Impressum

Das Buch erschien 2002 zuerst, mit zahlreichen Abbildungen versehen, im Steidl Verlag, Göttingen.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Mai 2020

Copyright © 2020 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Für den Text: Copyright © 2002 by Steidl Verlag, Göttingen

Lektorat Ingrid Krüger

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Covergestaltung Anzinger und Rasp, München

Coverabbildung vom Autor

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ISBN 978-3-644-00342-2

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-00342-2

 

 

 

 

 

 

 

 

In diese rohe Mittagssonne könnte ich mich jetzt nicht setzen, das fühlte ich immerhin. Doch im Inneren des Cafés wäre es im dicken Rauch auch nicht besser gewesen. Die junge Frau wollte unbedingt in die Sonne. Wie sollte ich ihr begreiflich machen, dass mir nirgends wohl wäre, mit niemandem. Mit Widerwillen beobachtete ich, wie sie ihre von der Sonne bis in die Poren durchleuchtete, milchweiße Haut zur Schau stellte. Unterdessen spielte ich natürlich meine eigene Lebensrolle, den verständnisvollen und aufmerksamen Mann, obwohl ich mich unter den Strahlen der Sonne immer sonderbarer fühlte. Als könnte ich nicht richtig anwesend sein, weil ich immer unkontrollierbar woandershin rutschte. Ich soll eine Erklärung unterschreiben, die sie in meinem Namen aufgesetzt hat. Das Schriftstück blieb lange zwischen Kuchenteller und Mineralwasser auf dem Marmortisch liegen. Als wolle sie keinen Augenblick auf den Genuss der Sonne verzichten, erläuterte sie es mit geschlossenen Augen.

Sie präsentierte ihre blau bemalten, schamlos zitternden Lider.

Ich musste weiter, der Zahnarzt wartete. Während er in meinem Mund arbeitete, brach mir der Schweiß aus.

 

 

Und es nahm kein Ende.

Er bat seine Assistentin, eine ältere, gehetzt dreinblickende Frau, mich abzutrocknen.

Nicht nur die Stirn, ich bitte Sie, wies er sie gereizt zurecht. Ich sage doch, nicht nur die Stirn.

Ich muss erbärmlich ausgesehen haben, als ich schließlich aufstand. In solchen Situationen blickt man dem anderen höflich ins Gesicht und sonst nirgendwohin. Ich aber floh geradezu vor ihnen, hinaus aus der Praxis, das Treppenhaus tat dann gut, es war stumm und eiskalt. Ich stand in der offenen Korridortüre des fünften Stocks und wartete, bis mein aschgraues Seidenhemd einigermaßen trocken war.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Man hat keine blasse Ahnung, was im eigenen Organismus vor sich geht. Wieso kann ich nicht weitergehen, ich verstehe das nicht, ich bin doch nicht ohnmächtig. Man muss sich damit abfinden, es ist einfach nicht zu erklären. Am besten so tun, als wäre alles in schönster Ordnung. Anerzogenen Handlungsmustern folgen und die Realität des eigenen Zustandes leidenschaftlich leugnen. Unterdessen kritisch unter den möglichen Ursachen wählen. Alles ist zu komplex. Das Problem ist, dass mir heiß ist und ich schwitze. Dass ich unfähig bin, äußere und innere Komplikationen zu entwirren. Es gibt Ursachen, die so peinigend sind, dass man sie nach den Regeln des inneren Monologs nicht einmal vor sich selbst anzudeuten wagt, darum sind auch die ursächlichen Zusammenhänge nicht durchschaubar. In letzter Zeit habe ich zu viel gearbeitet, sagt man, ich bin angespannt, sagt man, ich bin erschöpft. Oder schwitzt man nicht deshalb, fragt man sich, weil man wieder von allem und allen angeekelt ist. Man flüchtet sich hinter Ausdrücke, die auch andere gebrauchen und die einem schon zum Hals heraushängen.

 

 

 

 

Man ist natürlich erfreut, mit welchen zweifelhaften Überraschungen der Körper aufwartet, bewundert sich auch gleich selbst, zu welchen Sensationen man im letzten Moment des Lebens doch imstande ist. Der Schmerz hatte eine unbekannte Intensität. Ich hoffte aufrichtig, nicht aus Überraschung vor aller Augen zusammenzuklappen. Mir kam auch der Gedanke, dass mich eventuell der Hunger geschwächt haben könnte.

Wenn ich jetzt in das Bierlokal des Hotels gehe, ersticke ich.

Das Restaurant im ersten Stock ist erheblich teurer, dafür wesentlich besser belüftet. Aber dazu müsste ich die Treppe hinauf.