Nicole Staudinger
Die Herausforderungen des Lebens elegant und
majestätisch meistern
Knaur eBooks
© 2018 der eBook-Ausgabe Knaur eBook
© 2018 Knaur Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit
Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Der Abdruck des Songtextes von Udo Jürgens erfolgt mit freundlicher Genehmigung.
Jetzt oder nie
Musik: Udo Jürgens, Text: Wolfgang De Hofer
© ARAN CONCERTICAL PRODUCTIONS AG / BMG Rights Management GmbH. Anteil: 100%
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: © FinePic / shutterstock
ISBN 978-3-426-45215-8
1
Meine Mutter arbeitete viele Jahre in einer internistischen Arztpraxis als medizinische Fachangestellte.
Für meine zwei Zauberwesen
Wir Menschen sind unterschiedlich. Und das ist gut so. Zwei ganz wichtige Punkte, um die es in diesem Buch geht. In Köln sagt man: »Jeder Jeck ist anders!« Ja, werden Sie jetzt sagen, das ist jetzt nicht so neu für mich. Richtig. Aber mal ehrlich, wie oft stören wir uns an unseren Mitmenschen? Wie oft urteilen wir über Menschen, stecken sie in eine Schublade, ohne uns wirklich eine Meinung gebildet zu haben? Schauen Sie sich um in der Welt – es muss schon des Öfteren vorkommen. Und weil wir Menschen eben unterschiedlich sind, sind es auch die Sichtweisen auf die eigenen Erlebnisse. Was für den einen vielleicht ein herber Tiefschlag ist, ist für den anderen noch ein sanftes Streicheln. Resilienz heißt das neue Modewort und meint unsere Fähigkeit, mit den unterschiedlichsten Problemen im Leben fertigzuwerden.
Fakt ist, jeder von uns wird im Leben mit Schicksalsschlägen konfrontiert. Aber woran liegt es, dass die einen daran zerbrechen (was heißt das eigentlich?) und die anderen scheinbar locker damit umgehen? Und was ist eigentlich ein »Schicksalsschlag« und was vielleicht eine Lappalie? Und wer bestimmt das?
Dieses Buch ist kein medizinisches oder psychologisches Nachschlagewerk. Es sind reine Erfahrungsberichte und Beobachtungen. Sie werden sich, wenn es gut läuft, in vielen Dingen wiedererkennen. Und wenn es richtig gut läuft, werden Sie das Buch zuschlagen und Ihr Leben – so, wie es ist – an den Hörnern packen und kleine Rückwärtsschritte für einen Cha-Cha-Cha nutzen!
Es ist ein zutiefst persönliches Buch. Ich weihe Sie unter anderem in meine Familiengeschichte ein. Für mich war das ein nicht immer einfacher, aber für dieses Buch notwendiger Prozess. Wenn alte Wunden aufreißen, dann ist das zwar oftmals schmerzhaft, aber in der letzten Konsequenz doch reinigend.
Was dieses Buch (mal wieder) nicht ist, ist ein erhobener Zeigefinger. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich reagiere äußerst empfindlich auf Ratschläge (es sind und bleiben Schläge!), die mit »Du musst …« beginnen. Daher bestimmen Sie selbst, was Sie aus diesem Buch und seinen vielen kleinen Geschichten mitnehmen. Nach jedem Kapitel werde ich Ihnen darlegen, was ich oder die jeweilige Person daraus gelernt hat, und Ihnen gleichzeitig Raum lassen für Ihre eigenen Erkenntnisse.
Nehmen Sie sich dafür gerne ein Heft oder Notizbuch zur Hand, in das Sie Ihre jeweils eigenen Stehaufregeln notieren.
Um was geht es in diesem Buch? Gute Frage. Es geht um das Hinfallen. Um Rückschläge. Um Tiefschläge. Und um Schicksalsschläge. Es geht aber auch um richtig doofe Tage, um Decke-über-den-Kopf-zieh- und Im-Erdboden-versinken-Momente. Aber es geht niemals, gar niemals, ums Liegenbleiben oder Bejammern. Es geht darum, wieder aufzustehen. Sich wieder zu berappeln. Kurzum: Es geht darum, einmal mehr aufzustehen, als liegen zu bleiben.
Ich lade Sie ein, sich mit mir einige Geschichten anzuschauen. Und die sind, wie das Leben eben auch, mal heiter und lustig, mal tragisch und traurig. Sie sind alle wirklich passiert; mal mir selbst, mal meiner Familie, mal in meinem direkten Umfeld. Holen Sie sich eine gute Tasse Kaffee, ein leckeres Stück (oder zwei!) Schokolade und vielleicht einen Stift. Denn, wie gesagt: Ich will Ihnen hier gar nichts vorkauen – Sie sollen Ihre eigenen Erkenntnisse aufschreiben!
Mir geht es nicht um Bewertungen. Als Nicht-Psychologin ist es nicht an mir, die Strategien, mit denen sich die Menschen aus ihren Krisen befreit haben, zu beurteilen. Ich möchte Ihnen nur zeigen, was geholfen hat. Ob das jetzt tiefenpsychologisch sinnvoll ist oder nicht, vermag ich nicht zu sagen.
Übrigens schauen wir uns jede Art von »Krise« an. Es geht hier sowohl um die kleinen Alltagsproblemchen als auch um die wirklich schlimmen Schicksalsschläge. Ich möchte Sie also jetzt schon vorwarnen: Es kann sein, dass Sie eine Achterbahnfahrt der Gefühle erleben werden. Sie müssen das Buch nicht in der vorgegebenen Reihenfolge lesen. Lesen Sie das, was Ihnen gefällt. Lesen Sie es auch gerne mehrfach und wie gesagt: Nutzen Sie die Gelegenheit und ziehen Sie Ihre eigenen Schlüsse.
Ach ja, eines noch: Dieses Buch richtet sich mal wieder an Frauen. Aber das jetzt aus reiner Gewohnheit, denn wie Sie wissen, arbeite ich hauptsächlich mit dem weiblichen Geschlecht. Aber natürlich sind Sie, liebe Männer, herzlich eingeladen, es auch zu lesen.
Liebe LeserInnen, freuen Sie sich also auf ein Buch ganz ohne Besserwisserei, Ratschläge oder Du-musst-dieses-oder-jenes-tun-Tipps!
Ihre Nicole Staudinger
Haben Sie noch eine Oma? Wenn ja, dann haben Sie vermutlich die eine oder andere »Lebensweisheit« von ihr gehört. Meine Oma kannte eine Menge dieser Weisheiten, und manche davon sind durchaus zwiespältig zu sehen. Viele haben mir sehr geholfen, andere haben mich aber auch verunsichert. »Einer kommt, einer geht« hat ja schon etwas Unheilvolles. Etwas Unausweichliches. Und leider musste es meine Familie am eigenen Leib erfahren.
Als ich begann, dieses Buch zu schreiben, haben meine Eltern und ich zum ersten Mal ausführlich über die Ereignisse gesprochen, die ein paar Wochen vor meiner eigenen Geburt stattgefunden haben.
Es war ein verregneter und typischer Apriltag mit Sonne, Regen und Schnee, und meine Eltern waren in voller Vorfreude auf ein neues Familienmitglied, das bald zur Welt kommen sollte: mich!
Meine Mutter, damals zarte einundzwanzig Jahre alt, hochschwanger und schon sogenannte Stiefmutter meiner damals elfjährigen Halbschwester Anja.
Anja war, was für heutige Verhältnisse absolut normal ist, ein Scheidungskind, und mein Vater hatte das alleinige Sorgerecht für sie. Ein paar Jahre nach der Trennung von seiner ersten Frau lernte mein Paps meine Mutter kennen. Der Altersunterschied von zehn Jahren – heute ja auch nichts Besonderes mehr – störte die beiden von Anfang an herzlich wenig. Das Familienmodell war für die 80er-Jahre tatsächlich ungewöhnlich, aber meine Eltern waren glücklich, und Anja war es mit ihrer »neuen Mutter« auch.
»Lass mich doch die Zeitung eben mit dem Fahrrad holen, Papa«, bat Anja meinen Vater an diesem Tag, dem Karfreitag 1982. Meine Eltern waren mit Freunden verabredet, und die hatten gefragt, ob meine Eltern ihnen die Tageszeitung vom Kiosk mitbringen könnten. Es war kurz nach dem Mittagessen: Fischstäbchen, Kartoffeln und Salat. Anjas Lieblingsessen.
»Nein, Anja, es ist viel zu kalt und ungemütlich. Wir fahren doch jetzt eh gleich mit dem Auto am Kiosk vorbei.«
»Och bitte, Papa!«
Anja fuhr für ihr Leben gerne Fahrrad, und so stimmte mein Vater schlussendlich zu. Das kleine Lädchen war schließlich nur drei Minuten mit dem Fahrrad entfernt.
Ich sollte Anja niemals kennenlernen.
Die Fahrt zum Kiosk war für sie die letzte Fahrt ihres kurzen Lebens.
Anfang der 1980er-Jahre gab es keine Fahrradhelme. Wenn es sie schon gegeben hätte, würde die Geschichte ab jetzt vielleicht anders weitergehen. Hätte. Würde. Könnte. Sie können sich vorstellen, wie oft sich meine Eltern mit diesen zerstörerischen, sinnlosen Fragen gequält haben, die zu nichts führen.
Kurz nachdem meine Mutter »Jetzt könnte sie aber langsam zurückkommen« gedacht hatte, hörten sie das Martinshorn. Ein Ton, der vor diesem Tag ein ganz normales Alltagsgeräusch war und nach dem Karfreitag 1982 zu einem kaum erträglichen Erinnerungsruf wurde.
»Ich gehe jetzt schauen, wo sie bleibt«, sagte mein Vater zu meiner hochschwangeren Mutter.
Er ging den Weg zum Kiosk zu Fuß ab und fragte den Besitzer, ob Anja dort gewesen sei.
»Nein, war sie nicht. Aber hier ist eben ein Unfall passiert«, so seine Antwort.
»Direkt danach sehe ich den Polizeiwagen um die Ecke kommen und erkenne ad hoc Anjas Fahrrad hinten im Kofferraum«, erzählt mir mein Vater knapp fünfunddreißig Jahre später. Ich will von ihm wissen, ob er gleich wusste, dass etwas Schlimmes passiert sei, und er antwortet: »Nein. Auch als die Polizei mir sagte, dass ein Mädchen verunglückt sei und in ein Krankenhaus gebracht wurde, dachte ich: ›Bestimmt nur ein Beinbruch.‹«
Und wissen Sie, was das Erstaunliche ist? Diesen Grundoptimismus hat sich mein Vater beibehalten. Erst mal vom Besten ausgehen. Ich hätte es als total »normal« empfunden, wenn sich das nach diesem Karfreitag 1982 komplett geändert hätte. Wenn er ab da bei allem und jedem, was ihm oder seiner Familie in Zukunft widerfahren würde, das Schlimmste geahnt hätte.
Ich vermute, dass dieser Grundoptimismus, dieser nicht vorhandene Schalter zum Kopfkino, angeboren ist oder eben auch nicht. Denn wenn Sie meine Mutter fragen, was sich in ihrem Kopf abspielte, als sie die schreckliche Nachricht hörte, würde die Antwort anders ausfallen.
»Wir mussten dann die einzelnen Krankenhäuser abfahren, denn niemand wusste, wo sie hingebracht worden war«, erzählen mir meine Eltern weiter. Beide durchleben durch unser Gespräch eine Art Zeitreise. Der Schmerz ist in ihren Gesichtern ablesbar.
Als sie endlich das richtige Krankenhaus gefunden hatten, lag Anja schon im OP.
»Es sieht nicht gut aus. Sie hat eine schwere Kopfverletzung«, erklärte man ihnen.
Später, als Anja auf die Intensivstation gebracht wurde, legten die Ärzte meiner Mutter nahe, aufgrund ihres »Zustandes« nicht mitzugehen. Sie verneinte erst heftig, schaffte aber dann noch nicht mal den Blick durch die Trennscheibe zu Anjas Zimmer.
Anja hatte eine schwere Hirnverletzung und war klinisch tot. Maschinen hielten sie am Leben. Zwischen »Tschüs, Papa!« und dem Hirntod lag eine junge Autofahrerin, die eine Sekunde nicht aufgepasst hatte.
Ich kannte natürlich »unsere« Geschichte, den Ablauf, die Fakten: Ich wusste, dass die Fahrerin nicht »bestraft« worden war, dass sie sich nie entschuldigt, sondern noch verlangt hatte, dass meine Schwester die Windschutzscheibe bezahlen sollte (»Immerhin hat sie sie ja mit ihrem Körper kaputt gemacht!«), ich wusste, dass meine Eltern danach aus der Innenstadt aufs Dorf zogen, ich wusste, dass mein Vater innerhalb von einer Nacht ergraut ist … all das wusste ich. Aber was ich nicht wusste, war, wie insbesondere mein Vater – denn es war ja seine leibliche Tochter – es geschafft hat, nicht von der Brücke zu springen.
Wenn Sie selber Kinder oder Geschöpfe um sich haben, die Sie lieben wie eigene Kinder, dann bin ich mir sicher, dass Ihnen alleine vom Lesen die Brust schmerzt. Es ist die schlimmste Vorstellung für Eltern: das eigene Kind zu Grabe zu tragen.
Meinen Eltern ist es passiert. Und heute – da ich selber Mama bin – zerreißt es mir das Herz.
»Papa, wie hast du es geschafft, wieder aufzustehen? Morgens und überhaupt? Wie konntest du mir ein guter Vater sein und mir Fahrradfahren beibringen?«, will ich von ihm wissen.
»Der Grund bist und warst du. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft.«
Anja starb genau eine Woche später. Die Ärzte erklärten meinen Eltern, wenn sie noch mal wach werden sollte, was nahezu ausgeschlossen war, dann würde sie ein schwerer Pflegefall werden. Eine Woche nach Karfreitag durfte sie gehen.
»Es war wie ein böser Traum«, verrät mein Vater. »Alles war wie unter einer Glocke. Und ich weiß noch, dass ich dachte: Wie können die Menschen draußen normal rumlaufen? Meine Tochter ist tot. Wie können die alle hier normal leben?«
Und in dieser schlimmsten Zeit im Leben meiner Eltern stand meine Geburt bevor.
Tod und Leben. So nah beieinander.
»Ganz am Anfang erzählte Papa die Geschichte immer und immer wieder. Heute weiß ich, dass er unter Schock stand. Wir fuhren Hunderte von Malen zur Unfallstelle, und er fing an, Skizzen anzufertigen und Bremswege auszurechnen«, erzählt meine Mutter.
Als schließlich die Mitteilung vom Staatsanwalt kam, dass die Ermittlung gegen die Autofahrerin »wegen Nichtigkeit eingestellt« worden sei, schrieb mein Vater einen Brief, der zur Folge hatte, dass das Verfahren wieder aufgerollt wurde und die Fahrerin zu 600 DM Spende für einen guten Zweck verurteilt wurde.
»Wie ging es weiter? Wie ging das Leben für euch weiter?«, frage ich meinen Vater.
»Ich habe viel über Unfälle von anderen Kindern gelesen. Ich weiß, das klingt komisch, aber mir hat es geholfen zu wissen, dass ich nicht alleine bin. Ich besuchte sogar andere Kinderfriedhöfe und schaute, wie alt diese Kinder werden durften.«
Jetzt kann man sich vielleicht vorstellen, dass das nicht gerade das ist, was man als hochschwangere Frau gerne machen möchte. Die Art und Weise, wie meine Eltern diesen Schock verarbeiteten, ging also weit auseinander. Während meine Mutter sich ganz darauf konzentrierte, das Ungeborene in ihrem Bauch zu schützen, war mein Vater auf der Suche nach Leidensgenossen.
»Das Schlimmste für mich war das schlechte Gewissen, das mich lange begleitete. Nicht nur weil ich mich schuldig fühlte, dass ich ihr erlaubt hatte, mit dem Fahrrad loszufahren. Sondern auch, weil ich irgendwann versuchte, mich wieder mit normalen Sachen zu beschäftigen. Wenn ich lächelte, holte mich sofort mein Gewissen ein: ›Deine Tochter ist tot, und du lachst.‹«
»Wann bist du wieder arbeiten gegangen?«, frage ich ihn.
»Eine Woche nach ihrem Tod.«
»War das rückblickend gut?«
»Sehr gut.«
Noch mal: Ich bin keine Psychologin. Das ist kein Versuch, die Situation zu bewerten oder gar zu beurteilen. Ich gebe nur wieder, was mir meine Eltern erzählt haben. Nicht mehr und nicht weniger.
»Und was passierte, als ich geboren wurde?«
»Da war das erste Mal seit Langem wieder Freude in seinem Gesicht«, sagt meine Mutter.
»Als Anja starb, war mir alles egal. Morgens bin ich in ihr Zimmer gegangen und sah sie vor mir, wie sie in ihrem Zimmer spielt. Und nun war alles leer. Ich wusste, sie kommt nicht mehr zurück. Stattdessen liegt sie in dieser kalten Schublade in der Gerichtsmedizin. Lasst sie doch einfach in Ruhe! Die Beerdigung und die täglichen Besuche auf dem Friedhof hatten etwas Tröstliches für mich. In dieser Zeit konnte ich aber ohne alkoholische Unterstützung nicht in den Schlaf finden. Als du geboren wurdest, wurde alles anders. Da ist auf einmal ein Neugeborenes und braucht die Liebe und Zuneigung der Eltern. Vergessen kann man nicht. Aber ich war abgelenkt. Du hast mich gerettet.«
Die Geschichte hat natürlich kein Happy End, denn Anja ist tot. Sie kommt nicht wieder zurück. Der eine kommt, der andere geht. Heute sind fünfunddreißig Jahre vergangen, und es gibt noch nicht mal mehr ein Grab von ihr. Hätte es damals schon Fahrradhelme gegeben, wäre ich wahrscheinlich Tante, und meine Kinder hätten auch eine Tante, aber so sollte ich ein Einzelkind bleiben.
Was hat meinen Eltern geholfen? Wie konnten sie überhaupt wieder einen Tag ihres Lebens genießen? Und wie konnten sie – aus meiner Sicht heraus – so tolle, lustige und lebensfrohe Menschen sein?
Mein Vater zeigte ja zu Beginn der Trauerphase ein paar Stehauf-Möglichkeiten, die zumindest für Menschen, die eine solche Situation nicht erlebt haben, vielleicht ungewöhnlich klingen mögen:
Sachliche Auseinandersetzung
Er wollte verstehen. Er fing an, die Unfallstelle auszumessen, zu berechnen und zu deuten. Er wollte auf ganz sachliche Art verstehen, wie es überhaupt zu dem Unfall kommen konnte. Das half zumindest insoweit, als dass er ins Tun kam.
Suche nach Leidensgenossen
Immer wenn er in Zeitungen oder im Fernsehen von anderen Unfällen mit Kindern las oder hörte, wollte er mehr wissen. Er besuchte Kinderfriedhöfe, suchte schlicht und ergreifend nach Gleichgesinnten. Menschen, die sein Leid verstehen konnten und ihm das Gefühl gaben, nicht damit alleine zu sein.
Liebe
Er war nicht allein. Er hatte eine Familie, die ihn – jeder nach seinen Möglichkeiten – unterstützte: seine Frau – meine Mutter – und seine Schwiegereltern. Meine Oma, die selbst ein Kind verloren hatte, wurde zu einer wichtigen Bezugsperson und konnte mit Sicherheit noch mehr Trost spenden, als das irgendwer sonst hätte tun können.
Schweigen
»Irgendwann war alles gesagt«, erzählt mein Vater. Und dann braucht man Menschen, mit denen auch Schweigen nicht peinlich ist.
Und schlussendlich war es dann die Liebe zu einem Neugeborenen und die damit verbundene Ablenkung.
Ich weiß, es klingt hart. Und wenn Sie zu hören bekommen: »Dann lenk dich halt ab!«, ist das für Sie vielleicht eine Phrase, die gefühllos klingt. Aber ich glaube, man kann schlicht und ergreifend nicht im gleichen Maß trauern und lieben. Man kann sich nicht auf zwei Dinge mit der gleichen Intensität konzentrieren. Das geht einfach nicht. Eins gewinnt die Oberhand. Das heißt nicht, dass das andere Gefühl, im Fall meiner Eltern diese tiefe Trauer, nicht mehr da war, aber es wurde auch mal kurzfristig abgelöst.
In belastenden Situationen, sei es, dass man auf wichtige Prüfungsergebnisse wartet oder auf die Zusage für einen Job oder schlimmer: auf gute Untersuchungsergebnisse vom Arzt, drehen sich die Gedanken meist nur um dieses eine Thema. Alles andere wird ausgeblendet. Das Problem rückt zu einhundert Prozent in den Fokus.
Mein Vater fand irgendwann »Ablenkung« in seiner Arbeit. Ein für ihn notwendiger Schritt in Richtung Normalität.
Als ich ein paar Wochen später auf die Welt kam, waren meine Eltern ebenfalls abgelenkt. Ob sie wollten oder nicht. Da war jetzt ein kleines Baby, und das braucht nun mal die volle Aufmerksamkeit. Alle Eltern wissen, was ein Baby für eine Familie bedeutet.
Also, ich kann da nur aus meiner Erfahrung heraus sprechen: Nach der Geburt meines ersten Sohnes war ich phasenweise – also eine zwei Jahre lange Phase – fremdbestimmt. Plötzlich legte ein kleines, mal hungriges, mal stinkendes Baby meinen Tagesablauf fest. Das hat gute und schlechte Seiten. Wie alles im Leben! Im Fall meiner Eltern hatte es überwiegend positive Seiten. Ihr Fokus wurde anders ausgerichtet, und damit waren sie von ihrer Trauer abgelenkt.
Bitte stellen Sie sich einmal hin. Nehmen Sie Ihre rechte Hand und reiben Sie sich damit den Bauch. So als ob Sie zeigen möchten, dass Ihr Essen gut schmeckt. Mit der anderen, der linken Hand, klopfen Sie sich gleichzeitig auf den Kopf. Die meisten von Ihnen kennen diese Konzentrationsübung. Es ist schwer, zwei Dinge mit derselben Intensität zu machen.
Gleiches gilt für Gefühle. Wenn Sie sich voll und ganz auf ein Neugeborenes konzentrieren müssen, dann können Sie nicht gleichzeitig voll und ganz in Ihrer Trauer aufgehen. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, sei einmal dahingestellt. Sie erinnern sich, dass ich zu Beginn sagte, meine Aufgabe ist es nicht, zu bewerten. Ich möchte Ihnen nur zeigen, was in diesem Fall geholfen hat.
Ihre STEHAUF-Regeln aus dieser Geschichte:
Stellen Sie sich vor, Sie gehen auf eine Wanderung mit Ihrer besten Freundin. Dafür packen Sie Ihre Wanderrucksäcke. In beide kommt exakt der gleiche Inhalt, sodass sie genau gleich schwer sind. Ihr Ausflug beginnt, sie sind beide bereit, schnallen sich die Rucksäcke auf den Rücken und marschieren los.
Nach einer guten Stunde sind Sie der Erschöpfung nahe, während sich Ihre Freundin gerade erst warm gelaufen hat.
»Ich kann nicht mehr«, rufen Sie von weiter hinten.
»Wie? Warum denn nicht?«, entgegnet Ihre Freundin.
»Mein Rucksack ist soooo schwer, ich brauche eine Pause«, japsen Sie vor sich hin.
»Also, ich weiß nicht, was du hast. Der ist doch voll leicht und gut zu tragen. Ich gehe noch weiter. Wir treffen uns dann später«, strahlt Sie Ihre immer noch nicht müde Freundin an.
Wie fühlen Sie sich jetzt?
Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Wenn Sie ein Mann sind, denken Sie wahrscheinlich: Ich und müde? NIEMALS! Oder, wenn Sie es doch zugeben: Ja, super! Treffen wir uns eben später!
Wenn Sie eine Frau sind, machen Sie sich vermutlich das Leben etwas schwerer: Oh, warum ist sie denn noch nicht müde? Findet sie den Rucksack nicht so schwer? Mein Gott, ich bin so ein Weichei. Reiß dich zusammen und geh schnell weiter!
Und dann, meine Damen? Was passiert dann? Dann gehen Sie über Ihre Grenzen hinaus und haben an der Wanderung genauso wenig Spaß wie am Rucksack und Ihrer Freundin.
Sie könnten die Sache aber auch anders betrachten: Ja, die Rucksäcke sind gleich schwer. Aber die Personen, die sie tragen, sind grundverschieden. Vielleicht hat Ihre Freundin eine Woche Urlaub hinter sich, in dem sie Rücken- und Ausdauertraining gemacht hat. Vielleicht war sie auch gerade shoppen und hat die besten Wanderschuhe ever gekauft. Vielleicht hat sie auch still und heimlich geübt und weiß genau, wie sie den Rucksack tragen muss, damit er sie nicht beschwert.
Vielleicht tut Ihre Freundin aber auch nur so cool und ist hinter der nächsten Ecke auch den Tränen nahe.
Vielleicht haben Sie gerade eine Woche Nachtschicht hinter sich, Blasen an den Füßen und sich während Ihrer harten Arbeit den Rücken verrenkt. Vielleicht haben Sie die Nacht nicht gut geschlafen, weil Ihr Kind hohes Fieber hatte. Vielleicht ist es einfach nicht Ihr Tag. Es gibt unendlich viele Gründe, warum zwei Menschen mit dem scheinbar gleichen Rucksack einen scheinbar gleichen Weg in einem unterschiedlichen Tempo gehen.
Wichtig ist Folgendes: Wir können das als Außenstehender NIEMALS beurteilen. Und Sie tun sich nichts Gutes, wenn Sie sich mit anderen vergleichen!
Denn wenn Sie über Ihre Grenze gehen, Ihre Schmerzen und Ihre Erschöpfung ignorieren, dann schaffen Sie vielleicht diesen einen Ausflug, aber nicht mehr den Tag danach.
Gönnen Sie sich stattdessen eine Pause, sagen Sie zu sich: »Jeder hat sein eigenes Tempo. Ich ruhe mich jetzt ganz allein für mich aus, und dann klappt der Weg auch wieder leichter!«, anstatt ungerecht und gemein zu sich selbst zu sein. Und gleichzeitig: Urteilen Sie auch nicht über Menschen, in deren Schuhen Sie noch nicht gelaufen sind.
Wenn Sie in Ihrem Leben also schon einmal hingefallen sind – wie wir alle –, dann gehen Sie bitte in Ihrem eigenen Tempo weiter! Natürlich dürfen und sollen Sie sich von anderen motivieren und mitreißen lassen, aber immer nur so, dass es Sie nicht unter Druck setzt! Picken Sie sich die Rosinen raus. Vielleicht sagen Sie sich: Oh, ich bewundere meine Freundin dafür, dass sie konditionell so gut aufgestellt ist. Das könnte auch was für mich sein: an meiner Kondition arbeiten. Vielleicht schaffe ich dann den Weg auch leichter. Und wenn nicht, dann ist es vielleicht meine Art, langsamer zu gehen und dabei auf die Blumen rechts und links zu achten.
Übrigens, auf die Rucksäcke des Lebens können wir kaum Einfluss nehmen. Die werden uns meist vorgesetzt. Schuhwerk, Haltung und Ausdauer hingegen haben wir selber in der Hand!
Wenn Sie mit offenen Augen und möglichst unvoreingenommen durch die Welt gehen, dann werden Sie sehen, dass Inspirationen für das Wiederaufstehen auf der Straße liegen.
Das ist genau der Grund, warum Sie in diesem Buch immer wieder die Möglichkeit bekommen, Ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Ich möchte Ihnen zeigen, dass Sie die Lösungen für Ihre eigenen Rucksackprobleme in sich tragen. Von mir bekommen Sie nur die Brille, um sie besser erkennen zu können.
Ich ziehe meine Inspiration aus nahezu allem und versuche, jede Situation in meinem Leben aus der Perspektive »Wer weiß, wofür es gut ist« zu betrachten. (Übrigens ist das wieder so eine Lebensweisheit meiner Oma. Sie taucht in diesem Buch noch öfter auf, besser, Sie gewöhnen sich daran.)
Mit dieser Einstellung können Sie aus dem größten Misthaufen noch eine Nadel ziehen. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle ein paar Inspirationsquellen verraten, auf die Sie vielleicht noch nicht gekommen sind:
»Das ist nicht ihr Ernst?«, werden Sie jetzt vielleicht denken. Doch, ist es. Meine Jungs sind große Minions-Fans, und ich kann mit Stolz behaupten, die Filme so oft gesehen zu haben, dass ich sie aus dem Stegreif auswendig aufsagen könnte. Ja, am Anfang sind diese kleinen, gelben Tic Tacs gewöhnungsbedürftig. Sie sprechen ihre eigene Sprache und leben in ihrer eigenen Welt. Aber: Da sind sie glücklich! Und wissen Sie, was mich an diesen Kerlchen fasziniert? Sie sind unglaublich anpassungsfähig, nehmen neue Situationen wahnsinnig schnell an und machen stets das Beste daraus.
Es bleibt Ihnen natürlich nicht erspart, dass ich ein konkretes Beispiel beschreibe.
In einer Szene wird Gru (das ist der Boss) in einem Auto entführt. Zwei Minions beobachten das Ganze und können gerade noch die Verfolgung aufnehmen. Einer schafft in letzter Sekunde den Sprung auf das Auto und versucht, den anderen festzuhalten. Er bekommt ihn aber nur an den Hosenträgern zu fassen, und der zweite Minion wird an seinen Hosenträgern hinter dem Auto hergezogen. Eine echt bedrohliche Lage, selbst für einen Minion in einem Zeichentrickfilm. Aber statt in Angst zu verharren und Panik zu bekommen, guckt sich der Minion (ich glaube, es ist Bob) um und merkt, dass es ja eigentlich wie Wasserskifahren ist. Und Wasserski ist cool. Also fängt er an zu lachen und nutzt die Situation für eine Runde Auto-Wasserski.
Da kann man doch was draus mitnehmen. Also, meine Damen, wenn Sie wie ich den Film hundert Mal sehen mussten, dann macht es unbedingt Sinn, etwas davon mitzunehmen, denn sonst werden Sie ja irre! Ich habe also die Zeit mit meinen Kindern genutzt und habe mir den Film unter anderen Aspekten angeschaut. Also habe ich es den Minions gleichgetan.
Durch sie habe ich die Stehauf-Regel formuliert: Nimm die Dinge so, wie sie kommen, und mach das Beste daraus.
Zugegeben, die Chance, dass Sie an Ihren Hosenträgern hinter einem Auto hergezogen werden, ist jetzt nicht so groß, aber Sie wissen, was ich meine.
Ähnlich geht es mir mit nahezu jedem Buch, das ich gelesen habe. Meist schreibe ich mir die für mich bedeutendsten Sätze raus und gucke, wie ich sie für meinen kleinen Kosmos nutzen kann. Den wohl bedeutendsten Satz, den ich je in einem Buch gelesen habe, verrate ich Ihnen an anderer Stelle.
Meinen Kindern lese ich gerne Märchen vor. Also ganz ruhig, Sie brauchen nicht das Jugendamt zu informieren, wir gucken nicht nur die Minions, wir lesen auch viel!
Eins meiner Lieblingsmärchen ist Frau Holle. (Finden meine Jungs eher langweilig! Sie stehen mehr auf Menschen, die bei lebendigem Leibe verbrennen müssen – wie in Hänsel und Gretel!)
Sie erinnern sich vielleicht an Goldmarie und Pechmarie. Haben Sie die Geschichte mal ganz genau gelesen? Sie hat viel von unserer Rucksack-Geschichte.
Da erleben zwei Mädchen die scheinbar gleiche Situation: Das fertige Brot will aus dem Ofen, der Baum mit den reifen Äpfeln will abgeerntet werden, und Frau Holle braucht Hilfe beim Bettenschütteln. Beide Mädchen bekommen also die gleichen Aufgaben. Aber beide Geschichten verlaufen grundverschieden. Goldmarie trägt ihren Namen, weil sie voller Tatendrang die Dinge fleißig angeht und nicht auf ihr eigenes Wohl bedacht ist. Sie sieht die schönen Seiten der Brunnenwelt und freut sich, Frau Holle zur Hand gehen zu können. Als Dank wird sie mit Gold überschüttet.
Wie die Sache mit Pechmarie ausging, wissen Sie alle.
In diesem Märchen, so wie in den meisten, steckt viel Wahres drin.
Goldmarie hatte keinen vorgefertigten Plan. Sie fiel in die neue Situation und sah sie mit reinen, unvoreingenommenen Augen. Sie gab ihr die Chance, einzigartig zu werden, und ging ohne Vorurteile und Erwartungen an die Aufgaben heran. Wenn wir also so offen und erwartungsfrei sind, dann können wir doch nur als Gewinner rausgehen.
Beide Mädchen hatten es in der Hand. Dass Goldmarie Gold und Pechmarie Pech bekam, war kein Schicksalsschlag oder gottgegeben. Sie hatten es in der eigenen Hand, wie die Geschichte verlief. Soll heißen: Dass Goldmarie in der Welt ankam, das war ihr Schicksal, aber wie sie ihr entgegentrat, das konnte sie beeinflussen.
Die Kunst, unterscheiden zu können, was man ändern kann und was nicht. Was muss man hinnehmen? (Ganz wichtiger Punkt, auf den wir später noch eingehen werden.)
Pechmarie hatte einen Plan. Und dieser Plan war von Missgunst getrieben. Das kann nur in die Hose gehen!
Aber auch Pechmarie bleibt ja nach dem Scheitern nicht liegen, sondern erkennt, dass es nie zu spät ist, an sich zu arbeiten!
Eigentlich brauchen Sie dieses Buch gar nicht! Lesen Sie Märchen!
Wo finden Sie Inspirationen für Ihre persönlichen STEHAUF-Regeln?
Übrigens, die Dinge, aus denen Sie nichts mitnehmen können, die können weg! Also, so grundsätzlich im Leben. Sie werden sehen, wie viel Zeit Sie plötzlich dazugewinnen.
So, am Wochenende gehen wir Samstag in den Zoo. Also, erst am Nachmittag, denn so bis circa 12 Uhr muss ich das Haus putzen. Aber dann gehen wir schön in den Zoo. Vielleicht so bis zum frühen Abend, denn einkaufen müssen wir auch noch. Und am Sonntag, da kommen Suse und Fritz mit dem kleinen Tim zu Kaffee und Kuchen vorbei. Vormittags backe ich noch schnell, in der Zeit könntest du die Kinder baden und noch mal schnell durchsaugen. Du kennst ja Suse, sie schaut immer sehr genau in die Ecken, ich will nicht, dass sie nachher sagt: ›Hast du gesehen, wie es bei denen aussieht?‹ Und Sonntagabend muss ich dann schnell an den Rechner, um für Montagmorgen ein Angebot vorzubereiten. Ja, so machen wir es. Das wird ein schönes, entspanntes Wochenende. Nicht wahr, Patrick?«
Patrick (mein Mann) war schon beim Wort »Zoo« raus.
Ja, so war ich früher.
Als Hardcore-Working-Mom. Weil es dazugehört. Weil man uns Müttern eintrichtert, dass es völlig normal ist, wenn man sich direkt wieder hinters Steuer setzt und sieben Millionen Dinge gleichzeitig erledigt.
Das erste Mal daran gezweifelt habe ich, als ich mit meinem zweiten Sohn in der zwölften Schwangerschaftswoche war. Zu diesem Zeitpunkt habe ich ihn nämlich in der Kita angemeldet. Kaum im Bauch, schon organisiert man sie wieder weg. Sorry, aber das ist doch krank. Und das gleich in mehrerlei Hinsicht.
Das hat was mit Achtsamkeit zu tun. Wie soll ich denn diese Wunderzeit Schwangerschaft genießen, wenn ich mir den Kopf darüber zerbrechen muss, wo und wie das Kind ab dem ersten Lebensjahr betreut wird? Da mache ich mir ja im wahrsten Sinne einen Kopf um ungelegte Eier. Wäre es nicht für alle Beteiligten viel relaxter, wenn man gewisse Dinge einfach auf sich zukommen lässt? Einfach mal gucken, was passiert? Hat nämlich den großen Vorteil, dass man das Gegenwärtige viel besser genießen kann.
Schon während der Brütezeit ist man fremdbestimmt! Vielleicht möchte ich das ja gar nicht so handhaben? Vielleicht möchte ich zu Hause bleiben, bis der Kleine von der Schule geht. Vielleicht möchte ich auch wieder arbeiten gehen, wenn der Wonneproppen knappe sechs Monate alt ist. Woher soll ich das jetzt denn schon wissen? Wer bestimmt das denn?
Mit diesen Gedanken habe ich mich damals rumgeschlagen, als ich die Anmeldeformulare ausgefüllt habe. Anfangs dachte ich noch, dass ich wahnsinnig clever bin. Immerhin war es ja mein zweites Kind, und dieses Mal wusste ich schon, wo der Hase lang läuft. Soll ich Ihnen was sagen: Hasen schlagen Haken. Und das völlig unvorbereitet.
Das fing schon damit an, dass die zweite Schwangerschaft bei Weitem nicht so locker verlief wie die erste.
»Also, Chef, guck mich an, ich bleibe im Büro bis einen Tag vor der Entbindung. Ich bin nicht krank, sondern nur schwanger. Mach dir keinen Kopf! Und danach steige ich direkt vom Homeoffice wieder ein.« So überbrachte ich meinem damaligen Chef die frohe Kunde. Ganz die Verkäuferin. Immer schön auf die Vorteile des Gegenübers bedacht. Frei nach dem Motto: Ich schaff das schon!
Ja, und dann lief der Hase eben zickzack: neun Monate lang Übergeben am Stück (am häufigsten in den Büromülleimer), Thrombose und ein Symphysenriss.
Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich nicht so funktionierte, wie ich mir das vorgenommen hatte.
Ich muss es an dieser Stelle noch mal so explizit sagen: »Wie ICH es mir vorgenommen hatte.« Denn ich müsste lügen, wenn ich sage, dass mein Umfeld mich je unter Druck gesetzt hätte. Das habe ich immer ganz alleine für mich übernommen.
Ich musste Termine canceln, Messebesuche absagen, Staubkörner liegen lassen und – und das war Neuland – um Hilfe bitten. Bei meiner Familie, aber auch bei Freunden, wenn es darum ging, meinen Großen aus der Kita zu holen. Und was soll ich Ihnen sagen? Man hat mir gerne geholfen. Menschen helfen nämlich gerne. Wenn man sie denn freundlich darum bittet. Aber für Madame Ich-schaff-das-schon war das ein schwerer Schritt.
Ich musste also erst liegen, um zu erkennen, dass man nicht alles alleine machen muss.
In dieser Zeit habe ich erkannt:
Um Hilfe bitten ist keine Schwäche!
Pläne machen ist völlige Zeitverschwendung!