Harald Schmidt
Avenue Montaigne
Roman, très nouveau
Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
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Harald Schmidt, geboren 1957, Kabarettist, Schauspieler, TV-Entertainer. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen.
Endlich: Harald Schmidt reloaded! Fakten, Fakten, Fakten! Knallhart und gnadenlos recherchiert vom Meister himself. Das Beste im Focus-Wochentakt – Sternstunden des investigativen Journalismus. Ob transatlantische oder alteuropäische Politik, brillante Philosophie oder messerscharfe Soziologie, Kultur oder Medien, Pädagogik oder Börse: kompromisslose Analysen live und ungeschminkt aus den Chefetagen des Zeitgeists.
Die Themen: Was geschah wirklich beim K-Frühstück? Was tun, um bei einem unerwarteten Literaturtalk problemlos mithalten zu können? Lieber Ich-e.V. oder doch besser Ich-AG? David oder Merrill Lynch? Pisa-Studie, Bertrand Russell, Bahn-AG oder Dachschrägenausbau?
Die Antworten auf längst überfällige Fragen! Nach dem großen Erfolg von »Warum«, »Wohin« und »Quadrupelfuge« hier die erstmals 2004 erschienene Fortsetzung der besten Focus-Kolumnen.
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei KiWi Bibliothek
© 2017 Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Covergestaltung: Rudolf Linn, Köln
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
Impressum der Reprint Vorlage
ISBN (eBook) 978-3-462-41126-3
Nur völlig Ungeübte werden nicht auf Anhieb erkennen, dass es sich bei vorliegendem Werk um einen Roman handelt. Wird das Schnalzen der Kennerzunge das Geschrei der Ignoranten übertönen können?
Wir sollten Menschen nicht verurteilen, die sagen: »Da hat er wieder alte FOCUS-Kolumnen für ein Taschenbuch zusammengekloppt. Für Geld macht der doch alles. Der kann den Hals nicht voll kriegen.«
Zum einen enthalten solche Analysen Körnersäcke voll Wahrheit. Zum anderen entlarven sie den Analytiker als literarischen Laien.
Wer so was sagt, liest auch Bestseller! Der ist nicht zu Hause in der Welt eines Flaubert, Tolstoi oder Proust.
Ich übrigens auch nicht. Aber gerade das könnte uns ja verbinden, den Leser und mich. Das Zusammenhanglose zum Prinzip erklären, die Inhaltsleere als Freiraum für die Fantasie begreifen, die Belanglosigkeit der Themen als Chance zum Atemholen – kurz: ein schier unendliches Angebot, wo keine Nachfrage herrscht.
Fast schrecke ich vor folgender Plattitüde zurück: Das wirklich Bewegende an diesem Roman sind die ungeschriebenen Sätze, die leeren Seiten.
Ich habe zu danken: Saul und Norma für ihre unendliche Geduld. N’Kotcho und Elfriede für die Plätzchen, ebenso wie Hinnerk, Babette und Jeremey, deren Gastfreundschaft mich manchmal beschämt hat.
Mein besonderer Dank und meine ganze Liebe gelten meiner Frau Heinz, sowie unseren Kindern Sascha, Trudel und Feronika. Außerdem meinen Kindern Olav und Coyote, von denen meine Frau bisher nix wusste.
Aber da sie diesen Roman eh nie liest (sie guckt den ganzen Tag nur Soaps in der Reha), wird sie es auch nie erfahren.
Port Bou, 1. Jänner 2004
Die Revolution geht weiter! Ich meine die Revolution des Romanaufbaus (Einleitung – Hauptteil – Schluss). Wem dieses epochale Kapitel über die Zukunft unseres Kontinents am Beginn von Avenue Montaigne zu früh erscheint, der sollte es einfach später lesen. Im Rahmen des action reading kann man es übrigens auch rausreißen und wegwerfen. Oder hinten reinkleben. Oder einzelne Seiten hier und wieder andere da. Es ändert nichts an der herzergreifenden Vision eines freien, geeinten Europas unter amerikanischer Führung mit UN-Mandat. Unter besonderer Berücksichtigung des deutsch-französischen Verhältnisses. Fast scheint mir, als führte Dr. Kohl an dieser Stelle die Feder.
Unter Tränen blättern wir um.
Heute widmen wir uns der Frage, warum es Menschen eilig haben. Warum sie auf der Autobahn drängeln respektive sich weigern, im Reißverschlussverfahren andere Autos einfädeln zu lassen. Ein wichtiger Grund hierfür ist sicher der gute alte Neid: Ich lass doch keinen Benz rein. Aus demselben Anlass drängelt vermutlich auch ein Opel-Irgendwas mittels Lichthupe einen BMW: Wenn ich mir so ein Teil schon nicht leisten kann, soll es wenigstens Platz machen. Nur – warum? Weshalb wollen Menschen so schnell von A nach B? Vielleicht ist es in A grässlich, langweilig oder unerträglich. Aber ist es in B besser? Wenn A Arbeitsplatz bedeutet und B das B wie Zuhause ist, wäre das Ganze vielleicht noch nachvollziehbar, aber auch nur vielleicht.
An dieser Stelle darf durchaus mal die Behauptung riskiert werden, dass es für die meisten Menschen völlig wurscht sein kann, wo sie gerade sind. Ob auf Schicht, im Auto oder daheim – Jacke wie Hose, gehupft wie gesprungen, da dreh ich die Hand nicht rum. Warum will denn einer schnell heim? Im Garten werkeln? Den Keller aufräumen? Die Fototapete ankleben? Hat doch alles Zeit. Macht doch vor allem auch überhaupt keinen Unterschied, wenn es nicht gemacht wird. Den meisten, die man so links und rechts im Stau sieht, möchte man zurufen: Dein Auto ist hässlich, du siehst fertig aus – warum steigst du nicht einfach aus und machst mal halblang? Irgendwann holt dich sowieso der Herzkasper, und dann ist es auch egal, ob du den Benz noch reingelassen hast. Gut, das ist jetzt philosophisch extrem hochgestochen formuliert, aber es geht auch anders. Denken wir doch mal an unsere mediterranen Traumländer, wo schon die Philosophen extrem locker drauf waren – geh mir aus der Sonne und so.
Wovon schwärmt jede Referendarin, wenn sie nach sechs Wochen aus Griechenland zurückkommt? Genau! Alte Männer vorm Kaffee, alte Frauen aufm Markt! Diese Ruhe, diese Gelassenheit, diese – sprechen wir es ruhig aus – Weisheit! Bei den Jungen sieht’s natürlich anders aus. Mopedgeknatter rund um die Uhr und die Piazza, auf zwei Rädern durch die Serpentine und ein Gehupe, dass dir die Ohren abfallen. Aber wir wollen das Klischee nicht außer Acht lassen: Italiener hupen anders! Lebensfroh! Ciao Bella! Der Italiener hat es eilig, weil er schnell ans Meer muss oder zu seinem Espresso, der Deutsche hat einen Werkstatttermin für seine Winterreifen. Die müssen runter, und er selber muss ins Straßencafé, jetzt, wo das Wetter so schön ist. Im Straßencafé könnte man übrigens prima damit anfangen, ein bisschen transalpiner zu wirken, indem man den Zucker überwiegend neben den Cappuccino streut. Hat mir mal irgendein Pepe oder Alfredo verraten, ein lieber italienischer Freund und Barkeeper, dass er die Deutschen schon daran erkennt, wie sie ihren Zucker pingeligst in den Cappuccino zirkeln, während die Italiener ihn locker über den halben Tisch verstreuen, weil sie einerseits schon wieder einem feschen Rock nachschauen müssen, andererseits aber hinter ihren meterdicken Sonnenbrillen die Tasse nicht erkennen können.
Fassen wir zusammen, wo es nichts zusammenzufassen gibt: ein bisschen mehr Gelassenheit angesichts des schönen Frühlingswetters. Haustür nicht mehr abschließen, Wagen offen stehen lassen, schmutzige Schuhe wegwerfen, Trinkgeld in D-Mark-Denke geben. Allerdings immer dran denken, dass andere möglicherweise noch nicht so weit sind. Wenn man selbst den Benz reinlässt, kann das den Hintermann leicht aggressiv machen. Ist vielleicht kein Deutscher.
Da kann schon mal leichte Langeweile aufkommen, wenn man in Sachen SPD-Korruption täglich mit neuen Pulsbeschleunigern wie Wuppertal oder Mülheim konfrontiert wird. Interessiert das überhaupt jemanden? Wir vermuten: nein. Volkes Stimme dürfte eher verkünden: Die da oben machen sich eh die Taschen voll! Aus sportlichen Gründen sollte man erwähnen: Die da unten würden auch gern, haben aber keine so richtige Gelegenheit. Stellen wir also fest: Korruption gehört dazu, sie ist eine zutiefst demokratische Einrichtung, grundsätzlich kann jeder jeden bestechen, gerade die traditionelle SPD-Klientel verfügt über schon fast künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten (Handwerker ohne Rechnung, Putzfrauen ohne Lohnsteuerkarte usw.). Was also stört uns an den aktuellen Fällen? Es ist der Mief von Ortsvereinen, die Armseligkeit der Summen, der Dilettantismus in der Durchführung. Jedes Mal, wenn in den Nachrichten ein neuer Fall angekündigt wird, weiß man: Jetzt kommen gleich wieder hässliche Männer mit schlecht geschnittenen Haaren, nikotingelben Bärten und grauenhaften Anzügen, die mit ihren hässlichen Aktentaschen, Plauze über dem Gürtel hängend, dass der Hemdknopf fast abspringt, ins Gebäude der Staatsanwaltschaft watscheln, um in stundenlangen Verhören zuzugeben, für wie wenig Geld sie welchen Schwachsinn veranstaltet haben. Seien wir ehrlich: Der Skandal um den Altkanzler Dr. Kohl hatte einen Hauch mehr Klasse. Züge von Shakespeare: Jahrhundertealte Männerfreundschaften zerbrachen, Tränen an Krankenbetten wurden der Heuchelei bezichtigt, eine ganze Partei fast in den Abgrund gerissen, der Chef persönlich zog am Rande der Beugehaft alle Pfeile auf sich, um am Schluss mit gewonnener Stärke seine Truppen frisch zu formieren.
Chapeau! Und damit willkommen in Frankreich, unserem liebsten Nachbarn, wo Korruption mit Chic und Charme zelebriert wird, dass man vor Neid erblassen möchte. Wird man dort mit hässlichen 70er-Jahre-Bauten gequält? Mais non! Fast immer ist gleich der Élysée-Palast im Bild, mindestens aber ein stilvolles Ministerium, welches den ästhetischen Ansprüchen eines Otto Schily angemessen wäre.
Vor allem aber: elegante Frauen von Format, heimliche Langzeitkurtisanen, erst auf dem Totenbett zugegebene Kinder, Edelnutten, die am Verhandlungstisch sitzen. So was in der neuen Mitte schon mal gesichtet? Armes Deutschland! Kaum, dass mal die Millionengrenze bei den Bestechungssummen gestreift wird. Wo sind die tollen Weiber, die Jachten, die Landschlösser? Immer nur Puff im Westerwald.
An Italien dürfen wir erst gar nicht denken! Unser Traumland in Sachen Mode, Kunst, Essen und überhaupt! Hat man je gehört, dass Herr Berlusconi mit Begriffen wie »Spendenquittung« oder »Müllverbrennungsanlage« in Zusammenhang gebracht worden wäre, außer dass er Letztere wahrscheinlich gekauft hätte? Madonna! Wieder mal ist Deutschland Schlusslicht. Ortsverein statt Ewige Stadt. Langjährige Freunde von Präsident Mitterrand, die dem Druck des gleichermaßen sozialistischen wie royalen Führungsstils nicht mehr gewachsen waren, haben gezeigt, wie sich Korruptionsopfer mit Stil verabschieden: Jagdgewehr und Mund auf. Zur Sonne, zur Freiheit!
Hilfe! Jetzt auch noch die Franzosen! Zwei Ereignisse machen es für den deutschen Zeitungsleser derzeit anstrengend, einerseits zum Feuilleton und andererseits zur Illustrierten zu greifen: Monsieur Le Pen und Frau Borer-Fielding (die übrigens optisch und vom Typ her ganz gut zu Le Pen passen würde, ohne ihr natürlich politisch zu nahe treten zu wollen. Aber die Ex von Le Pen hat sich ja auch halb nackt …).
Es ist unseren Schweizer Freunden zu danken, dass sie die Ex-Miss-Irgendwas aus unserem Blickfeld abberufen haben. Entgegen anders lautenden Berichten: Sooo toll sieht sie auch nicht aus, und wenn sie tatsächlich der Glanz der Berliner Gesellschaft gewesen sein sollte, so sagt das eher etwas über den Zustand ebendieser Gesellschaft aus, in der das intellektuelle Niveau vorwiegend von Friseuren definiert wird, und das ist auch gut so. Also bitte: keine Berichte mehr über Shawne Borer-Fielding oder umgekehrt, ab in die Alpen, Schneefallgrenze auf sie runterziehen und grüezi.
Greifen wir nun leicht echauffiert zum Feuilleton, und was müssen wir dort seit Tagen ertragen? Greinende französische Intellektuelle! Der eine will nur noch schweigen (bitte gleich anfangen), der andere sich nur noch für Blumen und die Liebe begeistern (nicht das Schlechteste), der Dritte schämt sich wie derzeit viele seiner Landsleute. Liebe französische Intellektuelle! Müssen wir euch euer Wahlsystem erklären? Kann nix passieren! Als Weltmeister solltet ihr wissen: Zu Hause kann man ruhig 0:5 verlieren, wenn man auswärts schon 8:0 gewonnen hat.
Das Volk (natürlicher Feind des Intellektuellen, Anm.d.Verf.) hat in gewissen Teilen »denen da oben« einen Denkzettel verpasst: ein schöner nachbarschaftlicher Trend, der es elegant ermöglicht, Paris neben Magdeburg zu stellen. Hat auch nix zu bedeuten, war auch nur ein Denkzettel. Es wird nicht mehr gewählt, es werden nur noch Denkzettel verpasst. Pourquoi pas? Und sagt mal, ist das mit eurem Monsieur Chirac wirklich so schlimm? Können ihn echt nur fünf weitere Amtsjahre vor dem Kadi retten? Oh, là, là! Aber bitte, das ist euer Problem.
Weint nicht unsere Zeitungen voll. Die brauchen wir für die eigenen Leute. Zum Beispiel für den Herausforderer unseres Kanzlers, der charismatechnisch stark an den gerade abgegangenen Monsieur Jospin erinnert. Er wird’s auch nicht leicht haben, weil die Weiber eher auf unseren Amtsinhaber stehen. Was wir nicht haben, ist ein Le Pen. Gründe dafür sind bekannt, ansonsten schaut doch mal ins Geschichtsbuch, oder fragt die Großeltern. Ab und zu haben wir mal ein Le Pennchen, so auf regionaler Ebene, und dann erschrecken alle ganz doll, und beim nächsten Mal ist er wieder weg.
Also, liebe Franzosen: Schluss mit dem Gejammere, immerhin habt ihr Depardieu, Huppert und Zidane. Und wem das nicht hilft: Geht doch einfach noch mal in »Amélie«. Echt, wir beneiden euch!
Wichtige Info für die Generationen Golf, Guido und Gel: Wenn am 22. Januar in Frankreich die Champagnerkorken knallen und in Deutschland die Pfandbüchsenverschlüsse zischen, dann feiern wir hüben und drüben 40 Jahre Élysée-Vertrag. Vive l’amour! Dem Bundestag hat man aus diesem Anlass einen Trip nach Paris vergällt, dabei wäre es wünschenswert gewesen, unsere Parlamentarier hätten sich vor Ort mal davon überzeugt, dass es noch was anderes gibt als zu kurze Anoraks. In Paris trägt man nämlich Mäntel! Und zwar fast knöchellang. Die Frauen (alle Models) und die Männer (ausnahmslos Charmeure mit genetisch bedingt festgewachsener Zigarette an der Unterlippe) flanieren somit wohlig eingehüllt über die Boulevards, anstatt fröstelnd mit vor der Brust gekreuzten Armen noch rasch was einzukaufen. Gut, solche gibt es auch, und zwar nicht zu knapp, aber die müssen wir hier leider ausblenden. Die hamwa selber, uns interessiert das Paris der übers nächtliche Kopfsteinpflaster jagenden Kutschen, der drallen Kurtisanen sowie der brennenden Barrikaden, auf denen sich glühende Revolutionäre das Hemd über ihrer girondistischen Sixpackbrust aufreißen. Schließlich leben wir 2003. Ahnungslosen Schülern sei erklärt: Frankreich gliedert sich in zwei Teile – Paris und den Rest!
Früher gab es noch die Côte d’Azur, aber die wurde mit dem Ende des Kalten Krieges an Russland abgetreten, weil der Russe es gern warm hat, wenn er seine Babuschka in Nizza ausführt und ihr kohlenhydratgeformter Körper keinen Zentimeter ohne Prada-, Gucci-, Versace-, Guess- … -Etiketten mehr aufweist.
Die Franzosen sind Alkoholiker. Das führt aber nicht wie bei uns zu Verwahrlosung oder Lallen während Wahlkampfauftritten, sondern zur gesellschaftlichen Untertreibung in Grand Cru, Premier Grand Cru, Vin de Pays und Appellation contrôlée. Et permanente. Schade, dass die Reisegruppe Thierse (vormittags Eiffelturm, Nachmittag zur freien Verfügung, Treffen 18 Uhr am Louvre, Haupteingang) nicht Augenzeuge werden konnte, wie Grandseigneurs parfümumwölkte Klassefrauen zum Kaviarfrühstück in den ersten Stock manövrierten. Echt, det is noch besser als KaDeWe. Wenn tout Paris mal frische Luft braucht, fährt es nach Deauville in der Normandie. Dort malt es entweder Seerosen oder greift impressionistisch in die Tasten oder lässt sich lasziv am Strand fotografieren oder sitzt zu viert im Auto auf dem Parkplatz, isst Pizza und hört dröhnend laut Musik, die ihre Wurzeln in der Heimat der Eltern hat.
Für viele junge Leser sind oben angeführte Details sicher zu kenntnisreich und wissenschaftlich. Zeugen sie doch von einer jahrelangen liebevollen Beschäftigung mit dem ehemaligen Erbfeind, die vor allem auf zwei Säulen ruht: dem Schüleraustausch und der Fahrt mit der Kumpelmutterente nach dem Abi. Beides sollte unser Staat dringend fördern, bringt fürs Leben mehr als Minijobs. Lesen Sie dazu demnächst auch meinen Exklusivbericht: wie als Interrailer nach einer Nacht vor der Gare de l’Est mein ganzes Geld fast weg war, weil ich nicht wusste, dass es in Paris noch andere Bahnhöfe gibt.
Neulich las ich von einem Engländer, der auf seinem Grabstein Room-Service, please stehen haben wollte.
Eine großartige Idee, leider ist er dann doch davon abgerückt. Room-Service ist nämlich eine der segensreichsten Erfindungen überhaupt. Anhand des Room-Service lässt sich blitzartig die Qualität eines Hotels ermitteln. Room-Service bietet weiterhin die Möglichkeit, ein komplettes Wochenende im Hotelzimmer zu verbringen, anstatt in überfüllten Städten wie Florenz oder London sinnlos draußen rumzutappen. Wer unbedingt am Wochenende verreisen muss (Stichwort: Billigflieger), weil es in irgendwelchen Metropolen atmosphärisch so toll ist oder irre Ausstellungen laufen oder wirklich hippe Läden zum Shoppen einladen, der wird schon sehen, was er davon hat. Bei Siffwetter ist die Atmosphäre gleich null, vor den Ausstellungen sind endlose Schlangen, und die hippen Läden findet man nur in Begleitung eines in der Stadt Lebenden, der einem dafür das ganze Weekend die Ohren voll quasselt. Reisen wir also per Bahn nach Barcelona oder Wien (Linien- und Charterflüge werden immer unerträglicher, und ein Privatjet kann sich erst ab einer Challenger oder Falcon aufwärts vom Ruch der Würdelosigkeit befreien. In diesen kleinen Propellerdingern lassen sich höchstens leicht drogensüchtige Soapies zu Events fliegen, wo sie von des Zigarettenschmuggels verdächtigten Konzernen als Pressefutter verheizt werden).
Im Hotel erst mal rein in den Hotelbademantel. In einem Spitzenhotel ist dieser sehr flauschig und hat die Größe einer mittleren Sozialwohnung. Ist der Bademantel zu kurz und bretthart, besteht auch die Spaß- und Wellness-Abteilung aus einer leicht übergewichtigen Auszubildenden, die gern die Dampfsauna aufschließt, »wenn man eine Stunde vorher Bescheid sagt«: Forget it.
Dann wird bestellt. Todsichere Festgerichte sind in jedem Hotel das Clubsandwich und der Caesar’s Salad. Der Schinken im Clubsandwich ist auf den Punkt kross gebraten, die Chips ohne das kleinste schwarze Fleckchen, auch nach dem Herausziehen des Spießchens bleibt das Sandwich mehrstöckig ohne Verrutschtendenz stehen.
Der Caesar’s Salad wird in einer ausreichend großen Schüssel serviert, die Salatblätter sind absolut frisch und makellos, die Croûtons perfekt gebräunt und der Käse beiläufig drübergeraspelt. Schnell dem Personal das Trinkgeld in die Hand gedrückt und die Rechnung quittiert, damit sie einem nicht mit Wo-soll-ich’s-hinstellen-Rumgebastel am Klapptischchen wertvolle Urlaubszeit stehlen. Sodann greift man zu mitgeführten Reiseführern und Bildbänden über die besuchte Stadt, um sich in aller Ruhe das anzuschauen, was in Büchern tausendmal besser kommt als im Original.
Vom Frühstück auf dem Zimmer ist übrigens abzuraten. Sicher, man will sich natürlich nicht der Gefahr aussetzen, die mich kürzlich im Frühstücksraum in Lausanne ereilte: ein Uhrenmensch aus Deutschland, der mit mir mal »charitymäßig was machen wollte«. Aber Hotelfrühstück ist sinnlos überteuert, und auf dem Zimmer nervt es irgendwie. Ganz und gar unmöglich ist natürlich Frühstücken im Bett. Wer so was macht, lässt auch von RTL seine Hochzeit filmen. Nein, wir checken aus, gehen samt irgendwie blöden Köfferchen auf Rollen in eine Billigbäckerei um die Ecke und trinken Kaffee aus dem Becher, bevor wir wieder nach Hause fahren. Irre was erlebt.
EU