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Star Wars - Die Hohe Republik - Im Zeichen des Sturms

Buch

Lange vor der ersten Ordnung und dem Imperium wachten die Jedi-Ritter über die Hohe Republik. Es war ein goldenes Zeitalter des Friedens.

Unter dem Schutz der Jedi wächst die Hohe Republik und vereint immer mehr Welten unter einem einzigen Banner. Kanzlerin Lina Soh veranstaltet eine große Messe, um die Möglichkeiten und den Frieden der expandierenden Hohen Republik zu präsentieren. Doch diese Demonstration der Harmonie schürt auch den Zorn der Nihil. Sie fallen über die Feierlichkeiten her und säen Chaos und Tod. Während die Jedi versuchen, das Gemetzel der Nihil einzudämmen, erkennen sie, welche Angst ihr Feind in der ganzen Galaxis zu entfesseln vermag – eine Angst, vor der nicht einmal die Macht der Jedi schützen kann.

Die Star-Wars-Romane aus dem Zeitalter
der Hohen Republik bei Blanvalet:

1. Das Licht der Jedi

2. Im Zeichen des Sturms

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Cavan Scott

titel

DIE HOHE
REPUBLIK

Im Zeichen des Sturms

Deutsch von Andreas Kasprzak

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Die Originalausgabe erschien 2021
unter dem Titel »Star Wars The High Republic 2«
bei DelRey, New York.

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Copyright der Originalausgabe
Copyright © 2021 by Lucasfilm Ltd. & ® or where indicated.

All rights reserved.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022 by Blanvalet
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Alexander Groß

Covergestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft nach einer Originalvorlage
® & 2022 LUCASFILM LTD

Covermotiv: Joseph Meehan

HK · Herstellung: sam

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-27955-4
V001

www.blanvalet.de

Für Clare, mein Licht und mein Leben.

Es war einmal vor langer Zeit
in einer weit, weit entfernten Galaxis …

Die Galaxis feiert. Nun, da die dunklen Tage der Hyperraum-Katastrophe überwunden sind, präsentiert Kanzlerin Lina Soh den nächsten Schritt ihrer GROSSEN ERNEUERUNG. Die Messe der Republik soll ihr größter Triumph werden: eine Feier von Frieden, Einheit und Hoffnung auf der Grenzwelt Valo.

Doch ein unersättliches Grauen erscheint am Horizont. Planeten fallen einer nach dem anderen, als die fleischfressenden DRENGIR alles Leben in ihrem Pfad verschlingen. Während Jedi-Meisterin AVAR KRISS den Kampf gegen diesen Schrecken anführt, sammeln sich im Geheimen die Nihil, um die nächste Phase von MARCHION ROs diabolischem Plan einzuläuten.

Nur die noblen JEDI-RITTER können Ro aufhalten, doch nicht einmal die Behüter des Lichts sind auf die schreckliche Dunkelheit gefasst, die vor ihnen liegt …

PROLOG

Ashla, Mond von Tython

Elzar Mann hörte die Schreie noch immer. Viele Monate waren seit der Eröffnungszeremonie der Starlight Beacon vergangen, als er Seite an Seite mit den anderen Jedi gestanden hatte. Seite an Seite mit Avar Kriss.

Die Augen der Galaxis hatten auf ihnen geruht, auf ihren feinen Tempelroben – oh, wie dieser verfluchte Kragen gejuckt hatte –, während sie den Ansprachen und Plattitüden lauschten, erst von Kanzlerin Lina Soh, dem Oberhaupt der Galaktischen Republik, dann von Avar. Seiner Avar. Der Heldin von Hetzal.

Wann immer ihr euch allein fühlt … wann immer die Dunkelheit näher rückt … wisset, dass die Macht mit euch ist. Dass wir mit euch sind. Für das Licht und das Leben.

Für das Licht und das Leben.

Doch das hatte nicht verhindern können, dass die Dunkelheit am selben Tag noch näher gerückt war. Eine Woge von Schmerz und Leid, eine Vision der Zukunft, so schrecklich, dass sie sich seinem Verständnis entzog. Er war getaumelt, hatte sich an einem Geländer festklammern müssen, und Blut war aus seiner Nase geschossen, als der Druck in seinem Kopf seinen Schädel zu spalten drohte.

Was er gesehen hatte, ließ ihm seitdem keine Ruhe mehr. Es fraß ihn förmlich auf.

Jedi, die einer nach dem anderen starben, niedergestreckt von einer zuckenden, rätselhaften Wolke. Stellan. Avar. Alle, die er je gekannt hatte, und alle, die er noch kennenlernen würde. Vertraute ebenso wie fremde Gesichter – alle in Fetzen gerissen.

Und dann die Schreie.

Die Schreie waren das Schlimmste.

Er hatte den Rest des Abends durchgestanden, aber er war wie benommen gewesen, nie ganz anwesend, mechanisch in seinen Worten und Bewegungen. Das Echo dessen, was er gesehen hatte … was er gehört hatte … war wie in sein geistiges Auge eingebrannt. Sie hatten Fehler gemacht: Erst ein paar Gläser kattadanischer Rosé zu viel beim Empfang, dann Avars Frage, ob er tanzen wollte, und seine Reaktion, dieser Schritt auf sie zu, der ein wenig zu eifrig, ein wenig zu öffentlich gewesen war.

Er konnte noch immer ihre Hand auf seiner Brust spüren, als sie ihn zurückgeschoben hatte.

»El. Was tut Ihr da?«

Sie hatten versucht, darüber zu reden, während sich in seinem Kopf noch immer alles drehte.

»Wir sind keine Padawane mehr.«

Danach hatte er sie mehrere Monate nicht mehr gesehen, und als sie sich schließlich wieder trafen, war die Stimmung so frostig gewesen wie ein Morgen auf Vandor. Avar hatte sich ihm gegenüber anders verhalten; sie war distanziert, ganz auf ihre neuen Pflichten als Leiterin der Starlight Beacon fokussiert.

Oder vielleicht war er derjenige, der auf Distanz ging. Elzar hatte seit der Eröffnungszeremonie Tag und Nacht über die Vision meditiert. Eigentlich hätte er Avar aufsuchen, sich bei ihr entschuldigen und sie nach ihrer Meinung fragen sollen – und wenn nicht sie, dann Stellan Gios, seinen ältesten Freund. Doch Stellan hatte natürlich seine eigenen Aufgaben; er war jetzt ein Mitglied des Rates und verantwortlich dafür, den Kurs des gesamten Ordens zu bestimmen. Er hätte sicher keine Zeit gehabt. Und abgesehen davon war es einfach nicht Elzars Stil, um Hilfe zu bitten. Elzar Mann war jemand, der Lösungen fand, nicht danach fragte. Er hatte die Antworten. Er entwickelte die Ansätze, die zum Erfolg führten. Also hatte er getan, was er immer tat: Er hatte versucht, die Sache allein zu bewältigen.

Sein erstes Ziel waren die Archive des Großen Tempels gewesen, wo er über zahllosen Textdateien und Holocrons gebrütet hatte. Er hatte sogar versucht, die Mysterien des Ga’Garen-Kodex zu entschlüsseln, jenes uralten Grimoires, dessen Texte die Linguisten schon seit Jahrtausenden vor Rätsel stellten.

Doch selbst dort, in den Archiven, wo die Statuen der Verlorenen über ihn wachten, hatte Elzar in seinem Hinterkopf die Schreie gehört, hatte er auf jeder reflektierenden Oberfläche oder in jedem vorbeihuschenden Padawan die Gesichter der Ermordeten gesehen.

Es war der Kodex gewesen, der ihn auf diesen Ort gebracht hatte: Ashla, den Hauptmond von Tython, oder genauer einen Landstrich auf Ashla, den die Alten die Inseln der Abgeschiedenheit genannt hatten. Abgeschiedenheit war genau das, was er brauchte, falls er seine Vision je verstehen wollte. Er musste allein sein, sich konzentrieren. Den entscheidenden Anstoß für seine Reise hatte die Nachricht von Stellans alter Meisterin gegeben, der hochgeschätzten Rana Kant. Sie hatte ihm zu seiner Erhöhung zum Jedi-Meister gratuliert und erklärt, dass der Rat eine neue Aufgabe für ihn hatte – er sollte den Jedi-Außenposten auf Valo leiten, weit draußen am Rande des Rseik-Sektors.

Er? Vorsteher eines Außenpostens? Wie konnten sie so blind sein? Merkten sie denn nicht, dass er nicht bereit war? Dass ihn andere Probleme umtrieben?

Elzar spürte warmen Sand unter den Füßen, während er auf das Meer zustapfte. Bevor er das Wasser erreichte, streifte er seine äußere Robe ab. Ja, das war schon besser. Hier würde sich ihm Wahrheit offenbaren. Hier würde er endlich begreifen. Er blieb nicht stehen, als er die Wassergrenze erreichte, sondern schritt zielstrebig in die Brandung hinein. Die Wellen reichten ihm bis zu den Knien, dann bis zur Hüfte, und schließlich schwamm er in den Ozean hinaus. Erst, als er kein Land mehr sehen konnte, hielt er an, und er drehte sich langsam im Kreis, umgeben von nichts außer dem Meer und der Macht.

Es war Zeit.

Elzar atmete tief ein und tauchte unter die Wellen, die Augen geschlossen, während das Wasser um seine Ohren rauschte und alle anderen Geräusche aussperrte.

Zeig es mir.

Führe mich.

Gib mir die Antworten, die ich brauche.

Nichts. Keine Antwort. Keine Offenbarung.

Er strampelte nach oben, um seine Lunge mit Luft zu füllen, dann versuchte er es noch einmal.

Ich bin hier.

Ich will lernen.

Ich muss verstehen.

Wo waren die Antworten, die ihm versprochen worden waren? Wo waren die Einsichten?

Er wiederholte das Ritual erneut: auftauchen, durchatmen, untertauchen, bis der Ozean ihn völlig verschluckte. Wieder und wieder …

Und dann, ganz plötzlich, war es, als würde ihn eine riesige Luftblase einhüllen. Er sank nicht mehr, er rannte, eingerahmt von den anderen Jedi, während Alptraumgestalten nach ihren Fersen schnappten. Sie waren nicht im Wasser, sondern in dichtem, beißendem, undurchdringlichem Nebel. Nichts ergab Sinn. Nicht das Chaos, nicht die Panik.

Und auch nicht die Furcht.

Er wollte schreien, aber aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit strömte Wasser in seinen Mund.

Was sehe ich hier?

Wo ist das?

Sag es mir!

Die Macht sprach zu ihm, mit solcher Intensität, dass Elzar sich im Wasser überschlug und Bilder wie violette Blitze an seinen brennenden Augen vorbeiwirbelten.

Avar.

Stellan.

Eine Tholothoianerin … Indeera Stokes? Nein. Ihr fehlte einer ihrer Tentakel, und ihr fremdes Gesicht war zu einer Maske des Zorns verzerrt.

Knochen zersplitterten.

Haut wurde aufgeschlitzt.

Augen wurden trüb und starr.

Dazu die Schreie, so laut und verzweifelt wie nie zuvor. Und der lauteste und verzweifeltste von ihnen allen war Elzars eigener Schrei.

Wo?

Wo?

WO?

Seine Schulten hoben und senkten sich, während er Meerwasser aus seiner Lunge würgte. Er war wieder am Strand von Ashla, seine Haut salzverkrustet unter der brennenden Sonne. Zu beiden Seiten erstreckte sich der goldene Sand, und am Himmel über ihm entdeckten seine verquollenen Augen Schlundflügler, die nur auf eine Gelegenheit warteten, ihm das Fleisch von den Knochen zu picken. Aber er war nicht tot. Und die anderen waren es auch noch nicht.

Elzar stemmte sich auf die Beine hoch und stolperte zu seinem Vektor zurück, wobei er im Vorbeigehen seine Robe vom Boden klaubte. Er musste Ashla verlassen. Und den Kern. Die Macht hatte zu ihm gesprochen. Sie hatte seine Frage längst beantwortet, er hatte bislang nur nicht richtig hingehört.

Da war ein Name – ein Planet, wo er alles zum Guten wenden könnte.

Valo.

1

Die Rystan-Ödnis

Ein Komet raste in das Eisfeld und löste eine verheerende Kettenreaktion aus. Asteroiden und Weltraumfelsen prallten voneinander ab wie Murmeln – mit dem offensichtlichen Unterschied, dass sie Millionen Tonnen wogen und ein Schiff wie eine Eierschale zertrümmern konnten. Die Brocken, die nicht vollkommen zerstört wurden, verwandelten sich in rasiermesserscharfe Splitter und trugen ihren Teil zu dieser Woge der Zerstörung bei.

Kein Raumfahrer wagte sich leichtfertig in die Rystan-Ödnis. Das Eisfeld war voll von den zerknautschten Wracks der Kreuzer, die versucht hatten, dieses Durcheinander aus kollidierenden Planetoiden zu durchqueren … und gescheitert waren. Selbst an einem guten Tag war es ein gefährliches, idiotisches Unterfangen. An einem schlechten Tag war es der reinste Selbstmord.

Und heute war ein sehr, sehr schlechter Tag.

Die Squall Spider bockte, während sie sich zwischen den trudelnden Felsen hindurchfädelte. Es war ein kleines Schiff, kaum größer als ein Shuttle, aber es war so schnell und so manövrierfähig wie die berühmten Vektorjäger der Jedi. Ja, in der Tat: Wenn man das seltsame, spinnenartig geformte Schiff bei seinem Zickzackflug beobachtete, hätte man schnell den Eindruck gewinnen können, dass ein Jedi an den Kontrollen sitzen müsste. Wer sonst könnte einen Pfad durch diese sich ewig verschiebende Trümmerlandschaft finden und rechtzeitig ausweichen, wenn sich ein riesiger Klumpen Eis unerwartet in seine Flugbahn schob? Doch das Wesen, das auf dem Platz des Piloten saß, hätte nicht weiter von einem Jedi entfernt sein können. Jedi waren die Beschützer des Lebens und des Lichts in der Galaxis. Sie führten ein selbstloses Dasein, stellten nie ihre eigenen Ziele über die von anderen, und wo immer sie auftauchten, setzten sie sich für Frieden und Harmonie ein. Kurzum: Sie waren Helden.

Udi Dis hingegen … Nun, er war als Talortai geboren, aber heute betrachtete er sich nur noch als Nihil. Das stämmige Vogelwesen – er war fast so breit, wie er groß war – führte ein Leben der Piraterie und des Plünderns; er nahm sich, was er wollte, und zerstörte alles, was übrig blieb. Es war keine noble Existenz, aber es war die einzige, die er kannte. Nachdem das Universum ihm wieder und wieder ins Gesicht gespuckt hatte, hatten die Nihil ihm einen Platz gegeben, wo er sich wirklich zugehörig fühlte.

Wenn es etwas gab, was Dis mit den Jedi gemein hatte, dann war es die Verbindung mit der Macht. Viele Talortai konnten dieses Energiefeld spüren, das alles Leben im Universum zusammenhielt, aber nur wenige Vertreter seiner Spezies machten je mehr aus dieser Fähigkeit. Diese Feiglinge. Sie sagten, es stünde ihnen nicht zu; dass es unmoralisch wäre, so etwas zu tun. Dis hatte es nie verstanden. Wenn man mit solchen Fähigkeiten gesegnet war, sollte man sie dann nicht nutzen und verbessern, um sich einen Vorteil gegenüber all jenen zu verschaffen, die die Macht nicht spürten? Bei dieser Einstellung war es kein Wunder, dass die meisten Talortai nie über ihr erbärmliches Dasein auf Talor hinauswuchsen. Aber nicht Dis. Zugegeben, er war oft enttäuscht worden, manchmal von anderen, oft von sich selbst, doch die Macht hatte ihn noch nie im Stich gelassen. Sein Leben wäre vermutlich besser gewesen, wäre er nicht von Reedug abhängig geworden, aber jetzt war er los von dem Zeug, und er fühlte sich so lebendig wie nie zuvor.

Dis schloss seine Klauenhände um die Kontrollen, und die Muskeln an seinen Armen spannten sich, während er die Spider hart nach Steuerbord zog und gekonnt ein Trümmerstück umflog, das einen schlechteren Piloten mitsamt seiner Mannschaft zu Weltraumstaub zermahlen hätte. Doch Dis kannte die Ödnis wie seine Westentasche, auch wenn er noch nie zuvor hier gewesen war. Alle Talortai waren von Geburt an mit einem ausgeprägten Orientierungssinn ausgestattet. Sie konnten die Vibrationen des Kosmos in ihren Knochen spüren. Aber Dis’ Fähigkeiten waren auf einem anderen Level. Durch sie konnte er die Position jedes Asteroiden in der Ödnis spüren, ganz ohne Karten oder Navigationsdroiden. Alles, was er brauchte, war die Macht.

Hinter ihm öffnete sich die Cockpittür der Spider, und ein Schwall abgestandener Luft wehte aus den stickigen Korridoren des Planetenhüpfers herein. Dis musste sich nicht umdrehen, um zu sehen, wer es war. Das Klacken der Stiefel auf den Deckplatten war unverkennbar, ebenso wie das Rascheln seines Mantels oder die Art, wie sich Dis’ Federn in der Gegenwart des Mannes aufstellten, dem er ewige Treue geschworen hatte.

Marchion Ro.

Das Auge der Nihil.

War er überrascht gewesen, als Ro mit dieser Mission an ihn herangetreten war? Natürlich. Bis dahin hatte er nicht mal geglaubt, dass das Auge seinen Namen kannte, geschweige denn, dass es von seinen Fähigkeiten als Pilot wusste. Dis hatte die letzten Jahre auf dem Wolkenschiff eines zähnestarrenden Crocins gedient, der sich Narbendorn nannte – ein Schlägertyp, der mehr Zeit damit verbrachte, seine Mannschaft zu misshandeln, als Raubzüge zu planen. Doch irgendwann hatte Narbendorn den Bogen überspannt, und nach einem gescheiterten Angriff auf den Grabmond von Serenno hatte Dis ihn getötet. Der Crocin hatte an jenem Tag drei Nihil in den Tod geschickt, und Dis war der Ansicht gewesen, dass ihr nutzloser Anführer ihnen dort Gesellschaft leisten sollte. Also hatte er mit einem Streich seiner Flügelklingen Narbendorns dünnen Hals aufgeschlitzt. Er wusste nicht, ob es diese Tat war, die das Interesse des Auges auf ihn gelenkt hatte, aber es würde vermutlich erklären, warum er so plötzlich befördert worden war, und nicht etwa zum Wind oder zum Sturm oder einem anderen Rang der Nihil, sondern geradewegs in das persönliche Gefolge von Marchion Ro. So etwas geschah normalerweise nie. Die Nihil hatten eine strikte Hierarchie: Man fing ganz unten als Brise an, dann arbeitete man sich zum Wind hoch, und wenn man Glück hatte, schaffte man es irgendwann zum Sturm. Die Nihil-Horde war dabei in drei Orkane unterteilt, jede mit ihren eigenen Stürmen, Winden und Brisen und kommandiert von einem Orkanläufer. Da war Pan Eyta, ein hünenhafter Dowutin, der zu große Ambitionen hatte; die kalte und effiziente Twi’lek Lourna Dee; und Zeetar, ein verschlagener Talpini, der erst vor Kurzem in diesen Rang aufgestiegen war. Zu sagen, dass seine Ernennung Pan vor seinen ohnehin schon ramponierten Kopf gestoßen hätte, wäre noch eine Untertreibung gewesen, und Dis’ Beförderung hatte den Dowutin sicher noch wütender gemacht. Tatsächlich hatte Pan ihn schon an der Gurgel packen wollen. Er behauptete, dass Ro die Regel der Drei brach, auf der die Hierarchie der Nihil aufgebaut war. Und nach dieser Regel der Drei durfte das Auge keine eigene Mannschaft haben. Sicher, er durfte mit abstimmen, wenn sie Pläne schmiedeten, und ja, er lieferte den Nihil die Pfade durch den Hyperraum, die es ihnen ermöglichten, den Schiffen der Republik zu entgehen (na schön, zumindest meistens), aber die Kämpfer mussten alle den Orkanläufern unterstehen. Dis vermutete, dass die Pfade der einzige Grund waren, warum Pan Ro nicht längst aus einer Luftschleuse geworfen hatte. Aber diese wundersamen Navigationsdaten waren einfach zu wichtig. Sie stellten den größten Vorteil der Nihil dar, und deswegen waren Eytas jüngste Vorwürfe ungehört verhallt. Stattdessen hatte man Dis an Bord von Ros Flaggschiff, der Gaze Electric, willkommen geheißen. Außer ihm wurde die Gaze größtenteils von schweigsamen Droiden bemannt, während die zahlreichen Kabinen leer standen – es war wie ein Palast ohne Bewohner. Und hier, in Ros innerstem Heiligtum, hatte Dis erfahren, dass sie auf einer privaten Mission nach Rystan fliegen würden. Natürlich würden sie nicht die Gaze nehmen; das Flaggschiff verließ nur selten die Nihil-Basis bei Grizal, und selbst dann teilte sie sich in der Regel in kleinere, sekundäre Schiffe auf, während der Rest zurückblieb. Aber um das Eisfeld der Ödnis zu durchqueren, brauchte man etwas noch Kleineres, etwas noch Wendigeres. Etwas wie die Squall Spider.

»Wann werden wir die Ödnis hinter uns haben?«, fragte Ro, wobei er seine Handschuhe auf die Nackenstütze von Dis’ Sessel legte.

»Nur noch ein paar Minuten, mein …« Dis drehte sich auf seinem Platz herum. »Ich weiß noch immer nicht, wie ich Euch nennen soll. Mein Auge? Sir

Ros schmale Lippen verzogen sich ungehalten, als er das letzte Wort hörte, und seine Augen funkelten im roten Licht, das durch das Cockpitfenster hereinfiel.

»Nenn mich … Marchion.«

Dis’ Brust schwoll an. Er hatte sich nie in einer höheren Position gesehen, und vermutlich war er deswegen auch so lange eine Brise geblieben; na schön, dass er die letzten zehn Jahre im Reedug-Rausch verbracht hatte, könnte auch etwas damit zu tun haben. Aber jetzt hatte das Auge ihn zu sich versetzt und wollte, dass Dis ihn Marchion nannte. Niemand nannte ihn so, nicht mal Pan.

»Ich glaube, es wäre einfacher, wenn wir einen Pfad benutzen«, sagte Dis, während er die Spider aus der Ödnis heraussteuerte und sie in einem engen Bogen um die schwache Sonne von Rystan herumschickte.

Ro ging zur verwaisten Station des Kanoniers hinüber, um seine Maske aufzunehmen; sie hatte dort gelegen, seit er vor ein paar Stunden zur Großen Halle gegangen war.

»Aber dann hätte ich keine Gelegenheit gehabt, einen Meister bei der Arbeit zu beobachten«, erwiderte er, während er die Vorderseite seiner Maske mit dem Ärmel abwischte. »Wegen deiner Herkunft hatte ich bereits gehofft, dass du Talent hast – vor allem jetzt, wo du deine … schlechten Angewohnheiten hinter dir gelassen hat. Und ich wurde nicht enttäuscht.«

Oh, und wie er seine schlechten Angewohnheiten hinter sich gelassen hatte. Ro hatte Dis gezwungen, den letzten Rest seiner Vorräte in den Müllzerkleinerer der Gaze zu werfen. Nun war sein Kopf zum ersten Mal seit Jahren klar, und seine Verbindung mit der Macht blühte förmlich auf. Zu seinen Zeiten als Süchtiger hätte er die Ödnis niemals sicher durchqueren können. Er stand so tief in Ros Schuld.

»Wer hätte gedacht, dass wir all diese Zeit einen Machtbenutzer in unserer Mitte hatten …«, fuhr Ro fort, nachdem er die Filter seiner Maske überprüft hatte. »Narbendorn war ein Narr. Ich bin froh, dass er tot ist.«

Da bist du nicht der Einzige, dachte Dis, auch wenn er das natürlich für sich behielt. Jenseits der Cockpitfenster tauchte die Spider in die dünne Atmosphäre von Rystan ein.

»Warst du schon mal auf einer gezeitengebundenen Welt?«, fragte Ro.

Dis schüttelte den Kopf.

»Sie sind wirklich faszinierend«, klärte das Auge ihn auf. »Eine Seite ist immer der Sonne zugewandt, was bedeutet, dass die Oberfläche dort wenig mehr ist als eine verkohlte Wüste.«

»Und die andere ist eine gefrorene Wildnis«, sagte Dis. Das trostlose Terrain unter ihnen erfüllte ihn nicht gerade mit Zuversicht. »Wo sollen wir landen?«

Ro deutete auf einen Streifen kaum bewohnbaren Landes, der entlang der Grenze zwischen den beiden Extremen verlief. »Dort.«

»Gibt es da einen Raumhafen?«

»Nicht wirklich.«

Ro lotste ihn zu einem unfruchtbaren Feld, wo abgestorbene Büschel von Gestrüpp über die Erde rollten.

»Seid Ihr sicher, dass das der richtige Ort ist?«, fragte Dis nach, als er das Landegestell ausfuhr.

Ro lächelte nur und setzte seine Maske auf. »Oh, du würdest dich wundern …«

2

Die Cyclor-Schiffswerften

Es war noch gar nicht so lange her, da wäre Bell Zettifar ganz aus dem Häuschen gewesen angesichts des Anblicks, der sich nun vor ihm erstreckte. Er stand auf einer Beobachtungsplattform im größten Hangar, den er je gesehen hatte, der jedoch nur einen winzigen Teil der Werften im Orbit von Cyclor darstellte. Und unter ihm, glänzend im Licht der Hangarscheinwerfer, stand eine Vision aus poliertem Durastahl, die sich die Innovator nannte. Das Schiff, das nur noch wenige Stunden von seinem Jungfernflug entfernt war, war ein technologisches Wunderwerk, mehr als dreihundert Meter lang und ausgestattet mit der modernsten wissenschaftlichen und medizinischen Ausrüstung. Kurzum: das hochentwickeltste Forschungsschiff, das je gebaut worden war. Eine Tatsache, die der geistige Vater der Innovator – der berühmte aqualishanische Ingenieur Vam Targes – Bell bei seiner Ankunft in den Werften persönlich mitgeteilt hatte.

»Sie hat ein Netzwerk von nicht weniger als zweiundvierzig Droidenprozessoren der Intellex-Klasse, wusstest du das?«, hatte Targes geschwärmt, während sie auf einer kurzen Führung über die große Brücke des Schiffes geschlendert waren, und der Vocoder des Ingenieurs hatte aufgeregt gesurrt, als er die Worte aus Vams Muttersprache Aqualish in Basic übersetzt hatte.

»Das ist sehr … beeindruckend«, hatte Bell erwidert, nur, um sogleich erklärt zu bekommen, dass es weit mehr als nur beeindruckend war, nämlich herausragend!

»Das gesamte Netzwerk wird durch ein paralleles Zugriffssystem gestützt, das ich selbst entworfen habe. Es übertrifft selbst die Zugriffssysteme in den Archiven der Jedi auf Coruscant, falls mir die Bemerkung erlaubt ist.«

Bell wusste nicht, ob das wirklich stimmte, aber er hatte nicht vorgehabt, dem Ingenieur zu widersprechen. Dies war schließlich Vams großer Moment, oder besser: Es würde sein großer Moment sein, wenn die Innovator in ein paar Tagen auf Valo landete. Das Schiff sollte eine der Hauptattraktionen bei der großen Messe der Republik sein, dem jüngsten Schritt in Kanzlerin Lina Sohs Kampagne der Großen Erneuerung. Schon bald würden Millionen Wesen die Messe besuchen und Targes’ Schöpfung besichtigen, und falls es ihnen ging wie Bell, würden sie vollkommen fasziniert sein. Die Innovator verfügte über hochmoderne kybernetische Einrichtungen und mehrere Biotechniklabore, Analysestationen und eine medizinische Bibliothek, die in Sachen Umfang nur hinter dem Docha-Institut auf Dunnak zurückstecken musste.

Doch so außergewöhnlich das Schiff auch sein mochte, es war nichts im Vergleich zu den Wesen, die es Niete um Niete zusammengesetzt hatten. Die Cyclorrianer waren einzigartig, ganz anders als alle Spezies, deren Bekanntschaft Bell bislang gemacht hatte. Die Insektoiden hatten eine Körpergröße von ungefähr einem Meter, mit überdimensionierten Köpfen, die von einem Paar großer Facettenaugen dominiert wurden. Sie erinnerten Bell an die Hitzefliegen, die in den Korridoren des Jedi-Postens auf Elphrona umhergesurrt waren – dort, wo er den Großteil seiner Ausbildung absolviert hatte. Nun beobachtete er die Cyclorrianer, wie sie um die glänzende Schiffshülle herumschwirrten und die letzten Tests abschlossen. Dabei arbeitete jeder der Insektoiden in perfektem Einklang mit seinen Kameraden, ohne dass sie auch nur ein einziges Wort von sich gaben. Es war unglaublich. Sie schienen instinktiv zu wissen, welche Aufgabe sie zu erledigen hatten; niemand trat dem Nebenmann auf die Füße, jeder ergänzte perfekt die Arbeitsschritte des anderen. Und der Enthusiasmus, mit dem sie ihrer Arbeit nachgingen, war geradezu ansteckend. In den vierundzwanzig Stunden seit seiner Ankunft hatte Bell nicht einen Cyclorrianer gesehen, der sich beschwerte, und das, obwohl Targes in dem Ruf stand, ein strenger Projektleiter zu sein. Die Insektenwesen werkelten einfach mit fröhlich wackelnden Fühlern vor sich hin, Stunde um Stunde, von einer Aufgabe zur nächsten. Man konnte gar nicht anders, als in ihrer Gegenwart zu lächeln. Und ein wenig Heiterkeit war genau das, was Bell gerade brauchte.

Neben ihm stellte Funke die Ohren auf. Die Aschenhündin war seine treue Begleiterin gewesen, seit sie Elphrona verlassen hatten. Sie hatte ihr Leben als Stromer begonnen, bis die Jedi des elphronianischen Außenpostens sie adoptierten und sie zu einem Maskottchen und einem loyalen Freund wurde. Als Bells Zeit auf dem Planeten zu Ende ging, war Funke kurzerhand in seinen Vektorjäger gesprungen – ein eindeutiges Zeichen, dass sie an seiner Seite bleiben wollte. Und seitdem war sie nun seine Aufpasserin und seine Vertraute. Darum blickte Bell sie auch fragend an, als sie aufstand und sich zu der Tür der Beobachtungsplattform herumdrehte – einen Moment, bevor diese Tür aufglitt und Indeera Stokes hereinkam. Die alternde Jedi lachte, als Funke zu ihr hinübertrippelte und an ihr hochsprang, und sie belohnte die Aschenhündin mit einer Streicheleinheit unter dem orangefleckigen Kinn.

»Ja, ja«, sagte Indeera. »Ich freue mich auch, dich zu sehen. So, und jetzt runter. Ja, genau. Gutes Mädchen. Gutes Mädchen.«

Funke gehorchte und trottete zu Bell an den Rand der Plattform zurück. Er lächelte auf die Aschenhündin hinab, und ihr aufgeregt wackelnder Schwanz trommelte gegen seine Stiefel.

»Ich glaube, sie mag Euch mehr als mich«, bemerkte er, als Indeera sich zu ihnen gesellte.

»Wir wissen beide, dass das eine Lüge ist«, entgegnete die Jedi. Sie lehnte sich gegen das Geländer und schüttelte den Kopf, während sie das majestätische Schiff und das Gewirr der fleißigen Cyclorrianer betrachtete. »Bei den Sternen, was für ein Spektakel!«

»Das könnt Ihr laut sagen, Meisterin. Die Innovator ist genauso beeindruckend wie ihre Erbauer.«

Wie immer verspürte Bell einen kleinen Stich, als er Indeera mit diesem Titel ansprach. Es stimmte natürlich, dass die Tholothianerin seine Lehrerin war; sie hatte sich bereit erklärt, diese Aufgabe zu übernehmen, nachdem er seinen ursprünglichen Meister, Loden Greatstorm, vor fast einem Jahr bei einem Überfall der Nihil verloren hatte. Selbst heute noch musste Bell regelmäßig an ihre letzte Unterhaltung denken, er am Boden, Loden an den Kontrollen seines Vektors.

»Ich bin nicht länger dein Meister, Bell. Du bist jetzt ein Jedi-Ritter.«

»Erst, wenn der Rat es offiziell macht, und ich möchte Euch gern dabeihaben, wenn das passiert. Möge die Macht mit Euch sein.«

Jetzt würde es nie dazu kommen. Loden hatte sich mit den Worten verabschiedet, sie würden sich bald wiedersehen, aber er war nie von diesem Flug zurückgekehrt. Niemand wusste, was mit ihm geschehen war, nachdem er seinen Vektor – ihren Vektor – aufgegeben hatte, um eine Familie von Siedlern vor den Nihil zu retten. Die Kanonen der Plünderer hatten den Sternjäger in sein Atome gesprengt, und Loden war danach nie wieder aufgetaucht. Indeera erinnerte ihn oft daran, dass es Lodens letzter Wunsch gewesen war, sein Padawan möge ein Ritter werden, aber Bell wusste einfach, dass er noch nicht bereit war. Wie könnte er auch bereit sein, wo er sich innerlich doch so leer fühlte, als wäre da ein großes Loch in seiner Brust?

»Bell?«

Er schluckte, als er merkte, dass Indeera ihn musterte. Sie war seine neue Lehrmeisterin, ganz gleich, wie seltsam es sich auch anfühlte. Nicht, dass es sich seltsam anfühlen sollte. Er kannte sie schon seit Jahren, hatte sogar schon an ihrer Seite gekämpft, und er hatte größeren Respekt vor ihr als vor irgendeinem anderen lebenden Jedi … aber natürlich lag genau da das Problem. Loden Greatstorm würde nicht zurückkommen, daran gab es nach all den Monaten keinen Zweifel mehr, und ganz gleich, wie sehr Bell Indeera auch bewunderte, sie würde nie den noblen Twi’lek ersetzen können.

Er lächelte schwach. »Ich habe nur daran gedacht, wie aufgeregt die Besucher bei der Messe der Republik sein werden, wenn sie die Innovator zum ersten Mal sehen.«

»Ja. Und was ist mit dir?«

»Was soll mit mir sein?«

»Freust du dich auch auf Valo?«

Er scharrte unbehaglich mit den Füßen, wobei er darauf achtete, Funke nicht zu streifen. Sie hatte sich gegen ihn gelehnt, und er konnte ihr warmes Fell durch das Synthleder seiner Stiefel spüren. »Ich freue mich, Mikkel und Nib wiederzusehen. Und natürlich Burry.« Das stimmte. Er betrachtete die drei inzwischen als seine Freunde, vor allem den Wookiee Burryaga, den er nach ihrem gemeinsamen Einsatz auf Hetzal besser kennengelernt hatte.

»Natürlich«, sagte Indeera, während sie ihn weiter mit ihren herzlichen Augen musterte. »Ihr werdet bestimmt viel erleben.« Sie wandte sich wieder dem Schiff zu. »Loden hätte es geliebt.« Ein Kloß formte sich in seinem Hals, während Indeera fortfuhr: »Ich kann mir bildlich vorstellen, wie er hier bei uns steht und die Arbeit der Cyclorrianer bewundert.«

Bell versuchte, seine Emotionen im Griff zu behalten, aber seine Stimme klang brüchig. »Und was würde er wohl sagen? Wenn er hier wäre?«

Die Tholothianerin schürzte die Lippen. »Ich glaube, er würde dir zu deinem polierten Schwertgriff gratulieren, dir sagen, dass du öfter lächeln sollst, und dich ermahnen, dass du jeden Tag mindestens zwei Stunden in deinem Vektor üben musst, wenn du je dieses Rollmanöver beherrschen willst.«

Trotz allem musste Bell grinsen. Der letzte Teil dieser Antwort kam zu hundert Prozent von Indeera; sie hatte sich am Himmel schon immer wohler gefühlt als auf dem Boden.

»Vermutlich würde er dich auch daran erinnern, dass Jedi sich immer wieder mit dem Tod derer auseinandersetzen müssen, die sie lieben«, fuhr sie fort, und Bells Lächeln verschwand sofort wieder. »Denn Jedi können lieben, Bell. Wir sind keine Droiden, und das sollten wir auch niemals sein. Wir sind lebende Kreaturen, erfüllt von allem, was die Macht birgt. Freude, Zuneigung und, ja, Trauer. Solche Emotionen zu erleben ist ein Teil des Lebens. Ein Teil des Lichts.«

»Aber …«

»Aber auch wenn wir solche Emotionen erleben, dürfen wir uns nicht von ihnen beherrschen lassen. Ein Jedi ist ein Meister seiner Gefühle, niemals ihr Sklave. Du vermisst, was du mit Loden geteilt hättest, wäre er heute hier. Das ist nur natürlich. Ich vermisse ihn auch. Wir müssen den Schmerz anerkennen. Wir müssen ihn verstehen, ihn annehmen, aber irgendwann …«

»Müssen wir ihn loslassen«, murmelte Bell. Er starrte zur Innovator hinab, damit Indeera die Tränen nicht sehen konnte, die zweifellos seine Augen füllten.

Die Tholothianerin streckte die Hand aus und legte sie tröstlich auf Bells Unterarm. »Niemand sagt, dass es leicht ist. Genau wie eine Fassrolle.« Das rang ihm ein Lächeln ab. Indeera drückte kurz seinen Arm, dann wandte auch sie sich dem Schiff zu. »Abgesehen davon ist niemand je wirklich fort. Ganz gleich, was geschieht, Loden wird bei dir sein, immer. Er ist jetzt ein Teil von uns allen.«

Erneut brannten Tränen in seinen Augen. »Durch die Macht.«

»Durch die Macht«, wiederholte sie. »Daran glaubst du doch, oder?«

Er nickte in der Hoffnung, dass er sie täuschen könnte, aber in dem Wissen, dass es nicht funktionieren würde. »Ja, natürlich.«

»Freut mich, das zu hören«, sagte sie, und wie erwartet klang sie nicht überzeugt. »Sofern es sonst nichts mehr gibt …«

»Sollten wir von dieser Plattform runter, bevor wir noch mehr von unserem Tag vergeuden«, unterbrach er sie. Je früher diese Unterhaltung endete, desto besser.

Indeeras Kommlink piepste, bevor sie etwas erwidern konnte. »Die Macht scheint deine Meinung zu teilen, mein nicht mehr ganz so junger Padawan.« Sie fischte ihr Kommlink unter ihrer sandfarbenen Jacke hervor und aktivierte es. »Stokes hier.«

»Hier ist Stellan Gios.« Die normalerweise so volltönende Stimme des Jedi-Meisters drang blechern aus dem Kanal. Die Starlight Beacon hatte die Kommunikationsqualität an der Grenze zwar erleichtert, aber das Kommnetzwerk war noch immer weitmaschig und schnell überlastet, selbst hier am Mittleren Rand. Kanzlerin Soh hatte versprochen, die Zahl der Kommrelais zwischen dem Kern und den äußersten Winkeln der Republik zu verdoppeln, aber bis sie diese Versprechen umsetzte, gehörten statisches Rauschen und unterbrochene Nachrichten für viele Bürger weiterhin zum Alltag.

»Verzeihung, könntet Ihr das wiederholen?«, musste Indeera bitten, als der Rest von Meister Gios’ Begrüßung von einem Knacken verschluckt wurde.

»Natürlich. Ich wollte mich nach Eurem Fortschritt erkundigen. Der Rat erwartet einen Bericht. Wird die Innovator planmäßig starten können?«

»Sogar noch früher«, platzte es aus Bell heraus, dann lief er rot an. Die Frage war offensichtlich an seine Meisterin gerichtet gewesen. Indeera verdrehte die Augen, aber das Lächeln auf ihren Lippen verriet ihm, dass er nicht wirklich in Schwierigkeiten steckte. Wenn es um die Etikette des Ordens ging, drückte sie gern mal ein Auge zu.

»Es freut mich, das zu hören … Padawan Zettifar, nicht wahr?«

Bell nickte, obwohl Stellan ihn nicht sehen konnte. »Ja, Meister Gios. Die Cyclorrianer sind ebenso beeindruckend wie die Innovator

»Ich freue mich schon darauf, sie mit eigenen Augen zu sehen – und darauf, dich endlich persönlich kennenzulernen. Nib spricht nur in den höchsten Tönen von dir.«

Bells Wangen wurden noch röter. »Ist sie bei Euch?«

»Sie ist auf dem Weg nach Valo, ja. Und sie freut sich, dich bald wiederzusehen.«

»Das … ist nett von ihr«, stammelte er, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte.

»Mein Padawan ist zu bescheiden, selbst für einen Jedi«, übernahm Indeera wieder das Wort. »Die Macht hat ihm großes Talent geschenkt, wie Ihr bald feststellen werdet, alter Freund.«

Bells Augenbrauen schossen nach oben. Er hatte gar nicht gewusst, dass Indeera Gios kannte, geschweige denn, dass sie sich so gut kannten, wie ihr freundschaftlicher Tonfall andeutete.

»Daran zweifle ich nicht«, erwiderte Stellan. »Dann sehen wir uns auf Valo. Ich höre, der eingelegte Cushnip soll köstlich sein.«

»Besser als der, den wir auf Theros Major hatten? Das glaube ich erst, wenn ich es schmecke.«

Stellan lachte am anderen Ende der Verbindung. »Warum überrascht mich das nicht? So, falls Ihr mich jetzt entschuldigen würdet. Ich habe einen Termin mit einem Kameradroiden.«

Nun war es an Indeera zu lachen. »Ein Fototermin? Vermutlich werden die Leute Euch bald auch noch nach Eurem Autogramm fragen, wenn Ihr erst in den Rat befördert wurdet.«

»Ich verweise sie einfach an Euch. Gios, Ende.«

»Wie ist er so?«, wollte Bell wissen, nachdem Stokes das Kommlink wieder unter ihrer weichen Lederjacke verstaut hatte.

»Wer, Stellan? Einer der besten Jedi, die der Tempel je hatte. Wir lernten uns auf Caragon-Viner kennen, lange bevor ich nach Elphrona ging. Er ist natürlich jünger als ich, aber …« Indeera hielt inne, und die weißen Tentakel auf ihren Schultern zuckten kurz.

Bell musste nicht nach dem Grund fragen. Er hatte es ebenfalls gespürt – eine Abkühlung in der Macht, so, als wäre ihre Flamme kurz ins Flackern geraten, nur, um anschließend umso heller als zuvor zu lodern.

»Etwas stimmt nicht«, sagte er. Funke sprang auf, als sie die Anspannung der Jedi spürte, und das Fell auf ihrem Rücken stellte sich auf.

»Das ist noch eine Untertreibung«, erwiderte Indeera, während sie bereits auf den Ausgang der Plattform zuging. »Sag bei der Innovator Bescheid, dass wir auf dem Weg sind.«

3

Safrifa

Kannst du uns helfen?

Ty Yorrick wusste nicht mehr, wie oft sie diese Worte schon gehört hatte, in der Regel begleitet von flehentlichen Blicken und nicht selten auch vom Anblick fehlender Gliedmaßen. Eigentlich kein Wunder; man musste wirklich verzweifelt sein, um jemanden wie Ty um Hilfe zu bitten.

Und die Sumpffarmer von Safrifa waren verzweifelt.

Sie hatten Ty aufgespürt, während sie am Rande des Marschlandes ihr Schiff reparierte; ein Antriebsdefekt, als sie schon im Begriff gewesen war, den Planeten nach einer erfolgreichen Mission zu verlassen – sie hatte den Sohn des lokalen Sumpflords aus den Fängen eines rivalisierenden Clans befreit. Das Blut dieser Rettungsaktion klebte noch immer an ihrer Rüstung, und als sie am Vorabend in ihre Koje gefallen war, hatte sie noch immer die Schreie gehört; sie hatte Keekon-Wurzeln nehmen müssen, um überhaupt einschlafen zu können. Aber um ganz ehrlich zu sein, die Schreie waren nicht das Schlimmste. In der ein oder anderen Form begleiteten sie Ty schon seit knapp zehn Jahren – die einzige Konstante in ihrem chaotischen, wechselhaften Leben.

Das novianische Erz, das sie als Belohnung für die Befreiung des Jungen bekommen hatte, würde später noch von Nutzen sein. Tys Schiff brauchte Ersatzteile, und die kosteten bekanntlich Geld. Sie kannte einen Schmied auf Keldooine, der ihr das Novian abnehmen würde, um daraus Klingen herzustellen – wer weiß, vielleicht würde sie selbst eine kaufen. Dann hätte sie zwar weniger Geld für das Schiff, aber nach der vermasselten Mission auf Alzoc III war ihre Waffensammlung stark zusammengeschrumpft. Sie verfluchte heute noch Hoopaloo, diesen hinterhältigen Papagei, der sie bestohlen hatte. Ein anderer Söldner hätte den Kerl ausfindig gemacht und ihm seinen Schnabel abgerissen, aber Ty war nicht wie andere Söldner. Schlimme Dinge passierten nun mal, und man musste damit klarkommen. Es hatte keinen Sinn, seine Kräfte mit unnötigen Konflikten zu vergeuden, vor allem, wenn einen niemand dafür bezahlte.

Sie hatte die Sumpffarmer gespürt, noch bevor sie ihre schmatzenden Schritte im Schlamm hörte. Sie stellten keine Gefahr für eine Kopfgeldjägerin dar. Oder für sonst jemanden. Die meisten Safrifaner waren dürre, kleine Geschöpfe, mit Haut von der Farbe abgestandener Tümpel und Haar, das wie Algen vor ihre großen, ovalen Augen herabhing. Aber sie waren fleißig, das musste man ihnen lassen. Und einfallsreich. Ty war durch einen ihrer schwimmenden Äcker gestapft – ein langer, schmaler Streifen Erde, durch Luftkissen aus dem Schlamm und dem Sumpfwasser hochgehoben, damit die Wurzeln ihres Kru-Kru-Getreides nicht hängen blieben. Diese Äcker erstreckten sich über Kilometer hinweg, jedes Feld eingerahmt von einem Weidengerüst und durchzogen von einem Netz winziger, schmaler Kanäle. Auf den ersten Blick konnte man leicht den Eindruck gewinnen, dass hier nichts wachsen konnte, aber die Safrifaner hatten es geschafft, durch Kreativität und Beharrlichkeit. Das gefiel Ty. Sie bewunderte es sogar. Aber jetzt waren sie hier, um mit ihr zu sprechen, und das konnte nur eines bedeuten.

»Schönes Schiff«, sagte die trällernde Stimme in gebrochenem Basic. »Wie heißt?«

»Es hat keinen Namen«, erwiderte Ty in der Sprache der Einheimischen, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken. Der verfluchte Stabilisator wurde nur noch durch Spucke und fromme Wünsche zusammengehalten.

»Du sprichst unsere Sprache?«, fragte der Farmer erstaunt.

»Es reicht, um mich zu verständigen.« So war es fast immer. Ty bekam schnell ein Gefühl für eine Sprache – zumindest bei den meisten. Ein nützliches Talent in ihrem Job. Manchmal zeigte sie es, manchmal blieb sie lieber stumm und lauschte. Aber von den beiden Gestalten, die nun hinter ihr standen und nicht wussten, was sie sagen wollten, jetzt, da ihr Einstiegsgeplänkel fehlgeschlagen war, hatte sie nichts zu befürchten. Darum hatte sie sich nicht mal die Mühe gemacht zu lügen; ihr Schiff, ein ramponierter YT-750, hatte keinen Namen, nur eine Registernummer in den Datenbanken der Republik. Genau genommen sogar mehrere Nummern, abhängig von Auftraggeber und Mission. Ty sah keinen Grund, irgendetwas einen Namen zu geben, egal ob nun einem Schiff, einer Waffe oder den beiden Droiden, die ihr bei ihren Aufträgen assistierten – eine sarkastische Verwaltungseinheit und ein zugegebenermaßen nützlicher Astromech. Wie das Schiff waren auch sie Werkzeuge, mehr nicht. Warum eine Bindung mit etwas eingehen, das niemals eine Bindung zu einem selbst aufbauen konnte? Vielleicht war diese Einstellung ein Überbleibsel ihrer Ausbildung, vielleicht auch nicht. Ty hielt es in erster Linie für gesunden Menschenverstand.

»Was wollt ihr?« Sie hatte keine Zeit für diese Unterhaltung. Neue Planeten und Ersatzteile warteten auf sie.

»Wir haben Novian. Nicht viel, aber genug.«

»Genug wofür?«

Anstatt die Frage zu beantworten, sagte der Safrifaner nur: »Es tötet unsere Kinder.«

Ty hielt in ihrer Arbeit inne, und das Mehrzweckwerkzeug glitt von dem bloß liegenden Stabilisatorkern ab.

»Was?«, fragte sie in resignierendem Ton.

»Ein Monster. Ein böses.«

Gab es irgendeine andere Art von Monster?

»Wann ist es aufgetaucht?«

»Vor drei Wochen. Wir haben Fallen gelegt, aber es zerstörte sie einfach. Es verwüstet unsere Äcker, ruiniert unsere Ernte.«

»Wie viele?«

»Ernten?«

»Wie viele Kinder?«

»Ist das denn wichtig.«

Das war die richtige Antwort.

Ty drehte sich um und ließ die Augen über den erbärmlichen Anblick vor ihr schweifen. Sie waren kaum mehr als wandelnde Skelette, ihre Haut straff über vorstehende Knochen gespannt. Der Größere der beiden – relativ gesprochen – hielt eine Ledertasche in die Höhe. »Wir haben Novian«, wiederholte er, während sich sein Begleiter hinter ihm auf seinen Stab stützte.

Nach der Größe der Tasche zu schließen, konnte es nicht viel Novian sein. Vermutlich war die Sache ihre Zeit nicht wert.

Es tötet unsere Kinder.

»Wo?«

»Im Sorkansumpf, drei Tagesmärsche von hier entfernt. Einen Tag, wenn man einen Gleiter hat.«

»Habt ihr einen Gleiter?«

»Nein.«

Er blickte sie an, und sie ihn. Sein Begleiter starrte in die Marschen hinaus. Kraftlos. Ohne Hoffnung oder Erwartungen.

Früher hätte sie ein paar Verazeen-Steine geworfen, um eine Entscheidung zu treffen – damit sie sich einreden konnte, dass sie die Sache dem Schicksal überließ. Dem Willen des Universums. Auf einer Seite dieser Steine waren Mondsymbole eingeritzt, auf der anderen Sonnensymbole. Der Prozess war denkbar simpel. Man warf sie auf den Boden, entschied, für welche Option die Sonne und der Mond standen, und ließ dem Schicksal seinen Lauf. In letzter Zeit hatte Ty bei ihren Entscheidungen aber eine aktivere Rolle übernommen und ihren eigenen Pfad gewählt, anstatt sich auf die Würfel zu verlassen.