Eine kurze Liste von Danksagungen und/oder Widmungen:

Für Mom, und zwar für beide.

Für Michele (bitte hier eigenen Witz einsetzen).

Für den DFW Writer’s Workshop, der wo mir beigebracht hat, besserere Sachen zu schreiben.

Für mich, weil ich dumm oder dickköpfig genug war, es bis hierher zu schaffen.

Und für Jim Varney.

EINS

Sein Name war Never Dead Ned, doch das war nur ein Spitzname. Er konnte sterben. Er war dem Tod neunundvierzig Mal begegnet, und neunundvierzig Mal war er aus dem Grab wieder auferstanden. Wenn sich die Leute auch, nachdem sein Ruf sich verbreitet hatte, nicht länger die Mühe machten, ihn zu begraben. Sie warfen seine Leiche einfach in eine Ecke und warteten darauf, dass er wieder auferstand. Und das tat er stets. Aber jeder Tod nahm sich ein Stück von ihm, fügte seinen Gelenken einen weiteren Schmerz hinzu, ließ ihn etwas mehr Schwung verlieren. Und Ned lernte so auf die harte Tour, dass es Schlimmeres gab als zu sterben.

Immer und immer wieder zu sterben. Zum Beispiel.

Ned war nicht sonderlich am Leben interessiert, aber er tat verdammt noch mal sein Möglichstes, um zu vermeiden, ein weiteres Mal ums Leben zu kommen. Nicht, bevor er es schaffte, es richtig zu machen. Nicht, bevor er mit absoluter Sicherheit wusste, dass er tot bleiben würde. Für einen Soldaten bedeutete die Furcht vor dem Tod im Normalfall das Ende der Karriere, aber Ned hatte eine Stelle in der Buchhaltungsabteilung der Unmenschlichen Legion gefunden. Es war nichts Großartiges. Nur Münzen zählen. Es wurde zwar schlecht bezahlt, war aber relativ sicher. Nun, so sicher etwas sein konnte, wenn dein Abteilungsleiter den strikten Grundsatz hatte, jeden zu fressen, dessen Bücher mehr als dreimal im Monat nicht stimmten.

Krieg war das Geschäft der Legion – und die Geschäfte waren gut gelaufen, bis vor vierhundert Jahren, als es die verschiedenartigen Spezies der Welt endlich geschafft hatten, ihre Feindseligkeiten beizulegen. Die Buchhalter der Legion hatten einen Umschwung und eine unumkehrbare Abwärtsspirale der Profite vorhergesagt. Und tatsächlich waren die folgenden drei Jahrzehnte hart gewesen. Doch man hätte wissen müssen, dass sich die Paranoia mit dem Frieden nicht in Luft auflöste. Daher brauchte jedes Königreich, jedes Land, jede noch so kleine Ortschaft mit zwei Krümeln Gold in der Tasche plötzlich eine Armee. Zum Schutz natürlich, und damit die gütigen Armeen ihrer Nachbarn nicht auf dumme Gedanken kamen. Völlig egal, dass fast alle vorher auch ohne eine Armee prima ausgekommen waren. Völlig egal, dass die meisten nicht einmal etwas besaßen, das einen Überfall wert gewesen wäre. Die Legion war nur zu bereit, der Welt ihre Armeen zu verpachten. Krieg war gut fürs Geschäft gewesen. Aber Frieden war noch sehr viel lukrativer.

Greifs hörten nie auf zu wachsen, und Tate, weit über dreihundert Jahre alt, war eine riesige Bestie. Seine beeindruckenden schwarzen Flügel spannten sich über sechs Meter, wenn er sie ausbreitete. Aber er breitete sie im begrenzten Raum seines Büros, einem buchstäblichen Nest aus Hauptbüchern, die bis ganz zu den Anfängen der Legion zurückgingen, nicht oft aus. Damals, als sie nur aus einer Hand voll Orks, ein paar Dutzend Söldnern und zwei Drachen mit einer Vision bestanden hatte. Damals, noch bevor sie die erfolgreichste freischaffende Armee auf drei Kontinenten geworden war.

Tate sprach. Er sah diejenigen, mit denen er sprach, selten an. Das war ein Segen, denn wenn er es doch tat, richteten sich seine kalten, schwarzen Augen mit einem unverwandten, raubtierhaften Starren auf sein Gegenüber. Das führte bei Ned immer dazu, dass er fürchtete, zum Mittagessen zu werden, selbst wenn seine Bücher in Ordnung waren. Er hatte keine Lust, nach einer Reise durch das Verdauungssystem eines Greifs von den Toten zurückzukehren.

Tate sah das Hauptbuch langsam, methodisch durch. Mit seinen langen, schwarzen Klauen blätterte er die dünnen Seiten um. Ihm entging nichts, nicht einmal das kleinste Detail. Vor allem, weil er ständig hungrig war. Sein scharfer Schnabel bog sich, sein Blick war finster. Die großen schwarzen Schwingen schlugen einmal.

»Sehr gut, Ned. Tadellos wie immer.«

»Danke, Sir.« Ned rückte seine Brille zurecht. Er brauchte sie nicht. Eigentlich sah er dadurch schlechter als sonst, aber sie ließ ihn gelehrt wirken, und diesen Eindruck wollte er unbedingt kultivieren.

Tate gab ihm das Buch zurück. Sein Blick schweifte durch den Raum, ohne sich direkt auf Ned zu legen. »Für einen Soldaten geben Sie einen außerordentlichen Buchhalter ab.«

»Danke, Sir.« Bei dem Versuch, noch gelehrter auszusehen, rückte Ned seine Brille ein weiteres Mal zurecht, sein Äußeres trug jedoch die Erinnerungen an neunundvierzig grausige Lebensenden zur Schau. Die Narben, die seine Arme und sein Gesicht überzogen, vor allem die lange, scheußliche auf seiner rechten Wange bis hinunter zu einer roten um die Kehle herum, hinterließen einen weit größeren Eindruck als seine Brille. Und dann war da natürlich noch sein fehlendes Auge, sein Blumenkohlohr und sein böser Arm. All die Male eines Mannes, der schon seit langer Zeit tot sein sollte. Für einen Buchhalter hatte er einen gerade noch annehmbaren Soldaten abgegeben.

Der Greif räusperte sich und Ned betrachtete sich als entlassen. Als er sich umdrehte, sprach Tate jedoch erneut.

»Als Sie mir zugeordnet wurden, nahm ich an, Sie würden noch innerhalb derselben Woche zu meinem Abendessen werden.« Er fuhr sich mit einer schwarzen Zunge über den Schnabel. »Stattdessen sind Sie zu einem der vertrauenswürdigsten Mitglieder meiner Belegschaft geworden.«

»Danke, Sir.«

»Ein Jammer, dass Sie nicht länger unter uns weilen werden.«

Ned starrte sprachlos in diese unbarmherzigen Augen. Tates graue und schwarze Federn sträubten sich und er lächelte spöttisch.

»Ich habe es erst heute erfahren. Sie werden versetzt.«

»Versetzt, Sir?«

Tate nickte sehr langsam. Mit einer Kralle glättete er seine Federn. »Ich habe versucht, ihnen das auszureden, aber es kommt direkt von ganz oben. Oberes oberes oberes Management.« Er durchwühlte sein Nest aus Papierkram und zog eine blaue Schriftrolle hervor.

Ned fluchte tonlos. Blaue Schriftrollen waren unabänderlich, unaufhaltsam. So unvermeidlich wie der Tod, oder, in Neds Fall, sogar unvermeidlicher als der Tod. Tate reichte ihm die blaue Rolle, aber Ned weigerte sich noch, sie zu öffnen und einen Blick auf seine neuen Befehle zu werfen.

Tate neigte den Kopf erst zur einen Seite, dann zur anderen. Sein Löwenschwanz schwang träge hin und her. Er räusperte sich noch einmal und begann erneut zu sprechen, bevor Ned entkommen konnte.

»Es ist eine Beförderung. Sie haben sie verdient.«

Ned ließ seinen Kiefer sanft fallen, wie er es oft tat, wenn er gereizt war. »Danke, Sir.«

»Glückwunsch. Das obere Management muss Ihnen sehr vertrauen.«

»Danke, Sir.«

Er hielt die blaue Schriftrolle fest in seiner rechten Hand, während sein böser linker Arm versuchte, sie herauszuzerren. Bei einem seiner unerfreulicheren Ableben war ihm der linke Arm abgetrennt worden. Der Arm war ohne ihn ins Leben zurückgekehrt, und obwohl ein Arzt ihn wieder angenäht hatte, hatte er immer noch einen eigenen Willen, mit widerwärtigen Tendenzen in angespannten Situationen. Wenn sich ihm die Möglichkeit böte, würde der Arm die Schriftrolle nach Tate werfen, das wusste er. Und das würde dazu führen, dass Ned doch noch gefressen wurde.

Er wandte sich abermals zum Gehen. Tate räusperte sich und Ned stoppte.

»Sir?«

»Sie können gehen. Schicken Sie mir Yip. Sehr schlampige Arbeit in letzter Zeit. Ich schätze, da ist eine disziplinarische Maßnahme fällig.« Grinsend ließ Tate seinen Schnabel zuschnappen. »Und sagen Sie ihm, er soll bei der Essensausgabe vorbeigehen und etwas Brot, Käse, eine Flasche Wein und Salat mitbringen. Etwas Pikantes, aber nicht zu sättigend.«

Ned verließ das Büro und fühlte sich wie ein Verurteilter. Eine blaue Schriftrolle sollte etwas Gutes sein. Es bedeutete, dass das obere Management auf ihn aufmerksam geworden war. Aber das war, wie den Göttern in den Himmeln aufzufallen. Zumeist bedeutete es eine einfache Fahrkarte in ein tragisches Schicksal. Bisher war es ihm doch so gut gelungen, nicht allzu außergewöhnlich zu wirken. Bis auf die Tatsache, dass er nicht tot blieb, aber dafür konnte er schließlich nichts.

Seine Buchhalterkollegen vermieden es, ihn anzusehen, als er durch die Flure ging. Und alle wandten den Blick von der blauen Schriftrolle ab, die seine Hand umklammerte. Gerüchten zufolge waren blaue Schriftrollen verzaubert und machten alle blind, außer dem Leser, für den sie bestimmt waren. Das war allerdings reine Spekulation, weil fast niemand je tatsächlich eine blaue Schriftrolle gesehen hatte. Aber keiner war bereit, das Risiko einzugehen, es darauf ankommen zu lassen.

Ned kehrte in sein Büro zurück, einen kleinen Raum, den er mit zwei anderen teilte: mit Yip, einem Ratling, und mit Bog, dem Schleimpilz. Yip zählte einen Stapel Goldmünzen. Von Zeit zu Zeit steckte er eine in seine Tasche. Ned und Bog taten jedes Mal so, als würden sie es nicht bemerken. Keiner von beiden mochte den Ratling, und sie rieten ihm nicht gerade davon ab, etwas zu tun, was schließlich dazu führen konnte, dass er gefressen wurde. Bog war damit beschäftigt, Silberbarren zu wiegen. Yip blickte gerade lange genug von seiner Arbeit auf, um zu grinsen und zu kichern.

»Pech gehabt, Ned.«

»Hast du es schon gelesen?«, fragte Bog.

Ned schüttelte den Kopf.

»Es könnte was Gutes sein«, versuchte es der Schleimpilz.

»Ich wette mit dir, das ist eine Versetzung zur Wyrm-Farm.« Yip ließ zwei Münzen zusammenklirren. »Den ganzen Tag bis zum Hals in Dreck und Mist. Und diese Wyrms stinken. Oh Mann, die stinken vielleicht!«

Ned setzte sich, legte den Kopf auf den Tisch und seine Arme über den Kopf. Der böse Arm zerrte an seinen Haaren.

»Bin ich froh, dass ich nicht du bin«, sagte Yip.

»Tate will dich sehen.« Ned hatte nicht die Energie, sein Auge in Richtung von Yips Gesicht zu drehen, aber er hörte, wie der Ratling trocken schluckte. Schon fühlte sich Ned etwas besser.

Bogs Augen bewegten sich in seinem transparenten Fleisch und flossen hin und her, um Ned aus leicht unterschiedlichen Blickwinkeln zu mustern. »Du solltest es lesen, bevor du anfängst, Panik zu machen.«

»Ich mach keine Panik.«

»Er bläst Trübsal«, sagte Yip.

»Wahrscheinlich ist es nicht so schlimm, wie du es dir vorstellst«, meinte Bog.

»Wahrscheinlich schlimmer.« Ned hielt die blaue Schriftrolle auf seinem Schreibtisch fest, als könnte sie aufspringen und ihn angreifen. »Ich habe nicht sehr viel Vorstellungskraft.«

»Gib sie mir.« Yip sprang von seinem Schreibtisch auf und schnappte nach der Schriftrolle. Ned hielt sie fest und sie begannen ein kurzes Tauziehen darum.

»Jetzt gib mir das verdammte Ding schon!« Der Ratling schnappte nach Neds Hand und er ließ los.

»Du wirst taub«, sagte Bog.

»Blind«, korrigierte Ned.

Mit den Tentakeln schob Bog seine Augen zurecht. »Ich schätze mal, das ergibt mehr Sinn.«

Mit derselben furchtlosen Dummheit, die ihn schon bald zum Abendessen des Greifs werden ließe, entrollte Yip das unheilvolle Dokument. Sowohl Ned als auch Bog senkten die Köpfe (oder, im Fall des Schleimpilzes, die kopfartige Ausbuchtung) in der Erwartung von etwas Schrecklichem. Doch es gab keinen Blitz, keine Sturzflut kreischender Geister, keine alles verschlingende Schwärze, die auf das Büro niederschlug. Nicht einmal ein einziges schnatterndes Teufelchen oder einen Kälteeinbruch.

»Und?«, fragte Bog. »Bist du blind?«

Yip rollte das Dokument wieder zusammen und legte es auf den Tisch zurück. »Tut mir leid, Ned.«

Ned öffnete die Rolle. »Sie haben mir ein Kommando gegeben.«

»Ist doch gar nicht übel«, sagte Bog mit geheucheltem Enthusiasmus.

»Es ist die Oger-Kompanie.«

Stille senkte sich herab, eine Stille, die alles dermaßen ausfüllte, dass sogar die zugigen Korridore aufhörten zu pfeifen. Bog wusste nicht, wohin er blicken sollte, deshalb löste er das Problem, indem er seine Augen herausnahm und sie in eine Schublade steckte.

»Pech gehabt, Ned.« Yip schlenderte mit hochgezogenen Augenbrauen aus dem Büro, auf seinem Weg in den Magen eines Monsters hielt er an der Tür kurz inne. »Bin ich froh, dass ich nicht du bin.«

ZWEI

Gabel, der Ork, knallte seinen Becher auf den Tisch. »Ich sage euch, es ist Rassismus. Das ist es!«

Regina knallte ihren eigenen Becher doppelt so hart auf den Tisch, weil es der Grundsatz der Amazonen war, alles doppelt so gut zu machen wie jedes männliche Wesen. »Die Legion hat nichts gegen Orks. Verdammt, sie wurde auf ihnen aufgebaut!«

Gabel blieb unnachgiebig. »Klar wurde sie das. Wütende, heißblütige, murrende Ork-Idioten. Aber leg ein bisschen Intelligenz an den Tag, bade regelmäßig, vermeide Partizipien mit falschem Bezug, und plötzlich bist du nicht mehr Ork genug.«

»Das ist lächerlich.« Frank, der Oger, knallte ebenfalls mit seinem Becher, weil man das offenbar so tat.

»Ach ja?« Gabel beugte sich vor und flüsterte, damit es keiner seiner Ork-Kollegen im Pub mithören konnte. »Mein ganzes Leben lang musste ich mich damit herumschlagen. Hast du eigentlich eine Ahnung, bei wie vielen Beförderungen ich übergangen wurde? Dabei kann jeder grummelnde, missgebildete, sabbernde Schwachkopf die Karriereleiter hinaufsteigen.«

»Vielleicht liegt es daran, dass du klein bist«, sagte Regina.

»Kobold-klein«, pflichtete Frank ihr bei.

Gabel starrte kläglich in seinen Becher und nahm einen weiteren Schluck. »Trotzdem Rassismus. Ist nicht meine Schuld, dass ich ein bisschen kleiner geboren wurde.«

»Kobold-klein«, behauptete Frank noch einmal.

Gabel verengte die Augen zu Schlitzen. Er hatte sich daran gewöhnt. Orks und Kobolde besaßen trotz ihres Größenunterschiedes eine gewisse Ähnlichkeit. Es war hauptsächlich die Form ihres Schädels, ihre geneigte Stirn, ihr breiter Mund und die Ohren, die weit oben an ihren Köpfen saßen. Gelehrte nahmen an, dass beide Arten einen gemeinsamen Vorfahren hatten. Sowohl Kobolde als auch Orks fanden die Vorstellung bloß absurd. Gabel aber, der sein ganzes Leben mit diesem Handicap zu kämpfen gehabt hatte, zeigte wenig Verständnis dafür.

»Ich bin kein Kobold!«

»Bist du sicher?«, fragte Regina. »Vielleicht haben die Hebammen etwas durcheinandergebracht.«

»Erstens haben Orks keine Hebammen. Und zweitens bin ich kein verdammter Kobold!«

Frank beugte sich zu ihm hinüber und blinzelte. »Es ist nur so, dass du ganz schön viel Ähnlichkeit mit einem Kobold hast.«

»Orks und Kobolde sehen sich ähnlich. Es sind verwandte Arten.«

»Ja, aber alle Orks, die ich je gesehen habe, waren graublau. Während du eher graugrün bist.«

»Und deine Ohren sind sehr groß.« Regina veranschaulichte die Größe mit den Händen.

»Ganz zu schweigen davon, dass du kein einziges Haar am Körper hast«, fügte Frank hinzu.

»Ich rasiere mich.«

»Siehst du, das ist auch nicht sehr orkisch.«

Gabel sprang auf den Tisch. Selbst auf einem Tisch stehend wirkte seine Größe von kaum mehr als einsfünfzig nicht sonderlich beeindruckend. Obwohl er gut in Form war, schien er eher drahtig. Orks hatten im Allgemeinen große, derbe Körper. Keiner war kleiner als einsachtzig.

Gabel legte die Hand an sein Schwert. »Der Nächste, der mich einen Kobold nennt, kriegt mittels meines Schwertes ein Loch in den Bauch.«

»Ist ›mittels‹ ein Partizip?«, fragte Regina. »Hat er eben ein Partizip mit falschem Bezug benutzt?«

»Ich weiß nicht«, gab Frank zu.

»›Mittels‹ ist eine Präposition.« Verstimmt sprang Gabel vom Tisch. »Nicht, dass ich erwarten würde, irgendwer außer mir hier im Pub wüsste das.«

»Es ist kein Rassismus«, sagte Regina. »Es ist Sexismus. Ich sollte die Verantwortung tragen, aber Männer fühlen sich von einer starken Frau zu schnell bedroht.« Sie ließ ihren gewölbten Bizeps spielen, dann zog sie ihr Messer und rammte es mit einem einzigen Hieb bis zum Griff in den dicken Holztisch. »Es hilft kein bisschen, dass ich makellos schön bin. Das schüchtert sie nur noch mehr ein.«

Frank und Gabel kicherten.

Sie schnaubte. »Seid ihr anderer Meinung?«

»Oh, du bist schön«, sagte Gabel, »aber ich denke, es ist etwas übertrieben zu sagen, du seist makellos.«

»Hier hat jemand eine hohe Meinung von sich selbst«, sagte Frank, als erkläre er es einem vorbeigehenden Soldaten, der nicht in das Gespräch eingeweiht war.

Reginas kalte Augen verdunkelten sich. »Was stimmt nicht mit mir?«

Der Ork und der Oger tauschten einen Blick. »Nichts«, sagten sie unisono.

»Es ist nur, na ja, du bist ein bisschen … wie soll ich sagen?«, zögerte Frank.

»Männlich«, sagte Gabel.

Regina warf ihren Becher nach ihm, aber er duckte sich darunter weg.

»Sehen die hier männlich aus?« Sie bog ihren Rücken durch, um ihre ausladenden Brüste zu betonen. »Oder das?« Sie löste den Knoten auf ihrem Kopf und ein goldener Wasserfall seidigen Haares fiel ihr über die Schultern. »Oder das hier?« Sie zog ihren Rock zurück, um ihre langen, vollendet proportionierten Beine zu zeigen. Einige der umsitzenden Soldaten grinsten anzüglich.

Sie griff den nächsten Ork in den Nacken und zog ihn nahe an ihre Lippen, die sich zu einem Zähnefletschen verzogen hatten. »Bin ich nicht ein Bild weiblicher Pracht?«

Er nickte und schluckte.

Ihr Lächeln wurde grimmiger. »Würdest du nicht beide Augen geben, für eine einzige Stunde allein mit mir?«

Er zögerte und sie verstärkte ihren Griff.

»Vielleicht ein Auge«, antwortete der Ork.

»Nur eins?«

Er zuckte entschuldigend. »Ich mag Brünette lieber.«

Regina schleuderte ihn durch den Pub. Sie rief in den Raum: »Wer findet hier, dass ich die schönste Frau bin, die er je gesehen hat?«

Im Pub wurde es still. Schließlich wagte ein Soldat, die Hand zu heben. Sie stolzierte zu ihm hinüber und schlug ihn mit einem brutalen Aufwärtshaken bewusstlos.

Frank gluckste. »Kein bisschen männlich.«

»Ich bin eine Amazonenkriegerin, nicht irgendeine Bardame zum Angaffen.«

»Erst regst du dich auf, weil wir nicht bemerken, wie schön du bist«, sagte Gabel. »Und dann regst du dich auf, wenn wir es tun.«

»Das klingt schon eher nach Frau.« Frank prustete. Er nahm sich eine Lammkeule, die am Tisch vorbeigetragen wurde, und weil er sehr groß war, selbst für einen Oger, protestierte niemand. »Du hast schon Recht, Gabel. Hier ist Rassismus am Werk.« Er biss die Hälfte der Keule ab und kaute laut knirschend. Er spuckte Stücke von Hammel und Knochen, während er sprach. »Wenn du glaubst, Orks hätten es schwer, dann versuch es mal als Oger.«

Gabel beäugte die Fleischbrocken, die auf seinem Bier schwammen. Schulterzuckend trank er es aus. Es war nicht schlecht, obwohl er auf die Ogerspucke hätte verzichten können.

Frank fuhr sich mit der dicken, schwarzen Zunge über seine dicken, grauen Zähne. »Weißt du, wie viele Oger Führungspositionen in der Legion haben? Keiner.«

»Du glaubst doch sicher nicht, dass du eine Beförderung verdienst?« Regina kämpfte mit ihrem schimmernden, flachsblonden Haar. Sie wollte es wieder hochstecken.

»Und warum nicht? Ich bin der ranghöchste Oger hier. Und wir sind hier in der Oger-Kompanie.«

»Nur Oger können Oger befehligen? Willst du das damit sagen?«, fragte Regina.

»Das klingt schon etwas rassistisch«, meinte Gabel.

»Das ist es aber nicht.« Frank rülpste, und etwas segelte aus seiner Kehle, landete am anderen Ende des Raums und schlitterte in die Dunkelheit davon. »Es geht um die Veranschaulichung von Aufstiegsmöglichkeiten.«

»Lasst uns uns doch einfach darauf einigen, dass wir alle verarscht werden.« Gabel seufzte.

Sie schlugen ihre Becher aneinander.

»Also, wer ist der Neue?«, fragte Frank.

»Never Dead Ned.«

»Ich dachte, den gäb’s nur im Märchen.«

»Offenbar nicht.«

Frank murrte. »Wie sollen wir bitteschön einen Typen umlegen, der nicht sterben kann?«

Regina gab ihre Versuche auf und ließ ihr Haar wieder herabfallen. Ein narbenübersäter Soldat konnte sich nicht verkneifen, ihre wundervollen Locken anzustarren. Sie stand auf, ging hinüber, brach ihm die Nase und setzte sich wieder. »Er kann sterben.«

»Bist du sicher?«, fragte Frank. »Ich meine, sein Name sagt doch alles. Erinnere dich an die ersten beiden Worte: Never Dead.«

»Er ist ein Mensch.« Sie spuckte das Wort förmlich aus. »Alle Menschen sind sterblich. Folglich muss auch Ned sterblich sein.«

»Nichts gegen deinen Syllogismus«, sagte Gabel, »aber ich habe mir seine Akte angesehen.«

»Was ist ein Syllogismus?«, fragte Regina. Sie war in streitlustiger Stimmung und nicht bereit, eine Chance, sich beleidigt zu fühlen, auszulassen.

»Ein Syllogismus ist das deduktive Schema eines förmlichen Arguments, das aus einer größeren und einer kleineren Prämisse und einem Fazit besteht.«

Frank blinzelte Gabel skeptisch an. »Das hast du dir doch ausgedacht.«

»Nein, habe ich nicht«, widersprach Gabel. »Das ist Basisphilosophie. Ich habe es in einem Buch gelesen.«

»Lesen«, äffte Frank ihn nach. »Nicht sehr orkisch.«

Gabel überhörte es.

Reginas harte Augen glänzten. »Kein Mann, sterblich oder unsterblich, ist einer Amazone gewachsen. Er wird sterben. Wir werden einen Weg finden.«

Die Offiziere kicherten gemeinsam.

Gabel stand auf. »Ich geh mal besser. Der neue Kommandeur kommt in fünfzehn Minuten an. Sein zuverlässiger Erster Offizier sollte da sein, um ihn zu begrüßen.«

Darüber kicherten sie noch einmal gemeinsam. Als er gegangen war, bestellten die verbleibenden Offiziere noch eine Runde.

»Syllogismus, genau. Ich bleibe dabei, er ist ein Kobold«, begann Regina wieder.

Frank zuckte die Achseln. »Manche Leute kommen einfach nicht mit sich selbst klar.«

»Arme Irre.«

Dann schickte die Amazone einen Troll mit Schwung auf seinen Arsch, weil er es gewagt hatte, ihre Brüste mit seinem Blick zu streifen.

Einem Roch ein Geschirr anzulegen und ihn als Transportmittel zu benutzen, war ein Experiment mit uneinheitlichen Ergebnissen innerhalb der Unmenschlichen Legion. Gabel hätte Titanenlibellen benutzt. Sie waren leichter zu zähmen, leichter zu fliegen und sogar etwas schneller. Aber diese hohen Tiere, wer zur Hölle auch immer für solche Dinge zuständig war, bevorzugten die majestätischen, reptilhaften Vögel mit ihrem schwingenden, roten und goldenen Gefieder, ihrem Furcht erregenden Kreischen. Und so war eine eigentlich vollkommen ausreichende Idee zur Hölle gefahren.

Ein Roch war einfach nicht zähmbar. Das Beste, was man mit ihnen tun konnte, war, sie zu füttern und zu versuchen, sie nicht zu reizen. Wenn sie nicht hungrig oder verärgert waren, benahmen sie sich meistens. Außer in der Paarungszeit. Oder wenn sie ein lautes Geräusch hörten. Oder wenn etwas Glänzendes ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Oder wenn sie ein Huhn rochen. Oder wenn sie dachten, sie würden Huhn riechen. Oder wenn ihnen einfach danach war, etwas unter ihren gewaltigen Füßen zu zertrampeln. Für so riesenhafte Kreaturen waren sie furchtbar schreckhaft.

Gabel suchte den Himmel ab. Der Flug hatte zehn Minuten Verspätung. Das konnte eine übliche Verzögerung sein. Es konnte aber auch bedeuten, dass das Transportmittel zwischenzeitlich Hunger bekommen hatte. Es wäre nicht der erste Offizier, der gefressen wurde, bevor er die Festung erreichte.

Kobolde bildeten den Stab des Roch-Programms und auch beinahe den jedes anderen Projekts, das Personal erforderte, das gleichermaßen furchtlos und entbehrlich war. Ihre wagemutige Beschränktheit war dabei ein günstiger Umstand. Andernfalls hätten sie so, wie sie sich fortpflanzten, die Welt schon vor langer Zeit überrannt.

Gabel hielt einen vorbeikommenden Kobold an. Dieser trug einen Helm mit dem Wappen eines Pilotengeschwaders. Gabel kannte das Zeichen nicht. Entweder die Fliegenden Brunchs oder die Störrischen Kaubaren. Dieser spezielle Pilot hatte drei Kratzer an seinem Helm, was bedeutete, dass er dreimal ohne umzukommen einen Roch in die Luft und wieder zurück geflogen hatte. Dies qualifizierte ihn als einen bewährten Veteranen.

»Ja, Sir!« Der Pilot salutierte salopp, doch Gabel ignorierte das.

»Was vom Kommandeur gehört?«

»Nein, Sir!«, brüllte der Pilot. »Aber ich bin sicher, es geht ihm gut, Sir!«

Gabel sah zum Pferch hinüber. Vier Rochs schritten darin auf und ab. Ihre langen, schlangenartigen Schwänze wirbelten Staubwolken auf. Ihre unbarmherzigen Augen funkelten. Der größte Vogel, ungefähr zehn Meter hoch, hackte nach einem anderen. Der angegriffene Roch kreischte und hackte zurück. Sofort waren alle vier Monster damit beschäftigt, zu kreischen und aneinander zu zerren. Getrocknete Blutflecken und riesige Federn von früheren Zankereien bedeckten den Boden des Pferchs.

Drei Kobolde eilten mit ihren langen Stöcken, die mit Stacheln versehen waren, »Abreger« in der Rochführer-Terminologie genannt, in die Einzäunung. Ein Pfleger wurde unter dem plumpen Schritt eines Vogels zermalmt. Ein zweiter wurde geschnappt und verschluckt. Einige weitere Pfleger nahmen ihre Stelle ein, und nach ungefähr einer Minute wütenden Gekreisches und panischer Schreie beruhigten sich die Rochs. Die beiden Kobolde, die dabei nicht gefressen oder zerstampft worden waren, verließen den Pferch mit einem breiten, zufriedenen Grinsen.

Sie würden Gabel niemals in die Nähe eines dieser verdammten Dinger bekommen.

Der Pilot spürte seine Unruhe. »Eines Tages werden Rochflüge die sicherste Form des Reisens sein, Sir!«

In seinen Worten schwang nicht die leiseste Spur eines Zweifels mit. Gabel bewunderte den ewigen Optimismus der Kobolde, selbst wenn er es hasste, für einen von ihnen gehalten zu werden.

»Ich würde mir keine Sorgen um den Kommandeur machen, Sir! Ace ist unser bester Pilot, Sir!«

Gabel trat einen Schritt zurück. Das Gebrüll des Kobolds schmerzte ihn allmählich in den Ohren. »Wie viele Flüge hat er schon absolviert?«

»Sieben, Sir!«

Gabel war beeindruckt. »Er muss gut sein.«

»Ja, Sir! Er weiß, was er tut! Außerdem mögen Rochs seinen Geschmack nicht so recht, Sir! Haben ihn schon dreimal verschluckt, Sir! Haben ihn aber jedes Mal wieder ausgespuckt, Sir!«

»Was für ein Glück für ihn.« Gabel winkte den Kobold fort. »Sie können gehen.«

Der Pilot salutierte erneut. »Danke, Sir!«

Als das Klingeln in Gabels Ohren verhallt war, erschien endlich der Roch am Himmel. Sein Flug wirkte erstaunlich gleichmäßig, seine gewaltigen Flügel schlugen mit Kraft und Anmut. Aber die Landung war der schwierigste Teil. Die Eleganz der Rochs in der Luft stand im Gegensatz zu ihrer Schwerfälligkeit am Boden.

Der Pilot straffte die Zügel und trieb den Roch zu einem scharfen Sinkflug. Gerade als es so aussah, als würde der Vogel mit Sicherheit zu Boden stürzen, zog er an und setzte stolpernd auf. Rochführer warfen dem Piloten ein Seil hinauf, das er am Halsband des Rochs festmachte. Grinsend glitt er das Seil hinunter.

Ace war klein, selbst für einen Kobold – etwas über sechzig Zentimeter groß. Nichtsdestoweniger machte er eine schneidige, unbekümmerte Figur. Beinahe heldenhaft. Er schob seine Fliegerbrille hoch und warf den langen Schal zurück. Eines seiner Ohren fehlte, wahrscheinlich war es von einem Roch abgeknipst worden. Oder vielleicht war auch etwas anderes geschehen. Kobolde lebten eben gefährlich.

»Sir.« Er salutierte nicht, zog nur sein Messer und schnitt eine weitere Kerbe in seinen Helm. Die Pfeife, die zwischen seinen Zähnen klemmte, stank nach irgendeinem widerlichen Kraut, das Gabel nicht recht einordnen konnte. Was auch immer es war, es stank nach verfaultem Fleisch und verdorbenem Obst. Kaum verwunderlich, dass die Rochs ihn nicht fressen wollten.

Eine Stimme rief vom Rücken des Vogels herab: »Entschuldigung? Wie komme ich hier runter?«

»Tja, Sie könnten springen!«, rief Ace. »Oder Sie können die Leiter benutzen! Ihre Sache.«

Eine Strickleiter entrollte sich auf einer Seite und Ned begann mit dem Abstieg. Er war auf halbem Weg, als ein vorbeihuschendes Eichhörnchen den Roch erschreckte. Die Bestie drehte sich, verlor das Gleichgewicht und fiel um. Gabel und Ace befanden sich außerhalb der Quetschreichweite, Ned aber hatte nicht so viel Glück. Der Aufprall von drei Tonnen Vogelmasse schnitt seinen angstvollen Aufschrei ab. Der Roch ließ sich Zeit, bis er wieder auf die Füße taumelte.

Gabel näherte sich dem zerquetschten Kommandeur. »Verdammt, was für eine Sauerei.«

»So hat er vorher schon ausgesehen«, sagte Ace, »nur sein Hals war nicht so verbogen.«

»Sir?« Gabel stupste Ned an. »Sir?«

»Der ist ziemlich sicher tot.« Ace gab dem Leichnam einen Fußtritt.

»Aber das ist Never Dead Ned.«

»Schätze, sie werden seinen Namen in Forever Dead Ned abändern müssen.« Ace trat die Leiche ein zweites Mal, sprang mehrfach auf seiner Brust herum und wackelte mit dem gebrochenen Genick. »Jau, der ist hin.«

Gabel runzelte die Stirn.

Dann lächelte er. Es war praktisch, wenn sich Probleme von selbst lösten.

DREI

Die Kupferzitadelle besaß keinen richtigen Friedhof. Ihre Belegschaft bestand hauptsächlich aus Ogern, Orks und Kobolden, die eine Leiche im schlimmsten Fall für etwas hielten, über das man stolperte, und im besten als Munition für »Katapultiere den Kadaver« verwendeten, ein beliebtes orkisches Trinkspiel. Es waren jedoch auch ein paar Menschen in der Zitadelle stationiert, und weil es als offizieller Grundsatz der Unmenschlichen Legion galt, alle Kulturen zu respektieren, selbst die sentimentale Albernheit der Menschen, war ein rudimentärer Friedhof auf einem nutzlosen Flecken Dreck angelegt worden.

Zwei Oger, Ward und Ralph, waren die offiziellen Totengräber. Der Posten brachte ihnen ein paar zusätzliche Münzen ein. Sie hätten ihre Aufgabe mehr schlecht als recht erledigen können und keinen außer den Toten hätte es interessiert. Doch Ward erledigte den Job mit einem gewissen Stolz und das färbte auch ein wenig auf Ralph ab. Beide waren typische Oger: große, breite, rote, haarige Kreaturen mit breiten Mündern und winzigen, eng stehenden Augen. Ralph war ein wenig behaarter als Ward, und Ward war etwas größer. Das war der auffallendste Unterschied zwischen ihnen.

Ralph schippte eine weitere Schaufel Dreck und sah zur untergehenden Sonne hinüber. »Es wird dunkel. Das ist tief genug.«

Ward zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Sieht nicht so tief aus wie beim letzten Kommandeur.«

»Das kommt, weil ich den Kerl mochte.«

»Den hier hättest du auch mögen können, Ralph.«

Sie studierten Neds Leiche mit ihrem wulstigen Auge und der violetten Zunge, die zwischen den blauen Lippen hing.

Ralph runzelte die Stirn. »Für mich sieht er nach einem Arschloch aus.«

»Die sehen alle so aus, wenn sie tot sind.«

Ralph hob Ned an einem Bein hoch und schlenkerte den Leichnam. »Ja, aber welcher Idiot nennt sich selbst Never Dead Ned und stirbt dann einfach?«

»Arschloch«, entschieden sie unisono.

Ralph warf die Leiche in das Loch. Die beiden stämmigen Totengräber brauchten nicht lange, um die Arbeit zu Ende zu bringen. Dunkle Wolken breiteten sich über ihnen aus. Erste schwere Regentropfen fielen. Ward rammte einen einfachen Grabstein in die Erde.

»Der ist nett«, lobte Ralph. »Wann hast du ihn gemacht?«

»Als ich hörte, dass der neue Kommandeur kommt. Dachte aber nicht, dass er ihn so früh braucht.«

Auf dem schmucklosen Friedhof erstreckten sich neben Neds Stelle zehn weitere Gräber. Jeder Stein trug den Namen eines toten menschlichen Kommandeurs der Oger-Kompanie. Es hatte auch andere Opfer des Jobs gegeben, aber nur die Menschen mussten begraben werden. Die Orks waren als Rochfutter benutzt worden. Einen Elf hatte man auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Da war auch ein Zwerg gewesen, aber er war in so viele Stücke gerissen worden, dass sich keiner die Mühe machen wollte, sie alle aufzulesen. Also hatten Ralph und Ward nie gelernt, wie Zwerge ihre Leichname behandelt haben wollten.

»Kommt es mir nur so vor oder verschleißen wir diese Typen schneller als früher?«, fragte Ralph.

»Das kommt dir nur so vor. Obwohl der hier wirklich ein Rekord sein muss. Warte mal kurz. Ich habe hier was zu reparieren.« Ward zog Meißel und Hammer aus seinem Gürtel und meißelte ein X durch das »Never« in Never Dead Ned.

»Sollen wir ein paar feierliche Worte sprechen?«, fragte Ward.

»Müssen wir?«, fragte Ralph.

»Menschen scheinen so was zu mögen.«

Der nahende Sturm donnerte. »Na gut. Aber schnell.« Ralphs Nasenflügel blähten sich, als er in die Luft schnüffelte. »Ich rieche Regen. Und Magie. Schwarze Magie.«

Ab und zu kam es vor, dass ein Oger mit dem Talent geboren wurde, Magie zu riechen. Die Gabe wurde keiner der anderen Rassen je nachgewiesen, aber Oger nahmen sie als Tatsache hin.

»Wie riecht schwarze Magie?«, fragte Ward.

Ralph sog noch eine Lunge voll ein. »Nach Erdbeeren mit Sahne.« Er wischte sich den Regen aus den Augen. »Mach weiter.«

Ward wollte etwas sagen und zögerte. Er begann noch einmal und zögerte wieder.

»Und?«, fragte Ralph.

»Ich kannte den Kerl nicht.«

»Okay, ich mach’s.« Ralph seufzte. »Hier liegt wieder ein Mensch. Ich kannte ihn nicht, aber er hat mir nichts getan, also schätze ich, er war in Ordnung. Allerdings war er trotz allem ein Mensch, und die meisten von ihnen sind Trottel. Bis auf den einen, dessen Namen ich aber gerade vergessen habe.«

»Ja genau«, sagte Ward, »dieser Fette.«

»Nicht der. Ich meine den Kleinen.«

»Die sind alle klein.«

»Stimmt, aber der war besonders klein.«

»Ach ja, der Kleine. Er war ein guter Kerl«, stimmte Ward zu. »Zu schade um ihn.«

»Wie auch immer«, fuhr Ralph fort, »ich bezweifle, dass dieser Kerl so gut war wie der andere, aber vielleicht war er es doch. Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich war er ein Arschloch. Aber vielleicht auch nicht.«

Ein Donnerschlag beendete die feierliche Zeremonie.

»Das war wirklich schön, Ralph.«

Die beiden Oger trabten in Richtung Zitadelle, um dem drohenden Regen zu entgehen. Rumpelnde Wolken wirbelten über den schwarzen Himmel. Der Wind heulte, doch der Wolkenbruch kam nicht. Nur ein paar Tropfen, mehr nicht.

Die Frau stand an Neds Grab. Es war möglich, dass sie dort erschienen war. Genauso gut möglich war jedoch, dass sie unbemerkt herangetreten war. Es war eine kleine, drahtige Gestalt mit einem gebeugten Rücken, ganz in Rot gekleidet. Ihr Umhang war purpurrot, ihr Kleid leuchtend scharlachrot. Ihr langes Haar war blutrot und ihre Haut blass kirschrot. Ein zinnoberroter Rabe saß auf ihrer Schulter. Sie umklammerte einen knorrigen Kastanienholzstab mit einer ebenfalls knorrigen Hand. Sie hob ihn über ihren Kopf und sammelte die Magie, die nötig war, um die Toten zu wecken.

Ned war schon so oft wiedererweckt worden, dass es lächerlich einfach war. Eines Tages konnte er vielleicht sogar ohne ihre Hilfe auferstehen. Für den Augenblick brauchte er aber noch einen Stups.

»Steh auf, Faulpelz!«

Es war keine großartige Beschwörung, aber mehr war nicht nötig. Die Rote Frau stampfte mit ihrem Stab auf Neds Grab. Die Wolken lösten sich auf und die Luft wurde still. Die Frau wartete.

Eine Stunde später wartete sie immer noch.

»Er kommt nicht herauf«, sagte der Rabe.

»Er ist nur stur. Ihm wird die Lust früh genug vergehen, in der Erde zu hocken.«

Eine weitere Stunde später war es so weit. Ned hatte einige Erfahrung darin, sich selbst aus Gräbern zu schaufeln, und er brauchte nicht lange, wenn er einmal beschlossen hatte, sich den Weg zur Oberfläche freizukratzen. Er wischte die feuchte Erde ab, die an seiner Kleidung hing.

»Hat ja lange gedauert«, bemerkte der Rabe.

Ned rieb sich den schmerzenden Hals. Er war verrenkt. Das würde wahrscheinlich nie wieder weggehen. Ihm blieb, nachdem er gestorben war, jedes Mal solch eine Erinnerung. Er hatte inzwischen so viele, dass eine mehr auch nichts mehr ausmachte.

Die Rote Frau lächelte und ging davon.

Er rief ihr hinterher: »Warum lässt du mich nicht einfach sterben?«

Sie wandte ihr runzliges Gesicht in seine Richtung. Ihre Wangen glühten in der verblassten Dämmerung. »Weil ich eine Vision hatte, Ned. Eines Tages, in einer fernen Zukunft, wird das Schicksal dieser Welt und jeder Kreatur, die an Land geht, in den Wassern schwimmt und durch die Lüfte schwebt, von dir abhängen und von der Entscheidung, die du treffen wirst.«

Diese Antwort hatte er nicht erwartet. Die Rote Frau hatte ihm vorher nie eine gegeben. Er fühlte sich etwas besser, als er hörte, dass es einen Grund für sein Leiden gab. Er blähte seine Brust mit einem stolzen Lächeln.

»Ich verarsche dich nur, Ned.«

Neds Brust und Ego fielen in sich zusammen und er ließ sich zurücksinken.

»Manche Leute stricken. Andere spielen Karten. Ich erwecke eben die Toten zum Leben«, antwortete sie. »Mädchen brauchen Hobbys. Sonst würde ich den ganzen Tag in meiner Höhle rumsitzen und mit Zombies reden. Hast du je versucht, ein Gespräch mit einem Zombie zu führen? Sie sind furchtbar langweilig. Und es ist völlig egal, wie oft du ihnen sagst, dass dir der Geruch nichts ausmacht. Sie entschuldigen sich trotzdem die ganze Zeit. Immer und immer wieder. Sie sind so verdammt gehemmt.«

»Entschuldigung.« Er wusste nicht so recht, warum er sich nun entschuldigte. »Aber ich hatte gehofft, du könntest einfach damit aufhören.«

»Sie mit Schweigen strafen, meinst du?« Sie kratzte sich mit einem langen, fuchsiaroten Fingernagel die Nase. »Kommt mir kaum fair vor, sie zu diskriminieren, nur weil sie tot sind.«

»Nein. Ich meinte aufhören, mich immer zum Leben zu erwecken.«

»Na, das ist ja ein schöner Dank«, sagte sie zu ihrem Raben. »Die meisten Menschen würden sich glücklich schätzen, wenn sie dem Tod so oft von der Schippe gesprungen wären wie der hier.«

»Es ist nur …« Er rang nach den richtigen Worten. »Sieh es mal so. Für einen Mann ist es doch nicht gerade natürlich, ständig zu sterben.«

Sie stützte sich auf ihren Stab. »Was sagst du da? Willst du lieber tot sein? Ist das Grab so attraktiv?«

»Das ist es nicht. Aber ein Mann sollte nicht mehr als einmal sterben müssen.«

Sehr langsam schüttelte sie den Kopf. »Das ist dein Problem, Ned. Du redest immer vom Sterben. Als wäre es das Wichtigste. Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass du besser daran tätest, mehr über die Zeit nachzudenken, die du unter den Lebenden verbringst und weniger über diese kurzen Momente in Gesellschaft der Toten?«

»Sicher nicht«, stichelte der Rabe. »Ned ist kein besonders helles Bürschchen.«

Ned griff nach dem Dolch an seinem Gürtel. Er war verschwunden. Im Lauf der Jahre hatte er der Frau mit den verschiedensten Klingen an den verschiedensten Stellen Stichwunden zugefügt, aber es schien sie nie zu kümmern. Am Raben hatte er es bisher jedoch noch nie ausprobiert. Er nahm auch nicht an, dass es funktionieren würde. Selbst wenn er den verdammten Vogel umbrachte, würde sie ihn wahrscheinlich einfach wieder aufwecken.

»Alle Dinge sterben, Ned«, sagte die Rote Frau. »Alles muss früher oder später in der Erde vermodern. Du bist da keine Ausnahme … wahrscheinlich. Aber während wir leben, ob von Natur aus oder durch Magie, sollten wir es zu schätzen wissen.«

»Ich weiß nicht, warum du dir Mühe gibst«, quäkte der Rabe. »Er ist eindeutig ein Idiot.«

»Vielleicht.« Sie trat in die Nacht. Trotz ihrer leuchtenden Röte wurde sie von der Schwärze verschluckt. »Wir sehen uns, Ned.«

Dann war sie fort. Er konnte nicht sagen, ob sie davongegangen war oder sich in Nichts aufgelöst hatte. Einen Moment lang dachte er über ihren Rat nach, aber dann erinnerte ihn ein schwacher Geruch nach Erdbeeren mit Sahne daran, wie hungrig er war. Von den Toten zurückzukehren machte ihn immer hungrig.

Die Kupferzitadelle war ein trübes Leuchtsignal in der grauen Nacht, auf das er zusteuerte. Es war eine lästige Reise. Er konnte nicht gut sehen und stolperte auf dem unebenen, felsigen Boden fortwährend. Er hatte einen Leuchtstein in seinem Beutel gehabt, als er starb, doch der war mit seinem Messer und Geld verschwunden. Er war offenbar ausgeraubt worden. Tote Männer brauchten kein Geld. Aber jetzt war er nicht tot, sondern nur pleite und blind und stolperte durch die Dunkelheit. Beinahe erwartete er, in eine Sprengfalle zu geraten und schon wieder zu sterben. Bis er die Zitadelle erreichte, war er sogar noch verärgerter und seine Zähne knirschten hörbar.

Das Haupttor war offen und die Oger-Wachen schliefen auf ihren Posten. Das Licht war innerhalb der Mauern der Zitadelle nicht viel besser. Die einzige Beleuchtung kam von ein paar großen Leuchtsteinen, die noch nicht aus ihren Halterungen gestohlen worden waren. Soldaten schliefen auf dem Boden. Andere liefen in betrunkenen Rotten umher. Niemand bemerkte – oder kümmerte sich um – einen Fremden, der durch ihr Fort ging. Ned hatte zwar gehört, dass die Oger-Kompanie undiszipliniert war, aber dies hier schien eine Absurdität von einer Festung zu sein. Er war froh, dass er sich nicht mit der Sicherheit befassen musste.

Den Pub fand er problemlos. Er folgte einfach den Zechgeräuschen. Das raue Geplärr des Knochenhorns, eines abscheulichen orkischen Instruments, das nur drei Töne erzeugen konnte, griff seine Ohren an. Der Spieler hupte die drei Töne immer in derselben Reihenfolge. Ned erkannte das Stück: es war der »Schädelbrecher-Boogie«. Nicht sein Lieblingswerk der orkischen Kompositionen, aber es wies ihm den Weg.

Der Pub war dunkel, modrig und voll. Vor allem von Ogern, wie Ned erwartet hatte. Er behielt sein Auge bei sich und ging zielstrebig zur Bar.

Dort machte er den Wirt auf sich aufmerksam: »Schwarzes Verhängnis.«

Der Wirt, ein klein geratener Oger, der locker einen Kopf größer war als Ned, schürzte die Lippen. »Sind Sie sicher, dass Sie das wollen?«

Ned nickte und der Wirt ging, um einen Becher zu holen.

»Entschuldigen Sie, aber sind Sie Never Dead Ned?«, fragte ein Kobold auf dem Nachbarhocker.

»Nein.«

Ace beugte sich vor. »Sind Sie sicher? Sie sehen aus wie er.«

»Alle Menschen sehen gleich aus.«

Ace runzelte die Stirn. »Ja schon, aber dieser Kerl war unverwechselbar, selbst für einen Menschen. Er war voller Narben. Wie Sie. Und er hatte nur ein Auge. Wie Sie. Und sein linker Arm, der sah ein bisschen brandig aus. Wie Ihrer.« Er kniff die Augen zusammen. »Ja, Sie sind’s, auf jeden Fall.«

Ned gab sich geschlagen. »Ich bin’s.«

»Dachte ich’s mir doch. Ich hab Sie eingeflogen. Erinnern Sie sich?«

»Wie könnte ich das vergessen?«

Der Wirt stellte einen Becher mit dicker, schwarzer Flüssigkeit vor Ned auf den Tresen. »Ich würde Ihnen raten, das nicht zu trinken, kleiner Mann. Könnte Sie geradewegs ins Grab bringen.«

»Wäre nicht das erste Mal«, murrte Ned.

Er schluckte etwas von dem Schwarzen Verhängnis. Er musste kauen, um es hinunterzubekommen, und Schlucken war eine Überwindung. Seine Innereien brannten. Seine Zunge brutzelte. Seine Kehle schnürte sich so eng zusammen, dass es ihm für eine Minute die Luftzufuhr abschnitt. Sein Auge tränte. Nach all dem füllte eine kühle Freundlichkeit seinen Kopf. In einer Stunde würde sie durch vernichtende Kopfschmerzen und Nasenbluten ersetzt werden, aber eine Stunde war noch weit entfernt.

»Hab nie einen Menschen gesehen, der Schwarzes Verhängnis vertragen konnte.« Der Wirt grinste. »Das geht aufs Haus.«

Das war gut, denn Ned hatte kein Geld. Aber er war hier der Kommandeur – und gerade erst von den Toten auferstanden. Ein Freigetränk sollte dafür schon das Allermindeste sein.

Ace zündete seine Pfeife an. Eine Fliege, die von der giftigen gelben Wolke erwischt wurde, würgte hörbar und fiel tot zu Boden. »Schätze, man nennt Sie aus gutem Grund Never Dead Ned, was, Sir?«

»Schätze ja.« Ned biss einen weiteren Schluck Verhängnis ab.

»Hey, Ward, Ralph!«, rief Ace. »Schaut mal, wer wieder hier ist! Ihr habt ihn wohl nicht tief genug vergraben!«

Ned schwenkte herum und suchte den Raum ab. Sein Blick traf die einzigen beiden Oger, die ihm nicht ins Auge schauten. Beide hielten einen Becher in der einen Hand und eine Schaufel in der anderen. Ned stand auf und stapfte auf wackligen Beinen durch den Raum. Ace folgte ihm grinsend. Stille breitete sich über den Pub aus.

»Habt ihr mich begraben?«

Ward nickte. »Ja, Sir.«

»Ihr sollt mich nicht begraben.« Die Muskeln von Neds bösem Arm spannten sich. Seine Hand ballte sich zur Faust.

Die Totengräber schluckten. Selbst im Sitzen waren sie größer als Ned, und es gab keinen lebenden Menschen, der es in einer Schlägerei mit blanken Fäusten mit einem Oger aufnehmen konnte. Aber jeder Mensch, der aus dem Grab zurückkehren und Schwarzes Verhängnis trinken konnte, verdiente einen gewissen Respekt. Da Oger weder daran gewöhnt waren, Menschen zu respektieren noch zu fürchten, wussten sie jetzt nicht genau, wie sie sich fühlen sollten. Schließlich entschieden sie sich für peinliches Unbehagen.

Das Schwarze Verhängnis stärkte Neds Mut und schwächte seine Vernunft. Er hatte keine Angst vor dem Tod, lediglich eine allgemeine Abneigung dagegen. In diesem Augenblick war er zu allem fähig, und er war nicht einmal selbst ganz sicher, was das war.

»Mein Geld.«

Ralpf ließ Neds Beutel auf den Tisch fallen. »Wir dachten nicht, dass Sie es noch brauchen würden, Sir.«

Ned rülpste so laut, dass es ihm beinahe selbst die gummiartigen Knie unter dem Körper weggezogen hätte. »Mein Messer. Mein Schwert.«

Das Messer wurde übergeben.

»Das Schwert hat jemand vor uns erwischt«, erklärte Ward.

Ned stützte sich auf den Tisch, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

»Wir haben nur die Anweisungen befolgt«, meinte Ralph. »Sir.« Er grunzte das letzte Wort mit offensichtlichem Ekel.

Neds böser Arm schwang hart und schnell herum und kollidierte mit Ralphs dickem Kiefer. Ein furchtbares Knacken war zu hören. Ob es Neds Hand war, die brach oder die Zähne des Ogers, die zusammenschlugen, konnte Ned nicht sagen. Aber er warf Ralph von seinem Stuhl und auf den Boden. Durch den Schwung drehte sich Ned herum und wäre beinahe neben dem Oger zu Boden gegangen, wenn da nicht Aces Arm gewesen wäre, der ihn aufhielt.

Das Publikum johlte. Jeder einzelne dieser Soldaten wusste einen guten, soliden Schlag als eine Kunstform zu schätzen. Ned würde es am Morgen bereuen. Seine Knöchel waren zwar geschwollen und rot, doch er spürte den Schmerz nicht. Das Starkbier hielt ihn schön warm.

Ralph stand auf. Er rieb sich den Kiefer. Ein Rinnsal Blut erschien auf seiner Lippe. Nicht viel, aber mehr Schaden, als ein Mensch jemals angerichtet hatte. Genau genommen war er noch nie von einem Menschen geschlagen worden. Die Eigentümlichkeit der Situation wischte seinen Ärger weg und ließ nur tiefe Verwirrung zurück.

»Hier ist eine neue Anweisung.« Ned rammte seinen Finger in Wards Brust. »Begrabt mich nie wieder.«

Er drehte sich und stolperte zur Bar zurück. Als er sich wieder gesetzt hatte, füllte sich der Pub erneut mit Lärm. Der Knochenhornspieler stürzte sich auf eine stürmische Darbietung des »Knochenbruch-Blues«, ein Lied, das aus denselben Tönen – sogar in derselben Reihenfolge – bestand wie der »Schädelbrecher-Boogie«, nur ein bisschen langsamer gespielt wurde.

»Sie haben Mumm, Sir.« Ace klopfte Ned auf den Rücken.

Neds böser Arm griff den Kobold am Ohr und schleuderte ihn auf den Knochenhornspieler. Er hatte das nicht gewollt, aber sein Arm wurde immer besonders garstig, wenn der Körper trank. Die Stammgäste kicherten höchst amüsiert. Ace staubte sich ab und suchte sich einen Platz am Tisch der Totengräber.

Ned nahm noch einen Schluck und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Je höher das Fieber, desto besser das Bier. Er bestellte ein Steak, blutig-roh. Nichts passte so gut zu einem großen Becher Schwarzen Verhängnisses.

Eine Frau glitt auf den Hocker neben Ned. »Sie sind also unser neuer Kommandeur.«

Er warf ihr einen Blick zu. Sie war hübsch, nicht schön, mit kurzem blondem Haar. Und sie kam ihm vage bekannt vor. Etwas an ihr rührte an seine animalischen Instinkte. Es war nicht normal, dass irgendetwas so kurz nach der Auferstehung von den Toten an seine animalischen Instinkte rührte. Und ein ordentliches Bier war auch nie besonders hilfreich.

»Kennen wir uns?«, fragte er.

»Nein, Sir.« Sie lächelte. Ein Grübchen erschien auf ihrer linken Wange. Er kannte sie. Er wusste nur nicht, woher.

»Ich heiße Miriam, Sir.« Mit den Fingern fuhr sie seinen bösen Arm auf und ab. Unter ihrer Berührung wurde er warm. »Darf Ihnen eine Lady einen Drink spendieren?«

Am anderen Ende des Raumes betupfte Ralph das Blut an seinem Kinn. »Hab dir doch gesagt, dass der ein Arschloch ist.«

»Jau.« Mit einem Grinsen blies Ace den Rauch seiner Pfeife aus. »Ich mag ihn.«

VIER