Heinrich von Kleist
Prinz Friedrich von Homburg
Ein Schauspiel
Fischer e-books
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
Covergestaltung: bilekjaeger, Stuttgart / Ingrid Lutterbeck
Coverabbildung: Peter Friesel, Heinrich von Kleist, Miniatur von 1801
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
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ISBN 978-3-10-401970-3
Ihrer Königlichen Hoheit
der Prinzessin
Amalie Marie Anne
Gemahlin des Prinzen Wilhelm von Preußen
Bruders Sr. Majestät des Königs
geborne Prinzessin von Hessen-Homburg.
Gen Himmel schauend greift, im Volksgedränge,
Der Barde fromm in seine Saiten ein.
Jetzt trösten, jetzt verletzen seine Klänge,
Und solcher Antwort kann er sich nicht freun.
Doch eine denkt er in dem Kreis der Menge,
Der die Gefühle seiner Brust sich weihn:
Sie hält den Preis in Händen, der ihm falle,
Und krönt ihn die, so krönen sie ihn alle.
FRIEDRICH WILHELM, Kurfürst von Brandenburg
DIE KURFÜRSTIN
PRINZESSIN NATALIE VON ORANIEN, seine Nichte, Chef eines Dragonerregiments
FELDMARSCHALL DÖRFLING
PRINZ FRIEDRICH ARTHUR VON HOMBURG, General der Reuterei
OBRIST KOTTWITZ, vom Regiment der Prinzessin von Oranien
HENNINGS Oberst der Infanterie
GRAF TRUCHSS Oberst der Infanterie
GRAF HOHENZOLLERN, von der Suite des Kurfürsten
RITTMEISTER VON DER GOLZ
GRAF GEORG VON SPARREN Rittmeister
STRANZ Rittmeister
SIEGFRIED VON MÖRNER Rittmeister
GRAF REUSS Rittmeister
EIN WACHTMEISTER
OFFIZIERE, KORPORALE und REUTER. HOFKAVALIERE. HOFDAMEN. PAGEN. HEIDUCKEN. BEDIENTEN. VOLK jeden Alters und Geschlechts.
Szene: Fehrbellin. Ein Garten im altfranzösischen Stil. Im Hintergrunde ein Schloß, von welchem eine Rampe herabführt. – Es ist Nacht.
Der Prinz von Homburg sitzt mit bloßem Haupt und offner Brust, halb wachend halb schlafend, unter einer Eiche und windet sich einen Kranz. – Der Kurfürst, seine Gemahlin, Prinzessin Natalie, der Graf von Hohenzollern, Rittmeister Golz und andere treten heimlich aus dem Schloß, und schauen, vom Geländer der Rampe, auf ihn nieder. – Pagen mit Fackeln.
DER GRAF VON HOHENZOLLERN
Der Prinz von Homburg, unser tapfrer Vetter,
Der an der Reuter Spitze, seit drei Tagen
Den flüchtgen Schweden munter nachgesetzt,
Und sich erst heute wieder atemlos,
Im Hauptquartier zu Fehrbellin gezeigt:
Befehl ward ihm von dir, hier länger nicht,
Als nur drei Füttrungsstunden zu verweilen,
Und gleich dem Wrangel wiederum entgegen,
Der sich am Rhyn versucht hat einzuschanzen,
Bis an die Hackelberge vorzurücken?
DER KURFÜRST
So ists!
HOHENZOLLERN
Die Chefs nun sämtlicher Schwadronen,
Zum Aufbruch aus der Stadt, dem Plan gemäß,
Glock zehn zu Nacht, gemessen instruiert,
Wirft er erschöpft, gleich einem Jagdhund lechzend,
Sich auf das Stroh um für die Schlacht, die uns
Bevor beim Strahl des Morgens steht, ein wenig
Die Glieder, die erschöpften, auszuruhn.
DER KURFÜRST
So hört ich! – Nun?
HOHENZOLLERN
Da nun die Stunde schlägt,
Und aufgesessen schon die ganze Reuterei
Den Acker vor dem Tor zerstampft,
Fehlt – wer? der Prinz von Homburg noch, ihr Führer.
Mit Fackeln wird und Lichtern und Laternen
Der Held gesucht – und aufgefunden, wo?
Er nimmt einem Pagen die Fackel aus der Hand.
Als ein Nachtwandler, schau, auf jener Bank,
Wohin, im Schlaf, wie du nie glauben wolltest,
Der Mondschein ihn gelockt, beschäftiget,
Sich träumend, seiner eignen Nachwelt gleich,
Den prächtgen Kranz des Ruhmes einzuwinden.
DER KURFÜRST
Was!
HOHENZOLLERN
In der Tat! Schau hier herab: da sitzt er!
Er leuchtet von der Rampe auf ihn nieder.
DER KURFÜRST
Im Schlaf versenkt? Unmöglich!
HOHENZOLLERN
Fest im Schlafe!
Ruf ihn bei Namen auf, so fällt er nieder.
Pause.
DIE KURFÜRSTIN
Der junge Mann ist krank, so wahr ich lebe.
PRINZESSIN NATALIE
Er braucht des Arztes –!
DIE KURFÜRSTIN
Man sollt ihm helfen, dünkt mich,
Nicht den Moment verbringen, sein zu spotten!
HOHENZOLLERN indem er die Fackel wieder weggibt
Er ist gesund, ihr mitleidsvollen Frauen,
Bei Gott, ich bins nicht mehr! Der Schwede morgen
Wenn wir im Feld ihn treffen, wirds empfinden!
Es ist nichts weiter, glaubt mir auf mein Wort,
Als eine bloße Unart seines Geistes.
DER KURFÜRST
Fürwahr! Ein Märchen glaubt ichs! – Folgt mir Freunde,
Und laßt uns näher ihn einmal betrachten.
Sie steigen von der Rampe herab.
EIN HOFKAVALIER zu den Pagen
Zurück! die Fackeln!
HOHENZOLLERN
Laßt sie, laßt sie, Freunde!
Der ganze Flecken könnt in Feuer aufgehn,
Daß sein Gemüt davon nicht mehr empfände,
Als der Demant, den er am Finger trägt.
Sie umringen ihn; die Pagen leuchten.
DER KURFÜRST über ihn gebeugt
Was für ein Laub denn flicht er? – Laub der Weide?
HOHENZOLLERN
Was! Laub der Weid, o Herr! – Der Lorbeer ists,
Wie ers gesehn hat, an der Helden Bildern,
Die zu Berlin im Rüstsaal aufgehängt.
DER KURFÜRST
– Wo fand er den in meinem märkschen Sand?
HOHENZOLLERN
Das mögen die gerechten Götter wissen!
DER HOFKAVALIER
Vielleicht im Garten hinten, wo der Gärtner
Mehr noch der fremden Pflanzen auferzieht.
DER KURFÜRST
Seltsam beim Himmel! Doch, was gilts, ich weiß,
Was dieses jungen Toren Brust bewegt?
HOHENZOLLERN
O – was! Die Schlacht von morgen, mein Gebieter!
Sterngucker sieht er, wett ich, schon im Geist,
Aus Sonnen einen Siegeskranz ihm winden.
Der Prinz besieht den Kranz.
DER HOFKAVALIER
Jetzt ist er fertig!
HOHENZOLLERN
Schade, ewig schade,
Daß hier kein Spiegel in der Nähe ist!
Er würd ihm eitel, wie ein Mädchen nahn,
Und sich den Kranz bald so, und wieder so,
Wie eine florne Haube aufprobieren.
DER KURFÜRST
Bei Gott! Ich muß doch sehn, wie weit ers treibt!
Der Kurfürst nimmt ihm den Kranz aus der Hand; der Prinz errötet und sieht ihn an. Der Kurfürst schlingt seine Halskette um den Kranz und gibt ihn der Prinzessin; der Prinz steht lebhaft auf. Der Kurfürst weicht mit der Prinzessin, welche den Kranz erhebt, zurück; der Prinz mit ausgestreckten Armen, folgt ihr.
DER PRINZ VON HOMBURG flüsternd
Natalie! Mein Mädchen! Meine Braut!
DER KURFÜRST
Geschwind! Hinweg!
HOHENZOLLERN
Was sagt der Tor?
DER HOFKAVALIER
Was sprach er?
Sie besteigen sämtlich die Rampe.
DER PRINZ VON HOMBURG
Friedrich! Mein Fürst! Mein Vater!
HOHENZOLLERN
Höll und Teufel!
DER KURFÜRST rückwärts ausweichend
Öffn’ mir die Pforte nur!
DER PRINZ VON HOMBURG
O meine Mutter!
HOHENZOLLERN
Der Rasende! Er ist –
DIE KURFÜRSTIN
Wen nennt er so?
DER PRINZ VON HOMBURG nach dem Kranz greifend
O! Liebste! Was entweichst du mir? Natalie!
Er erhascht einen Handschuh von der Prinzessin Hand.
HOHENZOLLERN
Himmel und Erde! Was ergriff er da?
DER HOFKAVALIER
Den Kranz?
NATALIE
Nein, nein!
HOHENZOLLERN öffnet die Tür
Hier rasch herein, mein Fürst!
Auf daß das ganze Bild ihm wieder schwinde!
DER KURFÜRST
Ins Nichts mit dir zurück, Herr Prinz von Homburg,
Ins Nichts, ins Nichts! In dem Gefild der Schlacht,
Sehn wir, wenns dir gefällig ist, uns wieder!
Im Traum erringt man solche Dinge nicht!
Alle ab; die Tür fliegt rasselnd vor dem Prinzen zu.
Pause.
DER PRINZ VON HOMBURG
bleibt einen Augenblick, mit dem Ausdruck der Verwunderung, vor der Tür stehen; steigt dann sinnend, die Hand, in welcher er den Handschuh hält, vor die Stirn gelegt, von der Rampe herab; kehrt sich sobald er unten ist, um, und sieht wieder nach der Tür hinauf.
Der Graf von Hohenzollern tritt von unten, durch eine Gittertür, auf. Ihm folgt ein Page. – Der Prinz von Homburg.
DER PAGE leise
Herr Graf, so hört doch! Gnädigster HerGraf!
HOHENZOLLERN unwillig
Still! die Zikade! – Nun? Was gibts?
PAGE
Mich schickt –!
HOHENZOLLERN
Weck ihn mit deinem Zirpen mir nicht auf!
– Wohlan! Was gibts?
PAGE
Der Kurfürst schickt mich her!
Dem Prinzen möchtet Ihr, wenn er erwacht,
Kein Wort, befiehlt er, von dem Scherz entdecken,
Den er sich eben jetzt mit ihm erlaubt!
HOHENZOLLERN leise
Ei, so leg dich im Weizenfeld aufs Ohr,
Und schlaf dich aus! Das wußt ich schon! Hinweg!
Der Page ab.