Nur Heringe haben eine Seele

Fred Sellin

Nur Heringe haben
eine Seele

Geständnis eines Serienmörders -
der Fall Pleil

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Fred Sellin

Fred Sellin, Jahrgang 1964, studierte Journalistik, arbeitete als Redakteur bei verschiedenen Tages- und Wochenzeitungen. Als freier Autor hat er unter anderem die Autobiografien von Maria Höfl-Riesch, den Klitschko-Brüdern, Dagur Sigurdsson und Ben Becker sowie Biografien über Heinz Rühmann und Boris Becker verfasst.

Impressum

© 2020 Droemer eBook

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Zitate in den Kapiteln 8, 16 und 23: © Dr. med. F. Barnstorf: Der Fall Pleil,

in: Der SPIEGEL, Jahrgang 33 (1950), 8.11.1950, S. 10–11 

Redaktion: Sabine Wünsch, München

Covergestaltung: Isabella Materne, München

Coverabbildung: ullstein bild

ISBN 978-3-426-45977-5

Strafanstalt Celle

29. April 1957

 

Sehr geehrter Herr Doktor!

Ich möchte Ihnen heute die neuesten Begebenheiten mit dem Häftling Rudolf Pleil berichten. Gestatten Sie mir, mich ohne Umschweife auf die Tatsachen zu konzentrieren. Vor einigen Wochen war Pleil in eine Schlägerei mit zwei Mithäftlingen verwickelt. Dem einen Häftling wurde dabei erheblich auf der Nase herumgetrommelt mit dem Erfolg einer größeren Blutung.

Kurz darauf wurden die beiden Hauptschläger zur ärztlichen Untersuchung in das Lazarett geführt, während Pleil von sich aus bemüht war, das geflossene Blut in der Zelle zu beseitigen. An einem der folgenden Tage wandte sich Pleil dann vertrauensvoll an einen der Aufsichtsbeamten und hat ihm ungefähr erklärt: Ich dachte, dass sich meine abnormen sexuellen Gefühle inzwischen während meiner langen Inhaftierung beruhigt hätten. Ich wollte mich zunächst nicht in die Schlägerei einmischen. Als ich dann aber bei H… das Blut aus der Nase rinnen sah, hat es mich gepackt, und ich habe zugeschlagen. Dabei habe ich genau wie früher die gleiche Befriedigung gefunden, und es ist mir einer bei abgegangen.

Dem Anstaltsarzt (mir) gegenüber machte Pleil zunächst keine diesbezüglichen Angaben, und zunächst erfuhr auch niemand, dass sich Pleil einige Tage später mehrere große und tiefe Schnittwunden an den Waden beigebracht hatte und mit einem scharfen Instrument das Wort »Fotze« in den Unterarm eingeritzt hatte. Die Wunden wurden erst später rein zufällig während einer Lazarettbehandlung festgestellt. Dazu befragt, sagte Pleil, er habe die Beschädigungen deshalb vorgenommen, weil ihm mal wieder einer ohne vorheriges Wichsen abgehen sollte, was auch gelungen sei.

Anscheinend dieser »Spiele« überdrüssig, hatte Pleil wenige Tage nach seiner Selbstbeschädigung einen Antrag an die Staatsanwaltschaft Braunschweig verfasst, worin er bittet, dass man eine Einwilligung in eine Kastration gäbe, damit er von seinen krankhaften Trieben befreit würde. Kurioserweise unternahm er aber gleichzeitig Schritte zur Autokastration, und zwar schlitzte er sich mittels einer Rasierklinge seitlich den Hodensack auf und präparierte den rechten Hoden und Samenstrang heraus, fand dann aber nicht mehr den Mut zur Durchtrennung des Stranges. Angeblich weil die Schmerzen zu heftig wurden. So entblößt lag er dann grinsend auf seinem Bett und schlug Lärm. Ich habe ihn dann versorgt und nach komplikationslosem Heilungsverlauf bald wieder aus dem Lazarett entlassen können. Seitdem bohrt er nun unablässig, dass man die Kastration bei ihm durchführe.

Das ist schließlich auch der Anlass für mich, mich an Sie, sehr geehrter Herr Dr. Barnstorf,zu wenden. Ihnen ist Pleil durch die mehrmalige Exploration für die Gerichtsverfahren wohl am besten bekannt. Deshalb würde ich gern Ihre Ansicht und Meinung erfahren. Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten einer Kastration bei Triebverbrechern, insbesondere im Falle Pleils? Soll man bei ihm überhaupt an die Kastrationsfrage herangehen angesichts der Haftsituation? Immerhin könnte er später behaupten, er habe die Dinge nicht richtig übersehen, er befand sich in innerer Unfreiheit, Gebundenheit und seelischer Einengung aller Art usw. – ihr hättet mir abraten müssen. Liegt Ihrer Meinung nach überhaupt eine Indikation zur Entmannung in Hinblick auf seine lebenslange Strafe vor? Wurde sie schon während der Gerichtsverhandlung in Erwägung gezogen? Bedarf es zur freiwilligen Entmannung einer besonderen gerichtlichen Entscheidung?

Ein Antrag auf freiwillige Kastration ist bisher noch nicht an mich herangetragen worden. Ich bewege mich daher auf Neuland, kenne die Verwaltungsvorschriften nicht, kurz gesagt, ich bin ziemlich ratlos und wäre Ihnen daher sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie mich beraten würden.

Mein Schreiben an Sie ist so weit fertiggestellt, da erhalte ich soeben Ihre freundlichen Zeilen vom 25.4.57. Ich danke Ihnen sehr dafür und würde mich natürlich außerordentlich freuen, wenn ich Sie demnächst hier persönlich begrüßen dürfte. Selbstverständlich wird Sie auch jederzeit die Anstaltsleitung hier in Celle willkommen heißen und Ihnen gern die Besichtigung der Anstalt gestatten. Vielleicht kündigen Sie kurz vorher Ihren Ankunftstermin an, damit ich mich einrichten kann. Falls Sie außer Pleil noch weitere Häftlinge einer Nachexploration zu unterziehen wünschen, so bitte ich auch darüber um Mitteilung, damit ich die entsprechenden Unterlagen bereitlegen kann. Ich begrüße es jedenfalls sehr, Gelegenheit zu haben, die oben angeschnittenen Fragen ausgiebig mit Ihnen mündlich besprechen zu können. Sollten Sie Ihre Reise nach Celle noch längere Zeit hinauszögern müssen, dürfte ich Sie sodann um die baldige kurze Beantwortung meiner Fragen bitten?

Einstweilen danke ich Ihnen sehr für Ihre freundlichen Bemühungen und grüße Sie freundlichst

als Ihr ergebener

Dr. Schulze

1

Mein Name ist Rudolf Paul Pleil. Bin dreiunddreißig Jahre alt. Geboren am siebten Juli neunzehnvierundzwanzig. In Kühberg, was zu Bärenstein gehört, Erzgebirge, direkt an der tschechischen Grenze. Mutter und Vater leben noch, und selber hab ich auch Kinder in die Welt gesetzt, mit zwei Weibern, ein Mädchen, einen Jungen, aber darüber berichte ich an andrer Stelle, erst mal geht’s nur um meine Person.

Ich hab Menschen totgemacht. Weiber hab ich totgemacht. Außer einmal, da war’s ein Kerl, ein Kaufmann aus Hamburg. Hab ich im Zug getroffen, der wollte rüber in die russische Zone. War er an der richtigen Adresse, war meine Spezialität, Leute rüberzubringen. In die eine Richtung, in die andre auch. Sind mit dem Zug nach Walkenried gerattert, von Hamburg aus, hab da öfters Geschäfte gemacht. Mussten unterwegs paarmal umsteigen. In Walkenried dann raus und weiter zu Fuß nach Zorge, ist ein kleiner Ort im Harz, mehr am Rand, britische Zone. Von da ist man schnell auf die andre Seite gekommen, durch den Wald, war nicht weit. Kenn mich in der Gegend gut aus, als wär’s meine Westentasche. Hab paar Monate da gewohnt, Hoheharzstraße 62, im Haus von einer Frau Seifert, komm ich noch zu. Jedenfalls hab ich an dem Tag, als ich den Kaufmann im Schlepptau hatte, irgendwie den Weg verfehlt. War schon dunkel, aber das war nicht der Grund. Hab sonst auch gewartet, bis es finster war, damit mich keiner ertappte. Wird mehr der Sprit dran schuld gewesen sein. Hatte mir in Hamburg ein appetitliches Tröpfchen beschafft und auf der Bahnfahrt tüchtig dran genuckelt.

Die Gegebenheiten bei Zorge sind so, dass man erst einen Berg raufmuss, oben hat man die Grenze, und dahinter geht’s wieder runter. Wie’s passiert ist, weiß ich nicht, auf jeden Fall bin ich nicht auf der Seite runter, wo’s richtig gewesen wär, sondern da, wo wir hochgekraxelt waren, nur bisschen daneben. Der Kaufmann natürlich immer hinterher, hat sich verlassen auf meine Kenntnisse. So kam’s, dass wir wieder da gelandet sind, wo wir losgezogen waren. Nicht haargenau an derselben Stelle, war eine andre Ecke vom Ort. Ist mir selber erst nicht aufgefallen, bin weitergelatscht, hab gedacht, wir sind im Russischen angelangt. Bis ich paar Häuser erblickt hab, die mir bekannt vorkamen, schöne Blamage war das.

Was hat der feine Herr gemeutert, als ich ihm das Geständnis gemacht hab, wo wir rausgekommen sind! Nicht auszuhalten, war schlimmer, als wenn ein Weib geflennt hätte. So was kann ich nicht lange ertragen, wenn ich einen gesoffen hab, als würd ich verrückt von werden. Bin ich gleich auf achtzig und krieg die große Wut.

Inzwischen war’s Mitternacht oder schon danach. Ich hatte einen Rucksack bei, den hab ich so mit einem Riemen über die Schulter getragen, auf der linken Seite. In dem Rucksack war ein Beil drin, von der Firma, für die ich im Wald gearbeitet hab, der Stiel guckte oben raus. Hab zum Kaufmann gesagt, er soll’s sein lassen mit der Meuterei. Halt’s Maul, hab ich gesagt, halt endlich dein verfluchtes Maul!

War seine Entscheidung, nicht auf mich zu hören. Kein Mensch hat ewig Geduld, wenn einer was macht, was er nicht ertragen kann. Hab dann nichts mehr gesagt, wenn’s doch sowieso nicht geholfen hat. Hab mich weggedreht, damit er nicht gleich draufgekommen ist, was ich vorhatte. Vielleicht fünf Sekunden musste er meinen Rücken angucken, können auch zehn gewesen sein, aber mehr waren’s nicht. Dann hab ich das Beil in der Hand gehabt, in der rechten, mit der ich jetzt hier alles aufschreibe. Und haste nicht gesehen, hab ich mich wieder umgedreht. Und, zack, hab ich das Ding auf seinen Ballon krachen lassen. Schon lag er im Dreck, kein Mucks war mehr zu hören von dem. Nur das Geräusch vom Wind hab ich gehört. Hab bisschen das Gefühl gehabt, als würd ich am Meer stehen. Zwischen zwei Wellen gibt’s diesen Moment, wenn sich das Wasser von der einen Welle zurückzieht, da wird das Rauschen ganz leise, dass man schon denkt, gleich hört man gar nichts mehr. Aber auf einmal kommt die nächste Welle angebraust. Genauso hat’s sich da im Wald angehört. Als hätt der Wind zwischendurch Luft holen müssen, damit er danach wieder lospusten konnte wie wild.

Aufn Ballon hauen, da bin ich gut drin, ist meine Handschrift, kann man sagen. War bei den Weibern genauso, denen hab ich immer eine aufn Deetz geballert, so richtig mit Kataune, hallo die Enten, ein Pleil musste nicht zweimal zuschlagen. Hab’s meistens trotzdem gemacht, auch dreimal oder viermal. Weil’s so schön war, ist mir einer bei hochgegangen. Ich sag die Wahrheit. Bin ganz kribbelig geworden, wenn ich dran gedacht hab, was gleich bevorsteht. Nur bei dem feinen Pinkel aus Hamburg, da hat’s nicht so geklappt. Obwohl ich dem auch paarmal eine drübergezogen hab, mal mit der spitzen Seite vom Beil, mal mit der stumpfen, wie’s gerade kam. War nicht mehr viel übrig von seinem Verstandskasten, nachdem ich meine Arbeit beendet hatte. War alles Matsch, die Nase, seine Visage, der ganze Schädel. Hat aber nichts bewirkt, zu meinem Bedauern, muss ich sagen. Hab nichts gespürt in der Hose, nicht wie’s sonst war, bei den Weibern.

Kann sein, dass ich drüber die Tobsucht gekriegt hab, wegen der Enttäuschung, weil nix passiert ist, und paarmal mehr zugehauen und andre Stellen vom Körper erwischt hab. Im Eifer des Gefechts, da achtet man nicht auf so was. Will’s aber nicht bestreiten, denn später, als es hell geworden ist, hab ich feststellen müssen, dass ich von oben bis unten mit Blut besudelt war.

Der Kaufmann war der Letzte, den ich totgemacht hab. Bin danach direkt getürmt, rüber auf die russische Seite. Mit einem Mal war’s nicht kompliziert, den richtigen Weg ausfindig zu machen. Bis nach Ellrich bin ich gelatscht, war noch duster, als ich ankam. Hab gleich den Bahnhof angesteuert, musste aber paar Stunden warten, bevor der erste Zug abfuhr. Die Zeit hab ich gut genutzt, hab neuen Schnaps rangeschafft, von dem andren war nichts mehr übrig, und auf den Vorfall mit dem Kaufmann gut einen gezwitschert. Dann muss ich eine Weile in der Gegend rumgefahren sein, mit dem Zug, oder mit paar Zügen, kann ich mich nicht dran erinnern, war zu duselig im Kopp. Weitererzählen kann ich erst ab Leipzig. Hauptbahnhof. Da hab ich einen Anfall gekriegt, und danach war ich wieder so einigermaßen klar. Welche von der Bahnpolizei haben sich um mich gekümmert. Was die eben unter kümmern verstehen. Soviel ich weiß, hat ihre Hilfe hauptsächlich drin bestanden, mich abzukassieren. Musste denen eine Stange Geld dalassen. Für den Fahrstuhl, auf den sie mich draufgelegt hatten, den soll ich kaputt gehauen haben. Selber weiß ich nichts von solch einer Aktivität meinerseits. War genauso bei der Sache mit der Zugschaffnerin. Die von der Bahnpolizei haben erzählt, ich hätt versucht, dem Weibsstück die Kleider vom Leib zu reißen. Ob die sich das ausgedacht haben? Keine Ahnung, aber Bilder find ich von so einem Vorgang keine in meinem Kopp. Und da sind viele Bilder vorhanden, wirklich verdammt viele, würden ausreichen für ’n paar Leben.

Da ich nun schon mal aufm Weg war, bin ich mit einem andren Zug weitergezuckelt, hin zu meiner Alten. War damals noch mein Eheweib, dieses Luder. Hab ihr von einem Bahnhof, wo ich umsteigen musste, übers Telefon die Nachricht zukommen lassen, dass ihr Herr Gemahl im Anmarsch ist. Haben uns bei einer Cousine verabredet, nicht weit von Chemnitz, bis dahin ging meine Fahrkarte. Unsren Jungen hatte sie auch mitgebracht, Gerhardt sein Name. Würd gern wissen wollen, wie der Bursche jetzt aussieht und wie er so ist, ob er nach seinem Vater schlägt. Darf ich jetzt aber nicht weiter drüber sinnieren, sonst kommt die Schwermut über mich. War das letzte Mal, dass ich den Jungen gesehen hab. Hat neben uns im Bett geschlafen, und ich hab in der Nacht meine Alte gefickt. War auch das letzte Mal.

Wär ich mal dortgeblieben, auf der Russenseite. Aber was hab ich gemacht? Bin wieder zurück, gleich am nächsten Tag. Hab nie irgendwo lange sein können, hab ich nicht ausgehalten. Vielleicht war noch ein Tag dazwischen, aber wenn’s so gewesen war, wär’s nicht weiter von Bedeutung. Worauf’s ankommt, ist, dass es meine eigne Blödheit war, und Blödheit muss bestraft werden, sagt man doch so. Und da ist tatsächlich was dran, wie ich erfahren hab.

Bei der Rückfahrt mit dem Zug war im Ort Benneckenstein Endstation. Aufm Bahnhof, war kaum rausgeklettert ausm Waggon, ist mir direkt ein Weib übern Weg gelatscht. Ein junges Ding, fast ein Mädchen noch, hat auch rübergewollt über die Grenze. War so richtig mein Fall, hat mich ganz aus der Ruhe gebracht mit ihrer Erscheinung. Holla, hat die einen Arsch gehabt, der Speck hätt für zwei ausgereicht, und ihre Titten, konnt man nicht dran vorbeigucken, war einem glatt die Sicht versperrt. Was hätt ich die gern bearbeitet. Würd ich mir heut noch herwünschen, hier rein in die Bucht. Zu meinem Leidwesen hab ich jedoch keinen Apparat bei mir gehabt, mit dem ich ihr eine aufn Ballon ballern konnte. Sind trotzdem zusammen losmarschiert. Hab die ganze Strecke Ausschau gehalten, ob ich was fürs Betäuben nach meiner Art erspähe. War aber zum Verrecken nichts zu finden. Meine Qual kann man sich vorstellen. Da willste, kommst aber nicht zum Zug. Ein Glück nur, dass ich meinen geliebten Schnaps beihatte. Hat mir Trost gespendet, das feine Tröpfchen, dass ich drüber meine Begehren vergessen hab. Und so lebt das Luder heute noch. Denk ich mal.

Als wir nach Zorge reingekommen sind, da hat schon ein Empfangskomitee bereitgestanden. Hab’s nicht gleich begriffen, dass die wegen mir da rumgelungert haben. Wär sonst getürmt, hätt’s versucht. Aufm Revier dann Fingerabdrücke und Fotos und was die alles veranstaltet haben. Im Verhör hab ich aber nichts aus mir rauskitzeln lassen, hab’s abgestritten, also das mit dem Kaufmann, von den Weibern wussten die gar nichts, hat keiner nach gefragt. Eingebuchtet haben sie mich trotzdem. Und nicht wieder rausgelassen, keinen einzigen Tag, seit elf Jahren nicht.

Stopp, ist elf richtig? Muss kurz nachrechnen. Walter sagt, ich soll’s ganz genau aufschreiben. Und ganz genau sind’s, ich hab’s gleich, zehn Jahre und zehn Monate. Die paar Tage, die’s mehr sind, muss ich ja wohl nicht auch noch zählen.

In der Zeit hab ich genug Zuchthäuser kennengelernt. Immer Einzelzelle. Außer am Anfang, da haben sie mich in eine Bucht gesperrt, in der schon ein andrer drin war. Aber nicht lange, kam bald der Tag, wo ich auf den Banausen los bin. Normal tu ich keiner Fliege was zuleide, nur reizen darf man mich nicht, bin auch bloß ein Mensch, dann ist Schluss mit der Freundschaft. Und wenn ein Weib aufkreuzt, das nach meinem Geschmack ist, aber das ist noch mal was andres.

Hat natürlich Blut gegeben, wenn ich schon mal loshämmere. Nicht wenig davon. Und ein Lärm war das. Die halbe Kompanie der Wachtmeister ist angewetzt gekommen, als wär wieder Krieg ausgebrochen. Klick-klack, hatt ich Handschellen dran, konntste gar nicht so schnell gucken. Haben mich sofort rausbefördert aus der Bucht. Und draußen haben sie mich den Gang langgescheucht, an den Türen der andren Buchten vorbei, Eisentüren waren das. Los!, los!, hat einer von den Wachtmeistern dauernd kommandiert, so ein scharfer Hund, noch mal und noch mal, immer los!, los!, als hätt der an dem Tag noch was vorgehabt. Zu den Treppen hat er mich hintraben lassen und dann zwei Stockwerke nach unten, tiefer ging’s nicht, war der Keller mit den Strafbuchten. Da hab ich mein Einzelquartier gekriegt. Seh ich noch, wie ein andrer Wachmann flugs die Tür aufgesperrt hat, der scharfe Hund hat mich reingeschoben wie ein Möbelstück, die Tür ist zugekracht, und, ratsch, war der Riegel vor. Das Geräusch, wie die Eisentür zuknallt und der Riegel vorgeschoben wird, hört man im Zuchthaus tausendmal am Tag. Und nach einer Weile hört man’s sogar, wenn’s gar nicht da ist, in der Nacht, im Schlaf.

Dem Banausen da oben in der Bucht hatte ich gut was eingeschenkt. Hab ihm den Klosettdeckel gegen den Deetz gepfeffert, und danach hab ich mich mit ’nem Schemel bewaffnet, war ich auch nicht zurückhaltend mit. Musste ins Lazarett geschafft werden, der Kerl. Hat mir einer von den Wachtmeistern geflüstert, nicht an dem Tag, paar Tage später. So ein freundlicher, ich glaub, der konnte mich gut leiden. Gibt nicht viele von der Sorte, die was Menschliches an sich haben. Die meisten plustern sich auf, als wären sie was Besseres. Kommandieren rum wie ein Generalfeldmarschall. Nicht mal Weihnachten hört man von denen ein gutes Wort, oder wenn man Geburtstag hat, das werden die ja wissen.

Jedenfalls ist nie wieder einer auf die Idee gekommen, mich mit andren zusammen in eine Bucht zu sperren. Die vom ersten Zuchthaus müssen das ans nächste, wo ich hingekommen bin, durchgegeben haben. Und die dann auch wieder, immer wenn sie mich woanders hingeschickt haben, wie stille Post.

 

 

Prof. Dr. med. G. Jungmichel/Prof. Dr. W. Ewald: Vorläufiges ärztliches Gutachten, Göttingen, 21.5.1950 (Auszug)

Körperlicher Befund:

163 cm, knapp 26 Jahre alt, 88,5 kg mit Kleidung (im August 49 waren es 78 kg)

Pyknisch-athletischer Körperbau

Zahllose Narben am Kopf, die nach seinen Angaben teils von Verletzungen bei seinen Anfällen herrühren, teils sind sie Folgen von Gewalteinwirkungen bei Schlägereien und im Kriege. Die Narben am linken Unterarm und an der linken Hand stammen von selbst beigebrachten Schnittwunden, um durch das Sehen von Blut sich sexuelle Lustgefühle zu erzeugen.

Pleil ist kurzsichtig.

Pupillenreaktion ist normal. Der Augenhintergrund ist intakt.

An den übrigen Sinnesorganen kein krankhafter Befund.

Keine Vergrößerung der Schilddrüse.

Innere Organe sowie Urin ohne Besonderheiten.

Die Untersuchung des Bluts auf überstandene Syphilis fiel negativ aus.

Der Blutdruck ist normal, 125/80 mmHg, auch nach und vor einem Anfall, während und nach einer Absence.

Abgesehen von einer schweren Auslösbarkeit einzelner Reflexe (Achillessehnen-, Kniescheibensehnen-, Bauchdeckenreflexe) sind organische Veränderungen des Nervensystems mit klinischen Methoden nicht nachzuweisen.

Die Ableitung der elektrischen Hirnströme ergab keine Anhaltspunkte für einen etwa traumatisch gesetzten lokalen Hirnschaden. Es fanden sich im Gebiet des Stirnhirns beiderseits Schwankungen zwischen 4 und 6 Hertz, die als pathologisch angesehen werden müssen. Es fehlen jedoch eindeutige Veränderungen im Sinne der genuinen Epilepsie.

2

Walter sagt, ich soll als Erstes verkünden, was ich verbrochen hab. Hätte sonst mit der Kindheit angefangen, mit der Familie, Mutter, Vater, Schwester und so. Oder mit dem Ort, wo ich aufgewachsen bin. Und dann hätt ich alles der Reihe nach erzählt. Macht man normal doch so. Aber Walter sagt, die Leute sollen sofort erfahren, mit wem sie es zu tun haben.

Tja, das ist so eine Frage. Mit wem haben sie es denn zu tun? Anscheinend gibt’s darüber verschiedene Ansichten. Ich sag, ich bin ein guter Junge, hab ein gutes Herz. Aber in der Zeitung haben sie was andres geschrieben. Der Pleil ist eine blutdürstige Bestie, stand da, vergess ich nie, damals, als der Termin beim Gericht war, in Braunschweig, der große Termin, wo die ganzen Leute hingekommen sind, waren bestimmt hundert oder so. Normale Leute wie du und ich. Haben in den Stuhlreihen gehockt wie die Hühner auf der Stange früher bei Großmutter. Bis hinten an die Wand war der Raum vollgestellt.

Und was haben meine Augen mittenmang erblickt? Weiber. Sogar eine ganze Menge davon, nicht nur zwei, drei. War ein richtiges Fest für mich. Kann man vielleicht nicht verstehen, ist aber so gewesen. Weil der Mensch eben ein komisches Geschöpf ist. Kriegt er ewig keine Weiber zu sehen, freut er sich über die Biester. Aber immer welche um sich haben, nee, das ist eine andre Geschichte, wird man bekloppt bei.

In der ersten Reihe hatten sich die Zeitungsfritzen breitgemacht. Haben rübergegafft zu mir, als wär ich eine Jahrmarktsattraktion, die gleich ein Spektakel veranstaltet oder irgendwelche Zauberkunststücke vorführt, so was wie Dame ohne Unterleib, nur eben als Mann. Was weiß ich, was die gedacht haben. Was Freundliches kann’s nicht gewesen sein, das hab ich an ihren Augen gesehen. Und wenn sie mich nicht angestarrt haben, haben sie in ihren Kladden rumgekritzelt und dabei eine Miene aufgesetzt, als wären sie bedeutende Leute. Und paar haben sich was ins Ohr getuschelt. Hab mich aber nicht weiter drum geschert, hatte nur Augen für die Weiber. Wollte schließlich nicht verpassen, wenn mal eins aufstand und bisschen mehr von sich preisgab, dass ich einen Blick auf die Titten erhaschen konnte oder sogar aufn Arsch. Hab ich mir abends in der Bucht dann schöne Gedanken zu gemacht.

Selber bin ich immer fein rausgeputzt zu den Terminen hingegangen, hab ich drauf geachtet. Anzug und Schlips und so, wie sich das gehört für einen anständigen Herrn. Und rasiert hab ich mich vor jedem Termin. Und ordentlich Brillantine ins Haar geschmiert, dass es schön geglänzt hat. Hab die paar Fusseln, die noch aufm Deckel von meinem Verstandskasten sprießen, extra trimmen lassen vom Barbier, der immer ins Zuchthaus gekommen ist. Akkurater Scheitel, wie beim Militär. Wird den Weibern garantiert Freude bereitet haben, so ein schmuckes Kerlchen mal aus der Nähe bestaunen zu dürfen. Und so eine Berühmtheit. Ist keine Angeberei, war die Realität. Sonst wären nicht die vielen Leute aufmarschiert. Das war der Beweis, wenn’s einer nicht glauben will. Genauso wie die Fotografen, die waren auch ein Beweis. Schickt keiner Fotografen hin zu solchen Terminen, wenn da nur einer rumsitzt, den kein Aas kennt.

Ach ja, die Fotografen, denen hab ich vielleicht eine feine Aufführung geboten. Wetten, die sind davon ausgegangen, dass ich rasch in Deckung geh, wenn sie anfangen, mit ihren Knipsapparaten auf mich zu zielen wie mit einer Knarre. Aber das haben die sich falsch ausgerechnet, diese Heinis. Nichts da, ein Rudolf Pleil verkriecht sich nicht wie eine Schnecke, der ist kein Feigling. Fein in Positur gesetzt hab ich mich, Rücken gerade, Brust raus und so. Und angelächelt hab ich die, als wären sie meine besten Kumpel, die mich besuchen kommen und paar Geschenke mitbringen.

Hab ein hübsches Lächeln, kann ich hier ruhig mal verkünden. Ist keine Feststellung von mir, sonst würden die Leute noch denken, so ein eingebildeter Pinsel. Von den Weibern weiß ich das. Hat schon genug gegeben, die mir das bestätigt haben. Nicht hier drin, nee, hier gibt’s keine, kannste lange nach suchen. Aber früher, wenn ich draußen so ein Weibsbild aufgegabelt hab, hab ich das öfters zu hören gekriegt. Erzählen viel Blödsinn, diese Biester, sabbeln und sabbeln, darf man normal nichts drauf geben. Nur bei dieser einen Sache, da werden sie ausnahmsweise schon recht gehabt haben.

Noch eine Mitteilung zu den Fotografen, weil’s von Bedeutung ist. Hab denen meine beste Seite vorgeführt. Sollten nämlich schöne Fotos werden, damit sie auch in die Zeitung reinkommen. Ist was andres, ob so ein Zeitungsfritze nur einen Bericht verfasst, oder ob sie ein Bild dazu abdrucken. Das Geschreibsel übersehen die Leute schnell mal, aber auf ein Foto guckt jeder drauf. Kenn ich von mir selber. Wenn ich eine Zeitung aufblättre, guck ich immer zuerst, ob auf der Seite ein Foto ist. Macht jeder so, außer wenn er blind ist, wird von dem Denkkasten da oben automatisch gesteuert. Deswegen sind Fotos eine wichtige Sache. Die Leute merken sich deine Visage, und dadurch wirste berühmt.

Aber wachsam musste man sein bei diesen Schuften, waren hinterhältige Gesellen bei. Einer ist angewatschelt gekommen und wollte ein Foto machen von meinen Händen. Sollte ihm die so hinhalten, dass bloß die Hände drauf gewesen wären, sonst nichts weiter. Hab aber sofort durchschaut, was der Herr Knipsmeister vorhatte. Nee, nee, hab ich dem gesagt, die Hände nicht, fotografieren Sie lieber mein Gesicht. Lass mich doch nicht austricksen. So ein Foto, wie der machen wollte, hab ich mal in einer Zeitung gesehen. Waren die Hände von einem, der seine Kinder totgemacht hat, zwei Buben glaub ich. Mit bloßen Händen hat der die totgemacht, sein eignes Fleisch und Blut, hat ihnen die Luft an der Kehle abgedrückt, bis sie nicht mehr geatmet haben und ganz blau geworden sind im Gesicht. So hatten sie’s in den Bericht reingeschrieben, und daneben war eben das Foto mit den Händen abgedruckt, war fast größer als der Bericht selber. Mörderhände. Um Himmels willen, so was sollten die über mich nicht schreiben, wär nicht die Wahrheit, hab keine Kinder totgemacht.

Paar Artikel über die Termine beim Gericht hab ich hinterher zu lesen gekriegt. War meistens ein Foto mit bei, war ich bisschen stolz drauf, muss ich zugeben. Auf einem hab ich zwischen zwei Wachtmeistern gesessen, mit Schlips und Kragen, sah ich richtig schnieke drauf aus. Muss einer in dem großen Raum mit den ganzen Leuten geknipst haben. Im Gerichtssaal, genau, endlich spuckt mein Denkkämmerchen dieses blöde Wort aus. Hab die ganze Zeit nachgegrübelt, wie’s richtig heißt. Passiert manchmal, dass ich auf was ewig nicht komme, als wär da oben ein Loch, durch das paar Wörter einfach rauspurzeln. Die Wachtmeister haben alle beide so böse geguckt auf dem Foto, dass man denken konnte, nicht ich, sondern sie wären die Verbrecher. Hätten sich ruhig ein Beispiel an mir nehmen und bisschen freundlicher gucken können. Aber dadurch, dass sie eine Uniform anhatten, konnte man schon draufkommen, dass sie Wachtmeister waren, die auf mich aufgepasst haben. Ihre Uniform sah aus wie die von den Soldaten unter Hitler. Ich war nie bei den Soldaten. Hätte ich schon gemacht, aber mich haben die nicht haben wollen, wegen meiner Krankheit, haben sie gesagt. Also, eigentlich hat’s nur einer gesagt, aber der konnte das entscheiden. Hab in der Zeit, als Krieg war, trotzdem mit genug Leuten zu schaffen gehabt, die so eine Uniform anhatten.

 

Der Doktor, mit dem ich vor den Terminen, die im Gerichtssaal abgehalten wurden, viel hab reden müssen, Barnstorf heißt der, werd den Namen mein Lebtag nicht vergessen, hat selber auch einen Bericht abgefasst. Erschienen ist der in einer Zeitung, die man überall im Land kaufen konnte, nicht nur in Braunschweig und in den Orten drum rum. Sollte mich beim Doktor wohl bedanken, hat mich noch berühmter gemacht. War nämlich ein großer Bericht, vier Seiten oder so, konnt ich gar nicht alles mit einem Mal lesen. Wegen meinen Augen, die machen mich verrückt, krieg immer Schmerzen, wenn ich länger lese oder was aufschreibe. Mit der Brille, hab die noch nicht lange, geht’s bisschen besser, aber Schmerzen krieg ich trotzdem noch.

 

 

Schreiben der Oberstaatsanwaltschaft Braunschweig an den niedersächsischen Minister der Justiz vom 9.11.1950 (Auszug)

In einer Beratungspause des heutigen 7. Verhandlungstages der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht Braunschweig wurde dem Sitzungsvertreter das Heft 45 der Zeitschrift Der Spiegel vorgelegt, in dem sich ein längerer Artikel des in diesem Verfahren als med. Sachverständiger hinzugezogenen Med. Rats Dr. Barnstorf von der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Königslutter über den Fall Pleil befindet.

Da der Sachverständige in dem vom Spiegel veröffentlichten Artikel bereits vor Erstattung seines Gutachtens in der Hauptverhandlung eine ausführliche Stellungnahme zur Persönlichkeit des Angeklagten Pleil gegeben hat, hat der Sitzungsvertreter [Staatsanwalt F. Fuhrmann, d. A.] gemäß § 74 StPO den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Schwurgericht hat dem Ablehnungsantrag stattgegeben.

 

[Das Gericht beschloss, den Artikel zu verlesen. Als die Öffentlichkeit dafür ausgeschlossen werden sollte, sprang Pleil auf und sagte, die Zeitung sei ja überall zu kaufen, d. A.]

 

 

Randvermerk des Generalstaatsanwalts Braunschweig in den Unterlagen zum obigen Sachverhalt vom 9.11.1950 (Auszug)

Da zwei weitere Sachverständige geladen waren, konnte die Hauptverhandlung ohne Verzögerung fortgeführt werden …

Sollte Barnstorf für die Zeit seiner Teilnahme an der Hauptverhandlung Sachverständigengebühren beanspruchen, so wird zu prüfen sein, ob einem solchen Antrag unter dem rechtlichen Gesichtspunkt entgegengetreten werden kann, er habe seine Ablehnung als Sachverständiger selbst verschuldet.

 

 

In dem Bericht war sogar ein Foto vom Doktor drin. Von mir auch, aber seins kam zuerst. Hatte ziemlich viel von dem reingeschrieben, was ich ihm bei unsren Gesprächen anvertraut hab. Walter sagt, das hätt er nicht tun dürfen, wegen der Schweigepflicht, die man als Arzt schwören muss. Wahrscheinlich hat der Doktor gedacht, er kriegt was von der Berühmtheit ab, wenn die Leute erfahren, dass er mit dem bekannten Totmacher geredet hat. Und wie ein richtiger Patient war ich ja nicht für ihn. Ich meine, er hat mich nicht behandelt oder gezwungen, irgendwelche Pillen zu schlucken. Bloß Fragen gestellt hat er, als wär’s eine Sucht bei ihm, noch eine und noch eine, wie Wasser aus einem Springbrunnen sind die aus ihm rausgesprudelt. Aber nicht mal selber aufgeschrieben hat er, was ich auf seine dämlichen Fragen geantwortet hab. Dafür hat immer so ein Jüngling beigesessen, stumm war der wie ein Fisch, hab nie einen Ton aus seinem Mund zu hören gekriegt. Hockte nur da auf seinem Stuhl und hat auf seine Kladde gestiert und vor sich hin gekritzelt. Als hätt er Angst vor gehabt, mir mal in die Augen zu gucken.

Das Krankenhaus vom Doktor war in Königslutter. Über die Stadt kann ich nichts berichten, bin ich nie hingekommen, war immer eingesperrt im Krankenhaus. Heilanstalt hat’s der Doktor genannt, so hat’s auch am Eingang drangestanden. Haben sie die Leute mit getäuscht. In Wahrheit war’s nämlich eine Irrenanstalt. Sind lauter Verrückte rumgelaufen dadrin, haben komische Verrenkungen gemacht, so mit dem Kopf gezuckt oder mit ihren Armen rumgewedelt, als würden sie im Wasser absaufen. Und paar waren drunter, wenn man an denen vorbeigelatscht ist, haben sie vor sich hin geplappert, als hätten sie mit jemandem ein Gespräch geführt. Aber da war nie einer, also kein andrer. Haben mit sich selber geredet oder in ihrem verdrehten Kopp tatsächlich geglaubt, dass doch einer da ist, dem sie was erzählen können. Und nie war Ruhe in dieser Klapsmühle, noch in der Nacht hat man Stimmen gehört, von einer Lautstärke, als wären sie direkt vom Zimmer nebenan gekommen. Hat man kein Auge bei zugekriegt. Wär beinahe selber noch verrückt geworden.

Aber dann wär’s die Schuld vom Staatsanwalt gewesen. Auf seine Anordnung hatten sie mich zu dem Doktor hingeschafft. Vorm ersten Termin am Gericht war das, nicht vor dem mit den vielen Leuten und den Zeitungsfritzen, das war schon der zweite. Bei dem Termin, den ich meine, wurde nur der Tod von dem Kaufmann abgehandelt. Dass ich drüber hinaus paar Weiber aufm Kerbholz hatte, das haben die nicht mal gewusst zu der Zeit. Hab all die Monate, die sie mich da schon eingebuchtet hatten, waren sieben oder acht, immer schön meine Schnauze gehalten. Muss man sich mal vorstellen, da haben die so einen großen Fisch an der Angel und merken’s nicht mal. Ist keinem ein Licht aufgegangen.

 

 

Handschriftliche Aufzeichnungen Dr. med. F. Barnstorf während Pleils Aufenthalt in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Königslutter vom 25.7. bis 30.9.1947, veranlasst auf Beschluss der 1. Strafkammer des Landgerichts Braunschweig am 19.7. 1947 (Auszüge)

 

26.7.47:

Liegt ruhig im Bett, erzählt spontan nichts vom Grund seiner Einweisung. Beobachtet die Vorgänge auf der Abteilung sehr genau, äußert sich aber nicht dazu. Ist zeitlich und örtlich vollkommen orientiert. Keine Auffälligkeiten in Verhalten, Ausdruck und Mimik.

 

30.7.47:

Hat sich bisher sehr reserviert verhalten, spricht nicht viel. Es wird vermieden, ihn auf die Tatbestände hin anzureden. Das Pflegepersonal ist angewiesen, keine eigenmächtigen Explorationsversuche anzustellen. Von sich aus ist Pleil bisher nicht auf seine Tat oder auf Einzelheiten seiner Vorgeschichte zu sprechen gekommen. Er schläft viel und begründet das damit, dass nachts auf der Abteilung durch die Verrückten viel Lärm gemacht würde und dass er es nicht gewohnt sei, unter solchen Leuten zu leben. Bei einem ersten orientierenden Explorationsversuch gibt er heute zu seinen Personalien zutreffende und sinnvolle Antworten. Ist dabei aber sehr zurückhaltend. Überlegt lange und scheint andeuten zu wollen, dass sein Gedächtnis nicht besonders gut sei.

B [Frage Barnstorf]: Warum sind Sie hierhergekommen?

P [Antwort Pleil]: Das weiß ich nicht, die haben mich hierhergebracht.

B: Wo sind Sie hier?

P: In einem Krankenhaus, da sind alles Leute, die so einen kleinen Knall haben, in Königs… war … na … wie heißt das? … in Königslutter.

B: Warum sind Sie ins Gefängnis gekommen?

P: Da soll einer totgeschossen oder totgestochen oder totgeschlagen worden sein. Ich weiß das nicht so genau. Daran soll ich mit schuld gewesen sein.

Pleil sieht sich während der Unterhaltung mehrmals um, als irgendwo ein anderer Patient zu schimpfen anfängt, lacht auf und meint, nun geht das schon wieder los.

Er wirkt nicht wie ein Epileptiker, hat keine typischen epileptischen Denk- oder Wesensveränderungen. Wirkt eher, dass er mit seiner langsamen und vorsichtigen Art der Antworten … den Eindruck simulieren will. Aber das kann man noch nicht sicher beurteilen. Affektiv wirkt er ausgesprochen wurschtig und gleichgültig.

 

1.8.47:

[Pleil hatte Barnstorf die Tat inzwischen gestanden, d. A.]

B: Mit welcher Strafe rechnen Sie?

P: Im Höchstfall mit der Todesstrafe. Aber ich komme ja wieder raus.

B: Warum sprechen Sie mit niemandem?

P: Ich bin mit meinen Gedanken beschäftigt. Ich denke immer darüber nach, wer mir meine Pläne geklaut hat, wenn mir das geglückt wäre, hätte ich mir später mal selbst ein Schiff bauen können, ich habe an diesen Plänen schon lange herumgearbeitet, man braucht wenig Kohle, erzeugt viel Dampf, man kann Schiffe auch mit Elektrizität antreiben. Das wird sich alles finden, wenn ich erst mal hier rauskomme.

B: Was glauben Sie denn, wann Sie hier rauskommen?

P: Ich komme schon raus, so bald wie möglich. Dumm bin ich nicht, Herr Doktor. Wenn mancher Mann nur meinen Kopf hätte.

Körperlicher Befund an diesem Tag:

Ziemlich kleiner Mann mit pyknischem Habitus. Blasse, etwas fahle Gesichtsfarbe. Haut und Schleimhäute mäßig durchblutet, keine Ödeme oder Exantheme. Am rechten Handgelenk, Beugeseite, 5 cm lange, kaum sichtbare Narbe, strichförmig. Auf der Streckseite erbsengroße Einschussnarbe.

 

28.9.47:

Pleil sprang nach dem Abendessen plötzlich aus dem Bett und schlug ohne Grund auf … ein. Das wurde von Pflegern unterbunden, griff Pfleger an. Sagte später, dass er ganz über sich war. Können Sie mich denn nicht verstehen, jede Minute kann ich abgeholt werden. Lief im Zimmer auf und ab, bekam Beruhigungsmittel, war dann ruhig in der Nacht.

 

29.9.47:

Schon des Morgens unter der Bettdecke lustige Lieder gesungen. In der Nacht unruhig, ging viel zum Abort, äußerte Selbstmordabsichten …

Pleil abends sehr lebhaft und laut, sang und pfiff vor sich hin, sagte vieles durcheinander in albernem Ton, um seine Mitkranken zum Lachen zu bringen, kroch aus dem Bett auf Händen und Knien, ließ sich auf Zureden nicht beruhigen, sondern kam mit der Frage, wann fährt der Interzonenzug zur Leipziger Messe. Auf die Frage, warum er dies wissen wollte, gab Patient zur Antwort: Ich bin heute Abend außer Rand und Band, ich könnte alles entzweischlagen. Patient wurde gesagt, sich ruhig zu verhalten, gab darauf zur Antwort: Ich darf noch nicht mal lustig sein und Soldatenlieder singen. Patient machte dabei keinen verstörten Eindruck, sondern gab klar und deutlich Antworten, bekam auf Anordnung 5 St. … [unleserlich, d. A.]

3

Denk grad über was nach. Ist vielleicht besser, ich erklär mal die Reihenfolge, wie sich alles abgespielt hat, nicht dass Walter nachher was vertüdert. Also, von der Nacht an, wo ich den Kaufmann totgemacht hab. Oder mehr vom Tag drauf, als jemand über seine Leiche gestolpert ist. Frühjahr siebenundvierzig war das, damit man’s richtig einordnen kann, im April, ich glaub, die Hälfte vom Monat war schon rum. Am selben Tag, oder am nächsten, kommt nicht drauf an, hat einer von den Polizisten das Beil aufgestöbert, mit dem ich meine Arbeit verrichtet hab. Lag in einem Gebüsch, nur paar Meter weg von der Stelle, wo der Kaufmann in die Knie gesackt war und sich langgemacht hatte. Muss ich da hingepfeffert haben, bevor ich abgehauen bin. Erinnern kann ich mich nicht dran. War keine schlaue Idee, aber ich hab’s schon gesagt, der Suff. Jedenfalls kamen sie drauf, dass es mein Beil war, das sie da gefunden hatten. Nicht mein Eigentum, hab’s von einem im Sägewerk in Zorge ausgehändigt gekriegt, sollt ich Bäume mit umhauen im Wald. Hab ich aber nur paarmal gemacht. Erst war’s nicht möglich, lag zu viel Schnee. Und dann bin ich die meiste Zeit rumgereist, um Geschäfte abzuwickeln, war ich mein eigner Herr und hab gut verdient bei. Verraten hat mich das Beil, weil aufm Stiel eine Nummer draufstand. War bei jedem so, das Eigentum vom Sägewerk war, nur die Nummer war immer eine andre. Und die Nummern von den Beilen, die sie an Leute rausgegeben haben, waren in einer Kladde eingetragen, erst die Nummer und daneben der Name von demjenigen, der’s gekriegt hat. Musste man seinen Wilhelm hinter setzen, als Empfangsbestätigung.

Angeblich hatten sie noch einen andren Beweis gegen mich in petto, einen Zeugen. Der soll mich an dem Abend, bevor’s passiert ist, gesehen haben, wie ich mit einem fremden Mann in Zorge die Straße langgelatscht bin. Aber das wär als Beweis bestimmt nicht genug gewesen. Haben sich schon viele Leute geirrt, die solche Behauptungen aufgestellt haben. Wie will der mein Gesicht erkannt haben, war stockduster, als ich mit dem Kaufmann angetrabt kam. Ich glaub, mehr gezählt hat das Beil, da waren Fingerabdrücke von mir dran.

Hab mich bisher nicht drüber geäußert, was der Grund für war, dass ich wieder zurückgekommen bin, nachdem ich meiner Alten einen Besuch abgestattet und ihr nächtens noch paar Freuden bereitet hatte. Hab ich die erste Zeit in der Bucht viel drüber nachgegrübelt, kann aber trotzdem keine Erklärung abliefern. Wahrscheinlich hab ich gedacht, wird schon keiner draufkommen, dass ich’s war, der den Kerl abgemurkst hat. Bei den ganzen Weibern war auch nie einer draufgekommen, mal beim netten Herrn Pleil nachzufragen.

Wie auch immer, nachdem sie mich dann eingebuchtet hatten, haben sie mitgekriegt, dass ich manchmal Anfälle hab, wo man denken könnte, dass ich bei draufgeh. Wenn so ein Anfall über mich kommt, krache ich auf den Boden wie ein gefällter Baum, kann ich nichts gegen machen. Und dann lieg ich da und fang zu zucken an, als würd wer Strom durch meinen Körper durchjagen, tausend Volt oder so. Dauert aber nie lange, so ein Anfall, nicht mal fünf Minuten, hat meine Alte gesagt, die hat paar miterlebt von. Das Verrückte ist, hinterher hab ich nicht die kleinste Erinnerung dran, kommt nicht mal was im Traum von vor, als wär’s gar nicht passiert. Ich merk’s nur dran, dass meine Hose auf einmal nass ist und nach Pisse stinkt. Und manchmal kommt hinten was raus, aber da will ich nicht näher drauf eingehen.

 

 

Anklageschrift im Mordfall Kaufmann Hermann Bennen, Oberstaatsanwalt beim Landgericht Braunschweig, 11.6.47 (Auszug)

Pleil gibt zu, bei der Ermordung anwesend gewesen zu sein und ihn beraubt zu haben, behauptet aber, die Schläge mit dem Beil habe ein Unbekannter namens Harry dem Opfer zugefügt. Harry habe ihm das Beil gegen 30 Zigaretten abgekauft und sich den beiden auf dem Weg über die Grenze von Zorge aus angeschlossen. Auf dem Weg zur Zonengrenze habe Harry den Vorschlag gemacht, Bennen zu berauben. Erst wollte Pleil nicht, dann stimmte er zu. Harry habe dann plötzlich den vor ihm laufenden Bennen mit dem Beil niedergeschlagen. Beide raubten Rucksack, Wäschebeutel und Aktentasche, Ringe und Bekleidung. Da soll Bennen noch gelebt haben. Danach soll Harry noch mehrmals mit dem Beil zugeschlagen und Bennen dann in die Zorge geworfen haben. Dann hätten sie sich die Beute geteilt, Pleil soll eine größere Summe Geld, den Rucksack und die Aktentasche bekommen haben. Dann trennten sie sich.

Das meiste der Beute wurde später bei Pleil gefunden. Es war also unglaubwürdig, dass er den Großteil bekam, obwohl er nur dabei gewesen sein will.

Pleil hatte bei seiner Festnahme 1700 RM bei sich, 1000 RM hatte er bereits per Post an seine Eltern überwiesen. Bennen hatte mehrere Uhren bei sich gehabt.

Pleil behauptete, das Geld binnen zwei Tagen durch Schwarzhandel mit Strümpfen und Seife verdient zu haben. Wahrscheinlicher war, dass das Geld aus dem Erlös der verkauften Uhren, mindestens vier, stammte.

Bennen war vorher mit in der Wohnung von Pleil, sie gingen gemeinsam von dort los, Pleil ging noch mal zurück, vermutlich, um das Beil zu holen. Die beiden wurden von einem Zeugen kurz vor der Tat gesehen, aber Harry wurde von niemandem gesehen.

 

 

Abschrift des Verhörs von Karl Hoffmann aus der Akte Js 2ARs 75/47 [geändert in: 20 Js 2490/48, d. A.] der Staatsanwaltschaft Nordhausen, Kriminalamt Magdeburg, 10.11.1948 (Auszüge)

An dem Abend war ich mit Frau Seifert [damalige Wirtin von Pleil und Hoffmann, d. A.], ihrer Tochter Marianne, Herrn Willing und seiner Braut sowie Herrn Minzner und seiner Frau und noch verschiedenen anderen im Tanzlokal Weißes Ross in Zorge zum Tanz. Herr P. [Pleil, d. A.] war nicht anwesend, sondern war nach Hamburg gefahren, um Fische zu holen.

Da Frau Seifert eine kranke Frau zu Hause hatte, war sie am bewussten Abend nach Hause gegangen, um nach ihrer Kranken zu sehen. Sie hatte das Lokal gegen 22 Uhr verlassen und kam etwa eine ½ Stunde später wieder zurück. Sie sagte, dass sie P. im Hausflur ihres Hauses gesehen hätte, und ein großer Mann mit Gepäck hätte dabeigestanden. P. sei auch noch zum Hof gegangen, dort wo sich unsere Aborte befanden. Ich selbst habe das Lokal an diesem Abend nicht verlassen, und am anderen Tag hörten wir, dass in Zorge ein Mann in der Nacht mit Namen Bennen ermordet worden ist. Diese Mitteilung hörte ich, als ich am Abend von der Arbeit zurückkam. Am selbigen Abend erschienen bei mir in der Wohnung zwei Kriminalbeamte und fragten, ob ich P. kennen würde, was ich auch bejahte … Die Beamten forderten mich auf, nach dem Abendessen zur Polizeiwache in Zorge zu kommen, was ich getan habe. Dort wurde mir dann ein Beil vorgelegt, und ich wurde gefragt, ob ich dieses kennen würde. Da ich mit P. zusammen im Wald bei Zorge Holz für die Fa. Vax geschlagen habe, hatten wir beide zu dieser Arbeit zwei Beile erhalten, eines mit der Nr. 1000 und das andere mit der Nr. 1200. Auf dem mir vorgelegten Beil war die Nr. 1200 vorhanden, und ich erkannte dieses sofort als eines von beiden Beilen, mit welchen wir immer abwechselnd gearbeitet hatten. Ich möchte mich berichtigen und zwar dahingehend, dass es auch die Nr. 1000 gewesen sein kann … Einige Zeit später stand in der Zeitung, dass der Zorger Raubmörder gefasst ist. Eines Tages sah ich auch, wie P. zum Tatort geführt wurde, und er musste sich mit dem Gesicht gegen die Wand stellen.

 

 

Als Nächstes haben sie rausgekriegt, dass ich meine große Freude dran hab, mir einen hinter die Binde zu kippen. War keine schwierige Aufgabe für die, hab’s freiwillig zugegeben, dass ich den Genossen Schnaps zu schätzen weiß und dass ich eine Pulle erst wieder wegstelle, wenn der letzte Schluck raus ist. Soll schließlich nichts umkommen vom kostbaren Trunk.

So, und wegen der Anfälle und der Sauferei nun bin ich bei dem Doktor in seiner Klapsmühle gelandet. Der sollte rausfinden, ob mein Verstandskasten normal funktioniert hat, als ich den Kaufmann ins Himmelreich geschickt hab. Das Ergebnis seiner Untersuchung war von großer Wichtigkeit für die Termine beim Gericht. Der Doktor ist nach unsren ausführlichen Gesprächen nämlich zu der Erkenntnis gelangt, dass es sein kann, dass was nicht in Ordnung war mit meinem Kopp in der Nacht im Wald. Ich sag’s auf meine Art, der gescheite Herr Doktor hat’s komplizierter ausgedrückt. Wörter hat der benutzt, die hab ich nie gehört vorher. Eben typisch Doktor, die sagen immer alles so, dass ein Normaler nichts kapiert. Aber der Richter, der bei den Terminen sozusagen der Chef war, hat’s verstanden. Dabei hat der Doktor nicht mal klipp und klar gesagt, so und so war’s, sondern nur, dass es möglich sein könnte, dass es so war. Von Wahrscheinlichkeit und so hat der was gefaselt. Mein Gott, vernuddelt sich fast die Zunge bei. Hab’s für mich so übersetzt, dass was ausgesetzt haben kann in meinem Verstandskasten, als ich das Beil aus dem Rucksack rausgeholt hab. Oder schon vorher. Wie bei einer Uhr, die für einen Moment stehen bleibt und danach einfach weitertickt, als hätten die Zeiger nur kurz eine Pause nötig gehabt. Kenn ich von meiner eignen, da war das mal so, jetzt hab ich keine mehr. Ist mir trotzdem bis heute ein Rätsel geblieben, wie der Doktor auf so was gekommen ist. Wenn in meinem Oberstübchen wirklich was ausgesetzt hätte, wie war’s dann möglich, dass ich mich danach an alles erinnern konnte, und zwar haargenau? Kann’s jetzt noch vor mir sehen, wie an dem Abend alles abgelaufen ist.

Ich glaub’s zwar nicht, aber vielleicht wollte der Doktor was Gutes für mich tun. Wenn man Arzt ist, sagt Walter, hat man die Pflicht, den Menschen zu helfen. Ohne die Erkenntnis vom Doktor hätt mich der Richter als Mörder abgestempelt. Und dann hätt er mir die Todesstrafe für aufbrummen müssen. Ab zum Henker, und Feierabend wär gewesen. So aber hat er’s als Totschlag eingestuft, und ich hab nur zwölf Jahre Zuchthaus gekriegt. Nun ja, über das Wörtchen nur kann man sich streiten, zwölf Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Aber ich bin wenigstens am Leben geblieben. Ich war dreiundzwanzig, wie der Richter das Urteil verkündet hat. In dem Alter will doch keiner schon abtreten.

Man lebt, kann man sagen, aber die Frage ist, was das noch für ein Leben ist. Fressen kannste und scheißen kannste, und jede Nacht kannste dir einen abwichsen, aber mehr Freuden sind dir in der Bucht nicht mehr vergönnt. Ist besser, man verfällt nicht ins Grübeln drüber, sonst kommen schnell finstre Gedanken angekrochen wie Ratten aus ihren Löchern.

Merke grad, muss aufpassen, dass ich meine Gedanken nicht zusammenmenge, wie ich damals gedacht hab und was ich jetzt drüber denke. Die erste Zeit im Zuchthaus hab ich über manche Angelegenheiten eine andre Meinung gehabt als heute. Und noch früher hatten wir einen Kaiser, jaja, ist schon klar.