Sigmund Freud
Band 16:
Werke aus den Jahren 1932-1939
Fischer e-books
Sigmund Freud, 1856 in Freiberg (Mähren) geboren, wandte sich nach dem Medizinstudium während eines Studienaufenthalts in Paris der Psychopathologie zu. Anschließend beschäftigte er sich in der Privatpraxis mit Hysterie und anderen Neurosenformen. Er begründete die Psychoanalyse und entwickelte sie fort als eigene Behandlungs- und Forschungsmethode sowie als allgemeine, auch die Phänomene des normalen Seelenlebens umfassende Psychologie. 1938 emigrierte Freud nach London, wo er 1939 starb.
Gesammelte Werke in Einzelbänden, Band XVI:
Zur Gewinnung des Feuers
Warum Krieg?
Nachschrift und Selbstdarstellung
Die Feinheit einer Fehlhandlung
Konstruktionen in der Analyse
Die endliche und die unendliche Analyse
Der Mann Moses und die monotheistische Religion
Thomas Mann zum 60. Geburtstag
© 1950 by Imago Publishing Co., Ltd., London
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Textgrundlage dieser Ausgabe ist: Sigmund Freud, Gesammelte Werke. Bd. 16, Werke aus den Jahren 1932-1939.
Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag, 1993. 7. Auflage.
Die grauen Zahlen in geschweiften Klammern markieren jeweils den Beginn einer neuen, entsprechend paginierten Seite in der genannten Buchausgabe. Die Seitenzahlen im Register beziehen sich ebenfalls auf diese Ausgabe.
ISBN 978-3-10-400166-1
E. H. Erlenmeyer, Notiz zur Freudschen Hypothese über die Zähmung des Feuers. Imago, XVIII, 1932.
Wohl auf heiße Asche, aus der man noch Feuer gewinnen kann, nicht auf erloschene.
Der Widerspruch von Lorenz in „Chaos und Ritus“ (Imago XVII, 1931, S. 433 ff.) geht von der Voraussetzung aus, daß die Zähmung des Feuers überhaupt erst mit der Entdeckung begonnen habe, man sei imstande, es durch irgendeine Manipulation willkürlich hervorzurufen. – Dagegen verweist mich Dr. J. Hárnik auf eine Äußerung von Dr. Richard Lasch (in Georg Buschans Sammelwerk „Illustrierte Völkerkunde“, Stuttgart 1922, Bd. I, S. 24): „Vermutlich ist die Kunst der Feuererhaltung der Feuererzeugung lange vorausgegangen; einen entsprechenden Beweis hiefür liefert die Tatsache, daß die heutigen pygmäenartigen Urbewohner der Andamanen wohl das Feuer besitzen und bewahren, eine autochthone Methode der Feuererzeugung aber nicht kennen.“
Herakles ist dann halbgöttlich, Theseus ganz menschlich.
Wir sagen heute: Beweggründe.
Siehe auch „Selbstdarstellung“, Band XIV dieser Ausgabe, S. 31-96.
Siehe die mit Einwilligung des Patienten veröffentlichte Schrift „Aus der Geschichte einer infantilen Neurose“, 1918. Die spätere Erkrankung des jungen Mannes wird dort nicht ausführlich dargestellt, sondern nur gestreift, wo es der Zusammenhang mit der Kindheitsneurose unbedingt erfordert.
In gewissenhafter Korrektur: für eine gewisse Breite dieser Relation.
Dies zur Rechtfertigung des ätiologischen Anspruchs so unspezifischer Momente wie Überarbeitung, Schockwirkung usw., die immer der allgemeinen Anerkennung sicher waren und grade von der Psychoanalyse in den Hintergrund gedrängt werden mußten. Gesundheit läßt sich eben nicht anders denn metapsychologisch beschreiben, bezogen auf Kräfteverhältnisse zwischen den von uns erkannten, wenn man will, erschlossenen, vermuteten, Instanzen des seelischen Apparats.
Anna Freud: Das Ich und die Abwehrmechanismen, Imago Publishing Co., London, 1946; 1. Auflage, Wien, 1936.
Robert Eisler: Jesus Basileus. Religionswissenschaftliche Bibliothek, begründet von W. Streitberg, Band 9, Heidelberg bei Carl Winter, 1929.
Das Folgende nach Wilhelm Capelle: Die Vorsokratiker, Alfred Kröner, Leipzig, 1935.
l. c., S. 186.
Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Bd. XIV, 1928.
Anatole France: La revolte des anges.
„Ein Kind wird geschlagen“, Ges. Werke, Bd. XII, S. 222.
„... jeder männliche Patient muß dem Arzt gegenüber als Zeichen der Überwindung der Kastrationsangst ein Gefühl der Gleichberechtigung erlangen; alle weiblichen Kranken müssen, soll ihre Neurose als eine vollständig erledigte gelten, mit ihrem Männlichkeitskomplex fertig werden und sich ohne Ranküne den Denkmöglichkeiten der weiblichen Rolle hingeben.“ (l. c., S. 8.)
Man darf sich durch die Bezeichnung „männlicher Protest“ nicht zur Annahme verleiten lassen, die Ablehnung des Mannes gelte der passiven Einstellung, dem sozusagen sozialen Aspekt der Femininität. Dem widerspricht die leicht zu bestätigende Beobachtung, daß solche Männer häufig ein masochistisches Verhalten gegen das Weib, gradezu eine Hörigkeit zur Schau tragen. Der Mann wehrt sich nur gegen die Passivität im Verhältnis zum Mann, nicht gegen die Passivität überhaupt. Mit anderen Worten, der „männliche Protest“ ist in der Tat nichts anderes als Kastrationsangst.
Jüdisches Lexikon, begründet von Herlitz und Kirschner, Bd. IV, 1930, Jüdischer Verlag, Berlin.
The Dawn of Conscience, London 1934, S. 350.
l. c., S. 334. Obwohl die Vermutung, daß Moses Ägypter war, von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart häufig genug ohne Berufung auf den Namen geäußert wurde.
Fünftes Heft der „Schriften zur angewandten Seelenkunde“, Fr. Deuticke, Wien. Es liegt mir ferne, den Wert der selbständigen Beiträge Ranks zu dieser Arbeit zu verkleinern.
Auch im Bericht von Flavius Josephus erwähnt.
l. c., S. 80, Anmerkung.
So sagt z. B. Ed. Meyer: Die Mosessagen und die Leviten, Berliner Sitzber. 1905: „Der Name Mose ist wahrscheinlich, der Name Pinchas in dem Priestergeschlecht von Silo... zweifellos ägyptisch. Das beweist natürlich nicht, daß diese Geschlechter ägyptischen Ursprungs waren, wohl aber, daß sie Beziehungen zu Ägypten hatten“ (S. 651). Man kann freilich fragen, an welche Art von Beziehungen man dabei denken soll.
Imago, Bd. XXIII, 1937, Heft 1: „Moses ein Ägypter“.
Wir haben keine Vorstellung davon, um welche Zahlen es sich beim Auszug aus Ägypten handelt.
„The first individual in human history“ nennt ihn Breasted.
Das Nachfolgende hauptsächlich nach den Darstellungen von J. H. Breasted in seiner „History of Egypt“, 1906, sowie in „The Dawn of Conscience“, 1934, und den entsprechenden Abschnitten in „The Cambridge Ancient History“, Vol. II.
Vielleicht selbst Amenhoteps geliebte Gemahlin Nofretete.
Breasted, History of Egypt, S. 360: „But however evident the Heliopolitan origin of the new state religion might be, it was not merely sun-worship; the word Aton was employed in the place of the old word for ‚god‘ (nuter) and the god is clearly distinguished from the material sun.“ „It is evident that what the king was deifying was the force, by which the Sun made itself felt on earth“ (Dawn of Conscience, S. 279) – ähnlich das Urteil über eine Formel zu Ehren des Gottes bei A. Erman (Die Ägyptische Religion, 1905): „es sind ... Worte, die möglichst abstrakt ausdrücken sollen, daß man nicht das Gestirn selbst verehrt, sondern das Wesen, das sich in ihm offenbart.“
l. c. History of Egypt, S. 374.
Ich folge bei diesem Namen der englischen Schreibart (sonst Akhenaton). Der neue Name des Königs bedeutet ungefähr dasselbe wie sein früherer: Der Gott ist zufrieden. Vgl. unser Gotthold, Gottfried.
Dort wurde 1887 die für die Geschichtskenntnis so wichtige Korrespondenz der ägyptischen Könige mit den Freunden und Vasallen in Asien gefunden.
l. c. History of Egypt, S. 363.
Weigall (The Life and Times of Ikhnaton, 1923, S. 121) sagt, Ikhnaton wollte nichts von einer Hölle wissen, gegen deren Schrecken man sich durch ungezählte Zauberformeln schützen sollte. „Akhnaton flung all these formulae into the fire. Djins, bogies, spirits, monsters, demigods and Osiris himself with all his court, were swept into the blaze and reduced to ashes.“
A. Weigall (l. c.). „Akhnaton did not permit any graven image to be made of the Aton. The true God, said the King, had no form; and he held to this opinion throughout his life.“ (S. 103).
Erman l. c. S. 70: „vom Osiris und seinem Reich sollte man nichts mehr hören.“ – Breasted, D. of C., S. 291: „Osiris is completely ignored. He is never mentioned in any record of Ikhnaton or in any of the tombs at Amarna.“
Nur einige Stellen bei Weigall (l. c.): „Der Gott Atum, der Re als die untergehende Sonne bezeichnete, war vielleicht gleichen Ursprungs wie der in Nordsyrien allgemein verehrte Aton, und eine ausländische Königin sowie ihr Gefolge mag sich darum eher zu Heliopolis hingezogen gefühlt haben als zu Theben“ (S. 12 und S. 19).
Wenn wir mit der biblischen Tradition so selbstherrlich und willkürlich verfahren, sie zur Bestätigung heranziehen, wo sie uns taugt, und sie unbedenklich verwerfen, wo sie uns widerspricht, so wissen wir sehr wohl, daß wir uns dadurch ernster methodischer Kritik aussetzen und die Beweiskraft unserer Ausführungen abschwächen. Aber es ist die einzige Art, wie man ein Material behandeln kann, von dem man mit Bestimmtheit weiß, daß seine Zuverlässigkeit durch den Einfluß entstellender Tendenzen schwer geschädigt worden ist. Eine gewisse Rechtfertigung hofft man später zu erwerben, wenn man jenen geheimen Motiven auf die Spur kommt. Sicherheit ist ja überhaupt nicht zu erreichen, und übrigens dürfen wir sagen, daß alle anderen Autoren ebenso verfahren sind.
Wenn Moses ein hoher Beamter war, so erleichtert dies unser Verständnis für die Führerrolle, die er bei den Juden übernahm; wenn ein Priester, dann lag es ihm nahe, als Religionsstifter aufzutreten. In beiden Fällen wäre es die Fortsetzung seines bisherigen Berufs gewesen. Ein Prinz des königlichen Hauses konnte leicht beides sein, Statthalter und Priester. In der Erzählung des Flavius Josephus (Antiqu. jud.), der die Aussetzungssage annimmt, aber andere Traditionen als die biblische zu kennen scheint, hat Moses als ägyptischer Feldherr einen siegreichen Feldzug in Äthiopien durchgeführt.
Das wäre etwa ein Jahrhundert früher, als die meisten Historiker annehmen, die ihn in die 19te Dynastie unter Merneptah verlegen. Vielleicht etwas später, denn die offizielle Geschichtsschreibung scheint das Interregnum in die Regierungszeit Haremhabs eingerechnet zu haben.
Herodot, der Ägypten um 450 v. Chr. besuchte, gibt in seinem Reisebericht eine Charakteristik des ägyptischen Volkes, die eine erstaunliche Ähnlichkeit mit bekannten Zügen des späteren Judentums aufzeigt: „Sie sind überhaupt in allen Punkten frömmer als die übrigen Menschen, von denen sie sich auch schon durch manche ihrer Sitten trennen. So durch die Beschneidung, die sie zuerst, und zwar aus Reinlichkeitsgründen, eingeführt haben; des weiteren durch ihren Abscheu vor den Schweinen, der gewiß damit zusammenhängt, daß Set als ein schwarzes Schwein den Horus verwundet hatte, und endlich und am meisten durch ihre Ehrfurcht vor den Kühen, die sie nie essen oder opfern würden, weil sie damit die kuhhörnige Isis beleidigen würden. Deshalb würde kein Ägypter und keine Ägypterin je einen Griechen küssen oder sein Messer, seinen Bratspieß oder seinen Kessel gebrauchen oder von dem Fleisch eines (sonst) reinen Ochsen essen, das mit einem griechischen Messer geschnitten wäre ... sie sahen in hochmütiger Beschränktheit auf die anderen Völker herab, die unrein waren und den Göttern nicht so nahe standen wie sie.“ (Nach Erman, Die Ägyptische Religion, S. 181, u. ff.) Wir wollen natürlich Parallelen hiezu aus dem Leben des indischen Volkes nicht vergessen. Wer hat es übrigens dem jüdischen Dichter H. Heine im 19. Jahrhundert n. Chr. eingegeben, seine Religion zu beklagen als „die aus dem Niltal mitgeschleppte Plage, den altägyptisch ungesunden Glauben“?
Dieselbe Anekdote in leichter Abänderung bei Josephus.
Ed. Meyer, Die Israeliten und ihre Nachbarstämme, 1906.
An einigen Stellen des biblischen Textes ist noch stehengeblieben, daß Jahve vom Sinai herab nach Meribat-Qadeš kam.
l. c. S. 38, 58.
l. c. S. 49.
l. c. S. 449.
l. c. S. 451.
l. c. S. 49.
l. c. S. 72.
l. c. S. 47.
Ed. Sellin, Mose und seine Bedeutung für die israelitisch-jüdische Religionsgeschichte, 1922.
Diese Annahme verträgt sich gut mit den Angaben Yahudas über den ägyptischen Einfluß auf das frühjüdische Schrifttum. Siehe A. S. Yahuda, Die Sprache des Pentateuch in ihren Beziehungen zum Ägyptischen, 1929.
Gressmann, l. c. S. 54.
Encyclopædia Britannica, XI. Auflage, 1910. Artikel: Bible.
Siehe Auerbach, Wüste und Gelobtes Land, 1932.
Jahvist und Elohist wurden zuerst 1753 von Astruc unterschieden.
Es ist historisch gesichert, daß die endgültige Fixierung des jüdischen Typus der Erfolg der Reform von Esra und Nehemia im fünften Jahrhundert vor Christi Geburt war, also nachexilisch, unter der den Juden wohlwollenden Perserherrschaft. Nach unserer Rechnung waren damals etwa 900 Jahre seit dem Auftreten Moses’ vergangen. In dieser Reform wurde mit den Bestimmungen Ernst gemacht, welche die Heiligung des gesamten Volkes bezweckten, wurde die Absonderung von den Umlebenden durch das Verbot der Mischehen durchgesetzt, der Pentateuch, das eigentliche Gesetzbuch, in seine definitive Form gebracht, jene Umarbeitung abgeschlossen, die als Priesterkodex bekannt ist. Es scheint aber gesichert, daß die Reform keine neuen Tendenzen einführte, sondern frühere Anregungen aufnahm und befestigte.
Vgl. Yahuda l. c.
Wenn sie unter dem Druck des Bilderverbots standen, hatten sie sogar ein Motiv, die hieroglyphische Bilderschrift zu verlassen, während sie ihre Schriftzeichen für den Ausdruck einer neuen Sprache zurichteten. – Vgl. Auerbach, l. c. S. 142.
Die Einschränkungen im Gebrauch dieses neuen Namens werden dadurch nicht verständlicher, wohl aber suspekter.
Jahve war unzweifelhaft ein Vulkangott. Für Einwohner Ägyptens bestand kein Anlaß, ihn zu verehren. Ich bin gewiß nicht der erste, der von dem Gleichklang des Namens Jahve mit der Wurzel des anderen Götternamens Ju-piter (Jovis) betroffen wird. Der mit der Abkürzung des hebräischen Jahve zusammengesetzte Name Jochanan (etwa: Gotthold, punisches Äquivalent: Hannibal) ist in den Formen Johann, John, Juan, der beliebteste Vorname der europäischen Christenheit geworden. Wenn die Italiener ihn als Giovanni wiedergeben und dann einen Tag der Woche Giovedi heißen, so bringen sie eine Ähnlichkeit wieder ans Licht, die möglicherweise nichts, vielleicht sehr viel bedeutet. Es eröffnen sich hier weitreichende, aber auch sehr unsichere Perspektiven. Es scheint, daß die Länder um das östliche Becken des Mittelmeers in jenen dunkeln, der Geschichtsforschung kaum eröffneten Jahrhunderten der Schauplatz häufiger und heftiger vulkanischer Ausbrüche waren, die den Umwohnern den stärksten Eindruck machen mußten. Evans nimmt an, daß auch die endgültige Zerstörung des Minos-Palastes in Knossos die Folge eines Erdbebens war. Auf Kreta wurde damals, wie wahrscheinlich allgemein in der ägäischen Welt, die große Muttergottheit verehrt. Die Wahrnehmung, daß sie nicht imstande war, ihr Haus gegen die Angriffe einer stärkeren Macht zu schützen, mag dazu beigetragen haben, daß sie einer männlichen Gottheit den Platz räumen mußte, und dann hatte der Vulkangott das erste Anrecht darauf, sie zu ersetzen. Zeus ist ja immer noch der „Erderschütterer“. Es ist wenig zweifelhaft, daß sich in jenen dunkeln Zeiten die Ablösung der Muttergottheiten durch männliche Götter (die vielleicht ursprünglich Söhne waren?) vollzog. Besonders eindrucksvoll ist das Schicksal der Pallas Athene, die gewiß die lokale Form der Muttergottheit war, durch den religiösen Umsturz zur Tochter herabgesetzt, ihrer eigenen Mutter beraubt und durch die ihr auferlegte Jungfräulichkeit dauernd von der Mutterschaft ausgeschlossen wurde.
In jenen Zeiten war eine andere Art der Beeinflussung auch kaum möglich.
Es ist wirklich bemerkenswert, wie wenig man in der jahrtausendelangen ägyptischen Geschichte von gewaltsamer Beseitigung oder Ermordung eines Pharao hört. Ein Vergleich, z. B. mit der assyrischen Geschichte, muß diese Verwunderung steigern. Natürlich kann dies daher kommen, daß die Geschichtsschreibung bei den Ägyptern ausschließlich offiziellen Absichten diente.
Ed. Meyer, l. c. S. 222.
Seine Hymnen betonen nicht nur die Universalität und Einzigkeit Gottes, sondern auch dessen liebevolle Fürsorge für alle Geschöpfe, fordern zur Freude an der Natur und zum Genuß ihrer Schönheit auf. Vgl. Breasted, The Dawn of Conscience.
l. c. S. 52.
Paul Volz, Mose, Tübingen 1907 (S. 64).
Ich teile nicht die Ansicht meines Altersgenossen, Bernard Shaw, daß die Menschen erst dann etwas Rechtes leisten würden, wenn sie 300 Jahre alt werden könnten. Mit der Verlängerung der Lebensdauer wäre nichts erreicht, es müßte denn vieles andere an den Lebensbedingungen vom Grunde aus geändert werden.
So hieß z. B. auch der Bildhauer, dessen Werkstätte in Tell-el-Amarna gefunden wurde.
Dies würde der 40-jährigen Wüstenwanderung des biblischen Textes entsprechen.
Also etwa 1350 (40) - 1320 (10) Moses, 1260 oder eher später Qadeš, die Merneptahstele vor 1215.
Auerbach: Wüste und gelobtes Land. Bd. II, 1936.
Dieselbe Erwägung gilt auch für den merkwürdigen Fall des William Shakespeare aus Stratford.
Diese Situation hat Macaulay seinen „Lays of Ancient Rome“ zu Grunde gelegt. Er versetzt sich darin in die Rolle eines Sängers, der betrübt über die wüsten Parteikämpfe der Gegenwart seinen Zuhörern den Opfermut, die Einigkeit und den Patriotismus der Ahnen vorhält.
So daß es also unsinnig ist, zu behaupten, man übe Psychoanalyse, wenn man gerade diese Urzeiten von der Erforschung und Berücksichtigung ausschließt, wie es von manchen Seiten geschieht.
Ernest Jones macht darauf aufmerksam, daß der Gott Mithras, der den Stier tötet, diesen Anführer darstellen könnte, der sich seiner Tat rühmt. Es ist bekannt, wie lange die Mithrasverehrung mit dem jungen Christentum um den Endsieg stritt.
Israel in der Wüste. Bd. 7 der Weimarer Ausgabe, S. 170.
Vgl. zu diesem Thema die bekannten Ausführungen von Frazer, The Golden Bough, vol. III, The Dying God.
Schiller, Die Götter Griechenlands.
Die in alten Zeiten so häufige Schmähung, die Juden seien „Aussätzige“ (s. Manetho), hat wohl den Sinn einer Projektion: „Sie halten sich von uns so fern, als ob wir Aussätzige wären.“
Ich protestiere aber gegen das Mißverständnis, als wollte ich sagen, die Welt sei so kompliziert, daß jede Behauptung, die man aufstellt, irgendwo ein Stück der Wahrheit treffen muß. Nein, unser Denken hat sich die Freiheit bewahrt, Abhängigkeiten und Zusammenhänge aufzufinden, denen nichts in der Wirklichkeit entspricht, und schätzt diese Gabe offenbar sehr hoch, da es innerhalb wie außerhalb der Wissenschaft so reichlichen Gebrauch von ihr macht.
Vgl. Frazer, l. c.
Auch hierin darf ein Dichter das Wort haben. Um seine Bindung zu erklären, erfindet er: Du warst in abgelebten Zeiten meine Schwester oder meine Frau. (Goethe, Bd. IV der Weimarer Ausgabe, S. 97.)
In einer Anmerkung meiner Schrift „Das Unbehagen in der Kultur“ (S. 449, Bd. XIV) habe ich – eher beiläufig – erwähnt, welche Vermutung über die Gewinnung des Feuers durch den Urmenschen man sich auf Grund des psychoanalytischen Materials bilden könnte. Der Widerspruch von Albrecht Schaeffer („Die Psychoanalytische Bewegung“, Jahrgang II, 1930, S. 251) und der überraschende Hinweis in vorstehender Mitteilung von Erlenmeyer[1] über das mongolische Verbot, auf Asche zu pissen[2], veranlassen mich, das Thema wieder aufzunehmen.[3]
Ich meine nämlich, daß meine Annahme, die Vorbedingung der Bemächtigung des Feuers sei der Verzicht auf die homosexuellbetonte Lust gewesen, es durch den Harnstrahl zu löschen, lasse {4}sich durch die Deutung der griechischen Prometheussage bestätigen, wenn man die zu erwartenden Entstellungen von der Tatsache bis zum Inhalt des Mythus in Betracht zieht. Diese Entstellungen sind von derselben Art und nicht ärger als jene, die wir alltäglich anerkennen, wenn wir aus den Träumen von Patienten ihre verdrängten, doch so überaus bedeutsamen Kindheitserlebnisse rekonstruieren. Die dabei verwendeten Mechanismen sind die Darstellung durch Symbole und die Verwandlung ins Gegenteil. Ich kann es nicht wagen, alle Züge des Mythus in solcher Art zu erklären; außer dem ursprünglichen Sachverhalt mögen andere und spätere Vorgänge zu seinem Inhalt beigetragen haben. Aber die Elemente, die eine analytische Deutung zulassen, sind doch die auffälligsten und wichtigsten, nämlich die Art, wie Prometheus das Feuer transportiert, der Charakter der Tat (Frevel, Diebstahl, Betrug an den Göttern) und der Sinn seiner Bestrafung.
Der Titane Prometheus, ein noch göttlicher Kulturheros,[4] vielleicht selbst ursprünglich ein Demiurg und Menschenschöpfer, bringt also den Menschen das Feuer, das er den Göttern entwendet hat, versteckt in einem hohlen Stock, Fenchelrohr. Einen solchen Gegenstand würden wir in einer Traumdeutung gern als Penissymbol verstehen wollen, wenngleich die nicht gewöhnliche Betonung der Höhlung uns dabei stört. Aber wie bringen wir dieses Penisrohr mit der Aufbewahrung des Feuers zusammen? Das scheint aussichtslos, bis wir uns an den im Traum so häufigen Vorgang der Verkehrung, Verwandlung ins Gegenteil, Umkehrung der Beziehungen erinnern, der uns so oft den Sinn des Traumes verbirgt. Nicht das Feuer beherbergt der Mensch in seinem Penisrohr, sondern im Gegenteil das Mittel, um das Feuer zu löschen, das Wasser seines Harnstrahls. An diese Beziehung zwischen Feuer und Wasser knüpft dann reiches, wohlbekanntes analytisches Material an.
Zweitens, der Erwerb des Feuers ist ein Frevel, es wird durch {5}Raub oder Diebstahl gewonnen. Dies ist ein konstanter Zug aller Sagen über die Gewinnung des Feuers, er findet sich bei den verschiedensten und entlegensten Völkern, nicht nur in der griechischen Sage vom Feuerbringer Prometheus. Hier muß also der wesentliche Inhalt der entstellten Menschheitsreminiszenz enthalten sein. Aber warum ist die Feuergewinnung untrennbar mit der Vorstellung eines Frevels verknüpft? Wer ist dabei der Geschädigte, Betrogene? Die Sage bei Hesiod gibt eine direkte Antwort, indem sie in einer anderen Erzählung, die nicht direkt mit dem Feuer zusammenhängt, Prometheus bei der Einrichtung der Opfer Zeus zugunsten der Menschen übervorteilen läßt. Also die Götter sind die Betrogenen! Den Göttern teilt der Mythus bekanntlich die Befriedigung aller Gelüste zu, auf die das Menschenkind verzichten muß, wie wir es vom Inzest her kennen. Wir würden in analytischer Ausdrucksweise sagen, das Triebleben, das Es, sei der durch die Feuerlöschentsagung betrogene Gott, ein menschliches Gelüste ist in der Sage in ein göttliches Vorrecht umgewandelt. Aber die Gottheit hat in der Sage nichts vom Charakter eines Über-Ichs, sie ist noch Repräsentant des übermächtigen Trieblebens.
Die Umwandlung ins Gegenteil ist am gründlichsten in einem dritten Zug der Sage, in der Bestrafung des Feuerbringers. Prometheus wird an einen Felsen geschmiedet, ein Geier frißt täglich an seiner Leber. Auch in den Feuersagen anderer Völker spielt ein Vogel eine Rolle, er muß etwas mit der Sache zu tun haben, ich enthalte mich zunächst der Deutung. Dagegen fühlen wir uns auf sicherem Boden, wenn es sich um die Erklärung handelt, warum die Leber zum Ort der Bestrafung gewählt ist. Die Leber galt den Alten als der Sitz aller Leidenschaften und Begierden; eine Strafe wie die des Prometheus war also das Richtige für einen triebhaften Verbrecher, der gefrevelt hatte unter dem Antrieb böser Gelüste. Das genaue Gegenteil trifft aber für den Feuerbringer zu; er hatte Triebverzicht geübt und gezeigt, wie wohltätig, aber auch wie unerläßlich ein solcher Triebverzicht in kultureller Absicht ist. Und {6}warum mußte eine solche kulturelle Wohltat überhaupt von der Sage als strafwürdiges Verbrechen behandelt werden? Nun, wenn sie durch alle Entstellungen durchschimmern läßt, daß die Gewinnung des Feuers einen Triebverzicht zur Voraussetzung hatte, so drückt sie doch unverhohlen den Groll aus, den die triebhafte Menschheit gegen den Kulturheros verspüren mußte. Und das stimmt zu unseren Einsichten und Erwartungen. Wir wissen, daß die Aufforderung zum Triebverzicht und die Durchsetzung desselben Feindseligkeit und Aggressionslust hervorruft, die sich erst in einer späteren Phase der psychischen Entwicklung in Schuldgefühl umsetzt.
Die Undurchsichtigkeit der Prometheussage wie anderer Feuermythen wird durch den Umstand gesteigert, daß das Feuer dem Primitiven als etwas der verliebten Leidenschaft Analoges – wir würden sagen: als Symbol der Libido – erscheinen mußte. Die Wärme, die das Feuer ausstrahlt, ruft dieselbe Empfindung hervor, die den Zustand sexueller Erregtheit begleitet, und die Flamme mahnt in Form und Bewegungen an den tätigen Phallus. Daß die Flamme dem mythischen Sinn als Phallus erschien, kann nicht zweifelhaft sein, noch die Abkunftsage des römischen Königs Servius Tullius zeugt dafür. Wenn wir selbst von dem zehrenden Feuer der Leidenschaft und von den züngelnden Flammen reden, also die Flamme einer Zunge vergleichen, haben wir uns vom Denken unserer primitiven Ahnen nicht so sehr weit entfernt. In unserer Herleitung der Feuergewinnung war ja auch die Voraussetzung enthalten, daß dem Urmenschen der Versuch, das Feuer durch sein eigenes Wasser zu löschen, ein lustvolles Ringen mit einem anderen Phallus bedeutete.
Auf dem Wege dieser symbolischen Angleichung mögen also auch andere, rein phantastische Elemente in den Mythus eingedrungen und in ihm mit den historischen verwebt worden sein. Man kann sich ja kaum der Idee erwehren, daß, wenn die Leber der Sitz der Leidenschaft ist, sie symbolisch dasselbe bedeutet wie das Feuer selbst und daß dann ihre tägliche Aufzehrung und Er{7}neuerung eine zutreffende Schilderung von dem Verhalten der Liebesgelüste ist, die, täglich befriedigt, sich täglich wiederherstellen. Dem Vogel, der sich an der Leber sättigt, fiele dabei die Bedeutung des Penis zu, die ihm auch sonst nicht fremd ist, wie Sagen, Träume, Sprachgebrauch und plastische Darstellungen aus dem Altertum erkennen lassen. Ein kleiner Schritt weiter führt zum Vogel Phönix, der aus jedem seiner Feuertode neu verjüngt hervorgeht, und der wahrscheinlich eher und früher den nach seiner Erschlaffung neu belebten Phallus gemeint hat als die im Abendrot untergehende und dann wieder aufgehende Sonne.
Man darf die Frage aufwerfen, ob man es der mythenbildenden Tätigkeit zumuten darf, sich – gleichsam spielerisch – in der verkleideten Darstellung allgemeinbekannter, wenn auch höchst interessanter seelischer Vorgänge mit körperlicher Äußerung zu versuchen ohne anderes Motiv als bloße Darstellungslust. Darauf kann man gewiß keine sichere Antwort geben, ohne das Wesen des Mythus verstanden zu haben, aber für unsere beiden Fälle ist es leicht, den nämlichen Inhalt und damit eine bestimmte Tendenz zu erkennen. Sie beschreiben die Wiederherstellung der libidinösen Gelüste nach ihrem Erlöschen durch eine Sättigung, also ihre Unzerstörbarkeit, und diese Hervorhebung ist als Trost durchaus an ihrem Platz, wenn der historische Kern des Mythus eine Niederlage des Trieblebens, einen notwendig gewordenen Triebverzicht behandelt. Es ist wie das zweite Stück der begreiflichen Reaktion des in seinem Triebleben gekränkten Urmenschen; nach der Bestrafung des Frevlers die Versicherung, daß er im Grunde doch nichts ausgerichtet hat.
An unerwarteter Stelle begegnen wir der Verkehrung ins Gegenteil in einem anderen Mythus, der anscheinend sehr wenig mit dem Feuermythus zu tun hat. Die lernäische Hydra mit ihren zahllosen züngelnden Schlangenköpfen – unter ihnen ein unsterblicher – ist nach dem Zeugnis ihres Namens ein Wasserdrache. Der Kulturheros Herakles bekämpft sie, indem er ihre {8}Köpfe abhaut, aber die wachsen immer nach, und er wird des Untiers erst Herr, nachdem er den unsterblichen Kopf mit Feuer ausgebrannt hat. Ein Wasserdrache, der durch das Feuer gebändigt wird – das ergibt doch keinen Sinn. Wohl aber, wie in so vielen Träumen, die Umkehrung des manifesten Inhalts. Dann ist die Hydra ein Brand, die züngelnden Schlangenköpfe sind die Flammen des Brandes, und als Beweis ihrer libidinösen Natur zeigen sie wie die Leber des Prometheus wieder das Phänomen des Nachwachsens, der Erneuerung nach der versuchten Zerstörung. Herakles löscht nun diesen Brand durch – Wasser. (Der unsterbliche Kopf ist wohl der Phallus selbst, seine Vernichtung die Kastration.) Herakles ist aber auch der Befreier des Prometheus, der den an der Leber fressenden Vogel tötet. Sollte man nicht einen tieferen Zusammenhang zwischen beiden Mythen erraten? Es ist ja so, als ob die Tat des einen Heros durch den anderen gutgemacht würde. Prometheus hatte die Löschung des Feuers verboten, – wie das Gesetz des Mongolen, – Herakles sie für den Fall des Unheil drohenden Brandes freigegeben. Der zweite Mythus scheint der Reaktion einer späteren Kulturzeit auf den Anlaß der Feuergewinnung zu entsprechen. Man gewinnt den Eindruck, daß man von hier aus ein ganzes Stück weit in die Geheimnisse des Mythus eindringen könnte, aber freilich wird man nur für eine kurze Strecke vom Gefühl der Sicherheit begleitet.
Für den Gegensatz von Feuer und Wasser, der das ganze Gebiet dieser Mythen beherrscht, ist außer dem historischen und dem symbolisch-phantastischen noch ein drittes Moment aufzeigbar, eine physiologische Tatsache, die der Dichter in den Zeilen beschreibt:
„Was dem Menschen dient zum Seichen,
Damit schafft er Seinesgleichen.“ (Heine).
Das Glied des Mannes hat zwei Funktionen, deren Beisammensein manchem ein Ärgernis ist. Es besorgt die Entleerung des Harnes und es führt den Liebesakt aus, der das Sehnen der ge{9}nitalen Libido stillt. Das Kind glaubt noch, die beiden Funktionen vereinen zu können; nach seiner Theorie kommen die Kinder dadurch zustande, daß der Mann in den Leib des Weibes uriniert. Aber der Erwachsene weiß, daß die beiden Akte in Wirklichkeit unverträglich miteinander sind – so unverträglich wie Feuer und Wasser. Wenn das Glied in jenen Zustand von Erregung gerät, der ihm die Gleichstellung mit dem Vogel eingetragen hat, und während jene Empfindungen verspürt werden, die an die Wärme des Feuers mahnen, ist das Urinieren unmöglich; und umgekehrt, wenn das Glied der Entleerung des Körperwassers dient, scheinen alle seine Beziehungen zur Genitalfunktion erloschen. Der Gegensatz der beiden Funktionen könnte uns veranlassen zu sagen, daß der Mensch sein eigenes Feuer durch sein eigenes Wasser löscht. Und der Urmensch, der darauf angewiesen war, die Außenwelt mit Hilfe seiner eigenen Körperempfindungen und Körperverhältnisse zu begreifen, dürfte die Analogien, die ihm das Verhalten des Feuers zeigte, nicht unbemerkt und ungenützt gelassen haben.
Im Jahre 1931 hat das „Comité permanent des Lettres et des Arts de la Société des Nations“ die Internationale Kommission für geistige Zusammenarbeit aufgefordert, „einen Briefwechsel zwischen den repräsentativen Vertretern des Geisteslebens anzuregen, ähnlich jenem Gedankenaustausch, der in dieser Form stets, vor allem in den großen Epochen der europäischen Geschichte stattgefunden hat; dafür Themen auszuwählen, die am besten geeignet sind, den gemeinsamen Interessen des Völkerbundes und des geistigen Lebens zu dienen; und diesen Briefwechsel periodisch zu veröffentlichen.“
In Ausführung dieses Beschlusses gab das Völkerbundsinstitut für geistige Zusammenarbeit (Institut International de Coopération Intellectuelle) in Paris eine Serie „Correspondance“, „Open letters“ heraus. Den Inhalt des zweiten Bandes dieser Serie, der Anfang 1933 unter dem Titel „Warum Krieg?“, „Pourquoi la guerre?“, „Why war?“ zugleich in deutscher, französischer und englischer Sprache in Paris erschienen ist (Copyright by Institut International de Coopération Intellectuelle) bilden ein Brief Albert Einsteins und der nachfolgende Brief des Verfassers. Die Übersetzung des deutschen Urtextes ins Französische hat Blaise Briod, die Übersetzung ins Englische Stuart Gilbert besorgt.
Albert Einstein hat in seinem vom 30. Juli 1932 datierten Brief an den Verfasser den Gegenstand des Briefaustausches in der Frage umrissen: „Gibt es einen Weg, die Menschen vom Verhängnis des Krieges zu befreien?“ Hier entstünden Probleme, die nur der Psychologe beleuchten kann. Albert Einstein entwickelt sodann seine Gedanken zur Aufgabe der Kriegsverhütung; er führt aus, daß ihm „die äußere, bzw. organisatorische Seite des Problems“ einfach erscheine: „Die Staaten schaffen eine legislative und gerichtliche Behörde zur Schlichtung aller zwischen ihnen entstehenden Konflikte“ und übernehmen die Verpflichtung, sich der Autorität dieser Behörde zu fügen. Hier begegne man der ersten Schwierigkeit: das Gericht, als menschliche Einrichtung, sei außerrechtlichen Einrichtungen umso zugänglicher, je weniger Macht es besitze. Wir seien aber derzeit weit davon entfernt, eine überstaatliche Organisation zu besitzen, die der Exekution ihres Erkenntnisses absoluten Gehorsam zu erzwingen imstande wäre. Im einzelnen formuliert Einstein folgende Fragen: „Wie ist es möglich, daß die soeben genannte Minderheit“ (sc. der Herrschenden) „die Masse des Volkes ihren Gelüsten dienstbar machen kann, die durch einen Krieg nur zu leiden und zu verlieren hat?“ ... „Wie ist es möglich, daß sich die Masse durch die genannten Mittel“ (i. e. die Minderheit der jeweils Herrschenden habe vor allem die Schule, die Presse und meistens auch die religiösen Organisationen in ihrer Hand) „bis zur Raserei und Selbstaufopferung entflammen läßt?“ ... „Gibt es eine Möglichkeit, die psychische Entwicklung der Menschen so zu leiten, daß sie den Psychosen des Hasses und des Vernichtens gegenüber widerstandsfähiger werden?“
Wien, im September 1932
Lieber Herr Einstein!
Als ich hörte, daß Sie die Absicht haben, mich zum Gedankenaustausch über ein Thema aufzufordern, dem Sie Ihr Interesse schenken und das Ihnen auch des Interesses Anderer würdig erscheint, stimmte ich bereitwillig zu. Ich erwartete, Sie würden ein Problem an der Grenze des heute Wißbaren wählen, zu dem ein jeder von uns, der Physiker wie der Psycholog, sich seinen besonderen Zugang bahnen könnte, so daß sie sich von verschiedenen Seiten her auf demselben Boden träfen. Sie haben mich dann durch die Fragestellung überrascht, was man tun könne, um das Verhängnis des Krieges von den Menschen abzuwehren. Ich erschrak zunächst unter dem Eindruck meiner – fast hätte ich gesagt: unserer – Inkompetenz, denn das erschien mir als eine praktische Aufgabe, die den Staatsmännern zufällt. Ich verstand dann aber, daß Sie die Frage nicht als Naturforscher und Physiker erhoben haben, sondern als Menschenfreund, der den Anregungen des Völkerbunds gefolgt war, ähnlich wie der Polarforscher Fridtjof Nansen es auf sich genommen hatte, den Hungernden und den heimatlosen Opfern des Weltkrieges Hilfe zu bringen. Ich besann mich auch, daß mir nicht zugemutet wird, praktische Vorschläge zu machen, sondern daß ich nur angeben soll, wie sich das Problem der Kriegsverhütung einer psychologischen Betrachtung darstellt.
Aber auch hierüber haben Sie in Ihrem Schreiben das meiste {14}gesagt. Sie haben mir gleichsam den Wind aus den Segeln genommen, aber ich fahre gern in Ihrem Kielwasser und bescheide mich damit, alles zu bestätigen, was Sie vorbringen, indem ich es nach meinem besten Wissen – oder Vermuten – breiter ausführe.
Sie beginnen mit dem Verhältnis von Recht und Macht. Das ist gewiß der richtige Ausgangspunkt für unsere Untersuchung. Darf ich das Wort „Macht“ durch das grellere, härtere Wort „Gewalt“ ersetzen? Recht und Gewalt sind uns heute Gegensätze. Es ist leicht zu zeigen, daß sich das eine aus dem anderen entwickelt hat, und wenn wir auf die Uranfänge zurückgehen und nachsehen, wie das zuerst geschehen ist, so fällt uns die Lösung des Problems mühelos zu. Entschuldigen Sie mich aber, wenn ich im folgenden allgemein Bekanntes und Anerkanntes erzähle, als ob es neu wäre; der Zusammenhang nötigt mich dazu.
Interessenkonflikte unter den Menschen werden also prinzipiell durch die Anwendung von Gewalt entschieden. So ist es im ganzen Tierreich, von dem der Mensch sich nicht ausschließen sollte; für den Menschen kommen allerdings noch Meinungskonflikte hinzu, die bis zu den höchsten Höhen der Abstraktion reichen und eine andere Technik der Entscheidung zu fordern scheinen. Aber das ist eine spätere Komplikation. Anfänglich, in einer kleinen Menschenhorde, entschied die stärkere Muskelkraft darüber, wem etwas gehören oder wessen Wille zur Ausführung gebracht werden sollte. Muskelkraft verstärkt und ersetzt sich bald durch den Gebrauch von Werkzeugen; es siegt, wer die besseren Waffen hat oder sie geschickter verwendet. Mit der Einführung der Waffe beginnt bereits die geistige Überlegenheit die Stelle der rohen Muskelkraft einzunehmen; die Endabsicht des Kampfes bleibt die nämliche, der eine Teil soll durch die Schädigung, die er erfährt, und durch die Lähmung seiner Kräfte gezwungen werden, seinen Anspruch oder Widerspruch aufzugeben. Dies wird am gründlichsten erreicht, wenn die Gewalt den Gegner dauernd beseitigt, also tötet. Es hat zwei Vorteile, daß er seine Gegnerschaft nicht ein andermal wieder auf{15}nehmen kann und daß sein Schicksal andere abschreckt, seinem Beispiel zu folgen. Außerdem befriedigt die Tötung des Feindes eine triebhafte Neigung, die später erwähnt werden muß. Der Tötungsabsicht kann sich die Erwägung widersetzen, daß der Feind zu nützlichen Dienstleistungen verwendet werden kann, wenn man ihn eingeschüchtert am Leben läßt. Dann begnügt sich also die Gewalt damit, ihn zu unterwerfen, anstatt ihn zu töten. Es ist der Anfang der Schonung des Feindes, aber der Sieger hat von nun an mit der lauernden Rachsucht des Besiegten zu rechnen, gibt ein Stück seiner eigenen Sicherheit auf.
Das ist also der ursprüngliche Zustand, die Herrschaft der größeren Macht, der rohen oder intellektuell gestützten Gewalt. Wir wissen, dies Regime ist im Laufe der Entwicklung abgeändert worden, es führte ein Weg von der Gewalt zum Recht, aber welcher? Nur ein einziger, meine ich. Er führte über die Tatsache, daß die größere Stärke des Einen wettgemacht werden konnte durch die Vereinigung mehrerer Schwachen. „L’union fait la force.“ Gewalt wird gebrochen durch Einigung, die Macht dieser Geeinigten stellt nun das Recht dar im Gegensatz zur Gewalt des Einzelnen. Wir sehen, das Recht ist die Macht einer Gemeinschaft. Es ist noch immer Gewalt, bereit sich gegen jeden Einzelnen zu wenden, der sich ihr widersetzt, arbeitet mit denselben Mitteln, verfolgt dieselben Zwecke; der Unterschied liegt wirklich nur darin, daß es nicht mehr die Gewalt eines Einzelnen ist, die sich durchsetzt, sondern die der Gemeinschaft. Aber damit sich dieser Übergang von der Gewalt zum neuen Recht vollziehe, muß eine psychologische Bedingung erfüllt werden. Die Einigung der Mehreren muß eine beständige, dauerhafte sein. Stellte sie sich nur zum Zweck der Bekämpfung des einen Übermächtigen her und zerfiele nach seiner Überwältigung, so wäre nichts erreicht. Der nächste, der sich für stärker hält, würde wiederum eine Gewaltherrschaft anstreben, und das Spiel würde sich endlos wiederholen. Die Gemeinschaft muß permanent erhalten werden, {16}sich organisieren, Vorschriften schaffen, die den gefürchteten Auflehnungen vorbeugen, Organe bestimmen, die über die Einhaltung der Vorschriften – Gesetze – wachen und die Ausführung der rechtmäßigen Gewaltakte besorgen. In der Anerkennung einer solchen Interessengemeinschaft stellen sich unter den Mitgliedern einer geeinigten Menschengruppe Gefühlsbindungen her, Gemeinschaftsgefühle, in denen ihre eigentliche Stärke beruht.
Damit, denke ich, ist alles Wesentliche bereits gegeben: die Überwindung der Gewalt durch Übertragung der Macht an eine größere Einheit, die durch Gefühlsbindungen ihrer Mitglieder zusammengehalten wird. Alles Weitere sind Ausführungen und Wiederholungen. Die Verhältnisse sind einfach, solange die Gemeinschaft nur aus einer Anzahl gleich starker Individuen besteht. Die Gesetze dieser Vereinigung bestimmen dann, auf welches Maß von persönlicher Freiheit, seine Kraft als Gewalt anzuwenden, der Einzelne verzichten muß, um ein gesichertes Zusammenleben zu ermöglichen. Aber ein solcher Ruhezustand ist nur theoretisch denkbar, in Wirklichkeit kompliziert sich der Sachverhalt dadurch, daß die Gemeinschaft von Anfang an ungleich mächtige Elemente umfaßt, Männer und Frauen, Eltern und Kinder, und bald infolge von Krieg und Unterwerfung Siegreiche und Besiegte, die sich in Herren und Sklaven umsetzen. Das Recht der Gemeinschaft wird dann zum Ausdruck der ungleichen Machtverhältnisse in ihrer Mitte, die Gesetze werden von und für die Herrschenden gemacht werden und den Unterworfenen wenig Rechte einräumen. Von da an gibt es in der Gemeinschaft zwei Quellen von Rechtsunruhe, aber auch von Rechtsfortbildung. Erstens die Versuche Einzelner unter den Herren, sich über die für alle gültigen Einschränkungen zu erheben, also von der Rechtsherrschaft auf die Gewaltherrschaft zurückzugreifen, zweitens die ständigen Bestrebungen der Unterdrückten, sich mehr Macht zu verschaffen und diese Änderungen im Gesetz anerkannt zu sehen, also im Gegenteil vom ungleichen Recht zum gleichen Recht für alle vorzu{17}dringen. Diese letztere Strömung wird besonders bedeutsam werden, wenn sich im Inneren des Gemeinwesens wirklich Verschiebungen der Machtverhältnisse ergeben, wie es infolge mannigfacher historischer Momente geschehen kann. Das Recht kann sich dann allmählich den neuen Machtverhältnissen anpassen, oder, was häufiger geschieht, die herrschende Klasse ist nicht bereit, dieser Änderung Rechnung zu tragen, es kommt zu Auflehnung, Bürgerkrieg, also zur zeitweiligen Aufhebung des Rechts und zu neuen Gewaltproben, nach deren Ausgang eine neue Rechtsordnung eingesetzt wird. Es gibt noch eine andere Quelle der Rechtsänderung, die sich nur in friedlicher Weise äußert, das ist die kulturelle Wandlung der Mitglieder des Gemeinwesens, aber die gehört in einen Zusammenhang, der erst später berücksichtigt werden kann.
Wir sehen also, auch innerhalb eines Gemeinwesens ist die gewaltsame Erledigung von Interessenkonflikten nicht vermieden worden. Aber die Notwendigkeiten und Gemeinsamkeiten, die sich aus dem Zusammenleben auf demselben Boden ableiten, sind einer raschen Beendigung solcher Kämpfe günstig und die Wahrscheinlichkeit friedlicher Lösungen unter diesen Bedingungen nimmt stetig zu. Ein Blick in die Menschheitsgeschichte zeigt uns aber eine unaufhörliche Reihe von Konflikten zwischen einem Gemeinwesen und einem oder mehreren anderen, zwischen größeren und kleineren Einheiten, Stadtgebieten, Landschaften, Stämmen, Völkern, Reichen, die fast immer durch die Kraftprobe des Krieges entschieden werden. Solche Kriege gehen entweder in Beraubung oder in volle Unterwerfung, Eroberung des einen Teils, aus. Man kann die Eroberungskriege nicht einheitlich beurteilen. Manche, wie die der Mongolen und Türken, haben nur Unheil gebracht, andere im Gegenteil zur Umwandlung von Gewalt in Recht beigetragen, indem sie größere Einheiten herstellten, innerhalb deren nun die Möglichkeit der Gewaltanwendung aufgehört hatte und eine neue Rechtsordnung die Konflikte schlichtete. So haben die Eroberungen der Römer den Mittelmeerländern die kostbare pax {18}romana gegeben. Die Vergrößerungslust der französischen Könige hat ein friedlich geeinigtes, blühendes Frankreich geschaffen. So paradox es klingt, man muß doch zugestehen, der Krieg wäre kein ungeeignetes Mittel zur Herstellung des ersehnten „ewigen“ Friedens, weil er imstande ist, jene großen Einheiten zu schaffen, innerhalb deren eine starke Zentralgewalt weitere Kriege unmöglich macht. Aber er taugt doch nicht dazu, denn die Erfolge der Eroberung sind in der Regel nicht dauerhaft; die neu geschaffenen Einheiten zerfallen wieder, meist infolge des mangelnden Zusammenhalts der gewaltsam geeinigten Teile. Und außerdem konnte die Eroberung bisher nur partielle Einigungen, wenn auch von größerem Umfang, schaffen, deren Konflikte die gewaltsame Entscheidung erst recht herausforderten. So ergab sich als die Folge all dieser kriegerischen Anstrengungen nur, daß die Menschheit zahlreiche, ja unaufhörliche Kleinkriege gegen seltene, aber umsomehr verheerende Großkriege eintauschte.
Auf unsere Gegenwart angewendet ergibt sich das gleiche Resultat, zu dem Sie auf kürzerem Weg gelangt sind. Eine sichere Verhütung der Kriege ist nur möglich, wenn sich die Menschen zur Einsetzung einer Zentralgewalt einigen, welcher der Richtspruch in allen Interessenkonflikten übertragen wird. Hier sind offenbar zwei Forderungen vereinigt, daß eine solche übergeordnete Instanz geschaffen und daß ihr die erforderliche Macht gegeben werde. Das eine allein würde nicht nützen. Nun ist der Völkerbund als solche Instanz gedacht, aber die andere Bedingung ist nicht erfüllt; der Völkerbund hat keine eigene Macht und kann sie nur bekommen, wenn die Mitglieder der neuen Einigung, die einzelnen Staaten, sie ihm abtreten. Dazu scheint aber derzeit wenig Aussicht vorhanden. Man stünde der Institution des Völkerbundes nun ganz ohne Verständnis gegenüber, wenn man nicht wüßte, daß hier ein Versuch vorliegt, der in der Geschichte der Menschheit nicht oft – vielleicht noch nie in diesem Maß – gewagt worden ist. Es ist der Versuch, die Autorität, – d. i. den zwingenden Ein{19}fluß, – die sonst auf dem Besitz der Macht ruht, durch die Berufung auf bestimmte ideelle Einstellungen zu erwerben. Wir haben gehört, was eine Gemeinschaft zusammenhält, sind zwei Dinge: der Zwang der Gewalt und die Gefühlsbindungen – Identifizierungen heißt man sie technisch – der Mitglieder. Fällt das eine Moment weg, so kann möglicherweise das andere die Gemeinschaft aufrecht halten. Jene Ideen haben natürlich nur dann eine Bedeutung, wenn sie wichtigen Gemeinsamkeiten der Mitglieder Ausdruck geben. Es fragt sich dann, wie stark sie sind. Die Geschichte lehrt, daß sie in der Tat ihre Wirkung geübt haben. Die panhellenische Idee z. B., das Bewußtsein, daß man etwas Besseres sei als die umwohnenden Barbaren, das in den Amphiktyonien, den Orakeln und Festspielen so kräftigen Ausdruck fand, war stark genug, um die Sitten der Kriegsführung unter Griechen zu mildern, aber selbstverständlich nicht imstande, kriegerische Streitigkeiten zwischen den Partikeln des Griechenvolkes zu verhüten, ja nicht einmal, um eine Stadt oder einen Städtebund abzuhalten, sich zum Schaden eines Rivalen mit dem Perserfeind zu verbünden. Ebensowenig hat das christliche Gemeingefühl, das doch mächtig genug war, im Renaissancezeitalter christliche Klein- und Großstaaten daran gehindert, in ihren Kriegen miteinander um die Hilfe des Sultans zu werben. Auch in unserer Zeit gibt es keine Idee, der man eine solche einigende Autorität zumuten könnte. Daß die heute die Völker beherrschenden nationalen Ideale zu einer gegenteiligen Wirkung drängen, ist ja allzu deutlich. Es gibt Personen, die vorhersagen, erst das allgemeine Durchdringen der bolschewistischen Denkungsart werde den Kriegen ein Ende machen können, aber von solchem Ziel sind wir heute jedenfalls weit entfernt, und vielleicht wäre es nur nach schrecklichen Bürgerkriegen erreichbar. So scheint es also, daß der Versuch, reale Macht durch die Macht der Ideen zu ersetzen, heute noch zum Fehlschlagen verurteilt ist. Es ist ein Fehler in der Rechnung, wenn man nicht berücksichtigt, daß Recht ursprüng{20}lich rohe Gewalt war und noch heute der Stützung durch die Gewalt nicht entbehren kann.
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