Eustachius Graf Pilati
von Thassul zu Daxberg
Etikette-Plaudereien
Herausgegeben und
mit einem Nachwort versehen
von Rainer Erlinger
FISCHER E-Books
Eustachius Graf Pilati von Thassul zu Daxberg, geboren 1870, gestorben 1941, entstammt einem trienter Adelsgeschlecht und lebte als Schriftsteller und Kolumnist in Berlin.
Rainer Erlinger, geboren 1965, ist promovierter Mediziner und Jurist. Nach seinen Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Arzt und Rechtsanwalt arbeitet er jetzt als Publizist, vor allem auf dem Gebiet der Ethik. Einem großen Publikum ist er durch seine Kolumne »Die Gewissensfrage« im Magazin der Süddeutschen Zeitung bekannt geworden, in der er allwöchentlich die kleinen und großen Ethikprobleme seiner Leser erörtert. Im S. Fischer Verlag ist zuletzt erschienen ›Höflichkeit. Vom Wert einer wertlosen Tugend‹ (2016), ›Moral. Wie man richtig gut lebt‹ (2012) sowie im Fischer Taschenbuch ›Gewissensbisse. Antworten auf moralische Fragen des Alltags‹ (2011) und ›Nachdenken über Moral. Gewissensfragen auf den Grund gegangen‹ (2012).
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Um die Jahrhundertwende erschienen in der Berliner Tageszeitung »Deutsche Warte« die »Etikette-Plaudereien« von Eustachius Graf von Thassul zu Daxberg Pilati. In diesen Kolumnen empfiehlt der Autor das richtige Benehmen in der Gesellschaft: Vom »Anhauchen beim Sprechen« über »Ballmutter und Ballvater«, »Damen aufs Pferd helfen«, »Finger- und Spülschalen«, das »Handküssen«, »Radau-Esser« und »schwülstige Ausdrucksformen« ist ihm kein Benehmen zu fremd, um nicht mit ironisch-heiterem, aber auch gelassenen Ton und leicht hochgezogener Augenbraue kenntnisreich kommentiert zu werden.
Rainer Erlinger hat sich dieses vergessenen Stilisten des Zwischenmenschlichen angenommen. Aus den vielen Kolumnen hat er nun eine Auswahl getroffen, rückt sie in den aktuellen Kontext und erläutert in einem Nachwort die bleibende Bedeutung dieses großen Vergessenen der Etikette-Ratgeber.
Erschienen bei FISCHER E-Book
© 2016 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: hißmann, heilmann, Hamburg
Coverabbildung: F. H. Townsend / Private Collection / The Stapleton Collection / Bridgeman Images
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ISBN 978-3-10-403836-0
Staatsbibliothek Berlin, Katalog, Deutsche Warte: Berliner Tageszeitung für Politik und Gesellschaft, geistiges u. wirtschaftliches Leben; Börsen- und Handelszeitung, ZDB-ID: 958852
J. Bielefelds Verlag in Karlsruhe, 1905, S. 206, Nachdruck Unikum Verlag, Bremen 2011
Geboren am 20. Mai 1851 in Liegnitz, Eintrag Nr. 43 in der Generation 13 in http://patricus.info/Rodokmeny/Pilati.txt
Brockhaus’ Konversationslexikon, Autorenkollektiv, F.A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894–1896, 17. Band Supplement, S. 318, Lemma Deutschland und Deutsches Reich, Zeitungswesen, online aufrufbar unter: http://www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=137223
Initiative Berliner Zeitungsviertel e.V., Berliner-Zeitungsviertel.de, Das Eiserne Kreuz und der Emigrantenverlag (2). Buchdruckereien und Verlage an der einstigen Prachtstraße, online aufrufbar unter: http://zeitungsviertel.de/entries/view/35/2
Adolph Freiherr von Knigge, Über den Umgang mit Menschen, Hannover 1788, Einleitung 2. a.E.
Baldassare Castiglione, Das Buch des Hofmanns, Venedig 1528, 1. Buch Kapitel 1
Sterberegister Dresden 1876–1952, Nr. 1864/1941/II, Ern. 5497
http://geneall.net/de/name/1821829/eustachius-eduard-adolf-rudolf-graf-pilati-von-thassul-zu-daxberg/
http://patricus.info/Rodokmeny/Pilati.txt, Generation 13, Nr. 45
Sterberegister Dresden 1876–1952, Nr. 1864/1941/II, Ern. 5497
Otto Sommerstorff, mit bürgerlichem Namen Otto Müller (geboren am 29. Mai 1859 in Krieglach in der Steiermark, gestorben am 3. Februar 1934 in Spital am Semmering, ebenfalls in der Steiermark), gebürtiger Österreicher, war tatsächlich Schauspieler in Berlin, am Deutschen Theater, am Berliner Theater und am Königlichen Schauspielhaus, daneben Verfasser komischer Gedichte und Mitarbeiter der »Fliegenden Blätter«, einer humoristischen illustrierten Wochenschrift, die in München erschien. Biographische Angaben nach: E. Marktl: Müller, Otto. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 6, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1975, S. 424, Online Edition: http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_M/Mueller_Otto_1859_1934.xml
Im Jahre 1904 erschien im Deutschen Druck- und Verlagshaus G.m.b.H. in Berlin ein liebevoll aufgemachter Jugendstilband »Etikette-Plaudereien« von Eustachius Graf Pilati von Thassul zu Daxberg. Offenbar erfreute er sich so großer Beliebtheit, dass in den folgenden Jahren drei weitere Auflagen mit insgesamt 12000 Exemplaren erschienen, ab der dritten Auflage in einer einfacheren Aufmachung. Nach 1910 ist keine Neuauflage mehr nachweisbar.
Der Band enthielt Kolumnen, die Graf Pilati unter dem Pseudonym E. von Thassberg in der Zeitung »Deutsche Warte« veröffentlicht hatte.
Die hier vorliegende Neuausgabe versammelt eine Auswahl davon nach Themen sortiert. Die Texte wurden zu diesem Zweck behutsam redigiert und die Rechtschreibung den heutigen Regeln angepasst.
Bitte ausnahmsweise das Vorwort auch zu lesen.
Plaudereien nenne ich mein kleines Opus. Dadurch, sowie durch die nachfolgende Erklärung möchte ich jene Leser etwas milder stimmen, die eine übersichtliche Einteilung des Stoffes vermissen. Meine Plaudereien sind nämlich in Zwischenräumen, und zwar meist in den Sonntagsausgaben der »Deutschen Warte« erschienen; es sind Betrachtungen teils über eigene Beobachtungen, teils über Etikettefragen, die von befreundeter Seite, und vor allem von Lesern der »Deutschen Warte« angeregt wurden, auch direkte Antworten auf Anfragen aus diesem Leserkreis. Infolge der Verschiedenartigkeit der oft gleichzeitigen Anfragen und Anregungen, vermochte ich keine einheitliche Disposition aufzustellen.
Ich hoffe, dass Manchem manches lesenswert erscheinen wird. Wem’s nicht gefällt, der höre möglichst bald auf weiter zu lesen, und zürne mir nur so lange, bis er einmal für ein anderes Buch, das ihm noch weniger behagt, noch mehr Zeit und Geld geopfert hat.
In der »Deutschen Warte« erschienen meine Plaudereien unter dem Namen E. von Thassberg. Ich gebe hier meinen wirklichen Namen, um keinen anderen in einen vielleicht nach seiner Ansicht »hässlichen« Verdacht zu bringen!
Eustachius Graf Pilati
von Thassul zu Daxberg
Wie lange trauert man um seine Schwiegermutter? – Wie isst man Erbsen? – Wieviel Visitenkarten gibt man ab? usw. usw. Kunterbunt durcheinander sind mehrfach derartige Anfragen an unser Blatt »Deutsche Warte« ergangen. – Nachfolgendes soll über den guten Ton handeln und besonders auf einzelne eingelaufene Anfragen antworten.
Wenn auch Vornehmheit des Charakters unvergleichlich höher steht wie jene äußere Vornehmheit, so ist diese letztere, die sich in tadellosem Benehmen, in guten Manieren kundgibt, doch keineswegs zu unterschätzen.
Wer infolge seiner sozialen Stellung oder aus irgend anderen Gründen – z.B. angeregt durch eine keineswegs tadelnswerte Eitelkeit – das Bestreben hat, auch durch äußere Formen zu gefallen, den dürften diese Zeilen interessieren. Guter Inhalt wird noch mehr gewürdigt in schöner Schale, und ein edler Mensch wird durch ein vornehmes Äußeres sicher gewinnen, ja sogar sich oft erst dadurch zur verdienten Geltung bringen. Gerade betreffs äußerer Formen begegnet man oft ungemein schroffen und kleinlichen Urteilen seitens wirklicher oder vermeintlicher Kenner. »Mit dem Menschen kann man nicht zusammensitzen, der isst mit dem Messer.« Mancher also Kritisierte ist vielleicht innerlich anständiger als der gestrenge Kritiker, wenn er auch unanständiger isst.
Guter Inhalt wird noch mehr gewürdigt in schöner Schale.
Dies zum Troste für Diejenigen, welche sich für äußere Formen nicht interessieren können oder wollen.
Eine Zuschrift aus dem Leserkreise veranlasst mich hervorzuheben, diese Ausführungen sollen sich nicht einfach darüber äußern, was auf den verschiedenen Gebieten der Etikette für das Vornehmste gilt, und aus welchen Gründen, sondern sie sollen auch gegen eine Überschätzung des Wertes äußerer Formen ankämpfen und eine milde Beurteilung des lieben Nächsten gerade hierin befürworten. Was können denn X und Y dafür, wenn sie nicht dieselbe gute Kinderstube genossen haben, wie der »feine« Z, wenn sie unter Verhältnissen oder in einer Umgebung groß geworden sind und bisher gelebt haben, welche ihr Augenmerk wenig oder gar nicht auf den sogenannten guten Ton hinlenkten?! Also, feiner Z, sei milde, auf dass auch Du milde beurteilt werdest von Jemandem, der Dir noch über ist. Kleinere Verstöße der Mitmenschen zu bemängeln und größere Verstöße gegen den guten Ton selbst zu begehen, dies Verfahren kann man oft bemerken.
Kleinere Verstöße der Mitmenschen zu bemängeln und größere Verstöße gegen den guten Ton selbst zu begehen, dies Verfahren kann man oft bemerken.
Im Allgemeinen wird ein ruhiges, gemessenes Benehmen einen vornehmeren Eindruck machen, als ein unruhiges und hastiges. Schnelle und dabei gewandte Bewegungen sind nur besonders begnadeten Menschenkindern eigen; andererseits aber kann eine augenscheinlich erkünstelte zu große Ruhe, ein steifes Einherstolzieren mit gewichtiger Miene die Umgebung zur Kritik reizen, ob denn auch ein solches Gebaren à la Großmogul durch die soziale Stellung oder durch das Leben und Wirken des Betreffenden gerechtfertigt erscheint. Ich werde nie den Kontrast vergessen, mit welch’ einfacher Würde ich vor etlichen Jahren einmal bei Hofe in Berlin den großen Moltke den Weißen Saal betreten sah, und mit welch’ gravitätischer Selbstherrlichkeit hinter ihm ein kleiner Leutnant folgte.
Wie in vielen Etikettesachen, so ist es namentlich für die Art des Vorstellens schwer, allgemein gültige Regeln aufstellen zu wollen. Wie vielerlei Rücksichten da zu nehmen sind, möchte ich zunächst andeuten, indem ich viele Fragen in dem einen Satz zusammenquetsche: Es kommt darauf an, wer wen wo vorstellt. Natürliches Taktgefühl zu besitzen und sich davon leiten zu lassen, ist tausendmal besser, als sich in seinem Verhalten überall stumpfsinnig und sklavisch nach feststehenden Anstandsregeln zu richten. Es gibt Fälle, wo ich gerade dadurch feines Taktgefühl verraten werde, dass ich Etwas tue, was sonst etikettenwidrig wäre. Nehmen wir an, ich bekomme als Gast einer alten ehrwürdigen Dame ein Stück Torte vorgesetzt und zu seiner Vertilgung als einziges Instrument ein Messer – hoffentlich ist es stumpf! – so werde ich eben, wenn dies auch im Allgemeinen der Etikette zuwider ist, entweder mit den Fingern oder (entsetzlich!) sogar mit dem Messer die Torte zum Munde führen, Letzteres, wenn das Zeug fürs Anfassen mit den Fingern mir zu blübbrig oder klebrig ist. Das ist viel vornehmer und taktvoller, als eine alte Dame belehren zu wollen und – etwa noch mit süffisanter Miene – ihr vorzuhalten »ich darf wohl aber hierzu um eine Gabel oder wenigstens einen Löffel bitten!«
Natürliches Taktgefühl zu besitzen und sich davon leiten zu lassen, ist tausendmal besser, als sich in seinem Verhalten überall stumpfsinnig und sklavisch nach feststehenden Anstandsregeln zu richten.
Außer durch Takt des Herzens, wie im eben erwähnten Beispiel, wird man oft durch seinen natürlichen Menschenverstand, durch irgend einen logischen Grund sich veranlasst sehen, in seinem Benehmen von dem abzuweichen, was für das Vornehmste gilt. Es gilt für das Vornehmste, den Leutnant Müller und den Referendar Hofmann »Herr Müller« und »Herr Hofmann« vorzustellen; man wird dies dann zweifellos tun, wenn man weiß, dieselben wollen so vorgestellt und genannt sein; es ist diese Art der Vorstellung dann auch artig und richtig gegenüber der Person, welcher ich die Genannten vorstelle, denn ich sage der betreffenden Persönlichkeit damit: So, wie ich Dir die Herren vorstelle, so wollen sie auch von Dir genannt und angeredet werden. Wenn ich aber weiß, meine Gewährsleute wollen lieber als Leutnant und Referendar vorgestellt werden, so werde ich eben ihren Wünschen entsprechen, wenn mein Sinn für Nächstenliebe stärker ist, als die Angst vor der schrecklichen Gefahr, für nicht ganz bewandert zu gelten betreffs der Art, wie ich Jemanden vorzustellen habe. Einen triftigen Grund, beim Vorstellen die Titel Leutnant und Referendar zu nennen, habe ich zum Beispiel auch, wenn ich es für angezeigt halte, dieselben näher zu kennzeichnen. Wenn ich meinen Referendar als solchen einem älteren Herren desselben Berufes vorstelle, so sagt sich dieser doch sofort: »Gott sei Dank, endlich ein verständiger Mensch, mit dem Du über das neue bürgerliche Gesetzbuch sprechen kannst!« Wenn ein Leutnant auf Urlaub Zivil trägt – außer auf Urlaub, kommt dies ja nie vor –, und ich habe irgend einen Grund, ihn beim Vorstellen näher zu bezeichnen, so werde ich ihn eben als »Herr Leutnant X.« vorstellen, da er zur Zeit nicht durch seine Uniform als Leutnant kenntlich ist. Aus seiner Haltung allein, also auch in Zivil, kann man den Leutnant als solchen nicht mehr sicher erkennen, auch andere, oft ganz junge Herren, selbst wenn sie »nicht einmal Korpsstudenten« sind, haben heutzutage vielfach die Kühnheit, durch sicheres Auftreten und elegante Kleidung einem Leutnant in Zivil zu gleichen!? Nur im Tanzen, finde ich, ist der Leutnant im Allgemeinen doch unerreichbar.
Wer sich geniert, von einer Etikettenregel abzuweichen, sobald er einen triftigen Grund dazu hat, ist eine ängstliche Natur, ohne Murr á Mumm im Leibe. Noch törichter ist es, eine widersinnige Sitte mitzumachen, aus einem gewissen Autoritätsdusel, nur weil gerade diejenigen Leute, die einem sonst imponieren, sich so oder so benehmen. Die Unsitte, beim Selbstvorstellen nur zu murmeln, anstatt seinen Namen deutlich auszusprechen, diese Unsitte habe ich früher namentlich bei Herren beobachtet, die mir durch eine besonders reservierte Vornehmheit und durch tadelloses äußeres Ajustement auffielen. Früher murmelte beim Vorstellen nur der Diplomat, der Gardekavallerist und der Kammerjunker, jetzt ist diese Sitte schon durch die vielen sozialen Zwischenabstufungen hindurch ziemlich weit nach unten gesickert. Den Grund hierfür sehe ich in jenem oben erwähnten Autoritätsdusel. Wem Vernunftgründe nicht maßgebend dafür sind, seinen Namen beim Vorstellen deutlich auszusprechen, der unterlässt vielleicht das Murmeln, weil diese Unsitte tatsächlich nicht mehr als ein apartes Erkennungszeichen der eleganten Welt gelten kann, sondern in allen Gesellschaftsschichten verbreitet ist. Eine Erklärung für die Sitte, seinen Namen kaum hörbar zu flüstern, kann man in einer wirklichen oder markierten Gleichgültigkeit finden. Entweder hat man dabei den bescheidenen Hintergedanken, es kann oder wird dem Anderen, dem man sich vorstellt, doch egal sein, wie man heißt, – oder aber man ist im Gegenteil sehr arrogant besaitet und hat den geheimen Gedanken: »Ich lege keinen Wert darauf, dass Du, verehrter Mitbürger, meinen Namen zu hören bekommst, und wenn Du ihn wissen willst, so kannst Du Dich ja bemühen, ihn durch Andere zu erfahren.« Manche begleiten das Murmeln ihres Namens mit einer ungemein wichtigen und geheimnisvollen Miene. Es gibt ja Viele, denen es sicher imponiert, wenn sich dann der wie ein hochbedeutsames Staatsgeheimnis geflüsterte Name als ein Freiherr »von, zu und auf« oder gar als ein »Prinz X.« entpuppt. Aber die überwiegende Mehrzahl, die über einen einfachen biederen Namen verfügt, sollte doch wenigstens von ihrem natürlichen Recht Gebrauch machen, beim Vorstellen ihren Namen hörbar auszusprechen. Der Zweck des Sprechens ist doch wohl der, gehört zu werden! Mancher kann ja schließlich in den Verdacht kommen, als genierte er sich, seinen einfachen Namen laut und deutlich zu nennen!
Der Zweck des Sprechens ist doch wohl der, gehört zu werden!
Es gilt für besonders vornehm, oder galt jedenfalls dafür, denn jetzt ist es auch nicht mehr apart genug, wenn Adlige bei der schriftlichen oder mündlichen Angabe ihres Namens – also wenn sie sich selbst vorstellen oder bei Unterschriften – die Adelspartikel zwischen dem Vor- und Familiennamen ganz fortlassen. Beim Vorstellen nennt man nur den Familiennamen, und zwar gilt dies für das Vornehmste vom niederen Adel bis zum höchsten Adel hinaus. Also der Prinz Bolko Hohenburg stellt sich vor schlankweg »Hohenburg«, und zwar heutzutage wieder ganz deutlich; denn murmeln tun ja jetzt auch Nichtprinzen; er unterschreibt sich in Briefen – oder schräg auf seiner Photographie – und zwar mit großer Bismarckschrift: »Bolko Hohenburg«. – Adolar von Bramberg unterschreibt sich »Adolar Bramberg« und stellt sich vor: »Bramberg«. Das ist sehr bescheiden, so denkt der geneigte Leser. O nein! Viele Adlige mögen ja die Adelspartikel aus einer gewissen Nonchalance fortlassen, ein Teil macht es eben – überhaupt und so – mit. Aber mein Gewährsmann, der auf dem Mondflecken Nr. 87 wohnende Adolar von Bramberg, flüstert beim Vorstellen sein »Bramberg« mit einer Miene, aus der sein Gegenüber leicht entnehmen kann, Herr von Bramberg denkt im stillen Busen »es ist selbstverständlich, dass ich adlig bin, man muss es mir ansehen, auch muss man wissen, dass die Brambergs eben adlig sind«. Man kann sonst ganz gutmütig sein, aber doch seine Freude haben, wenn man erlebt, wie ein Herr von A. sich mit Weglassung der Adelspartikel vorstellt, aber dann nervöse Zuckungen bekommt, wenn er nur »Herr A.« angeredet wird. Ein kluger Herr von A. wird sich mit Gleichmut über die unheilvollen (?) Folgen seiner unvollständigen Namensnennung beim Selbstvorstellen hinwegsetzen, oder einfach darauf aufmerksam machen, dass er eben »von A.« heißt, ja unter Umständen, falls er einen auch als bürgerlich oft vorkommenden Namen trägt, dankbar für die Erkenntnis sein, in diesem Spezialfall doch lieber nicht fein zu sein, sondern sich in Zukunft besser als »von A.«, wie als »schlankweg A.« vorzustellen.
Das Weglassen der Adelspartikel beim Selbstvorstellen ist also meist eine nur vermeintliche Bescheidenheit, als wirkliche Bescheidenheit kann man es auffassen, wenn Jemand beim Selbstvorstellen nur seinen Familiennamen ohne Berufstitel nennt, und zwar als eine um so größere Bescheidenheit, je höher der Berufstitel ist. Nach meinen Erfahrungen gilt es im Allgemeinen für das Vornehmste, beim Selbstvorstellen nur seinen Familiennamen ohne Berufstitel zu nennen, namentlich wenn Letzterer ein verhältnismäßig niedriger ist. Aber – wie schon betont – Alles ist richtig, wofür ich einen logischen Grund habe. Lässt sich der Hauptmann M. in der Gesellschaft lieber »Herr Hauptmann M.« als, »Herr M.« titulieren, so wird er sich eben auch »Hauptmann M.« und nicht allein mit »M.« vorstellen. Auch wenn ich mich Jemandem vorstelle, von dem ich annehmen kann, er nennt den lieben Nächsten lieber mit seinem Berufstitel als mit dem bloßen Namen, weshalb soll ich ihm dann meinen Berufstitel verheimlichen!? Wenn ich mich z.B. Vielen vorzustellen habe und Wert darauf lege, von Berufsgenossen gleich erkannt zu werden, so ist doch eben das einzige Mittel hierzu, meinen Berufstitel beim Vorstellen zu nennen. Jemandem, der mir etwa markieren wollte, in der Zeremonie des Selbstvorstellens verdiente ich nicht die beste Zensur, den würde ich höflich und bestimmt bitten, eine andere Ansicht haben und dieser meiner Ansicht als der für mich maßgebendsten folgen zu dürfen.
Alles ist richtig, wofür ich einen logischen Grund habe.
Es ist Sitte, dass sich Herren nur etwa Gleichgestellten selbst vorstellen; einer Dame oder einem durch sein Alter oder sein Ansehen bedeutend höher stehenden Herrn wird man sich – wenn möglich – durch Andere vorstellen lassen, weil dies eben feierlicher ist. Ein Herr, der sich in diesen beiden Fällen selbst vorstellt, wird seine Abweichung von dieser Regel – namentlich Damen gegenüber – zu begründen suchen etwa mit den Worten: »In Ermangelung eines Dritten darf ich mich wohl selbst vorstellen, mein Name ist X.« Statt »Sich vorstellen« gebraucht man mit Vorliebe vielfach die einfacheren Worte »Seinen Namen nennen«, die dem wirklichen Vorgange doch eigentlich mehr entsprechen; denn unter dem Begriff Vorstellung müsste man eine längere Beschreibung als eine bloße Namensnennung verstehen. Unter etwa gleichgestellten Herren wird sich der zuerst vorstellen, der entweder – dies gilt für kleinere Gesellschaften – später erschienen ist, oder – bei großen Festen – Derjenige, der eben das Bedürfnis hat, sei es, einen Bestimmten kennen zu lernen, sei es, überhaupt Bekanntschaften zu machen. Übrigens für die Unsitte, sich leise vorzustellen, möchte ich in großen Gesellschaften als Milderungsgrund anführen, man wird sich die Namen aller Derer, die man kennen lernt, doch schwerlich merken können. Das Vorstellen – namentlich da man eben die Namen selten deutlich versteht – ist eigentlich eine sehr lästige Sitte; am praktischsten wäre es, wie dies hier und dort im Auslande geschieht, wenn der Stand und Name des eintretenden Gastes einfach durch einen dienstbaren Geist laut verkündet würde, statt aller weiteren Vorstellungen, mit deren Vermittlung man gewöhnlich die so wie so in Anspruch genommenen Wirte belästigt. Man darf im Punkt »Vorstellen« nicht kleinlich sein. Absichtliche Unterlassung wird es doch bei einem anständigen Menschen nie sein, wenn er sich einer Dame oder einem höher stehenden Herrn in einer Gesellschaft nicht vorstellen lässt. Je größer die Gesellschaft ist, um so leichter wird ein solches Versehen vorkommen. Ein wahrhaft vornehmer, billig und gerecht denkender Mensch wird für das Tun und Lassen des Nächsten immer die für diesen vorteilhafteste Erklärung finden, und das ist eben für das Unterlassen des Vorstellens eine einfache und bei großen Gesellschaften wahrhaftig verzeihliche Vergesslichkeit. Ein Höherer verrät wenig Selbstbewusstsein, wenn er denkt, Jemand, der es – unseren Gebräuchen zuwider – unterließ, sich ihm vorzustellen, hätte ihn absichtlich verletzen wollen. Aber das diesem Jemand etwa noch zu markieren, ist geradezu töricht, denn es ist ja auch für den seltenen Fall ungewandt, dass dieser Jemand den Anderen wirklich schneiden wollte. Wenn der sozial tiefer stehende A. den B. absichtlich nicht beachtet, dann schenkt ihm ja B. eine bedeutend größere Aufmerksamkeit, sobald er dem A. die hohe Ehre erweist, sich durch die Taktlosigkeit des A. verletzt zu zeigen. Wenn man sich nach unseren gesellschaftlichen Sitten nicht verletzt fühlen muss, so ist es am bequemsten und stolzesten, auch sogar absichtliche Vernachlässigungen seiner Person zu übersehen und der Ansicht zu huldigen, die Taktlosigkeit eines Anderen kann nur diesem selbst schaden.
Man darf im Punkt »Vorstellen« nicht kleinlich sein.
Auch ein anderes Versehen kann Einem leicht passieren, sich Jemandem zweimal auf einer Gesellschaft vorzustellen. Auch dadurch fühlen sich eingebildete und kleinliche Menschen verletzt. Das gewohnheitsmäßige »Ich habe schon die Ehre gehabt«, das sehr liebenswürdig klingen kann, wird dann von einem solchen Unglücksraben, der überall argwöhnisch Bosheiten wittert, etwas scharf ausgesprochen. Ich finde es vornehmer, den Andern sein Versehen überhaupt nicht fühlen zu lassen, also auch nicht durch ein liebenswürdiges »Ich hatte schon die Ehre«. Es ist natürlicher und praktischer, dem Andern, der sich Einem zum zweiten Male vorstellt, einfach – ohne jedes Zeichen der Verwunderung – eben den eigenen Namen auch zum zweiten Mal zu nennen; denn scheinbar hat er meinen Namen doch wieder vergessen und das usuelle »Ich hatte bereits die Ehre« sagt ihm doch nicht, wie ich heiße. Es kann ja Fälle geben, wo man das Herzensbedürfnis hat, Jemandem seine Nachlässigkeit vorzuhalten, aber in solchen Fällen bin ich für eine möglichst deutliche Kundgebung, wie etwa durch die Worte: »Ich heiße immer noch X.« – oder aber: »Mehr wie viermal sage ich Ihnen meinen Namen nicht, dann gebe ich es auf, dass Sie ihn behalten«. – »Den ganzen Namen behalten Sie doch nicht, ich werde Ihnen vorläufig nur die erste Silbe nennen.«
Ich bin für möglichste Vermeidung trivialer Phrasen, auch des liebenswürdigen »Ich hatte bereits das Vergnügen oder die Ehre«. Wenn es auch kleinlich ist, Jemandem ein abermaliges Vorstellen übel zu nehmen, deshalb braucht man dem Betreffenden doch nicht für seine Unachtsamkeit das Kompliment zu machen, dass man schon die Ehre und das Vergnügen hatte. Wenn man der abermaligen Nennung des eigenen Namens noch etwas hinzufügen will, damit der Vorstellungswütige nicht zum dritten Male kommt, dann sagt man vielleicht noch: »Übrigens, wir haben uns schon mal verraten, wie wir heißen« oder Ähnliches. Man muss die Gewandtheit haben, Jemandem einen kleinen Denkzettel geben zu können, ohne ihn deshalb zu verletzen. Noch schrecklicher finde ich beim Vorstellen die Phrase »Sehr angenehm«. Das ist doch auch dann geradezu eine Unwahrheit, wenn ich von dem Anderen noch nie etwas gehört habe; denn in diesem Falle weiß ich doch noch gar nicht, ob mir die Bekanntschaft des Anderen wirklich angenehm ist. Der Andere kann sich ja in meinen Augen als ein grässlicher, unausstehlicher Peter entpuppen. Etikettewidrig grob, aber logisch wäre es, beim Vorstellen auf ein »Sehr angenehm« unter Umständen statt des gleichlautenden Echos zu erwidern: »Ja, ich kann noch kein Urteil fällen, ich muss Sie erst kennen lernen.« Viele leiten auch die Nennung ihres Namens ein durch die Worte z.B. »Gestatten Sie« oder gar »Verzeihen Sie, mein Name ist Lehmann«. Ich würde dann doch lieber den abgekürzten Satz ganz aussprechen, also »Gestatten Sie, dass ich mich Ihnen vorstelle«. Denn wenn man die obigen beiden Abkürzungen wörtlich auffasst, so ist es doch etwas zu viel höfliche Demut, einen Anderen um die Erlaubnis zu bitten, »Lehmann« heißen zu dürfen, oder gar seines biederen Namens wegen um Verzeihung zu bitten.
Ich bin für möglichste Vermeidung trivialer Phrasen.