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Impressum

Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

Copyright für diese Ausgabe © 2018 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

 

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Umschlaggestaltung Anzinger | Wüschner | Rasp, München

 

 

Impressum der zugrundeliegenden gedruckten Ausgabe:

 

 

ISBN Printausgabe 978-3-499-21443-1

ISBN E-Book 978-3-688-11149-7

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-688-11149-7

Für Leandra
und Allyssa

1000 Gründe, (keine) Orakel zu lesen

1. Kapitel, in dem Sanny auf eine Reise geht, um einen Fremden zu finden

«Wann sind wir endlich da?», krähte mein kleiner Bruder vom Rücksitz unseres Autos.

«Wir sind gerade erst aus der Einfahrt auf die Straße gefahren. Du siehst doch noch unser Haus», schimpfte mein Vater.

Na, das ging ja gut los.

Wir waren auf dem Weg nach Spanien. Südspanien. Meine Mutter hatte die Einladung eines Kunden angenommen, als erster Besucher im neugebauten Gästehaus die Ferien zu verbringen. Mein Vater war alles andere als glücklich über diese Reise. Denn wir fuhren zu einem Kunden meiner Mutter.

Damit hatte mein Vater grundsätzlich ein Problem, denn meine Eltern hatten nach einem heftigen Streit über die Leichtigkeit des Hausfrauendaseins die Rollen getauscht. Meine Mutter leitet jetzt das familieneigene Architekturbüro, und mein Vater legt den Haushalt lahm. Letzteres wird nur dadurch abgemildert, dass wir Ludmilla eingestellt haben, eine ebenso patente wie resolute Haushälterin. Kurz: Meine Mutter war erfolgreich, der Kunde war zufrieden, sehr zufrieden sogar. Mein Vater war sauer und schmollte.

Dummerweise hatte Herr Zamecki, so heißt der Gästehausbesitzer, auch noch die Einladung an «Susanne Kornblum und Familie» geschrieben. Mein Vater fühlte sich als Oberhaupt der Familie nicht gewürdigt und berief einen Familienrat ein, ob man wirklich dorthin fahren wollte. Zur Verblüffung aller waren wir uns sofort einig: Wir wollten hin. Kann natürlich daran gelegen haben, dass es bei uns lausig kalt war und ein paar sonnig warme Tage in Südspanien sehr verlockend wirkten.

«Im Winter fährt man in Skiurlaub und nicht in den Süden», schimpfte mein Vater.

Wir waren anderer Meinung. Selbst mein hirnamputierter Zwillingsbruder Konny war dafür. Normalerweise sind wir nie einer Meinung.

Also musste mein Vater klein beigeben. Aber er baute in die Reisepläne eine Hürde ein, von der er annahm, dass wir sie nicht nehmen würden: Er wollte mit dem Auto fahren.

Mutters Kunde hatte zwar Flugtickets für uns geschickt, aber mein Vater stellte sich sofort auf die Seite meines kleinen Bruders, der darauf bestand, seinen Hund Puschel mitzunehmen. Und das ging nur, wenn wir mit dem Auto fuhren.

Doch auch in diesem Fall hatte sich mein Vater verschätzt. Wir wollten dahin, ganz dringend, ins Warme, in die Welt der Reichen und Schönen, zu Pools, Palmen und zum Meer. Und jetzt saßen wir zu sechst plus Hund im Auto – Ludmilla war dabei –, und bereits zwei Sekunden nach dem Start gab es Stress.

Die zweitägige Fahrt konnte ja heiter werden.

«Sind wir jetzt da?», krähte der kleine Konny schon wieder.

«Nein!», brüllte mein Vater zurück und wandte sich an meine Mutter. «Ich möchte wirklich mal wissen, was du den Kindern versprochen hast, damit sie so scharf darauf sind, Zeit mit Familie Superreich zu verbringen.»

«Im Gegensatz zu dir habe ich nicht versucht, die Kinder zu beeinflussen», entgegnete meine Mutter spitz. «Von wegen, im Winter fährt kein Mensch in den Süden, man fährt in die Berge, zum Skilaufen.»

«Na, ist doch auch so», verteidigte sich mein Vater.

Das versprach doch ein netter Familienurlaub zu werden.

«Wann sind wir da?», krähte der Kleine nun schon zum dritten Mal.

«He, reiß dich zusammen, die Schätze laufen dir nicht weg», flüsterte mein großer Bruder dem Kleinen zu.

«Okay», grinste der Kleine und zwinkerte ihm zu.

Na ja, er wollte ihm zuzwinkern, aber das klappte noch nicht so ganz, und er musste immer die Hand zu Hilfe nehmen.

Die beiden hatten zwar unterschiedliche Namen, Konstantin und Kornelius, aber blöderweise die gleiche Abkürzung, daher nannten wir sie meist den großen und den kleinen Konny. Das hatte allerdings nur etwas mit der Größe und dem Alter zu tun, über die geistige Reife sagte es überhaupt nichts aus.

Ich stieß den großen Konny an. «Was um alles in der Welt hast du ihm erzählt?»

Mein idiotischer Zwillingsbruder grinste. «Nur, dass Herr Zamecki der Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel eines ganz berühmten Piratenkapitäns ist, der seine ganzen Schätze auf dem Anwesen vergraben hat.»

«Hast du sie noch alle?»

Konny winkte lässig ab. «Bleib locker, Sanny, ich hab ihm gesagt, dass es ein Geheimnis ist und er niemandem davon erzählen darf.»

«Ein fünfjähriger Pirat auf Schatzsuche, der ein Geheimnis bewahren soll?» Ich schüttelte den Kopf.

Schatzsuche war die große Spezialität meines kleinen Bruders. Gemeinsam mit seinem Hund grub er sämtliche Vorgärten der Nachbarschaft auf der Suche nach Piratenschätzen um.

«Er wird nichts sagen!», beharrte der große Konny.

«Und du meinst nicht, die Löcher, die Puschel und er auf Zameckis Anwesen graben, werden für sich sprechen?»

Konny stutzte. Daran hatte er wohl nicht gedacht. Er zuckte die Schultern. «Dann beschweren wir uns einfach über die Maulwürfe.»

Ein typischer Vertreter seiner Art: männlich, hirnlos, fern jeglicher Realität. Lebte nur in seiner Phantasiewelt.

Ich verdrehte die Augen, faltete das Blatt auseinander, das ich die ganze Zeit in der Hand hielt, und las zum x-ten Mal, was darauf stand: «Sie werden einen geheimnisvollen Fremden treffen. Er wird Ihrem Leben eine entscheidende Wendung geben. Sie werden eine Seereise machen.»

Ich hatte bei einem Internet-Orakel-Wettbewerb mitgemacht und den ersten Preis gewonnen. Ein Gratis-Orakel. Von mir aus hätte ich nie bei so etwas mitgemacht. Aber meine beiden Orakel-Fische Pixi und Dixi hatten mir dazu geraten. Ohne die beiden treffe ich keine Entscheidung. Mithilfe der Futtermethode stehen sie mir mit Rat und Tat zur Seite: Ich stelle eine Frage und streue Fischfutter ins Aquarium. Wenn meine Fische fressen, lautet ihre Antwort «Ja», wenn sie nicht fressen, bedeutet es «Nein».

Und jetzt war ich auf der Suche nach diesem Fremden, den mir das Orakel prophezeite. Wie gut, dass wir nach Spanien fuhren, denn wo konnte man wohl besser einen Fremden finden als in einem fremden Land, in einem fremden Haus bei einer fremden Familie. Deshalb schlug ich mich auch sofort auf die Seite meiner Mutter, als es um die Entscheidung für die Spanienreise ging.

Ein geheimnisvoller Fremder, wenn das nicht romantisch ist. Wobei ich vom Typ her ja eigentlich nicht so zu den Romantikern gehöre. Na ja, noch nicht.

«Larissa, ich komme», flötete mein Bruder neben mir.

«Larissa? Wer ist Larissa?»

«Schwesterchen, du hast mal wieder echt gar keine Ahnung vom social life. Larissa Zamecki ist die Super-Maus schlechthin.»

«Ach, so was wie Mickymaus, oder was?» Ich hasste es, wenn mein Bruder von Mädchen als «süße Maus» oder «echt coole Braut» redete. Meist tat er das, wenn er mit seinen ebenfalls leicht unterbelichteten Freunden zusammen war und sie besonders cool wirken wollten.

«Okay, hör zu und lerne: Larissa Zamecki gehört zur absoluten High Society und ist regelmäßig in Zeitschriften abgebildet. Sie modelt. Sie ist süß, cool und einfach ‹in›, klar?! Und den Winter verbringt sie mit ihrer Familie immer in ihrem Haus in Spanien. Und dahin sind wir eingeladen – wenn das nicht die Sensation schlechthin ist!»

«Und was hat das alles mit dir zu tun? Du glaubst ja wohl nicht im Ernst, dass sie dich auch nur grüßen wird.»

«Sie wird mehr als das. Wart’s ab. Außerdem brauch ich nur ein Bild von uns beiden, und schon gehöre ich ebenfalls zu den unsterblich Coolen und Erfolgreichen.»

«Zu den Unsterblichen gehörst du eh schon, allerdings zu den unsterblich Doofen und Peinlichen. Reicht dir der Titel nicht? Und wenn diese Larissa nur ein Fünkchen Grips hat, wird sie sich mit dir nicht abgeben.»

«Ich werde sie um den Finger wickeln. Hey, bisher konnte noch keine Maus meinem Charme widerstehen. Die Mädels liegen mir zu Füßen.»

«Klar, weil sie sich vor Lachen nicht mehr auf den Beinen halten können, wenn sie dich sehen.»

«Warum bist du eigentlich so zickig? Du wolltest doch auch unbedingt mitkommen. Warum überhaupt?»

«Das geht dich überhaupt nichts an! Üb lieber deine behämmerten Grimassen.»

«Kinder! Genug von Streit!» Ludmilla mischte sich ein, und ihr Tonfall duldete keinen Widerspruch. Selbst meine Eltern verstummten.

Ludmilla saß hinter uns im Van, neben dem kleinen Konny und Puschel, einem undefinierbaren Monsterhund in Wischmopp-Optik, der meinem kleinen Bruder überallhin folgte.

Nachdem in der Einladung stand, wir sollten doch ruhig auch unser «Personal» mitbringen, hatte meine Mutter zunächst gepanikt und überlegt, woher wir «Personal» bekommen. Dann fiel ihr Blick auf Ludmilla, die gute Seele des Hauses. Also hatte sie Ludmilla gefragt, ob es ihr wohl etwas ausmachen würde, wenn sie uns begleiten würde. Ludmilla hatte ihr darauf in die Augen gesehen und die Hand auf die Schulter gelegt. «Frau sein sehrrr fleißig. Ich stolz bin auf Frau. Ich werden helfen für Karriere. Kommen mit!» Einen Satz, den meine Mutter meinem Vater immer wieder gerne vorhielt, von wegen Unterstützung und so.

Endlich wurde es ruhig im Auto. Konny übte tatsächlich ein, paar Begrüßungsgrimassen, der kleine Konny schlief ein, und ich überlegte, wie mein Fremder wohl aussehen würde. Groß, dunkle Haare, braune Augen … Uups, schoss es mir durch den Kopf, wenn ich einen Jungen treffen würde, der tatsächlich so aussähe, wäre er ja kein Fremder für mich. Und dann würde möglicherweise auch das Orakel nicht mehr funktionieren. Mist. Das verwirrte mich. Ich beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Auch nicht über die Seereise. Erst musste ich den Fremden treffen.

 

Nach zwei Tagen Fahrt waren wir da. Hätte uns Ludmilla zuvor nicht schon zum Schweigen gebracht, wären wir spätestens jetzt sprachlos gewesen. Das Anwesen der Zameckis war von hohen Palmen und einer Mauer umgeben. Die Einfahrt versperrte ein schweres Tor, neben dem zwei hohe Säulen aufragten, auf denen jeweils ein geflügelter Löwe thronte. Direkt neben den Säulen standen ebenfalls zwei Löwen in Überlebensgröße.

«Hat das Gästehaus Löwen auf dem Dach oder im Wohnzimmer?», fragte mein Vater spöttisch.

Meine Mutter ignorierte ihn.

Mein Vater kurbelte das Fenster runter und drückte auf den Klingelknopf.

Die Augen des einen Löwen blinkten, er bewegte seinen Kopf in unsere Richtung, und es ertönte ein leises Fauchen.

Puschel jaulte und verzog sich unter den Sitz.

«Das sein keine Familienchaus, das sein Burg gegen Feinde!», stellte Ludmilla sachlich fest.

«Haben Piraten in Burgen gelebt?», fragte der kleine Konny misstrauisch und blickte seinen großen Bruder neugierig an.

«Klar, wenn die Piraten Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ahnen hatten, die Ritter waren», erklärte er.

Der Kleine dachte darüber nach, während er versuchte, seinen Hund zu beruhigen.

Ludmilla sah den großen Konny durchdringend an.«Ich werde haben Augen auf dich», drohte sie.

«Warum denn? Ich hab doch nichts mit Piraten am Hut», verteidigte der sich hastig.

Mein Vater musste inzwischen den nächsten Schlag gegen sein Selbstbewusstsein verkraften. Als er per Sprechanlage gefragt wurde, wer da sei, meldete er «Konrad Kornblum und Familie» an.

«Tut mir leid, aber ich habe nur eine Susanne Kornblum mit Familie auf meiner Liste.»

«Das sind wir», fauchte mein Vater.

«Oh, alles klar, entschuldigen Sie bitte. Fahren Sie bitte bis zum Gästehaus durch.»

Das Tor öffnete sich.

Mein Vater murmelte etwas Unverständliches, wobei sein Tonfall nicht sehr freundlich klang, dann fuhr er los.

Mein Bruder sah sich schon mit den Augen eines Profifotografen um. «Da unten neben dem Löwen wäre ein guter Hintergrund für ein Foto», murmelte er vor sich hin.

Meine Mutter drehte sich zu uns um. Sie wirkte nervös. «Kinder, das ist ein wichtiger Kunde. Ich erwarte, dass ihr euch tadellos benehmt und keinen Unsinn macht. Das schafft ihr doch für ein paar Tage, oder?» Der letzte Satz klang fast flehend.

«Tja, du wolltest ja unbedingt herkommen», feixte mein Vater.

«Ich werden haben Auge auf Kinder», erklärte Ludmilla. «Auf alle», fügte sie dann noch mit einem Blick auf meinen Vater hinzu.

Meine Mutter seufzte und ergab sich ihrem Schicksal. Viel anderes blieb ihr auch nicht übrig, denn wir waren da.

Vor dem Gästehaus (ohne Löwen) stand ein Paar und winkte uns fröhlich zu.

Meine Mutter winkte hektisch zurück, stieg aus und begrüßte die beiden.

Ludmilla fauchte drohend: «Ihr alle benehmen gutt! Für Mutter. Verstanden?!»

Wir nickten eingeschüchtert.

«Da. Dann ihr gehen und machen guten Eindruck.»

Konny öffnete die Tür. Puschel sprang raus, lief ein paar Schritte, kam wieder zurück und hob das Bein an unserem Autoreifen. Dann sprang er wieder los und fing unter den entsetzten Blicken von Frau Zamecki an, ein Loch zu buddeln, dass die Erde nur so durch die Luft flog.

«Ich glaube, Puschel hat sie nicht verstanden», meinte der kleine Konny.

Ludmilla sprang aus dem Auto und pfiff so durchdringend, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn die Vögel besinnungslos von den Bäumen gefallen wären.

Puschel hörte sofort auf zu graben, warf sich auf den Rücken und spielte «toter Hund».

Der Kleine sah Ludmilla anerkennend an. «Da haben Sie Puschel aber einen tollen Trick beigebracht.»

«Das sein kein Trick. Das sein gute Instinkt zu überleben von Chund. In Minsk alle Chunde so fallen um, wenn ich pfeiffen. Jetzt du cholen deine Chund und binden fest an Leine.»

Frau Zamecki starrte von Puschel zu Ludmilla und wieder zu Puschel. Sie schien sich noch nicht entschieden zu haben, was sie mehr schockierte: ein Monsterhund, der ihren Garten umgrub, oder Ludmilla, vor der selbst der Monsterhund Angst hatte.

Mein Vater begutachtete inzwischen das Gästehaus. «Na, ganz solide, aber was daran so besonders sein soll, ist mir nicht klar», meinte er und klopfte gegen die Wand.

Meine Mutter blitzte ihn wütend an.

Herr Zamecki ging zu meinem Vater und klopfte ihm jovial auf die Schulter. «Na, bewundern Sie die Arbeit Ihrer Frau? Großartig, nicht wahr. Was machen Sie denn so beruflich?»

Mein Vater betrachtete das Anwesen der Zameckis – und konnte nicht zugeben, dass er sich auf ein Experiment eingelassen hatte, das überhaupt nicht nach seinen Vorstellungen lief. Also murmelte er nur: «Ich bin in der Haushaltsbranche.»

Herr Zamecki lachte dröhnend und meinte: «Genau wie meine Frau!»

Mein Vater schnappte nach Luft und bekam einen roten Kopf.

Herr Zamecki sah das und sagte versöhnlich: «Das war ein Scherz. Ich wollte sie nicht mit einer Hausfrau vergleichen. Haushaltsbranche also. Lukrative Sache. Hat Zukunft.» Dann lachte er wieder: «Aber machen Sie es mit Ihren Geräten den Hausfrauen bitte nicht zu leicht, sonst haben sie noch mehr Freizeit und geben noch mehr von unserem schwerverdienten Geld aus.»

Mein Vater wollte etwas erwidern. Meine Mutter hatte einen leicht panischen Gesichtsausdruck und sah hilfesuchend zu Ludmilla.

«Wir erst gehen rein, packen aus Koffer, machen frisch, und dann wir sind in ordentlich und höflich Fassung.» Gut, dass Ludmilla das Kommando übernahm.

Herr und Frau Zamecki nickten.

Ludmilla schnappte sich meinen Vater und zog ihn ins Gästehaus.

Das war knapp. Mal sehen, wie schnell er sich wieder beruhigte. Am besten, ich wartete noch einen Moment außerhalb des Hauses. Vielleicht sah ich ja meinen geheimnisvollen Fremden? Vielleicht war es ja Herr Zamecki? Ich sah ihn mir ein wenig genauer an. Nein, er wirkte nicht sehr orakelmäßig. Aber ich hatte meine Suche ja erst begonnen. Und bestimmt gab es hier jede Menge geheimnisvolle Fremde.

2. Kapitel, in dem Konny versucht Larissa zu beeindrucken

Was für ein gelungener Auftritt!

Paps wurde von Ludmilla abgeführt, und Mam sah aus, als bräuchte sie gleich ein Sauerstoffzelt. Hoffentlich berappeln sich die beiden schnell. Immerhin ist Herr Zamecki ein wichtiger Kunde, also sollten sie besser einen guten Eindruck machen. Wovon sollen wir denn sonst leben?

Sanny hatte sich auch ins Haus verzogen und irgendwas von einem Fremden gemurmelt. Vielleicht war sie ja plötzlich menschenscheu geworden und die vielen Fremden machten sie nervös? Bei Mädchen musste man immer mit allem rechnen.

Ich sah mich um. Nicht schlecht hier! Es war sogar noch besser, als ich es mir vorgestellt hatte. Zamecki-Anwesen, so weit das Auge reichte. Die Jungs werden Augen machen, wenn ich ihnen davon erzähle.

«Hallo, ich bin Larissa.»

Ich drehte mich um – und das coolste Mädchen, das ich je gesehen habe, stand vor mir. Die Bilder in den Zeitschriften wurden ihr nicht gerecht. Sie war wunderschön.

Okay, jetzt möglichst cool bleiben. «Ichichcichbinnnik-Konnnyny.»

«Was?»

Durch die lange Autofahrt hatte ich wohl einen trockenen Hals. Ich räusperte mich und machte eine Geste, die bedeuten sollte, dass ich ein wenig Halsprobleme hatte. Leider wirkte es eher so, als würde ich gerade ertrinken.

«Ist alles in Ordnung? Brauchst du irgendwas?»

Ich winkte noch heftiger.

«Vielleicht Medikamente?»

Na klasse, das wurde ja immer besser. Jetzt hielt sie mich für medikamentenabhängig.

«Hallo, ich bin Konny. Und der da auch», sagte mein kleiner Bruder, deutete auf mich und lächelte Larissa an. «Das ist mein Hund Puschel. Er ist ein Piraten-Schatz-Such-Hund.»

«Hallo, Konny. Du bist ja ein gutaussehender Junge», lächelte Larissa.

Dummerweise in die Richtung meines Bruders.

«Ich bin ein gutaussehender Pirat», korrigierte der.

Larissa lachte.

Da ich noch immer am Schlucken und Räuspern war, wandte sie sich an den kleinen Konny.

«Ist denn mit deinem großen Bruder alles in Ordnung?»

«Ich glaube, er findet dich gut. Immer, wenn er Mädchen gut findet, benimmt er sich so komisch.»

Klasse, danke auch. Jetzt hatte ich zu meiner Sprach- und Grobmotorik-Störung auch noch einen hochroten Kopf.

Larissa lachte. «Ach, so ist das.»

Mit meinem versteinerten Kiefer murmelte ich etwas, das wie «Kinder» klingen sollte, und verwuschelte dem Kleinen die Haare.

«Ich finde Geschwister klasse. Leider bin ich ein Einzelkind.»

«O ja, es ist toll!» Hurra, ich hatte meine Sprachfähigkeit wiedergefunden. Und um noch eins draufzusetzen, richtete ich dem Kleinen wieder die Frisur. «Ich liebe meinen kleinen Bruder.»

«Echt?», fragte der Kleine misstrauisch und rückte etwas von mir ab. «Und was muss ich dafür tun?»

«Wenn ihr wollt, führ ich euch ein bisschen hier herum.»

«Hey, super, total gerne.» Das lief ja besser als geplant.

«Okay, Puschel und ich kommen auch mit», krähte der Kleine.

«Haben du und dein Hund nicht was zu erledigen?», fragte ich und sah ihn bedeutungsvoll an.

«Nö, das hat Zeit», erklärte Konny und nahm Larissas Hand. Dann drehte er sich zu mir, zwinkerte mir wieder unter Zuhilfenahme der anderen Hand zu und meinte: «Muss mich doch erst mal umsehen.»

Ich seufzte und ergab mich meinem Schicksal.«Ich heiße übrigens auch Konny.»

«Ach, dann hab ich das eben doch richtig verstanden. Ist das nicht ein bisschen unpraktisch?»

«Tja, was soll man machen. Der Kleine wollte eben unbedingt wie sein großes Vorbild heißen.» Ich lächelte mein Siegerlächeln.

Konny überlegte. «Gibt es einen Piratenkapitän, der Konny heißt?»

«Was?» Er brachte mich echt aus dem Konzept.

«Ich glaube, sein großes Vorbild ist ein Piratenkapitän», flüsterte mir Larissa lächelnd zu.

Sie sah umwerfend aus, wenn sie lächelte. Genau wie auf den Bildern. Ups, Bilder, genau, deshalb war ich ja hier. Ein Bild mit Larissa und mir. Ich blieb ein paar Schritte zurück und tastete nach meinem Handy. Genau genommen tastete ich nach dem Handy meines Vaters, das ich mir zu diesem Zweck ausgeliehen hatte. Er war derjenige in der Familie, dessen Handy die besten Fotos machte, aus beruflichen Gründen – die inzwischen natürlich hinfällig waren. Und weil wir keine Fotoapparate mitbringen durften, da auf dem Gelände Fotografieren strengstens untersagt war, schien das die einfachste Methode zu sein, um zu einem Beweisfoto zu kommen.

Okay, ich überlegte, wie ich es am besten anstellen sollte. In dem Moment lachte Larissa über etwas, das Konny gesagt hatte – und ich stolperte fast. Sie sah so süß aus. Ich würde noch ein wenig mit dem Foto warten und schloss wieder zu den beiden auf. Warum denn den Moment zerstören …

Larissa wartete schon auf mich. «Stimmt es, dass dein Bruder nicht schmelzende Schneemänner verkauft hat?»

Ich nickte. «Und nicht nur das.»

«Und zurzeit ist er im Schatzfinde-Business?»

«Damit hab ich aber nichts zu tun», wehrte ich erschrocken ab.

Larissa sah mich erstaunt an. «Ehrlich gesagt bin ich auch nicht davon ausgegangen, dass du mit ihm Gärten umgräbst.»

Ich schüttelte den Kopf. «Nein, das macht sein Hund», sagte ich etwas unglücklich und nickte zu Puschel.

Der stand in einem Rosenbeet und pflügte es in einem Affenzahn um.

«O nein, bloß nicht! Das ist der Lieblingsgarten meiner Mutter, normalerweise darf da nicht mal der Gärtner in die Nähe», stöhnte Larissa.