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Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Januar 2019

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ISBN Printausgabe 978-3-498-06448-8 (1. Auflage Januar 2019

ISBN E-Book 978-3-644-00113-8

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-00113-8

Warum fertig werden?

Moses Mendelssohn, deutscher Philosoph und jüdischer Reformator, Brief (1. September 1784)

Die Absicht hinter dieser Frage ist Menschen so vertraut, dass einem das Erstaunliche daran nur allzu leicht entgeht. Wenn wir einander auffordern, uns an der Schönheit der Natur ein Exempel zu nehmen, dann wollen wir tatsächlich genau das nicht. Im Gegenteil. Wir finden die Menschheit doch gerade dann besonders hässlich, wenn sie so bleibt, wie sie ist. Uns beschleicht sogar das Gefühl, dass es besser wäre, die Welt von uns zu heilen, damit die Natur

Die Vorstellung einer unerbittlichen Wiederkehr des ewig Gleichen erfreut im Leben und in der Geschichte nur, wenn wir diejenigen sind, die damit die Welt erschrecken, oder zu denen gehören, die ihr eigenes Tun gern als Naturgewalt tarnen möchten. Morden im Einklang mit dem Kreislauf von Werden und Vergehen wäre schließlich nur Töten, so wie auch der Fuchs die Gans holt, weil seine Natur es ihm vorschreibt – nicht der Rede, erst recht nicht der Erinnerung, also auch keiner Rechtfertigung wert. Aber noch den ärgsten Schlächter kann der Gedanke provozieren, dass alles menschliche Wollen vergeblich ist und zu gar nichts führt. Auch wenn wir wissen, wie man den Fatalismus bei Bedarf heranzitiert, wenn er als Pose nützt, sind Menschen weder begabt für das Anything goes noch für ein Laisser-faire, und noch das abgeklärteste Achselzucken über das ach so menschliche Treiben hinterlässt vor allem den Eindruck, dass sich hier nur ein Besserwisser präpariert, der hinterher schon immer alles vorher gewusst haben will.

Es mag durchaus sein, dass die Entwicklung der Zivilisation wesentlich eine Geschichte der Gewalt ist. Vielleicht

Wer von Gesetz, Maß und Ordnung weiß, kann sich

Wenn Menschen dazu entschlossen sind, dass etwas nicht mehr sein soll, überwinden sie es, auch wenn es Jahrtausende Bestand hatte. Wir agieren nicht nur aus Trieben oder Tradition, sondern auch aus Prinzip. Sobald wir es wollen, können wir Sexualität reglementieren und kein Fleisch mehr essen. Wir konnten für den Frieden aufrüsten und für den Frieden abrüsten, die Prügelstrafe einführen und Energiespargesetze aufstellen, Kriege ächten und uns auch dazu entschließen, noch dem aufgeschlossen zu begegnen, was wir nicht kennen. Der Einzelne hat ebenso wie die Gemeinschaft die Freiheit zur Neuausrichtung gegen die Gewohnheiten der Vorfahren, womit noch nichts darüber gesagt ist, wie wir das Ergebnis dieser Verabschiedung von Tradiertem im Einzelnen beurteilen. Die für ihre unerschütterliche Nüchternheit gelobten Hamburger rissen Anfang des 18. Jahrhunderts den Mariendom ab und buddelten sogar die Fundamente aus, weil sie das vormalige Gotteshaus nicht mehr heilig, sondern nur noch entbehrlich fanden und vor allem den Platz samt Baustoff anderweitig für das Gemeinwohl verwenden wollten. Reste des einst mächtigen gotischen Prachtbaus finden sich heute unter einem Park, der zuvor ein Parkplatz war, im Namen eines Hamburger Jahrmarkts und im Röhrenbau der Kanalisation. Die Berliner hingegen bauen ein Stadtschloss wieder auf, obwohl die Deutschen seit hundert Jahren keinen Kaiser mehr haben und mehrheitlich auch keinen vermissen. Aber wenn uns Derartiges möglich ist, warum nicht auch die Ausrichtung unseres Lebens an der Vernunft?

Nun kann ja, wer die menschliche Gesellschaft über

Wenn es nur nicht so langsam ginge. Und wenn da vor allem nicht die unvermuteten Rückschläge wären.

Der Mensch kann noch so viel über das Vernünftige wissen und noch so genau erkennen, was das Richtige wäre, sobald es aber ans Handeln geht, zwingt ihn rein gar nichts, sich an sein eigenes Wissen zu halten. Wir sind so radikal frei, dass uns noch nicht einmal unsere tiefsten Überzeugungen binden. Vernünftig sein und moralisch handeln wollen heißt noch lange nicht, es auch zu tun. Auch werden Kinder geboren und damit immer wieder Menschen, die gar nichts von Aufklärung wissen. Und dann sind da noch diejenigen,

Aufklärer waren von Anfang an für den Gedanken empfänglich, dass es vielleicht doch mehrere Wege zur vernünftigen Gestaltung der Welt geben könnte als das mühsame Warten auf die Selbstrationalisierung der Menschen zu mündigen Individuen. Als Wesen, die aus der Geschichte lernen können, wissen wir nämlich längst, dass jedes Warten Opfer kostet, die auch die Wartenden zu verantworten haben. Die Suche nach Abkürzungen, also Mitteln, der Vernunft nicht nur rational Eingang in das menschliche Verhalten zu verschaffen, hat natürlich auch damit zu tun, dass es auf Dauer ziemlich langweilig ist, vernünftig zu sein, einem also auch beim besten Willen die Motivation abhandenkommen kann. Es macht keinen Spaß, es ist nicht verwegen und so wenig originell, dass man sich nicht einmal mit seinem

Es geht ja nicht nur darum, den einen oder anderen für die Kultivierung seiner eigenen Erkenntnisvermögen zu begeistern, damit es zumindest für einen kleinen Club der Anständigen reicht, die sich im herrschaftsfreien Diskurs und vor allem im Herabsehen auf alle anderen üben. Es geht nicht um eine gönnerhafte Popularisierung der Philosophie. Es geht um die Frage, wie sich ein Wir schaffen und erhalten lässt, das dauerhaft zusammenhält, weil es das bessere Bindemittel hat. Denn das Streben nach Selbsterhaltung und Erfolg, die Notwendigkeit der Versorgung und Sicherheit für Leib und Besitz, ja sogar gute allgemeine Lebens- und Erwerbsbedingungen konnten Rückfälle nachweislich nicht verhindern. Zweckbündnisse sind schließlich nur Gelegenheitsverbindungen, und wer sie eingeht, ist allein darum für Versprechen einer besseren Gelegenheit immer empfänglich. Wer nach einem Wir fragt, das wirklich eines ist, sucht nicht weniger als die Menschheitsidentität, die etwas ganz anderes ist als ein sich von Fall zu Fall zusammenraufender Haufen aus diversen Gruppen von Menschen, die gerade mal wieder schmerzhaft erfahren, dass sich manche Probleme auf einem begrenzten Planeten doch nicht aussitzen oder allein und mit ein wenig Folklore lösen lassen.

Entgegen einer beliebten Unterstellung ist Aufklärung nicht nur ein Glückseligkeitsversprechen von ewigem Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand für alle. Wobei einem schon in dem Fall wenig einfiele, was dagegen spräche, es sei denn, man gehört zu den Zeitgenossen, denen die Diesseitigkeit dieses Konzepts zu nüchtern ist, weil die Träume vom jenseitigen Paradies die unerfreuliche Tatsache erträglicher machen, dass jeder sterben wird, oder weil faire

Wer jetzt einwerfen möchte, dass doch schon allein die Vorstellung, es könnte sich je etwas ändern, hoffnungslos

Genau diese eigentümliche Verknüpfung vom Guten und Wahren mit dem Schönen weckt seit je eine Hoffnung. Wenn dem Menschen das vernünftige Handeln und die Aufrichtigkeit im Urteil über die eigenen Möglichkeiten so schwerfallen, könnten wir dann nicht stattdessen auf das zurückgreifen, was uns offensichtlich viel leichter fällt, nämlich auf unsere Empfänglichkeit für das Schöne? Ließe sich also der Mensch vielleicht mehr auf seine Vernunft ein,

Hinter der Erwartung, die moralische Verbesserung der Menschen ließe sich durch eine Schule des hässlichen Sehens beschleunigen, steckt sehr viel mehr als die Erfahrung des Pädagogen, der auf Anschaulichkeit zurückgreift, um abstrakte Gedanken zu vermitteln. Wem es um eine Abkürzung des Wegs zum ethischen Fortschritt geht, der möchte nicht nur Lerninhalte vermitteln, denn es geht gerade nicht darum, etwas Hässliches zu erkennen, sondern es vor allem wirklich zu lassen. Der Versuch, Gedachtes anschaulich werden zu lassen, gilt nicht nur der Illustration. Hier soll ein Bild leisten, was Gedanken nicht schaffen: die unmittelbare handlungsleitende Erkenntnis.

Das Vertrauen in die Bildgewalt ist das Vertrauen auf die Unschuld des Sehens.

Dass Bilder wie jeder Eindruck auf unsere Sinne zumindest mächtiger sind als Worte, und seien es auch noch so viele, gehört zum Glaubensbekenntnis eines jeden, der darauf vertraut, dass es Mahnmale gibt. Daran glauben aber auch diejenigen, die Bilder am liebsten verbieten möchten. Denn worauf sonst gründet sich die Furcht, dass allein das Betrachten der falschen Bilder, das Anschauen falscher Filme oder das Spielen falscher Spiele aus einem ganz normalen