Das Buch

Stephen King gilt weltweit unbestritten als der erfolgreichste Autor moderner Phantastik. Und seine Fangemeinde weiß längst, dass sich sein Können nicht nur auf das Horrorgenre beschränkt. Die vorliegenden Geschichten führen an die Schattenwelten unserer verborgenen Ängste und Träume, angesiedelt im Grenzbereich zwischen Gut und Böse. Sie sind Meisterwerke der Fantasie und beweisen: »Kings Qualität als Schriftsteller kann mit der anerkannter Hochkultur-Autoren und weitgehend ungelesener Kritikerlieblinge mühelos Schritt halten. « (Der Standard)

Der Autor

Stephen King, geboren 1947, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Er hat weltweit über 400 Millionen Bücher in mehr als 40 Sprachen verkauft und erhielt den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk.

Das Hauptwerk des Autors erscheint im Heyne Verlag.

ALBTRÄUME

NIGHTMARES & DREAMSCAPES

Aus dem Amerikanischen

von Joachim Körber

Wilhelm Heyne Verlag

München

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Die OriginalausgabeNightmares & Dreamscapes
erschien bei Viking, New York
Copyright © 1993 by Stephen King
Copyright © 1996 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH ,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Covergestaltung und Motiv: Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung einer Illustration von © Anja Filler
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-13007-7
V003
www.heyne.de

Zur Erinnerung an

Thomas Williams (1926–1990),

den Dichter, Romancier und

großen amerikanischen Erzähler

Einleitung

Mythen, Glauben, Überzeugung

und Ripley’s Unglaublich, aber wahr!

Als ich ein Kind war, glaubte ich alles, was mir gesagt wurde, was ich las, und jede Ausgeburt meiner übersteigerten Fantasie. Das genügte zwar für mehr als nur ein paar schlaflose Nächte, aber es erfüllte die Welt, in der ich lebte, mit Farben und Formen, die ich nicht für ein ganzes Leben voll geruhsamer Nächte eingetauscht hätte. Sehen Sie, ich wusste schon damals, dass es Menschen auf der Welt gab – sogar zu viele –, deren Fantasie entweder verkümmert oder abgestorben war, die in einem geistigen Zustand lebten, der völliger Farbenblindheit nahekam. Sie taten mir immer leid; ich hätte mir nie träumen lassen (jedenfalls damals nicht), dass viele dieser fantasielosen Typen mich entweder bemitleideten oder verächtlich auf mich herabsahen – nicht nur weil ich unter einer Vielzahl irrationaler Ängste litt, sondern auch, weil ich in fast jeder Hinsicht zutiefst und rückhaltlos leichtgläubig war. »Das ist ein Junge, der die Brooklyn Bridge nicht nur einmal kaufen wird, sondern immer wieder, sein ganzes Leben lang«, müssen einige von ihnen gedacht haben (von meiner Mutter weiß ich es ganz sicher).

Das traf damals sicher zu, schätze ich, und wenn ich ganz ehrlich sein will, dann ist auch heute noch etwas Wahres daran. Meine Frau erzählt den Leuten noch heute mit größtem Vergnügen, dass ihr Mann im zarten Alter von einundzwanzig Jahren bei seiner ersten Präsidentschaftswahl für Richard Nixon gestimmt habe. »Nixon sagte, er hätte einen Plan, wie wir uns aus Vietnam zurückziehen können«, sagte sie, gewöhnlich mit einem vergnügten Funkeln in den Augen. »Und Steve hat ihm geglaubt!«

Das stimmt; Steve hat ihm geglaubt. Und das ist längst nicht alles, was Steve im Verlauf seiner manchmal exzentrischen fünfundvierzig Lebensjahre geglaubt hat. Beispielsweise war ich der letzte Junge in unserem Viertel, der sich zu der Auffassung bekehren ließ, die vielen Nikoläuse an jeder Straßenecke bedeuteten nur, dass es keinen echten Nikolaus gab (ich zweifle immer noch an der Logik dieses Gedankengangs; es ist, als sagte man, eine Million Schüler seien der Beweis dafür, dass es keinen Lehrer gibt). Ich zweifelte nie an der Behauptung meines Onkels Oren, dass man den Schatten eines Menschen mit einem stählernen Zelthering abtrennen konnte (das heißt, wenn man genau am Mittag hineinstach), oder an der Theorie seiner Frau, dass jedes Mal, wenn man fröstelte, eine Gans über die Stelle lief, an der man einmal sein Grab haben würde. Wenn ich dabei an mein Leben denke, so heißt das, dass es mein Schicksal ist, hinter Tante Rhodys Scheune draußen in Goose Wallow, Wyoming, begraben zu werden.

Außerdem glaubte ich alles, was mir auf dem Schulhof erzählt wurde; ich schluckte kleine Fische genauso arglos wie Brocken so groß wie Wale. Ein Junge erzählte mir einmal im Brustton der Überzeugung, wenn man ein Zehncentstück auf die Eisenbahnschienen lege, würde der nächste Zug darauf entgleisen. Ein anderer Junge brachte mir bei, wenn man ein Zehncentstück auf die Eisenbahnschienen lege, würde es vom nächsten Zug, der des Weges kam, total platt gedrückt werden, und wenn der Zug vorbei sei, könne man eine flexible und beinah durchsichtige Münze von der Schiene nehmen, so groß wie ein Silberdollar. Ich war der Meinung, dass beides zutraf: Die Zehncentstücke wurden auf den Schienen total platt gequetscht, bevor sie die Züge zum Entgleisen brachten, die das Plattquetschen besorgt hatten.

Andere faszinierende Schulhoftatsachen, die ich in den Jahren an der Center School in Stratford, Connecticut, und der Durham Elementary School in Durham, Maine, in mich aufnahm, betrafen so grundverschiedene Dinge wie Golfbälle (innen giftig und ätzend), Fehlgeburten (die manchmal lebend, als missgebildete Monster, zur Welt kamen und von medizinischen Angestellten, die geheimnisvoll als »spezielle Krankenpfleger« bezeichnet wurden, getötet werden mussten), schwarze Katzen (wenn einem eine über den Weg lief, musste man sofort das Zeichen gegen den bösen Blick machen, andernfalls riskierte man den fast sicheren Tod vor Sonnenuntergang) und Risse auf dem Gehsteig. Ich denke, ich muss nicht ausdrücklich erklären, welche gefährlichen Zusammenhänge zwischen Letzteren und den Wirbelsäulen völlig unschuldiger Mütter bestehen.

Eine der Hauptquellen für wunderbare und erstaunliche Tatsachen waren damals die Taschenbuchausgaben von Ripley’s Unglaublich, aber wahr, die Pocket Books herausbrachte. Durch Ripley’s fand ich heraus, dass man einen starken Sprengstoff herstellen konnte, indem man das Zelluloid von den Rückseiten von Spielkarten schabte und das Zeug dann in ein Stück Rohr steckte; dass man sich ein Loch in den Kopf bohren und dann eine Kerze hineinstecken konnte, wodurch man zu einer Art menschlichem Nachttischlicht wurde (die Frage, warum jemand so etwas machen sollte, kam mir erst Jahre später); dass es wirklich Riesen gab (ein Mann war über zwei Meter vierzig groß), wirklich Elfen (eine Frau war kaum größer als fünfunddreißig Zentimeter) und UNGEHEUER, SO SCHRECKLICH, DASS MAN SIE NICHT BESCHREIBEN KONNTE …, aber in Ripley’s wurden sie alle beschrieben, genüsslich, in allen Einzelheiten, und gewöhnlich sogar mit Bild (selbst wenn ich hundert Jahre alt werden sollte, werde ich nie das von dem Mann vergessen, der eine Kerze mitten in seinem rasierten Schädel stecken hatte).

Diese Taschenbuchreihe war – jedenfalls für mich – die wunderbarste Kuriositätenschau der Welt, die ich in der Gesäßtasche herumtragen und mit der ich mich an Regentagen beschäftigen konnte, wenn keine Baseballspiele stattfanden und alle von Monopoly die Nase voll hatten. Gab es all die sagenhaften Kuriositäten und menschlichen Monster von Ripley’s wirklich? Das scheint in diesem Zusammenhang kaum wichtig zu sein. Für mich gab es sie, und das ist wahrscheinlich das Entscheidende – in den Jahren von sechs bis elf, in denen die menschliche Fantasie weitgehend geformt wird, gab es sie tatsächlich. Ich glaubte daran, so wie ich glaubte, dass man mit einem Zehncentstück einen Zug entgleisen lassen konnte und dass einem der weiche Glibber in der Mitte eines Golfballs die Hand vom Arm ätzen würde, wenn man unachtsam war und etwas davon abbekam. Durch Ripley’s Unglaublich aber wahr sah ich zum ersten Mal, wie schmal die Grenze zwischen dem Sagenhaften und dem Schwindel manchmal sein konnte, und mir wurde klar, dass der Vergleich von beidem ebenso sehr dazu beitrug, die gewöhnlichen Aspekte des Lebens wie die gelegentlichen Ausbrüche des Unheimlichen zu erhellen. Vergessen Sie nicht, wir sprechen hier vom Glauben, und Glauben ist die Wiege von Mythen. Was ist mit der Wirklichkeit, fragen Sie? Nun, soweit es mich betrifft, kann die Wirklichkeit sich einpökeln lassen. Ich habe nie auch nur einen Dreck auf die Wirklichkeit gegeben, zumindest in meinen Büchern nicht. Sie ist für die Fantasie nicht selten das, was Pfähle für Vampire sind.

Ich glaube, Mythen und Fantasie sind in Wirklichkeit fast austauschbare Konzepte, und Glaube ist der Ursprung von beiden. Glaube woran? Ich finde, das spielt eigentlich keine besonders wichtige Rolle, um die Wahrheit zu sagen. An einen Gott oder viele. Oder daran, dass ein Zehncentstück einen Güterzug entgleisen lassen kann.

Meine Gutgläubigkeit hatte nichts mit religiösem Glauben zu tun; das jedenfalls sollte eindeutig klar sein. Ich wurde methodistisch erzogen und halte mich noch so weit an die fundamentalistischen Lehren meiner Kindheit, dass ich glaube, ein solcher Anspruch wäre bestenfalls anmaßend und schlimmstenfalls regelrecht blasphemisch. Ich glaubte diese ganzen unheimlichen Geschichten, weil ich dazu geschaffen war, sie zu glauben. Manche Menschen gewinnen Rennen, weil sie geschaffen wurden, schnell zu laufen; oder sie spielen Basketball, weil Gott sie einen Meter neunzig groß geschaffen hat; oder sie lösen lange, komplizierte Gleichungen an der Wandtafel, weil sie geschaffen wurden, die Stellen zu sehen, wo die Zahlen zusammenpassen.

Und doch kommt auch der Glaube an irgendeiner Stelle ins Spiel, und ich glaube, diese Stelle hat etwas damit zu tun, dass man immer und immer wieder dasselbe macht, obwohl man im Grunde seines Herzens der Überzeugung ist, man kann es nie besser machen, als es schon ist, und wenn man unbedingt weiterdrängt, kann es eigentlich nur bergab gehen. Wenn man seinen ersten Versuch an der Piñata unternimmt, hat man eigentlich nichts zu verlieren, aber beim zweiten (und dritten … und vierten … und vierunddreißigsten) riskiert man Versagen, Depressionen und im Falle eines Geschichtenerzählers, der innerhalb eines fest umrissenen Genres arbeitet, Selbstparodie. Aber wir machen weiter, die meisten jedenfalls, und es wird immer schwieriger. Ich selbst hätte das vor zwanzig Jahren nicht geglaubt, nicht einmal vor zehn, aber es stimmt. Es wird schwieriger. An manchen Tagen denke ich, dass dieser alte Wang-Textcomputer vor fünf Jahren aufgehört hat, elektrischen Strom zu verbrauchen; dass er von Stark – The Dark Half an nur noch mit Glauben läuft. Aber das ist schließlich egal, wenn nur die Worte auf dem Bildschirm erscheinen, richtig?

Der Einfall zu jeder einzelnen Geschichte in diesem Buch kam mir in einem Augenblick des Glaubens, und sie wurden in einer Aufwallung von Glauben, Glücksgefühl und Optimismus geschrieben. Freilich haben diese positiven Empfindungen ihre dunklen Kehrseiten, und die Angst vor dem Versagen ist bei Weitem nicht die schlimmste. Die schlimmste – jedenfalls für mich – ist die nagende Spekulation, ich könnte schon alles gesagt haben, was ich zu sagen hatte, und dass ich dem Quaken meiner eigenen Stimme nur noch zuhöre, weil die Stille, wenn sie verstummt, zu unheimlich ist.

Der Glaubenssprung, der erforderlich ist, um Geschichten zustande zu bringen, ist mir in den letzten Jahren immer besonders schwergefallen; heutzutage kommt es mir vor, als wollte alles ein Roman werden, und jeder Roman schätzungsweise viertausend Seiten lang. Darauf haben eine Menge Kritiker hingewiesen, gewöhnlich nicht wohlwollend. In Kritiken jedes langen Romans, den ich geschrieben habe, von The Stand – Das letzte Gefecht bis zu In einer kleinen Stadt, wurde mir vorgeworfen, ich schriebe zu ausufernd. In manchen Fällen ist die Kritik berechtigt; in anderen Fällen handelt es sich nur um das übellaunige Gekläff von Männern und Frauen, die die literarische Appetitlosigkeit der letzten dreißig Jahre mit einem (für meine Begriffe) erstaunlichen Mangel von Diskussion und Widerspruch akzeptiert haben. Diese selbst ernannten Kirchenvorsteher der amerikanischen Literatur der Letzten Tage scheinen Großzügigkeit mit Argwohn, Stil mit Widerwillen und jeden größeren literarischen Treffer mit regelrechtem Hass zu betrachten. Die Folge ist ein seltsames und unfruchtbares literarisches Klima, in dem eine harmlose Fingerübung wie Nicholson Bakers Vox zum Gegenstand faszinierter Debatten und Analysen wird, während man einen wahrhaft ambitionierten amerikanischen Roman wie Greg Matthews’ Heart of the Country dagegen praktisch ignoriert.

Aber das alles ist müßig; es geht nicht nur am Thema vorbei, sondern klingt auch ein bisschen weinerlich. Hat es je einen Schriftsteller oder eine Schriftstellerin gegeben, die nicht geglaubt hätten, von den Kritikern schlecht behandelt zu werden? Bevor ich mich zu dieser Abschweifung verführen ließ, wollte ich eigentlich nur sagen, dass der Akt des Glaubens, der einen Augenblick der Gutgläubigkeit in einen echten Gegenstand verwandelt – z. B. eine Erzählung, die die Leute tatsächlich lesen wollen –, für mich in den letzten Jahren immer ein bisschen schwerer aufzubringen war.

»Nun, dann schreib eben keine mehr«, könnte jetzt jemand sagen (zumeist ist es eine Stimme, die ich in meinem eigenen Kopf höre, wie Jessie Burlingame in Das Spiel). »Das Geld, das sie dir einbringen, brauchst du doch sowieso nicht mehr.«

Das ist schon richtig. Die Zeiten, in denen der Scheck für ein rund viertausend Worte langes Wunder dazu verwendet wurde, Penicillin für die Ohrentzündung eines der Kinder oder die Miete zu bezahlen, sind längst vorbei. Aber die Logik ist mehr als falsch, sie ist gefährlich. Denn sehen Sie, das Geld, das die Romane einbringen, brauche ich eigentlich auch nicht mehr. Wenn es nur um Geld ginge, könnte ich das Trikot an den Nagel hängen und duschen gehen … oder den Rest meines Lebens auf einer Karibikinsel verbringen, Sonne tanken und herausfinden, wie lang ich meine Fingernägel wachsen lassen kann.

Aber es geht nicht um das Geld, was die Regenbogenpresse auch immer schreiben mag, und auch nicht um den Ausverkauf, wie die arroganteren Kritiker tatsächlich zu glauben scheinen. Das Grundsätzliche gilt immer noch, obwohl die Zeit vergeht, und für mich hat sich das Thema nicht geändert. Die Aufgabe besteht nach wie vor darin, zu Ihnen durchzudringen, mein lieber treuer Leser, Sie an den kurzen Haaren zu packen und, hoffentlich, so sehr zu ängstigen, dass Sie nicht schlafen können, wenn im Badezimmer kein Licht brennt. Es geht immer noch darum, erst mal das Unmögliche zu sehen … und es sogar auszusprechen. Es geht immer noch darum, Sie glauben zu machen, was ich glaube, zumindest für eine Weile.

Ich spreche nicht oft darüber, weil es mir peinlich ist und weil es anmaßend klingt, aber ich sehe in Erzählungen immer noch etwas Hervorragendes, etwas, was das Leben nicht nur verbessert, sondern tatsächlich rettet. Und ich meine das auch nicht im übertragenen Sinn. Gute Literatur – gute Storys sind der Schlagbolzen der Fantasie, und der Zweck der Fantasie ist es, glaube ich, uns Trost und Zuflucht vor Situationen und Lebensabschnitten zu bieten, die sich andernfalls als unerträglich erweisen würden. Natürlich kann ich da nur aus eigener Erfahrung sprechen, aber mir hat die Fantasie, die mich als Kind so oft wach und in Angst und Schrecken gehalten hat, als Erwachsenen durch eine Vielzahl von schrecklichen Anfällen tobsüchtiger Wirklichkeit hindurchgeholfen. Wenn die Geschichten, die dieser Fantasie entspringen, dasselbe bei einigen Leuten bewirken, die sie gelesen haben, dann bin ich vollauf zufrieden und rundum glücklich – Empfindungen, die man meines Wissens weder mit noch so üppigen Filmgeschäften noch mit Multi-Millionen-Dollar-Buchverträgen kaufen kann.

Nichtsdestoweniger ist die Erzählung eine schwierige und herausfordernde literarische Form, und gerade deshalb war ich so erfreut – und so überrascht –, dass ich genug für einen neuen Geschichtenband beisammen hatte. Er kommt überdies zu einem günstigen Zeitpunkt: denn etwas, woran ich als Kind felsenfest glaubte (wahrscheinlich habe ich es auch in Ripley’s Unglaublich, aber wahr aufgeschnappt), ist, dass sich die Menschen alle sieben Jahre vollkommen erneuern: jedes Gewebe, jedes Organ, jeder Muskel wird von völlig neuen Zellen ersetzt. Ich habe Albträume im Sommer des Jahres 1992 zusammengestellt, sieben Jahre nach der Veröffentlichung von Blut – Skeleton Crew, meiner letzten Geschichtensammlung, und diese wurde sieben Jahre nach Nachtschicht veröffentlicht, meinem ersten Storyband. Das Schönste daran ist die Gewissheit, dass ich es immer noch kann, auch wenn es schwerer geworden ist, den notwendigen Glaubenssprung auszuführen, der einen Einfall in etwas Reales umsetzt (wissen Sie, die Sprungmuskeln werden jeden Tag ein bisschen älter). Und das Zweitschönste ist die Gewissheit, dass sie immer noch jemand lesen will – das sind Sie, lieber treuer Leser, ob Sie es glauben oder nicht.

Die allergrößte Mühe habe ich mir gegeben, mich von überholten Dingen fernzuhalten, den Storys aus der Truhe, dem Schubladenmaterial. Etwa seit 1980 behaupten einige Kritiker, ich könnte meine Wäscheliste veröffentlichen und würde eine Million Exemplare davon verkaufen, aber das sind überwiegend Kritiker, die glauben, dass ich sowieso nichts anderes mache. Die Leute, die meine Bücher zum Vergnügen lesen, sind da offensichtlich anderer Meinung, und ich habe beim Zusammenstellen dieses Buches in erster Linie an die Leser gedacht, nicht an die Kritiker. Das Ergebnis ist, wie ich finde, ein Buch, das eine Trilogie vollendet, deren erste Bände Nachtschicht und Blut – Skeleton Crew sind. Jetzt liegen alle guten Geschichten gesammelt in Buchform vor; die schlechten habe ich, soweit ich konnte, unter den Teppich gekehrt, und da sollen sie auch bleiben. Sollte es je einen neuen Erzählungsband geben, so wird er ausschließlich aus Geschichten bestehen, die bis jetzt weder geschrieben noch ausgedacht sind, und ich glaube, er wird erst in einem Jahr das Licht der Welt erblicken, das mit einer Zwei anfängt.

Bis dahin haben wir hier diese zwölf zum Teil sehr sonderbaren Geschichten. Jede enthält etwas, woran ich eine Zeit lang gedacht habe. Ich weiß, einiges davon – der Finger, der aus dem Ausguss ragt, die menschenfressenden Kröten, die hungrigen Zähne – ist ein wenig furchteinflößend, aber ich denke, wenn wir zusammenbleiben, wird uns nichts geschehen. Wiederholen Sie vorher noch den Katechismus mit mir:

Ich glaube, dass ein Zehncentstück einen Güterzug zum Entgleisen bringen kann.

Ich glaube, dass im Abwassersystem der Stadt New York Alligatoren hausen, ganz zu schweigen von Ratten, so groß wie Shetlandponys.

Ich glaube, dass man jemand mit einem stählernen Zelthering den Schatten abreißen kann.

Ich glaube, dass es wirklich einen Nikolaus gibt, und dass all die Typen in roten Anzügen, die man um die Weihnachtszeit sieht, nur seine Gehilfen sind.

Ich glaube, dass es eine unsichtbare Welt um uns herum gibt.

Ich glaube, dass Tennisbälle voller Giftgas sind, und wenn man einen aufschneidet und einatmet, was herauskommt, bringt es einen um.

Vor allem aber glaube ich an Gespenster, ich glaube an Gespenster, ich glaube an Gespenster.

Okay? Fertig? Hier, nehmen Sie meine Hand. Wir gehen jetzt. Ich kenne den Weg. Sie müssen sich nur gut festhalten – und glauben.

6. November 1992

Bangor, Maine