EINLEITUNG
DIE URSPRÜNGE DER MENSCHHEIT
VOR 200 000 JAHREN – 3500 V. CHR.
Mindestens so bedeutsam wie Kolumbus’ Reise nach Amerika oder die Apollo-11-Mission
Die ersten Menschen in Australien (vor 60 000–45 000 Jahren)
Alles war so wunderschön, so frisch
Höhlenmalereien in Altamira (vor 40 000 Jahren)
Die Grundlagen des aktuellen Europas wurden am Ende der Eiszeit gelegt
Die große Eiszeit (um 21 000 v. Chr.)
Eine große Zivilisation entstand auf der Hochebene Anatoliens
Die Siedlung von Çatalhöyük (vor 10 000 Jahren)
HOCHKULTUREN DER ANTIKE
6000 V. CHR.–500 N. CHR.
Um dem Land wahres Heil und eine gute Regierung zu schaffen
Der Gesetzeskodex des Hammurabi (um 1780 v. Chr.)
Alle Länder liegen ewiglich unter seinen Sohlen
Die Tempel von Abu Simbel (um 1264 v. Chr.)
Anhaftung ist die Ursache des Leidens
Siddhartha Gautama predigt den Buddhismus (um 500 v. Chr.)
Ein Hinweis auf die Existenz einer Bilderschrift in griechischen Landen
Der Palast von Knossos (um 1700 v. Chr.)
Im Frieden begraben die Söhne ihre Väter, im Krieg aber die Väter ihre Söhne
Die Perserkriege (490–449 v. Chr.)
Die Macht ruht nicht in den Händen weniger, sondern vieler
Die athenische Demokratie (um 507 v. Chr.)
Nichts ist unmöglich für den, der es versucht
Die Eroberungen Alexanders des Großen (4. Jh. v. Chr.)
Wenn der Qin seinen Willen bekäme, würde er die ganze Welt gefangen nehmen
Der Erste Kaiser vereinigt China (221 v. Chr.)
So soll es immer den Tyrannen ergehen
Die Ermordung Julius Cäsars (44 v. Chr.)
In diesem Zeichen wirst du siegen
Schlacht an Milvischer Brücke (312 n. Chr.)
Die Stadt Rom ist eingenommen, die zuvor die ganze Welt besiegt hatte
Die Plünderung Roms (410 n. Chr.)
Weitere Ereignisse
DIE WELT DES MITTELALTERS
500–1492
Das Reich zu vergrößern und seinen Ruhm zu mehren
Die Rückeroberung Roms durch Belisar (536)
Die Wahrheit ist gekommen, und das Falsche geht dahin
Mohammed empfängt die göttliche Offenbarung (um 610)
Ein Herrscher, unter dem die Christenheit Frieden findet
Die Krönung Karls des Großen (800)
Der Herrscher ist reich, aber der Staat ist zerstört
Die An-Lushan-Rebellion (756)
Ein Anschwellen des Geists und ein Erwachen des Verstands
Die Gründung von Bagdad (762)
Niemals zuvor brach ein solches Entsetzen über Britannien herein
Der Überfall der Wikinger auf Lindisfarne (793)
Die Römische Kirche hat nie geirrt
Der Investiturstreit (1077)
Ein Mann, der zur Herrschaft über den Staat bestimmt ist
Minamoto Yoritomo wird Shogun (1192)
Dass alle Männer unseres Reichs diese Freiheiten, Rechte und Konzessionen haben und behalten sollen
Die Unterzeichnung der Magna Charta (1215)
Der mächtigste Mann an Volk und Land und Reichtum, der jemals in der Welt gelebt hat
Kublai Khan erobert die Song (1279)
Ich habe nicht die Hälfte von dem Gesehenen erzählt – keiner hätte mir geglaubt
Marco Polo erreicht Shangdu (um 1275)
Jene, die käuflich gewesen sind für einige Stücke Silbers, sollen nun ewigen Lohn empfangen
Die Eroberung von Jerusalem (1099)
Das Werk von Giganten
Der Bau von Angkor Wat (um 1120)
Er ließ keinen Emir oder königlichen Beamten ohne ein reiches Geschenk von Gold
Mansa Musas Hadsch nach Mekka (1324)
Gebt der Sonne das Blut der Feinde zu trinken
Die Gründung von Tenochtitlan (1325)
Kaum die zehnte Person jeglichen Stands blieb am Leben
Der Ausbruch der Pest in Europa (1347)
Ich habe mich bemüht, den Willen des Himmels zu erfüllen
Hongwu gründet die Ming-Dynastie (1368)
Mögt Ihr die Feinde meines Christenvolkes niederschlagen
Die Eroberung von Granada (1492)
Ich habe 28 neue Schriftzeichen geschaffen
König Sejong führt eine neue Schrift ein (1443)
Weitere Ereignisse
DIE FRÜHE NEUZEIT
1420–1795
Wenn meine Stadt fällt, falle ich mit ihr
Eroberung Konstantinopels (1453)
Dem Licht der Sonne folgend verließen wir die Alte Welt
Kolumbus erreicht Amerika (1492)
Diese Linie soll als beständige Grenze und Markierung dienen
Der Vertrag von Tordesillas (1494)
Die Alten sind mit ihren Bauten niemals in solche Höhe gelangt
Der Beginn der italienischen Renaissance (1420)
Der Krieg hat sich sehr verändert
Die Schlacht bei Castillon (1453)
So verschieden von unseren wie Tag und Nacht
Der Kolumbus-Effekt (ab 1492)
Mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort
Martin Luthers 95 Thesen (1517)
Erstlich hatt er ein grossen krieg angefangen in Böhma, welches er zwungen und erlegt under sein relicon
Der Prager Fenstersturz (1618)
Das Königtum ist ein Heilmittel gegen den Geist der Rebellion
Die Eroberungen Akbars des Großen (1556)
In sich trugen sie eine große Hoffnung und Inbrunst
Die Reise der Mayflower (1620)
Wir werden ihm den Kopf mitsamt der Krone abschlagen
Die Hinrichtung Karls I. (1649)
Das nackte Überleben der Plantagen hängt an ihrer Belieferung mit Sklaven
Die Gründung der Royal African Company (1660)
Es gibt keine Ecke, an der man nicht über Aktien spricht
Die Eröffnung der Amsterdamer Börse (1602)
Wenn du gesiegt hast, schnalle den Helm fester
Die Schlacht von Sekigahara (1600)
Barbaren bekämpft man mit Barbaren
Der Aufstand der drei Feudalfürsten (1673–1681)
Ich habe in dieser Abhandlung die Mathematik entwickelt, insoweit sie sich auf die Philosophie bezieht
Newton veröffentlicht die Principia (1687)
Die Reisen von Kapitän Cook (1768–1779)
Der Staat bin ich
Ludwig XIV. wird alleiniger Herrscher von Frankreich (1661)
Vergesst nicht eure schweren Kanonen, die besten Argumente für die Rechte von Königen
Die Schlacht von Québec (1759)
Die auf der Erde verstreuten Kenntnisse zu sammeln
Diderot veröffentlicht die Encyclopédie (1751)
Ich habe mit Sankt Petersburg ein Fenster aufgestoßen, durch welches Russland nach Europa blickt
Die Gründung von Sankt Petersburg (1703)
Weitere Ereignisse
So weit wie für den Menschen überhaupt möglich
GESELLSCHAFTEN IM WANDEL
1776–1914
Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen wurden
Die Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung (1776)
Nein, Sire, das ist eine Revolution
Die Erstürmung der Bastille (1789)
Ich muss aus allen Völkern Europas ein Volk machen – und aus Paris die Hauptstadt der Welt
Die Schlacht bei Waterloo (1815)
Lasst uns furchtlos die Grundsteine für Amerikas Freiheit legen. Zögern heißt untergehen
Bolívar gründet Großkolumbien (1819)
Leben ohne Industrie ist Schuld
Die Inbetriebnahme von Stephensons Rocket (1830)
Du kannst beschließen, wegzusehen – doch du kannst nie wieder sagen, du hättest nichts gewusst
Die Abschaffung der Sklaverei (1807)
Die Gesellschaft war gespalten
Die Revolutionen von 1848
Dieses Unterfangen wird sich immens lohnen
Der Bau des Suezkanals (1859–1869)
Zahllose Formen, die schönsten und wunderbarsten, haben sich entwickelt – und tun es weiter
Darwin veröffentlicht Über die Entstehung der Arten (1859)
Zu den Waffen! Lasst uns für unsere Brüder kämpfen
Der Zug der Tausend (1860)
Diese traurigen Szenen aus Tod und Leid – wann werden sie aufhören?
Die Belagerung Lucknows (1857)
Besser, die Leibeigenschaft wird von oben abgeschafft, als zu warten, dass sie sich von unten selbst abschafft
Russland befreit seine Leibeigenen (1861)
Auf dass die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk nicht von der Erde verschwinden möge
Die »Gettysburg Address« (1863)
Unsere offenkundige Bestimmung liegt darin, den Kontinent einzunehmen
Der kalifornische Goldrausch (1848–1855)
Amerika ist Gottes großer Schmelztiegel
Die Eröffnung von Ellis Island (1892)
Mach das Land reich, stärke das Militär
Die Meiji-Restauration (1868)
In meiner Hand halte ich das Universum – und die Macht, anzugreifen und zu töten
Der Zweite Opiumkrieg (1856–1860)
Ich sollte auf den Eiffelturm eifersüchtig sein – er ist berühmter als ich
Die Eröffnung des Eiffelturms (1889)
Wenn ich könnte, würde ich andere Planeten annektieren
Die Kongokonferenz (1884)
Mein Volk wird die Prinzipien der Demokratie lernen, das Diktat der Wahrheit und die Lehren der Wissenschaft
Die Jungtürkische Revolution (1908)
Taten, nicht Worte
Der Tod Emily Davisons (1913)
Weitere Ereignisse
DIE MODERNE WELT
1914 – GEGENWART
Oft wünschst du dir, du wärst tot
Die Schlacht von Passchendaele (1917)
Die Geschichte wird es uns nicht verzeihen, wenn wir die Macht jetzt nicht ergreifen
Die Oktoberrevolution (1917)
Dies ist kein Frieden, das ist ein Waffenstillstand auf zwanzig Jahre
Der Vertrag von Versailles (1919)
Tod ist die Lösung aller Probleme. Kein Mensch – kein Problem
Stalin ergreift die Macht (1929)
Jeder Mangel an Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft der USA ist dumm
Der Börsenkrach an der Wall Street (1929)
Die Wahrheit ist, dass die Menschen vielleicht der Freiheit müde sind
Der Reichstagsbrand (1933)
Wir werden unsere Insel verteidigen – koste es, was es wolle. Wir werden auf Stränden und Flugplätzen kämpfen, auf Feldern, Straßen und Hügeln. Wir werden uns niemals ergeben
Der Zweite Weltkrieg (1939–1945)
Die »Endlösung der Judenfrage«
Die Wannseekonferenz (1942)
Wir taten nichts außer fliegen und schlafen
Die Berliner Luftbrücke (1948)
Schlag Mitternacht, wenn die Welt schläft, wird Indien zu Leben und Freiheit erwachen
Indiens Unabhängigkeit und Teilung (1947)
Der Name unseres Staates soll Israel sein
Die Staatsgründung Israels (1948)
Der Lange Marsch ist ein Manifest, eine Propagandakraft, eine Sämaschine
Der Lange Marsch (1934/35)
Ghana, unser geliebtes Land, ist ein für alle Mal frei
Nkrumah erringt Ghanas Unabhängigkeit (1957)
Wir stehen uns Auge in Auge gegenüber – und ich glaube, der andere hat soeben geblinzelt
Die Kubakrise (1962)
Menschen überall auf der Welt zeigen auf den Satelliten
Der Start des Sputnik (1957)
Ich habe einen Traum
Der Marsch nach Washington (1963)
Ich werde Vietnam nicht verlieren
Der Vorfall am Golf von Tonkin (1964)
Eine Revolution ist kein Rosenbett
Die Invasion in der Schweinebucht (1961)
Sprenge die alte Welt, baue die neue
Die Kulturrevolution (1966)
Wir werden ihn mit unserem Blut und aller Macht verteidigen – und wir werden auf Aggression mit Aggression antworten, auf Böses mit Bösem
Die Suezkrise (1956)
Der Eiserne Vorhang ist gefallen
Der Fall der Berliner Mauer (1989)
Alle Macht dem Volk
Die Studentenrevolte (1968)
Nie, nie und niemals wieder
Die Freilassung Nelson Mandelas (1990)
Erzeuge eine unerträgliche Lage völliger Unsicherheit und ohne Hoffnung auf ein Überleben oder Leben
Die Belagerung Sarajevos (1992–1996)
Heute, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wurde unsere Lebensweise, unsere Freiheit angegriffen
Die Angriffe vom 11. September (2001)
Durch das, was du im Netz durchsuchst, beeinflusst du die Welt
Der Start der ersten Webseite (1991)
Eine Krise, die in den Hypothekenmärkten der USA begann, brachte das weltweite Finanzsystem beinahe zum Erliegen
Die globale Finanzkrise (2008)
Dieser Tag betrifft die gesamte menschliche Familie
Die Zahl der Weltbevölkerung übersteigt 7 Mrd. (2011)
Weitere Ereignisse
GLOSSAR
DANK
DIE AUTOREN
Die Selbsterkenntnis des Menschen ist das höchste Ziel der Beschäftigung mit Geschichte – oder, um es mit den Worten des britischen Historikers R. G. Collingwood (1889–1943) zu sagen: »Der Wert der Geschichte liegt darin, uns zu lehren, was der Mensch getan hat, und damit, was er ist.« Ohne historische Kenntnisse verstehen wir unser Leben nicht.
Die Geschichte selbst hat ihre Geschichte. Von Beginn an haben alle Gesellschaften – meist in fantasievollen Erzählungen von Göttern, Helden und ihren Taten – über ihre Ursprünge und ihre Vergangenheit erzählt. Die ersten Zivilisationen fertigten Dokumente über die Taten ihrer Herrscher an und hielten sie auf Tontafeln oder an Tempel- und Palastwänden fest. Doch diese frühen Gesellschaften erforschten noch nicht systematisch ihre Vergangenheit und unterschieden nicht zwischen dem, was tatsächlich geschehen war, und den Mythen und Legenden.
»Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, muss sie wiederholen.«
George Santayana
The Life of Reason (1905)
Die Werke von Herodot und Thukydides aus dem 5. Jh. v. Chr. sind die ersten erhaltenen Texte, in denen historische Zusammenhänge mithilfe von Augenzeugen, Quellen und eigenen Reflexionen dargestellt werden.
Herodot berücksichtigte dabei auch allerlei Mythen, doch Thukydides’ Darstellung des Peloponnesischen Krieges und seiner Vorgeschichte kommt den wichtigsten Kriterien moderner Geschichtsschreibung schon recht nahe. Er stützt sich auf Augenzeugenberichte über den Konflikt und führt die Ereignisse auf menschliches Handeln statt auf das Eingreifen von Göttern zurück.
Thukydides’ Form der Geschichtsdarstellung sollte lange Bestand haben: die detaillierte Schilderung von Kriegen und politischen Konflikten, Diplomatie und Entscheidungen. Der Aufstieg Roms zur zentralen Macht im Mittelmeerraum führte Historiker zu der Fragestellung, »wie wir wurden, was wir sind«. Der griechische Historiker Polybios (200–118 v. Chr.) und sein römischer Kollege Livius (59 v. Chr. – 17 n. Chr.) verfassten Werke über den Aufstieg Roms, die helfen sollten, die Ereignisse als langfristige Entwicklungen zu verstehen. Auch wenn sie sich auf Rom beschränkten, lag darin der Anfang einer »Universalgeschichte«, die den Versuch unternimmt, den Fortschritt aus frühesten Anfängen bis in die Gegenwart als Geschichte zu beschreiben und so der Vergangenheit eine Richtung zu geben.
Etwa zeitgleich zeichnete in China der Historiker Sima Qian (um 145–86 v. Chr.) die jahrtausendealte chinesische Geschichte auf – vom legendären Gelben Kaiser (um 2697 v. Chr.) bis zur Han-Dynastie unter Kaiser Wu (um 109 v. Chr.).
Antike Historiker interpretierten die Ereignisse mithilfe ihrer Erzählweise und etablierten die Ansicht, Geschichte sei eine Quelle von Morallehren und Lebenserfahrungen. Die Werke eines Livius oder Tacitus (56 – um 120 n. Chr.) sollten das Verhalten der Helden und Bösewichte untersuchen, über Stärken und Schwächen der Charaktere von Herrschern und Heerführern Aufschluss geben und so Beispiele zur Nachahmung oder Vermeidung liefern. Diese Auffassung von Geschichte blieb lange bestehen. Der französische Chronist Jean Froissart (1337–1405) schrieb über Ritter und ihre Kämpfe im Hundertjährigen Krieg, »damit mutige Männer ihrem Beispiel folgen«. Bücher über Lincoln, Churchill, Gandhi oder Martin Luther King jr. haben heute dieselbe Funktion.
Der Aufstieg des Christentums im 4. Jh. führte zu einem veränderten Konzept von Geschichte. Christen führten zwar antike Traditionen fort, sahen aber in historischen Ereignissen auch die Resultate göttlichen Wirkens. So standen Berichte, die explizit im Stile eines Thukydides verfasst wurden, neben Heiligen- und Wundergeschichten, für die die religiöse Aussage zählte. Am byzantinischen Hof wurden historische Werke nach antikem Vorbild verfasst. Im westlichen Europa entwickelte sich seit Karl dem Großen eine mittelalterliche Geschichtsschreibung. Die muslimische Welt übernahm viele griechische Ansätze; der arabische Historiker Ibn Chaldun (1332–1406) wandte sich gegen die blinde, unkritische Übernahme fantasiereicher Erzählungen von Ereignissen, die sich nicht beweisen ließen. Doch weder christliche noch muslimische Historiker lieferten so umfangreiche Werke wie die chinesische Chronik von 1085 aus der Song-Dynastie: In 294 Bänden wurde darin die chinesische Geschichte von beinahe 1400 Jahren erzählt.
Ohne die Errungenschaften anderer Zivilisationen und ihrer Geschichtstraditionen zu schmälern, lässt sich festhalten, dass Westeuropa die moderne Geschichtsschreibung hervorbrachte. Die Renaissance, die im 15. Jh. in Italien ihren Anfang nahm und sich bis zum Ende des 16. Jh. über ganz Europa verbreitete, drehte sich um die Wiederentdeckung der Vergangenheit. Ihre Denker fanden in der klassischen Antike eine Quelle der Inspiration – und zwar in Architektur und Philosophie ebenso wie in politischen und militärtaktischen Fragen. Die humanistischen Gelehrten der Renaissance erklärten die Geschichte zum Hauptfach des neuen Bildungscurriculums, und der Antiquar, der in antiken Ruinen nach alten Münzen und Schriften suchte, wurde zur vertrauten Figur. Der Buchdruck ermöglichte die Verbreitung von Geschichtswerken in bis dahin unbekanntem Ausmaß.
»Mit Menschen früherer Zeit zu leben bedeutet, in fremde Länder zu reisen.«
René Descartes
Abhandlung über die Methode (1637)
Im 18. Jh. hatte die europäische Geschichtsschreibung eine bestimmte Methodik etabliert; sie bestand vor allem darin, durch die Untersuchung und den Vergleich historischer Quellen Fakten zu ermitteln. Europäische Denker waren sich über die Epocheneinteilung der Vergangenheit in Antike, Mittelalter und Neuzeit einig. Diese Periodisierung kam einer Bewertung gleich – und sah im durch die Kirche beherrschten Mittelalter eine Periode der Irrationalität und Barbarei, die die ehrwürdige Welt der antiken Zivilisationen vom neu emporsteigenden rationalen Universum des modernen Europa trennte. In ihren Werken machten sich die Philosophen der Aufklärung über die Dummheiten der Vergangenheit lustig.
Im Gegensatz dazu entdeckte die Romantik, die sich seit dem Ende des 18. Jh. in ganz Europa verbreitete, in der Differenz zwischen Vergangenheit und Gegenwart einen eigenen Wert. Die Romantiker ließen sich vom Mittelalter inspirieren – und anstatt die Vergangenheit als Vorstufe der Gegenwart zu betrachten, übten sie sich darin, den Geist der Vergangenheit erneut lebendig zu machen. Vieles davon verband sich mit Nationalismus. So suchte Johann Gottfried Herder (1744–1803) in der Geschichte nach Wurzeln einer nationalen Identität und einem »deutschen Geist«. Als im 19. Jh. in Europa die Nationalstaaten entstanden, feierte die Geschichtsschreibung Ursprünge und Charakter der Nationen und ihre Helden. Jedes Land mit einer Flagge und einer Hymne beanspruchte auch seine eigene heroische Geschichte.
Im 19. Jh. wurde Geschichte immer bedeutsamer und bald als Schicksal betrachtet. Die europäische Zivilisation sah sich selbst als Ziel aller geschichtlichen Entwicklungen und schuf entsprechende Narrative. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) beschrieb die Geschichte als logische Entwicklung, die schließlich im preußischen Staat kulminierte. Karl Marx (1818–1883) übernahm Hegels Konzept in seine Theorie vom Historischen Materialismus, nach der der ökonomische Fortschritt den Konflikt zwischen den gesellschaftlichen Klassen erzeuge und am Ende unweigerlich dazu führen würde, dass das Proletariat die Macht übernehmen und das kapitalistische System an seinen inneren Widersprüchen zerbrechen werde.
»Geschichte ist nicht viel mehr als eine Aufzählung der Verbrechen, Narrheiten und Unglücksfälle der Menschheit.«
Edward Gibbon
Verfall und Untergang des Römischen Reiches (1776)
Wie andere Wissensgebiete wurde auch die Geschichtswissenschaft im 19. Jh. professioneller und schließlich zur akademischen Disziplin, deren erklärtes Ziel die Sammlung von »Fakten« wurde. Die Kluft zwischen einer »ernsten« Geschichtswissenschaft und literarischen Werken populärer Historiker wie die eines Jules Michelet (1798–1874) und eines Thomas Macaulay (1800–1859) wurde immer größer.
Im 20. Jh. wurde die Thematik der Geschichtswissenschaft, die bis dato vor allem Könige und Königinnen, Premierminister, Präsidenten und Generäle betrachtete, erweitert. Auch die breite Bevölkerung und ihre Lebensumstände wurden nun zunehmend erforscht. Einige Historiker ließen (zunächst in Frankreich) die »Ereignisgeschichte« vollkommen außer Acht und wandten sich stattdessen der Erforschung gesellschaftlicher Strukturen und Alltagsmodelle, der Glaubens- und Denkmuster der gewöhnlichen Menschen in den verschiedenen Epochen zu.
Bis Mitte des 20. Jh. wurde Weltgeschichte, grob gesagt, als Triumphgeschichte der westlichen Zivilisation geschrieben. Dieser Blickwinkel bestimmte die marxistische Geschichtsschreibung ebenso wie die, die den Fortschritt der Technologie, der Unternehmen und der liberalen Demokratie priesen. Er war nicht immer optimistisch, und es gab zahlreiche Untergangspropheten. Doch er ging stets davon aus, dass Geschichte von Europäern (und ihren Nachkommen) geschrieben wurde. So wurde es unwidersprochen akzeptiert, wenn europäische Historiker davon sprachen, Schwarzafrika habe keinerlei bedeutende Geschichte hervorgebracht und nichts zum Fortschritt der Menschheit beigetragen.
Im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jh. fiel der Begriff einer einzigen, zielgerichteten historischen »großen Erzählung« in sich zusammen – und mit ihm der Eurozentrismus. Die postkoloniale, postmoderne Welt forderte eine Vielzahl von Geschichten, die aus dem Blickwinkel verschiedener gesellschaftlicher Identitäten erzählt wurden. Viele wandten sich der Erforschung der schwarzen Geschichte, der Frauengeschichte, der Homosexuellengeschichte zu – genauso wie den Geschichten, die aus asiatischer, afrikanischer oder der Perspektive der amerikanischen Ureinwohner erzählt wurden. Marginalisierte und Unterdrückte einer Gesellschaft wurden nicht länger als passive Opfer, sondern als »Akteure« der Geschichte angesehen. In einem Aufruhr des Revisionismus wurden zahlreiche Ansichten über Geschichte, wie Gebildete im Westen sie kannten, auf den Kopf gestellt. Viele Ereignisse erfuhren nun eine andere Bewertung. Die Reaktion auf den 500. Jahrestag von Christoph Kolumbus’ erster Reise nach Amerika im Jahre 1992 verdeutlicht beispielhaft die entstandene Verwirrung: Hätte man einst überall in den Vereinigten Staaten stolze Gedenkfeiern erwartet, wurde dem Ereignis tatsächlich, wenn überhaupt, eher mit Scham gedacht. Die Menschen sind sich nicht mehr einig, was sie über ihre traditionelle Geschichte, ihre epochalen Ereignisse denken sollen.
Auf die »große Erzählung« vom menschlichen Fortschritt wird hier verzichtet. Das Buch will einen Überblick über die Weltgeschichte anhand spezifischer Augenblicke und Ereignisse geben, die ein »Fenster« in ausgewählte Bereiche der Vergangenheit öffnen. Es reflektiert die langfristige Bedeutung zentraler und aktueller Faktoren wie Bevölkerungswachstum, Klima und Umwelt in ihrem ideologischen und narrativen Kontext und erzählt von allgemein historisch interessanten Ereignissen – wie die Magna Charta, die Pest und der amerikanische Bürgerkrieg.
Dieses Buch zeigt: Geschichte ist ein Prozess und nicht etwa eine Reihe zusammenhangloser Ereignisse. Sie ist nicht determiniert, sondern bleibt auch im 21. Jh. eine grundlegende Disziplin für alle, die – wie der englische Dichter Alexander Pope (1688–1744) – glauben: »Das richtige Forschungsthema der Menschheit ist der Mensch«.
»Wir sind nicht die Erzeuger von Geschichte, wir sind ihr Produkt.«
Martin Luther King jr.
Strength to Love (1963)
VOR CA. 200 000 JAHREN
In Ostafrika tauchen die ersten Menschen (Homo sapiens) auf. In Europa und Westasien leben Neandertaler (Homo neanderthalensis)
VOR CA. 40 000 JAHREN
Menschen des Paläolithikums schaffen Kunst (Tierskulpturen und Höhlenmalerei) und Artefakte (Schmuck, Werkzeuge und Waffen)
VOR CA. 21 000 JAHREN
Auf der Erde kommt es zu einer Eiszeit. In den nördlichen Regionen sterben Menschen und Tiere aus oder wandern nach Süden
UM 9000 V. CHR.
Im heutigen Westjordanland wird Jericho gegründet – eine der ältesten kontinuierlich bewohnten Städte der Welt
VOR CA. 45 000 JAHREN
Menschen haben sich über den gesamten Globus verbreitet und bevölkern große Teile Eurasiens und Australiens, das sie mit ihren Booten von Südostasien aus erreichten
VOR CA. 35 000 JAHREN
Erste menschliche, meist weibliche Figurinen werden aus Knochen, Elfenbein, Terrakotta oder Stein hergestellt
VOR CA. 15 000 JAHREN
Nordamerika wird erstmals von Menschen besiedelt, die entweder über die große Landbrücke zwischen Asien und Nordamerika (heute die Beringstraße) oder übers Meer kamen
UM 7500 V. CHR.
Gründung der Siedlung Çatalhöyük (heute Zentraltürkei); Belege komplexer Rituale weisen auf einen sozialen Zusammenhalt hin
UM 5000 V. CHR.
In Serbien wird Kupfer gewonnen und verarbeitet, im Nahen Osten das Rad erfunden – wahrscheinlich eher zum Töpfern als für den Transport
UM 3300 V. CHR.
Im Nahen Osten beginnt die Bronzezeit – und auf dem indischen Subkontinent entwickelt sich die Indus-Kultur
UM 3000 V. CHR.
In Sumer (Südmesopotamien, im heutigen Irak) wird die Keilschrift, eine der ältesten Schriftsysteme des Menschen, entwickelt
UM 2500 V. CHR.
In Stonehenge (Großbritannien) werden im Zentrum eines 500 Jahre zuvor durch einen Erdwall eingerichteten Versammlungsorts Steinkreise errichtet, die später erneuert werden
UM 4000 V. CHR.
In Mesopotamien entwickeln sich im Tal zwischen Euphrat und Tigris (heute Irak, Syrien und Kuwait), wo Bewässerungslandwirtschaft betrieben wird, erste Zivilisationen
UM 3100 V. CHR.
Narmer vereinigt Ober- und Unterägypten und wird Pharao der 1. Dynastie Ägyptens; die Hieroglyphen sind bereits entwickelt
UM 2700 V. CHR.
Als monumentale Grabbauten werden in Ägypten die ersten Pyramiden aus Stein errichtet; zwei Jahrhunderte später wird die Große Pyramide von Gizeh gebaut
UM 1800 V. CHR.
In Ägypten entstand auf Basis der Hieroglyphen alphabetische Schrift (protosemitisches Alphabet); Vorform vieler moderner Alphabete
Die Ursprünge des Menschen liegen wahrscheinlich in Afrika. Durch Evolution und natürliche Selektionsprozesse entwickelte sich im Laufe von Jahrmillionen in Ostafrika neben den Schimpansen, unseren nächsten Verwandten, die Gattung des Menschen (Homo). Im Verlauf biologischer Entwicklungsprozesse trat neben anderen Hominiden (z. B. den Neandertalern, die vor 40 000 Jahren ausstarben) der Homo sapiens auf: der moderne Mensch. In einem Moment (wann genau, ist schwer zu sagen) begann dieser, einen anderen Weg als andere Affenarten einzuschlagen, nämlich den der kulturellen Entwicklung. Von nun an entwickelten Menschen die Fähigkeit, durch die Erzeugung von Werkzeugen, Sprachen, Denkweisen, gesellschaftlichen Bräuchen und Kunst ihre Art zu leben, zu verändern. Als sie erste Bilder an die Wände ihrer Höhlen malten und aus Knochen oder Stein menschliche Figuren schufen, hatten sie sich bereits auf einzigartige Weise von den Tieren abgegrenzt. Zunächst verlief ihr Transformationsprozess langsam; im Verlauf von Jahrtausenden sollte er jedoch eine atemberaubende Geschwindigkeit entwickeln. Der Mensch wurde zum einzigen Tier mit Geschichte.
Die frühe Entwicklung menschlicher Kulturen stellt für Historiker ein besonderes Problem dar – denn die erste Schrift wurde erst relativ spät, vor rund 5000 Jahren, entwickelt. Die schriftlosen Epochen gehören zur »Ur- und Frühgeschichte«, da diese Kulturen lediglich an archäologischen Quellen und nicht mittels Schriftzeugnissen erforscht werden können. In jüngerer Zeit haben zahlreiche neue wissenschaftliche Methoden – darunter die Erforschung genetischen Materials und die Radiokarbondatierung organischer Überreste – die bisherigen archäologischen Techniken erweitert und damit Forschern neue Zugänge zu schriftlosen Kulturen ermöglicht. Unsere Vorstellungen über die ferne Vergangenheit des Menschen werden permanent revidiert, da neue Erkenntnisse, die oft angezweifelt werden, die Perspektive immer wieder radikal verändern. Die Entdeckung einer Höhle, einer Grabstätte oder eines menschlichen Schädels kann unsere Kenntnisse infrage stellen. Gleichwohl lässt sich die Geschichte der ersten Menschen heute, im 21. Jh., mit relativer Gewissheit beschreiben.
Historiker sind sich einig darin, dass die Menschen bis vor 12 000 Jahren als Jäger und Sammler in kleinen mobilen Gruppen lebten und Werkzeuge aus Stein benutzten. In dieser Periode – dem Paläolithikum (Altsteinzeit) – wuchs die erfolgreiche Spezies des Menschen auf eine Population von vielleicht 10 Mio. an und verbreitete sich über einen Großteil der Erde. Im Allgemeinen passte sich der Mensch gut an natürliche und klimatische Veränderungen an – auch wenn er während der letzten großen Eiszeit aus nördlichen Regionen wie Skandinavien floh.
Menschen unterhielten zu ihrer natürlichen Umgebung eine enge Beziehung, aber auch damals beeinflussten sie ihre Umwelt nicht nur positiv. So fallen die Ausbreitung menschlicher Jäger auf der Erde und die Ausrottung von Tierarten wie des Wollhaarmammuts oder des Mastodons zusammen. Obwohl Jäger keineswegs die einzige Ursache waren – ein weiterer Faktor war gewiss der Klimawandel –, erscheint dies, von heute gesehen, als beunruhigender Präzedenzfall.
Die »natürliche« Lebensweise der Jäger und Sammler scheint vieles für sich gehabt zu haben. Untersuchungen menschlicher Überreste aus Jäger- und Sammlergemeinschaften lassen vermuten, dass unsere Vorfahren in der Regel ohne große Mühe Essen hatten und nur wenige Krankheiten kannten. Doch wenn dem so war: Warum ließen sich dann so viele Menschen in Dörfern nieder, betrieben Landwirtschaft, bauten Getreide an und hielten Tiere? Feldarbeit war schließlich mühsam – und Epidemien verbreiteten sich zuerst in Bauerndörfern.
Welche unmittelbaren Auswirkungen die Entwicklung von Siedlungen auch gehabt haben mag: Sie führte zu immensem Bevölkerungswachstum. Diese Periode – die Zeit der Neolithischen Revolution (Neusteinzeit) – stellt einen Wendepunkt in der Geschichte des Menschen dar, sie war Wegbereiter für das Wachstum der Siedlungen, Dörfer und Städte und mündete so in ersten sesshaften »Zivilisationen«.
IM KONTEXT
FOKUS
Wanderungsbewegungen
FRÜHER
vor 200 000 Jahren In Afrika entwickelt sich der Homo sapiens (der moderne Mensch)
vor 125 000–45 000 Jahren Der Homo sapiens breitet sich über Afrika hinaus aus
SPÄTER
vor 50 000–30 000 Jahren Im Altaigebirge (Russland) leben Denisova-Menschen
vor 45 000 Jahren Der Homo sapiens kommt nach Europa
vor 40 000 Jahren Die Neandertaler sterben aus; ihr letzter bekannter Lebensraum liegt auf der Iberischen Halbinsel
vor 18 000 Jahren Fossilien des Homo floresiensis datieren aus dieser Zeit
vor 13 000 Jahren Bei Clovis, Neu-Mexiko (USA), tauchen Menschen auf; evtl. nicht die ersten auf dem Kontinent
Der moderne Mensch ist die einzige globale Spezies unter den Säugern. Seit seinem ersten Auftauchen vor rund 200 000 Jahren in Afrika verbreitete er sich schnell über den gesamten Globus – und beweist damit seine Neugier beim Erkunden der Umgebung und seine Anpassungsfähigkeit an verschiedene Lebensräume. Viele Forscher glauben, dass die Menschen am besten in Küstenlandschaften zurechtkamen, was ihre Verbreitung entlang der Südküste Asiens erklärt. Selbst die völlig andere Flora und Fauna Australiens stellte kein Hindernis dar: Wahrscheinlich trafen die ersten Menschen bereits vor 60 000 Jahren hier ein. Auch wenn kleine Gruppen schon früher den Kontinent betreten haben, weisen zahlreiche Belege auf eine breite Besiedlung Australiens vor 45 000 Jahren hin – etwa um die Zeit, als der Homo sapiens in Europa auftauchte.
Überreste des Homo floresiensis wurden 2003 auf der indonesischen Insel Flores gefunden. Manche Forscher sehen darin eine Zwergenart; andere schreiben ihre geringe Größe einer Krankheit zu
Homo sapiens war der erste Hominin in Australien. In Teilen Eurasiens indes begegnete er seiner Konkurrenz. Als der moderne Mensch in Europa eintraf, lebten hier bereits seit 250 000 Jahren Neandertaler; sie hatten sich aus Vertretern eines Vorfahren des Menschen, des Homo heidelbergensis, entwickelt und den europäischen Lebensräumen gut angepasst. Weiter im Osten, in der Denisova-Höhle im russischen Altaigebirge, weisen Funde auf eine weitere Spezies hin: den Denisova-Menschen (der über die DNA-Analyse eines Fingerknochens identifiziert wurde). Und auf der indonesischen Insel Flores weisen Fossilien eine kleinwüchsige Spezies auf, den Homo floresiensis, der sich auf die Zeit vor rund 18 000 Jahren datieren lässt (obwohl einige Forscher meinen, die geringe Körpergröße dieses ebenfalls modernen Menschen sei einer Krankheit geschuldet).
Von diesen Spezies überlebte nur der Homo sapiens und fuhr fort, auch die Neue Welt zu bevölkern. Im Zuge der Eiszeit zog sich das Meer aus der Beringstraße zwischen Russland und Alaska zurück und ließ Menschen über die Landbrücke den amerikanischen Kontinent betreten. Eine exakte Datierung scheint indes kaum möglich: Steinwerkzeuge aus der rund 13 000 Jahre alten »Cloviskultur« hielt man lange Zeit für die der ersten Menschen in der Neuen Welt. Heute kennt man noch ältere Fundstätten, doch viele frühere Datierungen, v. a. in Südamerika, sind sehr umstritten.
»Der ›Blitzkrieg‹ des Menschen über Amerika beweist das einzigartige Genie und die unübertroffene Anpassungsfähigkeit des Homo sapiens.«
Yuval Noah Hariri
Eine kurze Geschichte der Menschheit (2013)
Vorerst bleibt das Schicksal des Denisova-Menschen und des Homo floresiensis unbekannt; jüngste Forschungen weisen darauf hin, dass der Neandertaler vor rund 40 000 Jahren ausstarb. Viele Forscher glauben, die zahlreichen Ressourcen des Homo sapiens seien verantwortlich für seinen Erfolg in den Heimatgebieten anderer Spezies, v. a. angesichts der Klimaveränderungen in der Zeit der letzten Eiszeit. Man nimmt an, dass Menschen sich auf größere soziale Netzwerke stützen konnten als andere Spezies. Das half in mageren Zeiten sowie bei der Besiedlung unbekannter Lebensräume, in die sie u. a. durch das Folgen der Tierherden kamen.
Homo sapiens: Der einzige Überlebende der Hominini
Es gibt keine Hinweise auf Gewalt zwischen Menschen und anderen Spezies. Tatsächlich zeigt die DNA des modernen Menschen Genspuren des Neandertalers und des Denisova-Menschen und legt nahe, dass sich Einzelne, wenn auch selten, mit Vertretern anderer Spezies paarten.
Neandertaler waren geschickte Steinwerkzeugmacher und Jäger; Vertreter des Homo sapiens werden sich aber schneller angepasst haben und deshalb mit den klimatischen Veränderungen während der Eiszeit besser zurechtgekommen sein. Sie entwarfen neue Steinwerkzeuge und Techniken zur Nutzung von Knochen und Horn. Auch etablierten sie Netzwerke zur gegenseitigen Unterstützung, bündelten ihre Ressourcen und vergrößerten so ihre Überlebenschancen. Ihre kulturelle Anpassungsfähigkeit wird es den modernen Menschen erlaubt haben, ihre Verwandten im Zugriff auf immer weniger vorhersehbare Nahrungsmittel zunehmend auszustechen.
IM KONTEXT
FOKUS
Paläolithische Kulturen
FRÜHER
vor 45 000 Jahren Der moderne Mensch taucht in Europa auf
vor 40 000 Jahren Die frühesten derzeit bekannten Kunstwerke in Europa entstehen – z. B. die Skulptur des Löwenmenschen vom Hohlenstein-Stadel (Baden-Württemberg)
SPÄTER
vor 26 000 Jahren In Dolní Věstonice (Tschechien) entsteht das Dreifachgrab von drei jungen Menschen
vor 23 500 Jahren Der ligurische »Prinz« der Arene Candide (Italien) wird, reich mit Dentalium-Muscheln geschmückt, beerdigt
vor 18 000 Jahren Die letzte Eiszeit erreicht ihren Höhepunkt (Letzteiszeitliches Maximum)
Der Höhlenkomplex von Altamira in der Nähe der nordspanischen Küstenstadt Santander besteht aus einer Reihe Kammern und Gänge von rund 300 m und zeigt einige der beeindruckendsten Beispiele steinzeitlicher Kunst, die bisher gefunden wurden. Als die Höhle 1880 entdeckt wurde, hielt man die Malereien zunächst für Fälschungen – erst knapp 20 Jahre später wurden sie als Werke der Jäger- und Sammlerkultur anerkannt. Einige der frühesten prähistorischen Schaffensperioden datieren aus der Zeit vor rund 35 000 Jahren, auch wenn die meisten der berühmten Höhlengemälde wohl erst viel später, vor rund 22 000 Jahren, geschaffen wurden – z. B. die Bilder der berühmten Bisonkammer: Die niedrige Decke ist übersät mit Tierbildern, darunter farbenprächtige, lebendige Bisondarstellungen, die sich so perfekt in die natürlichen sanften Wölbungen der Felswände einfügen, dass beinahe ein dreidimensionaler Eindruck entsteht.
Weitere atemberaubende Höhlenmalereien finden sich in Südwestfrankreich sowie in Nordspanien – darunter nicht nur äußerst detailreiche Tierbilder, sondern auch in den Fels eingravierte Zeichen und Symbole sowie Handabdrücke. Über die Bedeutung und Funktion dieser Kunst rätseln Archäologen noch. Manche meinen, die Steinzeitmenschen hätten, nicht anders als ihre Nachfahren heute, die ästhetische Qualität der Kunst einfach geschätzt. Andere glauben, in den detailreichen Bildern, die etwa das Geschlecht eines Tieres zeigen oder die Jahreszeit, in der es beobachtet wurde, ließen wichtige Informationen zum Überleben erkennen, z. B. wann und wo die Tiere gejagt werden konnten.
Aber auch Glaubens- und Weltanschauungen der Menschen im Paläolithikum können die Höhlenkunstwerke zum Ausdruck gebracht haben. Bis heute folgen Gemeinschaften, die vorwiegend vom Jagen und Sammeln leben, animistischen Glaubensvorstellungen, d. h., sie schreiben Tieren, Pflanzen und Teilen der Landschaft Geister zu, mit denen der Mensch im alltäglichen Leben interagiert. Viele Religionsexperten dieser Gesellschaften – Schamanen – glauben, mit diesen Geistern kommunizieren zu können, um Kranken oder Verletzten zu helfen. Im Lauf der Geschichte haben Schamanen häufig während einer Trance (einem veränderten Bewusstseinszustand) solche Felsmalereien als Mittel der Kommunikation mit diesen Geistern eingesetzt. Einige Forscher glauben daher, dass die Gesellschaften der Altsteinzeit ähnlichen Glaubensvorstellungen anhingen. Schamanen sagte man vielfach auch nach, sie könnten sich selbst in Tiere verwandeln, um diese dazu zu bringen, sich den Jägern zu ergeben; das könnte eine Reihe von Bildern erklären, die menschliche und tierische Merkmale kombiniert zeigen, z. B. den Löwenmenschen vom Hohlenstein-Stadel in Baden-Württemberg oder den Zauberer in der Grotte des Trois-Frères in Frankreich: eine menschliche Figur mit Geweih.