Dr. Martin Dornes
Die emotionale Welt des Kindes
FISCHER E-Books
Martin Dornes, geb. 1950, promovierte in Soziologie, habilitierte sich in psychoanalytischer Psychologie und arbeitete in Psychiatrie, Psychosomatik, Sexualmedizin und Medizinischer Psychologie. Von 2002 bis 2014 war er Mitglied im Leitungsgremium des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Im Fischer Taschenbuch Verlag ist u.a. von ihm erschienen ›Der kompetente Säugling‹ (16. Aufl. 2015), ›Die emotionale Welt des Kindes‹ (6. Aufl. 2014), ›Die Modernisierung der Seele. Kind-Familie-Gesellschaft‹ (2012), sowie zuletzt ›Macht der Kapitalismus depressiv?‹ (2016).
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Das 20. Jahrhundert ist verschiedentlich als Jahrhundert des Kindes bezeichnet worden. Zahlreiche Versuche wurden unternommen, der Bedeutung der Kindheit auf die Spur zu kommen. Neuerdings ist eine Art Abschied von der Kindheit zu beobachten, dahingehend, die lebensgeschichtliche Vergangenheit für unwichtig zu erklären und sich lediglich auf die gegenwärtige Lebensbewältigung zu konzentrieren. Entgegen dieser Tendenz betont der Autor die Bedeutsamkeit der Vergangenheit für das Verständnis der Gegenwart und die vielschichtige Art und Weise, in der beide miteinander verwoben sind. Gerade dies war und ist eines der großen Themen der Psychoanalyse. Zwar geben wir heute auf viele Fragen andere Antworten als zu Freuds Zeiten, aber die Psychoanalyse ist nicht deshalb bedeutend, weil ihre Antworten, sondern weil ihre Fragen Bestand haben.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2018 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: Nicole Lange, Darmstadt
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ISBN 978-3-10-491000-0
Für eine ausführliche Diskussion der neuesten Forschungsergebnisse zur kognitiven Entwicklung im Säuglingsalter siehe Haith/Benson (1998), Krist et al. (1998 a, b), Mandler (1998), Müller/Overton (1998) und Sodian (1998 a, b).
Die Beispiele stammen aus den Arbeiten von Cramer (1987, 1989) und Lebovici (1983).
Andere Autoren berichten von gänzlich anderen Befunden. Wolke etwa (1999, S. 352) gibt als durchschnittliche Schreidauer in den ersten sechs Wochen 1,75–2,5 Stunden an, ab dem vierten Monat bis zum Ende des ersten Lebensjahres ca. 1 Stunde. Die Differenzen ergeben sich daraus, daß die niedrigen Zahlen sich in der Regel auf Schreien im engeren Sinn beziehen (crying proper), während die höheren dadurch zustande kommen, daß auch Unruhe (fussiness) zum Schreien gerechnet wird. Unruhe ist aber kein starker, sondern eher ein milder negativer Affektzustand.
Winnicott (1958) hat solche Spielräume als die Fähigkeit zum Alleinsein beschrieben.
Die Dichter haben deren Bedeutung schon lange gekannt. Franz Kafka beispielsweise spricht in seinem Roman »Das Schloß« von der »Gewalt der unmerklichen Einflüsse jedes Augenblicks«.
Manche Kleinianer erheben dies sogar zum Prinzip und fügen den bekannten fünf metapsychologischen Gesichtspunkten von Rapaport und Gill (1959) einen sechsten hinzu: den »dramatic point of view« (Tabak de Bianchedi et al. 1984, S. 394f.).
Ich zweifle, ob es in der frühen Zeit aktiv gespalten wird.
Sogar die Theorie des primären Narzißmus, die behauptet, der Säugling lebe zunächst in einer Welt ohne Objektbeziehungen, bzw. er würde Objekte als solche nicht wahrnehmen, könnte einen Aspekt des Säuglingserlebens beschreiben, nämlich die Momente, in denen er allein, also »objektlos« und insofern narzißtisch ist. Eine intersubjektive Neubetrachtung des Narzißmuskonzepts stammt von Altmeyer (2000). Eine umfassende Rehabilitierung des Symbiosekonzepts unternehmen Metzger (1999) und, aus nicht-psychoanalytischer Sicht, Bischof (1996) und Sloterdijk (1998). Eine knappe Darstellung einiger Gedanken aus dem großartigen Buch von Bischof findet sich bei Dornes (2000). Zu Sloterdijk siehe Kapitel 5.
Der folgende Abschnitt stützt sich im wesentlichen auf das vorzügliche Buch von Holmes (1993, Kap. 2). Für weitere Details siehe das ebenso informative Buch von Karen (1994). Diese beiden Bücher sind auch zugleich die besten Einführungen in die Bindungstheorie. Einen enzyklopädischen Überblick für Fortgeschrittene geben Cassidy/Shaver (1999).
Das unterschiedslose »Sich-Hängen« an irgendeinen Erwachsenen wird in der neueren Bindungstheorie als promiskuöses oder »indiscriminate« Attachement bezeichnet. Es ist – im Unterschied zu den weiter unten ausführlich beschriebenen verschiedenen Qualitäten von Bindung – ein Zeichen für das Fehlen einer persönlichen Beziehung und ein Symptom, das häufig auf Vernachlässigung oder Verwahrlosung zurückzuführen ist (s. Zeanah et al. 1993 a; relativierend Chisholm 1998, S. 1104). Zur Theorie und Therapie von Bindungsstörungen siehe ausführlich Boris/Zeanah (1999) und Brisch (1999).
Der Inhalt der drei Bände kann hier nicht referiert werden. Gute Kurzdarstellungen findet der Leser bei Hoffmann (1986), Sroufe (1986), Slade/Aber (1992) und Bretherton (1995 b); eine ausführliche Darstellung gibt Holmes (1993, Kap. 3 und 5). Eine der wenigen uneingeschränkt positiven Rezensionen stammt von Matte-Blanco (1971), der selbst eher ein Außenseiter in der psychoanalytischen Gemeinschaft war.
Ich werde das Thema der unterschiedlichen Bindungsqualitäten im übernächsten Abschnitt ausführlicher behandeln.
Der folgende Abschnitt ist im wesentlichen eine kondensierte Zusammenfassung von Bretherton (1992, 1995 a). Für weitere biographische Informationen s. Karen (1994, Kap. 11, 12, 28), Ainsworth/Marvin (1995) und Main (1999).
Ainsworth hat, nach ihrer Scheidung Anfang der 60er Jahre, auch selbst eine Psychoanalyse absolviert (Karen 1994, S. 208).
Selbst wenn das nicht so wäre, ließe sich daraus nicht die Empfehlung ableiten, Kinder schreien zu lassen. (Diese Empfehlung wird heute, im Unterschied zu damals, auch von niemand mehr vertreten.) Ein Kind, dessen Schreien von den Eltern nicht beantwortet wird, mag in der Zukunft vielleicht auch weniger schreien, aber das kann Ausdruck seiner Resignation und Verzweiflung, nicht seiner Zufriedenheit sein. Die Dauer des Schreiverhaltens allein taugt also nicht als zuverlässiger Indikator kindlicher Zufriedenheit. Ainsworths Einstellung und Ergebnisse zu diesem Problem befinden sich in Übereinstimmung mit der psychoanalytischen Theorie, etwa der von Erikson (1950), in der das kindliche »Urvertrauen« in die Welt und sich selbst auf die verläßliche Beantwortung seiner Bedürfnisse zurückgeführt wird.
Eine Untergruppe dieser Kinder (A2) protestiert gelegentlich gegen die Trennung, aber der Protest ist oft abgekürzt, und die Bereitschaft, nach der Trennung Kontakt mit der Mutter zu suchen, nur gering ausgeprägt.
Für jede Gruppe existieren – wie angedeutet – noch Untergruppen, um feinere Differenzen zwischen den Kindern zu erfassen. Die vermeidend gebundenen werden in zwei Untergruppen (A1 und A2) aufgeteilt, die sicheren in vier (B1, B2, B3, B4) und die ambivalenten ebenfalls in zwei (C1 und C2). Ich verzichte an dieser Stelle auf detaillierte Ausführungen und verweise den Leser auf die ausführliche deutschsprachige Darstellung der Subgruppen bei Hédervári (1995).
van Ijzendoorn et al. (1992) kommen in einer Metaanalyse aller verfügbaren Studien zu folgender Häufigkeitsverteilung bei nichtklinischen Populationen: 55 % sicher gebundene, 23 % vermeidende, 8 % ambivalente und 15 % desorganisierte. Der Vollständigkeit halber sollte erwähnt werden, daß die D-Kategorie nicht als eigenständige Kategorie gilt, sondern immer nur zusammen mit einer der drei anderen Klassifikationen vergeben wird. Ein Kind kann also z.B. sicher-desorganisiert (B/D), ein anderes vermeidend-desorganisiert (A/D) gebunden sein. Beide sind dann desorganisiert, aber auf je verschiedene Art und Weise.
Daß kindliche Signale zutreffend interpretiert und angemessen beantwortet werden, läßt sich in der Regel an den kindlichen Reaktionen auf die mütterlichen Antworten ablesen.
Überblick bei Vaughn et al. (1992), Karen (1994, Kap. 21), Cassidy/Berlin (1994, S. 976), Fox (1995), Spangler (1995), Rothbart/Bates (1998, S. 139ff.), Thompson (1998, S. 52ff.) und Vaughn/Bost (1999).
Die Behauptung, daß der Einfluß der Mutter auf die sich entwickelnde Qualität der Bindung größer ist als der des Kindes, ergibt sich unter anderem aus folgendem Befund: Untersucht man Gruppen von kranken (z.B. tauben) Kindern mit gesunden Müttern, so findet man eine gewisse Abweichung von der üblichen Häufigkeitsverteilung zwischen sicheren und unsicheren Kindern: Der Anteil unsicher gebundener Kinder ist in der Regel etwas höher, was zeigt, daß Eigenschaften des Kindes durchaus einen Einfluß auf die sich entwickelnde Bindungsqualität haben können. Untersucht man jedoch Gruppen mit (psychisch) kranken Müttern (und gesunden Kindern), so sind die Abweichungen sehr viel größer. Dies zeigt, daß die »Eigenart« der Mutter einen größeren Einfluß hat als die des Kindes (s. van Ijzendoorn 1992; van Ijzendoorn et al. 1992).
Schneider-Rosen/Rothbaum (1993) kommen in einer weiteren Überblicksarbeit zu ähnlichen Ergebnissen.
Seifer et al. (1996) bemängeln, daß diese Hypothese, obwohl plausibel, noch keinem direkten Test unterzogen wurde. Er bestünde darin, ein und dasselbe Mutter-Kind-Paar unter optimalen und unter natürlichen bzw. Streßbedingungen zu untersuchen. Ich wage die Prognose, daß die Unterschiede signifikant sein werden, vor allem für die Mütter unsicher gebundener Kinder. Mayseless (1998, S. 30) berichtet, daß die Mütter ambivalenter Kinder bei kurzen, klar strukturierten Interaktionsaufgaben im Labor ähnlich sensitiv waren wie die Mütter sicherer Kinder. Zu Hause und insbesondere in aufgeheizten Interaktionssituationen traten die Unterschiede zwischen beiden Gruppen jedoch deutlich zutage.
Vielleicht, weil sie basale Regulationsdefizite hinterläßt.
Pederson/Moran (1995, S. 120) haben passable Stabilität zwischen acht und zwölf Monaten gefunden, und zwar sowohl, wenn man die Ainsworth-Skalen zur Messung verwendet, als auch bei Verwendung der sogenannten Q-Sets.
Siehe Bretherton (1985), Erickson et al. (1985), Sroufe (1983, 1988, 1997), Sroufe et al. (1993), Cassidy (1988), Scheuerer-Englisch (1989), Suess et al. (1992), Suess (1995); zusammenfassend: Grossmann/Grossmann (1995, S. 179ff.), Spangler/Zimmermann (1999, S. 181ff.), Thompson (1999) und Weinfield et al. (1999).
Eine klare Darstellung der ganzen Kontinuitäts-/Diskontinuitätsdebatte und der damit verbundenen Fragen geben Zimmermann (1995), Zimmermann et al. (1995) und Thompson (1998). Die beiden bisher vorliegenden Studien zu den Langzeitfolgen desorganisierter Bindung kommen ebenfalls zu gemischten Resultaten. In Sroufes Hochrisikopopulation aus Minnesota ergab sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen D-Bindung mit zwei Jahren und Verhaltensproblemen im Vorschulalter, im Schulalter sowie gehäuftem Auftreten von Psychopathologien im Alter von 18 Jahren (Carlson 1998). In der Regensburger Normalstichprobe der Grossmanns schien sich die D-Bindung mit 16 Jahren »ausgewachsen« zu haben, jedenfalls waren mit den verwendeten Untersuchungsinstrumenten keine wesentlichen Unterschiede zu den sicher gebundenen Kindern mehr erkennbar (Fabienne Becker-Stoll, mündliche Mitteilung).
Andere Autoren haben weniger bzw. keine Kontinuität gefunden (s. z.B. Fagot/Pears 1996, Belsky et al. 1996 und Goldberg 1997, S. 176). Weitere Literatur zu diesem Thema bei Thompson (1998, S. 54ff.), der auch die möglichen Gründe für die widersprüchlichen Befunde diskutiert.
Einschlägige Untersuchungen haben gezeigt, daß unsicher gebundene Erwachsene bei neutralen Themen, z.B. wenn sie von ihrer Arbeit berichten, genauso gute Erzähler sind wie sicher gebundene. Einschränkungen in der Flüssigkeit und Kohärenz des Diskurses finden sich nur bei affektbesetzten (bindungsrelevanten) Themen (s. Bakermans-Kranenburg/van Ijzendoorn 1993; van Ijzendoorn/Bakermans-Kranenburg 1996, S. 9, mit weiterer Literatur). Vermutlich verhält es sich bei Kindern genauso. Einige Befunde sprechen dafür, daß die narrative Kompetenz unsicherer Kinder nur dann eingeschränkt ist, wenn bindungs-/emotionsrelevante Themen auftauchen. Bei emotionsfernen Themen hängt sie eher vom Niveau der Sprachbeherrschung ab als vom Bindungstyp. Ich komme weiter unten auf die Diskursunterschiede Erwachsener in Abhängigkeit vom Bindungstyp noch näher zu sprechen.
Klann-Delius (1996) hat ebenfalls die Kommunikationsstile sicherer und unsicherer Kinder in Trennungssituationen untersucht. Eines ihrer Ergebnisse war, daß unsichere Kinder im Alter zwischen eineinhalb und drei Jahren häufiger die Trennung thematisierten als sicher gebundene. Sie vermieden also keineswegs das Trennungsthema, sondern waren eher übermäßig damit beschäftigt. Dieser interessante Befund zeigt, daß es verschiedene Weisen gibt, sich mit konflikthaften Themen auseinanderzusetzen, und daß die oben beschriebene Vermeidung nur eine mögliche Strategie ist. Bezüglich der Flüssigkeit des Dialogs über Trennungen fand die Autorin, ähnlich wie Main, daß unsichere Kinder »holperiger« darüber kommunizierten als sichere (für weitere Details s. ebd.).
Hier ein Beispiel für einen verstrickten Diskurs: »Die Belange meiner Mutter haben mein Leben völlig dominiert, aber ich habe aufgehört, sie jeglichen Einfluß auf mich ausüben zu lassen, also wie sie versucht hat, mich dazu zu bringen, ihr jede Kleinigkeit, die täglich passiert, zu erzählen, und oft erfinde ich Geschichten, aber das wäre nicht genug für sie, weil sie so voll von ihrem Zeug ist und alles wissen und alles erzählen muß, weil ihre eigenen Eltern genauso waren, also ich wußte, wo das alles herkam, und ich wußte, daß sie voll mit diesem Zeug war und dieses ›wo warst du, was hast du gemacht, warum hebst du deine Klamotten nicht auf‹ und ich war auch mit meinen eigenen Sachen beschäftigt, aber sie hat völlig und gänzlich versäumt zu verstehen, daß ich mein eigenes Leben hatte und immer noch habe und ab jetzt haben werde« (Main 1994, S. 11). Das ist wenig kohärent.
Die Zitate stammen aus Main/Hesse (1990, S. 168f.); zur U-Kategorie s. auch Ainsworth/Eichberg (1991). Mittlerweile wird eine fünfte Kategorie diskutiert: die der Unklassifizierbaren (CC; cannot classify; s. Hesse 1996). Sie scheint die am schwersten gestörten Individuen zu erfassen, bleibt aber bei den weiteren Ausführungen außer Betracht. Die U-Kategorie wird nicht als eigenständig betrachtet, sondern, ähnlich wie die Kategorie der kindlichen Desorganisation, immer nur zusammen mit einer der drei Hauptkategorien vergeben. Eine Mutter kann also durchaus unter einem unbewältigten Trauma/Verlust leiden und dennoch als autonom klassifiziert werden (U/A). Sie unterscheidet sich dann von einer anderen, die als traumatisiert, aber zusätzlich noch als verstrickt klassifiziert wird (U/E). Beide leiden unter einem unbewältigten Verlust/Trauma, sind also U, aber auf verschiedene Art und Weise. Solche Unterschiede haben durchaus Folgen für die Kinder (s. dazu weiter unten).
Die Häufigkeitsverteilung in der Bindungsorganisation bei »normalen« Müttern ist wie folgt: 55 % sind autonom (F), 16 % distanziert (Ds), 9 % verstrickt (E) und 19 % leiden unter einem unbewältigten Trauma (U). Die Häufigkeitsverteilung für Väter ist in etwa dieselbe. Väter sind nicht distanzierter als Mütter, haben also keine Überrepräsentation in der Ds-Gruppe. Für klinische Populationen ergibt sich eine erhebliche Abweichung in der Häufigkeitsverteilung, insbesondere eine Zunahme der Verstrickten (E) und Traumatisierten (U). Ausführliche Informationen, z.B. zur Häufigkeitsverteilung bei adoleszenten Müttern oder bestimmten klinischen Gruppen (z.B. psychiatrischen Patienten) findet der Leser bei van Ijzendoorn/Bakermans-Kranenburg (1996) und Fonagy et al. (1996).
Das heißt nicht, daß Eltern nicht durch ihre Kinder beeinflußt würden, aber es bedeutet, daß die Art und Weise, wie sie ihre Vergangenheit verarbeiten, nicht in erster Linie von den Kindern beeinflußt wird, sondern vielmehr diese beeinflußt.
Für die Väter ist der Zusammenhang weniger deutlich ausgeprägt (Steele et al. 1996).
Sofern das unbewältigte Trauma noch mit unsicherer Bindung bei den Eltern einhergeht (s. dazu Genaueres weiter unten).
Danach können mentale Zustände auch über das symbolische Medium der Sprache transportiert werden.
Siehe Haft/Slade (1989), Malatesta (1990, S. 32), Goldberg et al. (1993), Slade (1996, S. 117) und Beebe et al. (1997).
Ziegenhain (1999) bezeichnet einen ähnlichen Sachverhalt als reflektierte Sensitivität.
Ein ungeklärtes Problem ist, daß auch ambivalent-verstrickte Mütter recht hohe Werte auf dieser Skala erzielen.
Siehe dazu auch die brillante Arbeit von Gergely/Watson (1996), auf die ich im fünften Kapitel näher eingehe.
Tatsächlich ist es etwas komplizierter. Da die distanzierten Eltern dazu tendieren, Trost- oder Nähebedürfnisse eher zurückzuweisen, entsteht im Kind ein Konflikt zwischen der Neigung, solche Gefühle zu äußern, und der damit verbundenen Gefahr der erneuten Zurückweisung. Dies führt auf die Dauer zu einer Unterdrückung sowohl des Nähesuchens als auch des damit einhergehenden Ärgers.
Die Bindungstheorie hat mittlerweile ebenfalls einige Belege für die Weitergabe von Bindungstypen« über drei Generationen beigebracht, d.h. dafür, daß Großmutter, Mutter und Kind denselben Bindungstypus aufweisen (s. Jacobvitz et al. 1991; Benoit/Parker 1994).
Neben der bisher erwähnten befaßt sich u.a. folgende Literatur mit dem Thema Bindungstheorie und Psychoanalyse: Bacciagaluppi (1994), Bräutigam (1991), Bretherton (1987), Buchheim et al. (1998), Cortina (1999), Eagle (1996, 1997), Fonagy (1999), Hamilton (1985, 1987), Hédervári (1996), Holmes (1996, 1997, 1998), Hopkins (1990, 1991), Köhler (1992, 1995, 1998 a), Lichtenberg (1999 a, b), Main (1995a), Mackie (1981), Marrone (1998), Mitchell et al. (1999), Osofsky (1988, 1995), Pedder (1976), Rayner (1991), Rehberger (1999), Silverman (1991, 1992, 1998), Slade/Aber (1992), Slade (1996), Sroufe (1986), Strauß/Schmidt (1997) und Wöller (1998). Gute Darstellungen dessen, was ich etwas pauschal als moderne Psychoanalyse bezeichne, finden sich u.a. bei Eagle (1984a), Reppen (1985), Thomä/Kächele (1985/1988), Gill (1994), Mitchell/Black (1995) und Mertens/Waldvogel (2000).
In Anbetracht dieser Konvergenzen verwundert es, daß manche Bindungstheoretiker von »unverifizierbaren und unfalsifizierbaren psychoanalytischen Spekulationen« sprechen (Grossmann 1995, S. 114; ähnlich Grossmann et al. 1997, S. 54, S. 94) oder gar, wie Rutter (1995, S. 561), ein respektvolles Begräbnis für die psychoanalytische Theorie fordern. Auch hier gilt, wie schon so oft: »Ich habe etwa ein Dutzend Male im Lauf dieser Jahre, in Berichten über die Verhandlungen bestimmter Kongresse und wissenschaftlicher Vereinssitzungen oder in Referaten nach gewissen Publikationen zu lesen bekommen: nun sei die Psychoanalyse tot, endgültig überwunden und erledigt! Die Antwort hätte ähnlich lauten müßen wie das Telegramm Mark Twains an die Zeitung, welche fälschlich seinen Tod gemeldet hatte: Nachricht von meinem Ableben stark übertrieben« (Freud 1914 a, S. 74f.). Ohne Leiche kein Begräbnis. Die moderne Psychoanalyse erfreut sich größter Lebendigkeit und ist weder unverifizierbar noch unfalsifizierbar, wie ein Blick in die am Ende der vorigen Fußnote erwähnte Literatur leicht lehren kann. Ich schließe mich deshalb Seiffge-Krenke (1997, S. 214) an, die der (akademischen) Entwicklungspsychologie empfiehlt, sich von antiquierten Animositäten gegen die Psychoanalyse zu lösen und einen vorurteilsfreieren Dialog zu suchen, zumal wesentliche Konstrukte (z.B. attachment, coping, inner working model) und wesentliche Themen (z.B. Deprivations-, Life-Event- und Kindesmißhandlungsforschung) der Psychoanalyse wichtige Anstöße verdanken. Die so gern aufs Korn genommenen psychoanalytischen »Spekulationen« sind häufig durchaus in empirische Forschung transformierbar und haben diese häufig inspiriert. »Auch wenn sie nicht im traditionellen Sinne als Empiriker gelten, haben die großen Pioniere der Kinderpsychoanalyse wie John Bowlby, Anna Freud, Melanie Klein, Ernst und Marianne Kris, Erik Erikson und Donald Winnicott durch ihre detaillierten Beobachtungen von Kindern in natürlichen Umgebungen maßgeblich zur Entstehung der Entwicklungspsychopathologie beigetragen. Die Werke dieser Visionäre waren von größter Bedeutung für unser Verständnis normaler psychologischer Entwicklungsstufen. Bindungstheorien und Repräsentationsmodelle vom Selbst und vom Anderen, die Identität, der konstruktive Gebrauch der Imagination sowie die Rolle, die Abwehrmechanismen bei der Angstbewältigung spielen – all das ergab sich aus Beobachtungen der Analytiker und trug schließlich zu der Erforschung normaler und atypischer psychischer Entwicklung bei (…)« (Cicchetti 1999, S. 12f.). Selbst wenn die Befunde der Psychoanalyse nicht ohne weiteres oder ohne Substanzverlust immer »empirisierbar« sind, bleibt wahr: »Es wäre jedoch eine zu enge Sicht der Welt, wenn wir nur noch das glauben sollten, was in psychologischen Untersuchungen bestätigt wurde« (Keller 1997 b, S. 258).
Crittenden (z.B. 1994, 1995) ist in der Bindungstheorie die Autorin, welche am stärksten innere (Reifungs-) Faktoren als Agens von Veränderung in Betracht zieht.
Zwar ist unsichere Bindung, wie erwähnt, keine Psychopathologie, aber sie ist ein Risikofaktor, der die Wahrscheinlichkeit einer späteren Erkrankung erhöht.
Das Erwachsenenbindungsinterview beispielsweise soll ja gerade Art und Grad der Verarbeitung kindlicher Erfahrungen erheben, nicht die Fakten.
Zu dem hier nur angedeuteten Spannungsverhältnis zwischen klinisch-hermeneutischer und gesetzeswissenschaftlicher Empirie siehe Näheres in Kapitel 3.
Van den Boom (1994) konnte allerdings nachweisen, daß die Zahl irritierbarer Neugeborener, die mit einem Jahr unsicher gebunden sind, erheblich sinkt, wenn sich die Feinfühligkeit der Mutter durch ein entsprechend ausgerichtetes Training erhöht. Ein irritierbarer Säugling bedarf also überdurchschnittlich sensitiver Eltern, um eine sichere Bindung zu entwickeln, aber dieses Ziel liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Die Rolle innerer Faktoren – Triebe, Temperamente, Konstitution – ist also eine relative und kann durch günstige Umweltfaktoren kompensiert werden.
Es gibt Ausnahmen, z.B. Lieberman (1996).
Die Behauptung einer Überschätzung mag auf manchen Leser etwas apodiktisch wirken. In Tat und Wahrheit jedoch ist die Geschichte der Psychoanalyse seit Freud gekennzeichnet durch die progressive Abnahme der Betonung der Sexualität. Green (1995) hat das überzeugend nachgezeichnet. Er hat es auch kritisiert. Ob zu Recht oder Unrecht will ich hier offenlassen. In Frankreich findet seit einiger Zeit eine intensive und produktive Diskussion über die Bedeutung des Konzepts der infantilen Sexualität statt. Die Darstellung dieser Debatte würde den Rahmen des vorliegenden Kapitels sprengen. Eine klare orientierende Einführung gibt Widlöcher (2000).
Ich würde als sechstes das Bedürfnis nach intersubjektiver Anerkennung ins Auge fassen (s. ausführlich dazu Dornes [1997, Kap. 4]). Gedo (1996) fügt das Bedürfnis nach Aufrechterhaltung der Selbst-Integrität hinzu, das nach seiner Ansicht basal wird, wenn ab ca. eineinhalb Jahren ein stabiles Selbstschema existiert. Der Wiederholungszwang wäre ab diesem Alter ein Versuch, den vertrauten, wenn auch leidvollen Selbstzustand aufrechtzuerhalten (s. dazu auch Emde 1988 b).
Und es ist weiter erwägenswert, ob nicht das Konzept der infantilen Sexualität von dem der erogenen Zone als ihrer wesentlichen und ursprünglichen Quelle entkoppelt werden sollte, wie Laplanche (1988; 1992, Kap. 1) vorgeschlagen hat.
Dies wäre schon Indiz für eine fehlgeschlagene Entwicklung.
In Tat und Wahrheit hat Freud die Verführungstheorie nie vollständig aufgegeben, sondern bis ans Ende seines Lebens durchaus in Betracht gezogen, daß sexuelle Übergriffe auf Kinder nur zu oft keine Phantasie, sondern Realität sind (s. dazu Grubrich-Simitis 1987; Lear 1995, S. 603).
Im folgenden werde ich zeigen, daß beide Positionen etwas für sich haben.
Zusammenfassend eine Liste der Risikofaktoren für die Entstehung psychischer und psychosomatischer Krankheiten, wie sie die Deprivationsforschung erstellt hat: a) niedriger sozioökonomischer Status; b) mütterliche Berufstätigkeit im ersten Lebensjahr; c) schlechte Schulbildung der Eltern; d) große Familie und sehr wenig Wohnraum; e) Kontakte mit Einrichtungen der »sozialen Kontrolle«; f) Kriminalität oder Dissozialität eines Elternteils; g) chronische Disharmonie/Beziehungspathologie in der Familie; h) psychische Störungen der Mutter oder des Vaters; i) schwere körperliche Erkrankungen der Mutter oder des Vaters; j) Unerwünschtheit; k) alleinerziehende Mutter; 1) autoritäres väterliches Verhalten; m) Verlust der Mutter; n) häufig wechselnde frühe Beziehungen; o) schlechte Kontakte zu Gleichaltrigen; p) Altersabstand zum nächsten Geschwister < 18 Monate; q) uneheliche Geburt; r) sexueller und/oder aggressiver Mißbrauch; s) hoher Gesamtrisikoscore; t) genetische Disposition (nach Hoffmann/Egle 1996 und Egle et al. 1997).
Auf die Methoden, die bei der Identifizierung von Fällen verwendet werden, kann ich hier nicht genauer eingehen. Im wesentlichen werden aus verschiedenen Beschwerdedimensionen (körperliche Beeinträchtigung, psychische Beeinträchtigung, sozialkommunikative Beeinträchtigung) aggregierte Beschwerdescores gebildet. Ab einem bestimmten Summenwert, dem sogenannten »cut-off point«, wird aus dem Untersuchten ein »Fall«, z.B. wenn sein Gesamtbeschwerdewert bei fünf oder darüber liegt.
Relativ gesund heißt, sie hatten Beschwerdesummenwerte von unter fünf; interessanterweise lag kein einziger Proband aus der Gruppe mit schweren Kindheitsbelastungen unter dem Wert von drei, wohl aber gab es Probanden mit geringerer Kindheitsbelastung, die diesen Wert unterschritten.
Nur bei Männern: Ein seelisch gesunder Vater in der Vergangenheit sowie eine abgeschlossene Berufsausbildung und Verheiratetsein in der Gegenwart. Nur bei Frauen: Entlastung/Förderung durch Geschwister in der Vergangenheit und gute nachbarschaftliche Beziehungen in der Gegenwart.
Dort waren allerdings Verlusterlebnisse bei den Fällen wesentlich häufiger anzutreffen als bei den Nichtfällen (Reister 1995, S. 74).
Die Mannheimer Gruppe konnte in einem anderen Forschungsprojekt ebenfalls zeigen, daß es einen signifikanten Zusammenhang zwischen psychogener Erkrankung im Erwachsenenalter und. Symptomhäufigkeit in der Kindheit gibt. Erhoben wurde die (berichtete) Häufigkeit von a) Ängsten, b) Schlafstörungen, c) Schwierigkeiten in Kindergarten und Schule, d) aggressiven Verhaltensauffälligkeiten, e) Einnässen, f) sonstigen Auffälligkeiten. Es ergab sich eine (mäßig starke) Korrelation zwischen Summe der Kindheitssymptome und Schwere der psychogenen Erkrankung im Erwachsenenalter (s. Reister et al. 1993). In einem weiteren, ebenfalls in Mannheim durchgeführten Projekt wurde die enorme Bedeutung der frühen Mutter-Kind-Interaktion für die Kompensation biologischer und psychosozialer Risiken nachgewiesen. Ein wichtiger Befund war, daß überdurchschnittlich gute Mutter-Kind-Interaktion (erhoben im Alter von drei Monaten) bei Vorliegen eines hohen organischen Risikos auf seiten des Kindes (z.B. Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen, Frühgeburt etc.) die Wahrscheinlichkeit einer eventuellen neuropsychiatrischen Erkrankung des Kindes mit zwei Jahren um das 2,3fache vermindert. Bei Vorliegen hoher psychosozialer Risiken (sozioökonomische Benachteiligung, unvollständige Familie, disharmonische Partnerschaft etc.) wurde das Risiko einer neuropsychiatrischen Erkrankung um das 2,0fache gemindert. Bei bereits manifester neuropsychiatrischer Auffälligkeit im Alter von drei Monaten verringerte eine besonders gute Mutter-Kind-Beziehung die Wahrscheinlichkeit für das Weiterbestehen dieser Störung zwei Jahre später sogar um das 4,8fache (Esser et al. 1993 b). Nachuntersuchungen im Alter von viereinhalb Jahren ergaben, daß die größte Gefährdung der frühkindlichen Entwicklung von den psychosozialen Risiken ausgeht, nicht von den biologischen (Laucht et al. 1996; s. dazu ausführlich auch Resch 1996, Kap. 9).
Interessant ist, daß auch Werner fand, daß die trotz schwerer Kindheit als normal Eingeschätzten nicht beschwerdefrei waren, sondern häufiger als die Vergleichsgruppe mit besserer Kindheit über funktionelle Beschwerden klagten (46 % versus 15 %; s. Werner 1989, S. 77). Ähnliche Befunde stammen von Caspi (1991, S. 219). Er verglich eine Gruppe von Personen, die trotz schwerer Kindheit später beruflich avancierten, mit anderen, die bei ähnlicher Kindheit beruflich wenig erfolgreich waren, und einer dritten Gruppe, die sowohl eine gute Kindheit als auch späteren beruflichen Erfolg hatte. Die trotz schwerer Kindheit Erfolgreichen hatten im Erwachsenenalter die meisten Gesundheitsprobleme – mehr als die mit kindlicher Belastung später Erfolglosen und mehr als die mit glücklicher Kindheit später Erfolgreichen – was die Kosten des Erfolges deutlich macht.
Kritiken daran aus psychoanalytischer Sicht stammen von Fischer (1986), Fischer/Berger (1987, 1988) und Tress/Reister (1990). Eine ausgewogene Gesamtdarstellung dieser Kontroverse gibt Göppel (1997, S. 145ff.). Für eine Kritik an Lewis siehe das vierte Kapitel. Das Buch von Kagan (1998) ist mir leider erst nach Fertigstellung des Manuskripts zur Kenntnis gelangt.
Für weitere Studien s. Colin (1996, S. 141f.).
Andere Daten, wie geringeres Selbstwertgefühl, suizidale Gedanken, pathologische Stimmungsschwankungen (mood disorders) etc. wurden ebenfalls erhoben. Ich lasse ihre Auswertungen in der folgenden Darstellung weg.
Ähnliche Befunde erbrachte das Mannheimer Projekt. Die als Fälle eingestuften Probanden wiesen signifikant häufiger sowohl Belastungen in der frühen (ein bis sechs Jahre) als auch in der späteren (sieben bis 15 Jahre) Kindheit auf als die Nichtfälle (Janta in: Schepank 1987, S. 163).
Die Untersuchungen von Rudolf/Motzkau (1997), Motzkau/Rudolf (1997), Schoon/Montgomery (1997), Franz et al. (1998), Esser/Gerhold (1998, S. 618ff.) und Laederach-Hofmann et al. (1999) bestätigen ebenfalls das große Gewicht (früh)kindlicher biographischer Erfahrungen für die spätere Erkrankungsanfälligkeit.
Neuere Überblicksarbeiten stammen von Howes (1990, 1999), Barton/Williams (1993), Laewen (1994), Lamb/Weßels (1997) Lamb (1998) und Harvey (1999). In der zuletzt genannten Arbeit wurden die Kinder früh berufstätiger Mütter über einen Zeitraum von 18 Jahren hinweg jährlich untersucht. In den verschiedenen untersuchten Dimensionen – wie Verhaltensauffälligkeiten, Schulleistungen, kognitive Entwicklung, Selbstwertgefühl u.a. – wurden nur minimale oder gar keine Unterschiede zwischen diesen Kindern und solchen mit nicht oder später berufstätigen Müttern gefunden.
1990 waren in den USA bereits über 50 % der Mütter einjähriger Kinder berufstätig.
Von unterschiedlicher Qualität heißt: Große vs. kleine Gruppen; gutausgebildetes vs. angelerntes Personal; große vs. kleine Betreuer-Kind-Relation; hohe vs. niedere Interaktionsqualität; gute vs. mäßige Qualität der physischen Umgebung (Sauberkeit, Spielzeug etc.). Zu Fragen der Betreuungsgüte und ihres Effektes auf die kindliche Entwicklung informieren ausführlich Tietze et al. (1996) und Fthenakis (1998).
Die einzig noch offene Frage ist, ob es diesbezüglich vielleicht »sleeper«-Effekte gibt, d.h., ob Verhaltensprobleme zwar nicht mit zwei und drei Jahren, wohl aber z.B. ab vier Jahren auftauchen. Dies werden Follow-up-Untersuchungen klären müssen. In Harveys (1999) Untersuchung war dies der Fall. Drei- und Vierjährige waren etwas weniger folgsam, wenn die Mütter früh berufstätig geworden waren, als wenn sie ihre Berufstätigkeit erst später (ab drei Jahren) begannen. Der Unterschied war allerdings gering.
Tress (1988), Leuzinger-Bohleber (1995), Stuhr (1997) und Dreher (1998) diskutieren ausführlich die verschiedenen Möglichkeiten der Kombination traditioneller psychoanalytischer Kasuistik mit anderen Forschungsmethoden. Westen (1991) beschreibt überzeugend den Beitrag extraklinischer Forschungen für das Neuverständnis klinischer Störungsbilder, insbesondere von Borderline-Störungen.
Ausführlich wird dieses Problem in dem oben erwähnten exzellenten Aufsatz von Leuzinger-Bohleber (1995) behandelt. Ich schließe mich ihrer Auffassung an, daß dieses Spannungsverhältnis »nicht zu lösen, sondern nur kritisch zu gestalten ist« (ebd., S. 464). Buchholz (1999) hat in einer umfassenden Monographie eine originelle Neufassung des Theorie-Praxis-Problems für das Feld der Psychotherapie vorgelegt. Ihm zufolge wenden Psychotherapeuten in ihrer Praxis nicht wissenschaftliches, sondern professionelles Wissen an. Beide Wissensformen unterscheiden sich, wie der Autor ausführlich und überzeugend darstellt, erheblich. Die Anwendung wissenschaftlichen Wissens in Psychotherapien würde Buchholz zufolge eher schaden als nützen, u.a. deshalb, weil die mit »Verwissenschaftlichung« von Therapie unvermeidlich einhergehende Standardisierung das für die Therapie wichtigere professionelle Wissen und Können, das u.a. von Intuition und Improvisation lebt, strangulieren kann. Es ist ein Verdienst der Arbeit von Buchholz, den Unterschied zwischen Psychotherapie als (angewandter) Wissenschaft und als Profession subtil auszuleuchten und für eine Konzeptualisierung von Psychotherapie als Profession zu plädieren, ohne deswegen wissenschaftsfeindlich zu werden.
Siehe beispielsweise die beeindruckende Arbeit von Perry et al. (1995) über Kindesmißhandlung und die daraus resultierenden Anomalien der Gehirnentwicklung. Die Autoren zeigen unter Rekurs auf die neuere Gehirnforschung u.a., daß und warum traumatische Erfahrungen in der Kindheit die Wahrscheinlichkeit einer späteren neuropsychiatrischen Erkrankung erheblich erhöhen. Dies widerspricht der neuerdings wieder häufiger (s. z.B. Ernst 1993) vertretenen These von einer besonderen Umweltresistenz des Säuglings. Weitere Ausführungen dazu in Kapitel 4.
Der eliminative Materialismus ist die einzige Position in der gegenwärtigen Diskussion über das Leib-Seele-Problem, die glaubt, dieses Problem liquidieren zu können. Für ihn ist die Alltagspsychologie und alle mentalistische Terminologie einfach ein Irrtum, den wir endlich aufgeben müssen. Glaube, Hoffnung, Befürchtungen, Überzeugungen und überhaupt alle mentalen Entitäten stehen in dieser Sichtweise hinsichtlich ihres Status als Erklärungen für Handlungen oder Vorgänge des Seelenlebens auf derselben Stufe wie die Annahmen von Hexen und Dämonen als Ursache von Geisteskrankheiten. Die Einseitigkeiten dieser Konzeption werden instruktiv z.B. von Brüntrup (1996, bes. S. 121ff.) herausgearbeitet. Kurthen (1998) diskutiert sehr subtil die möglichen Grenzen einer mentalistischen Psychologie. Einen guten Gesamtüberblick zu dieser ganzen Thematik gibt Pauen (1999 a, b).
welchen z.B. die Bindungstheorie dokumentiert (s. Kapitel 2).
Für ausführlichere Darstellungen dieser Thematik siehe z.B. Krappmann (1969), Cushman (1990), Straub (1991), Mitchell (1993), Leary (1994), Smith (1994), Welsch (1987, 1995), Wenzel (1995), Eagleton (1996 b), Elliott (1995, 1996), Elliott/Spezzano (1996, 2000), Kraus (1996), Protter (1996), Keupp/Höfer (1997), Strenger (1997 a, 1998), Bader (1998), Bürger (1998), Honneth (1999), Keupp (1999) sowie Bohleber (1999) und Hardt/Vaihinger (1999) mit weiterer psychoanalytischer Literatur.
Er wird an Hand der Rückenmarksflüssigkeit bestimmt und gilt als Indikator für den (veränderten) Serotoninstoffwechsel des Gehirns.
Henningsen (1998, 1999) weist zu Recht darauf hin, daß man ein nichtreduktionistisches Gesamtbild erst dann erhält, wenn man beide Ebenen, die biologische und die psychologische, berücksichtigt. Neurobiologische Marker müssen mit »Bedeutungsmarkern« kombiniert werden. Bei Persönlichkeitsstörungen, die mit erhöhter Aggressivität einhergehen, findet sich z.B. häufig (wie bei deprivierten Primaten) ebenfalls eine Veränderung im Serotoninstoffwechsel. Diese mag eine Ursache der erhöhten Aggressionsneigung sein. Natürlich gibt es auch psychologische Ursachen von Aggression, die noch dazu bei den verschiedenen Typen von Persönlichkeitsstörungen höchst verschieden sind: bei Narzißten ist es eine Kränkung, bei Borderline-Störungen eher das Androhen von Verlassenwerden. Vermutlich schaffen die biologischen Marker die Disposition, d.h. die Neigung, auf eine (psychologische) Kränkung (die den Bedeutungsmarker darstellt) eher mit Aggression als z.B. mit psychosomatischen Beschwerden zu reagieren. Bestünde der biologische Marker in einer erhöhten Gefäßlabilität, so könnte die Antwort auf eine Kränkung auch in einem Migräneanfall bestehen.
Auch Caspi (1991) hat gefunden, daß sich (bisher latente) Kontinuitäten im Verhalten dann deutlich zeigen, wenn die Umwelt sich verändert.
Es gab noch eine dritte Gruppe, nämlich die Kinder, die nach zwei Jahren Heimaufenthalt wieder in ihre (problematischen) Herkunftsfamilien zurückkehrten. Sie entwickelten sich am schlechtesten. Ich lasse sie im folgenden außer Betracht.
Siehe Göppel (1997, S. 113), der auch andere Longitudinalstudien zu diesem Thema ausführlich und übersichtlich zusammenfaßt.
Mit ausgefeilter Methodologie versuchten diese Autoren, das relative Gewicht der frühen im Verhältnis zu der späteren Erfahrung abzuschätzen, und kamen zum Ergebnis, daß beide ungefähr dasselbe Gewicht bezüglich der gegenwärtigen Probleme haben.
Eine andere Longitudinalstudie kam zu ähnlichen Ergebnissen (zit. in Rutter 1991 b, S. 191ff.).
Ihre Ideen sind in jüngster Zeit u.a. von LeDoux (1996, bes. Kap. 8) aufgenommen und weiterentwickelt worden. Aus psychoanalytischer Sicht siehe dazu Levin (1997) und Pally (1998).
Die Konzepte der impliziten und expliziten Erinnerung bzw. die damit verwandten des prozeduralen und deklarativen Gedächtnisses und ihre Beziehung zum psychoanalytischen Begriff des Unbewußten habe ich ausführlich andernorts behandelt (Dornes 1997, Kap. 10; s.a. Köhler 1998 b und Siegel 1999, Kap. 2).
Ich lasse offen, ob sie vergessen wurden, weil sie 1. verdrängt wurden, oder weil sie 2. zur Zeit ihrer Speicherung in einem bestimmten, Jahre später schwer zugänglichen Format aufgezeichnet wurden, oder weil sie 3. zunächst in Hirnarealen aufgezeichnet wurden, die später nicht mehr ohne weiteres zugänglich sind.
Ausführlich dazu Schore (1994, 1998), Nelson/Carver (1998), Huether et al. (1999) und Siegel (1999).
Auch die häufig geäußerte Auffassung, die gewählte Version sei deshalb bevorzugenswert, weil sie die für die gegenwärtige Lebensbewältigung nützlichste sei, das Selbstverständnis des Patienten am umfassendsten erweitere oder zur besten Integration bisher abgespaltener Persönlichkeitsanteile führe, erweist sich bei genauerem Hinsehen eher als Behauptung, deren notwendige Überprüfung nur außerhalb des narrativistischen Rahmens, nämlich mit den Mitteln der empirischen Psychotherapieprozeßforschung möglich ist (Eagle 1984 a, b).
Auch die sozialkonstruktivistische Richtung in der Psychoanalyse (z.B. Gill 1982, 1994; Hoffman 1991, 1992) betont die Bedeutung der Gegenwart. Sie kritisiert die klassisch-psychoanalytische Vorstellung, daß sich die Übertragung des Patienten quasi naturgesetzlich und ohne Zutun des Analytikers entfaltet und von diesem nur gedeutet wird. Statt dessen betont sie die aktuellen Determinanten der Übertragung, d.h. vor allem den Einfluß des Analytikers darauf. Außerdem hebt sie hervor, daß die Art und Weise, wie der Analytiker vom Patienten wahrgenommen und erlebt wird, nicht allein von den vergangenen Beziehungserfahrungen des Patienten abhängt. Sein Übertragungserleben sei keine bloße »Verzerrung« unter dem Einfluß der Vergangenheit, sondern häufig genug (auch) eine realistische Wahrnehmung von und Reaktion auf Eigenarten und Äußerungen des Analytikers in der Gegenwart. Im Unterschied zu den Narrativisten streben die Sozialkonstruktivisten den empirischen Nachweis dieses Einflusses an und legen auf die Neukonstruktion der Lebensgeschichte als Veränderungsagens nicht denselben Wert. (Ausführlich dazu Thomä/Kächele 1985/1988, Mertens 1991, Gill 1994 und Thomä 1999.) Insgesamt betrachten sie die Übertragung zutreffend als ein »Amalgam aus Vergangenheit und Gegenwart« (Gill 1982, S. 232), tendieren nach meinem Eindruck aber – ähnlich wie die Narrativisten – zu einer Überbetonung der Gegenwart und einer Unterbewertung der Vergangenheit, weshalb genetischen Rekonstruktionen wenig(er) Gewicht beigemessen wird.
In der Philosophie ist diese Auffassung mittlerweile ebenfalls heimisch geworden. Rorty (1994, S. 9) spricht explizit von der »Selbst-Erschaffung vermöge Selbst-Neubeschreibung« und vertritt die Ansicht, »daß sich das Ich ändert, sobald es eine andere Geschichte darüber erzählt, wer es selbst ist«. Eine Gesamtdarstellung der philosophischen Narrationsdebatte gibt Thomä (1998).
Ähnliche Befunde gibt es für Frauen, die in der Kindheit dauerhaft sexuell mißbraucht wurden. Auch hier ist sowohl eine deutliche Schrumpfung des Hippocampus zu finden als auch ein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Schrumpfung und der Schwere der psychiatrischen Erkrankung (s. Schacter 1996, S. 395).
1999