Dieter Bednarz

Schwer erleuchtet

Roman

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Dieter Bednarz

Dieter Bednarz, Jahrgang 1956, ist mehr als sein halbes Leben lang politischer Redakteur beim Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL und lebt mit Frau und drei Töchtern in Hamburg, bislang ohne Erleuchtungserlebnisse. Sein weitgehend autobiographisches Buch »Überleben an der Wickelfront« wurde als Spielfilm mit dem gleichen Titel zum Quotenerfolg im ZDF, ebenso wie die TV-Verfilmung seines Romans »Mann darf sich doch mal irren! – Unser Leben nach der Wickelfront«, der weitgehend fiktiven Fortschreibung der Familiengeschichte.

Impressum

© 2017 der eBook-Ausgabe Knaur eBook

© 2017 Knaur Verlag

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit

Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Martina Vogl

Covergestaltung: semper smile, München

Coverabbildung: semper smile unter Verwendung von Motiven von Shutterstock

ISBN 978-3-426-44074-2

Hinweise des Verlags

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Dem Ehrwürdigen Kosgoda Siri Sudhamma Thera

(19362016).

Es gibt keinen blinden Zufall.

 

Für Fanny, Lilly, Rosa und Esther.

Dank euch ahne ich, was der Buddha mit Karma meinte.

Kapitel 1

Wie schön«, sagte der Ehrwürdige Mönch Siri. Vorsichtig streckte er seine linke Hand aus, während seine rechte den abgewetzten Lederkoffer hielt, den Anandas Mutter ihm geliehen hatte. Zwei, drei, vier, fünf Schneeflocken fielen in seine offene Handfläche. Auf seiner dunklen Haut, in die das Alter tiefe Lebenslinien gegraben hatte, wirkten die Kristalle noch weißer, reiner, unschuldiger.

Der Mönch stellte den Koffer ab und reckte beide Hände wie eine Schale in den Nachthimmel. Als seien sie für ihn bestimmt, ließen sich die Flocken in seinen Handflächen nieder und glitzerten im Licht der Straßenlaterne vor dem großen alten Haus in der Fichtestraße Nummer sieben.

»Das ist eine große Freude«, sagte der Ehrwürdige Mönch und betrachtete die Kristalle mit seinen großen Augen, die so strahlend blau waren wie der Indische Ozean vor seinem Tempel bei Balapitiya. Er wandte sich dem Taxifahrer zu, der aus seinem Wagen stieg, den Reißverschluss seiner grünen Daunenjacke hochzog und seinen merkwürdigen Fahrgast aus respektvollem Abstand betrachtete. Der Mann war ein hagerer, geradezu ausgemergelter Typ, dessen Dreitagebart von den Magenfalten ablenkte, die ihm etwas Verbittertes gaben.

»Weiße Wesen«, sagte der Mönch, während er mit ausgebreiteten Armen durch den Schnee sprang. Schneeflöckchen, Weißröckchen, dachte er, und dann fiel ihm der Reim wieder ein.

»Schneeflöckchen, Weißröckchen,

Wann kommst du geschneit,

Du wohnst in den Wolken,

Dein Weg ist so weit.«

Lautete so nicht die erste Strophe des alten Kinderliedes, das ihm sein Tempelbruder Kandako beigebracht hatte? Weit mehr als ein halbes Jahrhundert war seither vergangen. Aber jetzt, mit achtundsiebzig Jahren, begegnete er, Siri, tatsächlich Weißröckchen, sah Schneeflöckchen vom Himmel fallen, konnte den Schnee auf der Haut spüren, ja sogar schmecken.

»Hi, hi!«, lachte der Mönch mit hoher Stimme, gefolgt von einem tiefen »Ho, ho!«. Es klang herzlich und frei, ja, fast kindlich naiv.

Trotz all seiner buddhistischen Gelassenheit war der Schneefall für den Ehrwürdigen ein so besonderes Erlebnis, dass er die bittere Kälte nicht spürte, die seine nackten Füße blau anlaufen ließ. Denn noch immer trug er jene Gummisandaletten, in denen er aus seinem Tempel aufgebrochen war, um sich zum dritten oder vierten Mal in seinem Leben auf den Weg in die Hauptstadt Colombo zu begeben. Und um das erste Mal sein Heimatland Sri Lanka zu verlassen.

Natürlich hatte der Ehrwürdige gewusst, dass der Februar in Deutschland ein Wintermonat war und schlichte Sandalen nicht vor Frostbeulen schützten. Deshalb hatte die Mutter seines Schülers Ananda irgendwo im Dorf ein Paar halbhohe Stiefel aufgetrieben und dem Mönch zusammen mit einem dicken orangefarbenen Halstuch in den Koffer gepackt. Bei der Ankunft in Hamburg hatte die Anprobe der Schuhe allerdings gezeigt, was Mönch Siri schon geahnt hatte: dass sie beim besten Willen zu klein waren. Doch er hatte die Gabe von Anandas Mutter nicht ablehnen können. Andere Menschen zu beschämen, so hatte es der Buddha seine Anhänger gelehrt, ziemte sich nicht.

Bei der Passkontrolle hatte sich der Ehrwürdige allerdings eine kleine Ausnahme erlaubt.

»Ja, was haben wir denn da?«, hatte der eine Polizist seinen Kollegen neben sich gefragt und dabei den Mönch von oben bis unten gemustert.

»Einen echten Nudisten!«, antwortete der andere spöttisch.

»Genau«, nickte der eine, »und der wird uns jetzt alle erleuchten.«

Vielleicht, hatte sich der Ehrwürdige hinterher gesagt, hätte ich den Spott schweigend ertragen sollen. Aber er fand, dass der Mann eine kleine Lektion in Respekt vor Fremden verdient hatte. Außerdem brannte der Mönch darauf, wieder Deutsch zu sprechen.

»Es geht nicht um das Erleuchtet-Werden. Es geht um das Erwachen. Aktiv statt passiv«, erklärte er und verneigte sich vor den Beamten.

»Sie … Sie …«, stammelte der eine Polizist, während sein Gesicht puterrot anlief.

»… können Deutsch?«, ergänzte der andere, der ganz blass wurde.

»Warum denn nicht?«, gab der Mönch zurück.

Aber der hochrote Beamte nahm die Gegenfrage gar nicht wahr, sondern rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Entschuldigung, war nicht böse gemeint«, murmelte er und reichte den Pass zurück.

»Ich danke Ihnen im Namen des dreifachen Juwels, Buddha, Dhamma, Sangha«, sagte der Mönch mit vor dem Herzen gefalteten Händen und wandte sich von dem einen Beamten ab, der ihm noch ein »Es tut mir leid!« hinterherrief. Der andere schwieg betreten.

Der Buddha wird mir die kleine Belehrung hoffentlich nachsehen, dachte der Mönch, während er auf das Ausgang-Zeichen zusteuerte.

Nachdem er sein Köfferchen vom Gepäckband genommen hatte, folgte der Ehrwürdige den vielen anderen Reisenden in die Ankunftshalle, wo er erst einmal dastand wie bestellt und nicht abgeholt, bis ihn ein Taxifahrer in grüner Daunenjacke ansprach: »You need Hilfe? Help?«

»Vielen lieben Dank, ich komme schon zurecht«, sagte der Mönch.

»Sie sprechen Deutsch?«, fragte der Fahrer, der darüber eher erleichtert als verwundert schien.

»Ich bewundere die deutsche Sprache«, antwortete der Mönch und verneigte sich vor dem Fremden.

Beeindruckende Stimme, dachte der Fahrer. So kraftvoll und ruhig, aber zugleich so jung und hell, dass sie gar nicht zu dem Alter des Mönchs passte, das er auf sechzig schätzte. »Ich stehe da drüben«, sagte der Mann in der grünen Jacke. »Ich fahre Sie für lau.«

Dieses letzte Wort kannte der Ehrwürdige nicht, die Bedeutung des Satzes aber erfasste er schon. Es müsse wohl so viel bedeuten wie »ohne Geld«, dachte er und beschloss, sich das Wort zu merken.

»Wohin will der Herr Mönch denn?«, fragte der Fahrer, während er dem Ehrwürdigen den Koffer abnahm, zum Ausgang geleitete und das Gepäckstück im Wagen verstaute.

»Zur Fichtestraße sieben, bitte, lieber Herr.«

»Na, denn mal los«, sagte der Fahrer, drehte den Zündschlüssel und fädelte sich in den Flughafenverkehr ein. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Mönch die Seitenscheibe herunterkurbelte, eine Hand aus dem Fenster streckte und in die Luft griff.

Der Fahrer blickte durch die Frontscheibe in den Himmel. Es begann zu schneien. Er seufzte leise: »O nein.« Eine Nachtschicht mit Neuschnee hatte ihm gerade noch gefehlt. Er schaltete die Scheibenwischer ein und tippte die Adresse ins Navigationssystem.

»Es ist bitterkalt«, sagte er in Richtung seines Fahrgastes und nickte zu dessen offenem Fenster hin.

»Verzeihen Sie«, sagte der Ehrwürdige, drehte die Scheibe wieder hoch und lehnte sich lächelnd zurück. Er freute sich über den Schnee. Und er freute sich, dass er in genau dieses Taxi eingestiegen war. So hatte er dem Fahrer die Gelegenheit zu einer guten Tat gegeben. Das war ein schöner Start für seine Reise.

 

»Wir sind da«, sagte der Fahrer und bog in eine kleine Straße mit gepflegten Altbauten ein. Noch bevor er dem Mönch die Tür öffnen konnte, sprang der Ehrwürdige mit einer Behendigkeit aus dem Wagen, die man ihm nicht zugetraut hätte, und entzückte sich am Schnee.

Eigentlich war der Fahrer nur ausgestiegen, um seinem sonderbaren Gast »Tschüss« zu sagen. Nun aber blickte er fasziniert in das Gesicht dieses Fremden, das ein einziges breites Lachen war. Die Zähne waren so groß, so blendend weiß, dass die seitlichen Zahnlücken in den Freudestrahlen untergingen.

Auch der Fahrer schaute nun hoch in den Nachthimmel und breitete gleichfalls seine Arme aus, um die Flocken zu umarmen. Wie der Mönch fing er die Kristalle ein und blies sie wieder in die Nacht zurück. Und er begann zu lächeln, zu strahlen, zu lachen und empfand eine ihm unbekannte, tiefe Freude – über Schneeflocken. Erst wiegte er sich mit den Flocken, dann machte er kleine Schritte. Schließlich tanzte auch der Taxifahrer mit den Flocken. Erst als ein Pizza-Service-Wagen in die Fichtestraße einbog und Scheinwerfer die beiden Männer im Schnee erfassten, hielt er inne.

»Ich muss dann mal los«, sagte er etwas verlegen, drehte sich mit einem Nicken seinem Wagen zu und klemmte sich hinters Steuer.

Während er den Zündschlüssel drehte, sah der Fahrer noch einmal in den Rückspiegel und schüttelte den Kopf. Wie ein großer oranger Fleck stand der Mönch noch immer vor der Nummer sieben, mehr auf der Straße als auf dem Bürgersteig, nur Flipflops an den Füßen, fing Flocken ein, betrachtete sie und pustete sie in die Nacht zurück.

Die Taxe rollte langsam an. Die Frontscheibe war schon wieder eingeschneit, und der Fahrer schaltete die Wischer ein. Als sie die Flocken wegfegten, hielt er einen Moment inne.

Weiße Wesen.

Er schüttelte sich. Bekam er jetzt Mitleid mit Schneeflocken? Er drückte das Gaspedal durch, als wollte er diesem Gedanken entkommen.

Kapitel 2

Nicht jetzt.« Maya schob Daniels Hand sanft zur Seite. »Es kann jeden Moment klingeln.«

»Und wenn schon.« Daniel küsste Maya liebevoll in den Nacken. »Wir müssen ihm ja nicht aufmachen.«

Sie drehte sich zur Seite. »Bitte.« Unter dem Vorwand, nach ihrem Weinglas zu greifen, befreite sie sich aus Daniels Umarmung, stand augenzwinkernd auf und ging auf die offene Schiebetür zu. Sie warf einen langen Blick auf den eingedeckten Tisch im Esszimmer. Gläser, Teller, Besteck, die Kerzen, sogar die Damastservietten hatte Daniel aus den Schubladen hervorgeholt. Aus den Boxen erklang Robbie Williams, den Daniel für einen »Schmalzheini« hielt. Umso mehr wusste sie zu schätzen, dass er dessen neueste Songs heruntergeladen hatte. Für sie.

Maya wandte sich wieder Daniel zu, der sich in die Couch hatte zurückfallen lassen und seine Beine unter den Zeitungstisch ausstreckte.

»Wirklich, Danny, das hast du sehr schön gemacht.« Lachend prostete sie ihm zu.

»Zeit hatte ich ja wieder mal genug, heute«, brummte Daniel und erinnerte Maya daran, dass sie vorhin nur knapp an einem Krach vorbeigeschrammt waren.

»Ich dachte, du hättest deiner überarbeiteten Anwältin vergeben«, sagte sie mit dem aufgesetzten Blick einer reuigen Sünderin.

Daniel musste sich anstrengen, weiter beleidigt zu schauen. Er liebte Mayas Selbstbewusstsein, ihre Ironie, und er hatte großen Respekt vor ihr als Juristin. Aber dass sie sich auch an diesem Sonntag wieder nicht von ihren Akten hatte trennen können, hatte ihn mit jeder Stunde, die sie ihn hatte warten lassen, mehr und mehr verärgert.

Familienanwältin zu sein, hatte sie ihm einmal erklärt, sei nun mal ein Saisongeschäft. Nach Weihnachten und Neujahr herrsche Hochbetrieb. Dann zeigten die Dramen unter dem Tannenbaum ihre Wirkung.

Maya war dankbar für diese Stunden an den Wochenenden, in denen sie, allein in der Kanzlei, ihre Akten abarbeiten konnte. Über ihren Fällen zu sitzen, sich reinzuknien, dieses Suchen nach Widersprüchen und Lücken, dieses Kombinieren von Fakten und Paragrafen, verschaffte ihr eine große Zufriedenheit. Doch im Gegensatz zu nicht wenigen Kollegen ging es Maya auch immer um die Menschen, die ihren Rat suchten, die sie brauchten. Wirklich helfen zu können machte sie glücklich.

»Meine kleine Samariterin«, verspottete Daniel sie mitunter, wenn er wieder glaubte, ihr sei ein Fall wichtiger als er. Wenn er sich besonders vernachlässigt fühlte oder schlecht gelaunt war, weil er sich im Sender geärgert hatte, warf er ihr allerdings auch zu großen Ehrgeiz vor, über den sie Zeit und Raum vergessen konnte – und auch ihn.

Erst seine SMS »Wein ist gleich verdunstet«, ohne Kuss, ohne Gruß, hatte sie am heutigen Abend aus der Akte gerissen, die sie die letzten Stunden beschäftigt hatte. Typen wie dieser Wulf, um den es darin ging, waren genau der Grund, warum Maya sich auf Familienrecht spezialisiert hatte und mit Strafrecht möglichst wenig zu tun haben wollte. Aber Wulf war eine Erblast aus der Anwaltszeit ihres Vaters – und deshalb nahm sie dessen Fall besonders ernst. Sie wollte ihrem alten Herrn zeigen, dass er ihr seine Kanzlei zu Recht übergeben hatte.

»Ich gehe schon«, sagte Daniel, als es klingelte. Er riss die Wohnungstür auf und schaute erwartungsvoll ins Treppenhaus. Barscher, als er es eigentlich wollte, rief er: »Na, das wurde aber auch Zeit.«

Ein junger Mann mit orangefarbenem Turban und brustlangem schwarzen Bart lief die Stufen hinauf und auf ihn zu. Strahlend hielt er Daniel zwei Pizzakartons unter die Nase, den einen mit links, den anderen mit rechts. Die Rechnung klemmte zwischen seinen Lippen.

»Wie heißt diese Zirkusnummer bei Ihnen in Indien?«, fragte Daniel. Als bereute er seinen spöttischen Ton, zog er zwei Zehneuroscheine aus der Tasche, sagte: »Stimmt so« und nahm dem Mann die Lieferung ab.

Der Pizza-Kurier sagte nur: »Namaste«, verbeugte sich tief und eilte die Treppe hinunter.

»Der hatte ja Unterhaltungswert«, meinte Maya, die Daniel aus dem Wohnzimmer gefolgt war, und schloss die Tür.

»Er hat jedenfalls mehr Trinkgeld bekommen, als ich sonst gebe«, sagte Daniel, während er sich in sichtlicher Vorfreude über seine Pizza beugte.

Maya schenkte Wein nach, und sie stießen an.

»Auf nachher«, sagte Daniel mit einem breiten Grinsen, als es erneut klingelte. Mit einem entnervten »Was ist denn?«, öffnete er die Tür. Drei Stufen unter ihm stand der Pizza-Inder, der offensichtlich kein Deutsch konnte, und gestikulierte wild in Richtung Parterre.

»You come, please, Mister.«

»You crazy?«, fragte Daniel.

Der Mann eilte die Treppe hinunter und kam wieder hoch.

»I think you have some very special visitor, Sir«, sagte er grinsend.

Daniel schaute zur Wohnungstür und rief: »Schatz, komm mal!« Dann sah er wieder in den Hausflur, atmete tief durch und bemühte sich um ein freundliches Gesicht.

»Wer ist denn da?«, wollte Maya wissen.

»Die Erleuchtung«, rief Daniel über die Schulter zurück.

Maya drängte sich neben ihn ins Treppenhaus, sah Orange, sah Schwarz, sah Weiß, sah den Ehrwürdigen Mönch Siri, der aus der Kälte kam und nun direkt vor ihr stand. Über seinem rechten Arm hing ein roter Schirm.

Der Mönch faltete die Hände vor dem Herzen: »Guten Abend, liebe Maya und lieber Daniel. Im Namen des dreifachen Juwels Buddha, Dhamma, Sangha wünsche ich Ihnen alles Liebe und Gute.« Er verneigte sich tief.

»Lieber Mönch«, sagte Maya, »welch freudige Überraschung.«

Der Mönch bei uns vor der Tür, dachte Daniel, wie grotesk. Was will er hier? Und warum hat er vorher nichts gesagt?

Maya stieß Daniel an, und die beiden verneigten sich mit einem synchronen »Ayubowan« vor dem Mönch, der selbst im fahlen Licht eines Hamburger Altbauflurs eine einzigartige Würde ausstrahlte.

Daniel fand als Erster zurück in die Routine, mit der man unerwartetem Besuch begegnete: »Kommen Sie doch erst einmal herein, lieber Ehrwürdiger Mönch.«

»Wollen Sie nicht ablegen?«, erkundigte sich Maya, weil der Mönch einfach nur still in der Diele stand.

»Danke, gerne«, sagte der Mönch und reichte Maya seinen Schirm. Nach einem kurzen Zögern legte er auch seinen Schal und die dicke Oberrobe ab.

»Wir sind gerade beim Abendbrot«, erklärte Daniel, führte den Mönch ins Esszimmer und rückte ihm einen Stuhl an der Kopfseite des Esstisches zurecht. »Hätten Sie uns gesagt, dass Sie vorbeischauen, hätte ich eine Pizza mehr bestellt.«

Sehr witzig, dachte Maya, und ihr lag schon eine entsprechende Bemerkung auf der Zunge. Aber der Mönch lachte tatsächlich. Maya entschied sich, höflich mitzulächeln – und dem Mönch in der Küche einen Tee zu bereiten. Teetrinken schadete nie.

Daniel hatte mit unerwarteten Situationen weniger Probleme. Der Mönch würde schon erzählen, was ihn nach Hamburg führte. Jetzt ging es erst einmal darum, sich über die ersten Minuten zu retten und vor allem die Pizzen zu zerteilen.

Mit einem großen Becher grünen Tee für den Ehrwürdigen kam Maya gerade noch rechtzeitig aus der Küche zurück, um zu verhindern, dass Daniel dem Mönch ein riesiges Stück ihrer Pizza Parma anbot.

»Entschuldigen Sie, Ehrwürdiger Mönch«, sagte sie so sanft, wie es ihr Ärger zuließ, »Daniel hat vergessen, dass Buddhisten Vegetarier sind.«

»Aber das ist doch nur Schinken«, entgegnete Daniel und fing sich von Maya einen bösen Blick ein. Er konnte so peinlich sein.

»Ha, ha«, lachte der Mönch. Er mochte Daniels Humor. Er hatte darüber schon auf Sri Lanka lachen können, als er Daniel und Maya kennengelernt hatte.

Maya aber blieb ernst.

»Daniel, bitte! Ganz bestimmt essen wir nicht vor den Augen eines buddhistischen Mönchs totes Schwein, oder?« Bei dem rein rhetorischen »Oder?« war Maya mit den Pizzen bereits Richtung Küche entschwunden.

So viel Umstand für einen kleinen Mönch wie mich, dachte der Ehrwürdige. Andererseits, das sagte der Buddha ja selbst, kommt das Leben, wie es kommt. Der Ehrwürdige fand es nur schade, dass Mayas Geschäftigkeit und Daniels Sticheleien ihm keine Gelegenheit gaben, etwas Wichtiges zu erklären.

Bei Maya lag das daran, dass sie gerade verzweifelt nach ungeschältem Reis suchte. Den aß der Mönch gern, am liebsten mit Mango-Mousse – das wusste sie noch von ihrer Zeit in Balapitiya. Hätte er mich doch nur vorgewarnt, dachte sie, während sie in der Speisekammer kramte, dann wäre jetzt auch ungeschälter Reis im Haus. Doch konnte sie den Mönch einfach bei einem Becher Tee sitzen lassen? Sah er nicht müde aus, wirkte er nicht erschöpft, gar hungrig? Und wohnten sie nach bald drei Jahren nicht schon lange genug in diesem Haus, um bei den Nachbarn mal nach etwas Reis zu fragen?

Vorne im Esszimmer schienen sich der Ehrwürdige und Daniel gut zu unterhalten. Wahrscheinlich versuchte Daniel, ihrem Gast zu erklären, dass Salsiccia kein Fleisch sei, sondern nur eine scharfe Wurst. Egal, dachte Maya und zog leise die Wohnungstür hinter sich zu.

Die alten Willers von gegenüber mögen uns wirklich, machte sie sich Mut und klingelte. Aber Nana Willer schüttelte den Kopf, auch Thorsten Möhring aus der Wohnung über ihnen konnte nicht helfen. Schließlich versuchte es Maya sogar bei den neuen Mietern unten rechts, den Montineros. Doch da war keiner da. Vielleicht mag der Mönch auch Kartoffeln, dachte Maya, als sie die Stufen wieder hochging.

»Fehlt es an was?«

Bitte nicht die Korbanek, durchzuckte es Maya. Die einzigen Mieter, die sie nicht mochte, waren die Korbaneks, Parterre unten links. So wie die, da war sie sich mit Daniel einig, wollten sie niemals enden: kinderlos, frustriert, unfreundlich.

»Ach, schon gut«, antworte Maya, ohne sich umzudrehen.

»Ich dachte, ich hätte etwas von Reis gehört«, sagte die Korbanek.

Lauschen tun Sie also auch noch?, wollte Maya fragen, aber Ärger brauchte sie jetzt ganz und gar nicht.

»Hätte ich da«, fügte die Korbanek hinzu.

Lächeln, zwang sich Maya, ging auf die Korbanek zu und sagte in geschäftsmäßiger Freundlichkeit: »Damit würden Sie mir sehr helfen. Wir haben nämlich einen Bekannten zu Gast, Vegetarier, Bio-Kost und so.«

»Ach, wenn man jungen Mietern helfen kann«, flötete die Korbanek und reichte ihr eine Packung. »Ungeschält, gesünder geht’s nicht.«

Maya wollte schon an ihrer Menschenkenntnis zweifeln, als sie den alten Korbanek aus der Wohnung brüllen hörte: »Was ist denn da los?«

»Ich komme gleich, Walter«, rief seine Frau zurück und wandte sich wieder Maya zu. »Ich habe da noch etwas. Ich glaube, das könnte Ihrem …«, sie räusperte sich, »… Ihrem Bekannten gehören, stand an der Treppe zum Keller.« Sie reichte Maya einen abgewetzten Koffer.

»Ja, danke«, sagte Maya und nahm ihn entgegen. Der Mönch musste den Koffer hier unten abgestellt haben, bevor der Pizza-Inder ihn hochgelotst hatte. Warum hatte er nicht einfach geklingelt?

»Unser Haus ist Ihr Haus«, hatte Daniel dem Mönch damals zum Abschied gesagt. Maya hatte es nicht vergessen.

 

Auch Daniel dachte an ihren Urlaub, der eigentlich mehr Mayas Ayurveda-Kur gewesen war. Und er erinnerte sich an den großen Gefallen, den der Mönch ihm – oder besser Maya – erwiesen hatte mit dieser wirklich einzigartigen Hochzeitszeremonie in seinem Tempel. Einfach so, um ihnen eine Freude zu machen. Im Gegenzug war Daniel aber auch großzügig gewesen mit seiner Fünfhundert-Euro-Spende für die Renovierung des Tempels; und das Essen und Trinken für das halbe Dorf war auch auf seine Rechnung gegangen. Nein, Daniel war dem Mönch nichts schuldig – außer einem warmen Abendessen. Wenn es unbedingt sein musste, auch fleischfrei.

»Wohin soll es denn jetzt noch gehen?«, fragte Daniel, während der Mönch seinen letzten Schluck Tee trank.

»Freunde haben mich nach Hamburg eingeladen«, antwortete der Ehrwürdige, »aber heute Abend bin ich ihnen ungelegen gekommen …«

»… und da dachten Sie, schaue ich doch mal bei der lieben Maya und dem guten Daniel vorbei«, meinte Daniel grinsend.

Der Ehrwürdige Mönch hätte dazu gern etwas gesagt, aber Maya stand triumphierend in der Esszimmertür: »Der Reis braucht noch eine gute halbe Stunde. Ungeschälter Reis, lieber Mönch.«

»Bravo«, rief Daniel und klatschte Beifall.

Blödmann, dachte Maya. »Vielleicht bist du so nett und bereitest dem Ehrwürdigen in der Zwischenzeit sein Bett, Danny?«, flötete sie. »Sein Koffer steht bereits im Gästezimmer.«

Nun wollte der Mönch nicht länger schweigen.

»Bitte, liebe Maya, machen Sie sich keine Umstände. Ich bin nur …«, er musste nun aufpassen, was er sagte, »… auf der Durchreise.«

Doch Maya hatte sich entschlossen, dem Ehrwürdigen Mönch Siri Obdach zu geben. Sie würde den Mann, dem sie so viel zu verdanken hatte, nicht hinaus in den Schnee schicken! »Unser Haus ist auch Ihr Haus, Ehrwürdiger«, sagte sie freundlich. Sie warf Daniel einen scharfen Blick zu.

»Ist zwar nur eine Mietwohnung«, entgegnete Daniel schulterzuckend, »aber bitte, kommen Sie, lieber Mönch, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.« Er hatte in den Jahren mit Maya durchaus gelernt, Schlachten verloren zu geben.

Kapitel 3

Es war ein schöner, großer Raum, den Daniel dem Mönch als »unser Gästezimmer« präsentierte, obwohl der Schreibtisch mit den Aktenordnern und dem Computer zeigte, dass hier, wenn kein Besuch den Raum belegte, vor allem gearbeitet wurde.

»Richtig gute Matratze«, sagte Daniel, als er sich demonstrativ auf das Bett setzte und ein wenig darauf wippte. Bevor der Mönch noch etwas sagen konnte, hatte sein Gastgeber aus dem Bettkasten frische Laken, Kopfkissen und Decke hervorgeholt, schüttelte alles auf, verneigte sich mit vor dem Herzen gefalteten Händen, wünschte »Schlafen Sie gut!« und schloss die Tür hinter sich.

Das ging aber schnell, dachte der Mönch, war aber nicht undankbar, nun allein zu sein. Er merkte an seiner Erschöpfung, dass er fast zwei Tage unterwegs gewesen und auch nicht mehr der Jüngste war.

Behutsam legte er seinen Koffer auf das Bett und öffnete die schon etwas angerosteten Schlösser. Alles was er neben der Kleidung, die er trug, besaß, passte in dieses alte Stück, das die Mutter seines Tempeljungen Ananda ihm für die Reise überlassen hatte: eine zweite Robe, bestehend aus Ober- und Unterkleid sowie ein Stoffbeutel mit Nadeln und orangen Fäden. Außerdem hatte er noch ein Rasiermesser und eine Zahnbürste eingepackt; mehr durften Mönche nicht ihr Eigen nennen. Und mehr, außer kaltem Wasser, brauchte der Ehrwürdige auch nicht.

Der Mönch legte seine wenige Habe auf den Schreibtisch, den Daniel gleich zu anfangs halbwegs freigeräumt hatte. Er holte auch die Stiefel hervor, die Anandas Mutter ihm mitgegeben hatte, die ihm aber zu klein waren. Besondere Achtsamkeit widmete er einem großen Topf mit Deckel, der den Großteil des Koffers ausfüllte und mit einem Hüftgurt ausgestattet war, mit dem man ihn umschnallen konnte. Das war seine Bettelschale. Der Mönch öffnete sie und zog ein oranges Bündel hervor. Es war das Halstuch, das ihm Anandas Mutter »gegen die Kälte« mitgegeben hatte. Wichtiger als seine Gesundheit war dem Mönch die Unversehrtheit der Buddha-Figur, die er nun aus dem Stoff wickelte. Die Figur hatte in Balapitiya ihren Platz neben seinem Nachtlager und sollte ihm auch in der Fremde nicht fehlen.

Liebevoll betrachtete er die Figur aus makellos reinem Marmor und stellte sie mit größter Behutsamkeit auf den Nachttisch neben dem Bett. Er verneigte sich vor dem Buddha, ließ sich im Lotussitz nieder und rezitierte einige alte Verse, in denen er den Erhabenen und Erwachten um Nachsicht bat. Für ein längeres Zwiegespräch mit dem Buddha, wie er es im Tempel häufig führte, war er zu erschöpft.

Als der Mönch den Eindruck hatte, dass Daniel und Maya zu Bett gegangen waren, erledigte er seine Abendtoilette und legte sich im Gästezimmer nieder.

Seit er denken konnte, war er ein ausgezeichneter Schläfer, der nur die Augen schließen musste, und schon hatte ihn die Nacht umfangen. Normalerweise. An diesem ersten Abend in Hamburg aber war er zwar einerseits erschöpft, ein Gefühl, das er nicht wirklich kannte, andererseits aber zu aufgedreht von all dem Neuen, um zur Ruhe zu kommen.

Hätte er nicht doch besser mit seinem inneren Buddha sprechen sollen?

Er überlegte, wieder aufzustehen, schaltete die Nachttischlampe an, und entschied sich aber für eine genauere Betrachtung der Decke, deren Verzierungen ihn schon beim ersten Betreten des Zimmers fasziniert hatten. So eine kunstvolle Decke hatte er noch nie gesehen. Er würde seine beiden jungen Freunde morgen fragen, was das deutsche Wort war für diese Zeichen im Winkel zwischen Decke und Wand und rund um die Deckenlampe. Vor sehr langer Zeit hatte sein Klosterbruder Kandako ihm davon erzählt, dass es in Deutschland viele alte Häuser gab, die Ende des vorvergangenen oder Anfang des letzten Jahrhunderts gebaut worden waren, vor allem in großen und reichen Städten wie Berlin und Hamburg, und die für ihre hohen Decken und für ihren – wie sollte er sagen? – Schmuck bekannt waren.

Der Mönch rätselte, was diese Verzierungen wohl zeigten: Waren es Trauben? Oder nur Kringel oder gar kleine Figuren und Zeichen? Über die Jahrzehnte hatten die verschiedenen Bewohner die Darstellungen offensichtlich immer wieder übermalt, so dass sie unter den Farbschichten nur noch zu erahnen waren.

Was für ein Luxus, dachte der Mönch, solch eine schöne Decke über seinem Kopf zu haben, verglichen mit der über seinem Nachtlager in Balapitiya. Dort war seine Schlafstelle ein kleiner, abgetrennter Teil der Dhamma-Halle, der Halle der Lehre. Nach dem Unterricht in der Dorfschule hatten seine Mit-Mönche und er hier die Kinder aus den benachbarten Hütten in Buddhas Lehre unterwiesen.

Vor dem Tsunami. Bevor das große Wasserbeben 2004 die Schule und die Halle schwer zerstört hatte.

Damit in den heißen Sommern der Meereswind die Lernenden erfrischte, waren beide Gebäude vor über zweihundert Jahren zum Strand hin errichtet worden – und damit der Monsterwelle besonders ausgesetzt gewesen.

Bis zu der großen Flut hatte der Ehrwürdige über der Lehrhalle ein eigenes Zimmer gehabt. Doch in seiner alten Schlafkammer und seiner Studierstube mit dem großen Sessel, in dem er so gern gelesen oder aus dem er so oft aufs Meer hinausgesehen hatte, nisteten nun Vögel und trippelten nachts Ratten. So schlief er seit dem Tsunami unten, wo nur ein dunkler Vorhang ein wenig Privatsphäre schaffte und dem Ehrwürdigen den Anblick der weggerissenen Mauern und zerstörten Fenster ersparte.

Sein erster Blick morgens und sein letzter Blick abends galten der Decke, dem Boden des ersten Stocks, seinem neuen Dach, weil das eigentliche fortgerissen worden war bis auf ein paar Balken. Und jeden Morgen und jeden Abend fragte er sich, wann die Decke wohl einstürzen würde? Schien der Riss an manchen Tagen nicht wieder etwas länger und tiefer geworden zu sein?

Aber was sollte er tun? Das Geld, das er von der Regierung bekommen hatte, um die gröbsten Flutschäden zu beseitigen, hatte er im Dorf verteilt. Brauchte er ein neues Dach, solange die Decke noch hielt? Nein. Brauchten die Menschen in seinem Dorf, liebe Menschen wie sein Tempeljunge Ananda und dessen Mutter, jede Rupie? Ja. Denn die Felder gaben wenig her. Arbeit im nahen Balapitiya, das an den Touristen gut verdiente, hatten die wenigsten der Dorfbewohner.

Ich werde es schon merken, tröstete sich der Mönch an manchen Tagen, wenn mir die Decke auf den Kopf fällt.

Und »Mir fällt die Decke auf den Kopf« murmelte der Mönch, während er die Augen wieder öffnete. Eine deutsche Redewendung. Morgen würde er nachschlagen, was genau damit gemeint war.

Der Ehrwürdige besaß keine Uhr. Gefühlt wachte er in seinem Tempel meist so gegen vier Uhr auf. Erfrischt und tatendurstig, aber nicht überstürzt oder unruhig, öffnete er dann die Augen. Immer zuerst das linke, das den Tag begrüßte. Er schloss es wieder, verabschiedete den Schlaf, öffnete dann das rechte Auge, um erneut den Tag zu begrüßen, schloss es wieder, um die Nachtruhe zu würdigen, und öffnete dann beide Augen, um sich der Vergänglichkeit bewusst zu werden, etwa indem er den Riss in der Decke betrachtete. Hätte er an jenem 26. Dezember vor mehr als einem Dutzend Jahren nicht gerade im Tempel die Kerzen angezündet, die Welle hätte ihn fortgerissen, so wie sie fünf andere Mönche in den Tod gezogen hatte, die in der zum Strand gelegenen Dhamma-Halle meditierten. Als der letzte Mönch des Tempels hatte der Ehrwürdige Siri die Leichname seiner Mitbrüder verbrannt und ihre Asche übers Meer wehen lassen, so wie der Wind eines Tages auch seine Überreste forttragen würde.

Wieder schaute der Mönch in Mayas und Daniels Gästezimmer an die Decke. Loslassen ist der Schlüssel zum Glück, dachte er, einer der Leitsätze des Buddha, der Schlüssel zu einem erholsamen Schlaf.

Aber heute wollte ihm das Loslassen nicht gelingen. Zu viel Neues hatte er zu verarbeiten: Er hatte das erste Mal in seinem Leben ein Flugzeug bestiegen, das erste Mal Schnee gesehen und gespürt. Er hatte die beiden jungen Menschen wiedergesehen, für die er die Zeremonie in seinem Tempel ausgerichtet hatte.

Der Mönch erinnerte sich noch gut an jene Begegnung im November des vorvergangenen Jahres, die ihn schließlich an diesem Abend in die Fichtestraße geführt hatte. Wie an jedem Morgen hatte der Ehrwürdige auch an jenem Tag nach dem Aufwachen und dem Blick zur Decke die Läden seines Fensters aufgestoßen, das eigentlich gar keins mehr war. Die Scheiben waren zerstört. Aber immerhin gab es noch einen Rahmen, ein Fensterkreuz und einen Griff, um es zu öffnen. Er erinnerte sich noch, dass er an jenem Morgen über diese kleine Marotte mal wieder geschmunzelt hatte. Danach war er zu dem großen Kirschholzschrank gegangen, der gegenüber seiner Schlafpritsche stand. Er war das einzig kostbare Möbelstück, das der Mönch besaß. Die Tsunami-Welle hatte den Schrank zwar umgeworfen und das einst mit eingeschliffenen Lotusblumen verzierte Glas in der Tür zerschlagen, der Schrank selbst aber war wundersam unversehrt geblieben.

Auch sein kostbarer Inhalt hatte kaum etwas abbekommen: Es waren die achtzig schweren Lederbände des Tipitaka. Alle Lehrreden des Buddha, aber auch die Regeln und Gebote für das Leben der Bhikkhus, der Mönche, waren in diesen Bänden aufgezeichnet. Und es gehörte zu den vielen, auch ganz persönlichen Ritualen des Mönchs, einfach eine Stelle in diesen Bänden aufzuschlagen und über sie zu meditieren.

An diesem Morgen erwischte der Mönch jene Zeilen, in denen der Buddha über den Tod des weisen Daruciriya sprach. Ja, dachte der Mönch, Daruciriya hatte es geschafft. Das Nirwana. Alle persönlichen Vorstellungen, alle Gier, aller Egoismus, alles, was zu Enttäuschung führt, war in ihm verweht. Würde er, der unbedeutende Mönch Siri, selbst jemals so weit kommen in der Entwicklung von Geist und Seele?

Schon allein die Frage ist meiner nicht würdig, dachte der Mönch. Entweder man erwachte eines Tages oder man erwachte nicht. In beiden Fällen sollte man nicht darüber reden. Schon gar nicht sollte man von Erleuchtung reden, wie das diese Touristen taten, die in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr geworden waren. Sich dreimal vor einer Buddha-Statue verneigen und dann auf die Erleuchtung warten, das war typisch für die Menschen im Westen. Das hatte ihm schon der Ehrwürdige Kandako gesagt. Und sein einstiger Mitbruder vor vielen Jahrzehnten wusste, wovon er sprach. Er war selbst ein Westler gewesen. Und die im Westen, so hatte Kandako schon vor mehr als einem halben Jahrhundert dem damals noch jungen Siri erklärt, die glaubten immer, bei der »Erleuchtung« würde so etwas wie ein »Heiliger Geist« in sie fahren und dann seien sie im Nirwana.

Wie an allen anderen Tagen genoss der Ehrwürdige auch an jenem Tag, der nicht nur Mayas und Daniels Leben verändern sollte, den Sonnenaufgang. Er empfing jeden neuen Morgen in tiefer Dankbarkeit, dass er auch mit achtundsiebzig Jahren noch so rüstig war. Oft dachte der Mönch, dass es die Liebe war, die ihn so jung hielt. Die Liebe zu den Menschen, zu den Tieren, zu dem Tempel, der sein Zuhause war, seit er als Sechsjähriger an der Hand seines Vaters um die Aufnahme gebeten hatte.

 

Zu der kleinen Welt des Mönchs Siri zählte auch »Pünktchen«, ein mehr als ausgewachsener Waran, über zwei Meter lang und um die zwanzig Kilo schwer. Der Ehrwürdige kümmerte sich um solche Angaben ebenso wenig, wie er auf die Uhrzeit achtete. Aber dass Pünktchen, den er wegen der hellen Flecken auf seinem Rücken so genannt hatte, ein besonders beeindruckendes Exemplar war, merkte man schon daran, dass keines der Kinder aus dem Dorf mit ihm Schabernack trieb. Keiner der Jungen wollte einen Schwanzschlag abbekommen oder mit den scharfen Krallen des Tieres Bekanntschaft machen. Für die Männer im Dorf waren Warane eine begehrte Beute, um sie zu verspeisen und ihre Haut zu verkaufen. Doch Pünktchen hatte nichts zu befürchten. Er stand unter dem Schutz des Ehrwürdigen, der ihm jeden Tag vor den Tempel eine große Schale mit frischem Wasser stellte. Dazu gab es ein paar leichte Klapse auf die flache Schnauze. Zufrieden ließ der Waran seine lange Zunge ein paar Mal hervorschießen, bevor er wieder Mäuse und Ratten jagte und sich über den wenigen Abfall, den der Ehrwürdige verursachte, hermachte.

Und dann war da noch »Söckchen«, die Haus-und-Hof-Katze des Tempels, die an ihren Pfoten weiß gezeichnet war, als würde sie kurze Strümpfe tragen. Trotz der vielen Jahre, die sich Söckchen das Gelände mit Pünktchen teilte, traute sie dem Waran nicht.

Auch an diesem Morgen gab der Ehrwürdige dem Kätzchen seine Schale mit Milch, obgleich sie ihm dann selbst für den Tee fehlte. Aber wenn sich Söckchen vor Siri auf den Rücken warf und sich ausgiebig kraulen ließ und dabei behaglich schnurrte, dann war der Ehrwürdige sehr glücklich und verzichtete gern.

Wie das Anzünden der Kerzen im Tempel und die Meditationen gehörte es zu den täglichen Ritualen des Mönchs, mit dem Buddha Zwiesprache zu halten.

Nun war der historische Buddha schon rund zweitausendfünfhundert Jahre tot, und die große Figur nach dem Ebenbild des Erwachten im Eingang des Tempels war nicht mehr als eine schön bemalte Statue. Man darf sich den Dialog zwischen dem Mönch und dem Buddha also nicht als laute Rede zwischen einer Gipsfigur und einem allein in seinem Tempel lebenden Mann vorstellen, der vielleicht etwas wirr geworden war. Vielmehr war der Mönch in den Jahrzehnten der Meditation der Erkenntnis der Wahrheit so nahe gekommen, dass er in Momenten der Besinnung den Buddha vor seinem geistigen Auge sah und ihn auch wirklich hörte – so wie es der Erwachte vor seinem Tod den Mönchen, den Baches, zum Trost in Aussicht gestellt hatte: »Wer die Wahrheit sieht in meiner Lehre, der sieht auch mich.«

Die Dialoge des Mönchs Siri mit seinem inneren Buddha führten bisweilen zu munteren Diskussionen über die Lehre und das Leben.

Am Morgen jenes Tages hatte er nach seinem Dialog mit dem inneren Buddha wie jeden Vormittag seine Satipatthana-Meditation begonnen, mit der er seine Achtsamkeit schulte.

»Ich atme ein«, sagt er langsam, sehr langsam. »Ich atme aus«, sagte er noch langsamer. So zählte er zehn Atemzüge und begann dann wieder von vorne. Dabei betrachtete er seinen Körper, »von der Fußsohle an aufwärts und vom Haarschopf abwärts«, wie es der Buddha einst geraten hatte. Alle zweiunddreißig Körperteile, wie sie in den alten Schriften aufgeführt waren, stellte er sich bewusst atmend von. Vom Kopfhaar, über Haut und Fleisch bis hin zu Galle, Eiter, Schweiß, Fett, Gelenkschmiere und Urin. Es war eine Meditation, die ihn über viele Jahrzehnte gelehrt hatte, seinen Körper anzunehmen, so wie er war: vergänglich.

Und in der Erinnerung an seine damalige Körperbetrachtung fand der Ehrwürdige auch an seinem ersten Abend in der großen neuen Stadt endlich die ersehnte Entspannung und seinen Schlaf. Ganz ruhig lag er da, ausgestreckt auf dem Rücken, die Hände gefaltet auf dem Bauch, eins mit sich und der Welt, die ihm so fremd war.

Kapitel 4

Scheiß Wecker! Gut, dass dieses blöde Ding in Reichweite war. Ronald Wulf packte den Wecker und warf ihn an die Wand. Auch wenn er, den alle nur Ronni riefen, ein sehr emotionaler Mensch war und sich gern mal verschätzte, was seine Macht und Möglichkeiten anbelangte, er wusste, dass er heute pünktlich sein musste. Aber um acht aufzustehen war für ihn nun mal eine Zumutung.

Ronni brauchte nicht lange, um sein sauberstes dreckiges Hemd zu finden, sich in seine Cowboystiefel zu zwängen und die Lederjacke überzuziehen. Zeit kostete ihn nur sein Pferdeschwanz. Dass unter seinen Fingernägeln noch literweise Motoröl klebte, war ihm egal. Ein Muss hingegen war, sein schwarzes Haar ordentlich zu bürsten. Er war doch kein Assi, oder?

In einem der vielen Polizeiprotokolle, in denen er schon aufgeführt war, hatte Ronni einmal gesagt, er suche die Gewalt nicht, aber sie finde ihn manchmal. So wie heute Morgen auf dem Weg zum Lift. Es war vorher schon laut gewesen in einem der Appartements neben ihm. Aber just als Ronni vorbeiging, flog die Tür mit der Nummer sechzehn auf, und eine Frau, die mit ihren schwarzen Locken und ihrer kaffeebraunen Haut ein echter Blickfang war, schubste zwei Kerle aus ihrer Bude. Ronni scherte es nicht, Schlägereien waren in diesem Hochhaus an der Tagesordnung. Scharfe Bräute auch. Auf dem Kiez hieß das Gebäude nur der »Nuttenbunker«.

Doch die Braut, die ihre Besucher mit so etwas wie »Filha da puta« anbrüllte, war für Ronni der Schuss des Tages, egal was die nächsten Stunden ihm noch bringen würden. Er wusste gar nicht, wo er zuerst hinschauen sollte: auf das rote Kleid, das mehr ein Stofffetzen war? Auf die langen Beine in den hohen Stiefeln? Oder auf die prallen Brüste, die zu schön waren, um echt zu sein.

Für den Körper braucht die einen Waffenschein, dachte er, als einer der beiden Typen ihn anrempelte.

Und was machte Ronni, friedliebend wie er war? Er ging einfach weiter zum Lift. Er wäre auch brav nach unten gefahren, wenn der andere Typ der Frau nicht eine geknallt hätte. Frauen schlägt man nicht! Das war eine der Regeln, die Ronni sich selbst gesetzt hatte. Und mit Frauen handelte man nicht, ebenso wenig wie mit Waffen. Und alles, bei dem Kinder zu Schaden kamen, war für Ronni sowieso ein Verbrechen, und zwar ein schweres. Ronni hatte da so seine Werte.

Also ging er zu dem Typen zurück und sah ihn an: »Lasst es!« Ronni sprach ganz ruhig.

»Verpiss dich!«, brüllte darauf der eine.

»Großer Fehler«, meinte Ronni. Niemand sagte so etwas zu ihm, schon gar nicht zwei Halbstarke.

Nach einer Minute sahen die beiden das auch ein, aus der Bodenperspektive.

Die Frau aus Nummer sechzehn hatte die Schläge und Tritte, die Ronni verteilte, gelassen verfolgt. Als Ronni sich die Knöchel rieb, stellte sie sich vor: »Hallo, starker Mann. Ich bin Schuschu. Und wie heißt du?« Sie sprach mit einer kräftigen Stimme, die durch ihren Akzent aber viel weicher, weiblicher, ja geradezu niedlich klang.

Könnte eine Französin sein, dachte Ronni. Vielleicht kam sie auch aus Südamerika oder Afrika. Woher sollte er das wissen.

»Wie kann ich mich bedanken?«, fragte Schuschu und riss Ronni aus seinen geographisch-ethnologischen Überlegungen.

»Lass mal gut sein.« Ronni hatte es eilig und wandte sich ab.

Im Aufzug spürte er, wie gut ihm der kleine Zwischenfall getan hatte. Erstens war er jetzt voll wach, und zweitens hatte er eine gute Tat begangen. So einem hilfsbereiten Kerl, da war sich Ronni sicher, würde der liebe Gott bestimmt vor Gericht beistehen. Dass er beim Schulgottesdienst hin und wieder in den Klingelbeutel gegriffen hatte, das müsste selbst bei dem da oben verjährt sein.

Kapitel 5

Nimm du ihn«, sagte Daniel und trank einen großen Schluck Kaffee.

»Ich habe eine Verhandlung«, entgegnete Maya und schüttete Müsli in ihren Joghurt.

»Und ich habe einen Dreh«, erwiderte Daniel. »Außerdem hast du ihn gestern Abend so hofiert, dass er bleiben musste.«

»Aber du hast mit ihm im Urlaub die Strandspaziergänge gemacht …«

»… weil du vor lauter Öl-Güssen und Massagen keine Zeit für mich hattest.« Daniel stellte seinen Becher so heftig auf dem Küchentisch ab, dass Kaffee rausschwappte.

»Und wer hat sich nach unserer Rückkehr damit gebrüstet, einen buddhistischen Mönch zum Freund zu haben?«, fragte Maya und blitzte Daniel über ihre Joghurtschale hinweg an.

»Nur deshalb war er bereit zu dieser Hochzeitszeremonie. Sonst hätte er seinen Tempel für so was nicht hergegeben.«

»Für so was?« Maya hielt beim Löffeln inne und sah Daniel aus zusammengekniffenen Augen an. »So sprichst du vom schönsten Tag meines Lebens?«

»Du wolltest die Hochzeit, mein Herzblatt«, sagte Daniel, betont bittersüß, »du wolltest den Mönch. Und jetzt hast du ihn.« Er nahm noch einen Schluck von seinem Kaffee, goss den Rest aus dem Becher in den Ausguss, schenkte Maya zwei übertrieben laute Luftküsse und rief ihr aus dem Flur noch »Schöne Erleuchtung« zu.

»Und du hast die Einladung ausgesprochen«, rief ihm Maya hinterher. Mit Rücksicht auf den Mönch rief sie es gedämpft. Sie wusste, dass Daniel sie nicht mehr hörte. So ein Blödmann, dachte sie und fügte sich in ihr Schicksal.

Vorsichtig klopfte Maya an die Tür des Gästezimmers: »Sind Sie schon wach, lieber Mönch?« Sie horchte an der Tür, hörte Bewegung und trat einen Schritt zurück.

»Ja, bitte?«, fragte der Mönch von der anderen Seite der Tür.

»Ich wollte Ihnen die Stadt zeigen«, erklärte Maya, verunsichert darüber, dass ihr Gast die Tür nicht öffnete.

»Sehr gern«, antwortete der Ehrwürdige, und seine Stimme klang warm und freundlich, »aber bitte gehen Sie vor und warten unten auf mich.«

Maya wollte fragen, warum sie unten stehen sollte, in dieser Neuschnee-Kälte, aber dann wiederholte der Mönch noch einmal, dass sie bitte gehen möge. Sie zog ihren dunklen Mantel über, den sie im Winter immer trug, wenn sie einen Termin bei Gericht hatte. Dann ging sie die Treppe hinunter und trat vor das Haus, als hätte sie nie etwas anderes getan, als den Aufforderungen eines Mönchs zu folgen.

»Ist Ihnen das nicht zu kalt, Ehrwürdiger?«, fragte Maya, als der Mönch nach einer Minute schon, vielleicht sogar noch schneller, vor die Tür trat, nur seine Zusatzrobe über die Schulter geworfen wie eine Kombination aus Jacke und Schal.

»Nein, liebe Maya, ich genieße die Kälte, wie man Sachen oder Umstände genießt, die einem neu sind.«

Maya sah auf die nackten Füße in den Sandalen und wollte schon sagen, dass sie das nicht ganz glauben könne, verkniff sich das aber ebenso wie ein Kopfschütteln.

»Na gut«, sagte sie, »was halten Sie von einer kleinen Stadtrundfahrt?«

Sie schlug den Weg zur Garage ein, in der ihre beiden Wagen standen, Mayas kleiner britischer Flitzer und Daniels alter Citroen. Sie wählte den etwas längeren Weg, der durch ihr Viertel führte.

»Das hier ist der Grindel«, erklärte Maya. »Die Herkunft des Namens ist nicht wirklich klar, aber jeder Hamburger kennt das Viertel.« Sie blieb stehen, um auf ein Straßenschild zu zeigen. »Das ist unsere Pulsader, sie heißt Grindelhof. Hier finden Sie kleine Geschäfte, Copy-Shops, Cafés und nette Restaurants. Da hinten liegen Teile der Universität, da unten ist das Abaton-Kino, und in den Seitenstraßen finden Sie auch noch einige Läden, etwa die Fleischerei unserer Nachbarin, die gestern mit dem ungeschälten Reis ausgeholfen hat.«

Der Mönch nickte, während er sehr aufmerksam um sich blickte. Bei der guten Frau Fleischerin würde er sich unbedingt bedanken müssen, dachte er.

»Guten Morgen, Herr Schahpour«, rief Maya einem kleinen Mann mit dicker schwarzer Brille und Dreitagebart zu. »Ist unser Iraner«, sagte sie, dem Mönch zugewandt, »das beste Obst überhaupt.«

Der Mann nickte Maya freundlich zu und faltete die Hände vor dem Herzen, um den Mönch zu grüßen.

Aus einem Café trat ein kleiner Mann mit Glatze und rief: »Namaste.«

Das sagten zwar die Hindus in Indien zur Begrüßung, aber der Mönch erkannte die Freundlichkeit des Zurufs und gab ein herzliches »Ayobowan« zurück.

»Wir haben hier eigentlich alles, was man zum Leben so braucht«, sagte Maya, »selbst ein Yogastudio, das man vielleicht nicht so unbedingt haben muss.«

Der Mönch wollte eigentlich etwas über die Wichtigkeit von Yoga sagen, auch wäre er gern langsamer gegangen oder hätte sich die Menschen näher angesehen, aber er spürte, dass Maya – wie sagte man im Deutschen? – die Zeit im Nacken saß.

Seine Gastgeberin bog in eine Seitenstraße ab, blieb vor einem moderneren Haus stehen, ließ ein schweres Rolltor hochfahren und ging eine dunkle Abfahrt hinunter.

Maya hielt inne, als sie merkte, dass der Mönch ihr nicht folgte.

»Keine Angst«, sagte sie, »ist nur eine Tiefgarage.«

Nun war der Ehrwürdige Mönch Siri alles andere als ängstlich, doch das konnte Maya nicht wissen. Aber er war ein strenger Befolger der buddhistischen Regeln. Und dazu gehörte eine gewisse Distanz zu weiblichen Wesen, mit denen ein Mönch nicht allein sein sollte. Nicht allein in einem Zimmer, nicht allein in einer Wohnung und auch nicht allein in einem dunklen Keller. Deshalb hatte er Maya vorhin nicht in sein Gästezimmer gelassen, sondern gebeten, unten auf ihn zu warten.