation.
PA: Politische Ausbildung; IBB: Ingenieurbaubataillon; KL: Kapitänleutnant; BS: Bausoldat.
DV: Dienstvorschrift.
Joachim Kardinal Meisner (*1933), zuletzt Erzbischof von Köln, war von 1980 bis 1989 Bischof von Berlin.
»LTI. Notizbuch eines Philologen« (1947) von Victor Klemperer (1881–1960).
1978 wurde in der DDR ein entsprechendes, obligatorisches Fach für die neunten und zehnten Klassen eingeführt.
M-Hinweis: MfS-Kürzel für Postkontrolle, siehe Vorwort.
Deckname eines MfS-Informanten.
Der Informant »Paul Mueller«.
BV: Bezirksverwaltung; KD: Kreisdienststelle.
OPK: Operative Personenkontrolle.
Petra Kelly (1947–1992) und Gert Bastian (1923–1992) von den westdeutschen Grünen hatten intensiven Kontakt zur DDR-Friedensbewegung.
Uwe Greßmann (1933–1969), Lyriker.
Die Hochhäuser lagen in Westberlin, in Sichtweite des S-Bahnhofs Plänterwald in Ostberlin.
IM: Inoffizieller Mitarbeiter; GMS: Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit; IMK: Inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens; IMS: Inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereiches.
MFNV: Ministerium für Nationale Verteidigung.
Rainer Eppelmann (*1943), Pfarrer der Samariterkirchengemeinde in Berlin, Anlaufstelle für kritische Jugendliche und Oppositionelle in der DDR.
Der Auftritt wurde von der Jury mit dem Prädikat »sehr gut« bewertet.
Robert Havemann und der Berliner Pfarrer Rainer Eppelmann waren Verfasser eines Abrüstungsappells.
In Schwedt befand sich das zentrale Militärgefängnis der DDR.
Ralf Hirsch (*1960) wurde Mitbegründer der »Initiative für Frieden und Menschenrechte«, zahlreiche Spitzel waren auf ihn angesetzt.
Gottfried Forck (1923–1996) war Bischof der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg.
Hier irrt der Staatssicherheitsdienst. Stefan Berg spielte in einem DEFA-Märchenfilm und zwei Fernsehspielen mit.
Der FDJ-Eintritt erfolgte im Konsens mit den Eltern als Kompromiss-Signal an den Staat.
EAW: Elektro-Apparate-Werk.
GOL: Grundorganisationsleitung der FDJ in der Schule. Klaus Kalex wurde nach 1990 in der PDS aktiv. Auf Anfrage teilte er mit, er könne sich an den Vorgang nicht erinnern, er wollte ihn aber auch nicht bestreiten.
Eine von mehreren in der DDR erschienenen Kirchenzeitungen.
EVA: Evangelische Verlagsanstalt.
Günter de Bruyns Roman »Neue Herrlichkeit« sollte 1984 gleichzeitig in beiden deutschen Staaten erscheinen. Die Westausgabe im S. Fischer Verlag wurde auch ausgeliefert. Die gedruckten 20000 Exemplare der DDR-Auflage jedoch wurden auf Verlangen der Zensur einbehalten. Erst ein Jahr später erschien der Roman auch in der DDR. De Bruyn kommentierte dies später so: »Nun war ich im Abseits, in das ich gehörte. Mein Missverhältnis zum Staat war offenkundig geworden.«
Am Sonntag, dem 13. Dezember 1981, kommt es im Kongress-Saal des Ostberliner Hotels Stadt Berlin zu einem Treffen, das sehr viele Beobachter auf sich zieht. 88 Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler finden sich in dem Hochhaus am Alexanderplatz ein. 60 von ihnen stammen aus der DDR, sechs aus »weiteren sozialistischen Ländern, 22 aus der BRD, anderen nichtsozialistischen Ländern und Berlin-West«, so vermerkt es der DDR-Staatssicherheitsdienst. Dessen Mitarbeiter – offizielle und inoffizielle – verfolgen die Begegnung sowie 34 Korrespondenten aus »der BRD, anderen nichtsozialistischen Staaten und Berlin-West«. Und natürlich die Medien der Deutschen Demokratischen Republik. Titel der Versammlung: »Berliner Begegnung zur Friedensförderung«.
Um 18 Uhr 20 begrüßt der Schriftsteller Stefan Hermlin die Gäste »in der Hauptstadt der DDR«. Er hat zu diesem Treffen eingeladen: »Die Sache, die wir uns vorgenommen haben, beginnt.« Die »Sache«, das ist ein Gespräch über Krieg und Frieden und die »Herstellung von Vertrauen«. Erkennbar stolz verliest Hermlin die Liste derjenigen, die zugesagt haben: Jurek Becker, Thomas Brasch, Günter de Bruyn, Ingeborg Drewitz, Bernt Engelmann, Erich Fried, Günter Grass, Stefan Heym, Ernst Jandl, Heiner Müller, Christa Wolf …
»Manches Unsinnige«, fährt Hermlin fort, sei über das Zustandekommen dieses Treffens vermutet worden. Dabei sei die Sache »viel einfacher, als manche denken.« Er habe da mit »ein paar Freunden« gesprochen. Manchmal ließen sich, erklärt er, »Dinge ganz einfach verwirklichen, die manche Leute für ausgeschlossen halten, weil sie nicht bereit sind, einen Versuch zu wagen«.
»Ein paar Freunde«, das ist nicht nur nicht die ganze Wahrheit. Das ist ein sozialistisches Märchen.
Das zweitägige Treffen im Interhotel hat Hermlin nicht nur mit »ein paar Freunden« besprochen, er hat es mit der Führung der SED eng abgestimmt.
Bereits im August haben Hermlin und sein Freund, der Filmemacher Konrad Wolf, mit Staats- und Parteichef Erich Honecker über das Vorhaben geredet. Auch der für Kultur zuständige Mann im SED-Politbüro, Kurt Hager, wird »über den gegenwärtigen Stand der Vorbereitungen« informiert. Namenslisten werden abgestimmt, Einschätzungen abgegeben. Sie klingen alles andere als »ganz einfach«. In der »Akademie der Künste der DDR« wird im November »Intern!«[1] eine »Argumentation« zu dem Treffen verfasst. Darin heißt es: »Die Vertrauensatmosphäre bei schonungsloser Offenheit sollte bei den westlichen Teilnehmern dazu beitragen, die Errungenschaften des realen Sozialismus besser zu verstehen und zu bewerten.« Vom Staatssicherheitsdienst werden »Vertrauliche Verschlusssachen« produziert, »operativ bedeutsame Hinweise« über »operativ bedeutsame Personen« wie Grass, Heym und Becker zusammengetragen.
Von alldem wissen die Gäste aus dem Westen natürlich nichts, als sie im Interhotel erscheinen, auch viele Teilnehmer aus der DDR können nur ahnen, wie sehr das Treffen der Schriftsteller die »Staatsorgane« beschäftigt. Allerdings: Nur Naivlinge können glauben, dass alles so einfach gewesen sei, wie Hermlin es darstellt.
Denn ein deutsch-deutsches Schriftstellertreffen zu organisieren, ist aus mehreren Gründen kein einfaches Unternehmen. Das Verhältnis der Staatspartei SED zu den Künstlern des Landes ist schwer belastet. Der Ausweisung des Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR im Jahr 1976 folgten Ausreisen von Künstlern gen Westen und Ausschlüsse mehrerer kritischer Autoren aus dem DDR-Schriftstellerverband; der prominenteste von ihnen ist Stefan Heym, immerhin ein Mann, der einst gegen die Nazis gekämpft hatte. Das Vorgehen gegen die Intellektuellen hat das Verhältnis zwischen den Autorenverbänden in Ost und West belastet. Schriftsteller wie Günter Grass haben sich mit den Bedrängten in und aus der DDR solidarisiert. Literatur ist zu einem Unruhefaktor in der DDR und in den deutsch-deutschen Beziehungen geworden.
Von Hermlin, dem früheren Widerstandskämpfer und Exilanten, ist bekannt, dass er einen persönlichen Zugang zu Honecker hat. In diesem Fall hat er ihn eingesetzt, um auch Kritikern der DDR die Teilnahme an der Diskussion auf offener Bühne zu ermöglichen. Gegenüber dem Parteichef soll Hermlin die Autoren Thomas Brasch und Jurek Becker als seine »Freunde« bezeichnet und für deren Einladung geworben haben.[2] Das ist allerhand: Brasch und Becker hatten sich mit Biermann solidarisiert und später die DDR verlassen. Honecker erfüllt Hermlins Wunsch: »Einverstanden. E.H.« Genau wie die Zulassung zahlreicher West-Journalisten zum Treffen ist das eine Sensation.
Die Großherzigkeit folgt politischem Kalkül. Am 11. Dezember, zwei Tage vor den westdeutschen Autoren, kommt Bundeskanzler Helmut Schmidt in die DDR. Die Einladung zu einem freimütigen Dialog von Ost- und West-Autoren sorgt im Vorfeld für ein freundliches Echo im Westen, sie nährt die Hoffnung auf Annäherung und auf Wandel in der DDR.
Menschen in Ost und West dürsten nach solchen Signalen der Entspannung. Seit Monaten wächst die Angst vor immer neuen Runden im Rüstungswettlauf. In Bonn sind im Oktober 1981 Hunderttausende gegen die Stationierung von Pershing-Raketen auf die Straße gegangen, ihr Protest gilt selbstverständlich auch den SS-20-Raketen der Sowjets. In dieser Lage sucht DDR-Staatschef Honecker offenbar einen eigenen außenpolitischen Kurs, westliche Beobachter machen jedenfalls Distanz zum »großen Bruder« in Moskau aus. Können deutsch-deutsche Dialoge die Blockkonfrontation abschwächen oder gar überwinden helfen?
Doch am Abend des 13. Dezember, während sich Schmidt noch in der DDR aufhält und die Autoren sich im Hotel am Alexanderplatz treffen, wird in der Volksrepublik Polen das Kriegsrecht ausgerufen. Solidarność hatte die Kommunisten nicht nur in Polen das Fürchten gelehrt.
In der DDR gibt es im Jahr 1981 weder Großdemonstrationen wie jene in Bonn noch Streiks wie im Nachbarland Polen. Eine Friedens- und Freiheitsbewegung existiert dennoch. In den evangelischen Kirchengemeinden und in ihrem Umfeld diskutieren Gruppen offen Abrüstungsfragen. Sie sprechen auch über Themen, die es offiziell in der DDR nicht geben darf: über Umweltprobleme und den Mangel an Freiheitsrechten. Wer sich hier trifft, gibt sich wie jene Friedensbewegten im Westen: Man trägt Jeans, Parka, färbt Hosen bunt und hört Blues. In Berlin, Jena oder Dresden gibt es eine »Szene«, eine Generation, die aufbegehrt.
In den Schulen der DDR haben die Parteisekretäre, Direktoren und Staatsbürgerkunde-Lehrer Mühe mit dieser neuen Generation, die angstfrei diskutiert und sich nicht länger mit Phrasen abspeisen lassen will. Besonders ein »Argument« sorgt für Empörung unter den Jugendlichen, die wie ihre Altersgenossen »drüben« gegen die Aufrüstung demonstrieren wollen. Solch ein Protest sei im Arbeiter-und-Bauern-Staat nicht nötig, erklären die SED-Propagandisten. Schließlich sei die ganze DDR, insbesondere ihre Staatsführung, eine einzige große Friedensbewegung.
Diese Phrase bekommt auch ein 17-jähriger Schüler zu hören, der 1981 die Erweiterte Oberschule Max-Planck in Berlin-Mitte besucht. Mit der politischen Sprengkraft von Literatur hat er bereits Erfahrungen gesammelt. In der Schule hatte er im Juni 1979 für eine Lesung von Stefan Heym geworben, der zuvor aus dem Schriftstellerverband geworfen worden war. Heym konnte öffentlich nun nur noch in Kirchen lesen, aus seinem Buch »König David Bericht« etwa. Und dieser Schüler hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass er diese Veranstaltung besuchen wird. Am Tag nach der Heym-Lesung in Eichwalde bei Berlin war die Aufregung an der Schule groß: Der damals 15-Jährige sollte sich für ein angebliches Fehlverhalten rechtfertigen. Als er das nicht tat, drohte gewaltiger Ärger. Er sollte vorzeitig und ohne Abitur die Schule verlassen. Erst nach Protest von Eltern und Kirchen revidierte das DDR-Bildungsministerium diesen Beschluss. Von einem verdeckten Schulermittlungsverfahren der Staatssicherheit wird er erst Jahre später erfahren.
Gespannt verfolgt dieser Schüler das Treffen der Schriftsteller im Hotel Stadt Berlin. Wird sich einer der Autoren zum Fürsprecher der DDR-Friedensbewegten machen? Die Zeitungen der DDR vermelden – als wäre es pure Selbstverständlichkeit – eine Konferenz von Schriftstellern aus »beiden deutschen Staaten«. Doch die DDR-Medien gehen auf Nummer Sicher, sie übertragen die Reden nicht direkt. Kritische Worte zu den Verhältnissen in der DDR oder zur Politik der Ostblockstaaten finden nur selten und dann nur indirekt den Weg in die von der SED gesteuerten Tageszeitungen, in Rundfunk und Fernsehen. Etwa so: »Der Präsident der Akademie der Künste, Konrad Wolf, wies in einer bewegenden Rede die These des Schriftstellers Günter Grass zurück, er fühle sich von sowjetischen wie von amerikanischen Raketen bedroht.« Grass hatte Widerstand gegen Vor- und Nachrüstung gefordert: »Nur noch Verweigerung und anhaltender Protest können eine Umkehr erzwingen.«
Im West-Radio werden die brisanten Reden übertragen, bald kursieren sie, abgetippt mit mehreren Durchschlägen. So wird auch die Rede des Schriftstellers Günter de Bruyn bekannt, die dieser am zweiten Tag des Treffens, am 141926
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SPIEGEL
Immer wieder haben christliche Gruppen, Friedenskreise und Bischöfe solch einen Ersatzdienst gefordert, jetzt tritt auch ein prominenter Schriftsteller dafür ein. Ob der soziale Friedensdienst – kurz SOFD – nun kommen wird? Einen Zivildienst – wie im Westen Deutschlands – gibt es nicht in der DDR. Wer die Wehrpflicht von 18 Monaten verweigert, der landet im Gefängnis. Es sei denn, er lässt sich auf einen Kompromiss ein und wird Bausoldat. Wer als Bausoldat dient, der ist zwar Soldat in der DDR-Armee, er muss Uniform tragen und Befehle ausführen, aber er wird nicht an der Waffe ausgebildet. Vor allem junge Christen gehen zu den Bausoldaten. Aber sie wollen nun endlich mehr: SOFD.
DDR19561968DDR
1981DDR
1198255
11982
Die Briefe werden ausgewertet, brisante Stellen unterstrichen und abgeschrieben:
»von was für Idioten man sich befehlen lassen muss«
»warum sollte ich einen Staat schützen, der nicht der meine ist. Warum sollte ich?«
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Immer wieder erhält »Künstler« Briefe, Karten und Bücher von de Bruyn, der ihm Mut macht, diese Zeit zu überstehen. Mehrfach wird der Bausoldat nach seinem Kontakt zu dem Schriftsteller befragt. Mehrere Tage wird »Künstler« observiert – aber am Ende geschieht ihm nichts. Keine Verhaftung, kein Strafverfahren. Am 26. April 1984 verlässt der Bausoldat aus Berlin die Kaserne in Saßnitz.