Mein Spiel
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Johan Cruyff (1947 – 2016) war als Spieler der niederländischen Nationalmannschaft Vizeweltmeister. Mit Ajax Amsterdam und dem FC Barcelona gewann er dreimal den Europapokal der Landesmeister, zweimal den Europäischen Supercup und einmal den Weltpokal; darüber hinaus wurde er zehnmal Landesmeister und siebenmal Pokalsieger. Als Trainer setzte er diese beispiellose Erfolgsserie mit drei Europapokalsiegen und mehreren Landesmeisterschaften fort. Nach dem Ende seiner Trainerkarriere gründete Johan Cruyff die Cruyff Foundation und das Cruyff Institute für eine fundierte Ausbildung von Sportlern und Sportmanagern.
Die englische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »My Turn« bei Macmillan Publishers International Limited, London.
© 2016 der eBook-Ausgabe Droemer eBook
© 2016 by Johan Cruyff
© 2016 der deutschsprachigen Ausgabe Droemer Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: © VI Images/Contributor/Getty Images
ISBN 978-3-426-44080-3
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Ich bin ein Mensch ohne Diplome. Alles, was ich gelernt habe, habe ich in der Praxis gelernt. Als ich im Alter von zwölf Jahren meinen Vater verlor, wurde meine Erziehung sehr stark von Ajax Amsterdam geprägt – zunächst durch meinen zweiten Vater, der Platzwart beim Verein war, später durch meine Trainer Jany van der Veen und Rinus Michels. Dank Ajax lernte ich nicht nur, besser Fußball zu spielen, sondern auch, wie ich mich zu benehmen hatte.
Mein Schwiegervater öffnete mir die Augen für die finanziellen Dinge. Von Marketing hatte in jener Zeit kein Fußballer etwas gehört, und der Umgang mit dem Kommerz war etwas völlig Neues. Genau in diesem Moment trat jemand in mein Leben, der mir in dieser Hinsicht helfen und mich ausbilden sollte. Wie bedeutungsvoll das war, sollte sich später herausstellen. Denn sobald ich einen Moment lang dachte, dass ich alleine klarkomme, ging es auch schon schief.
Das macht nichts. Das gehört zum Leben dazu. Letztendlich geht es darum, ob man aus Rückschlägen etwas gelernt hat. Damit will ich andeuten, wie wichtig meine Familie für mich ist. Nicht nur meine Eltern, Schwiegereltern, meine Frau, meine Kinder und Enkel, sondern auch all die Menschen bei Ajax, die mich in einer Phase meines Lebens, in der ich sehr verletzlich war, an die Hand genommen haben. Deshalb gehört auch Ajax für mich zur Familie.
Die Familie hat dann auch das geprägt, was ich heute bin. Jemand, der als Fußballer eine einzige Schwäche mitbringt. Ich kann nur von der Spitze her denken. Als Spieler wie als Trainer bin ich nicht in der Lage, etwas auf niedrigem Niveau zu tun. Ich kann nur in die eine Richtung denken. Richtung Spitze – und das in der bestmöglichen Art und Weise.
Deshalb musste ich als Fußballer schließlich aufhören. Ich war physisch nicht länger imstande, Spitzenleistung zu erbringen. Also hatte ich auf dem Feld nichts mehr verloren. Da mein Kopf aber noch in Ordnung war, bin ich Trainer geworden.
Ich will vor allem damit sagen, dass mein Leben immer unter dem Motto stattgefunden hat, es besser zu machen und besser zu werden. Das habe ich auf alles übertragen, was ich angepackt habe.
Johan Cruyff
März 2016
Wo mein Fußballtalent herrührt, bleibt ein Rätsel. Von meinem Vater oder Großvater habe ich es eindeutig nicht. Nur mein Onkel Gerrit Draaijer, der Bruder meiner Mutter, hat als Linksaußen ein paar Spiele mit der ersten Mannschaft von Ajax Amsterdam bestritten.
Der Verein hatte von Anfang an im Mittelpunkt meines Lebens gestanden. Meine Eltern hatten in Betondorp ein paar hundert Meter vom Stadion entfernt einen Obst- und Gemüseladen, so konnte ich es also nicht verfehlen. Ajax hatte eine wichtige Rolle im Leben meines Vaters gespielt. Er hatte kein einziges Spiel ausgelassen. Das Talent mag ich nicht von meinem Vater geerbt haben, wohl aber seine uneingeschränkte Liebe für den Verein.
Mein Vater hatte mir viel von den großen Fußballspielern der fünfziger Jahre erzählt – von Alfredo Di Stéfano, der alles über taktische Raumaufteilung wusste, oder von Faas Wilkes, einem phänomenalen Dribbler, der gleich vier oder fünf Gegenspieler austricksen konnte. Unglaublich. Wilkes spielte für Xerxes Rotterdam und wechselte dann zu Inter Mailand, zum AC Turin und später zum FC Valencia, bevor er gegen Ende seiner Karriere in die Niederlande zurückkehrte. An seinem Beispiel erkannte ich, was ein holländischer Spieler auf dem Platz bewirken kann. Zu Hause hatten wir allerdings keinen Fernsehapparat und konnten deshalb kaum Spiele von ausländischen Teams sehen. Auch Faas Wilkes sah ich nur gelegentlich spielen, und Alfredo Di Stéfano erlebte ich erstmals 1962, als er mit Real Madrid das Europacup-Finale in Amsterdam bestritt.
An meine erste Begegnung mit Ajax erinnere ich mich noch, als sei es gestern gewesen. Ich glaube, ich war ungefähr fünf Jahre alt. Mein Vater hatte mich gefragt, ob ich mitkommen wollte, um die Fruchtkörbe für die Leute im Verein, die krank oder verletzt waren, auszuliefern. Damals lernte ich Henk Angel kennen, einen Freund meines Vaters und Platzwart des Vereins. Er fragte mich, ob ich ihm nicht hin und wieder helfen wollte, und damit habe ich am nächsten Tag angefangen.
Nachdem Onkel Henks Frau gestorben war, fand er sich häufig bei uns am Küchentisch ein. Während des Essens lauschte ich oft atemlos seinen Berichten über das, was bei Ajax so los war. Zu dieser Zeit kam auch Arend van Wel zu uns zum Essen. Er war ein junger Spieler aus der ersten Mannschaft und wohnte in Amsterdam-Noord. Das war zu weit entfernt, um nach der Arbeit erst noch nach Hause zu fahren und dann abends pünktlich beim Training zu sein. Also aß er bei uns.
Durch Onkel Henk und Arend erfuhr ich alles über den Verein. Von der Umkleidekabine bis zur ersten Mannschaft. Schon bald sprang ich auch selbst überall herum, und das De Meer Stadion wurde mein zweites Zuhause. Ich war ständig dort. Seit meinem siebten Lebensjahr nahm ich auch immer eine Tasche mit Fußballschuhen mit. Man konnte ja nie wissen, ob sie nicht beim Training oder beim Spiel einen Mann zu wenig hatten. Oft hatte ich Glück, aber das lag hauptsächlich daran, dass sie Mitleid mit mir hatten. Ich war ein Gerippe, sah aus wie eine Garnele, und deshalb fanden sie mich bedauernswert. So wusste ich aus meinem Äußeren doch einen Vorteil zu ziehen.
Ein Höhepunkt war natürlich, als ich zum ersten Mal in ein ausverkauftes Stadion durfte. Nicht als Fußballer, sondern um mit einer Heugabel vor dem Tor Löcher für das Regenwasser zu piken. Ich war vielleicht acht Jahre alt, doch so etwas vergisst man sein Leben lang nicht.
Im Laufe meiner Jugend haben mir diverse Menschen dort viele Normen und Werte beigebracht, die ich später immer beibehalten habe. Ein gepflegter Rasen, saubere Umkleiden, das Putzen deiner Schuhe, das Anbringen der Tornetze – das sind alles Dinge, die dein Gefühl für den Fußball bestimmen.
In unserer Familie herrschte immer eine herzliche Atmosphäre. Ich teilte mir ein Zimmer mit meinem Bruder Hennie, der zwölfeinhalb Jahre älter ist. In jungen Jahren ist das ein großer Unterschied. Er führte sein eigenes Leben und ich auch.
Mein Vater Manus war ein Zauberkünstler. Er hatte ein Glasauge und wettete mit den Leuten um einen Stuiver, wer am längsten in die Sonne gucken konnte. Dann legte er die Hand auf sein gesundes Auge, blickte eine Minute in die Sonne und schnappte sich die Geldstücke.
Meine Mutter Nel war sehr sozial eingestellt. Für sie drehte sich alles nur um die Familie. Sie hatte neun Brüder und Schwestern. Deshalb hatte ich nicht nur neun Onkel und Tanten, sondern auch Dutzende Cousins und Cousinen. Das hatte sein Gutes, denn der eine kannte sich mit Öfen aus, der andere konnte gut anstreichen, und so war immer jemand da, bei dem man anklopfen konnte, wenn es ein Problem gab.
Tatsächlich vereinigen sich in mir Eigenschaften meiner Eltern. Meine soziale Ader hab ich von meiner Mutter, die Gewitztheit von meinem Vater. Denn gewitzt bin ich ganz gewiss. Auch heute noch versuche ich die Grenzen auszuloten, um einen Vorteil herauszuschlagen.
Ich ging in Amsterdam-Oost auf die Groen van Prinstererschool, eine protestantisch-reformierte Schule, obwohl ich nicht religiös erzogen worden war und es in der Nähe auch katholische und städtische Schulen gab. In eine Kirche ging ich nur, um eine Bestellung auszuliefern. Als ich meinen Vater fragte, warum ich in diese streng protestantische Schule gehen musste, sagte er: »Johan, die erzählen da nette Geschichten. Auf diese Art versuche ich, dir so viel wie möglich mitzugeben, und später darfst du über deine Ausbildung selbst entscheiden.«
Schon bald war ich in der Schule bekannt als der Junge mit dem Ball. Den nahm ich auch in die Klasse mit; er lag immer unter dem Pult zwischen meinen Füßen. Manchmal, wenn ich zu viel Lärm machte, nahm der Lehrer ihn mir ab. Ohne es zu merken, war ich oft mit meinen Füßen beschäftigt, den Ball von links nach rechts zu kicken.
Während meiner gesamten Schulzeit habe ich nicht ein Mal den Unterricht geschwänzt. Scharf aufs Lernen war ich nie, aber ich hatte wohl begriffen, dass es für mich wichtig war. Obwohl ich eher ein mittelmäßiger Schüler war, hatte ich von klein auf einen besonderen Bezug zu Zahlen. Das war mein Steckenpferd. Zum Beispiel habe ich am 2. Dezember Danny geheiratet – also 2 plus 12 –, und schon entsteht eine Verbindung zu meiner Rückennummer 14. Völlig verblüffend ist, dass es mit der Jahreszahl eigentlich 2.12.68 heißen müsste, also 2 plus 12 und 6 plus 8. Das ist zweimal 14. Kein Wunder also, dass wir nach achtundvierzig Jahren immer noch zusammen sind. Unsere Ehe war doppelt gut.
Dasselbe betrifft meinen Sohn Jordi. Er ist 74 und ich bin 47 geboren – beides ergibt also in der Quersumme 11. Er hat am 9. Februar Geburtstag und ich am 25. April. Das ist dann 9 plus 2 und 2 plus 5 plus 4 – in beiden Fällen ergibt das wieder die Quersumme 11.
Zahlen faszinieren mich. Ich kann mir auch Telefonnummern sehr gut merken. Meine Freunde müssen mir sie nur ein einziges Mal nennen, und ich vergesse sie nie mehr. Vielleicht bin ich deshalb auch so gut im Kopfrechnen. Das hab ich nicht in der Schule gelernt, sondern im Gemüseladen meiner Eltern. Wenn mein Vater Bestellungen auslieferte und meine Mutter das Essen kochen musste, dann war es meine Aufgabe, mich in der Zwischenzeit um die Kunden zu kümmern. Da ich aber noch so klein war, kam ich nicht an die Kasse heran. So hab ich das Kopfrechnen gelernt, und weil ich das bereits in jungen Jahren sehr gut konnte, hat das wohl meine Faszination für Zahlen befördert.
Eigentlich hab ich das meiste auf der Straße gelernt: die Überlegung, wie ein Nachteil doch noch in einen Vorteil verwandelt werden kann. Die Erkenntnis, dass eine Bordsteinkante eigentlich kein Hindernis ist, sondern dass man so auch einen Doppelpass spielen kann. So hab ich mit Hilfe des Bordsteins an meiner Balltechnik arbeiten können.
Dasselbe gilt für das Gleichgewicht. Es gilt zu verhindern, dass man fällt. Wenn das auf der Straße passiert, verursacht das Schmerz – Schmerz, den man nicht spüren will. Also ist man beim Fußballspielen gleichzeitig bemüht, nicht zu fallen.
Daher trete ich auch dafür ein, die Jugend ohne Stollen spielen zu lassen. Ihnen fehlen die Stunden, die ich auf der Straße genossen habe – also auch die Stunden, in denen ich gelernt habe, nicht zu Fall zu kommen. Gebt ihnen deshalb vor allem während des Trainings glatte Sohlen und helft ihnen so, besser in Balance zu bleiben.
Als Fußballer hab ich vor allem das Lauftraining gehasst. Immer wenn wir in den Wald mussten, war ich hauptsächlich damit beschäftigt, zu verhindern, dass ich die volle Distanz zurücklegen musste. Ich versteckte mich dann hinter einem Baum und hoffte, dass niemand beim Durchlaufen der Runde die Köpfe zählte. Das ging eine ganze Zeitlang gut, bis mein damaliger Trainer Rinus Michels mich durchschaute.
Als Strafe musste ich an meinem freien Tag morgens um acht Uhr auf der Waldstrecke ein Training absolvieren. Michels kam pünktlich auf die Minute angefahren. Er saß im Schlafanzug am Steuer, kurbelte die Scheibe herunter und sagte: »Das ist mir zu kalt, ich geh wieder ins Bett.«
Und ich stand da wie bestellt und nicht abgeholt. Doch das war mir immer wichtig: Fußball spielen, aber mit viel Spaß. Immer mal wieder einen Jux machen, darauf kam es mir an.
Später als Trainer erlebte ich das gleiche Verhalten bei Frank Rijkaard; während des Lauftrainings tat er immer so, als müsse er heftig husten. Er ließ dann die Gruppe vorauslaufen und schloss sich der nachfolgenden Gruppe an. So bekam er es in mehreren Phasen hin, dass er eine Runde weniger laufen musste als der Rest. Keiner seiner Trainer hat das durchschaut, wohl aber ich. Ich habe es mir angeschaut und still genossen. Natürlich hab ich ihn später darauf angesprochen, doch gleichzeitig musste ich fürchterlich darüber lachen. Diese Sorte Gewitztheit liebe ich sehr. Meinem Vater sei Dank.
Meine Mutter hatte auch diese Wesensart. Als ich später eine feste Beziehung mit Danny hatte, wollte ich manchmal länger ausgehen, als es Michels erlaubte. Abends fuhr er dann immer durch Amsterdam und kontrollierte, ob unsere Autos pünktlich zu Hause vor der Tür geparkt standen. Also lieh ich mir einmal den Wagen meines Schwiegervaters aus und ließ mein Auto zu Hause stehen. Michels roch den Braten und wollte mir am nächsten Tag trotz fehlender Beweise eine Strafe verpassen. Ich wohnte noch zu Hause und sagte: »Du kannst ruhig meine Mutter anrufen. Ich war zu Hause.«
Dann spielte meine Mutter das Spiel perfekt mit, Michels musste die Strafe zurücknehmen, und ich hatte später zusammen mit meiner Mutter den größten Spaß.
Ich denke daher mit einem guten Gefühl an meine Jugend zurück. Ich habe nur Liebe erfahren – zu Hause, aber auch bei Ajax. Dank meines zweiten Vaters Henk Angel, der mich, wenn die Plätze im Sommer eingesät oder im Winter nicht bespielbar waren, im Stadion allerlei Jobs machen ließ. Zur Belohnung durfte ich dann in der Halle unter der Haupttribüne Fußball spielen.
Die Sommerferien hatte ich bei Arend van der Wel verbracht, der von Ajax zum Sportclub Enschede gewechselt war und dort mitten in der Natur wohnte. Damals hatte ich auch meine ersten Fahrstunden bekommen, zwischen Arends Beinen durfte ich das Lenkrad steuern.
Beim Sportclub Enschede begegnete ich auch Abe Lenstra, zur damaligen Zeit eine wahre Ikone. Ich hatte sogar einmal beim Training mit ihm ein paar Bälle getreten. Von Abe ist mir vor allem in Erinnerung geblieben, dass er immer einen Ball bei sich hatte.
Mein Jugendtrainer Jany van der Veen brachte mir neben dem Fußball auch Normen und Werte bei. Er war der Erste bei Ajax, der mich lehrte, immer einer bestimmten Linie zu folgen.
Vic Buckingham, der mich in der ersten Mannschaft debütieren ließ, habe ich noch etwas anderes zu verdanken. Er hatte zwei Söhne in meinem Alter, die in Amsterdam ein wenig Anschluss suchten. Da meine Mutter bei Familie Buckingham als Putzfrau arbeitete, war ich häufig auch bei ihnen zu Hause. Dort habe ich dann Englisch gelernt – also nicht auf der Schule, sondern indem ich mich viel mit den Buckinghams unterhalten habe.
Unter den Fußballern hat mich besonders Piet Keizer unterstützt. Ich war neben Piet der zweite Vertragsspieler bei Ajax, und ich konnte spüren, dass er mich mochte. So sorgte er immer dafür, dass ich abends um halb zehn zu Hause war, sonst hätte ich von Michels eine Strafe bekommen.
Zu Rinus Michels hatte ich ein ganz besonderes Verhältnis. Er hat später bei uns zu Hause anlässlich einer Kinderfeier sogar den Nikolaus gespielt. Allerdings hat meine Tochter Chantal ihn erkannt. Ich höre sie noch sagen: »Hee, du bist ja gar nicht der Nikolaus! Du bist Onkel Rinus!«
Michels hat mich als junger Spieler immer beiseitegenommen. Obwohl ich erst achtzehn und der Jüngste im Kader war, tat er das mit niemand anderem. Dann erklärte er mir, wie er zu spielen gedachte und welche Taktik wir befolgen sollten, falls es nicht so lief wie geplant. Als wir nach dem Tod meines Vaters zu Hause kein Fahrzeug mehr hatten, war er es, der mich zum Arzt brachte. Später sind weniger schöne Sachen zwischen Michels und mir vorgefallen, doch die haben niemals das Bild des Mannes zerstören können, der für mich da war, als ich ihn als junger Kerl dringend gebraucht habe.
Henk Angel, Arend van der Wel, Jany van der Veen, Rinus Michels, Piet Keizer und noch viele andere hatten insofern großen Einfluss auf meine Entwicklung. In entscheidenden Lebensmomenten waren sie auch außerhalb des Feldes an meiner Seite.
Mein Vater starb 1959 im Alter von fünfundvierzig Jahren. Ich war damals zwölf. Es war der Tag, als ich in der Grundschule mein Abschlusszeugnis bekam; während der Abschiedsfeier teilte man mir mit, dass er gestorben war. Ein Herzinfarkt – er hatte einen viel zu hohen Cholesterinspiegel.
Der Tod meines Vaters hat mich nie losgelassen. Je älter ich werde, umso stärker wird das Gefühl, dass sein Schicksal auch das meine werden könnte. Deshalb war ich auch nicht besonders überrascht, als ich fast im selben Alter wie mein Vater Herzprobleme bekam. Ich hatte mich mehr oder weniger darauf eingestellt. Es gab nur einen großen Unterschied: Dreißig Jahre später war die medizinische Wissenschaft in der Lage, das Problem zu lösen.
Mein Vater liegt, wie meine Mutter, auf dem Ooster-Friedhof in Amsterdam, schräg gegenüber vom alten Ajax-Stadion. Seit seinem Tod habe ich immer mit ihm gesprochen, wenn ich am Friedhof vorbeikam. Anfangs über die Schule, später meist über Fußball, dass der Schiedsrichter ein Mistkerl war, über meine Tore, solche Dinge.
Im Laufe der Jahre haben sich die Gespräche mit ihm verändert, sie sind aber niemals verstummt. So habe ich ihn bei jeder schwierigen Entscheidung in meinem Leben wieder um Rat gefragt: »Hey, was meinst du?« Dann stand ich am nächsten Morgen auf und wusste, was ich zu tun hatte. Ich habe noch immer keine Ahnung, wie es funktioniert, aber bei jeder Entscheidung, die ich treffen musste, war dann die Gewissheit da, wie ich es anzupacken hatte.
Es ist logisch, dass man ab einem bestimmten Moment zu zweifeln beginnt, dass man sich fragt, ob das alles wohl real ist. Ich war Anfang zwanzig, wohnte noch in Amsterdam und war frisch verheiratet. Zu diesem Zeitpunkt gab es viele Konflikte bei Ajax. Es war eine Phase, in der mich bei bestimmten Fragen Zweifel überkamen – auch hinsichtlich der ständigen Präsenz meines Vaters. Jedenfalls ist noch nie jemand zurückgekommen.
Ich habe meinen Vater damals ein wenig auf die Probe gestellt. Ich bat ihn, meine Uhr anzuhalten, sobald er, in welcher Form auch immer, in meiner Nähe wäre. Es mag Zufall gewesen sein, aber am nächsten Morgen war meine Uhr stehengeblieben. Mein Schwiegervater hatte einen Uhrenladen, und noch am selben Tag hat ein Uhrmacher sie sich angesehen; er konnte nichts finden, hat sie aber wieder zum Laufen gebracht.
Prompt am nächsten Morgen die gleiche Geschichte. Wieder war meine Uhr stehengeblieben. Wieder bin ich zu dem Laden gegangen, und wieder konnten sie nichts finden. An diesem Abend sagte ich meinem Vater, dass er mich überzeugt habe. Danach ist meine Uhr wieder gelaufen und nie mehr stehengeblieben. Ich trage sie noch jeden Tag.
Nach dem Tod meines Vaters musste meine Mutter etwas dazuverdienen. Ajax kümmerte sich um unsere Familie, bezahlte sie fürs Putzen der Umkleiden und sorgte dafür, dass sie bei den englischen Trainern, die Ajax damals hatte, als Putzfrau anfangen konnte. So blieb auch ich eng verbunden mit dem Verein – umso mehr, als meine Mutter dann Onkel Henk heiratete, den ich wirklich wie einen zweiten Vater empfunden habe.
Weil wir kein Geld mehr hatten, um in den Urlaub zu fahren, war ich das ganze Jahr hindurch im De Meer Stadion anzutreffen. Immer um Fußball zu spielen, wobei man in der Sommerpause bei Ajax auch Baseball spielen konnte. Auch darin war ich sehr gut. Als Fänger schaffte ich es bis in die niederländische U15-Mannschaft. Zudem war ich erster Schlagmann. Ich war so klein, dass dem gegnerischen Team nie drei Würfe gelangen – weil sie so flach werfen mussten, verpassten sie meist viermal die Strike Zone, und ich konnte gleich auf die Bases vorrücken.
Beim Baseball hab ich viele Feinheiten gelernt, die mir in meiner späteren Fußballerkarriere von Nutzen gewesen sind. Als Fänger bestimmst du den Wurf des Pitchers, weil er im Gegensatz zu dir nicht die Übersicht über das Feld hat. Hierdurch wurde auf natürliche Weise meine spätere Stärke als Fußballer, die absolute Übersicht, optimiert. Ebenso habe ich gelernt, immer einen Schritt weiter zu sein, denn beim Baseball wird dir von klein auf beigebracht, dass du schon wissen musst, wo der Ball hinsoll, bevor du ihn gefangen hast.
Du bist kontinuierlich damit beschäftigt, dich innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde zwischen Raum und Risiko zu entscheiden. Du musst einschätzen können, ob du mit einem Wurf den Abstand zwischen Runner und Base überbrücken kannst. Und du musst über das taktische Verständnis verfügen, innerhalb eines Wimpernschlags die richtige Entscheidung zu treffen und diese technisch gut auszuführen.
Baseball ist der ideale Sport, den ein Talent während seiner Ausbildung nebenbei ausüben kann, weil es viele Parallelen zum Fußball gibt. Bei beiden Sportarten muss man eine gewisse Antrittsschnelligkeit erwerben, das Sliding miteinbeziehen und räumliches Denken entwickeln. Man muss lernen, einen Spielzug im Voraus zu denken, und noch vieles mehr. Ich weiß ganz bestimmt, dass es bei mir funktioniert hat. Auch später noch habe ich mich eingehender mit Baseball beschäftigt, wodurch ich als Trainer diverse »Tipps« aus dem Baseball-Sport erfolgreich im Fußball zur Anwendung bringen konnte.
Meine Entwicklung als Fußballer verlief reibungslos. Ausgebildet wurde ich von Vic Buckingham, Keith Spurgeon und vor allem von Jany van der Veen. Letzterer hatte einen sehr spezifischen Trainingsplan entworfen, bei dem die Grundlagen des Fußballs im Mittelpunkt standen. Spielzugübungen wechselten sich ab mit dem Trainieren der fünf Grundlagentechniken des Fußballs: dem Schießen, dem Kopfball, dem Dribbeln, dem Treiben sowie dem Kontrollieren und Stoppen des Balls. So waren wir die ganze Zeit über wirklich mit Fußball beschäftigt.
Diese Art zu trainieren ist für mich immer der Standard geblieben. Es hat mir gezeigt, dass das Einfachste oft das Schwierigste ist. So halte ich das Spiel mit einem Ballkontakt für eine vollendete Form der Technik. Doch um den Ball perfekt über einen einzigen Kontakt spielen zu können, muss man zuvor hunderttausend Ballkontakte gehabt haben.
Gemäß diesen Prinzipien wurde damals bei Ajax trainiert, und immer mehr technisch absolut herausragende Spieler schafften den Durchbruch – dank der scheinbar simplen Trainingsmethoden von Leuten wie van der Veen. Als Trainer verfügte er über außerordentliches psychologisches Geschick. Ich erinnere mich noch an den mentalen Trick, den er zuerst zusammen mit Vic Buckingham und später mit Rinus Michels bei mir anwendete. Van der Veen sorgte dafür, dass ich zunächst eine Halbzeit bei den Junioren mitspielen durfte; am nächsten Tag gehörte ich zur Reserve der ersten Mannschaft, wo ich manchmal zum Einsatz kam. Sie erreichten damit, dass ich, nachdem ich in der ersten Mannschaft gespielt hatte, die moralische Verpflichtung empfand, in meiner eigenen Mannschaft der Beste zu sein.
Übrigens habe ich ziemlich lang in zwei verschiedenen Mannschaften gespielt. Nachdem ich mit siebzehn bei Ajax debütiert hatte, spielte ich noch eine ganze Weile in der ersten Mannschaft als Feldspieler und in der dritten Mannschaft als Torwart. Das hat mir unglaublichen Spaß gemacht. Außerdem war ich ein ziemlich guter Keeper. Ich war sogar noch Ersatztorwart gewesen, als wir mit Ajax im Europacup spielten. Damals gab es noch die Regel, dass der Torwart nicht durch einen anderen Torwart ersetzt werden durfte.
Ein paar Monate nach meinem Debüt bei Ajax im Jahr 1964 bekam ich nach einem Auswärtsspiel gegen den GVAV – den späteren FC Groningen – meinen ersten Vertrag angeboten. Unterzeichnet habe ich ihn im Beisein meiner Mutter. Als wir aus dem Vorstandszimmer herauskamen, sagte ich ihr, dass sie an diesem Tag zum letzten Mal die Umkleidekabinen geputzt hatte. Ich wollte nicht, dass sie noch einmal den Raum reinigen musste, den ich kurz zuvor dreckig gemacht hatte.
Wohl aber musste sie noch eine Weile zu Hause meine Fußballkleidung waschen. Für eine Waschmaschine hatten wir kein Geld, dafür musste ich erst noch ein paar Monate sparen.
Es mag schwer nachvollziehbar sein, dass du als sogenannter Starspieler ganz selbstverständlich deine dreckige Wäsche mit nach Hause genommen hast, wenn du im Matsch trainiert hattest. Aber es prägt dich schon. Es prägt dich in Bezug auf die Pflege deiner Kleidung und das Putzen deiner Schuhe. Und es prägt dich als Mensch.
Später als Trainer habe ich das den Jugendspielern zu vermitteln versucht – mit der versteckten Botschaft, dass man, wenn man seine Schuhe selbst sauber macht, weiß, welche Stollen darunter sitzen, und so ein besseres Gefühl für das Material entwickelt. Außerdem hofft man, dass bei den Jugendlichen so ein gewisser Gemeinsinn entsteht.
Ich sorgte auch dafür, dass zwei, drei Spieler die Umkleidekabine sauber machten, um so das Verantwortungsgefühl zu stärken. Das sind alles Dinge, die im Fußball immer wiederkehren, und so kopiert man eigentlich ständig, was man selbst erlebt hat.
Die simple Tatsache, dass ich meine schmutzigen Trikots zu Hause waschen musste, sagt natürlich viel darüber aus, wie professionell Ajax 1965 organisiert war. Piet Keizer und ich waren die einzigen Vollprofis, weshalb wir nur abends mit der kompletten Mannschaft trainierten. Tagsüber waren nur etwa sieben Spieler auf dem Trainingsplatz, weil einige einen Tabakladen hatten und selbst bestimmen konnten, wann sie sich ein paar Stunden verdrückten. Die Situation hat jedoch nicht lange angehalten.
Alles in allem hat die Phase, in der ich zum Profi ausgebildet wurde, neun Jahre gedauert: vom Beginn meiner ersten Saison in der Eredivisie im Jahr 1965 bis zum WM-Finale 1974 in München. Innerhalb von zehn Jahren vom Unbekannten bei Ajax zum Totaalvoetbal, dem sogenannten Totalfußball, von dem die Welt noch heute spricht. Es stellt sich die Frage, ob dieses Spielsystem heute noch möglich ist. Ich denke schon – und eigentlich weiß ich es genau. Den Beweis lieferten die Ajax-Mannschaften der 1980er und 1990er Jahre und später Barcelona und Bayern München.
Die Grundlage für den großen Durchbruch von Ajax Amsterdam bildete eine Kombination aus Talent, Technik und Disziplin. Dabei haben die Trainer Jany van der Veen und Rinus Michels eine entscheidende Rolle gespielt. Van der Veen brachte uns nicht nur die Liebe zum Fußball und zu unserem Verein bei, er war auch imstande, unsere Technik haargenau abzustimmen. Er hatte auch ein Auge für die Gewieftheiten auf dem Platz, die wir später in unser Positionsspiel aufgenommen haben.
Nach der Ausbildung, die wir bei van der Veen genossen hatten, lernten wir bei Michels Fußball als Handwerk. Ihm gelang es, mehr Vollprofis bei Ajax einzuführen, so dass auch tagsüber trainiert werden konnte und wir sowohl technisch als auch körperlich enorme Fortschritte machten. Darüber hinaus hämmerte er uns eine Mentalität ein. Das Erstaunliche daran war, dass dies nie in Kadavergehorsam umschlug. Bei Ajax gab es immer Platz für Selbstironie und Humor. Diese Kombination war meines Erachtens entscheidend für die Ausstrahlung, die wir später als Mannschaft besaßen. Wir wussten, was wir taten, und hatten auch noch Spaß dabei. Gerade damit haben wir häufig unsere Gegner eingeschüchtert.
Daher habe ich von Anfang an niemals so etwas wie Versagensangst gespürt oder mich vor einem Spiel gefürchtet. Weil ich beinahe täglich nach De Meer kam, seit ich fünf war, kannte ich sämtliche Spieler der ersten Mannschaft, noch ehe ich in die Auswahl der A-Jugend berufen wurde. Der Schritt von den Junioren in die erste Mannschaft war für mich eigentlich nichts Besonderes. Und so lief ich auch auf. Ich war verrückt nach Fußball und fand es himmlisch, Spiele zu bestreiten. Ob das bei den Junioren, der dritten Mannschaft oder der ersten war, das machte mir nicht viel aus.
Das änderte sich auch nicht, als später die großen Spiele kamen. In meinem ersten Spiel für die niederländische Nationalmannschaft im Jahr 1966 und später in den ersten Europapokalspielen spielte ich, wie ich es immer getan hatte. Michels hatte mich in jener Zeit als ungeschliffenen Diamanten bezeichnet, er bezog mich jedoch überall mit ein. Die spezielle Vorbesprechung zum Gegner und zu unserer Taktik führte er mit mir und sonst niemandem. Er erlegte mir dabei die Verantwortung auf, während des Spiels auf dem Platz nachzujustieren, falls es die Situation erforderte. So wies er mir schon mit jungen Jahren den Weg, im Interesse der Mannschaft zu denken. Dieselbe Methode habe ich später als Trainer bei Spielern wie Marco van Basten und Pep Guardiola angewendet. Die Wirkung geht nämlich in zwei Richtungen: Es ist gut für die Mannschaft und für den jeweiligen Spieler.
Selbstverständlich macht man als junger Spieler Fehler. Das gehört jedoch alles zum Prozess des Lernens, in dem man sich zu der Zeit befindet – wie etwa bei meinem ersten Feldverweis. Das war während eines meiner ersten Länderspiele, gegen die Tschechoslowakei. Ich wurde andauernd getreten, doch der Schiedsrichter, Rudi Glöckner aus der DDR, unternahm nichts dagegen. Zu gegebener Zeit fragte ich ihn, warum er den Verteidigern alles durchgehen ließ; doch das Einzige, was er mir antwortete, war, dass ich meinen Mund halten sollte. Als ich kurze Zeit danach wieder einen üblen Tritt abkriegte und er wieder nicht pfiff, obwohl das unter seiner Nase passierte, gab ich abermals meinen Kommentar dazu. Ich durfte vorzeitig duschen.
Das führte zu einem unerhörten Krawall, aber zum ersten Mal wurde die Diskussion in Gang gebracht, welches Recht ein Fußballer hat, seinen Protest auszudrücken. Ich hatte nämlich vollkommen recht. Die Tschechen waren dabei, mich aus dem Spiel zu treten, der Schiedsrichter ließ es einfach zu und erteilte letztlich mir den Verweis, weil ich fragte, warum er nichts unternahm. Auf dem Spielfeld sind sowohl die Spieler als auch das Schiedsrichtergespann dafür verantwortlich, das Publikum so gut wie möglich zu unterhalten.
Allerdings war dieser Gedanke im Jahr 1966 noch nicht geboren. Der Schiedsrichter war der Chef, und an seiner Autorität war nicht zu rütteln. Hinzu kam noch die große Kluft zwischen mir, einem jungen Sportler mitten in der Beatles-Zeit, und einem Ostdeutschen, der einmal in der Woche das Sagen hatte und ansonsten in der DDR den Mund nicht aufmachen durfte.
Das waren Vor- und Rückschläge, mit denen wir uns auch bei Ajax auseinandersetzen mussten. Nachdem wir in meiner ersten Saison Meister geworden waren, bekamen wir im Europapokal den FC Liverpool zugelost. Zu jener Zeit war Liverpool nicht nur der beste Club in England, sondern einer der stärksten auf der Welt. Gewöhnlich kann ich mich schlecht an einzelne Spiele und Ereignisse erinnern, doch von dem legendären »Nebelspiel« im Olympiastadion von Amsterdam und dem Rückspiel an der Anfield Road in Liverpool weiß ich noch so ziemlich jede Einzelheit.
Vor allem ist das so, weil wir in den Spielen gegen Liverpool die Bestätigung fanden, dass wir ihnen technisch überlegen waren. Rein von der Technik her wurden die Engländer vom Platz gefegt. In Amsterdam ging es 5:1 aus, und ich erinnere mich, wie ihr Manager Bill Shankly nachher rief, das sei alles ein Missverständnis und dass sie in Liverpool 7:0 gewinnen würden.
Eine Woche später stand ich mit Gänsehaut auf dem Platz. Ich war nicht etwa von unseren Gegnern beeindruckt, sondern von der Atmosphäre. Die ungeheure Spion-Kop-Tribüne, wo die fanatischsten Fans stehen, all ihre Gesänge – das alles machte Anfield Road zu einem unglaublich beeindruckenden Erlebnis. Ich hatte wirklich 90 Minuten lang genossen und ein schönes Spiel abgeliefert, das letztlich mit einem 2:2 endete. Mehr noch als die Freude über den Einzug in die nächste Runde erwarb sich an diesem Abend der englische Fußball einen Platz in meinem Herzen. In dieser wunderschönen Umgebung hätte ich gerne einige Jahre gespielt. Leider wurde dieser Traum nie verwirklicht, da in jener Zeit die Grenzen für ausländische Spieler noch geschlossen waren. Bis auf den heutigen Tag finde ich das jammerschade.
Auch wenn jeder posaunte, dass wir, nachdem wir Liverpool aus dem Wettbewerb geworfen hatten, alle Chancen hatten, den Europapokal der Landesmeister zu gewinnen, flogen wir schon in der nächsten Runde gegen Dukla Prag raus. Unverdient und unglücklich, aber es ist doch passiert. Daraus hatte ich natürlich auch wieder gelernt.
Inzwischen unternahmen wir mit Ajax weiterhin Schritte in die richtige Richtung: Zuerst der Sieg gegen Liverpool, ein Jahr später erst in der Verlängerung gegen Real Madrid unterlegen, und wiederum eine Saison später verloren wir das Europapokalfinale gegen den AC Mailand, um jedoch schließlich den Pokal ab 1971 drei Jahre in Folge zu gewinnen. So wurde Ajax innerhalb von sechs Jahren von einem Durchschnittsverein zur besten Mannschaft der Welt. Was unser Geheimnis war? Die Kombination aus Talent, Technik und Disziplin habe ich bereits erwähnt. Darüber hinaus machte uns Michels bewusst, wie wichtig die Organisation auf dem Platz ist – zu wissen, welche Möglichkeiten man hat.
So verfügten wir bei Ajax über die Tutti-Frutti-Seite auf links und die ernsthafte Seite auf rechts. Rechts boten Wim Suurbier, Johan Neeskens und Sjaak Swart eine robuste, zuverlässige Sicherheit. Auf links wusste man nie, was bei Ruud Krol, Gerrie Mühren, Piet Keizer und meiner Wenigkeit passieren würde. Das war die perfekte Mischung aus Technik, Taktik, Leistung und Spielweise, um die Zuschauer, die die Woche über gearbeitet hatten, an ihrem freien Sonntag mit schönem Fußball und zugleich mit einem guten Ergebnis zu unterhalten.
Ich hatte in jener Phase viel von Michels gelernt, etwa von seiner Auffassung, dass es in der Verteidigung darauf ankommt, dem Gegner möglichst wenig Zeit zu gönnen, oder auch, dass man danach streben muss, den Raum größer zu machen, wenn man in Ballbesitz ist, ihn bei Ballverlust jedoch so klein wie möglich machen soll. Eigentlich ist beim Fußball alles eine Aneinanderreihung von Metern, gekoppelt mit Handlungsgeschwindigkeit und andauerndem schnellem Umschalten. Das alles ergibt die 10 000 Trainingsstunden, die in die Praxis umgesetzt werden.
Meine Entwicklung als Fußballer verlief noch relativ normal, abseits des Platzes verhielt es sich allerdings anders. Meinen ersten Vertrag habe ich zusammen mit meiner Mutter ausgehandelt, und von da an prasselte alles auf mich ein: vor allem bei den Medien und beim Kommerz. Darum drehte sich sehr bald alles. Wirklich alles. Sogar eine Schallplatte nahm ich auf, und meine Beziehung zu Danny landete auf den Titelseiten. Häufig fand ich das lustig, mitunter auch nicht. Ich nahm einfach alles mit, während ich eigentlich noch nicht die geringste Ahnung davon hatte, wie man Geschäfte macht.
Deswegen war es ein Gottesgeschenk, als Cor Coster in mein Leben trat. Er war Dannys Vater, Diamantenhändler in Amsterdam und ein erfolgreicher Geschäftsmann. Als ich zum ersten Mal bei meinen Schwiegereltern zu Besuch war, fragte er mich, ob ich ein Sparkonto hatte. Hatte ich natürlich nicht. Ich verstand nur etwas von Fußball. Cor war fassungslos, und von dem Moment an hat er sich um meine Geschäfte gekümmert.
Von da ab sagte ich zu den Leuten bei Ajax: »Sprecht mit ihm, er macht das für mich.« Anfangs wollten sie das nicht. Im Jahr 1968, drei Jahre nachdem ich meinen ersten Vertrag unterschrieben hatte, brachte ich ihn zum ersten Mal mit, damit er in meinem Namen verhandelte. Der Vorstand war sprachlos, ließ aber wissen, dass er hier nichts zu suchen habe. Ich entgegnete: »Aber ihr sitzt hier zu sechst, warum darf ich niemanden dabeihaben, der mir hilft?«
Als sie auf ihrem Standpunkt beharrten, sind wir gegangen. Später ließen sie es dann doch zu, dass Cor in meinem Namen verhandelte. Ajax war darüber nicht glücklich, doch letztlich hat Cor nicht nur für mich, sondern für den gesamten niederländischen Fußball viel bewegen können. So war er unter anderem an der Gründung der Spielergewerkschaft VVCS beteiligt, zu einer Zeit, als es für Spieler noch keinerlei finanzielle Vorkehrung für die Zeit nach dem Karriereende gab.
Die Zusammenarbeit zwischen Cor und mir lief schon bald auf einen Ganztagsjob hinaus. Niemand kam an Cor vorbei, er hielt mir jederzeit den Rücken frei. Der Tod meines Schwiegervaters im Jahr 2008 hat mich daher tief getroffen. Er hatte entscheidenden Einfluss auf mein Leben, nicht nur auf mich als Fußballer, sondern auch als Schwiegervater, Vater von Danny, Opa unserer Kinder und als Mensch.
Die wichtigste Einsicht, die er mir vermittelt hat, ist, dass man Selbstwertgefühl braucht. Cor betreute mich auch in gesellschaftlicher Hinsicht. Er begriff, dass seine Rolle einschloss, mich in bestimmter Weise weiter auszubilden. Als Fußballer von einigem Bekanntheitsgrad lebt man nämlich in einer irrealen Welt. Eigentlich ist alles daran abnormal: das Gehalt, die Aufmerksamkeit, einfach alles. In einer solchen Phase muss derjenige, der den Spieler geschäftlich vertritt, vor allem verhindern, dass sein Talent auf zwölf Hochzeiten gleichzeitig tanzt.
Das Risiko ist mit den Jahren nur noch größer geworden, auch durch die sozialen Medien. Zahlreiche Fußballer sind stolz darauf, dass sie viele Followers haben, aber wem folgen sie? Meiner Meinung nach niemandem. Das ist nicht cool, sondern eine Einschränkung. Cor verstand dies damals wie niemand sonst. Er sorgte nicht nur für eine gute Entwicklung als Fußballer, sondern auch als Mensch, der über den Fußball hinaus sein Leben führen muss. Unglücklicherweise gibt es heute wenige Spielerberater, die das verstehen. Häufig frage ich mich, wessen Interessen sie eigentlich vertreten: die des Fußballers oder die ihres Unternehmens?
Ich gehe noch einen Schritt weiter. Wenn es einem Berater wirklich um den Fußball geht, dann müsste er nicht nur das Interesse seines Spielers, sondern auch die Interessen des Vereins berücksichtigen – also zugleich mit bedenken, was ein Club sich erlauben kann und was nicht. Das hat mein Schwiegervater später in den Verhandlungen mit Ajax und Feyenoord getan.
Nach meiner Erfahrung spielt Geld im Fußball eine sehr wichtige Rolle, kommt jedoch immer erst an zweiter Stelle. Steht Geld an erster Stelle, dann befindet man sich auf einem Irrweg. Was das angeht, so halte ich mich an die großen Mannschaften aus der Geschichte: Ajax, Real Madrid, Barcelona, Bayern München, AC Mailand und Manchester United. Alle ihre Mannschaften bestanden aus einem harten Kern, der in ihrer eigenen Jugend ausgebildet worden war. Und Spieler, die die DNA des Vereins in sich tragen, bringen immer noch etwas Besonderes mit.
Deswegen begreife ich nicht, dass in England so wenig Wert auf die Ausbildung gelegt wird. Ist das Niveau durch die Ausgabe all dieser Milliarden wirklich so verbessert worden? Nein, das ist es natürlich nicht. Ich weiß genau, dass der Weg zum Erfolg, den Ajax ab 1965 eingeschlagen hat, noch immer funktioniert: eine gute Ausbildung und eine starke Führung, und das gekoppelt mit der Kombination von Talent, Technik und Disziplin.
Natürlich ist Geld ein Faktor. Heute ganz gewiss. Doch der Grundgedanke bleibt derselbe: Komm als Mannschaft an, fahr als Mannschaft ab und komm als Mannschaft wieder zurück.
Im Jahr 1973 waren wir mit Ajax unschlagbar. Drei Jahre lang wurde alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. In den letzten beiden Jahren geschah das ohne Rinus Michels, der nach dem ersten Europapokalsieg 1971 einen Vertrag beim FC Barcelona unterschrieb. Sein Nachfolger bei Ajax war der Rumäne Stefan Kovács – ein netter Mann, aber mit viel weniger Disziplin. Wenn man sowohl individuell als auch als Gruppe viel weniger Disziplin aufbringt, dann kommen sehr viel mehr Meinungen auf. Kovács war ein Trainer, der sagte: »Hey, Junge, das sind die Regeln. Denk darüber nach, mach dies, mach das und entwickle dich selbst.«
Anfangs funktionierte das ausgezeichnet. Die Stärke lag darin, dass die Spieler sich entwickelten, mehrere Standpunkte in der Umkleidekabine vertreten wurden, die Gruppendisziplin dies jedoch noch alles zusammenhielt.
Nachdem wir zum zweiten Mal 1972 den Europapokal der Landesmeister gewonnen hatten, entstanden die ersten Probleme. Gegen Inter Mailand spielten wir unser mit Abstand bestes Finale und gewannen 2:0. Die ganze Welt geriet über dieses Spiel ins Schwärmen, da wir die Italiener von der ersten bis zur letzten Spielminute unter Druck gesetzt hatten. Es war Fußball der schönsten Art, und das auch noch in einem Finale.
Allerdings wurde danach bei Ajax eine Entwicklung in Gang gesetzt, die dazu führte, dass Wasserträger dachten, Champagnerträger sein zu können. Der Keim dafür war die Sichtweise von Kovács, der die Spieler zwar ermunterte, sich weiterzuentwickeln, dies aber nicht ausreichend betreut und korrigiert hatte.
Dadurch gerieten die Verhältnisse innerhalb der Mannschaft aus dem Lot. Solange jeder lediglich seine Meinung vertrat, aber auf dem Platz weiterhin aus einem kollektiven Gedanken heraus spielte, war wenig daran auszusetzen. Doch das fand nicht statt. So entstand eine Entfremdung, weil manche Spieler Dinge taten, von denen sie keine Ahnung hatten. Anschließend akzeptierten sie es nicht einmal, wenn sie darauf hingewiesen wurden. Das ist auch der Grund, warum ich im August 1973 Ajax verließ, obwohl ich erst kurz zuvor meinen Vertrag um sieben Jahre verlängert hatte. Gerade weil ich Vater geworden war, hatte ich mir vorgenommen, meine Kinder in der vertrauten Umgebung der Niederlande aufwachsen zu lassen. Mit dem langjährigen Vertrag dachte ich meine Familie in jeder Hinsicht für die Zukunft abgesichert zu haben.
Schon sehr bald konnte ich darauf pfeifen. Die Lage bei Ajax war von einem auf den anderen Tag unerträglich für mich. Wie bereits erwähnt, war der Trainer dabei ein wichtiger Faktor. Während Michels immer gesagt hatte: »Mach deine Arbeit«, sagte Kovács: »Entwickle dich selbst.« Damit beeinträchtigte er die Disziplin im Spiel wie im Training.
Das war eine Todsünde. Die Menschen vergessen nämlich häufig, dass auch die anderen Spieler alle sehr gute Fußballer sind. Es war nicht so, dass ich der Star war und alle anderen ein Stück weniger. Nein, sie waren gewiss auf ihrer Position in der Mannschaft genauso gut wie ich. Ich war zwar der beste Fußballer, aber der Verteidiger war ein besserer Verteidiger, der Mittelfeldspieler war ein besserer Mittelfeldspieler und der Linksaußen war ein besserer Linksaußen. Warum also sollte ich mehr Mitspracherecht haben als die anderen in unserer Mannschaft? Leider setzte sich dieser Gedanke bei einer Reihe von ihnen immer mehr fest.
Der Nackenschlag war die Abstimmung über die Kapitänsfrage. Das passierte im abschließenden Trainingslager vor Saisonbeginn. Ich fand es schon seltsam, dass überhaupt abgestimmt werden sollte. Ich hatte erklärt, ich würde einfach Kapitän bleiben, als ich zu hören bekam, dass Piet Keizer ebenfalls kandidierte und daher abgestimmt würde. Hinzu kam noch der Verweis: »Du tust zu viel allein, du tust zu viel dies, du tust zu viel das.« Es handelte sich um eine Form von Eifersucht, die es zuvor so nie gegeben hatte.
Schließlich wählten die Spieler Piet zum Kapitän. Das war für mich ein Schlag ins Gesicht. Ich verschwand augenblicklich in mein Zimmer, rief Cor Coster an und teilte ihm mit, dass er einen neuen Verein für mich suchen sollte. Ich hatte es satt. Außerdem erlitt ich einige Verletzungen, die nicht unabhängig von dem betrachtet werden können, was mir durch den Kopf ging.
Der Schlag traf mich auch deshalb so hart, weil er nicht nur von Mannschaftskameraden, sondern auch von engen Freunden kam. Daher sah ich ihn nicht kommen. Das ist mir später auch bei manch anderer Gelegenheit so ergangen – mit Menschen, mit denen man sich sehr verbunden fühlt, die einen dann am Ende aber doch fallenlassen.
Auch später habe ich viel über diese Abstimmung nachgedacht, habe mir den Kopf zerbrochen, welche Fehler ich begangen hatte. Als Spielführer war ich umgänglich, hielt aber auch Abstand. Weil der Trainer nicht eingriff, fühlte ich mich gezwungen, Dinge anzusprechen, die meiner Meinung nach unsere Leistung sowohl als Gruppe wie auch als einzelne Spieler untergruben. Das war nicht geschickt – zumal in einer Zeit, da unsere Mannschaft auf Händen getragen wurde; aber ich fühlte mich als Mannschaftskapitän und als Profi dazu verpflichtet. Meine Absicht war allerdings stets, Dinge zu verbessern – niemals, jemanden herabzusetzen.
Es entstanden dann auch die größten Streitigkeiten dadurch, dass ich manchen Jungs sagte, sie sollten sich normal verhalten, und ihnen deutlich zu verstehen gab, dass die Siege von gestern schön und gut sind, wir aber morgen auch wieder gewinnen wollen. So kamen immer mehr unterschiedliche Auffassungen zum Vorschein.
Außerdem gab es noch Angelegenheiten, bei denen ich als Kapitän für andere Spieler meinen Hals riskiert hatte. Etwa bei der Gründung der Spielergewerkschaft VVCS, die später zum Vertragsspielerfonds geführt hat, der meines Erachtens weltweit die beste Rentenvereinbarung für Fußballer darstellt. Ich wies den Weg, in der Denkweise wie auch in solchen geschäftlichen Dingen.
Mein Schwiegervater und Karel Jansen haben die VVCS letztlich gegründet, während ich dort nie Mitglied war. Mir wurde vorgeworfen, dass ich die Gewerkschaft gegründet hatte, ihr aber nie beigetreten war; deshalb musste ich abermals erklären, dass die Organisation gerade nicht für mich bestimmt war. Ich verfügte nun einmal über ein gutes Salär und war bestens in der Lage, meine Geschäfte selbst in die Hand zu nehmen. Doch das galt für sehr viele andere Spieler nicht, zumal für die Fußballer aus den unteren Ligen. Für sie war die VVCS eine Lösung, für mich nicht. Deswegen durfte ich gerade kein Mitglied werden, um mir nicht die Möglichkeit zu nehmen, von zwei Seiten anzugreifen, falls es die Situation erforderte. Darüber hinaus sollte man nie Großverdiener mit mittelmäßig Verdienenden in einen Topf werfen. Dann gibt es nur eine Partei, und das ist nicht gut.
Dieselbe Rolle habe ich auch bei Ajax gespielt. Der Verein hatte im Europapokal der Landesmeister viel Geld verdient. Weil sie in der Vergangenheit nur eine oder zwei Runden überlebt hatten, war das eigentlich gefundenes Geld. Allerdings wurde es nie mit den Spielern geteilt, die gerade für diese zusätzlichen Einkünfte gesorgt hatten. Zu gegebener Zeit hatte ich den Vorstand gefragt, was der Verein pro Runde einnahm. Als ich den Betrag hörte, hatte ich vorgeschlagen, der Mannschaft siebzig Prozent davon zu geben.
Tatsächlich kostete das den Club nichts, denn es war nicht im Etat vorgesehen; darüber hinaus kam das Geld von der UEFA. Der Vorstand wollte davon aber nichts wissen, obwohl es gerade eine sehr ehrliche Verteilung war. Zwar würden wir als Spieler gut verdienen, so seine Auffassung, aber dafür mussten wir Leistung bringen, sonst bekamen wir nichts. Meines Erachtens ist daran wenig auszusetzen. Letzten Endes hatte ich auch meinen Willen bekommen, und es wurde eine Zusatzprämie für die Mannschaft ausgelobt.
Wenn man all das berücksichtigt, dann wird vielleicht klar, warum mir meine Abwahl als Mannschaftskapitän derart gegen den Strich ging. Natürlich war der Transfer nach Barcelona eine wunderbare Sache. Er wäre jedoch nie zustande gekommen, wenn es diesen Vorfall im Trainingslager nicht gegeben hätte.