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Impressum

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel «Fools and Mortals» bei HarperCollins Publishers, London.

 

Lied auf S. 209 f. und 233 aus: «Zwei Herren aus Verona», 4. Akt, 2. Szene, «An Silvia», von William Shakespeare. Übersetzt von Eduard von Bauernfeld, 1826.

 

Die Angaben der Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, August 2018

Copyright © 2018 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Redaktion Tobias Schumacher-Hernández

«Fools and Mortals» Copyright © 2017 by Bernard Cornwell

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung Hafen Werbeagentur, Hamburg

Umschlagabbildungen Felbert+Eickenberg/Getty Images; Grusin, Christos Georghiou/shutterstock.com

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ISBN Printausgabe 978-3-8052-0028-8 (1. Auflage 2018)

ISBN E-Book 978-3-644-20058-6

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-20058-6

ist mit großer Zuneigung gewidmet

allen Schauspielerinnen und Schauspielern,

Regisseuren, Musikern und Technikern des

Monomoy Theatre

Ein Sommernachtstraum

Akt III, Szene 2

 

HIPPOLYTA: Das ist das Dümmste, was ich je gehört.

THESEUS: Auch die Besten dieser Art sind nichts als Illusion; und die Schlechtesten sind genauso gut, wenn die Vorstellungskraft sie nachbessert.

HIPPOLYTA: Das muss dann deine Vorstellungskraft sein und nicht ihre.

THESEUS: Wenn wir uns nichts Schlechteres von ihnen vorstellen als sie selbst, dürften sie als vortreffliche Männer durchgehen.

Ein Sommernachtstraum

Akt V, Szene 1

Vortreffliche Männer

Ich starb, kurz nachdem die Uhr im Gang neun geschlagen hatte.

Manch einer behauptet, Ihre Majestät Elizabeth, Königin von Gottes Gnaden über England, Frankreich und Irland, würde nicht gestatten, dass in ihren Palästen Uhren schlagen. Es ist der Zeit nicht gestattet, für Ihre Majestät zu vergehen. Sie hat die Zeit besiegt. Aber diese Uhr schlug. Ich erinnere mich daran.

Ich zählte die Schläge. Neun. Dann schlug mein Mörder zu.

Und ich starb.

 

Mein Bruder meint, es gibt nur eine einzige Art, auf die eine Geschichte erzählt werden kann. «Fange», sagt er auf seine aufreizend pedantische Art, «mit dem Anfang an. Mit was auch sonst?»

Wie ich sehe, habe ich etwas zu spät angefangen, daher werden wir auf fünf Minuten vor neun zurückgehen und erneut beginnen.

Stellt Euch, wenn Ihr so gut sein wollt, eine Frau vor. Sie ist nicht mehr jung, aber auch nicht alt. Sie ist groß und, so wird mir unaufhörlich erklärt, auffallend schön. Am Abend ihres Todes trägt sie ein Kleid aus nachtblauem Samt, übersät mit eingestickten Silbersternen, von denen jeder mit einer Perle besetzt ist. Blass

Die schöne Frau ist in Gesellschaft zweier Männer und einer jüngeren Frau, und eine dieser Personen wird sie ermorden, doch das weiß sie noch nicht. Die jüngere Frau ist in jeglicher Hinsicht ebenso schön gekleidet wie die ältere,

«Euch kennen», mischt sich die ältere Frau ein, «oh, man kennt Euch!» Es ist ein geistreicher Einwurf, deutlich ausgesprochen, auch wenn die Stimme der älteren Frau etwas heiser und gedämpft klingt.

«Euer Leiden, Herrin», sagt der kleinere der beiden Männer, «ist meine Pflicht.» Er zieht einen Dolch. Einen kerzenflackernden Moment lang scheint es, als wolle er die Klinge in die jüngere Frau rammen, doch dann dreht er sich um und stößt ihn gegen die Ältere vor. Die Uhr, ein mechanisches Wunderwerk, das sich in dem Gang unmittelbar vor dem Saal befunden haben musste, hatte zu schlagen begonnen, und ich zähle die Schläge.

Das Publikum keucht auf.

«Ich bin gemeuchelt!», schreit sie. «Ach weh! Ich bin hingemordet!» Ich habe diese Zeile nicht geschrieben, also bin ich nicht verantwortlich dafür, dass die ältere Frau bekundet, was schon offensichtlich gewesen sein musste. Die jüngere Frau schreit auf, nicht vor Entsetzen, sondern vor Begeisterung.

Die ältere Frau taumelt noch etwas mehr herum, dreht sich dabei, damit das Publikum das Blut sehen kann. Wenn wir nicht in einem Palast gewesen wären, hätten wir das Schafsblut nicht verwendet, weil das Samtkleid zu prachtvoll und zu teuer war, doch für Elizabeth, für die keine Zeit existiert, müssen wir uns verausgaben. Also verausgaben wir uns. Das Blut durchtränkt das Samtkleid, ist jedoch kaum zu sehen, weil der Stoff so dunkel ist. Doch viel von dem Blut befleckt die lavendelfarbene Seide und spritzt auf das Segeltuch, das über die türkischen Teppiche ausgebreitet worden ist, auf denen die Frau nun schwankt, erneut aufschreit, in die Knie sinkt und dann, mit einem

Die Uhr hat gerade neun Mal geschlagen.

Der Mörder nimmt die Krone vom Haar der Toten und überreicht sie mit einer übertriebenen Verbeugung der jüngeren Frau. Dann packt er die Hände der toten Frau und zerrt sie mit unnötiger Grobheit außer Sicht. «Ihren Körper lassen wir zurück», sagt er laut und keucht vor Anstrengung, als er die Leiche wegzieht, «hier soll sie bis in alle Ewigkeit vermodern.»

Er verbirgt die Frau hinter einem hohen Wandschirm, der den größten Teil einer Tür im Hintergrund der Bühne verdeckt. Die Stoffbahnen des Wandschirms sind mit verschlungenen rot und weiß blühenden Rosen bestickt, die aus zwei dichtbelaubten Ranken sprießen.

«Die Pest soll dich holen», sagt die tote Frau leise.

«Piss dir auf die Eier», flüstert ihr Mörder und geht zurück vor das Publikum, das vor Entsetzen über den unvermittelten Tod einer solchen dunkelhaarigen Schönheit in schweigende Erstarrung gefallen ist.

Die ältere Frau war ich.

Der Raum, in dem ich gerade gestorben war, ist von unzähligen Kerzen erleuchtet, doch hinter dem Wandschirm ist es stockfinster. Ich schob mich zu der halboffenen Tür und kroch in das Vorzimmer dahinter, wobei ich darauf achtete, die Tür nicht zu berühren, deren Oberkante über den Rosenwandschirm hinweg sichtbar ist.

«Gott steh uns bei, Richard!», sagte Jean leise zu mir. Sie

«Lässt es sich auswaschen?», fragte ich und stand auf.

«Vielleicht», sagte sie zweifelnd, «aber so schön wie vorher wird es nicht mehr. Jammerschade ist das.» Jean ist eine brave Frau, eine Witwe und unsere Schneiderin. «Komm, lass mich die Seide einweichen.» Sie ging weg, um einen Krug mit Wasser und ein Tuch zu holen.

Ein Dutzend Männer und Jungen hatten es sich in dem Raum bequem gemacht. Alan Rust saß dicht bei zwei Kerzen und formte mit den Lippen lautlos die Worte nach, die er von einem langen Papierstreifen ablas, während George Bryan und Will Kemp Karten spielten, wobei sie eine unserer Requisitentruhen als Tisch benutzten. Kemp grinste. «Eines Tages steckt er dir das Messer tatsächlich zwischen die Rippen», sagte er, schnitt eine Grimasse und spielte den Sterbenden. «Das würde ihm gefallen. Und mir auch.»

«Dich soll auch die Pest holen», sagte ich.

«Du solltest nett zu ihm sein», sagte Jean, während sie begann, sinnlos auf den Blutflecken herumzutupfen. «Zu deinem Bruder, meine ich», fuhr sie fort. Ich sagte nichts, stand nur da, als sie versuchte, die Seide zu reinigen. Halb hörte ich den Schauspielern in dem großen Saal zu, in dem die Königin auf ihrem Thron saß.

Dies war das fünfte Mal, dass ich für die Königin gespielt hatte; zweimal in Greenwich, zweimal in Richmond und nun in Whitehall, und ständig fragten die Leute, wie sie war, und ich erfand gewöhnlich irgendeine Antwort, denn es war unmöglich, sie zu sehen oder zu beschreiben. Die meisten Kerzen standen an dem Ende des Saales, an dem

Ihr Busen war weiß wie ihr Gesicht, und ich wusste, dass sie Bleiweiß benutzte, eine Paste, um die Haut weiß und glatt zu machen. Sie kleidete sich wie eine junge Frau, verlockte Männer mit einer Andeutung blasser Brüste, doch weiß Gott, sie war alt. Sie sah nicht alt aus, und sie strahlte in kostbaren Stoffen, die mit Juwelen besetzt waren, die das Kerzenlicht einfingen. So alt, so starr, so blass, so königlich. Wir wagten nicht, sie anzusehen, denn ihren Blick aufzufangen würde die Illusion zerstören, die wir ihr boten, doch wenn es mir gelang, sah ich verstohlen zu ihr hin, sah ihr pastenweißes Gesicht über der parfümierten Menge auf den tiefer stehenden Sitzen.

«Vielleicht muss ich neue Seide in den Rock einnähen», sagte Jean, immer noch leise sprechend, und erschauerte, als eine Windböe Regen gegen die hohen Fenster des Vorzimmers trieb. «Scheußliches Wetter, um draußen unterwegs zu sein», sagte sie, «es regnet wie Teufelspisse, wirklich, das tut es.»

«Fünfzehn Minuten», sagte Alan, ohne von dem Papier aufzusehen, das er las.

Simon Willoughby kam durch die Tür zum großen Saal. Er spielte die jüngere Frau, meine Rivalin, und er grinste. Er war ein hübscher Knabe, gerade sechzehn Jahre alt. Er warf Jean die Krone hin, dann drehte er sich um sich selbst, sodass sich sein langer, heller Rock aufblähte. «Wir waren gut heute Abend!», sagte er fröhlich.

«Du bist immer gut, Simon», sagte Will Kemp warmherzig.

«Nicht so laut, Simon, nicht so laut», ermahnte ihn Alan mit einem Lächeln.

«Wohin willst du?», wollte Jean von mir wissen. Ich war zu der Tür gegangen, die zum Hof führte.

«Ich muss pissen.»

«Aber lass den Samt nicht nass werden!», zischte sie. «Hier, nimm das!» Sie brachte mir einen schweren Umhang und legte ihn um meine Schultern.

Ich ging in den Hof hinaus, wo der Regen auf die Pflastersteine niederging, und stellte mich in den Schutz einer Holzarkade, die wie ein minderwertiger Kreuzgang um den Hof lief. Ich zitterte. Der Winter stand vor der Tür. Auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes befand sich der Bogen eines Tordurchgangs, in dem zwei schwächliche Fackeln flackerten. Etwas Dunkles zuckte in der Ecke der Arkade. Vielleicht eine Ratte oder eine der Katzen, die im Palast lebten. Den Palast soll die Pest holen, dachte ich, und die Pest soll Ihre Majestät holen, für die keine Zeit

«Ich dachte, du musst pissen.» Simon Willoughby war mir in den Hof gefolgt.

«Ich habe einfach ein bisschen frische Luft gebraucht.»

«Es war warm dort drin», sagte er, dann raffte er seine hübschen Röcke und begann in den Regen zu pinkeln, «aber wir waren gut, oder nicht?» Ich sagte nichts. «Hast du die Königin gesehen?», fragte er. «Sie hat mich angeschaut!» Wieder sagte ich nichts, denn es gab nichts zu sagen. Natürlich hatte ihn die Königin angeschaut! Sie hatte uns alle angeschaut! Sie hatte uns schließlich zu sich befohlen! «Hast du meinen Tanz mit dem großen Kerzenständer gesehen?», fragte Simon.

«Hab ich», sagte ich knapp, dann schlenderte ich von ihm weg, folgte der kreuzgangartigen Arkade um die Ecke des Hofes. Ich wusste, dass er von mir gelobt werden wollte, denn der junge Simon Willoughby war auf Lob aus wie eine Hure auf Silber, doch es konnte nie genügend Komplimente geben, um ihn zu befriedigen. Davon abgesehen war er ein recht vernünftiger Jüngling, ein guter Schauspieler und, mit seinem langen, blonden Haar, hübsch genug, um Männer zum Seufzen zu bringen, wenn er eine junge Frau spielte.

«Es war meine Idee», rief er mir nach, «so zu tun, als wäre der Kerzenständer ein Mann!»

Ich beachtete ihn nicht.

«Das war gut, oder nicht?», fragte er quengelnd.

«Richard?» Simon Willoughby rief nach mir. Ich blieb still und rührte mich nicht; ich wusste, dass ich in meinem dunklen Umhang unsichtbar für ihn sein musste. Ich mochte Simon recht gern, doch ich war nicht in der Stimmung, ihm wieder und wieder zu erklären, wie gut er gewesen war.

Dann wurde eine Tür auf der gegenüberliegenden Hofseite geöffnet, sodass ein Streifen Laternenlicht in den regennassen Hof fiel. Zuerst dachte ich, es müsste einer der Schauspieler sein, der uns ausrichten wollte, dass wir

Simon antwortete mit einem nervösen Kichern.

«Bist du allein?»

«Ich glaube schon, mein Herr.» Simon hatte mich eine Tür öffnen und schließen hören und musste geglaubt haben, dass ich in den Palast zurückgegangen war. Dann wurde die Tür auf der gegenüberliegenden Hofseite geschlossen, und der Neuankömmling wurde von Schatten verhüllt. Der junge Mann ging auf Simon zu, und die flackernden Fackeln im Tordurchgang warfen gerade genug Licht für mich, um zu erkennen, dass seine Stiefel Absätze wie Frauenschuhe hatten. Er war klein und wollte größer aussehen. «Richard war hier», hörte ich Simon sagen, «aber er ist wieder gegangen. Ich glaube, er ist wieder gegangen.»

Der Mann sagte nichts, drückte Simon nur gegen die Wand und küsste ihn. Ich sah ihn Simons Röcke hochraffen und hielt den Atem an. Die beiden drängten sich aneinander.

«Oh ja», hörte ich Simon sagen, «Mylord!»

Ich schlich näher heran. Meine Gobelinschuhe machten keine Geräusche auf dem Stein. Der Wind fuhr laut um die Palastdächer, und der ohnehin schon unablässige Regen wurde noch stärker und verschluckte alles, was die beiden sagten. Es fiel eben genügend Licht von den Fackeln in ihren Halterungen herüber, um Simons zurückgebogenen Kopf und seinen offenen Mund zu sehen, und immer noch neugierig, schob ich mich näher heran. «Mylord!», rief Simon mit einem beinahe schmerzerfüllten Klang in der Stimme.

Seine Lordschaft lachte in sich hinein, trat zurück und ließ Simons Röcke fallen. «Meine kleine Hure», sagte er, doch seine Stimme klang nicht unfreundlich. Ich sah, dass er selbst mit seinen Frauenabsätzen nicht größer war als Simon, der einen ganzen Kopf kleiner war als ich. «Ich will dich heute Nacht nicht», sagte Seine Lordschaft, «aber tu deine Pflicht, kleiner Simon, tu deine Pflicht, und du wirst in meinem Haushalt leben.» Er sagte noch mehr, doch das konnte ich nicht hören, weil die Windböen den

Ich blieb stehen. Simon lehnte keuchend an der Wand. «Und wer war dieser Zwerg?», fragte ich.

«Richard!» Er klang sowohl ängstlich als auch erschrocken. «Bist du das?»

«Natürlich bin ich es. Wer war Seine Lordschaft?»

«Nur ein Freund», sagte er, dann wurde er davor gerettet, weitere Fragen beantworten zu sollen, weil die Tür des Vorzimmers erneut geöffnet wurde und Will Kemp sich herausbeugte. «Ihr zwei Huren, kommt her!», knurrte er. «Ihr werdet gebraucht! Das Stück ist zu Ende!»

Offenbar sprach mein Bruder den Epilog. Ich wusste, dass er ihn eigens verfasst hatte, um ihn an den Schluss des Stückes anzuhängen wie Bänder an den Schwanz eines Pferdes zum Erntefest, und zweifellos überschüttete er die Königin mit Artigkeiten.

«Kommt!», fauchte Kemp erneut, und wir hasteten wieder hinein.

Wenn wir in unserem Schauspielhaus sind, beenden wir jeden Auftritt mit einem Tanz. Wir tanzen, Will Kemp spielt den Possenreißer, und die Knaben ahmen kreischende Mädchen nach. Will wirft mit Beleidigungen und derben Scherzen um sich, das Publikum grölt, und die Tragödie ist vergessen; doch wenn wir für Ihre Majestät spielen, tanzen wir nicht, und wir reißen auch keine Possen. Wir erzählen keine Witze über Schwänze und Hintern, sondern reihen uns stattdessen wir Bittsteller vorne an der Bühne auf und verbeugen uns respektvoll, um zu

Und unser Spiel war aus.

 

«Wir treffen uns im Theatre», verkündete mein Bruder, als wir schließlich wieder in dem Vorzimmer waren. Er klatschte in die Hände, um alle auf sich aufmerksam zu machen, weil er wusste, dass er schnell sprechen musste, bevor die Lords und Ladys aus dem Publikum in den Raum kamen. «Alle, die eine Rolle in der Komödie und in Hester haben. Sonst muss niemand kommen.»

«Die Musiker auch?», fragte jemand.

«Die Musiker auch, also morgen Vormittag im Theatre, und zwar früh.»

Ein Stöhnen war zu hören. «Wie früh?»

«Schlag neun», sagte mein Bruder.

«Sei kein Schwachkopf», antwortete Will Kemp anstelle meines Bruders, «wie könnten wir das?»

Sowohl seine Direktheit als auch die Schärfe seines Tons waren der Erkrankung Augustine Phillips’, einem der wichtigsten Schauspieler der Truppe, und Christopher Beestons geschuldet, der von Augustine ausgebildet wurde und bei ihm wohnte. Glücklicherweise hatte Augustine keinen Part in dem Stück, das wir gerade aufgeführt hatten, und Christophers Rolle hatte ich lernen und so seinen Platz einnehmen können. In anderen Stücken würden wir die beiden ersetzen müssen, allerdings würde es, wenn der strömende Regen nicht endete, der draußen immer noch niederging, am nächsten Tag keine Aufführung im Theatre geben. Doch dieses Problem war vergessen, sobald die Tür zum Saal geöffnet wurde und ein halbes Dutzend Lords mit ihren parfümierten Ladys eintrat. Mein Bruder verneigte sich tief. Ich sah den jungen, blonden Mann mit dem blau unterfütterten gelben Schlitzwams und war überrascht, als er Simon Willoughby unbeachtet ließ. Er ging einfach an ihm vorbei, und Simon, offenkundig vorgewarnt, tat nichts, als sich zu verbeugen.

Ich wandte den Besuchern den Rücken zu, während ich aus meinen Röcken stieg, das Mieder auszog und in mein schmuddeliges Hemd schlüpfte. Mit einem feuchten Tuch wischte ich mir das Bleiweiß ab, mit dem mein Gesicht und meine Brust hell geschminkt worden waren, Bleiweiß, in das zermahlene Perlen gemischt wurde, damit die Haut

Stattdessen schlich ich hinauf, darauf bedacht, die Witwe Morrison, meine Hauswirtin, nicht zu wecken, der ich zu viel Miete schuldete, und nachdem ich meine tropfnassen Sachen ausgezogen hatte, zitterte ich mich unter der dünnen Decke in den Schlaf.

Am nächsten Morgen erwachte ich müde und verfroren in der klammen Dachkammer. Ich legte ein Wams und eine

Vom Haus der Witwe konnte ich auf zwei Wegen zu unserem Schauspielhaus gehen. Entweder ich wandte mich in der Gasse nach links und ging dann nordwärts die Bishopsgate Street hinauf, aber durch diese Straße drängten sich morgens zumeist Schafe oder Kühe, die in die Schlachthöfe getrieben wurden. Davon abgesehen würden nach dem Regen knöchelhoch Schlamm, Kot und Dreck auf der Straße stehen, also wandte ich mich nach rechts und sprang über den offenen Siel, der an den Finsbury Fields entlang verlief. Beim Aufkommen rutschte ich aus, und mein rechter Fuß glitt zurück in das Wasser, auf dem eine grünliche Schicht schwamm.

«Du erscheinst mit deiner gewohnten Anmut», ertönte spöttisch eine Stimme. Ich hob den Blick und sah meinen Bruder, der ebenfalls beschlossen hatte, durch die Fields zu gehen, statt sich an verängstigtem Vieh in den Straßen vorbeizuzwängen. Er war in Begleitung von John Heminges, einem weiteren Mitglied unserer Truppe.

«Guten Morgen, Bruder», sagte ich, während ich mich aufrichtete.

Diesen Gruß überging er, und er bot mir keine Hilfe an, als ich den schlüpfrigen Hang hinaufkletterte. Nesseln brannten sich in meine rechte Hand, und mein Fluchen

«Das hätte ich in der Tat», stimmte er mir kühl zu. Er trug einen dicken Wollumhang und einen dunklen Hut mit einer extravaganten Krempe, die sein Gesicht beschattete. Ich sah ihm kein bisschen ähnlich. Ich bin groß, mit schmalem Gesicht und glatt rasiert, während er ein rundliches, derbes Gesicht hat, mit einem schwächlichen Bart, vollen Lippen und sehr dunklen Augen. Meine Augen sind blau, seine sind geheimniskrämerisch, tiefliegend, und sein Blick ist immerzu misstrauisch. Ich wusste, dass er am liebsten weitergegangen wäre, ohne mich zu beachten, aber mein unvermutetes Erscheinen in dem Graben hatte ihn gezwungen, mich zur Kenntnis zu nehmen und sogar mit mir zu sprechen. «Der junge Simon war exzellent gestern Abend», sagte er mit geheuchelter Begeisterung.

«Das hat er mir auch erzählt», sagte ich, «mehrfach.»

Unwillkürlich lächelte er, auch wenn es nur ein winziges, belustigtes Zucken des Mundwinkels war und sofort unterdrückt wurde. «Der Tanz mit dem Kerzenständer?», fuhr er fort, als hätte er mich nicht gehört. «Das war gut.» Ich wusste, dass er Simon Willoughby lobte, um mich zu ärgern.

«Wo ist Simon überhaupt?», fragte ich. Üblicherweise hätte er bei seinem Lehrherrn John Heminges sein sollen.

«Ich …», begann Heminges, doch dann sah er nur belämmert vor sich hin.

«Er beschmutzt natürlich die Laken in irgendeinem

«Er hat Freunde in Westminster», sagte John Heminges peinlich berührt. Er ist etwas jünger als mein Bruder, vielleicht neunundzwanzig oder dreißig, spielt auf der Bühne jedoch gewöhnlich ältere Charaktere. Er ist ein gutartiger Mensch, weiß über die Abneigung zwischen meinem Bruder und mir Bescheid und tut sein wirkungsloses Bestes dagegen.

Mein Bruder hob den Blick zum Himmel. «Ich glaube nicht, dass es aufklart. Jedenfalls nicht rechtzeitig. Dann können wir heute Nachmittag nicht auftreten, und das ist Pech», er lächelte mich säuerlich an, «es bedeutet, dass du heute kein Geld bekommst.»

«Aber wir proben doch, oder?», fragte ich.

«Du wirst nicht fürs Proben bezahlt», sagte er, «nur für die Auftritte.»

«Könnten wir nicht Das Glück des toten Mannes zeigen?», warf John Heminges ein, der unser Gezanke beenden wollte.

«Nicht ohne Augustine und Christopher», sagte mein Bruder.

«Vermutlich nicht, nein, natürlich nicht. Zu schade! Es gefällt mir.»

«Es ist ein seltsames Stück», sagte mein Bruder, «auch wenn es seine Stärken hat. Zwei Paare und beide Frauen in andere Männer verliebt! Reichlich Gelegenheit für ein paar Tänzchen!»

«Wir nehmen Tänze in das Stück auf?», fragte John Heminges erstaunt.

«Warum falsch?»

«Weil die Väter der jungen Frauen den Trank zubereiten. Es sollte die Hexe sein! Was hat eine Hexe für einen Sinn, wenn sie nicht hext?»

«Sie hat einen Zauberspiegel», betonte ich. Das wusste ich, weil ich die Hexe spielte.

«Zauberspiegel», sagte er verächtlich. Er ging mit großen Schritten weiter, vielleicht, um mich abzuhängen. «Zauberspiegel!», wiederholte er. «Das ist ein marktschreierischer Trick. Magie liegt in den …», er hielt inne und beschloss dann, dass das, was immer er auch hatte sagen wollen, an mich vergeudet wäre. «Und es ist nicht entscheidend! Wir können das Stück ohne Augustine und Christopher nicht aufführen.»

«Wie ist es mit dem Verona-Stück?», fragte Heminges.

Wenn ich es gewagt hätte, diese Frage zu stellen, wäre ich ignoriert worden, aber mein Bruder mochte Heminges. Dennoch zögerte er, in meiner Gegenwart zu antworten. «Beinahe fertig», sagte er unbestimmt, «beinahe.» Ich wusste, dass er ein Stück schrieb, das in Verona spielte, einer Stadt in Italien, und dass er gezwungen worden war, die Arbeit daran zu unterbrechen, um sich ein Hochzeitsstück für unseren Gönner Lord Hunsdon einfallen zu lassen. Er hatte über die Unterbrechung gemurrt.

«Es würde mir mehr gefallen, wenn ich es beenden könnte», gab er wild zurück, «aber Lord Hunsdon wünscht ein Hochzeitsstück, also zum Teufel mit Verona.» Schweigend setzten wir unseren Weg fort. Zu unserer Rechten, jenseits des mit grünlichem Schaum überzogenen Grabens und einer Backsteinmauer, lag das Curtain, ein Schauspielhaus, das ein Konkurrent von uns gebaut hatte. Eine blaue Flagge wehte an der Stange auf dem hohen Dach. Sie verkündete, dass es an diesem Nachmittag eine Darbietung geben würde. «Wieder mal eine Tierschau», sagte mein Bruder höhnisch. Im Curtain hatte es seit Monaten kein Schauspiel mehr gegeben, und es sah danach aus, als würde es an diesem Nachmittag auch im Theatre keines geben. Wir hatten nichts aufzuführen, solange andere Schauspieler die Rollen Augustines und Christophers nicht gelernt hatten. Wir hätten das Stück aufführen können, das wir der Königin gezeigt hatten, wenn wir es in den letzten Monaten nicht schon zu oft gespielt hätten. Spiel ein Stück zu oft, und das Publikum neigt dazu, es leere Aleflaschen auf die Bühne regnen zu lassen.

Wir erreichten die Holzbrücke, die über den Abwasserkanal und zu einer breiten Lücke in der langen Backsteinmauer führte. Hinter der Lücke war das Theatre, unser Schauspielhaus, eine große Holzrotunde, so hoch wie ein Kirchturm. Es war James Burbages Einfall gewesen, das Schauspielhaus zu erbauen, und ebenfalls sein Einfall, die Brücke zu errichten und die Mauer zu durchbrechen, was bedeutete, dass unsere Gäste nicht die morastige

«Ja.»

«Pass auf, dass er wieder in den Umkleideraum zurückkommt», sagte er spitz und blieb an der Lücke in der Stadtmauer stehen. Er ließ John Heminges als Ersten durchgehen, und dann, zum ersten Mal, seit wir uns bei dem Graben getroffen hatten, sah er zu mir auf. Er musste aufsehen, weil ich einen ganzen Kopf größer war als er. «Bleibst du bei der Truppe?», fragte er.

«Das kann ich mir nicht leisten», sagte ich. «Ich habe Mietschulden. Du gibst mir nicht genügend Arbeit.»

«Dann hör auf, deine Abende im Falcon zu verbringen», lautete seine Antwort. Ich dachte, er würde nichts weiter sagen, denn er ging weiter, doch nach zwei Schritten drehte er sich wieder zu mir um. «Du bekommst mehr Arbeit», sagte er schroff. «Augustine ist krank, und sein Schauspielschüler hat das Fieber. Wir müssen sie ersetzen.»

«Augustines Rollen wirst du mir nicht geben», sagte ich, «und um Mädchen zu spielen, bin ich zu alt.»

«Du spielst, was wir dich zu spielen heißen. Wir brauchen dich, zumindest über den Winter.»

«Du brauchst mich!», warf ich ihm seine eigene Äußerung an den Kopf. «Dann bezahl mir mehr.»

Er beachtete meine Forderung nicht. «Wir fangen heute

Ich zuckte mit den Schultern. In Hester und Ahasuerus spielte ich Uashti, und in der Komödie war ich die Emilia. Ich kannte den gesamten Text. «Du zahlst William Sly doppelt so viel wie mir», sagte ich, «und meine Rolle ist genauso groß wie seine.»

«Vielleicht, weil er doppelt so gut ist wie du? Und davon abgesehen bist du mein Bruder», sagte er, als würde das alles erklären. «Bleib einfach noch über den Winter. Und danach machst du, was du willst. Verlass die Truppe und verhungere, wenn es das ist, wonach dir der Sinn steht.» Er ging weiter zum Schauspielhaus.

Ich spuckte ihm nach. Bruderliebe.

 

George Bryan schritt zur Rampe der Bühne und verbeugte sich so tief, dass er beinahe das Gleichgewicht verlor. «‹Edler Prinz›», sagte er, als er wieder sicheren Stand gefunden hatte, «‹gemäß meiner Verpflichtung werde ich Euch dienen, bis dass mich der Tod zunichtemacht.›»

Isaiah Humble, der Einsager, hüstelte, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. «Verzeihung! Es heißt: ‹Bis mich der Tod zunichtemacht.› Da steht kein ‹dass›. Verzeihung!»

«Mit dem ‹dass› ist es besser», sagte mein Bruder milde.

«Es ist mit oder ohne das ‹dass› ein maßloser Scheiß», sagte Alan Rust, «aber wenn George ‹dass› sagen will, Master Humble, dann sagt er ‹dass›.»

«Du hattest recht damit, ihn zu korrigieren», tröstete ihn mein Bruder, «das ist deine Aufgabe.»

«Trotzdem Verzeihung.»

George nahm schwungvoll seinen Hut ab und verbeugte sich erneut. «Blablabla», sagte er, «‹bis dass der Tod mich zunichtemacht.›» George Bryan, ein ängstlicher und sorgenvoller Mann, der merkwürdigerweise immer selbstbewusst und entschlossen wirkte, wenn das Schauspielhaus voll war, hatte den kranken Augustine Phillips ersetzt. Die Probe sollte ihn und Simon Willoughby, der Christopher Beestons Part übernommen hatte, in das Stück einbinden.

John Heminges quittierte Georges zweite Verbeugung mit einem trägen Winken. «‹Für eine Spanne Zeit gehn wir, Trost zu suchen, in unseren Obstgarten oder an einen andern Ort.›»

Mit einem gewaltigen Satz sprang Will Kemp auf die Bühne. «‹Wer möchte trinken Wein›», bellte er, «‹doch keine Reben hat, muss nach Frankreich schicken oder selber hin. Und tut er’s nicht, so muss er zusammenschrumpfen!›» Bei dem Wort zusammenschrumpfen ging er mit verschreckter Miene in die Hocke und umschloss mit beiden Händen seine Schamkapsel, was bei Simon Willoughby krampfhaftes Kichern auslöste.

«Gehen wir zu dem Obstgarten?» George unterbrach Will Kemp fragend.

«Zum Obstgarten, ja», sagte Isaiah, «oder zu irgendeinem anderen Ort. Das steht im Text: ‹Obstgarten oder

«Ich wüsste gern, ob es der Obstgarten ist.»

«Warum?», fragte Alan Rust streitlustig.

«Soll ich mir Bäume vorstellen? Oder einen Ort ohne Bäume?» George wirkte verunsichert. «Es hilft, wenn man es weiß.»

«Stell dir Bäume vor», blaffte Rust. «Apfelbäume. Wo du dem Haudegen begegnest.» Er deutete auf Will Kemp.

«Sind die Äpfel reif?», fragte George.

«Kommt es darauf an?», fragte Rust.

«Wenn sie reif sind», sagte George, der immer noch unsicher wirkte, «könnte ich einen essen.»

«Die Äpfel sind klein», sagte Rust, «nicht ausgereift, genau wie Simons Titten.»

«Stammt diese Geschichte nicht aus der Bibel?», warf John Heminges ein.

«Meine Titten sind nicht klein», sagte Simon Willoughby und drückte seine magere Brust mit den Händen hoch.

«Sie ist aus dem Alten Testament», sagte mein Bruder, «sie findet sich im Buch Esther.»

«Aber in der Bibel kommt niemand vor, der Haudegen genannt wird!», sagte John Heminges.

«Ab jetzt schon, verdammt», sagte Alan Rust. «Können wir weitermachen?»

«Das Buch Esther?», fragte George. «Warum heißt sie dann Hester?»

«Weil Hochwürden William Venables, der diesen Mist geschrieben hat, seinen Arsch nicht von seinem Schrumpfpimmel unterscheiden konnte», sagte Alan Rust

«Wenn es so schlecht ist», sagte George, «warum führen wir es dann wieder auf?»

«Fällt dir ein anderes Stück ein, das wir bis morgen einstudieren können?»

«Nein.»

«Da hast du dein Warum.»

«Mach weiter, Will», sagte mein Bruder erschöpft.

«Hier ist ein Brett lose», sagte George und tippte mit der Fußspitze vorn auf die Bühne, «deshalb bin ich beinahe hingefallen, als ich mich verbeugt habe.»

«‹Mir fehlen Trank und Speis›», machte Will Kemp vor den leeren Rängen des Theatre geltend, «‹doch, wie sag ich gern, auch ein blindes Huhn findet einmal ein Korn, und nun ist es an mir, befriedigt zu werden.›»

«Befriedigt zu werden!» Simon Willoughby machte sich vor Lachen beinahe in die Hose. Er war vor mir im Theatre angekommen und wirkte erstaunlich lebhaft und ausgeschlafen. «Bist du gestern Abend nicht nach Hause gegangen?», hatte ich ihn gefragt, doch zur Antwort hatte er mich nur angegrinst. «Hat er dich bezahlt?», fragte ich.

«Vielleicht.»

«Kannst du mir was leihen?»

«Ich muss auf die Bühne», hatte er gesagt und sich eilig davongemacht.

«Sollte das nicht heißen ‹Speis und Trank›?», unterbrach nun George wieder die Probe.

«Das ist mein Text», knurrte Will Kemp, «was kümmert dich das also?»

Ich war müde, also trottete ich aus dem Hof und durch den düsteren Tortunnel, an dem Jeremiah Poll, ein alter Soldat, der in Irland ein Auge verloren hatte, das äußere Tor bewachte.

«Es fängt bald wieder an zu regnen», sagte er, als ich vorbeikam, und ich nickte. Jeremiah sagte das immer, wenn ich an ihm vorbeiging, selbst an den wärmsten, trockensten Tagen. Ich hörte das Klirren und metallische Reiben von Schwertklingen, und als ich in das schwache Sonnenlicht trat, sah ich Richard Burbage und Henry Condell, die sich im Schwertkampf übten. Sie waren schnell, ihre Klingen zuckten herum, zogen sich zurück, kreuzten sich und stießen vor. Henry lachte über etwas, das Richard Burbage gesagt hatte, dann sah er mich, und sein Schwert richtete sich nach oben, während er zurücktrat und mit seiner Dolchhand das Signal zur Unterbrechung der Übung gab. Sie drehten sich beide zu mir um, doch ich gab vor, es nicht zu bemerken, und wandte mich zu der Tür, die zu den Zuschauerrängen führte. Als ich hindurchging, hörte ich sie lachen.

Ich stieg die kurze Treppe zum unteren Rang hinauf, wo ich die Bühne vor mir hatte, auf der sich George immer noch über Äpfel und lose Bretter aufhielt, und dann, während das Schwerterklirren wieder einsetzte, legte ich mich hin. Ich spielte Uashti, eine persische Königin, aber mein Text wurde noch wenigstens eine Stunde lang nicht gebraucht, also machte ich die Augen zu.

Ein Tritt an meine Beine weckte mich, und als ich die

«Was ist dort?», fragte ich, während ich mich aus dem Schlaf kämpfte und aufstand.

«Percies», sagte er, «in deinem Haus. Ich bin gerade vorbeigekommen.»

«Die sind wegen Pater Laurence da», erklärte ich, «die Bastarde.»

«Waren sie denn schon einmal dort?»

«Die Bastarde kommen jeden Monat.»

Pater Laurence wohnte wie ich im Haus der Witwe Morrison. Er war ein ehemaliger Priester, der das Zimmer direkt unter meiner Dachkammer gemietet hatte, wenn ich auch vermutete, dass die Witwe ihn umsonst dort wohnen ließ. Er war über sechzig und halb gelähmt vor Gliederschmerzen, besaß jedoch immer noch einen wachen Geist. Er war ein römisch-katholischer Priester, was in den meisten Fällen Grund genug war, um jemanden nach Tyburn oder zum Tower Hill zu schaffen, wo man ihm bei lebendigem Leibe die Eingeweide herausriss, doch Pater Laurence war ein marianischer Pfarrer, was bedeutete, dass er während der Regentschaft der Halbschwester unserer Königin, der katholischen Königin Mary, ordiniert worden war, und solche Männer durften am Leben bleiben, solange sie keinen Ärger machten. Pater Laurence machte keinen Ärger, aber die Persevanten, das waren die Männer, die verräterische Katholiken jagten, durchsuchten ständig sein Zimmer, als würde der arme alte Mann einen Jesuiten hinter seinem Nachtstuhl verstecken. Sie fanden nie etwas, weil mein Bruder die Messgewänder und Altarkelche

«Sie werden nichts finden», sagte ich, «wie immer.» Ich schaute zur Bühne hinunter. «Werde ich gebraucht?»

«Das ist der Tanz der Jüdin», sagte James Burbage, «also nein.»

Auf der Bühne paradierten Simon Willoughby, Billy Rowley, Alexander Cooke und Tom Belte in einer Reihe, angeführt von einem Mann, der einen Stab mit einem Silberknauf in der Hand hielt und sie damit auf die Beine oder Arme schlug. «Höher!», rief er. «Ihr seid hier, um eure Beine zu zeigen. Springt, ihr abgehalfterten Krabbelkinder, springt!»

«Wer ist das?», fragte ich.

«Ralph Perkins. Freund von mir. Er unterrichtet Tanz bei Hofe.»

«Bei Hofe?» Ich war beeindruckt.

«Die Königin sieht es gern, wenn gut getanzt wird. Genau wie ich.»

«Eins, zwei, drei, vier, fünf, springt!», rief Ralph Perkins. «Das ist eine Galliarde, ihr Lumpenbengel, kein Bauerntrampeltanz. Springt!»

«Verdammtes Pech, das mit Augustine und seinem Schüler», brummte James Burbage.

«Werden sie wieder gesund?»

«Wer weiß? Sie haben Brechmittel, Aderlass und Einläufe bekommen. Vielleicht hilft es. Ich bete darum.» Er runzelte die Stirn. «Simon Willoughby hat Beschäftigung, bis sich Christopher erholt hat.»

«Das wird ihm gefallen», sagte ich säuerlich.

Ich zuckte wortlos mit den Schultern. Ich fürchtete James Burbage. Er pachtete das Theatre, was ihn zum Herrn über das Gebäude, wenn nicht auch über das Grundstück, machte, auf dem es stand, und sein ältester Sohn, der Richard hieß wie ich selbst, war einer unserer wichtigsten Schauspieler. James war einst selbst Schauspieler gewesen und davor Zimmermann, und er besaß immer noch die muskulöse Statur eines Mannes, der mit den Händen arbeitet. Er war groß, grauhaarig, und seine Miene mit dem kurzen Bart war unnachgiebig, und auch wenn er selbst nicht mehr auftrat, so war er doch ein Teilhaber, einer der acht Männer, die sich die Ausgaben und die Gewinne des Theatre teilten. «Er verhandelt hart», hatte mir mein Bruder, der ebenfalls Teilhaber war, einmal erzählt, «aber er hält sich an sein Wort. Er ist ein guter Mann.» Nun blickte James stirnrunzelnd zur Bühne, während er mit mir sprach. «Denkst du immer noch ans Weggehen?»

Ich sagte nichts.

«Henry Lanman», sagte Burbage ausdruckslos, «hat der Bastard mit dir geredet?»

«Nein.»

«Versucht er, dich abzuwerben?»

«Nein», sagte ich erneut.

«Aber hat dein Bruder recht? Er sagt, du denkst daran, von uns wegzugehen. Stimmt das?»

«Ich habe darüber nachgedacht», sagte ich mürrisch.

«Sei kein Narr, Junge. Und lass dich nicht von Lanman verführen. Er verliert Geld.» Henry Lanman war der

«Ich habe nicht mit ihm gesprochen», beharrte ich wahrheitsgemäß.

«Dann hast du wenigstens noch einen Funken Verstand übrig. Er hat keinen Stückeschreiber und niemanden, der sie spielt.»