Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Dezember 2018
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ISBN Printausgabe 978-3-499-19196-1 (21. Auflage 2018)
ISBN E-Book 978-3-644-00010-0
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ISBN 978-3-644-00010-0
Vgl. Ostner, J., Krurwa-Schott, A., Krankenpflege – Ein Frauenberuf? Frankfurt/M. 1981, sowie Schmidbauer, W. (Hg.): Pflegenotstand: Das Ende der Menschlichkeit, rororo-aktuell, Reinbek 1992.
Vgl. W. Schmidbauer, «Du verstehst mich nicht!» Die Semantik der Geschlechter. Reinbek (Rowohlt) 1991.
Vgl. etwa D. Enzmann und D. Kleiber, Helfer-Leiden. Streß und Burnout in psychosozialen Berufen. Heidelberg (Asanger) 1989
M.F. Brook et al., Psychiatrie illness in the medical profession, Br.J. Psychiatry 113, 1013–1023, 1967
G.E. Vaillant, N.C. Sobowale, C. McArthur, Some psychological vulnerabilites of physicians, N. Engl. Journal of Medicine 287, 745–748, 1966
D. De Sole et al., Suicide and role strain among physicians, Vortrag auf dem Kongreß der American Psychiatrie Association, Detroit 1967
H. Henseler, Narzißtische Krisen, Reinbek 1974
E. Ringel, Der Selbstmord, Wien 1953
N. Gold, The doctor, his illness and the patient, Aust. N.Z. Journal of Psychiatry 6, 209–213, 1972
E.M.Waring, Psychiatrie illness in physicians: a review, Comprehcnsive Psychiatry 15, 519–530, 1974
C. Levi-Strauss, Traurige Tropen, Köln 1960
W.D. Hamilton, Selection of selfish and altruistic behavior, in J.F. Eisenberg et al. (Ed.), Man and beast, Smithsonian Institution Press, Washington 1971
Vgl. E.O. Wilson, The insect societies, Cambridge (Mass.) 1971
R.A. Hinde et al., The behaviour of socially living Rhesus monkeys in their first two and a half years, Animal Behaviour, 15, 169–196, 1967
J. Itani, Paternal care in the wild Japanese monkey, Macaca mulatta, in: C.H. Southwick, ed., Primate social behaviour, Princeton 1959
W. Schmidbauer, Methodenprobleme der Humanethnologie, Studium generale, 24, 462–522, 1971
K. Lorenz, Der Mensch, biologisch gesehen, Studium generale 24, 522, 1971
W. Schmidbauer, Vom Es zum Ich, Evolution und Psychoanalyse, München 1975
R.A. Spitz, Vom Dialog, Stuttgart 1976
Dieses Thema hübe ich in «Die Angst vor Nähe», Reinbek 1985, ausführlicher untersucht.
Bei den Hadza in Tansania gehört z.B. ein Teil der Beute dem Mann, der den Pfeil zur Verfügung stellte, und viele Jäger benützen geliehene Pfeile.
Vgl. W. Schmidbauer, Jäger und Sammler, München-Planegg 1972
Vgl. M. Eliade, Schamanismus und archaische Ekstasetechnik, Zürich 1956
E. Borneman, Das Patriarchat, Frankfurt 1975
H. Lincke, Das Über-Ich – eine gefährliche Krankheit, Psyche 24, S. 375f, 1970
K.R. Eissler, Zur Notlage unserer Zeit, Psyche 22, S. 641f, 1962
Auch hier wird das Überlebensprinzip einer Weltanschauung deutlich: Es gab im Christentum durchaus Strömungen, die ein soziales Überleben dieses Glaubens gefährdet hätten, z.B. die Manichäer. Sie wurden alsbald als Häretiker abgelehnt.
M. Balint, Die Urformen der Liebe und die Technik der Psychoanalyse, Frankfurt 1969
Ich kann die Möglichkeit einer intrauterinen psychischen Traumatisierung des Kindes nicht ausschließen, will sie aber wegen ihrer spekulativen Beschaffenheit hier auch nicht aufgreifen. Jedenfalls scheinen die Möglichkeiten, ein Kind psychisch und körperlich zu verletzen, nach der Geburt in solchen Größenordnungen vermehrt, daß die intrauterinen Traumata demgegenüber zurücktreten.
M. Mahler, Symbiose und Individuation, Stuttgart 1972
S. Freud, Zur Einführung des Narzißmus, 1914, Ges. W. Bd. 10, S. 167
A. Freud, Das Ich und die Abwehrmechanismen, München 1963, sowie H. Henseler, Narzißtische Krisen, Reinbek 1974
H. Henseler, a.a.O., S. 76
Die Helfermotivation hat mit spezifischen Eigentümlichkeiten der weiblichen Entwicklung gemeinsam, daß die Sehnsucht nach der frühkindlichen Symbiose durch eine Teil-Erfüllung wachgehalten wird und die Sehnsucht nach einer idealen Beziehung über die Wünsche nach Partial- (Trieb-)Befriedigung dominiert. Vgl. W. Schmidbauer, «Du verstehst mich nicht …!» Die Semantik der Geschlechter, Reinbek 1991.
Manche Autoren, so Sandler, Holder und Meers sowie nach ihnen Henseler (a.a.O.), führen zusätzlich noch den Begriff des «Ideal-Selbst» als Norm-Variante des Größen-Selbst ein. Mir scheint, daß das Ich-Ideal genügt, um die entsprechenden seelischen Funktionen zu beschreiben.
In vielen patriarchalischen Ehen haben die Männer wegen der materiellen Abhängigkeit ihrer Frauen ihre eigene emotionale Abhängigkeit nie bewußt erleben müssen. Wenn der ursprünglich «schwächere» Partner stärker wird, z.B. durch eine Berufstätigkeit, durch eine Psychotherapie u.ä.m., dann zeigen die seelischen Zusammenbrüche der «stärkeren» Partner deutlich die Grundstruktur der Abhängigkeitsvermeidung in der Beziehung.
E. Berne beschreibt dieses Verhalten als «JEHIDES»-Spiel: Weiß wartet, bis Schwarz einen Fehler macht, um seine angestauten, projizierten Aggressionen herauszulassen, nach dem Motto: Jetzt habe ich dich endlich, du Schweinehund! Voraussetzung auf Seiten des Mitspielers ist ein unbewußter Masohcitsmus. Vgl. E. Berne, Spiele der Erwachsenen, Reinbek 1967.
E. Berne, Spiele der Erwachsenen, Reinbek 1967, S. 192f
Ich werde im folgenden für Helfer mit Helfer-Syndrom kurz HS-Helfer sagen.
E. Berne, Spiele der Erwachsenen, Reinbek 1970 (TB-Ausgabe), S. 157
M. Balint, Therapeutische Aspekte der Regression, Die Theorie der Grundstörung, Stuttgart 1970
H.V. Dicks, Marital Tensions. Clinical studies toward a psychological theory of interaction. New York 1967
J. Willi, Die Zweierbeziehung, Reinbek 1975
Willi identifiziert Progression schlechthin mit Pseudoreife, Regression mit Unreife. Mir scheint es wesentlich, auf die positiven Seiten beider Positionen hinzuweisen – auf die «Regression im Dienst des Ichs», z.B. beim Künstler, und auf die positiven Auswirkungen der Über-Ich-Identifizierung, wenn Ich und Über-Ich synergistisch arbeiten.
S. Freud, Ges. Werke V, London 1950
W. Schmidbauer, Vom Es zum Ich, München 1975
Die psychologische Bedeutung der frühen Bezugspersonen sollte unabhängig von den konventionellen Geschlechtsrollen gesehen werden.
E.H. Erikson, Kindheit und Gesellschaft, Stuttgart 1968, S. 69
Willi, a.a.O., S. 96
Willi, a.a.O., S. 96
Willi, a.a.O., S. 97
Frank S. Pittman und Kalman Flomenhaft haben in «Die Behandlung der ‹Ehe im Puppenheim›» einen solchen Fall geschildert, in: C.J. Sager, H.S. Kaplan, Handbuch der Ehe-, Familien- und Gruppentherapie, München 1973
Eine ausführliche Analyse der Wechselwirkungen zwischen «privaten» und «beruflichen» Beziehungen bei Helfern findet sich in W. Schmidbauer, Helfen als Beruf – Die Ware Nächstenliebe, Rowohlt 1983, erweiterte Neuauflage 1992
Dem Leser wird die Überschneidung der Begriffe «oral» und «narzißtisch» möglicherweise auffallen. Sie ist teilweise geschichtlich bedingt: Die orale, d.h. auf den Mund bezogene Phase der Libidoentwicklung wurde lange vor der auf den Aufbau des Selbst(-gefühls) bezogenen Dynamik der narzißtischen Entwicklung beschrieben. Daher wurde und wird häufig unter den oral-libidinösen Bedürfnissen, aufzunehmen, zu verschlingen, zu saugen und zu beißen, auch das Bedürfnis nach bestätigender Zuwendung und dem positiven Widerspiegeln des eigenen Selbst in den Augen der Bezugspersonen («mirroring») beschrieben. Es gehört aber nicht in den Bereich der Triebentwicklung, sondern in den der Entwicklung des Selbst. Die Überschneidung beider Bereiche beruht jedoch nicht nur auf mangelnder begrifflicher Unterscheidung. Sie hat auch praktische Gründe, Entwicklungspsychologisch ist zu erwarten, daß oral-libidinöse Befriedigung und narzißtische Bestätigung einem Kind häufig zusammen verweigert bzw. in deformierter Weise gegeben werden. Die klinischen Folgen, d.h. die seelischen Störungen, sind entsprechend so, daß bei «oralen Charakterneurosen» immer auch massive narzißtische Störungen nachweisbar sind. Übermäßiges Essen bzw. Hungern oder Erbrechen verbindet sich z.B. mit Störungen des Selbstgefühls (innere Leere, drohender Zerfall des Selbst, Identifizierung mit Mode-Idealen).
H.E. Richter, Flüchten oder Standhalten, Reinbek 1976, S. 144
D. Beckmann, Der Analytiker und sein Patient, Bern 1974, S. 72
D. Beckmann, a.a.O., S. 72
H.E. Richter, Flüchten oder Standhalten, Reinbek 1976, S. 150f
H.E. Richter, Eltern, Kind und Neurose, Stuttgart 1963. – Ders.: Flüchten oder Standhalten, Reinbek 1976, S. 156f
H.E. Richter, Flüchten oder Standhalten, S. 157
Vgl. vom Standpunkt der Jungschen Psychologie und zum Aspekt des «Schattens» auch A. Guggenbühl, Macht als Gefahr beim Helfer, Basel 1975, S. 28: «Der berufliche Schatten des dem Patienten helfenwollenden Psychotherapeuten ist der Scharlatan, der betrügerische Heiler, der für seine eigenen Interessen arbeitet.»
E. Bleuler, Das aulistisch-undisziplinierte Denken in der Medizin und seine Überwindung, Berlin 1919
T. Moser, Repressive Kriminalpsychiatrie, Frankfurt/M. 1971
Anm. 1991: Heute erscheint mir diese Form der Argumentation nicht mehr ganz schlüssig, weil ein selbst nicht als gesellschaftlich ableitbar gesetztes Über-Ich zur Ur-Sache des Verhaltens von Institutionen gemacht wird. Derlei «psychologisierende» Betrachtungen können aber anregen, das persönliche Erleben innerhalb solcher «Schulen» kritisch zu prüfen.
Besonders gut dokumentiert ist dieses Phänomen in der Geschichte der psychoanalytischen Bewegung. Freud nahm viele Menschen als Schüler an, die jedes psychoanalytische Ausbildungsinstitut zurückweisen würde.
S. Freud, Totem und Tabu, Wien 1905. Vgl. dazu: W. Schmidbauer, Vom Es zum Ich, Evolution und Psychoanalyse, München 1975
B.F. Skinner, Futurum zwei (Waiden Two), Hamburg 1969. – Ders.: Jenseits von Freiheit und Würde, Hamburg 1974
A. v. Schirnding, Revolution der Psyche?, in: Partnerberatung 13, S. 111, 1976. – A. Janov, Revolution der Psyche, Frankfurt 1976
H. Thomä, B. Thomä, Die Rolle der Angehörigen in der psychoanalytischen Technik, Psyche 22, 1968, S. 802
Das läßt sich oft nicht vermeiden; die Theorie dieses Vorganges ist im psychoartalytischen Konzept der Übertragungsneurose niedergelegt. Es geht hier darum, die Übertragung in ihrem natürlichen Entstehen zu belassen und sie nicht durch manipulative Kunstgriffe besonders heftig (aber auch möglicherweise schädlich) zu machen, wobei HS-Helfer dazu neigen, die Möglichkeit einer negativen Übertragung auf sie sowie die eigene Gegenübertragung zu verleugnen.
R.A. Spitz, Vom Säugling zum Kleinkind, Stuttgart 1967
J. Bowlby, Maternal care and mental health, Genf 1951
So der Kinderarzt Theodor Hellbrügge, vgl. auch W. Schmidbauer, Verwundbare Kindheit, München-Planegg 1973, S. 55f, sowie T. Hellbrügge, J. Pechstein, Pädiatrische Merksätze zur Situation der Säuglingsheime, Ges.-fürsorge 17, 1967
A. Mehringer, Geschützte Kleinkindzeil, Unsere Jugend, 18, 1966. – Ders.: Adoption, Selecta 13, 1971, S. 3106
E. Goffman, Asyle, Frankfurt 1972
H.E. Richter, Flüchten oder Standhalten, Reinbek 1976, S. 174
G. Devereux, Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften, München 1973
Es ist kein Zufall, daß ich in diesem Zusammenhang Therapie und Selbsterfahrung erwähne, als ob beides dasselbe wäre, was sicher nicht zutrifft. HS-Helfer artikulieren therapeutische Bedürfnisse jedoch in der Regel als Ausbildungs- oder Selbsterfahrungsinteresse.
Vgl. B. Staehelin, Haben und Sein, Zürich 1969
Materialien zu diesem Thema in Vorgänge Nr. 3/1973 und 5/1973, wo Mitglieder des Arbeitskreises «Erziehung zur Erziehung» der Humanistischen Union berichten.
H.-E. Richter, Eltern, Kind und Neurose, Stuttgart 1963
Z.B. Deutscher Arbeitskreis für Gruppendynamik und Gruppentherapie (DAGG), Workshop Institute of Living Learning (WILL-Europa), Gesellschaft für analytische Gruppendynamik (GaG), Fritz-Perls-Institute (FPl)
K.H. Mandel, Lehrpläne des Instituts für Forschung und Ausbildung in Kommunikattonstherapie, in: Partnerberatung 13, S. 80, 1976
M. Balint, Therapeutische Aspekte der Regression, Stuttgart 1970
E. Wulff, Psychiatrie und Klassengesellschaft, Frankfurt 1972, darin «Über den Aufbau einer therapeutischen Gemeinschaft», S. 214f. Vergleiche auch F. Basaglia, Die negierte Institution, Frankfurt 1973.
Vgl. dazu W. Schmidbauer, Biologie und Ideologie – Kritik der Humanethologie, Hamburg 1973, sowie Ders., Vom Es und Ich, Evolution und Psychoanalyse, München 1975. Ich nehme an, daß alle Ansätze hier unvollständig sein müssen, weil sie sich in einem Spannungsfeld von Übertragungen und Gegenübertragungen abspielen, das wir erst ansatzweise durchschauen, vgl. G. Devereux, Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften, München 1973. Jede Theorie wird in diesem Bereich an einem bestimmten Entwicklungspunkt zu ihrem eigenen Widerstand.
Eine Anekdote dazu ist die «Hilfe» prüder Missionare, die nackten Eingeborenen abgetragene europäische Kleider verschaffen, die nicht nur unästhetisch und unpraktisch für diese sind, sondern viele von ihnen schädigen, weil sie sich z.B. in nassen Lumpen leichter erkälten. Die Feuerländer im kalten Süden Amerikas sind nicht zuletzt aus diesem Grund ausgestorben.
Viele feministische Thesen, z.B. die, daß nur Frauen eine Frau verstehen bzw. psychotherapeutisch behandeln können, sind eine sehr verständliche Reaktion auf die männliche Dominanz und Verständnislosigkeit, die ja immer noch die Gesellschaft beherrschen. Für den Einzelfall ist freilich diese Argumentation nicht aufrechtzuerhalten; einige weibliche Therapeuten sind «patriarchalischer» als manche männlichen. Wie alle Sündenbockprajektionen enthält auch die feministische die Gefahr der sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Eine Frau, die davon ausgeht, daß kein Mann sie versteht, wird wahrscheinlich nur auf Männer treffen, die ihre Ausgangsposition bestätigen.
«Wo Es war, soll Ich werden», sagt Freud in: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit; Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Ges. Werke XV, S. 86. Eine umfassende Darstellung zum Thema «Aus Über-Ich soll Ich werden» findet sich bei J. Cremerius, Grenzen und Möglichkeiten der psychoanalytischen Behandlungstechnik bei Patienten mit Über-Ich-Störungen, in: Psyche 31 (1977), S. 593–636.
Überarbeitete Fassung eines Vortrags auf dem ersten alternativen «Gesundhettstag», Berlin 1980
Vergleiche Hans-Jörg Hemminger, Flucht in die Innenwelt, Frankfurt 1980. Eine lesenswerte Kritik der Urschreitherapie; freilich gelingt es Hemminger nicht, die Faszination, welche von der Primärtherapie ausgeht, aufzuklären, weil er jede soziologische Analyse vermeidet.
Ralph Greenson, Technik der Psychoanalyse, Stuttgart 1973
Es ist vielleicht nicht überflüssig zu sagen, daß diese Grundsätze in den sogenannten sozialistischen Ländern keineswegs außer Kraft gesetzt sind.
Alice Miller, Das Drama des begabten Kindes, Frankfurt/M. 1979
Das demokratische Arbeitsbündnis in Selbsthilfegruppen: Einige Folgen der Deprofessionalisierung für die therapeutische Beziehung, in: psychosozial. 2, 1979, S. 36ff
Jörg Bopp, Der linke Psychodrom, Kursbuch 55/1979, S. 94, Berlin 1979
Erweiterte Fassung eines Vortrags auf dem 1. Freud-Symposion in Leipzig, 11.–13. Juli 1989.
Den Unterschied zwischen den «alten», normativ orientierten und den «neuen» Beziehungshelfern habe ich in W. Schmidbauer, Helfen als Beruf, Reinbek (Rowohlt) 1983/1992 konzipiert.
S. Freud, Selbstdarstellung, in: Ges. W. XIV, S. 34
Reik war von einem enttäuschten, rachsüchtigen Patienten angezeigt worden, es kam aber nie zu einer Verhandlung.
S. Freud, Nachwort zur «Frage der Laienanalyse», Ges. W. XIV, S. 290f
Zit. n. R.W. Clark, Sigmund Freud, Frankfurt (Fischer) 1981, S. 53
Vgl. den Brief von Freud an M. Bernays vom 28.4.1885, in: Freud, E.L.u.L. (Hsg.), Briefe 1873–1939, S. 144
Clark 1981, S. 23f
Clark 1981, S. 30
Goethes sämmtliche Werke 9, Stuttgart (Cotta) 1885, S. 661
«Daß ich diese Betrachtungen verfaßt, kann ich mich faktisch nicht erinnern, allein sie stimmen mit den Vorstellungen wohl überein, zu denen sich mein Geist damals ausgebildet hatte», sagt Goethe in einer Erläuterung des Natur-Fragments. Es war «von einer wohlbekanntenHand geschrieben, deren ich mich in den achziger Jahren in meinen Geschäften zu bedienen pflegte». (Goethe 1885, S. 737)
Vgl. S. Freud, Ges. W.I, S. 531, «Über Deckerinnerungen» – «Ich pflege mich zu wundern, wenn ich etwas Wichtiges vergessen, noch mehr vielleicht, wenn ich etwas Gleichgültiges bewahrt haben sollte.»
Clark 1981, S. 42
Clark 1981, S. 42
Clark 1981, S. 52. Die Erinnerungen von Freuds Schwester wurden von E. Jones als Quellen unterschätzt, wie die Entdeckung der Silberstein-Briete heute zeigt.
S. Freud, Brautbriefe. Ausgewählt, herausgegeben und mit einem Vorwort von Ernst L. Freud, Frankfurt (Fischer) 1968, S. 35
E. Jones, Sigmund Freud, Leben und Werk 1, München (dtv) 1984, S. 264
S. Freud, Brautbriefe, S. 141
Dieses im Original fehlende «nicht» könnte die Ambivalenz Freuds gegenüber dieser Aussage erhärten.
S. Freud, Brautbriefe, S. 38
S. Freud, Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung, Ges. W. VIII, S. 375–388
M. Guibal u. J. Nobecourt, Sabina Spielrein, Paris (Aubier) 1982
J. Cremerius, Vom Handwerk des Psychoanalytikers: Das Werkzeug der psychoanalytischen Technik. Bd.II, Stuttgart (Frommann) 1984, S. 327
Doolittle, H., Huldigung an Freud, Berlin (Ullstein) 1975
Zit. n. Cremerius, S. 328
In einem Gespräch mit Abram Kardiner, zit. n. Cremerius, S. 332
E. Jones, Sigmund Freud, S. 47
Vgl. Clark 1981, S. 135f, S. 227f u. M. Schur 1973, S. 118
S. Freud, «Katharina», Studien über Hysterie, Ges. W. I, S. 184f
E. Jones, S. 337f
M. Schur, Sigmund Freud. Leben und Sterben. Frankfurt (Suhrkamp), S. 131f
Zit. n. M. Schur 1973, S. 318
J.M.M. Masson, Was hat man dir, du armes Kind, getan? Reinbek (Rowohlt) 1984, S. 180f
Clark 1981, S. 21
Reik, Th., From Thirty Years with Freud, London (Hogarth) 1942
Der Begriff des «sozialen Syndroms» oder «Helfer-Syndroms» hat sich für mich aus der gruppendynamischen Weiterbildung von Angehörigen sozialer Berufe ergeben. In den Leiterteams wurde nach den Sitzungen über die Persönlichkeitsprobleme der Gruppenmitglieder gesprochen. Dabei kristallisierte sich der Typus des «Helfens als Abwehr» immer deutlicher heraus. Die emotionale Hilflosigkeit des Helfers, sein Elend hinter der stark scheinenden Fassade, das waren Eindrücke, die häufig wiederkehrten. So wurden sie allmählich zu einem Bestandteil unseres Konzepts, zumal die Leiter selbst einander aus einer oft intensiven gemeinsamen Erfahrung kennenlernten und den Parallelen zwischen ihrem eigenen Erleben und der Situation der Gruppenmitglieder nachspüren konnten,
In allen sozialen Berufen ist die eigene Persönlichkeit das wichtigste Instrument; die Grenzen ihrer Belastbarkeit und Flexibilität sind zugleich die Grenzen unseres Handelns. Michael Balint, dessen arztbezogene Konzepte wir für die Probleme der übrigen sozialen Berufe – Lehrer, Sozialarbeiter, (Heim-)Erzieher, Psychologen, Logopäden, Krankenschwestern, Soziologen usw. – und für die Arbeit in Helfer-Institutionen verändert und erweitert haben, sah in der «Droge Arzt», in der Eigenart des Helfers, den wichtigsten Einfluß in medizinischen Interaktionen. In Krankenpflege, Pädagogik, Psychotherapie und Sozialarbeit ist es sicher nicht anders. In keinem dieser Berufe berücksichtigt die Ausbildung diese Situation derart, daß sie mehr tut, als kognitive Konzepte, praktische Fertigkeiten und ethische Normen zu vermitteln. Die Auseinandersetzung mit den Wünschen und Ängsten, mit der gefühlshaften Seite der Arbeit mit Menschen, wird dem Zufall überlassen.
Ich habe mich oft gefragt, weshalb dieses Buch weitgehend unverändert rund zwanzig Auflagen erlebt hat, wo doch wissenschaftliche Neuerungen immer kurzlebiger werden. Anscheinend trifft es kein von äußeren Aktualitäten abhängiges Informationsbedürfnis, sondern eine menschliche Frage, die von jeder Generation neu gestellt, von jedem Leser persönlich beantwortet werden muß. Deshalb erwog ich, «Die hilflosen Helfer» nicht mehr zu verändern. Von 1977 bis 1992 blieb der Text gleich. 1980 kam als «Nachgedanken zum Helfersyndrom» ein Vortrag hinzu, den ich auf dem alternativen «Gesundheitstag» in Berlin gehalten hatte. In der hier vorliegenden Revision versuchte ich einen Kompromiß zu finden, der das (falls es so etwas überhaupt gibt) «Zeitlose» des Buchs unangetastet läßt, aber den Text strafft, Wiederholungen tilgt, Abschweifungen begradigt und allzu kühne Ausweitungen teils streicht, teils benennt. Als ich das Buch schrieb (1976), arbeitete ich erst sechs Jahre als Psychotherapeut und Gruppenleiter; meine analytische Ausbildung war eben abgeschlossen. Ich vermute, daß diese Unerfahrenheit und das Staunen des bisher mit journalistischen Aufgaben beschäftigten Eindringlings in die Helfer-Welt der Darstellung nützen, den Autor seine Funde mit einer Frische verdeutlichen lassen, die ich heute (1991), eben 50 Jahre alt geworden und neben der Gruppentherapie mit Supervisionen und Lehranalysen beschäftigt, in dieser Art nicht mehr zustande brächte. Erfahrung macht nicht nur klug, sondern auch dumm, sie schärft nicht nur den Blick, sondern stumpft ihn auch ab.
In den «Nachgedanken» von 1980 sind Themen angedeutet, die ich später, vor allem in «Helfen als Beruf – Die Ware Nächstenliebe», weiter ausgearbeitet habe. Hier wird der sozialpsychologische Aspekt nachgetragen, der in den «hilflosen Helfern» durch einen gelegentlich unvermittelten, frühen psychoanalytischen Traditionen (etwa in «Totem und Tabu») nahestehenden Schritt von der individuellen Psychodynamik zu Fragen der Kultur und Menschheitsgeschichte schlechthin ersetzt ist. Dieses wachsende Interesse an institutionellen Bedingungen hängt damit zusammen, daß meine eigene Arbeit sich von der Selbsterfahrung außerhalb der Institutionen mehr und mehr zur Supervision in den Institutionen entwickelt hat. 1986 habe ich zusammen mit Harald Pühl ein Buch zu diesem Aspekt herausgegeben.
Hat sich das Helfersyndrom in den Jahren seit 1977 geändert? Wahrscheinlich nicht, was die grundlegende Dynamik der Motivation angeht. Sicherlich aber in der Perspektive und Dauerhaftigkeit einmal getroffener Berufswahlen. Ich kann diese Veränderungen miterleben, wenn ich versuche, mich in die Studiensituation meiner Kinder einzufühlen und sie mit meiner eigenen zu vergleichen. Während meiner Ausbildung war es relativ klar, daß die formalen Qualifikationen (Abitur, Diplom usw.) auch einen sicheren Platz in der Arbeitswelt garantieren. Ein Teil meiner Sorgen (der zu dem nomadisierenden Leben als Schriftsteller in Italien beitrug) lag darin, allzu früh von einer Gesellschaft vereinnahmt zu werden, die meine Arbeitskraft zu begehren schien. Heutige Jugendliche finden diese Sicherheit nicht mehr. Damit werden auch die Helfer-Ideale weniger stabil, an denen sie sich orientieren können, während andrerseits die Abhängigkeit von äußerer Bestätigung und Erfolgserlebnissen wächst. So bleiben auch die helfenden Berufe nicht vom Identitätswandel in der postindustriellen Gesellschaft verschont. Die Bedeutung einer stabilen, konstanten Produktion nimmt ab; auch der Helfer muß gewärtigen, daß ihn keiner braucht, weil eine Modeströmung ihre Richtung geändert hat. Der Arzt zum Beispiel muß nicht nur mit dem Heilpraktiker und dem Schamanenkurs konkurrieren, sondern auch mit einem Kunstfehlerprozeß rechnen – Ausnahmesituationen zwar, aber auch Hinweise über Entwicklungsrichtungen. Lebenslange Berufsrollen werden ebenso unzeitgemäß wie die strukturgebende Festigkeit des von Freud beschriebenen Über-Ich. Die Individuen idealisieren unterschiedliche Werte, die sich manchmal widersprechen. Sie suchen Geborgenheit, indem sie sich chamäleongleich an Ideologien kleiner Gruppen und Sekten anpassen. Das «alte» Helferideal vom Professionellen, der unabhängig von Lob und Tadel seine Pflicht tut, nur seinem Gewissen folgend, löst sich teilweise auf. Es muß weniger verleugnet werden, daß auch der Helfer narzißtische Bedürfnisse hat. «Mehr sein als scheinen» wird zum Anachronismus, zum ironischen Zitat in einer vom Dienstleistungsmarkt bestimmten Helfer-Welt. Stärkere Außenorientierungen sind die Folge. Selbst der Klient oder Patient wird oft als Partner gesucht und nicht nur einbezogen, sondern auch überfordert, wenn er aus einer für den Helfer wie für ihn unübersichtlichen, schwer entscheidbaren Situation – etwa einem breiten Angebot von Therapiemethoden, alle mit Vorzügen und Nachteilen – auswählen soll.
Vermutlich konnte ein Text wie «Die hilflosen Helfer» nur zu einer Zeit geschrieben werden, in der die traditionellen Ideale des helfenden Berufs noch so mächtig waren, daß eine konstante Gestalt des «Helfer-Syndroms» angenommen werden durfte, während sie andrerseits schon so weit in Frage standen, daß eine psychoanalytische Untersuchung möglich wurde. Eine verwandte Übergangssituation drückt sich vielleicht darin aus, daß ich damals nur wenige geschlechtsspezifische Differenzierungen aufnahm.[*] In einer noch standes- und traditionssicheren Berufswelt haben das männlich-normative und das weiblich-gefühlvolle Helfen unterschiedliche Gestalten, zum Beispiel «Wärter» und «Schwestern». Die Individualisierung löst solche Rollen auf, aber auch heute können Frauen Hilfe eher annehmen, wenn sich im Angebot das Interesse an einer Beziehung ausdrückt, Männer, wenn sie ihren Status verbessern (oder erhalten). Insgesamt sind Männer mehr an Rivalität und Funktionslust orientiert, Frauen an Bindung und Information über andere Menschen. Solche Unterschiede sind wohl weder angeboren noch anerzogen, sondern aus beiden Dimensionen gemischt, weder unveränderlich-natürliche Anlage noch beliebig-rational wandelbare Attitüde. Sie können in jedem einzelnen Fall durch besondere Qualitäten des individuellen Schicksals und der persönlichen Entscheidung außer Kraft gesetzt werden, drücken sich aber doch in den Bewegungen größerer Menschenmengen unzweifelhaft aus.[*]
«Ich wollte mit einer Frau schlafen. Deshalb bin ich nachts in die Landsberger Straße gefahren, wo diese Prostituierten stehen. Als ich dort war und an ihnen vorbeifuhr, hatte ich Magenschmerzen und Herzklopfen vor Aufregung und Angst. Ich dachte, ich bin sicher impotent, und bin da vorbeigefahren. Da sah ich eine Frau, die eine Autopanne hatte. Als ich anhielt und ihr meine Hilfe anbot, war ich wieder ganz ruhig und sicher. Es ist schon eine verfluchte Rolle, die ich da spiele.»
Ein Arzt, 32 Jahre
«Wenn ich Menschen kennenlerne, dann setze ich mich sehr für sie ein. Meist haben sie Probleme, und ich höre mir das an und bemühe mich sehr, mit ihnen eine Lösung zu finden. Und wenn wir dann die Lösung gefunden haben, dann höre ich nichts mehr von ihnen. Ich bin dann schwer enttäuscht und denke, du schaffst es einfach nicht …»
«Sprechen Sie von Ihren Klienten oder von privaten Bekannten?»
«Ich meine natürlich die Leute, die ich privat kennenlerne. Von den Familien, die ich betreue, würde ich mir ja nie so etwas wie Dank erwarten.»
Eine Sozialarbeiterin, 40 Jahre
«Lukas hatte solche Arbeitsstörungen und Ängste im Studium, und so habe ich mich die ganze Zeit um ihn gekümmert und das Geld verdient. Als er dann Examen machte, wurde ich krank. Jetzt haben wir beschlossen, auseinanderzuziehen. Er sagt, ich hätte ihm gar keine Luft gelassen, er fühle sich so verpflichtet. Aber ich mußte ihm doch helfen …»
Eine Lehrerin, 29 Jahre
Diese Anekdoten sollen die Äußerungsformen des Helfer-Syndroms aufzeigen, um dessen Entstehung und innere Gesetzmäßigkeit es hier geht. Unter Syndrom versteht man in der Medizin eine in typischer Kombination auftretende Verbindung einzelner Merkmale, die einen krankhaften Prozeß bestimmen. Im Bereich der Psychologie ist die Grenze zwischen «gesund» und «krank» hierbei selten leicht zu ziehen. Besonders schwierig ist das angesichts eines sozial so hoch geachteten Verhaltens wie der Hilfe für andere, des Altruismus.
Mir scheint, daß schätzenswerte menschliche Eigenschaften nicht an Wert verlieren, wenn ihr Zustandekommen genauer untersucht wird. Es geht mir auch nicht darum, zu zeigen, daß dem Helfen-Wollen ein «letzten Endes egoistisches» Motiv zugrunde liegt. Die Unterscheidung von altruistischem und egoistischem Verhalten ist ihrerseits eine Folge bestimmter gesellschaftlicher Entwicklungsformen. Von ihrer Analyse aus kann sie in einer sinnvolleren Weise gestellt und beantwortet werden. Idealvorstellungen von der Persönlichkeit des Helfers sind kritisch zu sehen. Oft schaden sie mehr, als sie nützen. Es geht gerade nicht darum, durch den Hinweis auf die vielfältigen Schwierigkeiten und Konflikte der Angehörigen «helfender» Berufe (Erzieher, Ärzte, Psychotherapeuten, Geistliche, Lehrer) das Idealbild des perfekten Helfers zu entwickeln. Einfühlendes Verständnis für Schwächen und Mängel – eigene und fremde – ist gerade die Voraussetzung wirksamer Hilfe.
Als ich nach längerem Zögern den Entschluß faßte, mich einer Analyse zu unterziehen, rechtfertigte ich das als ein ausbildungsorientiertes Streben nach «Lehreranalyse», Parallel dazu suchte ich einen möglichst perfekten Analytiker – einen Analytiker ohne Fehler, mit umfassendem Wissen usw. Wenn ich zurückblicke, gewinne ich den Eindruck, daß nicht die Perfektion, sondern der Umgang mit meinen und seinen eigenen Schwächen das wichtigste war, was ich von meinem analytischen Lehrer erfahren habe.
Der Idealanspruch an den Helfer drückt sich oft in den Ausbildungsanforderungen psychoanalytischer Institute aus. Nicht selten hört oder liest man Formeln wie «Keiner kann einem anderen helfen, ein Problem zu lösen, das er selbst noch nicht bewältigt hat» oder «Niemand wird einen Patienten weiter bringen, als er selbst ist». Die Vielfalt menschlicher Beziehungen wird in solchen vom Ideal-Ich bestimmten Formeln auf eine enge, wertende Dimension gebracht, wodurch die geschichtliche Entwicklung der Psychoanalyse geradezu umgekehrt wird (in der selbst nicht oder nur ganz kurz analysierte Pioniere immer längere Ausbildungsanalysen durchführten und befürworteten). Ein Gegenbeispiel (das ebensowenig wie die oben zitierten Formeln Anspruch auf Allgemeingültigkeit hat): Zu einem Psychoanalytiker kommt ein Klient. Er möchte sich einer Therapie unterziehen; seine Symptome sind Depressionen und quälende Migräneanfälle. Der Arzt sagt: «Was die Depressionen angeht, halte ich die Behandlungsaussichten für günstig. Aber in bezug auf die Migräne kann ich nicht viel versprechen; da sollten Sie sich keinen großen Erfolg erwarten.» Der Arzt spricht aus eigener Erfahrung: Seine Migräneanfälle haben durch die Analyse, die er selbst absolvierte, nicht wesentlich nachgelassen. Doch sein in dieser Weise entmutigter Klient berichtet nach einigen Monaten, er habe nun alle Medikamente gegen seine Kopfschmerzen weggeworfen. Er brauche sie nicht mehr – die Psychotherapie habe ihn von seinen Migräneanfällen geheilt.
Solche Ereignisse zeigen, wie töricht der Idealanspruch an den Helfer ist, der sich in diesem Fall so formulieren läßt (und in einem Aufnahmeinterview an einem psychotherapeutischen Ausbildungsinstitut einem dann abgelehnten Kandidaten auch entsprechend gesagt wurde): «Wie wollen Sie einen Patienten von einem psychosomatischen Leiden befreien, unter dem Sie selbst noch leiden?» Hier wird deutlich, wie Institutionen dazu neigen, in ihrer Aufnahme- und Ausbildungspolitik jene Muster zu kopieren, die in der Analyse von familiären Erziehungsprozessen bereits als neurotisierend erkannt wurden. Gemeint ist das Ideal-Ich der Eltern, das mit dem Anspruch der perfekten Erfüllung an ein Kind herangetragen wird. Dadurch entsteht die Gefahr, daß Entwicklungs- und Wachstumsprozesse durch Ausleseprozesse ersetzt werden. Auslese bringt dann eine Spaltung mit sich; das Kind erfährt, daß es seine «guten» Eigenschaften entwickeln darf, seine «schlechten» hingegen abspalten und verdrängen muß. Oft sind aber gerade diese in den Augen der Eltern «schlechten» Eigenschaften sehr wesentlich. Sie können nicht ohne Schaden abgespalten und unentwickelt gelassen werden, da sie wichtige Verhaltensweisen (z.B. Durchsetzung, Zärtlichkeit, sexuelle Potenz, Gefühlsintensität) erst ermöglichen.
In einer vergleichbaren Weise halte ich auch die Unvollkommenheiten des Helfers für potentiell produktiv. Es ist sinnvoller, an ihnen und mit ihnen einen Entwicklungsprozeß einzuleiten, als ihre Abspaltung zu erzwingen. Perfektions-Ideale lassen sich stets nur durch Verleugnung der Wirklichkeit aufrechterhalten. Dadurch verliert die Tätigkeit des Helfers leicht ihre Orientierung. Enttäuschungen, wie sie nicht ausbleiben, können nicht mehr verarbeitet, Fehler nicht korrigiert werden. Der zum Schlagwort gewordene «Burnout», das Ausbrennen des Helfers, ist nicht selten die Folge.[*] Das Helfer-Syndrom, die zur Persönlichkeitsstruktur gewordene Unfähigkeit, eigene Gefühle und Bedürfnisse zu äußern, verbunden mit einer scheinbar omnipotenten, unangreifbaren Fassade im Bereich der sozialen Dienstleistungen, ist sehr weit verbreitet. Ich hatte in den letzten Jahren vielfältige Möglichkeiten, es kennenzulernen – zunächst an mir selbst, seit ich aus der distanzierten, literarischen Form des psychosozialen Engagements in die unmittelbare psychotherapeutische und gruppendynamische Arbeit überwechselte. Parallel dazu auch an meinen Klienten, die zum großen Teil aus den sozialen Berufen kommen; an den Ausbildungsteilnehmern in der Gesellschaft für analytische Gruppendynamik (G.a.G.), die ich in Selbsterfahrungsgruppen und in Einzelgesprächen kennenlernte, und last but not least an den Teilnehmern der von mir geleiteten Kurz- und Langzeitgruppen. Im Gegensatz zum ausschließlich mit Einzelbehandlungen befaßten Analytiker lernt der daneben mit Gruppentherapie und gruppendynamischer Arbeit befaßte Psychologe einen breiten Ausschnitt aus der Bevölkerung kennen. Es sind nicht nur «Patienten», sondern auch Menschen, die sich als seelisch gesund ansehen, die häufig mit dem Ziel zu ihm kommen, gerade ihre Fähigkeiten als Helfer zu verbessern. Obwohl ich auch auf die Ergebnisse statistischer und testpsychologischer Untersuchungen, die im Rahmen der G.a.G. angestellt wurden, verweisen kann, ist die Methode dieser Arbeit psychoanalytisch. Sie geht von einem umfassenden, beschreibend-hermeneutischen Wissenschaftsmodell aus, nicht von einem positivistisch-experimentellen. Es geht mir darum, die Psychohygiene in den Helfer-Berufen zu verbessern.
«Früher habe ich mich oft schier zerrissen, und hatte doch das Gefühl, ich erreiche nichts. Wenn um Mitternacht ein Anruf kam, bin ich hingegangen und habe mit den Leuten geredet. Ich dachte einfach, ich darf nicht nein sagen, wenn es jemandem schlecht geht. Aber ich konnte das Gefühl nicht loswerden, daß meine Klienten das ausnützten … Seit ich die Ausbildung gemacht habe, vor allem auch die Einzelanalyse, habe ich das geändert. Ich sage jetzt solchen Anrufern, sie sollten sich während der Dienstzeit an mich wenden. Da kann ich aber auch voll für sie da sein, weil ich ausgeschlafen und nicht insgeheim wütend bin. Solche Gefühle habe ich mir früher überhaupt nicht zugestanden. Ich dachte, ich muß immer nur für die anderen da sein. Aber da ist auch die Ausbildung schuld. Man lernt nichts, als den höchsten Anspruch an sich zu stellen, und kriegt kaum konkrete Mittel in die Hand, um auch etwas zu erreichen …» (eine Sozialarbeiterin, 30 Jahre).
Daß es um die seelische Gesundheit bei den Angehörigen der helfenden Berufe nicht sonderlich gut bestellt ist, erweisen einige statistische Studien. Am besten dokumentiert ist die Situation bei dem prestigeträchtigsten Helfer-Beruf, dem Arzt. Doch dürften Krankenpflegepersonal, Pädagoginnen und Pädagogen oder Psychologen sich in diesem Punkt kaum von den Ärzten unterscheiden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in keiner Berufsgruppe (psychische) Störungen so sehr vertuscht und bagatellisiert werden wie in der, die unmittelbar mit der Behandlung dieser Störungen befaßt ist. Gerade darin drückt sich das Helfer-Syndrom besonders deutlich aus, daß Schwäche und Hilflosigkeit, offenes Eingestehen emotionaler Probleme, nur bei anderen begrüßt und unterstützt werden, während demgegenüber das eigene Selbstbild von solchen «Flecken» um jeden Preis frei bleiben muß.
Als vor über 30 Jahren die amerikanische Arzneimittelfirma Park-Davis Fragebögen an 10000 Ärzte verschickte, in denen der Gesundheitszustand der Mediziner geprüft wurde, bestätigten nur 0,5 Prozent der Antwortenden, daß sie an seelischen Störungen litten. Das Idealbild des seelisch stabilen, jeder Anforderung gewachsenen Arztes hatte sich als mächtiger erwiesen als die Realität; Ärzte werden öfter in psychiatrischen Kliniken aufgenommen als sozioökonomisch vergleichbare Bevölkerungsgruppen. Ihre Selbstmordhäufigkeit ist statistisch signifikant höher als die der Durchschnittsbevölkerung (nach einer englischen Statistik 2,5mal so hoch). Ebenfalls aus England stammt die Studie von M.F. Brook und seinen Mitarbeitern, die 182 Fällen der Einweisung von Ärzten in Nervenkrankenhäuser nachgingen. Es zeigte sich, daß in einem Krankenhaus einer von 82 Patienten, in einem anderen sogar einer von 46 Patienten, die neu eingewiesen wurden, ein Arzt war. Diese Zahl liegt erheblich über dem statistischen Durchschnitt, d.h. über dem Wert, der zu erwarten ist, wenn die Ärzte entsprechend ihrer Häufigkeit in der Bevölkerung aufgenommen würden.[*] Während man gegen diese Arbeit (und andere, die zu vergleichbaren Ergebnissen kommen) noch einwenden kann, daß durch die Auswahl des Ausgangsmaterials (Ärzte in psychiatrischen Krankenhäusern) und das Fehlen einer Kontrollgruppe die Ergebnisse verfälscht sein könnten, weisen die Ergebnisse einer prospektiven Arbeit von G.E. Vaillant und Mitarbeitern[*] in eine ähnliche Richtung. Diese verglichen eine Gruppe von 47 Studenten der Medizin von deren Eintritt in die Universität an mit einer Gruppe von zufällig ausgewählten Studenten anderer Fächer. Beide Gruppen wurden drei Jahrzehnte lang verfolgt. Es zeigte sich, daß von den Ärzten 47 Prozent schlechte Ehen hatten oder sich scheiden ließen; 36 Prozent psychoaktive Medikamente und/oder Alkohol bzw. andere Rauschdrogen nahmen, sich 34 Prozent irgendeiner Form von Psychotherapie unterzogen und 17 Prozent einen oder mehrere Aufenthalte in einer Nervenklinik hinter sich brachten. Alle diese Zahlen waren eindeutig höher als die der sozioökonomisch vergleichbaren Kontrollgruppe.
Die innere Situation des Menschen mit dem Helfer-Syndrom läßt sich in einem Bild beschreiben: ein verwahrlostes, hungriges Baby hinter einer prächtigen, starken Fassade.
«Ich war mit einer Gruppe anderer Studenten vor dem Haus von Prof. X. Wir sollten eine Glocke an dieses Haus montieren. Ich sehe noch die hohen, aus Kalkstein gemauerten Wände vor mir. Die Sache mit der Glocke klappte aber nicht gut. Wir brauchten noch Material, Seile und so. Deshalb ging ich zu einem Schuppen in der Nähe. Als ich herankam, hörte ich in dem Schuppen ein leises Weinen. Ich öffnete die Tür. Da sah ich etwas ganz Schreckliches: Ein halb verdurstetes, abgemagertes Kind, ganz verdreckt und mit Spinnweben überzogen, steckte eingeklemmt zwischen dem Gerümpel» (Traum eines 30jährigen Arztes).
In diesem Traum wird der Gegensatz zwischen der auf narzißtische Geltung abgestellten Fassade (der Professor, die Glocke) und den abgespaltenen, unansehnlichen, kindlich gebliebenen Bedürfnissen deutlich. Die Fassade sagt: «Ich brauche nichts, ich gebe!» Das Kind sagt: «Ich bin hungrig und durstig (nach Zuwendung und Geborgenheit), aber ich darf mich nicht hervorwagen.» Der Beziehung Helfer–Klient fehlt die volle Gegenseitigkeit; beim Helfer-Syndrom ist dieser Mangel an offener Gegenseitigkeit zum Persönlichkeitszug (analytisch gesprochen: zu einem Teil der Charakter-Abwehr) geworden. Der Klient soll seine Bedürfnisse äußern und Befriedigungsmöglichkeiten für sie finden; der Helfer muß die Äußerung seiner Bedürfnisse zurückstellen. Ich werde noch beschreiben, wie sich das Helfer-Syndrom in Freundschafts- und Liebesbeziehungen auswirkt. Das skizzierte Bild der stark wirkenden Fassade und des hungrigen, verwahrlosten Säuglings dahinter soll hier vor allem dazu dienen, die außerordentlich große Suchtgefährdung im Rahmen des Helfer-Syndroms aufzuzeigen. Während in der Bevölkerung auf etwa 600 Nichtärzte ein Arzt kommt, sind es unter den Entlassenen aus einer Klinik zur Behandlung von Rauschmittelsucht nur 50 Nichtärzte auf einen Arzt. In der Studie von Vaillant et al. benützte ein Drittel der untersuchten Ärzte regelmäßig Psychopharmaka, Alkohol oder Rauschgifte im engeren Sinn (Morphium und seine Derivate). Mindestens 1 Prozent der amerikanischen Ärzte ist rauschgiftsüchtig, was sonst in der Berufsgruppe der Akademiker außerordentlich selten ist. Wie zu erwarten, wird der Suchtmittelgebrauch durch Ärzte von der Helfer-Fassade her begründet. Nach der Untersuchung von H.C. Modlin und A. Montes über die Rauschgiftsucht bei Ärzten schreiben die Befragten den Beginn des Mißbrauchs der Suchtmittel an erster Stelle ihrer Überarbeitung, an zweiter ihrer dauernden Müdigkeit und an dritter dem Ankämpfen gegen körperliche Krankheiten zu. Die beiden Psychiater kommen zu einem anderen Ergebnis: Sie sprechen von einer «oralen Persönlichkeit», die sich bereits vor Beginn der Rauschgiftsucht äußerte. Das wesentliche Dilemma der oralen Persönlichkeit läßt sich aus dem Bild von der Fassade und dem Baby ableiten: Die eigenen Bedürfnisse nach narzißtischer Versorgung durch Zuwendung und offenen Austausch von Gefühlen können nicht angemessen befriedigt werden, weil sie sich nur indirekt – durch das starre Festhalten an der Helfer-Rolle – ausdrücken. Charakteristisch für die süchtigen Ärzte war ihre Abhängigkeit von ihren Ehefrauen in bezug auf emotionale Zuwendung, verbunden mit der Unfähigkeit, eine stabile, gegenseitige Beziehung aufrechtzuerhalten. Die Fassade sagt: «Verlang nichts von mir, ich muß für meine Patienten da sein!», während das Baby sagt: «Ich brauche dich, du mußt mich versorgen und stützen!» Die Sucht bricht nicht selten dann aus, wenn die Ehefrau diese Stützfunktion nicht mehr ausübt, weil sie selbst sich ausgebeutet fühlt. (In diesem Punkt überschneiden sich das Helfer-Syndrom und Grundmerkmale der patriarchalischen Gesellschaften, die auf Ausbeutung der emotionalen Stützfunktion der Frau für die Arbeit des Mannes ausgerichtet sind.) Doch steht die Ehefrau hier für die Befriedigungsmöglichkeiten aus mitmenschlichen Beziehungen schlechthin. Diese sind beim Helfer-Syndrom nur ganz einseitig entwickelt. Wegen der frühen, stark ausgeprägten Spaltung zwischen der Fassade und dem Kind müssen die oralen Bedürfnisse nach Zuwendung, Bestätigung, emotionalem «Gefüttertwerden» auf einer primitiven Stufe bleiben. Das Suchtmittel bietet hier eine Befriedigungsmöglichkeit, die auf ebendieser urtümlichen Stufe ansetzt. Es erlaubt dem Süchtigen, aus einer Alltagswelt zu fliehen, die ihm voller Belastungen und ohne Möglichkeit der Entspannung scheint. Die prägnante Kurzformel «Rauschdrogen sind giftige Muttermilch» drückt diesen Zusammenhang aus: Die frühen Entbehrungen, welche den Helfer veranlaßten, sein inneres Baby in einen dunklen, schmutzigen Keller zu sperren, haben die Bedürfnisse dieses Babys auf einem urtümlichen Niveau bewahrt. Dafür gibt es im Leben des Erwachsenen keine angemessenen Befriedigungsmöglichkeiten mehr. Die Regression zum wunschlosen Nirwana-Zustand des Süchtigen ist meist selbstzerstörerisch. Der oralen Persönlichkeit sind gewissermaßen die Saugwurzeln verlorengegangen, mit deren Hilfe andere Erwachsene aus ihren mitmenschlichen Beziehungen genügend Befriedigung gewinnen. Die grobe Bedürftigkeit seiner unentwickelt gebliebenen narzißtischen Ansprüche hat keinen Kontakt zu seinem Alltag, den er allein mit Hilfe seiner Fassade bewältigt. Er kann die einfühlende Zuwendung der Primärgruppe (die «gute Milch» nach der analytischen Kurzformel) ebensowenig nachträglich erfahren, wie ein vierzigjähriger Erwachsener an der Brust der Mutter Befriedigung finden könnte. Doch der Differenzierungsgrad seiner Bedürfnisse ist noch auf dieser primitiven Stufe. Aus diesem Grund brauchen psychotherapeutische Prozesse auch meist so lange Zeit. Alkohol, süchtiges Zigarettenrauchen oder Rauschgiftsucht sind kürzere Wege. Sie führen aber zu einem anderen Ziel: Die Nachentwicklung des kindlichen, wünschenden Ichs wird durch sie verhindert. Wer keine differenzierten Möglichkeiten der Befriedigung durch menschliche Beziehungen hat, wem also die oben angesprochenen feinen Saugwurzeln fehlen, der ist anfällig für so grobe Mittel wie die Rauschdrogen. Die Sucht führt dann dazu, daß die bisher entwickelten, unzureichenden Verwurzelungen in mitmenschlichen Beziehungen noch weiter abreißen. Sie wird zur bösen Mutter, die das Kind nicht leben läßt, es aber auch nicht freigibt: Die schleichende Selbstzerstörung durch das Rauschgift spiegelt eine Beziehung in der Primärgruppe wider, in der Selbstsein schrecklich war, der Aufbau einer Fassade die einzige Rettung schien. Jetzt wird der Süchtige wieder zum Kind; diesmal aber zerstört er sich selbst.
Die häufigste seelische Störung beim Helfer-Syndrom ist die Depression. Die Selbstmordhäufigkeit in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe ist ein relativ brauchbarer Gradmesser des Auftretens von Depressionen; sie ist bei Ärzten in der Altersgruppe zwischen 25 und 39 Jahren mit 26 Prozent aller Todesfälle fast dreimal so hoch wie in der statistisch vergleichbaren Durchschnittsbevölkerung (9 Prozent).[*] Zwischen Alkoholismus und anderen Formen von Drogenabhängigkeit einerseits, der Neigung zu Selbstmordhandlungen andererseits besteht ein statistisch signifikanter Zusammenhang: Eine besonders suchtgefährdete Bevölkerungsgruppe ist auch besonders selbstmordgefährdet.
Wie Heinz Henseler[*] demonstriert hat, sind Selbstmordhandlungen sehr komplex motiviert und nicht einfach einer [*]