P.C. Cast
Göttin des Lichts
Mythica 3
Aus dem Amerikanischen von Christine Strüh und Anna Julia Strüh
Fischer e-books
P.C. Cast ist zusammen mit ihrer Tochter Kristin Autorin der House-of-Night-Bestseller. Die beiden sind das erfolgreichste Mutter-Tochter-Autorengespann weltweit. Die Serie »House of Night« hat Millionen von Fans in über 40 Ländern. Die Serie »Mythica« schrieb P.C. Cast ohne ihre Tochter. Sie wendet sich an alle, die dem »House of Night« bereits entwachsen sind. P.C. und Kristin Cast leben beide in Tulsa, Oklahoma.
Weitere Informationen, auch zu E-Book-Ausgaben, finden Sie bei www.fischerverlage.de
Covergestaltung: bürosüd°, München
Coverabbildung: Bürosüd°, München
Deutsche Erstausgabe
Veröffentlicht im Fischer Taschenbuch Verlag,
einem Unternehmen der S. Fischer Verlag GmbH,
Frankfurt am Main, November 2012
Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel
›Goddess of Light‹ bei The Berkley Publishing Group,
Penguin Group (USA) Inc., New York 2005
© 2005 by P.C. Cast
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-402053-2
okay, ich gestehe – Autoren haben ihre Lieblingsbücher. Ich weiß, ich weiß, Bücher sind wie Kinder, und wir geben nur ungern zu, dass wir eines lieber mögen, aber es stimmt. Die Göttinnen-Bücher sind meine Lieblingskinder.
Wie House of Night, meine Bestseller-Serie für junge Erwachsene, so feiert auch die Göttinnen-Reihe die Unabhängigkeit, Intelligenz und Schönheit der modernen Frauen. Meine Helden haben alle eines gemeinsam: Sie wissen starke Frauen zu schätzen und sind klug genug, sowohl Köpfchen als auch Schönheit zu würdigen. Ist die Mischung von Respekt und Anerkennung nicht ein exzellentes Aphrodisiakum?
Sich in die Mythologie zu versenken und alte Legenden neu aufzuarbeiten macht Spaß. Göttin der Liebe ist alles in allem eine erotische Komödie. Vielleicht ist dieser Band der lustigste und sinnlichste der Serie – schließlich ist ja Venus selbst die Hauptperson! In Göttin des Meeres erzähle ich eine moderne Fassung der Geschichte von Undine, der Meerjungfrau – sie tauscht den Platz mit einer Offizierin der U. S. Air Force, die selbst dringend einen Tapetenwechsel braucht. Dann begeben wir uns – in Göttin des Lichts – mit den göttlichen Zwillingen Apollo und Artemis auf eine nette Reise nach Las Vegas. In Göttin des Frühlings wende ich mich dem Mythos von Persephone und Hades zu und schicke eine moderne Frau in die Hölle. Wer hätte gedacht, dass die Hölle und ihr grüblerischer Gott auch so wunderbare, verführerische Aspekte haben könnten?
Göttin der Rosen ist eine Version meines Lieblingsmärchens Die Schöne und das Biest. Darin habe ich eine magische Welt erschaffen, aus der die – guten und bösen – Träume stammen, und ein atemberaubendes Tier ins Leben gerufen.
Aber auch der Trojanische Krieg interessiert mich schon seit langem, und ich finde, dass Achilles ein Held ist, der endlich auch einmal ein Happyend verdient. Darum geht es in Göttin des Sieges – ich bin gespannt, wie es euch gefällt.
Ich hoffe, ihr habt Spaß in meinen Welten, und ich wünsche euch, dass ihr euren eigenen Funken Göttinnen-Magie entdeckt!
P. C. Cast
»Ich habe meine Entscheidung getroffen, Bacchus. Das Portal bleibt offen.«
Noch mitten im Satz wandte Zeus sich von dem korpulenten Gott ab, legte die Hände auf die glatte Marmorbrüstung des Balkons und blickte hinab in den Großen Bankettsaal des Olymps, in dem sich Scharen von jungen Göttern und Göttinnen tummelten. Er lächelte zufrieden. Die Unsterblichen waren an Schönheit nicht zu übertreffen, und wenn sie sich wie an diesem Abend versammelten, vereinten sich ihre Reize und strahlten heller als alle Sterne am Himmel. Doch gleich wurde sein Gesicht wieder ernst. Ganz egal, wie perfekt ihr Äußeres sein mochte, hatte er sich im Lauf der Zeiten eingestehen müssen, dass der Gruppe dort unten etwas fehlte.
Es fehlte diese erhabene, sterbliche Aura, die nur die Menschen besaßen, diese ganz besondere Lebensfreude.
Für einen Moment gab sich der oberste Herrscher der Götter einer besonders verführerischen Erinnerung hin und dachte an Aegina … die Entzückendste aller Jungfrauen. Eine Haut wie Sahne, unwiderstehlich. Noch immer spürte er ihre einzigartige Sanftheit, mit der sie sich so bereitwillig an seinen gefiederten Rücken geschmiegt hatte, als er sich in einen mächtigen Adler verwandelt und sie weggetragen hatte, um sich mit ihr dem Liebesspiel hinzugeben. Nein, ihr Körper hatte nicht die strahlende Vollkommenheit besessen, welche der Haut einer Göttin ihren goldenen Schimmer verlieh, aber sie hatte mit einem naiven Überschwang auf seine Berührung reagiert, deren eine Göttin niemals fähig gewesen wäre.
»Überschwang!« Zeus schlug mit der flachen Hand auf die Balkonbrüstung, und als Antwort grollte Donner über den Himmel. »Das ist es, was unseren jungen Unsterblichen fehlt.« Noch immer wandte er sich Bacchus nicht zu, sondern sein Blick wanderte ruhelos über die glamouröse Versammlung. Nachdenklich kniff er die Augen zusammen. Was hatte Hera gesagt? Für sie ist die Gabe ihrer unsterblichen Macht eine Selbstverständlichkeit. Es wäre gut für sie, auch einmal eine Zeit außerhalb der Alten Welt zu verbringen. Irgendwo, wo sie nicht vergöttert und verehrt werden. Zeus musste zugeben, dass Hera meistens recht hatte, obwohl er sich oft aus gutem Grund wünschte, die Beobachtungsgabe seiner Frau wäre weniger gut ausgeprägt. Unwillkürlich zog er eine Grimasse. Er wollte den wissenden Ausdruck ihrer scharfen Augen, die ihm mitten in die Seele zu schauen schienen, lieber vergessen.
»Sie haben sich zu lange dem leichten Leben auf dem Olymp hingegeben. Es ist längst überfällig, dass sie sich unter die modernen Sterblichen mischen«, sagte er.
»Aber ich bin der einzige Unsterbliche, der jemals Interesse an der modernen Welt gezeigt hat. Warum bestehst du darauf, dass sie sich in meinem Reich breitmachen?«, wandte Bacchus ein, strengte sich aber an, nicht irritiert zu klingen.
Zeus warf ihm einen Blick über die Schulter zu. »Demeter und Persephone haben vor kurzem die moderne Welt der Sterblichen besucht, und wie die Erntegöttin mir mitteilte, hat sich Persephone so in ein unter dem Namen Tulsa bekanntes Königreich verliebt, dass sie mit einer Sterblichen einen Handel eingegangen ist, um regelmäßig dorthin zurückkehren zu können.«
Bacchus holte tief Luft und gab sich alle Mühe, unter dem Blick des Donnergotts nicht nervös zu werden. »Warum öffnest du dann nicht das Portal im Königreich Tulsa?«
Kopfschüttelnd wandte Zeus sich wieder der Betrachtung des gut gefüllten Saales zu. Seit dem Gespräch mit Demeter war er überzeugt, dass Tulsa nicht der Ort war, an dem junge Götter und Göttinnen unbemerkt kommen und gehen konnten.
»Nein, Bacchus. Ich habe lange darüber nachgedacht, habe die moderne sterbliche Welt durchforscht und bin zu der Ansicht gelangt, dass Las Vegas mit seiner phantasievollen Nachbildung von Cäsars Palast und dem römischen Forum die richtige Umgebung ist.« Zeus lachte leise, als er sich an die Albernheiten erinnerte, die er durch das Portal erspäht hatte.
»Aber Las Vegas ist mein Reich! Du weißt, wie viel Zeit ich darauf verwendet habe, mir Caesars Palace und das Forum zu eigen zu machen. Wenn das Portal offen ist, mischt sich das ganze Jungvolk unter den Teil der Welt, den ich mir für mich ausgesucht habe.«
Mit funkelnden Augen fuhr Zeus zu ihm herum. »Das geht entschieden zu weit! Hast du vergessen, dass ich der uneingeschränkte Herrscher unter den Göttern bin?« Wieder grollte der Donner im Hintergrund.
Hastig senkte Bacchus den Kopf. »Verzeih mir, Herr.«
»Dann pass in Zukunft besser auf, was du sagst, Bacchus. Was ich gegeben habe, kann ich jederzeit wieder wegnehmen.« Mit hartem Blick starrte er den unterlegenen Gott an, dann wandte er sich wieder der Menge zu. »Schau sie dir an. Das Portal ist erst seit kurzer Zeit offen, und dennoch spüre ich bereits eine Veränderung. Sogar die Nymphen sind schon ganz aufgeregt.« Er hielt inne und runzelte die Stirn, als ihm einfiel, dass viel zu viele hübsche Halbgöttinnen und Halbgötter sich entschieden hatten, Sterne, Blumen oder Bäume zu werden, weil ihr Leben sie so furchtbar langweilte. »Überschwang … das ist es, was dem Olymp gefehlt hat. Und das, was Las Vegas uns wiedergibt.«
»Aber, Herr«, begann Bacchus von neuem, versuchte aber, seinen wachsenden Ärger zu verbergen, indem er einen besorgten Ton anschlug. »Du weißt doch, was passiert, wenn Götter und Göttinnen sich zu sehr in das Leben der Sterblichen einmischen. Denk nur an Troja. Erinnere dich an Medea und Jason. Oder was aus Herakles und Achilles geworden ist. Bist du bereit, die Welt der modernen Sterblichen in Chaos und Herzschmerz zu stürzen?«
»Ich muss mich nicht von Gottheiten wie dir belehren lassen.« Zeus’ Stimme blieb kontrolliert, aber die Warnung war unmissverständlich. Doch dann änderte sich seine Stimmung so rasch, wie auf ein Frühlingsgewitter die Sonne folgt, und er lächelte. »Aber auch daran habe ich bereits gedacht. Ich habe bestimmte … Einschränkungen vorgesehen …« – Zeus betonte das Wort genüsslich – »… und diese möchte ich heute Abend bekanntmachen. Meine Kinder werden nur liebenswerte Besucher sein, die einen wohlverdienten Ausflug ins Königreich Las Vegas genießen.« Er wandte den Kopf so weit, dass Bacchus sein strenges, majestätisches Profil sehen konnte. »Damit ist die Diskussion beendet. Mein Entschluss steht fest.«
Nun blieb Bacchus nichts anderes übrig, als sich zu verbeugen und respektvoll vom Balkon zurückzuziehen, aber innerlich kochte er vor Wut. Wieder einmal wurden seine Wünsche einfach übergangen, weil Zeus seine Günstlinge bevorzugte. Bacchus hatte sich Vegas angeeignet. Dort wurde er verehrt. Im Forum hatte er jeden Tag die Aufmerksamkeit eines großen menschlichen Publikums. Sie jubelten ihm zu. Sie liebten ihn abgöttisch. Und jetzt sollte er sein Reich mit den jungen, schönen Lieblingen des Olymps teilen?
»Wir werden sehen …«, flüsterte er mit zusammengebissenen Zähne, während Zeus’ Donnerstimme durch den Bankettsaal hallte und gespannte Stille einkehrte.
»Geliebte Kinder!«, rief Zeus und strahlte die Versammelten an. »Es freut mich sehr, dass euch mein Geschenk gefällt.« Er streckte die Arme mit geöffneten Handflächen zu den beiden Säulen im Zentrum des Saals, zwischen denen eine milchig leuchtende Scheibe waberte. »Heute Abend habe ich weitere Neuigkeiten zu verkünden – ich habe beschlossen, dass das Portal auch für unsere hübschen Nymphen und für die jungen Olympier geöffnet ist!« Einige der anwesenden weiblichen Gottheiten und Halbgottheiten stießen spitze Schreie aus, die in Zeus’ Ohren wie süße Musik klangen. »Aber denkt daran, meine Schönen, dass ihr eine Welt betretet, die es nicht gewohnt ist, dass Götter und Göttinnen auf ihr wandeln. Ihr seid nicht dort, um euch in die Angelegenheiten der Sterblichen einzumischen, sondern nur, um diese einzigartige Welt zu beobachten und zu genießen. Damit ihr nicht in Versuchung geratet zu vergessen, dass ihr nur Besucher seid, habe ich entschieden, das Portal nur zu bestimmten Zeiten zu öffnen.«
Die im Saal Versammelten blickten mit leuchtenden Gesichtern zu ihm empor und lauschten gespannt. Suchend ließ Zeus den Blick über die Menge wandern, bis er Demeter entdeckte, die in hoheitsvoller Haltung neben ihrer Tochter stand. In respektvollem Gruß neigte er den Kopf vor ihr, ehe er fortfuhr.
»Die Erntegöttin hat mich informiert, dass die modernen Sterblichen die meisten ihrer Festlichkeiten innerhalb einer kurzen Abfolge von Tagen begehen, die sie als Wochenende bezeichnen. Daher wird unser Portal während dieser sogenannten Wochenenden geöffnet sein. Ihr habt also Zeit von der Abenddämmerung am Freitag bis zur Morgendämmerung am Montag, um euch mit den modernen Sterblichen zu vergnügen.«
Mit einer kleinen Handbewegung brachte er das enthusiastische Wispern zum Verstummen, das seine Worte hervorriefen.
»Und hiermit schenke ich euch also das Königreich von Las Vegas!« Der Donnergott klatschte in die Hände, die Menge jubelte, und am Himmel grollte der Donner.
Unten im Bankettsaal lachte Artemis und schüttelte liebe-voll den Kopf über Zeus, ehe sie sich wieder ihrem Bruder zuwandte. »Unser Vater ist offensichtlich sehr zufrieden mit sich!«, sagte sie.
Apollo zuckte die Achseln. »Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Es ist doch einfach nur die moderne Welt der Sterblichen, kein neuer Olymp.«
Spöttisch zog Artemis eine ihrer perfekt geschwungenen goldenen Augenbrauen in die Höhe. »Das sagt ausgerechnet der Gott, der monatelang einer modernen Sterblichen in Tulsa nachspioniert hat.«
»Ich habe nur Demeter einen Gefallen getan«, antwortete Apollo allzu ungezwungen.
Artemis erwiderte nichts, aber sie beobachtete ihren Zwillingsbruder, während dieser halbherzig mit einer violetthaarigen Nymphe flirtete, die neben ihm stehengeblieben war und ihre Begeisterung darüber kundtat, dass sie jetzt endlich das Königreich Las Vegas kennenlernen würde. Kein Zweifel. Seit dem Debakel mit Persephone benahm Apollo sich seltsam.
Während Artemis ihren rubinroten Wein schlürfte, dachte sie daran, wie die Überraschung ihres Bruders über Persephones Zurückweisung und ihre seltsame Vernarrtheit in Hades sich in einen regelrechten Schock verwandelt hatte, als sich herausstellte, dass die Seele, die vorübergehend im Körper der Göttin gewohnt hatte, einer sterblichen Frau gehörte, während Persephone selbst sich als Sterbliche maskiert in der modernen Welt herumgetrieben hatte. Eine Sterbliche hatte also Apollo zurückgewiesen und sich in den Gott der Unterwelt verliebt. Artemis’ schöner Mund verzog sich zu einem höhnischen Grinsen. Diese Sterblichen. Ihrer Erfahrung nach waren sie entweder mitleiderregend und brauchten ständig Betreuung, oder sie waren dermaßen von lächerlichem Hochmut erfüllt, dass sie sich letztlich selbst zerstörten. Alles in allem waren sie bestenfalls für kleine Vergnügungen oder Spielereien geeignet. Nicht dass sie sich wünschte, sich jemals mit einem von ihnen zu vergnügen, aber ihr Bruder war da anders veranlagt. Schon oft hatte er ihr lachend irgendwelche Geschichten darüber erzählt, wie er wieder einmal eine hoffnungslos naive Jungfrau verführt hatte. Artemis trank noch einen großen Schluck aus ihrem Kelch. Sicher, es war gut für eine Sterbliche, mit der Liebe eines Gottes beschenkt zu werden. Sterbliche Frauen sollten froh und dankbar sein, wenn ein Gott wie ihr Zwillingsbruder auf sie aufmerksam wurde.
Die schnatternden Nymphen waren inzwischen weggeschlendert und hatten Apollo zurückgelassen, der stumm und nachdenklich das wirbelnde Portal betrachtete. Vielleicht war das der springende Punkt. Vielleicht brauchte Apollo Ablenkung. Ihr Bruder hatte zu lange ziellos auf dem Olymp gefaulenzt und über die Zurückweisung der albernen Menschenfrau gebrütet. Er musste sich ins Gedächtnis rufen, dass Sterbliche schwache Wesen waren, die im Handumdrehen die kurze Spanne ihres hektischen Lebens gelebt hatten, leicht manipulierbar, leicht zu ersetzen.
Langsam breitete sich ein Lächeln auf ihrem makellosen Gesicht aus. Welcher Ort wäre besser, ihn an die Bedeutungslosigkeit der Sterblichen zu erinnern, als die moderne Welt, in der es von solchen Kreaturen wimmelte?
»Komm, Bruder«, sagte sie mit einem aufmunternden Lächeln. »Lass uns dem Königreich Las Vegas einen Besuch abstatten.«
Gott, wie sehr sie Flughäfen mochte! Flughäfen verkörperten für sie Glück, freudige Erwartung und das Versprechen eines Neuanfangs. Zum wiederholten Mal dachte Pamela, dass ihre Begeisterung für Flughäfen zumindest teilweise daran schuld war, die Beziehung mit Duane eingegangen zu sein. Beim ersten Blick auf seine Pilotenuniform war es um sie geschehen gewesen – mit einem läppischen, mädchenhaft schwärmerischen Seufzer hatte sich jeder vernünftige Gedanke aus ihrem Körper verflüchtigt.
Wie unglaublich dumm sie gewesen war.
Aber dieses Beziehungsfiasko lag nun ein für alle Male hinter ihr. Endlich. Pamela schloss die Augen, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, die sie seit neuestem kurz trug, und wünschte sich, Duane ganz zufällig hier, auf dem Colorado Springs Airport, zu begegnen, bevor sie in die Maschine von Southwest Airlines stieg. Zu gern hätte sie sein entsetztes Gesicht gesehen, wenn er merkte, dass sie ihre dichte, dunkle Mähne abgeschnitten hatte, die ihr weit über den Rücken gefallen war. Wo es ihm doch immer so viel Freude gemacht hatte, ihre Haare zu berühren und zu streicheln und … Bei der Erinnerung konnte Pamela ein angewidertes Schaudern nicht unterdrücken. Wenn sie nur daran dachte, bekam sie schon das Gefühl zu ersticken. Die langen Haare loszuwerden war der letzte Schritt gewesen, sich aus dem Gefängnis von Duanes erdrückender Liebe zu befreien. Seit sechs herrlichen Monaten hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Nachdem sie Woche für Woche seine Geschenke und seine Blumen zurückgewiesen und ihn immer wieder daran erinnert hatte, wie unglücklich sie beide in ihrer Ehe gewesen waren, hatte er endlich begriffen, dass ihre Beziehung zu Ende war. Übrigens sehr zum Kummer ihrer Familie, die überzeugt war, dass Duane der perfekte Partner für sie war und dass sie mit der Trennung einen großen Fehler machte. Die Worte ihres Bruders, ihrer Schwägerin und ihrer Eltern hallten noch in Pamelas Ohren nach. So schlimm ist er doch gar nicht. Er liest dir jeden Wunsch von den Augen ab. Er verdient gut. Er liebt dich abgöttisch.
Er hatte sie nicht nur abgöttisch geliebt, er wollte sie völlig vereinnahmen. An der Oberfläche wirkte Duane Edwards wie ein erfolgreicher, attraktiver, leicht machohafter, charismatischer junger Mann. Aber darunter, dort, wo der wahre Duane zu Hause war, lauerte ein bedürftiger, kontrollbesessener, aggressiver kleiner Junge.
Pamela ließ die Schultern kreisen, um die Spannung zu lindern, die sich beim Gedanken an Duane immer noch einstellte. Wenn sie es sich recht überlegte, war sie froh, dass er ihr nicht auf dem Flughafen über den Weg gelaufen war. Schließlich hatte sie die Haare nicht abgeschnitten, um es ihm zu zeigen. Sie hatte eine neue Frisur, weil sie es so wollte, weil ein schicker Kurzhaarschnitt besser zu der Frau passte, zu der sie sich entwickelte. Langsam ließ sie den Kopf an die Rückenlehne sinken und lächelte.
Pamela mochte die Frau, in die sie sich verwandelte. Sie ist mit sich im Einklang, dachte sie immer wieder. Seit Jahren war sie nicht mehr so zufrieden mit sich gewesen. Es störte sie nicht einmal, dass sie eingequetscht am Flugzeugfenster saß, neben sich eine Frau, die sie ständig mit ihrem spitzen Ellbogen piekte, während sie sich offensichtlich recht mühsam durch das Kreuzworträtsel ihrer nach Zigarettenrauch stinkenden New York Times arbeitete.
Warum beschäftigte sich überhaupt jemand mit Kreuzworträtseln? Wusste diese Frau nichts Besseres mit ihrem Verstand anzufangen? Mit einem erfreuten Kichern füllte Ms Spitzer Ellbogen eine Reihe leerer Kästchen aus. Vermutlich hatte sie tatsächlich keine anderen Ambitionen.
Nein! Keine negativen Gedanken. Sich selbst erfüllende Prophezeiungen sind mächtig. Negative Gedanken schaffen negative Energie. Hilfe, jetzt klang sie schon wie ihre Mutter. Pamela seufzte und presste die Stirn ans Fenster.
Okay, noch mal von vorn. Sie würde sich nicht über die Frau neben sich ärgern, denn das war reine Zeitverschwendung, wie alles Beharren auf Negativität. Himmel, woher nahm sie sich überhaupt das Recht zu urteilen? Sie warf einen Blick auf das Buch auf ihrem Schoß. Schon den ganzen Flug über war es auf der gleichen Seite aufgeschlagen. Was also hatte sie mit ihrem Verstand angefangen? Statt Gena Showalters tolle Fortsetzung der Herren der Unterwelt zu lesen, hatte sie ihre Zeit mit Gedanken an ihren grässlichen Ex-Ehemann verschwendet. Das konnte sie doch besser – schließlich hatte sie lang und intensiv daran gearbeitet.
Entschlossen richtete sie den Blick nach draußen. Die Wüste war eine bizarre Mischung aus Härte und Schönheit, und sie stellte zu ihrem Erstaunen fest, dass sie diese Kombination attraktiv fand – zumindest aus ein paar hundert Metern Höhe. Es war so anders als das üppige Grün ihrer Heimat Colorado und dennoch seltsam anziehend. Als das Flugzeug sich im Landeanflug schräg in die Kurve legte und Pamela den ersten Blick auf Las Vegas erhaschte, stockte ihr der Atem. Dort, mitten in Sand und Wüste, umgeben von Canyons und roter Erde, lag eine Stadt aus Glas und Licht, durchzogen von sich dahinschlängelnden Highways, auf denen, wie sie sogar aus der Luft feststellen konnte, ein höllischer Verkehr herrschte.
»Sieht aus wie etwas aus einem Traum«, murmelte sie vor sich hin.
»Da haben Sie verdammt recht! Großartig, oder nicht?«, bestätigte Ms. Spitzer Ellbogen mit einer Stimme, die eindeutig zu viele Virginia Slim Menthol Extra Longs über sich hatte ergehen lassen müssen.
Pamela unterdrückte die in ihr aufsteigende Gereiztheit. »Es ist so ungewöhnlich. Natürlich wusste ich, dass Las Vegas mitten in der Wüste gebaut worden ist, aber …«
»Sie sind also das erste Mal in Sin City?«, unterbrach sie die Frau.
»Ja.«
»Ach, Mädchen! Da haben Sie was vor sich!« Pamelas Nachbarin beugte sich zu ihr und senkte ihre heisere Stimme. »Wissen Sie, was in Vegas passiert, bleibt in Vegas.«
»Hm, na ja, ich bin nicht zum Vergnügen hier. Mein Aufenthalt ist rein geschäftlich.«
»Ein hübsches junges Ding wie Sie findet doch bestimmt genug Zeit, beides miteinander zu verbinden.« Die Frau wackelte vielsagend mit ihren aufgemalten Augenbrauen.
Pamela spürte, wie sich ihre Kiefermuskeln verhärteten. Sie hasste es, wenn die Leute sie so gönnerhaft behandelten, nur weil sie einigermaßen hübsch war. Schließlich hatte sie sich ihren Erfolg hart erarbeitet. Und dreißig war gar nicht mehr so jung!
»Vielleicht könnte ich das, wenn ich nicht eine eigene Firma hätte und wenn mir nichts daran liegen würde, ob meine Klienten mich weiterempfehlen oder nicht. Aber das ist mir wichtig. Deshalb habe ich auch nicht vor, hier in Vegas meine Arbeit zu vernachlässigen.«
Nachdenklich musterte ihre Sitznachbarin Pamelas Diamant-Ohrstecker – zwei Einkaräter – und ihren einwandfrei gut geschnittenen Fendi-Hosenanzug, dessen klassische Eierschalenfarbe einen hübschen Kontrast mit dem grünlich-orange gemusterten Seidenschal bildete.
Pamela kannte diesen leicht verwunderten Blick und hätte am liebsten laut geschrien: Nein, ich hab mir das Outfit nicht von irgendeinem verfluchten Mann bezahlen lassen!
»Was genau machen Sie denn, Schätzchen?«
»Meine Firma heißt Ruby Slipper, und ich bin Innendesignerin.«
Sofort erschien ein Lächeln auf dem faltigen Gesicht der Frau, und Pamela erkannte plötzlich, dass sie einmal sehr hübsch gewesen sein musste.
»Ruby Slipper … das gefällt mir. Klingt echt nett. Sie machen das garantiert großartig – schon wenn man Sie anschaut, merkt man, dass Sie Klasse haben. Sieht aber nicht aus wie Vegas-Klasse. Was machen Sie denn hier?«
»Mein neuester Klient ist ein Autor, der sich in Vegas ein Ferienhaus baut. Ich soll es einrichten.«
»Ein Autor …« Ihre Finger mit den knallrot lackierten Nägeln flatterten. »Sicher eine große Sache. Wie heißt er denn? Vielleicht habe ich schon von ihm gehört.«
»E. D. Faust. Er schreibt Fantasy.« Das wusste Pamela allerdings nur, weil sie bei ihrem ersten Telefongespräch hastig auf Amazon nachgeschaut hatte. Der Mann selbst hatte sich ihr als »E. D. Faust, der Bestsellerautor« vorgestellt, aber sie hatte seinen Namen noch nie gehört. Als sie ihn dann in die Suchmaske eingab, waren sofort jede Menge Titel erschienen, alle im Stil von Pfeiler des Schwertes, Tempel der Krieger, Nackte Winde, Vertrauen der Verdammten … und so weiter und so fort. Daraufhin hatte Pamela ihm ihre ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl sie sich sonst nicht besonders viel aus männlichen Science-Fiction- oder Fantasy-Autoren machte. Normalerweise war sie beim Lesen auf kein Genre festgelegt und kannte deshalb auch ein paar der großen Fantasy-Titel, aber ihr kamen sie alle so ähnlich vor. Nichts als Schwerter, Magie, Raumschiffe, Blut, Testosteron … blah … blah … gähn. Aber sie war nicht dumm, ganz im Gegenteil, und eine ihrer obersten Regeln war es, niemals etwas Negatives über einen Kunden zu sagen. Also lächelte sie und reagierte auf den leeren Gesichtsausdruck ihrer Nachbarin mit einem Nicken, als hielte sie E. D. Faust für das männliche Gegenstück zu Nora Roberts.
»Sein aktuelles Buch ist Pfeiler des Schwertes, aber er hat mindestens fünfzig Titel veröffentlicht und war mit fast allen auf den Bestsellerlisten.«
»Nie von ihm gehört, aber mir ist ja auch ein gutes Kreuzworträtsel lieber als alles andere.« Wieder kicherte die Frau vor sich hin. »Na ja, vielleicht abgesehen von einem großen, hübschen Mann mit Cowboyhut und einem kühlen Bier.«
Lachend knuffte sie Pamela in die Seite, und diese war so perplex, dass sie zurücklächelte. Die Frau hatte etwas so Ehrliches und Unverfälschtes an sich, dass sogar ihr runzliges Gesicht und ihre etwas derbe Art anziehend wirkten.
»Pamela Gray«, stellte sie sich vor und hielt der Frau die Hand hin.
»Billie Mae Johnson.« Die Frau hatte einen festen Händedruck und ein warmes Lächeln. »Schön, Sie kennenzulernen. Wenn Sie ein freundliches Gesicht oder ein kühles Bier brauchen, dann besuchen Sie mich doch mal im Flamingo. Normalerweise arbeite ich an der Bar im Hauptgeschoss.«
»Kann gut sein, dass ich auf Ihr Angebot zurückkomme.«
Kurz darauf kündigte die Stewardess die Landung an, und Pamela stellte die Rückenlehne ihres Sitzes wieder aufrecht, während Billie Mae den Kopf schüttelte und die überwiegend leeren Kästchen ihres Kreuzworträtsels angrummelte.
»Sie müssen wissen, dass es mit der eingebildeten New York Times in dem Moment bergab ging, als die beschlossen haben, irgendwelche Scheidungsanwälte aus Texas die Rätsel konstruieren zu lassen.« Seufzend starrte sie auf eine der Fragen, dann schaute sie Pamela von der Seite an. »Hey, diese affige Definition hier lautet zum Beispiel ›metaphorische Emanzipation‹. Acht Buchstaben. Mir fällt dazu nur Budweiser ein, aber das hat neun.«
»Ist der Anwalt, der das Rätsel verfasst hat, männlichen oder weiblichen Geschlechts?«
»Männlich.«
»Dann versuchen Sie es doch mal mit ›Alimente‹«, schlug Pamela mit einem verschmitzten Grinsen vor.
Zufrieden setzte Billie Mae die Buchstaben in die Kästchen ein und zwinkerte Pamela zu, als das Flugzeug aufsetzte. »Sie haben sich gerade ein Bier verdient. Hoffentlich sind Sie beim Einrichten genauso gut wie beim Kreuzworträtseln.«
Pamela ging auf den Mann zu, der ein Schild mit der goldgeprägten Aufschrift »Pamela Gray, Ruby Slipper« in die Höhe hielt. Ehe sie den Mund aufmachen konnte, vollführte der Mann auch schon eine kleine Verbeugung und fragte mit deutlich hörbarem britischem Akzent: »Miss Gray?«
»Ja, ich bin Pamela Gray.«
»Sehr gut, Madam. Ich nehme Ihr Gepäck. Bitte seien Sie so gut, mir zu folgen.«
Sie musste sich beeilen, um mit seiner forschen Gangart Schritt zu halten, und so durchschritten sie in Windeseile den geschäftigen Flughafen. Vor der Tür wartete eine wunderschöne Rolls-Royce-Stretch-Limousine, und Pamela wäre eigentlich gern stehengeblieben, um sie gebührend zu bewundern. Aber der Mann hielt ihr bereits die Tür auf, und so bedankte sie sich und glitt auf den taubenblauen Sitz.
»Willkommen, Miss Gray!«, empfing sie eine tiefe, dröhnende Stimme.
Pamela fuhr zusammen. Aus dem Halbdunkel beugte sich ein Mann zu ihr und streckte ihr seine fleischige Hand entgegen, die sie automatisch ergriff. Im selben Augenblick erstrahlten die Kristalllüster an beiden Seiten der Limousine in hellem Licht.
»Wie Sie sich ja denken können, bin ich E. D. Faust. Aber nennen Sie mich bitte Eddie.«
Inzwischen hatte Pamela einigermaßen die Fassung wiedergewonnen. Sie lächelte freundlich und erwiderte seinen Händedruck. Was sie an E. D. Faust vor allem wahrnahm, war sein Umfang. Als er sie engagiert hatte, war sie sofort in den nächsten Buchladen gegangen und hatte mehrere seiner Bücher erstanden, aber die Autorenfotos wurden ihm nicht einmal ansatzweise gerecht. Er füllte die Bank ihr gegenüber komplett aus und erinnerte sie an Orson Welles oder den alternden Marlon Brando. Er hatte einen auffallend spitzen Haaransatz, von dem aus seine dichten schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden waren. Sowohl sein schwarzes Seidenhemd als auch seine Hose und die glänzenden Lederstiefel waren schwarz. Selbst unter der beträchtlichen Fettschicht erkannte man seine markanten Gesichtszüge, doch sein Alter war undefinierbar – Pamela wusste nur, dass er zwischen dreißig und fünfzig sein musste. Aufmerksam und mit einem Funkeln in den Augen beobachtete er, wie sie ihn taxierte, und sie hatte das Gefühl, dass er es nicht nur gewohnt war, im Mittelpunkt zu stehen, sondern es auch genoss.
»Freut mich, Sie endlich kennenzulernen, Eddie. Und bitte nennen Sie mich Pamela.«
»Mach ich.« Abrupt tippte er mit dem als Drachenkopf geformten Knauf seines schwarzen Stocks gegen die halb heruntergekurbelte Glasscheibe, die den Passagierbereich der Limousine vom Chauffeur trennte. »Sie können losfahren, Robert.«
»Sehr wohl, Sir.«
Gleich darauf löste sich der Wagen vom Bordstein und reihte sich in den Verkehr ein.
»Ich hoffe, Ihre Reise war nicht allzu ermüdend, Pamela«, eröffnete Eddie das Gespräch.
»Nein, nur ein kurzer Flug von Colorado Springs.«
»Dann hätten Sie also nichts dagegen, unverzüglich mit der Arbeit zu beginnen?«
»Nein, im Gegenteil – es würde mich freuen. Heißt das, Sie haben eine Entscheidung getroffen, in welchem Stil Sie sich Ihr Haus vorstellen?«, erkundigte Pamela sich eifrig. Wenn dieses exquisite Auto ein Hinweis auf Eddies Geschmack und sein Budget war … Ihr schwirrte der Kopf schon vor Ideen. Ein richtiges Vorzeigeprojekt! Sie würde ein auserlesenes Ferienparadies für den König der Fantasy-Literatur erschaffen.
»Aber ja doch. Ich weiß genau, was ich möchte, und habe es hier, in dieser magischen Stadt, gefunden. Sie brauchen es nur zu kopieren.« Eddie klopfte wieder an die Scheibe. »Robert, fahren Sie uns zum Caesars Palace.«
»Caesars Palace? Ist das nicht ein Casino?«
Die Falten in Eddies Gesicht vertieften sich, und er lächelte. »Genau deshalb sind Sie perfekt für diesen Job, Pamela. Sie waren noch nie in Vegas und sehen alles mit unvoreingenommenem Blick, mit Augen, die das einmalige Ambiente würdigen und aufgreifen können. Und ja, Sie haben recht – Caesars Palace ist zugleich Hotel und Casino. Eigentlich ist es aber – abgesehen von ein paar Elementen des Hotel-Pools, die ich auch haben möchte – nicht der Palast, auf den sich Ihr Augenmerk richten sollte, sondern vielmehr möchte ich Sie bitten, sich ganz auf das umwerfende Einkaufszentrum zu konzentrieren, das sich daran anschließt. Das Forum enthält genau die Magie, die ich mir wünsche und die ich gerne von Ihnen reproduzieren lassen möchte.«
»Ein Einkaufszentrum?« Hatte sie richtig gehört? Warum wollte er ein Ferienhaus – oder überhaupt irgendein Haus –, das einem Einkaufszentrum ähnelte?
»Sie werden sehen, meine Liebe. Sie werden sehen.« Eddie deutete mit seinem dicken Zeigefinger auf einen silbernen Behälter, der mit Eis und mehreren Flaschen gefüllt war. »Möchten Sie sich mit etwas Champagner oder Mineralwasser erfrischen?«
»Mineralwasser, gerne.« Pamela hatte das Gefühl, dass sie für das, was ihr bevorstand, einen klaren Kopf brauchte.
Ein Einkaufszentrum-Feriendomizil. Das war nun wirklich ein sonderbares Vorhaben. Nicht, dass Pamela grundsätzlich etwas gegen sonderbare Projekte hatte. Vor drei Jahren hatte sie ihre eigene Design-Firma gegründet, und es gehörte für sie zu den größten Freuden der Selbstständigkeit, sich um ungewöhnliche Kunden zu kümmern und ihnen zu helfen, ihre individuellen Visionen in ein gemütliches, geschmackvolles Zuhause zu verwandeln. Während Eddie Mineralwasser in ein kristallenes Weinglas goss, dachte Pamela an die allererste Klientin von Ruby Slipper, Samantha Smith-Siddons. Ms. Smith-Siddons – vormals Mrs. Smith-Siddons – hatte sich vorgenommen, das 750-Quadratmeter-Haus, aus dem sie Mr. Smith-Siddons gerade hinausgeworfen hatte, zu renovieren und ganz neu zu gestalten. Sie hatte ihren Mann beim Sex mit seiner einundzwanzigjährigen Sekretärin erwischt, und zu allem Überfluss hatte Mr. Smith-Siddons auch noch Frauenunterwäsche, rote Pumps und eine blonde Perücke getragen – ein Umstand, der einen Großteil seiner Kundschaft (Mr. Smith-Siddons war Besitzer einer der größten Bestattungsunternehmens-Ketten in Colorado) zutiefst verstört hätte, wäre er in einer unschönen Scheidung ans Tageslicht gekommen. Doch Mr. Smith-Siddons’ Vorliebe für Frauendessous wurde nicht erwähnt, und Ms. Smith-Siddons wurde für ihr taktvolles Schweigen mit einer großzügigen Scheidungsvereinbarung belohnt. Als sie Ruby Slipper einstellte, hatte sie Pamela erklärt, dass sie keine Farbe wollte, sondern nur unterschiedliche Weißabstufungen. Als Begründung hatte sie angegeben, sie wolle ganz von vorne anfangen und mit dem unbefleckten Weiß den Schmutzfleck ihrer Ehe sozusagen ungeschehen machen. Ohne sich von dieser bizarren Maßgabe einschüchtern zu lassen, hatte Pamela sich statt auf Farben auf Textur konzentriert, hatte abgelagerte geweißte Holzböden und schäbig-schicke Armaturen verwendet und minimalste Spuren von Rosé, Perlweiß, Zinngrau in Schnee-, Champagner- und Mondlicht-Schattierungen gemischt. Das Resultat war so spektakulär gewesen, dass es Ruby Slipper den ersten Artikel im Architectural Digest einbrachte.
Wenn sie Ms. Samantha Smith-Siddons’ steriles, fast farbloses Haus in ein Meisterwerk verwandeln konnte, schaffte sie das Gleiche ganz sicher auch bei Eddies fixer Einkaufszentrums-idee.
»Ich muss Ihnen noch einmal sagen, Pamela, wie beeindruckt ich von Ihrer Arbeit an Judiths Boudoir war.« Eddie lachte leise in sich hinein, und seine Körperfülle bebte, als wäre sie aus Wackelpudding. »Die emporsteigende Venus, toll. Ich hätte nie gedacht, dass Judiths ziemlich eigentümliche Gestaltungsidee am Ende so hübsch aussehen würde. Charles meint, es stört ihn nicht einmal, in einem Bett zu schlafen, das aussieht wie eine riesige Muschel, und alles in Pastelltönen und unverkennbar weiblich. Jedes Mal, wenn Judith aus ihrer hinreißenden Badewanne steigt, glaubt er – ob er es nun will oder nicht –, dass er mit einer Göttin ins Bett geht.«
»Es war eine Herausforderung, aber es hat alles gut geklappt.« Pamela nippte an ihrem Mineralwasser und erinnerte sich daran, dass die Herausforderung damals vor allem darin bestanden hatte, einen Einrichtungsstil, den Judith für glamourös und für eine Art Verbeugung vor dem alten Hollywood hielt, so weit abzumildern, dass alles nicht nur bordellartig und kitschig wirkte. Judith stand auf protzig und grell, und Pamela hatte es geschafft, das Projekt in etwas zwar Üppiges, aber Geschmackvolles umzuwandeln. Charles und Judith Lollman waren mit ihrer Arbeit so zufrieden gewesen, dass sie eine große Party veranstaltet hatten, um ihre neue Schlafzimmer-Suite vorzuführen. Charles Lollman produzierte nicht nur einige der erfolgreichsten Primetime-Fernsehsendungen, sondern war außerdem Science-Fiction- und Fantasy-Fan. Einer der zahlreichen Gäste, die er für die Soiree hatte einfliegen lassen, war der Fantasy-Autor E. D. Faust, und Eddies Anruf war die erste von mehreren Empfehlungen gewesen, die sich aus diesem erfolgreichen Job ergeben hatten.
»Eine Herausforderung …« Eddie ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen, als wäre es ein leckeres Gebäck. »Mögen Sie Herausforderungen, Pamela?«
Sie straffte die Schultern und hielt seinem Blick stand. »Ich finde, Herausforderungen machen das Leben erst richtig interessant«, antwortete sie mit einem Lächeln.
»Ah, die korrekte Antwort.« Eddies Lächeln erinnerte Pamela an den Grinch, der Weihnachten gestohlen hat.
»Entschuldigen Sie bitte, Sir«, meldete sich Roberts kultivierte Stimme in diesem Augenblick. »Soll ich Sie zum Vordereingang des Palace bringen oder bevorzugen Sie den VIP-Zugang zum Forum?«
»Zum Forum, Robert, zum Forum bitte. Und rufen Sie James an. Sagen Sie ihm, wir treffen uns beim Brunnen.«
»Sehr wohl, Sir.«
Eddie sah auf seine goldene Rolex. »Exzellent. Wir müssten genau rechtzeitig ankommen. Ich möchte, dass Sie gleich den ganzen Effekt erleben.«
Gerade wollte Pamela fragen, was er damit meinte, aber als sie um die Ecke bogen, sagte Eddie: »Wenn man von dieser Seite kommt, sieht alles trügerisch einfach aus. Aber ich habe für Sie im Palace bis zum Wochenende eine Suite gebucht, damit Sie reichlich Zeit haben, das Ambiente auf sich wirken zu lassen. Natürlich werden Sie in aller Ruhe den Haupteingang, das Casino und das Einkaufszentrum erforschen wollen.«
Überrascht blinzelte sie ihn an. Er wollte, dass sie eine volle Woche hier blieb, nur um in einem Einkaufszentrum Recherche zu betreiben? Sie hatte noch einige andere Projekte, um die sie sich kümmern musste. Ob ihre Assistentin das alleine schaffte? Doch ehe sie Widerspruch einlegen konnte, winkte er ab.
»Ich weiß, dass Ihre Zeit kostbar ist«, sagte er und griff in eine seiner sehr tiefen Taschen, zog einen dicken Stapel Geldscheine heraus, zählte ein paar davon ab und drückte sie ihr in die Hand. »Sind fünfhundert Dollar am Tag ein angemessener Betrag, um Sie für die zusätzliche Zeit zu entschädigen, die diese Herausforderung benötigen wird?«
Am liebsten hätte Pamela laut Himmel, na klar! geschrien, aber stattdessen setzte sie ein ruhiges, professionelles Lächeln auf und steckte das Geld in ihre Handtasche. Sobald sie eine Minute alleine hatte, würde sie ihre Assistentin anrufen. Wahrscheinlich würde Vernelle eine Herzattacke bekommen, wenn sie hörte, dass dieser Job alles, was sie sich vorgestellt hatten, noch bei weitem übertraf. Obwohl es weder Pamela noch ihrer Assistentin an Phantasie mangelte.
Die Limousine stoppte sanft. Robert öffnete die Tür und half Pamela beim Aussteigen. Während Eddie seine Körperfülle aus dem Auto hievte, studierte sie das riesige Gebäude. Das Äußere des Forums war tatsächlich ganz einfach gehalten – es sah aus wie ein immenser weißer Marmorblock mit verdeckten Säulen, die den Großteil der Dekoration darstellten. Nicht schlecht, dachte Pamela. Durchaus geschmackvoll. Wenn das Äußere ein Hinweis auf das Innere war, konnte sie lange, klare Linien und dezente Eleganz erwarten. Eine Herausforderung? Fast hätte sie laut gelacht. Wie Vernelle sagen würde – dieser Job würde so einfach werden, wie Federboas an Schwule zu verkaufen.
»Zum Forum geht es hier entlang.« Eddie ging voraus durch eine große weiße Flügeltür. Für einen Mann seines Umfangs war er erstaunlich agil. »Ich freue mich immer an diesem Eingang«, erklärte er Pamela, während sie einen schlichten weißen Korridor entlangschritten, der auch zu einem Möbelhaus gepasst hätte. »Er macht immer großen Eindruck auf mich. Ich sage mir dann gern, dass ich eine Welt verlasse und eine andere betrete.« Sein Lachen war tief und ansteckend. »Aber vielleicht kommt das nur daher, dass ich mein Geld damit verdiene, Welten zu entwerfen. Sagen Sie es mir, Pamela.« Mit blitzenden Augen öffnete er eine gewöhnlich aussehende Feuertür und gab ihr mit großer Geste zu verstehen, dass sie vorangehen sollte. »Voilà, das Forum!«
Ach du lieber Himmel, war Pamelas erster Gedanke. Der zweite Gedanke ermahnte sie, den Mund zuzumachen. Dann wurde sie in einen Strudel von Bildern und Tönen gesogen. Es wimmelte von Menschen auf den Gängen, die offensichtlich eine Nachbildung der Straßen des alten Rom darstellen sollten. Wobei die Betonung auf dem »sollten« lag – es war alles unglaublich protzig und geschmacklos. Sie standen zwischen zwei Läden, über denen in goldenen Lettern, die wohl ebenfalls altrömisch wirken sollten, »Versace« und »Escada« stand. Doch statt die Eleganz der Alten Welt heraufzubeschwören, kam Pamela das Ganze vor wie eine Karikatur – als hätte sich jemand mit Buntstiften eine naive Version historischer Architektur ausgemalt.
»Hinreißend, oder nicht?«, dröhnte Eddie.
»Die … die Decke ist ja mit Wolken bemalt!«, war alles, was Pamela herausbrachte.
Er nickte voller Begeisterung. »Genau diesen Effekt möchte ich auch für meine Villa. Können Sie erkennen, wie es beleuchtet wird?« Eifrig deutete er nach oben. Die Fassade der Läden war etwas niedriger als die Kuppeldecke des Gebäudes, und es war deutlich zu sehen, dass auf den künstlichen Dächern nach oben gerichtete Scheinwerfer angebracht waren, die die aufgemalten Wolken anstrahlten. »Wie Sie sicher schon bemerkt haben, hat man momentan den Eindruck, dass es Mittag ist, und so möchte ich es auch bei mir haben – ewiges Tageslicht, damit ich immer bei Sonnenschein schreiben kann.«
»O mein Gott …« Die Worte entschlüpften ihr, ehe sie es verhindern konnte.
Eddie lachte kollernd. »Sie hatten keine Ahnung, was Sie hier erwartet, stimmt’s?«
»Nein, ich hatte wirklich keine Ahnung«, gestand sie benommen.
»Kommen Sie, das Beste steht uns noch bevor.« Eddie warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. »Wir müssen uns beeilen. Nur noch fünf Minuten, dann beginnt die Show.«
»Die Show?« Pamela zwang sich, nicht weiter an die Decke zu starren, und beeilte sich, Eddie einzuholen.
»Ja! So etwas wünsche ich mir als Mittelpunkt meines Hauses. Diesen spektakulären Brunnen.«
»Sie wollen einen Brunnen mitten in Ihrem Haus?« Pamela gab sich alle Mühe, optimistisch zu klingen. Sie liebte Wasserelemente und war überzeugt, dass sie wichtig waren, um positive Chi-Energie in einem Haus zu erzeugen. Schon begannen sich in ihr, Ideen zu melden … sie würde einen exzellenten Künstler anheuern und mit ihm – sie blickte wieder zu dem künstlichen Wolkenhimmel empor und musste sich anstrengen, nicht das Gesicht zu verziehen – eine geschmackvolle Version der himmelblau-weißen Szenerie dort oben erschaffen und mit einem wunderschönen Brunnen kontrastieren. Vielleicht direkt aus Italien importiert. Eddie würde das bestimmt gefallen, schließlich war das Forum eine Anspielung auf Rom, also war es doch naheliegend, einen Brunnen aus …
Sie bogen nach links ab, und Pamela blieb mit einem entsetzten Stolpern stehen.
Vor ihnen stand eine blubberndes Wasser speiende Monstrosität, verziert mit allerlei nackten Göttern und Göttinnen. Pamela konnte ein Kopfschütteln nicht unterdrücken, so absurd erschien ihr der Anblick. Riesige Marmorpferde erhoben sich aus dem schäumenden Wasser des beleuchteten Pools, auf einer Plattform stand Zeus oder Poseidon – oder wie der nackte Gott heißen mochte – und reckte einen spitzen Dreizack in die Höhe, während er finster in die wogenden Fluten starrte. Direkt neben dem Brunnen saßen Leute an den Tischen eines offensichtlich populären italienischen Restaurants, und Pamela fragte sich, wie sie sich bei dem Rauschen des Wassers überhaupt verständigen konnten.
»Nein, nein, nicht dieser Brunnen«, rief Eddie, legte leicht die Hand auf ihren Rücken und schob sie an dem Ungetüm vorbei. »Eine Imitation des Trevi-Brunnens brauche ich wirklich nicht. Ich wünsche mir etwas absolut Einzigartiges.«
Erleichtert sah Pamela zu ihm auf und lächelte.
»Das hier gefällt mir auch nicht«, stellte Eddie fest, als sie am Disney Store vorübereilten, aus dem ein lebensgroßer Pegasus herausragte. »Ein geflügeltes Pferd scheint mir ein wenig übertrieben.«
Pamela konnte nur stumm nicken. Ein geflügeltes Pferd war tatsächlich »ein wenig übertrieben« – aber warum traf das nicht auf ein Kuppeldach zu, das angemalt war wie der Himmel im ewigen Sonnenschein? Sie biss die Zähne zusammen. Sie liebte Herausforderungen. Ganz ehrlich. Sie war eine ausgezeichnete, erfahrene Innendesignerin mit einem ausgeprägten Sinn für Stil und Geschmack. Sie mochte exzentrische Kunden. Nein, sagte sie sich fest, sie mochte diese Kunden nicht nur, sie zog sie allen anderen vor. Kein Projekt war für Pamela Gray zu seltsam oder zu kitschig oder zu bizarr, sie konnte aus allem etwas Geschmackvolles und Raffiniertes machen.
Vor ihnen drängten sich die Menschen, und plötzlich entdeckte Pamela mitten unter ihnen einen großen Mann, der den Arm in die Höhe streckte und winkte.
»Ah, da ist James. Er hat ja eine vortreffliche Stelle ausgesucht.«
Eddie legte Pamela den Arm um die Schultern und begann, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, wie ein Wal, der sich durch einen Sardinenschwarm bewegt. Als sie den großen Mann erreichten, schob Eddie sie vor sich. Ein wenig atemlos lächelte sie zur Begrüßung, aber als sie merkte, wo sie standen, erstarb ihr Lächeln.
Wieder lag vor ihnen ein großer Brunnen, diesmal in Form eines Rundbogens, das Zentrum beherrscht von einem gigantischen Steinmann auf einem Thron. Drei stehende Figuren umringten ihn, aber Pamela konnte sich kein klares Bild von ihnen machen, weil in diesem Moment das ewige Sonnenlicht an der gewölbten Decke verblasste und ein dicker Nebel aus den Öffnungen an der Basis des Throns hervorströmte. Der strenge Geruch von Trockeneis brachte sie zum Niesen.
»Gesundheit!«, sagte Eddie hinter ihr. Dann beugte er sich zu ihr herab und flüsterte ihr ins Ohr: »Gleich fängt es an. Schauen Sie genau hin.«
Plötzlich erklang irres Gelächter aus dem Zentrum des Brunnens, und Pamela stellte schockiert fest, dass die Statue in der Mitte des Brunnens zum Leben erwacht war und das Lachen von ihren Lippen kam. Staunend beobachtete sie, wie sich die sitzende Figur auf ihrem Platz umdrehte, bis sie der versammelten Menschenmenge die Stirn bot.
»Es ist Zeit! Es ist Zeit!«, verkündete die Statue. »Ich bin Bacchus! Kommt alle her, kommt alle! Kommt in die Einkaufshalle!«
Dann hob er seinen Kelch, der auf einmal golden funkelte. Aber Pamela schenkte den Spezialeffekten nur einen flüchtigen Blick, denn Bacchus’ Gesicht fesselte ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie fand, dass er einer grotesken Reproduktion des Curly von den Three Stooges ähnelte, in einer Toga, mit Weinblättern um den kahlen Kopf und mehreren Doppelkinnen. Während er so tat, als würde er den Zuschauern zuprosten, erscholl erneut das gellende Gelächter aus seinem Mund.
»Caesar! Heiße die Besucher unseres Forum willkommen.«
Auf Bacchus’ Befehl begann die Statue, die am weitesten von ihm entfernt stand, mit den Armen zu fuchteln und etwas davon zu erzählen, dass Bacchus für seine Gäste ein Festmahl ausrichten würde. Von dort, wo Pamela stand, konnte man die Worte nicht gut verstehen, aber diese neu zum Leben erwachte, fuchtelnde Figur erinnerte sie stark an Fred Feuerstein.
»Heilige Scheiße«, brummte sie vor sich hin, wobei sie auf den Lieblingsausdruck ihrer Assistentin zurückgriff, »das ist ja nicht zu fassen.«
»Lasst uns feiern!«, brüllte die Bacchus-Statue. »Artemis, sprich zu deinen Untertanen.«
Nun hob die zweite stehende Figur den Arm, und Pamela beobachtete mit Entsetzen, dass ihre voluminösen Brüste im Rhythmus ihrer Bewegungen wogten.
»Für keinen außer dir würd ich Wald und Jagd verlassen – zum Forum wir eilen, um hier nach Herzenslust zu prassen. Kommt, kauft, kommt, trinkt und lacht – vor allem, wenn Visa es euch möglich macht!« Die Frauenstimme klang etwas blechern, und während sie sprach, erglühten der Köcher und der Bogen über ihrer Schulter in einem scheußlichen Neon-Rot.
»Gut gesprochen, meine Schöne!« Bacchus’ Kopf wackelte und ruckte. »Aber nun ist dein Bruder an der Reihe. Spiel für unsere Gäste, Apollo!«
Die Statue direkt vor Pamela drehte sich, bis auch Apollo der Menge das Gesicht zuwandte. Als er dann über seine Harfe strich, begann diese hellgrün zu leuchten. Aus einem nur schlecht versteckten Lautsprecher vor Pamelas Füßen ertönte Musik.
»Ja, Bacchus, ja – mit meiner Leier erfreu ich gerne jede Feier.«
»Ich bin zutiefst gerührt!«, rief die fette Statue mit blecherner Stimme. »Oh, Apollo, wie immer schlägt dein romantischer Zauber uns alle in deinen Bann! Doch genug! Es ist Zeit, das Tageslicht zu rufen!«
Ungeschickt verneigte sich die Apollo-Statue vor Bacchus und hob dann die Hand. Im nächsten Augenblick begannen in der Kuppel über ihnen farbenfrohe Laserstrahlen von einer Wolke zur anderen zu hüpfen, und Bacchus’ Lachen erfüllte abermals die Trockeneisluft. Mit einem grellen Blitz erreichte die Lightshow ihren Höhepunkt, und der künstliche Himmel erglänzte in künstlichem Morgenlicht.
»Nun, meine Freunde«, sagte Bacchus, während die anderen Statuen langsam verblassten und sich ein rosarotes Licht auf dem Gesicht des rundlichen Gottes ausbreitete. »Esst, trinkt und seid fröhlich! Und vergesst nicht, Punkt acht zur abendlichen Show wieder hier zu sein. Bis dann – carpe diem!«
Während sein irres Gelächter langsam verstummte, brach spontaner Applaus los, und Pamela hörte, wie eine Frau in einer roten Trainingshose zu ihrer Freundin meinte: »Das war noch besser als beim letzten Mal, findest du nicht?«
»Ja, wirklich«, antwortete die Freundin.