Der weiße Reiter

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel «The Pale Horseman» bei HarperCollins, New York

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Oktober 2009

Copyright © 2007 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

«The Pale Horseman» Copyright © 2006 by Bernard Cornwell

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Redaktion Karolina Fell

Karte Peter Palm

Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt

nach der Originalausgabe von HarperCollins Publishers Ltd 2010

Umschlagabbildung masterfile

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen

ISBN Printausgabe 978-3-499-24283-0 (9. Auflage 2009)

ISBN E-Book 978-3-644-40781-7

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-40781-7

 

Ac her forþ berað; fugelas singað, gylleð grœghama.

Denn hier beginnt Krieg, Aasvögel singen und graue Wölfe heulen.

 

Aus: The Fight at Finnsburgh

Ortsnamen

Æthelinggæ: Athelney, Somerset

Afen: Fluss Avon, Wiltshire

Andefera: Andover, Wiltshire

Baðum (Bathum ausgesprochen): Bath, Avon

Bebbanburg: Bamburgh Castle, Northumberland

Brant: Brent Knoll, Somerset

Bru: Fluss Brue, Somerset

Cippanhamm: Chippenham, Wiltshire

Contwaraburg: Canterbury, Kent

Cornwalum: Cornwall

Cracgelad: Cricklade, Wiltshire

Cridianton: Crediton, Devon

Cynuit: Cynuit Hillfort, nahe Cannington, Somerset

Dærentmora: Dartmoor, Devon

Defereal: Kingston Deverill, Wiltshire

Defnascir: Devonshire

Dornwaraceaster: Dorchester, Dorset

Dreyndynas: ‹Dornenburg›, fiktionaler Ort in Cornwall

Dunholm: Durham, Grafschaft Durham

Dyfed: Südwestwales, größtenteils in den heutigen Grenzen der Grafschaft Pembrokeshire

Dyflin: Dublin, Irland

Eoferwic: York (dänisch: Jorvic, Yorvik ausgesprochen)

Ethandun: Edington, Wiltshire

Exanceaster: Exeter, Devon

Exanmynster: Exminster, Devon

Gewæsc: The Wash

Gifle: Yeovil, Somerset

Glwysing: Walisisches Königreich, in etwa auf dem Gebiet von Glamorgan und Gwent

Hamptonscir: Hampshire

Hamtun: Southampton, Hampshire

Lindisfarena: Lindisfarne (Heilige Insel), Northumberland

Lundene: London

Lundi: Lundy Island, Devon

Mærlebeorg: Marlborough, Wiltshire

Ocmundtun: Okehampton, Devon

Palfleot: Pawlett, Somerset

Pedredan: Fluss Parrett

Penwith: Land’s End, Cornwall

Readingum: Reading, Berkshire

Sæfern: Fluss Severn

Sceapig: Isle of Sheppey, Kent

Scireburnan: Sherborne, Dorset

Sillans: The Scilly Isles

Soppan Byrg: Chipping Sodbury, Gloucestershire

Sumorsæte: Somerset

Suth Seaxa: Sussex (Südsachsen)

Tamur: Fluss Tamar

Temes: Fluss Thames

Thon: Fluss Tone, Somerset

Thornsæta: Dorset

Uisc: Fluss Exe

Werham: Wareham, Dorset

Wilig: Fluss Wylye

Wiltunscir: Wiltshire

Winburnan: Wimborne Minster, Dorset

Wintanceaster: Winchester, Hampshire

Erster Teil Wikinger

Eins

Wir hatten die Dänen in der weiten Sumpflandschaft am Rande der Sæfern-See zum Kampf gestellt, und wir hatten sie geschlagen. Es war eine große Schlacht geworden, und ich, Uhtred von Bebbanburg, hatte einen großen Anteil an unserem Sieg. Denn als sich der große Ubba Lothbrokson, der von allen gefürchtete dänische Anführer, gegen Ende der Schlacht mit seiner mächtigen Streitaxt gegen unseren Schildwall warf, bot ich ihm die Stirn, rang ihn nieder, und ich schickte ihn in die Reihen der Einherjar, jener gefallenen Krieger, die in Odins Leichenhalle feiern und schmausen.

Nach diesem Sieg hätte ich Leofrics Rat befolgen und unverzüglich nach Exanceaster reiten sollen, wo Alfred, der König der Westsachsen, Guthrum belagerte. Ich hätte, tief in der Nacht dort angekommen, den König aus dem Schlaf wecken und ihm Ubbas Rabenbanner und seine Streitaxt, an der noch Blut klebte, vor die Füße legen sollen. Ich hätte dem König die gute Nachricht bringen sollen, dass die Dänen vernichtend geschlagen und die wenigen, die überlebt hatten, auf ihren Drachenschiffen

Stattdessen aber machte ich mich auf den Weg zu Frau und Kind.

Jung wie ich war, wollte ich lieber Mildrith pflügen als den Lohn für meine Taten einfordern. Das war ein Fehler, doch wenn ich zurückschaue, bedauere ich es eigentlich nicht. Das Schicksal ist unerbittlich, und Mildrith zu pflügen, die ich nicht hatte heiraten wollen und die ich eines Tages hassen sollte, war mir damals eine allzu große Verlockung.

Es war ein Samstag in jenem späten Frühjahr 877, an dem ich, statt Alfred aufzusuchen, nach Cridianton ritt. Ich nahm zwanzig Männer mit und versprach Leofric, gegen Sonntagmittag in Exanceaster einzutreffen, um Alfred wissen zu lassen, dass wir die Schlacht gewonnen und sein Königreich gerettet hatten.

«Der junge Odda wird schon dort sein», warnte mich Leofric. Leofric war doppelt so alt wie ich, ein in zahllosen Kämpfen gegen die Dänen gestählter Krieger. «Hast du mich verstanden?», fragte er, weil ich nichts sagte. «Der junge Odda wird schon dort sein», wiederholte er. «Er ist ein Stück Gänseschiss und wird dem König weismachen, dass ihm der Sieg zu verdanken sei.»

«Die Wahrheit kommt immer an den Tag», entgegnete ich hochmütig.

Leofric lachte bloß darüber. Er war ein bärtiges, gedrungenes Raubein, dem eigentlich der Oberbefehl über Alfreds Flotte zustand. Doch weil er von niederer Geburt war, hatte Alfred wider Willen beschieden, dass ich seine zwölf Schiffe kommandieren sollte, denn ich war ein Aldermann, ein Adelsspross, und es gehörte sich so, dass

«Wir werden morgen bei Alfred vorsprechen», sagte ich.

«Und Odda geht schon heute zu ihm», erwiderte Leofric geduldig.

Odda der Jüngere war der Sohn Oddas des Älteren, der meiner Frau Obdach geboten hatte. Der Jüngere mochte mich nicht, hatte er doch selbst darauf gehofft, Mildrith zu pflügen. Außerdem war er, genau wie Leofric sagte, ein Stück Gänseschiss, schmierig und glitschig, weshalb die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte.

«Wir werden morgen bei Alfred vorsprechen», wiederholte ich. Und so ritten wir am nächsten Morgen nach Exanceaster, zusammen mit Mildrith, unserem Sohn und seiner Amme. Wir fanden Alfred im Norden der Stadt, wo sein grün-weißes Banner über den Zelten wehte, inmitten von anderen Fahnen, einer bunten Vielzahl von Insignien mit Tieren, Kreuzen, Heiligen und Waffen, die davon kündeten, dass sich die großen Männer von Wessex um ihren König geschart hatten. Auf einem dieser Banner prangte ein schwarzer Hirsch, was Leofrics Voraussage bestätigte: Odda der Jüngere war schon in Defnascir zugegen. Zwischen dem Südrand des Lagers und den Stadtmauern befand sich ein großer Pavillon aus Segeltuch, das über Stangen gespannt war. Ich ahnte, dass Alfred, statt gegen Guthrum zu kämpfen, mit ihm Gespräche eingeleitet

Der Bischof, der den Gottesdienst abhielt, machte eine Pause, um auf eine Antwort seiner Gemeinde zu warten. Odda nahm die Gelegenheit wahr und blickte wieder nach vorn. Er kniete unmittelbar neben Alfred, was darauf hindeutete, dass er sich der besonderen Gunst des Königs erfreute. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass er ihm das Rabenbanner und Ubbas Streitaxt überbracht und den Sieg über die Dänen für sich beansprucht hatte. «Eines Tages», flüsterte ich Leofric zu, «schlitze ich den Bastard von oben bis unten auf und tanze auf seinen Gedärmen.»

«Das hättest du schon gestern tun sollen.»

Einer der vielen Priester aus Alfreds Gefolge zog sich, als er mich sah, auf den Knien rutschend möglichst unauffällig aus der ersten Reihe vor dem Altar zurück, stand auf und eilte auf mich zu. Er hatte rotes Haar und eine verkrüppelte linke Hand, er schielte, und auf seinem hässlichen Gesicht zeigte sich freudige Überraschung. «Uhtred!», rief er, während er auf unsere Pferde zulief. «Uhtred! Wir dachten, du seist tot!»

«Ich?», sagte ich grinsend zu dem Priester. «Tot?»

«Man hat dich doch zur Geisel genommen!»

Richtig. Ich war eine der zwölf englischen Geiseln in

«Wie sollte das möglich gewesen sein?»

«Ich habe vor Cynuit gekämpft, Vater. Davon hätte Euch Odda der Jüngere berichten können und auch davon, dass ich überlebt habe.»

Beocca hörte meiner Stimme wohl an, wie zornig ich war, und sah, dass ich Odda, während wir miteinander sprachen, nicht aus den Augen ließ. «Du warst vor Cynuit?», fragte er nervös.

«Hat Euch das der junge Odda nicht gesagt?»

«Nein, mit keinem Wort.»

«Mit keinem Wort!» Ich trieb mein Pferd voran, geradewegs auf Odda und die knienden Männer zu. Beocca wollte nach meinem Zügel greifen, um mich aufzuhalten, doch ich wich ihm aus. Leofric, besonnener als ich, hielt sich zurück, während ich nach vorn drängte, bis ein Weiterkommen in der Menge nicht mehr möglich war. Den Blick unverwandt auf Odda geheftet, fragte ich Beocca: «Hat er Euch nicht beschrieben, wie Ubba starb?»

«Er sagte, Ubba sei im Schildwall gefallen», antwortete Beocca leise zischend, um die Liturgiefeier nicht zu stören, «und dass zu seinem Tod viele Männer beigetragen hätten.»

«Ist das alles?»

«Er sagte noch, dass er Ubba von Mann zu Mann entgegengetreten sei.»

«Und wer, glaubt man, hat Ubba Lothbrokson getötet?», fragte ich.

Mir aber stand der Sinn nach Streit, und so fragte ich ein zweites Mal: «Wer, glaubt man, hat Ubba Lothbrokson getötet?»

Beocca wich meiner Frage aus. «Wir danken Gott, dass dieser Heide tot ist», sagte er und gestikulierte mit der verkrüppelten Hand, um mich zum Schweigen zu bringen.

«Wen haltet Ihr denn für den Bezwinger Ubbas?», fragte ich und setzte, weil er mir eine Antwort schuldig blieb, nach: «Glaubt Ihr etwa, Odda habe ihn getötet?» Beoccas Miene verriet, dass er tatsächlich dieser Meinung war. Wütend und so laut, dass es jeder hören konnte, sagte ich: «Ich bin es, der Ubba gestellt hat. Wir kämpften Mann gegen Mann, nur er und ich. Mein Schwert gegen seine Axt. Und er war unverwundet, als der Kampf begann, und am Ende war er tot, Pater. Ich habe ihn zu seinen Brüdern in die Halle der Toten geschickt.» Ich war inzwischen außer mir vor Wut und brüllte laut; aufgeschreckt starrten mich alle an. Der Bischof, in dem ich den obersten Hirten von Exanceaster erkannte, derselbe Mann, der mich und Mildrith getraut hatte, runzelte nervös die Stirn. Nur Alfred schien ungerührt. Dann aber erhob er sich zögernd und sah mich an, während ihm seine Frau Ælswith mit dem

«Will hier irgendjemand bestreiten, dass ich, Uhtred von Bebbanburg, Ubba Lothbrokson im Zweikampf getötet habe?», brüllte ich durch die Zeltkapelle.

Alles schwieg. Es war nicht meine Absicht gewesen, den Gottesdienst zu stören, aber nun hatte unbändiger Stolz und rasende Wut Besitz von mir ergriffen. Die Fahnen schlugen im böigen Wind, Regenwasser tropfte von den Rändern der Zeltplanen, und aller Augen waren auf mich gerichtet. Niemand antwortete, doch alle sahen, dass ich Odda fixierte, dem es offenbar die Sprache verschlagen hatte. «Wer hat Ubba getötet?», brüllte ich ihn an.

«Dein Verhalten ist ungebührlich», herrschte mich Alfred an.

«Das hier hat Ubba zu Fall gebracht», entgegnete ich und zückte Schlangenhauch, mein Schwert.

Und das war mein nächster Fehler.

 

Während ich im Winter als eine der an Guthrum ausgelieferten Geiseln in Werham festgesessen hatte, war in Wessex ein neues Gesetz beschlossen worden, das mit Ausnahme der königlichen Leibwache jedermann streng untersagte, in Anwesenheit des Königs eine Waffe zu ziehen. Mit diesem Verbot sollte nicht nur Alfred geschützt, sondern auch verhindert werden, dass Streitereien unter seinen Gefolgsleuten womöglich tödlich endeten. Ich hatte also, indem ich Schlangenhauch zog, unwissentlich gegen dieses Gesetz verstoßen, worauf ich mich plötzlich von Alfreds Wachen umzingelt sah, die mit Speeren und blanken Klingen näher rückten, bis Alfred, in rotem Umhang und barhäuptig, mit lautem Ruf verlangte, dass sich niemand mehr vom Fleck bewegen solle.

Ich steckte Schlangenhauch in die Scheide zurück, nicht zuletzt, weil mich Beocca flüsternd dazu aufgefordert hatte, mich nicht wie ein Narr aufzuführen und das Schwert zu senken. Jetzt zerrte er an meinem rechten Bein, damit ich aus dem Sattel stieg und vor Alfred, den er verehrte, niederkniete. Ælswith, Alfreds Gemahlin, starrte mich voller Abscheu an. «Er muss bestraft werden», rief sie.

Der König deutete auf eines seiner Zelte und sagte: «Erwarte dort mein Urteil.»

Mir blieb keine Wahl, ich musste gehorchen, denn seine vollgerüsteten Gardetruppen drängten auf mich ein. Und so wurde ich zu dem Zelt geführt, wo ich vom Pferd abstieg und durch die Luke ins Innere schlüpfte. Es roch nach welkem, zertretenem Gras. Der Regen prasselte auf die Zeltplane aus Leinen und tropfte durch ein Leck auf einen Altar, auf dem ein Kruzifix und zwei leere Kerzenständer standen. Anscheinend war das Zelt die Privatkapelle des Königs. Alfred ließ mich lange warten. Die Versammlung der Betenden zerstreute sich, der Regen hörte auf, und

«Wulfhere», antwortete ich. «Aldermann von Wiltunscir.» Er war ein Vetter des Königs und eine führende Macht in Wessex.

Er nickte. «Und weißt du auch, wer dieser verdammte Esel ist?», fragte er mit Blick auf Æthelwold, der ein Bündel aus weißem Tuch in der Hand hielt.

«Wir kennen uns», sagte ich. Æthelwold war nur etwa einen Monat jünger als ich und konnte, wie mir schien, von Glück reden, dass sein Onkel Alfred ein so guter Christ war, denn sonst wäre ihm schon längst die Kehle durchgeschnitten worden. Er sah sehr viel besser aus als Alfred, war aber töricht, gedankenlos und meist betrunken. An diesem Sonntagmorgen aber schien er halbwegs nüchtern zu sein.

«Ich bin dazu bestimmt worden, mich um Æthelwold zu kümmern», sagte Wulfhere. «Und um dich. Auf Befehl

«Eine Geldbuße?», fragte ich.

«Darauf steht der Tod, du Narr, der Tod. Das Gesetz wurde letzten Winter erlassen.»

«Davon wusste ich doch nichts.»

Wulfhere ignorierte meinen Einwurf und sagte: «Aber Alfred lässt Gnade vor Recht ergehen. Du wirst also nicht am Galgen baumeln. Jedenfalls nicht heute. Allerdings verlangt er deine Zusicherungen, den Frieden zu wahren.»

«Welchen Frieden?»

«Seinen verdammten Frieden, du Dummkopf. Er will, dass wir gegen die Dänen kämpfen, nicht dass wir uns gegenseitig aufschlitzen. Fürs Erste also musst du geloben, Frieden zu wahren.»

«Fürs Erste?»

«Fürs Erste», wiederholte er ausdruckslos. Ich zuckte mit den Achseln, was er als Einverständnis deutete. «Du hast Ubba getötet?», fragte er.

«Ja.»

«So hört man.» Er nieste. «Kennst du Edor?»

«Ich kenne ihn», antwortete ich. Edor war einer von Aldermann Oddas Gefolgsleuten, der die Männer von Defnascir angeführt und bei Cynuit an unserer Seite gekämpft hatte.

«Edor hat mir berichtet, was geschehen ist», sagte Wulfhere, «aber nur weil er mir vertraut. Zum Teufel, halt deine Finger bei dir!» Die letzten Worte waren an Æthelwold

«Edor hat es Euch gesagt?» Ich schaffte es kaum, meine Wut zu beherrschen. «Aber nur, weil er Euch vertraut? Ist das, was vor Cynuit geschehen ist, etwa ein Geheimnis? Tausend Männer haben mich Ubba töten sehen!»

«Aber dessen rühmt sich nun der junge Odda», entgegnete Wulfhere. «Sein Vater ist schwer verwundet; wenn er stirbt, wird Odda der Jüngere einer der reichsten Männer von Wessex sein. Ihm unterstehen dann mehr Soldaten und Priester, als du es dir je erträumen könntest. Und deshalb wird ihn gewiss niemand herausfordern, verstehst du? Alle werden so tun, als glaubten sie ihm, damit er sich ihnen gegenüber großzügig verhält. Der König glaubt ihm bereits, und warum auch nicht? Odda hat ihm Ubba Lothbroksons Banner und seine Streitaxt zu Füßen gelegt, ist vor ihm auf die Knie gesunken, hat Gott gepriesen und gelobt, bei Cynuit eine Kirche und ein Kloster zu bauen. Und was hast du getan? Bist auf deinem verdammten Ross in einen Gottesdienst galoppiert und hast dein Schwert gezogen. Das war nicht gerade besonders klug.»

Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, denn Wulfhere hatte recht. Alfred war überaus fromm, und wer es in Wessex zu etwas bringen wollte, musste ihm schmeicheln,

«Odda ist ein Tölpel», fügte Wulfhere zu meiner Überraschung hinzu, «aber er ist jetzt Alfreds Tölpel, und daran wirst du nichts ändern.»

«Aber ich habe Ubba …»

«Ich weiß, was du getan hast», fiel mir Wulfhere ins Wort. «Wahrscheinlich ahnt auch Alfred, dass du die Wahrheit sagst, aber er zieht es vor zu glauben, dass Odda den Sieg erst möglich gemacht und Ubba gemeinsam mit dir bezwungen hat. Im Grunde kann es ihm ja auch egal sein, wer ihm den Todesstoß versetzte. Hauptsache, Ubba ist tot. Und diese gute Nachricht hat nun einmal Odda übermittelt, und deshalb kann er seinen Wanst jetzt in Alfreds Gunst sonnen. Aber falls du unbedingt von den königlichen Truppen aufgeknüpft werden möchtest, musst du dich nur mit Odda anlegen. Hast du mich verstanden?»

«Ja.»

Wulfhere seufzte. «Dann scheint also zu stimmen, was Leofric gesagt hat, nämlich dass du am Ende schon noch Verstand annehmen würdest, wenn ich ihn dir nur lange genug in deinen verdammten Dickschädel einprügele.»

«Ich möchte mit Leofric sprechen», sagte ich.

«Das geht nicht», entgegnete Wulfhere scharf. «Er wurde nach Hamtun zurückgeschickt, wohin er schließlich auch gehört. Aber du bleibst hier. Die Flotte wird unter ein anderes Oberkommando gestellt. Du musst büßen.»

Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben. «Was muss ich?», fragte ich.

«Kriechen», antwortete Æthelwold; es war sein erstes Wort überhaupt. Er grinste mich an. Wir waren zwar nicht das, was man Freunde nennen könnte, hatten aber schon

«Und zwar jetzt gleich», ergänzte Wulfhere.

«Ich will verflucht sein, wenn ich …»

«Verflucht bist du so oder so», blaffte Wulfhere, riss Æthelwold das weiße Bündel aus der Hand und warf es mir vor die Füße. Es war ein Büßerhemd, und ich ließ es auf dem Boden liegen. «Um Himmels willen», sagte Wulfhere. «Nimm Vernunft an. Du hast ein Weib und Ländereien, oder? Was passiert wohl, wenn du dich dem König widersetzt? Willst du geächtet werden? Willst du, dass deine Frau in ein Kloster gesteckt wird? Willst du, dass sich die Kirche dein Land unter den Nagel reißt?»

Ich starrte ihn an. «Alles was ich getan habe, war, Ubba zu töten und die Wahrheit zu sagen.»

Wulfhere seufzte. «Du bist Northumbrier», sagte er. «Ich weiß nicht, wie es bei euch da oben zugeht, aber hier bist du in Alfreds Wessex. Und in Wessex ist alles erlaubt, nur eins nicht: Alfreds Kirche zu verunglimpfen. Aber genau das hast du getan, und dafür lässt er dich jetzt büßen.» Er verzog das Gesicht, weil der Regen nun noch heftiger auf das Zeltdach prasselte. Dann betrachtete er mit gerunzelter Stirn die Pfütze, die sich vor dem Eingang gebildet hatte. Nach längerem Schweigen sah er mir mit seltsamer Miene in die Augen. «Glaubst du, von alldem wäre irgendetwas von Bedeutung?»

Das glaubte ich allerdings, aber seine Frage und die leise Bitterkeit in seiner Stimme erstaunten mich so sehr, dass mir keine Antwort einfiel.

«Glaubst du, durch Ubbas Tod verändert sich etwas?», fragte er, und wieder war mir, als hätte ich mich verhört. «Und glaubst du wirklich, wir wären die Sieger, falls sich

Ich wusste auch darauf nichts zu sagen. Æthelwold hörte, wie mir auffiel, sehr aufmerksam zu. Er sehnte sich auf den Thron, hatte aber keine Gefolgschaft. Wulfhere war verantwortlich dafür, dass Æthelwold keinen Ärger machte, deutete jedoch mit seinen Worten an, dass es so oder so Ärger geben werde. «Tu einfach, was Alfred von dir will», riet er mir. «Und anschließend versuche, am Leben zu bleiben. Das ist alles, was uns übrigbleibt, falls Wessex fallen sollte. Und jetzt zieh das verdammte Kleid an und bring’s hinter dich!»

«Wir sind zu zweit», sagte Æthelwold. Er rollte das Bündel auseinander, und ich sah, dass ein zweites Gewand darin eingewickelt war.

«Was soll das?», blaffte ihn Wulfhere an. «Bist du betrunken?»

«Ich bin ein reuiger Trunkenbold. Das heißt, ich war betrunken und tue jetzt Buße dafür.» Grinsend zog er das Gewand über den Kopf. «Ich werde mit Uhtred vor den Altar treten», fügte er hinzu, die Stimme durch das Leinzeug gedämpft.

Wulfhere wusste so gut wie ich, dass Æthelwold mit dem Bußritual nur seinen Spott trieb, ließ ihn aber gewähren. Außerdem wollte mir Æthelwold einen Gefallen tun, obwohl er mir, soweit ich wusste, keinen Gefallen schuldete. Ich war ihm trotzdem dankbar, zog das verfluchte Büßerhemd an und ging, von Alfreds Neffen begleitet, meiner Demütigung entgegen.

 

Man lehrte mich Demut. Noch heute, ein Lebensalter später, erinnere ich mich genau daran, wie bitter mir diese kriecherische Bußübung aufstieß. Warum zwang mich Alfred dazu? Ich hatte einen großen Sieg für ihn errungen, doch er bestand darauf, mich zu beschämen. Und wofür? Weil ich eine Messe gestört hatte? Daran lag es zum Teil, aber eben nur zum Teil. Er liebte seinen Gott und die Kirche und war leidenschaftlich überzeugt davon, dass Wessex’ Heil im Gehorsam gegenüber der Kirche lag. Darum schützte er die Kirche mit derselben Entschlossenheit, mit der er auch um sein Land kämpfte. Außerdem war er ein ordnungsliebender Mensch. Für ihn hatte alles am rechten Platz zu sein, und ich passte nirgends hinein, und er glaubte, dass ich erst dann meinen Platz in dieser hochheiligen Ordnung finden würde, wenn ich mich zu seinem Gott bekannt hatte. Vorläufig betrachtete er mich als einen widerspenstigen jungen Hund, der geprügelt

Darum ließ er mich zu Kreuze kriechen.

Und Æthelwold machte sich selbst zum Narren.

Aber das passierte erst später. Zuerst ging alles sehr feierlich zu. Alfreds Leibgarde war vollzählig angetreten, um zuzuschauen. Sie bildete zwei lange Reihen vor dem mit einem Segeltuch überdachten Altar, hinter dem Alfred und seine Gemahlin, der Bischof und etliche Priester Aufstellung genommen hatten. «Auf die Knie!», verlangte Wulfhere von mir. «Du musst auf die Knie, und dann rutschst du bis zum Altar, küsst die Altardecke und legst dich flach auf den Boden.»

«Und was dann?»

«Dann werden dir Gott und der König vergeben», antwortete er und wartete. «Mach’s einfach», zischte er schließlich.

Also tat ich es. Ich ging auf die Knie und rutschte unter den Augen der stummen Zuschauer durch den Matsch. Dann fing Æthelwold dicht neben mir laut heulend an, sich der Sünde zu bezichtigen. Händeringend warf er sich immer wieder der Länge nach auf den Boden und schluchzte, dass er bereue, und kreischte, dass er ein Sünder sei. Zuerst reagierte die Menge peinlich berührt, dann war verhaltenes Kichern zu hören. «Ich habe Frauen beigewohnt», brüllte Æthelwold in den strömenden Regen hinein, «und es waren schlechte Frauen! Vergebung!»

Alfred war sichtlich erzürnt, doch er konnte niemanden daran hindern, sich vor Gott lächerlich zu machen. Oder glaubte er, dass Æthelwolds Reue aufrichtig war? «Es waren so viele Frauen, dass ich mit dem Zählen nicht mehr nachgekommen bin», jammerte Æthelwold und schlug seine Faust in den Schlamm. «O Gott, ich bin verrückt

«Damit Ihr ihn bumsen könnt?», tönte eine Stimme aus der Menge, und alles brüllte vor Lachen.

Ælswith eilte davon, um nicht noch mehr Unschickliches hören zu müssen. Die Priester tuschelten miteinander, doch Æthelwolds Buße, so ungewöhnlich sie auch sein mochte, schien echt. Er weinte. Mir war klar, dass er insgeheim feixte, aber er heulte, als erlitte er schreckliche Seelenqualen. «Keine Brüste mehr, Gott», rief er, «keine Brüste!» Er machte wahrhaft einen Narren aus sich, doch weil man ihn ohnehin für einen Narren hielt, störte ihn das nicht. «Bewahre mich vor diesen Brüsten, Herr!» Jetzt ging auch Alfred. Was er sich als weihevolle Feier vorgestellt hatte, war zu einem grotesken Schauspiel ausgeartet. Ihm folgten die meisten Priester, und so rutschten Æthelwold und ich schließlich auf einen verwaisten Altar zu, wo sich Æthelwold in seinem lehmverschmierten Büßerhemd umwandte und murmelte: «Ich hasse ihn.» Ich wusste, dass er seinen Onkel meinte, und dann wiederholte er: «Ich hasse ihn, und du, Uhtred, bist mir jetzt einen Gefallen schuldig.»

«Das stimmt», erwiderte ich.

«Ich überlege mir was», sagte er.

Odda der Jüngere war nicht mit Alfred gegangen. Er wirkte verwirrt. Meine Demütigung, an der er sich hatte ergötzen wollen, war in allgemeines Gelächter umgeschlagen. Er wusste, dass ihn die Männer beobachteten, seine

Pater Beocca stand noch in der Nähe des Altars. «Küss das Tuch», befahl er mir, «und dann leg dich flach auf den Boden.»

Doch ich stand einfach auf. «Ihr könnt mich mal sonst wohin küssen, Pater», entgegnete ich. Meine Wut ließ Beocca zurückweichen.

Doch ich hatte getan, was der König verlangt hatte. Ich hatte bereut.

 

Der Hüne an Oddas Seite hieß Steapa. Man nannte ihn Steapa Snotor oder Steapa den Schlauen. «Das ist ein Witz», sagte Wulfhere, als ich mir das Büßerkleid vom Leib riss und mein Kettenhemd überstreifte.

«Ein Witz?»

«Tatsächlich ist er dumm wie ein Ochse», erklärte Wulfhere. «Statt eines Gehirns hat er Froschlaich im

«Nein», antwortete ich, kurz angebunden.

«Und, was denkst du über ihn?», fragte Wulfhere.

«Nichts.» Ich hatte den Aldermann nach diesem Leibwächter des jungen Odda gefragt, um den Namen des Mannes zu erfahren, der vielleicht versuchen würde, mich umzubringen. Das aber brauchte Wulfhere nicht zu wissen.

Wulfhere zögerte. Ihm schien noch eine Frage auf der Zunge zu liegen, doch er verzichtete darauf und sagte stattdessen: «Wenn die Dänen kommen, bist du in den Reihen meiner Männer willkommen.»

Æthelwold, Alfreds Neffe, hatte Schlangenhauch aus der Scheide gezogen und musterte die verschlungenen Muster auf der Klinge. «Wenn die Dänen kommen», sagte er zu Wulfhere, «müsst Ihr mich kämpfen lassen.»

«Davon verstehst du nichts.»

«Dann müsst Ihr’s mir beibringen.» Er steckte das Schwert in die Scheide zurück. «Wessex braucht einen König, der kämpfen kann», sagte er, «und keinen, der immerzu nur betet.»

«Du solltest deine Zunge hüten, junger Mann», erwiderte Wulfhere. «Es sei denn, du willst, dass man sie dir herausschneidet.» Er riss Æthelwold das Schwert aus der Hand und reichte es mir. «Die Dänen werden kommen», sagte er. «Also schließ dich mir an, wenn es so weit ist.»

Ich nickte, sagte aber nichts. Wenn die Dänen kommen, dachte ich, werde ich mich lieber ihnen anschließen. Ich war im Alter von zehn Jahren von Dänen gefangen genommen worden. Sie hätten mich töten können, doch stattdessen hatten sie mich gut behandelt. Ich hatte ihre

Dies waren meine Gedanken, als wir nach Oxton ritten, auf den Grundbesitz, den Mildrith mit in die Ehe gebracht hatte. Es war ein schöner Ort, aber mit so großen Schulden belastet, dass er mehr Sorgen als Vergnügen bereitete. Die Hügel, auf denen das Vieh weidete, erhoben sich im Westen der tief ins Land eingeschnittenen Mündung der Uisc. Das Gehöft war von dichten Eichen- und Eschenwäldern umgeben, in denen klare Bäche entsprangen, die die Felder bewässerten, auf denen Roggen, Weizen und Gerste gedieh. Das meist verräucherte Wohnhaus war aus Eichenholz, Lehm und Stroh gebaut und so lang gestreckt, dass es von weitem wie ein grüner, bemooster

Ich war wütend, verbittert und rachsüchtig wegen Alfreds Demütigung, und es war Pech für Oswald, dass er sich diesen Sonntag herausgesucht hatte, um einen Eichenstamm aus dem Wald zu holen. Ich brütete süße Rachepläne aus und ließ mein Pferd dem Pfad durch den Wald folgen, als ich ein achtköpfiges Ochsengespann sah, das, von drei Männern gelenkt, einen großen Eichenstamm in Richtung Fluss schleppte. Oswald hockte rittlings auf dem Stamm und schwang seine Peitsche. Als er mich sah, sprang er auf die Füße und schien Reißaus nehmen zu wollen, besann sich aber und wartete ab.

«Herr», grüßte er, sichtlich überrascht, mich zu sehen. Wahrscheinlich hatte auch er gedacht, ich sei umgebracht worden wie die anderen Geiseln, und vermutlich war er darüber erleichtert gewesen.

Der Blutgestank, den die aufgescheuerten Flanken der Ochsen ausdünsteten, machte mein Pferd nervös. Es tänzelte vor und zurück, bis ich es beruhigen konnte, indem ich seinen Hals tätschelte. Ich begutachtete den Stamm, der an die vierzig Fuß lang sein mochte und so dick wie der Rumpf eines ausgewachsenen Mannes war. «Ein schöner Baum», sagte ich zu Oswald.

Er warf einen Blick zu Mildrith, die zwanzig Schritt entfernt war. «Guten Tag, Herrin», sagte er und klaubte die Wollmütze von seinem krausen roten Schopf.

«Ein leider verregneter Tag, Oswald», erwiderte sie.

«Ich sagte, ein schöner Baum», wiederholte ich mit lauterer Stimme. «Wo wurde er gefällt?»

Oswald stopfte seine Mütze hinter den Gürtel. «Auf der Hügelkuppe, Herr», antwortete er vage.

«Die zu meinem Land gehört?»

Er zögerte, offenbar versucht zu behaupten, der Baum habe auf dem Land eines Nachbarn gestanden, doch diese Lüge hätte sich allzu leicht entlarven lassen. Also schwieg er.

«Von meinem Land?», hakte ich nach.

«Ja, Herr», gab er zu.

«Und wo bringt ihr das Holz hin?»

Er zögerte erneut, kam aber an einer Antwort nicht vorbei. «Wir bringen es in Wigulfs Sägewerk.»

«Kauft er es?»

«Er zersägt es zu Bohlen, Herr.»

«Ich habe nicht gefragt, was er damit vorhat», entgegnete ich, «sondern ob er es kauft.»

Vom scharfen Klang meiner Stimme beunruhigt, warf Mildrith ein, dass auch ihr Vater manchmal Holz zu Wigulf habe schicken lassen, doch ich hob die Hand und hieß sie schweigen. «Wird er es kaufen?», fragte ich Oswald.

«Wir brauchen die Bohlen für Reparaturen», antwortete der Verwalter. «Wigulf behält einen Teil davon als Lohn ein.»

«Und du schleppst den Baum an einem Sonntag aus dem Wald?» Er wusste darauf nichts zu sagen. «Wenn wir Bohlen brauchen», fuhr ich fort, «warum spalten wir nicht selbst den Stamm? Fehlen uns Männer? Keile? Spalthammer?»

«Wir haben sie immer von Wigulf sägen lassen», antwortete Oswald mürrisch.

«Ja, Herr.»

«Und wenn ich jetzt nach Exanmynster reite und Wigulf frage, wie viele solcher Stämme du ihm im vergangenen Jahr geliefert hast - was wird er mir wohl darauf antworten?»

Bis auf vereinzelte Vogelrufe und das Tropfen von Regenwasser war alles still. Ich lenkte mein Pferd ein paar Schritte näher an Oswald heran, der nun den Schaft seiner Peitsche umklammerte, als wolle er mir damit drohen. «Wie viele?», verlangte ich zu wissen.

Oswald schwieg.

«Wie viele?», rief ich mit Nachdruck in der Stimme.

«Beruhigt Euch, Herr», flehte Mildrith.

«Schweig!», herrschte ich sie an, und Oswald sah von mir zu ihr und wieder zu mir. «Wie viel zahlt dir Wigulf dafür?», fragte ich. «Was bringt ein solcher Stamm ein? Acht Schillinge? Neun?»

Wie schon im Gottesdienst des Königs übermannte mich auch jetzt unbändige Wut. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass Oswald Holz aus dem Wald stahl und verkaufte. Ich hätte ihn wegen Diebstahls anzeigen und vor Gericht bringen sollen, wo man über seine Schuld oder Unschuld hätte urteilen können, doch für ein solches Verfahren hatte ich jetzt keinen Sinn. Ich zog einfach Schlangenhauch und trieb mein Pferd voran. Mildrith protestierte lautstark, doch ich beachtete sie nicht. Oswald rannte los, und das war sein letzter Fehler, denn ich hatte ihn schnell eingeholt und ihm mit nur einem Streich, der ihm den Schädel spaltete, sodass Gehirn und Blut spritzte, zu Fall gebracht. Er stürzte ins feuchte Laub, und ich riss

«Das war Mord!», schrie Mildrith.

«Das war Gerechtigkeit», herrschte ich sie an. «Woran es, wie mir scheint, in Wessex mangelt.» Ich spie auf Oswalds Körper, durch den ein letztes Zucken ging. «Der Bastard hat uns bestohlen.»

Mildrith gab ihrem Pferd die Sporen und ritt, von der Amme mit dem Kind gefolgt, eilends bergan. Ich ließ sie gehen. «Schafft den Stamm zum Hof», befahl ich den Knechten, die die Ochsen führten. «Wenn er zu schwer ist, so spaltet ihn an Ort und Stelle und bringt die Bohlen zum Haus.»

Noch am gleichen Abend durchsuchte ich Oswalds Hütte, wo ich im Boden vergraben dreiundfünfzig Schillinge fand. Ich nahm die Silbermünzen an mich, nahm die Kochtöpfe, den Spieß, die Messer, alles Eisenzeug sowie einen Mantel aus Hirschleder und vertrieb seine Frau und die drei Kinder von meinem Grund und Boden. Ich war wieder zu Hause.

Zwei

Arme Mildrith. Sie war eine friedliebende Frau, die von allen, die sie kannte, nur gut dachte, und jetzt war sie plötzlich mit einem rachsüchtigen, tobenden Krieger verheiratet. Sie fürchtete sich vor Alfreds Zorn und davor, dass mich die Kirche bestrafen würde, weil ich ihren Frieden gestört hatte. Außerdem war von Oswalds Angehörigen die Forderung eines Wergeldes zu erwarten. Ein Wergeld war der Blutpreis, der jedem, ob Mann, Frau oder Kind, zustand. Wer einen anderen tötete, musste den Hinterbliebenen diesen Preis entrichten, andernfalls starb er selbst. Zweifellos würde sich Oswalds Familie an Odda den Jüngeren wenden, der nun, da sein Vater zu schwer verwundet war, um sein Amt auszuüben, zum Aldermann von Defnascir ernannt worden war. Und Odda würde seinen Landvogt auf mich hetzen, um mich vor Gericht zu bringen. Doch das alles kümmerte mich nicht. Ich jagte Wildschweine und Hirsche, brütete vor mich hin und wartete auf Nachrichten über die Verhandlungen in Exanceaster. Alfreds Pläne waren absehbar; er würde mit den Dänen Frieden schließen wollen und ihnen freies Geleit gewähren. Und wenn es so weit wäre, würde ich mich auf die Suche nach Ragnar machen.

Vor der Kirchenpforte stand ein barfüßiger junger Mann mit bloßem Oberkörper. Er war mit einem Strick, dessen anderes Ende um seinen Hals geknotet war, an den Torpfosten gebunden und hielt einen kurzen, derben Knüppel

«Wer ist das?», fragte ich.

«Ein Däne, Herr, ein heidnischer Däne.» Der Mann nahm, als er mir antwortete, den Hut vom Kopf und wandte sich gleich wieder der Menge zu. «Kommt und kämpft! Nehmt Rache! Lasst den Dänen bluten! Seid gute Christen! Alle Heiden sollen leiden!»