Meiner Familie gewidmet.
Danke, Ngoại, Mẹ, Chi 2, Chi 3, Chi 4, Anh 5 und 7, dass ihr mir Sicherheit gebt.
Danke, Schatz, dass du mich liebst, mit Labeln, Macken, Zwängen und allem Drum und Dran.
Danke, B-B und I-I, dass ihr eure Mama schreiben lasst. Ihr seid das Beste, was ich habe.
«Ich weiß, du hasst Überraschungen, Stella. Um dir also unsere Erwartungen mitzuteilen und eine vernünftige Zeitspanne vorzugeben, möchten wir dich wissenlassen, dass wir bereit für Enkelkinder sind.»
Stella Lanes Blick schnellte von ihrem Frühstück hoch zum würdevoll alternden Gesicht ihrer Mutter. Subtil aufgetragenes Make-up lenkte die Aufmerksamkeit auf kampfbereite kaffeebraune Augen. Das verhieß nichts Gutes. Wenn Stellas Mutter sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann war sie wie ein Honigdachs mit einer Vendetta – streitlustig und stur, nur ohne Geknurre und Fell.
«Ich habe es zur Kenntnis genommen», antwortete Stella.
Schock wich rasend schnellen, panisch durcheinanderwirbelnden Gedanken. Enkelkinder bedeuteten Babys. Und Windeln. Bergeweise Windeln. Explodierende Windeln. Und Babys weinten, durchdringende, heulende Schreie, die selbst die besten geräuschreduzierenden Kopfhörer nicht zu dämpfen vermochten. Wie konnten sie nur so ausdauernd und heftig weinen, obwohl sie so klein waren? Außerdem, Babys bedeuteten Ehemänner. Ehemänner bedeuteten feste Partner. Feste Partner bedeutete Dating. Dating bedeutete Sex. Sie erschauderte.
«Du bist dreißig, Stella, Liebes. Wir machen uns Sorgen, weil du immer noch Single bist. Hast du es schon mal mit Tinder versucht?»
Sie griff nach ihrem Wasser und kippte es hinunter, dabei verschluckte sie aus Versehen einen Eiswürfel. Als sie wieder Luft bekam, antwortete sie: «Nein, das habe ich noch nicht versucht.»
Der bloße Gedanke an Tinder – und die entsprechenden Dates, auf die es hinauslief – ließ ihr den Schweiß ausbrechen. Sie hasste alles am Daten: das Abweichen von ihrer vertrauten Routine, die Konversation, die abwechselnd geistlos und verwirrend war, und wieder, den Sex …
«Mir wurde eine Beförderung angeboten», sagte sie in der Hoffnung, ihre Mutter damit abzulenken.
«Schon wieder?», fragte ihr Vater und ließ seine Ausgabe des Wall Street Journal sinken, wodurch das Drahtgestell seiner Brille sichtbar wurde. «Du wurdest doch erst vor zwei Quartalen befördert. Das ist ja phänomenal.»
Stella richtete sich auf und rutschte an den Rand ihres Stuhls. «Unser neuester Kunde – ein großer Online-Händler, der ungenannt bleiben soll – liefert die herrlichsten Datensätze, und ich darf den ganzen Tag mit ihnen spielen. Ich habe einen Algorithmus entworfen, um ihre Kaufvorschläge zu verbessern. Offenbar funktioniert er besser als erwartet.»
«Wann tritt die neue Beförderung in Kraft?», fragte ihr Vater.
«Nun …» Die Sauce hollandaise und das Eigelb ihrer Crabcakes Benedict waren ineinandergelaufen, und sie versuchte, die gelben Flüssigkeiten mit der Spitze ihrer Gabel zu trennen. «Ich habe die Beförderung nicht angenommen. Als leitende Ökonometrikerin wären mir fünf Mitarbeiter direkt unterstellt gewesen, und ich hätte viel mehr mit Kunden interagieren müssen. Ich möchte aber nur mit Daten arbeiten.»
Ihre Mutter wischte diese Aussage mit einer nachlässigen Handbewegung fort. «Du wirst bequem, Stella. Wenn du aufhörst, dich herauszufordern, dann machst du in Sachen soziale Kompetenzen keine weiteren Fortschritte. Dabei fällt mir ein, gibt es in deiner Firma irgendwelche Kollegen, mit denen du gern ausgehen würdest?»
Ihr Vater legte seine Zeitung weg und faltete die Hände über seinem runden Bauch. «Ja, was ist mit diesem einen, diesem Philip James? Als wir ihn bei deinem letzten Firmentreffen kennengelernt haben, wirkte er sehr nett.»
Die Hände ihrer Mutter flatterten zu ihrem Mund wie Tauben, die sich auf Brotkrumen stürzten. «Oh, warum hab ich nicht an ihn gedacht? Er war so höflich. Und eine Augenweide noch dazu.»
«Er ist in Ordnung, schätze ich.» Stella fuhr mit den Fingerspitzen über die Kondenstropfen an ihrem Wasserglas. Um ehrlich zu sein, hatte sie Philip schon in Betracht gezogen. Er war zwar eingebildet und ruppig, aber er sagte offen, was er dachte. Das war etwas, das sie an Menschen schätzte. «Ich glaube, er hat mehrere Persönlichkeitsstörungen.»
Ihre Mutter tätschelte Stellas Hand. Anstatt sie danach wieder in den Schoß zu legen, ließ sie sie auf Stellas Fingerknöcheln liegen. «Vielleicht würde er dann gut zu dir passen, Liebes. Wenn er eigene Probleme zu bewältigen hat, dann hat er vielleicht mehr Verständnis für dein Asperger-Syndrom.»
Obwohl die Worte in sachlichem Tonfall gesprochen wurden, klangen sie unnatürlich und laut in Stellas Ohren. Mit einem schnellen Blick zu den benachbarten Tischen auf der überdachten Terrasse des Restaurants versicherte sie sich, dass niemand es gehört hatte, dann starrte sie hinunter auf die Hand ihrer Mutter auf ihrer eigenen und widerstand nur mühsam dem Drang, sie fortzureißen. Ungebetene Berührungen reizten sie, und ihre Mutter wusste das. Sie tat es, um sie zu «akklimatisieren». Aber Stella machte es vor allem verrückt. War es möglich, dass Philip Verständnis für so etwas hatte?
«Ich werde über ihn nachdenken», sagte sie und meinte es auch so. Sie hasste Lügen und Ausflüchte sogar noch mehr, als sie Sex hasste. Und letzten Endes wollte sie ihre Mutter stolz und glücklich machen. Ganz gleich, was Stella tat, es gelang ihr nie völlig, in den Augen ihrer Mutter und damit auch in ihren eigenen Augen erfolgreich zu sein. Ein fester Freund würde dieses Problem lösen, das wusste sie. Das Problem war, sie konnte beim besten Willen keinen Mann halten.
Ihre Mutter strahlte. «Ausgezeichnet. In ein paar Monaten veranstalte ich wieder ein Benefiz-Dinner, und diesmal möchte ich, dass du ein Date mitbringst. Ich würde es sehr gern sehen, wenn Mr. James dich begleitet, aber falls das nicht klappt, werde ich jemanden finden.»
Stella kniff die Lippen zusammen. Ihre letzte sexuelle Erfahrung hatte sie mit einem der Blind Dates ihrer Mutter gehabt. Er war gutaussehend gewesen – das musste sie ihm lassen –, aber sein Sinn für Humor hatte sie verwirrt. Er als Risikokapital-Anleger und sie als Ökonomin hätten viele Gemeinsamkeiten haben sollen, aber er hatte nicht über seine eigentliche Arbeit reden wollen. Stattdessen hatte er es vorgezogen, über Büropolitik und Manipulationstaktiken zu sprechen, wodurch sie sich so verloren fühlte, dass sie sicher war, das Date wäre ein Reinfall.
Als er sie geradeheraus fragte, ob sie Sex mit ihm haben wolle, war sie völlig überrumpelt. Weil sie es hasste, nein zu sagen, hatte sie ja gesagt. Sie hatten sich geküsst, was ihr nicht gefallen hatte. Er hatte nach dem Lamm geschmeckt, das er zum Abendessen gehabt hatte. Sie mochte Lamm nicht. Von seinem Rasierwasser war ihr übel geworden, und er hatte sie überall angefasst. Wie immer in intimen Situationen hatte ihr Körper völlig dichtgemacht. Ehe sie sich’s versah, war er fertig. Er hatte das gebrauchte Kondom in den Abfalleimer neben dem Schreibtisch im Hotelzimmer geworfen – das hatte sie gestört; er musste doch sicher wissen, dass solche Dinge ins Bad gehörten? –, ihr gesagt, dass sie ein bisschen lockerer werden müsse, und war gegangen. Sie konnte nur ahnen, wie enttäuscht ihre Mutter wäre, wenn sie wüsste, was für eine Katastrophe ihre Tochter in Sachen Männer war.
Und jetzt wollte ihre Mutter auch noch Babys.
Stella stand auf und nahm ihre Handtasche. «Ich muss jetzt zur Arbeit.» Obwohl sie bei all ihren Projekten im Zeitplan lag, war müssen dennoch das richtige Wort dafür. Die Arbeit faszinierte sie, lenkte die unerbittlichen Bedürfnisse ihres Gehirns in geordnete Bahnen. Außerdem wirkte sie therapeutisch.
«Braves Mädchen.» Ihr Vater stand auf und strich sich das seidene Hawaiihemd glatt, bevor er sie umarmte. «Über kurz oder lang wird dir der Laden gehören.»
Während sie ihn kurz drückte – es machte ihr nichts aus, jemanden zu berühren, wenn die Initiative von ihr ausging oder sie Zeit hatte, sich geistig darauf vorzubereiten –, atmete sie den vertrauten Duft seines Rasierwassers ein. Warum konnten nicht alle Männer genau wie ihr Vater sein? Er hielt sie für schön und hochintelligent, und von seinem Geruch wurde ihr nicht übel.
«Du weißt, dass ihre Arbeit eine ungesunde Sucht ist, Edward. Ermutige sie nicht auch noch», sagte ihre Mutter, bevor sie die Aufmerksamkeit wieder auf Stella richtete und einen mütterlichen Seufzer ausstieß. «Du solltest am Wochenende unter Leute gehen. Wenn du mehr Männer kennenlernen würdest, würdest du auch den Richtigen finden, das weiß ich.»
Ihr Vater drückte ihr einen kühlen Kuss auf die Schläfe und flüsterte: «Ich wünschte, ich würde auch arbeiten.»
Kopfschüttelnd sah Stella ihn an, während ihre Mutter sie umarmte. Ihre allgegenwärtigen Perlenstränge drückten sich in Stellas Brustbein, und eine Wolke Chanel No. 5 umwirbelte sie. Sie ertrug den erstickenden Duft drei unendliche Sekunden lang, bevor sie einen Schritt zurücktrat.
«Wir sehen uns nächstes Wochenende. Ich hab euch lieb. Bye.»
Sie winkte ihren Eltern zu, dann verließ sie das schicke Restaurant im Zentrum von Palo Alto und ging die von Bäumen und teuren Läden gesäumten Bürgersteige entlang. Nach drei sonnigen Blocks erreichte sie ein niedriges Bürogebäude, das ihren liebsten Ort auf der ganzen Welt beherbergte: ihr Büro. Das linke Eckfenster im zweiten Stock gehörte ihr.
Das Schloss der Eingangstür öffnete sich mit einem Klicken, als sie ihre Handtasche an den Sensor hielt, dann betrat sie das leere Gebäude und genoss das einsame Echo ihrer High Heels auf dem Marmor, während sie am verlassenen Empfangstresen vorbeiging und in den Aufzug stieg.
In ihrem Büro startete sie ihre meistgeliebte Routine. Zuerst schaltete sie den Computer ein und tippte ihr Passwort in die Eingabemaske. Während alle Programme hochfuhren, ließ sie ihre Handtasche in die Schreibtischschublade fallen und ging in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Sie zog die Schuhe aus und stellte sie auf ihren üblichen Platz unter dem Schreibtisch. Sie setzte sich hin.
Einschalten, Passwort, Handtasche, Wasser, Schuhe, Hinsetzen. Immer in dieser Reihenfolge.
Das Programm Statistics Analysis System, auch bekannt als SAS, wurde automatisch geladen, und die drei Bildschirme auf ihrem Schreibtisch füllten sich mit Datenströmen. Käufe, Klicks, Login-Zeiten, Zahlungsarten – einfache Dinge eigentlich. Aber sie sagten ihr mehr über die Menschen, als es die Menschen selbst je taten. Sie streckte ihre Finger aus und legte sie auf die schwarze, ergonomisch geformte Tastatur, begierig darauf, sich in ihrer Arbeit zu verlieren.
«Oh, hi, Stella, dachte ich mir doch, dass du es bist.»
Sie blickte über ihre Schulter und zuckte zusammen, als sie Philip James sah, der um den Türrahmen herum spähte. Der strenge Schnitt seines dunkelblonden Haars betonte sein kantiges Kinn, und das Poloshirt spannte über seiner Brust. Er wirkte frisch, kultiviert und klug – genau die Art Mann, die sich ihre Eltern für sie wünschten. Und er hatte sie dabei ertappt, wie sie am Wochenende zum Vergnügen arbeitete.
Ihr Gesicht wurde heiß, und sie schob die Brille höher auf ihren Nasenrücken. «Was machst du hier?»
«Ich musste was holen, das ich gestern vergessen habe.» Er nahm eine Schachtel aus einer Einkaufstüte und winkte ihr damit zu. Stella erkannte darauf das Wort TROJAN in riesigen Großbuchstaben. Kondome. «Wünsche dir ein schönes Wochenende. Meins wird es jedenfalls.»
Das Frühstück mit ihren Eltern ging ihr durch den Kopf. Enkelkinder, Philip, die Aussicht auf noch mehr Blind Dates, Erfolg haben. Sie leckte sich über die Lippen und beeilte sich, etwas, irgendetwas zu sagen. «Brauchst du wirklich eine Großpackung von denen?»
Kaum waren ihr die Worte über die Lippen gekommen, zuckte sie zusammen.
Er grinste sein bestes Arschloch-Grinsen, dessen Nervfaktor jedoch durch das Zurschaustellen kräftiger weißer Zähne gemildert wurde. «Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die Hälfte davon heute Abend brauchen werde, da mich die neue Praktikantin des Chefs gefragt hat, ob ich mit ihr ausgehe.»
Gegen ihren Willen war Stella beeindruckt. Die Neue sah so schüchtern aus. Wer hätte gedacht, dass sie so mutig war? «Zum Essen?»
«Und mehr, denke ich», erwiderte er mit einem Funkeln in den haselnussbraunen Augen.
«Warum hast du gewartet, bis sie dich fragt? Warum hast du sie nicht zuerst gefragt?» Sie hatte den Eindruck, dass Männer in solchen Dingen gern die Initiatoren waren. Lag sie da falsch?
Mit ungeduldigen Bewegungen stopfte Philip sein ganzes Heer Trojaner zurück in seine Einkaufstüte. «Sie kommt frisch von der Uni. Ich wollte mir nicht Verführung Minderjähriger vorwerfen lassen. Außerdem mag ich Frauen, die wissen, was sie wollen und es sich nehmen … besonders im Bett.» Er ließ einen anerkennenden Blick von ihren Füßen hinauf zu ihrem Gesicht gleiten und lächelte dabei, als könne er durch ihre Kleider hindurchsehen, und sie versteifte sich vor Verlegenheit. «Sag mal, Stella, bist du noch Jungfrau?»
Sie drehte sich wieder zu ihren Monitoren um, aber die Daten weigerten sich, Sinn zu ergeben. Der Cursor auf dem Bildschirm blinkte. «Das geht dich zwar nichts an, aber nein, ich bin keine Jungfrau mehr.»
Er kam in ihr Büro, lehnte sich mit der Hüfte an ihren Schreibtisch und musterte sie skeptisch. Sie rückte ihre Brille zurecht, obwohl es nicht nötig war. «Also hat unsere Star-Ökonometrikerin ‹es› schon mal getan. Wie oft? Dreimal?»
Auf keinen Fall würde sie ihm sagen, dass er richtig geraten hatte. «Das geht dich nichts an, Philip.»
«Ich wette, du liegst nur da und arbeitest im Geiste lineare Differenzengleichungen durch, während der Typ sein Ding abzieht. Hab ich recht, Ms. Lane?»
Das würde Stella absolut tun, wenn sie eine Ahnung hätte, wie sie Gigabytes an Daten in ihr Gehirn einspeisen sollte, aber sie würde lieber tot umfallen, als das zuzugeben.
«Ein kleiner Rat von einem Mann mit reichlich Erfahrung: Du brauchst Übung. Wenn du gut darin bist, dann gefällt es dir besser, und wenn es dir besser gefällt, gefällst du den Männern besser.» Er stieß sich vom Schreibtisch ab und ging zur Tür, die Tüte mit Kondomen fröhlich an seiner Seite schwingend. «Genieß deine endlose Woche.»
Sobald er gegangen war, stand Stella auf und stieß die Tür kräftiger zu, als nötig war. Sie fiel mit einem so harten, vibrierenden Knall ins Schloss, dass Stellas Herzschlag stolperte. Sie wischte sich die feuchten Hände an ihrem Bleistiftrock ab, während sie ihren Atem wieder unter Kontrolle brachte. Als sie sich an ihren Schreibtisch setzte, war sie zu zappelig, um mehr zu tun, als den blinkenden Cursor anzustarren.
Hatte Philip recht? Mochte sie Sex nicht, weil sie schlecht darin war? Würde Übung sie wirklich zu einem Meister machen? Was für eine verlockende Vorstellung. Vielleicht war Sex einfach nur eine weitere zwischenmenschliche Sache, auf die sie zusätzliche Mühe verwenden musste – wie Smalltalk, Augenkontakt und Benimmregeln.
Aber wie genau übte man Sex? Es war nicht so, dass sich ihr die Männer an den Hals warfen, wie es die Frauen anscheinend bei Philip taten. Wenn es ihr tatsächlich gelang, mit einem Mann zu schlafen, war er von dieser lustlosen Erfahrung so abgestoßen, dass einmal mehr als genug für sie beide war.
Außerdem war das hier Silicon Valley, das Königreich von Tech-Genies und Wissenschaftlern. Die verfügbaren Single-Männer waren wahrscheinlich ebenso hoffnungslos im Bett wie sie selbst. Bei ihrem Glück würde sie mit einer statistisch signifikanten Menge von ihnen schlafen und nichts davon haben außer Juckreiz und Geschlechtskrankheiten.
Nein, was Stella brauchte, war ein Profi.
Nicht nur waren die geprüft frei von Krankheiten, sie hatten auch nachweisbare Erfolgsbilanzen. Zumindest nahm sie das an. So würde sie das handhaben, wenn sie in diesem Geschäft wäre. Der Anreiz für normale Männer waren Dinge wie Persönlichkeit, Humor und heißer Sex – Dinge, die sie nicht zu bieten hatte. Der Anreiz für Profis war Geld. Zufällig hatte Stella eine Menge Geld.
Anstatt an ihrem funkelnagelneuen Datensatz zu arbeiten, öffnete Stella den Browser und googelte «Escort-Service Männer Bay Area Kalifornien».
Welchen Umschlag sollte er als Erstes öffnen? Die Laborergebnisse oder die Rechnung? Michael war paranoid, was Schutz betraf, also sollte es mit den Laborergebnissen kein Problem geben. Sollte. Seiner Erfahrung nach brauchte Scheiße keinen Grund, um zu passieren. Rechnungen dagegen waren eine sichere Sache. Die waren immer Scheiße. Die einzige Frage war, wie heftig sie ihn in die Eier treten würden.
Er spannte die Muskeln an, um sich gegen den Schlag zu wappnen, und riss die Rechnung auf. Wie viel war es diesen Monat? Er überflog die Auflistung bis nach unten und fand den endgültigen Betrag. Der Atem sickerte aus seiner Lunge, bevor er ihn mit einem Seufzer ausstieß. Es war okay. Auf einer Skala von leichtem Brennen bis vernichtend schmerzhaft würde er die hier höchstens bei blauen Flecken einordnen.
Das bedeutete wahrscheinlich, dass er sich Chlamydien eingefangen hatte.
Er legte die Rechnung auf den metallenen Aktenschrank hinter dem Küchentisch und öffnete die Laborergebnisse seiner letzten Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten. Alle negativ. Gott sei Dank. Es war Freitagabend, was bedeutete, dass er heute Nacht arbeiten musste.
Zeit, sich geistig aufs Vögeln vorzubereiten. Keine einfache Sache, nachdem er an Geschlechtskrankheiten und quälende Rechnungen gedacht hatte. Einen Moment lang erlaubte er sich die Vorstellung, wie es wäre, wenn die Rechnungen aufhören würden. Dann wäre er endlich frei. Er könnte in sein altes Leben zurückkehren und – Scham überflutete ihn. Nein, er wollte nicht, dass die Rechnungen aufhörten. Er wollte niemals, dass das geschah. Niemals.
Während Michael durch seine billige Wohnung zum Badezimmer tappte und sich auszog, versuchte er, seine alte Begeisterung für diesen Job wiederzubeleben. Der Reiz des Verbotenen hatte anfangs ausgereicht, aber nach drei Jahren als Escort war das ein ziemlich alter Hut. Der Racheaspekt befriedigte ihn allerdings immer noch.
Schau dir deinen einzigen Sohn jetzt an, Dad.
Es würde seinen Dad quälen, wenn er herausfand, dass Michael Sex für Geld hatte. Ein absolut erfreulicher Gedanke. Allerdings kein erregender. Dafür gab es Phantasien. In Gedanken ging er seine Lieblingsphantasien durch. Worauf hatte er heute Nacht Lust? Scharf auf die Lehrerin? Vernachlässigte Hausfrau? Heimlicher Liebhaber?
Er drehte den Duschhahn auf und wartete, bis Dampf die Luft erfüllte, bevor er unter den heißen Wasserstrahl trat. Einmal einatmen, ausatmen, dann bereitete er sich geistig vor. Wie war der Name seiner heutigen Kundin noch mal? Shanna? Estelle? Nein, Stella. Er würde zwanzig Dollar wetten, dass das nicht ihr richtiger Name war, aber was soll’s. Sie hatte sich entschieden, im Voraus zu bezahlen. Er würde versuchen, es ihr besonders schön zu machen. Scharf auf die Lehrerin also.
Es war sein erstes Jahr auf dem College. Er schwänzte all seine Vorlesungen bis auf diese eine, weil Miss Stella gern den Tafelschwamm direkt neben seinem Stuhl fallen ließ. Während er sich vorstellte, wie ihr Rock hochrutschte, wenn sie sich bückte, um den Schwamm aufzuheben, umfasste er seinen Schwanz und massierte ihn mit festen Bewegungen. Als der Unterricht zu Ende war, beugte er sie mit dem Gesicht voran über ihr Pult und schob ihren Rock zur Taille hoch, nur um festzustellen, dass sie kein Höschen trug. Hart und schnell stieß er in sie. Wenn jemand reinkommen und sie erwischen würde …
Mit einem Stöhnen riss er die Hand fort, bevor er seinen Höhepunkt erreichte. Jetzt war er bereit, Miss Stella außerhalb des Klassenzimmers zu treffen.
Er blieb in Gedanken in der Phantasie, während er fertig duschte, sich abtrocknete und das Bad verließ, um seine Jeans, ein T-Shirt und ein schwarzes Sakko anzuziehen. Ein schneller Blick in den halb beschlagenen Spiegel und zwei Striche mit den Fingern durch sein feuchtes Haar bestätigten, dass er vorzeigbar war.
Kondome, Schlüssel, Geldbörse. Aus Gewohnheit las er auf seinem Handy noch einmal den Bereich für besondere Anmerkungen für die heutige Verabredung durch.
Bitte tragen Sie kein Rasierwasser.
Das war leicht. Er mochte das Zeug ohnehin nicht. Er steckte sein Handy und alles, was er sonst noch brauchte, in die Tasche und verließ seine Wohnung.
Kurz darauf parkte er in der Tiefgarage des Clement Hotel. Als er in die schlichte, ultramoderne Lobby schlenderte, vergewisserte er sich, dass die Aufschläge seiner Jacke unten waren und spielte sein übliches Spiel vor der Begrüßung, bei dem er sich vorstellte, wie seine neue Kundin sein würde.
Unter Alter hatte heute dreißig gestanden. Er seufzte und korrigierte das Alter auf fünfzig. Alles jünger als vierzig war immer gelogen – außer es war eine Gruppensache, aber so etwas machte er nicht. Junggesellinnenpartys wurden gut bezahlt, aber die Vorstellung, eine junge Liebe zu zerstören, deprimierte ihn unglaublich. Vielleicht war das jämmerlich, aber er wollte in einer Welt leben, wo angehende Bräute nur Sex mit ihren zukünftigen Ehemännern hatten und umgekehrt. Außerdem waren große Gruppen geiler Frauen beängstigend. Man konnte sich nicht gegen sie verteidigen, und ihre Fingernägel waren scharf.
«Stella» war möglicherweise eine verwöhnte Fünfzigjährige, die Süßigkeiten, Wellness-Tempel und kleine Schoßhündchen liebte, deshalb dekadent gerundet war und es vorzog, im Bett angebetet zu werden – etwas, womit Michael kein Problem hatte. Sie könnte auch eine fitte Fünfzigjährige sein, die Yoga, grüne Smoothies und Marathon-Sexsessions mochte, durch die seine Bauchmuskeln besser trainiert wurden als durch Crunches mit Gewichten. Oder, was er am wenigsten mochte, sie konnte eine knallharte asiatische Powerfrau sein, die ihn ausgewählt hatte, weil er mit seiner vietnamesisch-schwedischen Abstammung dem K-Drama- und Criminal-Minds-Star Daniel Henney sehr ähnlich sah. Diese letzte Sorte Frau erinnerte ihn unweigerlich an seine Mom, und nachdem er mit ihnen geschlafen hatte, brauchte er eine Therapiestunde am Boxsack.
Als er das Hotelrestaurant betrat, suchte er die schwach beleuchteten Tische nach einer braunhaarigen, braunäugigen Frau mit Brille ab. Weil er es vorhin ohne nennenswerte Katastrophen durch seine Post geschafft hatte, wappnete er sich jetzt für das Schlimmste. Sein Blick glitt über Tische mit Geschäftsleuten, bis er eine einzelne Asiatin mittleren Alters sah, die der Kellnerin kleinstkleinlich erklärte, wie sie ihren Salat machen sollte. Als sie sich mit manikürten Nägeln durch das aufgehellte braune Haar fuhr, wurde ihm flau im Magen, und er begann, auf sie zuzugehen. Das würde eine lange Nacht werden.
Nein, das war der Gipfel eines ganzen Semesters voller sexueller Spannung. Sie wollten es beide. Er wollte es.
Bevor er sie erreichen konnte, nahm ein spindeldürrer älterer Mann ihr gegenüber Platz und legte seine Hand auf ihre. Verwirrt, aber erleichtert trat Michael zurück und ließ den Blick erneut durchs Restaurant schweifen. Niemand saß alleine … bis auf ein Mädchen in der gegenüberliegenden Ecke.
Ihr dunkles Haar war zu einem strengen Knoten zurückgekämmt, und eine sexy bibliothekarinnenhafte Brille balancierte auf einer süßen kleinen Nase. Genau genommen sah, soweit er sehen konnte, alles an ihr so aus, als hätte sie es für ein sexy Bibliothekarinnen-Rollenspiel ausgewählt. Sie trug schlichte spitze Pumps, einen grauen Bleistiftrock und eine figurbetonte weiße Bluse, die bis zum Hals zugeknöpft war. Es war möglich, dass sie dreißig war, aber Michael hätte sie auf fünfundzwanzig geschätzt. Sie hatte etwas Junges und Natürliches an sich, obwohl sie die Speisekarte mit einem ziemlich grimmigen Stirnrunzeln studierte.
Michael sah sich im Raum um und suchte nach einem versteckten Kamerateam oder seinen Freunden, die sich hinter den Topfpflanzen vor Lachen ausschütteten. Er fand weder das eine noch das andere.
Er legte die Hände auf die Lehne des Stuhls ihr gegenüber. «Entschuldigung, bist du Stella?»
Ihre Augen flogen zu seinem Gesicht, und Michael geriet aus dem Konzept.
Die sexy Bibliothekarinnen-Brille betonte ein umwerfendes Paar sanfter brauner Augen. Und ihre Lippen – sie waren gerade voll genug, um verlockend zu sein, ohne von ihrer allgemeinen süßen Aura abzulenken.
«Tut mir leid. Ich hab mich wohl geirrt», sagte er mit einem Lächeln, von dem er hoffte, dass es mehr entschuldigend und weniger verlegen war. Auf keinen Fall würde ein solches Mädchen einen Escort anheuern.
Sie blinzelte und stieß an den Tisch, als sie aufsprang. «Nein, das bin ich. Du bist Michael. Ich erkenne dich von deinem Foto wieder.» Sie streckte ihm die Hand hin. «Ich bin Stella Lane. Schön, dich kennenzulernen.»
Einen verblüfften Sekundenbruchteil lang starrte er ihre offene Miene und die ihm angebotene Hand an. Das war nicht, wie Kundinnen ihn sonst begrüßten. Sie winkten ihn für gewöhnlich mit einem schelmischen Kräuseln ihrer Lippen und einem Funkeln in den Augen auf einen Platz – diesem Funkeln, das verriet, dass sie glaubten, besser zu sein als er, sich aber trotzdem auf das freuten, was er zu bieten hatte. Sie begrüßte ihn, als wäre er … ihr gleichgestellt.
Schnell erholte er sich von seiner Überraschung und nahm ihre schlanke Hand in seine, um sie zu schütteln. «Michael Phan. Auch schön, dich kennenzulernen.»
Als er ihre Hand wieder losließ, deutete sie verlegen auf seinen Stuhl. «Bitte, nimm doch Platz.»
Er setzte sich und sah zu, wie sie sich selbst gefährlich nah an den Rand ihres Stuhls setzte, den Rücken steif wie ein Brett. Sie unterzog sein Gesicht einer Musterung, doch als er eine Augenbraue hochzog, richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Speisekarte. Mit einem Runzeln ihrer Nase rückte sie ihre Brille zurecht.
«Hast du Hunger? Ich schon.» Ihre Fingerknöchel wurden weiß, als sie sich an die Speisekarte klammerte. «Der Lachs ist gut hier und das Steak. Mein Dad mag das Lamm –» Ihr Blick flog zu seinem Gesicht, und selbst im schwachen Licht konnte er sehen, dass ihre Wangen feuerrot wurden. Sie räusperte sich. «Vielleicht nicht das Lamm.»
Weil er nicht widerstehen konnte, fragte er: «Warum nicht das Lamm?»
«Ich finde, es schmeckt wollig, und wenn du … wenn wir …» Sie starrte hoch zur Decke und holte tief Luft. «Alles, woran ich denken würde, wären Schafe und Lämmer und Wolle.»
«Verstanden», sagte er mit einem Grinsen.
Als sie auf seinen Mund starrte, als erinnere sie sich nicht mehr daran, was sie hatte sagen wollen, wurde sein Grinsen breiter. Frauen wählten ihn, weil ihnen gefiel, wie er aussah. Aber nur wenige reagierten so auf ihn. Es war schmeichelhaft, obwohl es zugleich lustig war.
«Gibt es irgendetwas, bei dem es dir lieber wäre, wenn ich es nicht esse oder trinke?», fragte sie.
«Nein, ich bin ziemlich unkompliziert.» Er behielt einen lockeren Tonfall bei und versuchte, die Enge in seiner Brust zu ignorieren. Musste Sodbrennen sein. Eine schlichte Geste der Rücksichtnahme würde das nicht mit ihm anstellen.
Nachdem die Kellnerin ihre Bestellungen aufgenommen hatte und wieder gegangen war, nahm Stella einen Schluck von ihrem Wasserglas und zeichnete mit zierlichen Fingerspitzen geometrische Figuren in das Kondenswasser. Als sie bemerkte, dass er sie beobachtete, zog sie die Hand zurück und setzte sich darauf, dabei errötete sie leicht, als wäre sie bei etwas ertappt worden, das sie nicht tun sollte.
Etwas daran war irgendwie liebenswert. Wenn sie nicht bereits bezahlt hätte, würde er nicht glauben, dass sie das hier tatsächlich wollte. Warum wollte sie es? Sie sollte einen Freund haben … oder einen Ehemann. Wider bessere Einsicht – es war besser, wenn er es nicht wusste – schaute er auf ihre linke Hand, die auf dem Tisch lag. Kein Ring. Kein weißer Strich.
«Ich habe ein Angebot für dich», sagte sie plötzlich und nagelte ihn mit einem Blick fest, der überraschend direkt war. «Es würde eine Art Verpflichtung erfordern – für die nächsten paar Monate, denke ich. Ich würde es … vorziehen … während dieser Zeit alleinigen Zugriff auf dich zu haben. Falls du verfügbar bist.»
«Was hast du dir denn vorgestellt?»
«Bitte sag mir zuerst, ob du verfügbar bist.»
«Ich mache nur Freitagabende.» Das war nicht verhandelbar. Einmal die Woche als Escort zu arbeiten war schlimm genug. Wenn er mehr als das machen müsste, würde er seinen verdammten Verstand verlieren, und das konnte er sich nicht leisten. Zu viele Menschen waren von ihm abhängig.
Er nahm auch nie eine zweite Verabredung mit derselben Kundin an. Sie neigten dazu, Gefühle zu entwickeln, und das konnte er nicht gebrauchen. Aber er wollte hören, was sie ihm anbot, bevor er ablehnte.
«Dann bist du also die nächsten paar Monate frei?», fragte sie.
«Das kommt auf das Angebot an.»
Sie schob ihre Brille hoch und straffte die Schultern. «Ich bin furchtbar in … dem, was du tust. Aber ich möchte besser werden. Ich denke, ich kann besser werden, wenn jemand es mir beibringt. Und ich hätte gern, dass du derjenige bist.»
Begreifen schwappte in surrealen Wellen über Michael hinweg. Sie glaubte, sie sei schlecht. Im Bett. Und wollte Unterricht, um besser zu werden. Sie wollte, dass er ihr Nachhilfe gab.
Wie zum Teufel unterrichtete man Sex?
«Ich denke, wir sollten erst einmal einen Probelauf machen, bevor wir irgendetwas vereinbaren», wich Michael aus. Sie konnte nicht wirklich schlecht im Bett sein, und sie hatte bereits bezahlt. Wenigstens die heutige Nacht musste er ihr geben.
Stirnrunzelnd nickte sie. «Du hast absolut recht. Wir sollten eine Messbasis ermitteln.»
Wieder spielte ein Grinsen um seine Lippen. «Bist du Wissenschaftlerin, Stella?»
«Oh nein, ich bin Ökonomin. Genauer gesagt bin ich Ökonometrikerin.»
Michaels Meinung nach gehörte sie damit eindeutig in die Superhirn-Kategorie, und ein eigenartiges Gefühl strich ihm über den Nacken. Verdammt, er hatte eine Schwäche für schlaue Frauen. Es gab einen Grund, warum seine Lieblingsphantasie Scharf auf die Lehrerin war. «Ich habe keine Ahnung, was das ist.»
«Ich benutze statistische Daten und mathematische Methoden, um wirtschaftliche Systeme zu analysieren. Du kennst das doch sicher, dass man dir nach einem Onlineeinkauf weitere Kaufvorschläge zusendet? Ich helfe dabei, diese Vorschläge zu ermitteln. Das ist im Moment ein sehr bewegtes und faszinierendes Feld.» Während sie sprach, beugte sie sich zu ihm vor, und ihre Augen leuchteten vor Begeisterung. Ihre Lippen kräuselten sich, als erzählte sie ihm ein Geheimnis. Über mathematische Dinge. «Das heutige Material ist völlig anders als das, was ich für den Unterricht benutzt habe, als ich Doktorandin war.»
Dieses eigenartige Gefühl, das an Michaels Rückgrat emporköchelte, nahm an Intensität zu. Sie war im Lauf ihrer Unterhaltung irgendwie hübscher geworden. Braune Augen und dichte Wimpern, Schmollmund, zarter Kiefer, verletzlicher Hals. Lebhafte Bilder davon, wie er ihr die Bluse aufknöpfte, blitzten in seinem Kopf auf.
Aber anders als sonst wollte er es nicht schnell tun. Er wollte nicht gleich zum Vögeln übergehen, verschwinden und nach Hause fahren. Dieses Mädchen hier war anders. Es war dieses Funkeln in ihren Augen. Er wollte sich Zeit lassen und sehen, ob er sie vor einer anderen Art von Erregung strahlen lassen konnte. Sein Schwanz drängte sich gegen den Reißverschluss seiner Jeans und holte Michael wieder zurück ins Hier und Jetzt.
Seine Haut war heiß und empfindsam geworden, und sein Puls hämmerte vor Ungeduld. Er war schon ewig nicht mehr so erregt gewesen. Und er hatte sich nicht vorgestellt, dass sie jemand anderes wäre. Er rief sich wieder in Erinnerung, dass das hier geschäftlich war. Seine persönlichen Wünsche und Bedürfnisse spielten dabei überhaupt keine Rolle. Diese Verabredung war genau wie jede andere, und wenn sie vorüber war, würde er zur nächsten übergehen.
Er holte tief Luft und sagte das Erste, das ihm in den Sinn kam. «Warst du auf der Highschool im Matheteam?»
Sie lachte hinunter auf ihr Wasser. «Nein.»
«Wissenschaftsclub? Vielleicht war es der Schachclub.»
«Nein und nein.» Ihr Lächeln hatte etwas Trauriges, kaum Wahrnehmbares, das ihn dazu brachte, sich zu fragen, wie die Highschool für sie gewesen sein mochte. Sie schaute wieder zu ihm hoch. «Lass mich raten, Football-Quarterback.»
«Nein. Mein Dad war der festen Überzeugung, dass Sport dumm ist.»
Ihre Stirn runzelte sich leicht. «Es fällt mir schwer, das zu glauben. Du siehst sehr … sportlich aus.»
«Er unterstützte nur praktische Dinge. Wie Selbstverteidigung.» Er hasste es, mit seinem Dad bei irgendetwas einer Meinung zu sein, aber angesichts ihres Familienbetriebs, in dem er mithalf, hatten sich die Techniken als nützlich erwiesen, wenn er von fiesen Kindern geärgert worden war.
Ein irgendwie verstehendes Lächeln erhellte ihr Gesicht. «Was machst du? Mixed Martial Arts? Kung-Fu? Jeet Kune Do?»
«Ich habe ein bisschen was von allem gemacht. Warum hört es sich an, als würdest du tatsächlich wissen, wovon du redest?»
Sie senkte den Blick wieder hinunter zu ihrem Wasser. «Ich mag Martial-Arts-Filme und solche Sachen.»
Er stöhnte, als ihm ein Verdacht dämmerte. «Sag mir nicht … du bist ein Fan von koreanischen Fernsehserien?»
Sie legte den Kopf schief, während ein Lächeln über ihre Lippen huschte. «Ja, ich mag K-Dramas.»
«Ich sehe nicht aus wie Daniel Henney.»
«Nein, du siehst besser aus.»
Er legte die Hände auf den Rand des Tisches, während sein Gesicht sich erhitzte. Scheiße, er wurde rot. Was für ein Escort wurde denn rot, verdammt? Seine Schwestern hatten sämtliche Wände ihrer Zimmer mit Postern von Henney vollgepflastert, sie hatten sogar eine Skala für männliche Schönheit von eins bis Henney aufgestellt und waren sich untereinander einig, dass Michael darauf eine solide Acht war. Es interessierte ihn zwar nicht die Bohne, welchen Rang er hatte, aber es war etwas Besonderes, wenn diese geniale Frau ihm eine Elf gab.
Ihr Essen kam, was es ihm ersparte, auf ihr Kompliment antworten zu müssen. Sie hatte den Lachs bestellt, also hatte er dasselbe getan. Auf keinen Fall würde er Lamm essen. Innerlich schnaubte er belustigt. Wollig.
Sein Fisch war gut, also aß er ihn ganz auf. Er nahm an, dass alles hier gut war. Das Clement war eines der exklusivsten Hotels von Palo Alto, mit Zimmern, die mehr als tausend Dollar die Nacht kosteten. Offenbar verdienten Ökonometriker haufenweise Kohle.
Als er Stella jedoch dabei beobachtete, wie sie in ihrem Essen herumstocherte, bemerkte er, dass alles an ihr Understatement war. Ihr Gesicht war frei von Make-up, ihre Nägel waren kurz und unlackiert, und ihre Kleider waren schlicht – obwohl sie ihr perfekt passten. Sie mussten maßgeschneidert sein.
Als sie die Gabel weglegte und sich den Mund abtupfte, war ihr Lachs nur zur Hälfte aufgegessen. Wenn sie einander besser kennen würden, hätte er ihn für sie aufgegessen. Seine Grandma hatte ihn immer gezwungen, sein Essen bis auf das letzte Reiskorn zu verputzen.
«Ist das alles, was du isst?»
«Ich bin nervös», gestand sie.
«Das brauchst du nicht zu sein.» Er war ein verdammt guter Escort, und er würde sich um sie kümmern. Anders als bei den meisten seiner Verabredungen freute er sich sogar darauf.
«Ich weiß. Ich kann nicht anders. Könnten wir es einfach hinter uns bringen?»
Seine Augenbrauen zuckten hoch. Er hatte noch nie gehört, dass jemand so etwas in Bezug auf eine Nacht mit ihm gesagt hatte. Es würde Spaß machen, ihre Einstellung zu ändern.
«In Ordnung.» Er legte die Serviette über seinen leeren Teller und stand auf. «Gehen wir auf dein Zimmer.»