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Alexander Emmerich

Alles Mythos!

20 populäre Irrtümer über
Hollywood

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Impressum

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-8062-2923-3
eBook (epub): 978-3-8062-2924-0

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Inhalt

Einleitung

IRRTUM 1:   Hollywood wurde von einem Amerikaner gegründet

IRRTUM 2:   Stars und Studios – alle finden sich in Hollywood

IRRTUM 3:   „Star Wars“ ist Hollywoodkino

IRRTUM 4:   Amerikanische Filme sind oberflächlich

IRRTUM 5:   Der Hollywood-Schriftzug ist beleuchtet

IRRTUM 6:   Noch nie hat ein deutscher Schauspieler den Oscar gewonnen

IRRTUM 7:   Walt Disney gab dem „Oscar“ seinen Namen

IRRTUM 8:   Avatar ist der erfolgreichste Film aller Zeiten

IRRTUM 9:   James Bond stammt aus Hollywood

IRRTUM 10: Die Erfindung des Tonfilms überraschte die Filmindustrie

IRRTUM 11: Hitchcock trat in allen seinen Filmen auf

IRRTUM 12: James Deans Unfallauto tötete mehrere Menschen

IRRTUM 13: Bei den Dreharbeiten zu „Ben Hur“ starb ein Mensch

IRRTUM 14: Der Horrorfilm wurde in Hollywood erfunden

IRRTUM 15: „Casablanca“ war als Kassenschlager geplant

IRRTUM 16: Marilyn Monroe war eine naive Blondine

IRRTUM 17: Die 3D-Technik entstand in den 2000er Jahren

IRRTUM 18: Der Western ist ein eigenes Genre und es ist tot

IRRTUM 19: Hollywood ist patriotisch

IRRTUM 20: Es gibt eine Erfolgsformel für Filme

Weiterführende Literatur

Register

Einleitung

„Hollywood, California!“ Dieser Name weckt in uns unendlich viele Bilder, Assoziationen und Vorstellungen. Er ruft Gedanken an Stars, Luxus, Glamour und Schönheit hervor, an Geld und Unterhaltung. Hören wir den Namen „Hollywood“, denken wir an den berühmten Schriftzug hoch über der Stadt Los Angeles, an Filmklassiker, Kinoabende und Blockbuster. Auch tragische Schicksale kommen uns in den Sinn, vom Aufstieg und Fall von Stars und Sternchen.

Hollywood ist der Ort, an dem durch die Bilder der Filmemacher für viele eine eigene Vorstellung von der Welt entsteht, die sie niemals selbst erfahren können. Die Filmindustrie produziert Bilder, die sich tief in unser Gedächtnis einprägen – sei es von historischen Begebenheiten oder von fremden Ländern. Doch hat Hollywood überhaupt den Anspruch authentisch und historisch korrekt zu sein? Was bewegt die die Filmschaffenden in Hollywood? Was treibt Schauspieler und Künstler an?

Ruft man sich den Glamour des Filmgeschäfts vor Augen, so erscheint „Hollywood“ eher wie ein Traumland, nicht wie ein Ort von dieser Welt. Aber ist es nicht im Grunde ganz leicht zu bestimmen, wo Hollywood liegt? Ist es nicht ein Stadtteil von Los Angeles? Ja, diesen Vorort gibt zwar durchaus, aber besucht man ihn, wird man ernüchtert feststellen, dass wenig bis nichts vom Ruhm und dem Glamour dort zu finden ist, alles ist eher heruntergekommen und ärmlich. Wenn nicht wo, was ist dann Hollywood: Ein Synonym für eine ganze Industrie? Eine Traumfabrik? Ein Markenzeichen? Oder nur ein Mythos, der nur in unseren Köpfen entsteht?

Über Jahrzehnte haben uns Filmstars wie Charlie Chaplin, James Stewart, Cary Grant und Marilyn Monroe, später Arnold Schwarzenegger, Denzel Washington, Forest Whitaker und Meryl Streep unterhalten. Sie verkörpern für uns Hollywood, sie sind Hollywood. Wir haben mit ihnen gelacht und geweint, getrauert und triumphiert. Sie und viele andere haben dazu beigetragen, dass „Hollywood“ weltweit bekannt und zum Inbegriff für die amerikanische Unterhaltungsindustrie wurde.

Doch wo es viel Licht ist, gibt es bekanntlich viel Schatten. So hat auch die Filmindustrie ein zweites Gesicht. Nirgendwo sind Erfolg und Misserfolg, Ruhm und Bedeutungslosigkeit, Reichtum und Armut, Illusion und Wirklichkeit so dicht beieinander wie in den Bergen oberhalb von Los Angeles. Denn auch diese Bilder sind uns vertraut: schamlos zur Schau gestellter Reichtum, geschmackloser Protz und Maßlosigkeit, Gesichter, die mit Hilfe eines Schönheitschirurgen fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurden, Alkohol- und Drogenexzesse, gebrochene Persönlichkeiten, die ihre Popularität nicht mehr aushalten, und tragische Schicksale, über die wir von der Boulevardpresse ebenso auf dem Laufenden gehalten werden wie über die belanglosen Nichtigkeiten, die von Stars und Paparazzi zu großen Problemen aufgebauscht werden.

Dort, wo das ganze Jahr über die Sonne scheint, wo man an der Pazifikküste Kaliforniens entspannen kann, leben die Stars. Wie oft wollte man sein eigenes Leben gegen das seines Lieblingsstars tauschen, das weiß jeder selbst am besten. In den fünfziger Jahren träumten die Menschen davon, so cool wie Humphrey Bogart oder so schön wie Grace Kelly zu sein. Dann wurde James Dean zum Idol der Jugend, gefolgt John Wayne, Marylin Monroe, Steve McQueen, Audrey Hepburn, Clint Eastwood. Jede Generation hat ihre Stars; so identifizieren sich heute die Zuschauer mit Harrison Ford, Brad Pitt, Johnny Depp, Nicole Kidman, Halle Berry und vielen anderen. Die Rollen werden Wirklichkeit, Fiktion vermischt sich mit Realität, bis wir glauben, dass die dargestellten Charaktere mit ihren Werten, ihren Haltungen und ihren Problemen dem Leben unserer Lieblingsschauspieler entstammen.

Im Grunde genommen ist der Begriff „Hollywood“ selbst ein Mythos. Deshalb muss man damit rechnen, dass alles was mit der Filmstadt verbunden ist, unter dem Schein der Verklärung zu sehen ist. Und in der Tat liegt es in der Natur einer Filmstadt, dass sie ein Produkt erzeugt, das eine Welt vorgaukelt, die es so nicht gibt. Hollywood tut das in großem Maße – vor und hinter den Kulissen.

Doch bleiben wir bei der Frage: Was und wo ist Hollywood? Lässt sich das Phänomen Hollywood lokalisieren und erklären? Warum verbinden wir nicht Los Angeles mit dem Filmgeschäft? Was für Schicksale stecken hinter den kometenhaften Karrieren der Filmschaffenden? Was verbirgt sich hinter den Geschichten, die von Filmfreunden seit Jahrzehnten immer und immer wieder erzählt und weitergetragen werden? Auf diese grundsätzlichen und andere konkrete Fragen will dieses Buch Antworten geben. Machen Sie sich bereit für eine Reise durch die amerikanische Filmgeschichte bis hin zu den Anfängen, als für die wenigen Einwohner der neuspanischen Missionssiedlung „La Ciudad de Los Angeles“ das Wort „Hollywood“ staubige Hügel in einem abgelegenen Tal bedeutete. Niemand hätte sich damals vorstellen können, was auf und um diese Hügel herum einmal entstehen würde.

IRRTUM 1:

Hollywood wurde von einem Amerikaner gegründet

„Nichts ist amerikanischer als die Traumfabrik Hollywood selbst.“ Darüber ist man im Grunde genommen weltweit einer Meinung. Denn die dort produzierten Filme transportieren amerikanische Werte, amerikanische Mythen und amerikanische Produkte und exportieren sie in die ganze Welt. Europäische Kinogänger schütteln nicht selten den Kopf über allzu bombastische und furiose Finale: „typisch amerikanisch“ eben. Andere wiederum scheinen eine große Abneigung gegen das amerikanische Kino zu hegen und lehnen die US-Filme made in Hollywood grundweg ab. Sie sind ihnen zu patriotisch, zu heldenhaft und zu actiongeladen. Zudem scheinen Thematik und die Anliegen der Charaktere Europäern häufig fremd. Doch trotz dieser kritischen Töne von eher intellektuellen Cineasten sind die Faszination und die Begeisterung für amerikanische Filme ungebrochen – das beweist der Erfolg an den Kinokassen. Hollywoods Produktionen sind in fast jeder Hinsicht größer, bombastischer – und begeisternder.

Hollywood scheint ein Konzept gefunden zu haben, mit dem seine Macher ihr Publikum weltweit erreichen. Ist dieses Konzept denn wirklich „typisch amerikanisch“ oder ist Hollywood doch eher universell? Und wie amerikanisch ist die Traumfabrik eigentlich selbst, die Ursprünge der Filmstadt? Wer hat Hollywood eigentlich gegründet? Wenn die Vereinigten Staaten eine Nation sind, in der vor allem die Nachfahren der europäischen Einwanderer – hauptsächlich aus England, Irland und Deutschland – leben, ist Hollywood dann vielleicht mehr europäisch? Oder flossen auch in Hollywood die Einflüsse zahlreicher Nationen zusammen?

Die Ursprünge des Namens „Hollywood“

Übersetzt man Hollywood wörtlich ins Deutsche klingt das Ergebnis zunächst wenig einladend. holly bedeutet Stechpalme und wood Holz, Gehölz oder auch Wald. Der Name der Traumfabrik mag heute viele schöne Assoziationen in sich bergen, doch ursprünglich war Hollywood ein Ort, an dem Stechpalmen wuchsen, trocken, karg und abweisend. Der Name entsprach wohl der Beschaffenheit der Gegend, sonst hätten die ersten englischsprachigen Siedler sicher einen anderen Namen gewählt. Weltweit existieren über 200 Arten dieser Gewächse, die in allen Klimazonen gedeihen. Hierzulande heißen die Stechpalmen auch Christdorn oder Hülsdorn. Obwohl sie unter Schutz stehen, verwendet man die immergrünen Blätter und die roten Beeren zur Weihnachtszeit um Türen und Eingänge zu dekorieren.

Darüber, wie die Region oberhalb von Los Angeles zu ihrem Namen „Hollywood“ kam, gibt es mindestens zwei populäre Versionen. Beide Geschichten gehen auf das 19. Jahrhundert zurück, als Siedler in diese Gegend kamen, in der noch kaum jemand lebte und die aus nichts außer ein paar staubigen Hügeln bestand. Jeder hätte den Kopf geschüttelt, wenn man behauptet hätte, dass es einmal eine Zeit geben würde, in der dieses Land Millionen wert und weltweit bekannt sein würde.

Der einen Version zufolge geht der Name auf die Familie Whitley zurück, die aus dem Osten an die Pazifikküste kam und sich in Cahuenga, einem Hügel samt Passstraße, an die heute noch der Cahuenga Boulevard erinnert, niederließ. Warum die Familie sich für den Namen Hollywood entschied, ruht jedoch im Dunkeln der Geschichte.

Die andere Version stellt Mrs. Horace Henderson Wilcox als Namensgeberin dar, die gemeinsam mit ihrem Mann in den Hügeln eine Ranch betrieb. Von ihr soll der Name stammen, auf den sie ihre neue Umgebung taufte. Dass damit einmal mal nicht nur die karge Hügellandschaft um sie herum gemeint sein würde, konnte Mrs. Wilcox nicht erahnen.

Urbane Anfänge von Hollywood

Um 1900 existierte in der Hügellandschaft schon eine kleine Gemeinde, die sich Hollywood nannte. Sie bestand aus einem Postamt, einer Zeitungsredaktion, einem Hotel, zwei Märkten sowie insgesamt 500 Einwohnern. Das Leben in Hollywood war beschaulich und ruhig. Aber es war die Ruhe vor dem Sturm. Kein Einwohner der Gemeinde ahnte allerdings, dass die nächsten beiden Jahrzehnte die Gegend grundlegend verändern würden, dass die wüstenartige Hügellandschaft bald die Unterhaltungsmetropole schlechthin sein würde. Deshalb votierten die Bewohner der Gemeinde im Jahr 1910 in einer Volksabstimmung dafür, sich unter die Verwaltung der benachbarten Stadt Los Angeles zu begeben. Die war zwar selbst nicht sonderlich groß, aber unter deren Dach, so hofften sie, könnten die dringendsten Probleme gelöst werden. Hollywoods Einwohner erreichten damit vor allem den Zugang zur Wasserversorgung von Los Angeles. Denn im trockenen und heißen Klima Südkaliforniens war Trinkwasser ein kostbares und kostspieliges Gut. Seit 1908 war nämlich an einem Aquädukt gebaut worden, so dass 1910 endlich Trinkwasser relativ preiswert aus dem Owens Valley nach Los Angeles fließen konnte. Mit Hilfe dieses Wassers war das Städtchen Los Angeles in der Lage, eine Vielzahl von Nachbargemeinden aufzunehmen. Dies war gewissermaßen die Grundlage für den weiteren Aufstieg der Stadt sowie für die Erschließung des ganzen Gebietes, das sich heute „Großraum Los Angeles“ nennt und vollständig besiedelt ist. Die Verkehrswege von Los Angeles nach Hollywood blieben jedoch noch für viele Jahre schlecht. Lediglich eine Piste führte die acht Meilen hinauf in die Berge. Öffentliche Verkehrsverbindungen oder gar eine Zuglinie gab es nicht. Hollywood war ein verschlafenes Nest, und noch schien es das zu bleiben.

Monopolisierung der Filmindustrie: Thomas Alva Edison

Die Geschehnisse, die sich weit entfernt an der Ostküste in New York abspielten, waren für die Entwicklung Hollywoods zur Filmstadt und den Aufstieg von Los Angeles zu einer Weltmetropole verantwortlich. Dass die amerikanische Filmindustrie sich aus New York zurückzog und an der Westküste ansiedelte, hat viel mit dem gefeierten amerikanischen Erfinder Thomas Alva Edison zu tun. Nicht dass er das Startsignal für die Umsiedlung an die Westküste gab, sein für viele Filmschaffende unerträgliches Gebaren war vielmehr der Grund, der die unabhängigen Filmemacher geradezu vor ihm flüchten ließ. Edison gelang es zeitlebens die Öffentlichkeit über seine Absichten zu täuschen und seine betrügerischen Machenschaften zu verbergen. So verhielt es sich auch mit seinen Erfindungen zur Entwicklung der Filmtechnik. Edison ernannte sich selbst zum Erfinder dieser neuen Technologie. Sieht man aber genauer auf die Entwicklung und die Patente dieser Zeit, so wird man feststellen, dass er eigentlich erstaunlich wenig dazu beigetragen hat, was in dieser neuen Technik zum Einsatz kam. Doch dies hinderte ihn nicht daran, das Urheberrecht auf die gesamte Technologie zu beanspruchen und allem sein Copyright aufzudrücken. „Jeder in der Industrie und im Handel stiehlt“, ist einer seiner berühmtesten Sprüche. „Ich selbst habe viel gestohlen. Es kommt darauf an, zu wissen, wie man stiehlt.“ Edison wusste das besser als jeder andere. Er schaltete seine Konkurrenz durch gnadenlose Patentkriege aus. Viele wurden dadurch aus dem Markt gedrängt oder mussten Lizenznehmer Edisons werden. Er vertrieb dann ihre Filme, und sie mussten hohe Tantiemen für die Rechte bezahlen. Wer aufbegehrte, verlor die Lizenz.

1908 entstand unter Edisons Führung die Motion Picture Patents Company (MPPC), ein Zusammenschluss der wichtigsten Produktionsfirmen und Patenthalter des jungen Filmgeschäfts. Wer unabhängig bleiben wollte und weder die Knebelverträge unterschreiben noch überzogene Lizenzgebühren bezahlen wollte, musste damit rechnen, bei Überfällen von Gangsterbanden krankenhausreif geschlagen zu werden. Ihre Ausrüstung und Kinos wurden nicht nur einmal zerstört. Edison und seine Handlanger wollten mit aller Gewalt die Filmschaffenden in ihre Riege zwingen und die gesamte Produktion kontrollieren.

Doch solch rücksichtslose Drohgebärden riefen schon immer Widerstand auf den Plan. Viele der noch unabhängigen Filmschaffenden, Kinobesitzer, Produzenten und Verleiher waren entsetzt. Sie weigerten sich Edison zu folgen und sahen sich nun durch seine Gangstermethoden verfolgt und durch seine Klagen vor den Gerichten in ihrer Existenz bedroht. Einige wichen dem Problem aus, indem sie Kameras und Vorführgeräte lizenzfrei aus Europa importierten. Andere versteckten nach dem Dreh die Kameras in Kühlboxen, Schachteln und Automobilen. Edison ließ nicht locker, er ließ die „Aufmüpfigen“ von seinen Leuten aufspüren und brachte sie unbarmherzig vor den Richter.

Filmindustrie als Unterhaltungsbranche – Carl Laemmle

Die Unabhängigen, die Independents, fanden schließlich Unterstützung in dem Filmtheaterbesitzer Carl Laemmle, einem deutschen Einwanderer, der aus Laupheim bei Ulm im heutigen Baden-Württemberg stammte. Er hatte über einige Umwege seine Leidenschaft für den Film entdeckt. Laemmle arbeitete für ein jüdisches Bekleidungsgeschäft in Oshkosh, Wisconsin – er war für die Werbung zuständig und fiel durch außergewöhnliche Aktionen auf –, als er 1906 in Chicago per Zufall auf ein Nickelodeon stieß. Dieses Nickelodeon, in das man für einen nickel, also für 5 Cent, eintreten durfte und in dem Kurzfilme und kleine Bühnenaufführungen gezeigt wurden, faszinierte Laemmle. Noch begeisterter war er von den Menschen, die vor jenem Nickelodeon anstanden. Sie amüsierten sich köstlich, johlten und krakeelten. Laemmle witterte ein gutes Geschäft. Er kaufte einen alten Laden und baute ihn zum White Front Theatre um. Laemmle setzte nun alle Werbetricks ein, die er aus seiner Zeit in Oshkosh kannte. Schon bald konnte er ein zweites Nickelodeon eröffnen, bald ein drittes und bald waren es rund 200. Zugleich expandierte er in eine andere Richtung: Er stieg in den Verleih von Filmen ein. Als Filmvorführer und Besitzer von Nickelodeons war auf den steten Nachschub an Filmen angewiesen. Die Versorgung mit neuen Filmen brach jedoch zeitweise regelrecht zusammen. Nach dem Motto „nichts ist älter als die Filme von gestern“ begehrte das Publikum immer neue Streifen. Der Filmverleih in dieser Zeit konnte den Bedarf nicht annähernd decken – und Laemmle stand bisweilen ohne neue Filme da. Der clevere Schwabe war jedoch ein Mann der Tat: Kurzerhand gründete er den Laemmle Film Service und stieg damit innerhalb weniger Wochen zu einem der bedeutendsten Filmverleiher in Nordamerika auf. Genau zu diesem Zeitpunkt trafen die Kontrahenten aufeinander: der gefeierte amerikanische Erfinder Edison, der eigentlich ein korrupter Monopolist war, und der schwäbische selfmade man Carl Laemmle, der für einen freien Markt im Filmgeschäft eintrat.

Der Kampf gegen den Trust

Gewitzt, charmant, clever und charismatisch verstand es Laemmle, all diejenigen, die sich Edisons Druck widersetzten und ihm die Tributzahlungen verweigerten, hinter sich zu sammeln. In Karikaturen und Leitartikeln wies er immer wieder auf die Missstände und dunklen Machenschaften von Edisons MPPC hin und forderte, dass Verleiher, Vorführer und Produzenten frei ihrer Arbeit nachgehen durften. Doch Edison ließ nicht locker. Er drohte Laemmle und hetzte ihm seine Gangster auf den Hals, so dass Laemmle zunächst nach Florida und Kuba flüchten musste – und er zerrte Laemmle vor Gericht. In mehr als 3000 einzelnen Verfahren stritten die beiden Kontrahenten vor Gericht gegeneinander.

In der Zwischenzeit fand Laemmles Aufrichtigkeit bei vielen Filmemachern gefallen. Immer mehr schlossen sich Laemmles unabhängigen Filmemachern an. Doch der Kampf gegen den Trust kostete den Schwaben viel Kraft. Unter dem Druck seiner Gegner wurde es immer mühsamer und gefährlicher, unabhängige Filme für den Laemmle Film Service zu erhalten. Daher entschloss sich Laemmle abermals zu handeln. Er gründete seine eigene Produktionsfirma: Die Independent Motion Pictures, kurz IMP. Mit ihr produzierte Laemmle nun selbst Filme, ganz gleich, ob Edison das erlaubte oder nicht.

Schließlich kam 1913 mit Woodrow Wilson ein neuer Präsident und damit seit langer Zeit einmal wieder die demokratische Partei an die Macht. Politisch hatte sich Wilson zum Ziel gesetzt, die Monopolbildungen in der amerikanischen Wirtschaft zu beseitigen. Unter seinem Druck brach schließlich auch Edisons Trust zusammen, und Carl Laemmle erhielt vor Gericht nun offiziell das Recht Filme zu produzieren, zu verleihen und vorzuführen. Auch alle anderen Independents profitierten davon. Laemmles Einsatz und seine Hartnäckigkeit hatten in hohem Maße dazu beigetragen, dass das Filmgeschäft nun frei und unabhängig war.

Warum Kalifornien?

Bislang war die Ostküste, vor allem New York, das Zentrum der Filmindustrie gewesen. Hier hatte auch Carl Laemmle sein Büro, von hier aus agierten die meisten Unabhängigen, hier zog aber auch Edison seine Fäden. Denn trotz der offiziellen Zerschlagung des Trusts, bestanden die Verbindungen von Edison, Kodak und den anderen Monopolisten weiterhin. Und keiner von ihnen gönnte Laemmle und den Independents den Erfolg.

Bereits während der Auseinandersetzung mit dem Trust war Kalifornien in Laemmles Blickfeld geraten. In dieser Zeit war er mehrfach vor den Gangstern des Trusts nach Kuba und Florida ausgewichen, um weit weg von New York und bei besseren Lichtverhältnissen Aufnahmen für seine Filme zu machen. Auch jetzt dachte er daran, seine Produktionen künftig an einen sonnigen Ort zu verlegen. Doch Kuba war zu weit weg, und das Klima in Florida zu tropisch. Beide Regionen wurden zudem regelmäßig von Unwettern und tropischen Stürmen heimgesucht. Das wusste Laemmle, denn bereits zuvor waren seine Produktionsteams mehrfach in Unwetter geraten.

Daher dachte Laemmle über Kalifornien nach. Der sogenannte „Golden State“ hatte mehrere Vorteile: Er war zum einen weit weg von Edison und seinen Partnern und ein sicherer Platz für unabhängige Filmproduzenten. Verglichen mit New York oder Chicago bot Kalifornien zudem das ganze Jahr über schönstes Wetter für Außendrehs. Man musste die Studios kaum heizen und konnte durch Öffnungen in den Studiodächern das Sonnenlicht für die Innendrehs nutzen, was zusätzlich Kosten sparte. In Kalifornien konnte außerdem das ganze Jahr über gedreht werden, während in den Städten des Ostens im Winter eine witterungsbedingte Pause eingehalten werden musste. Im Gegensatz zu Florida und Kuba war das kalifornische Klima weniger schwül und viel trockener, was das Leben dort viel angenehmer machen würde.

Ein weiteres Argument für Kalifornien war die einzigartige Landschaft. Ohne große Mühen konnten die Filmschaffenden die verschiedensten Szenerien in einem relativ kleinen Umkreis finden. In den Bergen und Schluchten konnten Western gedreht werden, in den Wüsten Märchen aus „1001 Nacht“, der Strand bot Raum für Romantik und Piratengeschichten und die ehemaligen, teilweise zerfallenen spanischen Missionsgebäude dienten als Ruinen. Da Kalifornien noch verhältnismäßig dünn besiedelt war, hielten sich auch die Grundstückspreise in Grenzen. Für Filmgesellschaften, die ja einen großen Flächenbedarf hatten, waren diese Preise sehr verlockend.

Bevor Laemmle nach Kalifornien zog, gab es dort bereits ein paar kleinere Studios. Das erste war 1906 von dem früheren Zauberer William Selig in der Alessandro Street in Los Angeles gegründet worden. Im Grunde war dieses Studio aber eher ein schäbiges Blockhaus als eine Filmproduktionsstätte. In Hollywood selbst eröffnete ein englisches Brüderpaar, William und David Horsley, im Oktober 1911 sein erstes Atelier. Aber auch dieses verdiente eigentlich nicht die Bezeichnung „Studio“. Noch im Jahr 1910 kam der Filmregisseur D. W. Griffith aus New York mit seiner Schauspielertruppe nach Hollywood, um Filmaufnahmen zu machen. Es entstand der erste dort gedrehte Film „In Old California“. Er wurde am 10. März 1910 uraufgeführt. Griffith und seine Mitarbeiter blieben mehrere Monate und stellten eine Reihe von Filmen fertig, bevor sie nach New York zurückkehrten. Sie hatten zehn Studiogebäude errichtet, die eher Hütten aus dem Wilden Westen glichen, sieben davon waren nur vorübergehend eingerichtet. Mit den drei anderen planten sie, irgendwann einmal ein großes Studio zu eröffnen.

Als nun Carl Laemmle nach Kalifornien kam, sah er sich nach einem geeigneten Ort um. Auf dem Gebiet der kleinen Gemeinde Hollywood wurde er fündig. In dieser abgeschiedenen Gegend, wo es weder Geschäfte noch Restaurants gab, wollte Laemmle eine ganze Filmstadt aus dem Boden stampfen. 1912eröffnete er als erster Filmproduzent in Hollywood ein großes, dauerhaft eingerichtetes Studio und verlegte alle Produktionseinheiten von New York und Chicago an die Westküste. Damit gab er den Startschuss, der den abgelegenen Vorort von Los Angeles in den Santa Monica Mountains innerhalb von fünf Jahren in eine Filmwelt verwanden sollte.

Die Gründung von Universal Pictures

Noch während der Auseinandersetzung mit dem Trust beschlossen die Independents, sich zu organisieren. Im Juni 1912 verkündete Carl Laemmle die Gründung eines neuen Unternehmens: Die Universal Film Manufacturing Company. Sie bildete das Dach für die bisherigen Produktionsfirmen IMP, Crystal, Frontier, Mecca, Victor, Yankee, Champion, Nestor, Éclair, Powers, Rex, Ambrosio, Itala sowie die New York Motion Picture Company.

Genau wie zuvor bei IMP wollte Laemmle mit der Namensgebung der neuen Firma einen Gründungsmythos verleihen. Außerdem sollte der neue Name nicht von einem der bisherigen Unternehmen abgeleitet werden, um Verwechslungen zu vermeiden und bei ihren Werbekampagnen keine Schwierigkeiten zu bekommen. Der Name sollte alles umspannen und einfach zu merken sein.

Laemmle beschrieb später mehrfach in Interviews und Artikeln den Moment, in dem der die Idee dazu hatte. Die Mitglieder der neuen Firma saßen zusammen, diskutierten und suchten händeringend nach einer intelligenten Idee. Unzählige Namen wurden diskutiert. Plötzlich drehte sich Laemmle vom Fenster weg, durch das er hinausgeschaut hatte, und jubelte: „Jungs, ich hab’s: Universal! Was könnte universeller sein als die Unterhaltung der Massen?“ Die Anwesenden stimmten begeistert zu und applaudierten. Sie waren sofort einverstanden. Auf die Nachfrage, wie er denn auf den Namen gekommen sei, antwortete Laemmle: „Pst! Ich bin nicht darauf gekommen! Ein Lastwagen fuhr gerade vorbei, auf ihm stand – Universal Pipe Fittings oder etwas Ähnliches – aber irgendwie musste ich die Jungs ja beruhigen!“ Laemmle hatte mit diesem Namen auch sofort ein Motto für die Vermarktung des neuen Unternehmens: „Universal Entertainment for the Universe!“

Laemmle übernahm den Posten des Präsidenten von Universal. Unter den verbliebenen Unabhängigen hielt man ihn für den richtigen Mann für diesen Job, weil jeder seine Führungsqualitäten anerkannte. Außerdem besaß er die notwendige Erfahrung und auch die Leidenschaft für das Filmbusiness. Diesen Punkten stimmten auch seine Konkurrenten zu: „Ausgestattet mit einer erstaunlichen Leistungsfähigkeit bei harter Arbeit, war er hier, dort und überall, und brachte seine Persönlichkeit in jede Phase und jeden Aspekt seines schnell expandierenden Geschäfts ein. Es gab kein Detail, mit dem er nicht vertraut war, egal ob es mit dem Produktionsablauf oder dem Vertrieb zu tun hatte. Seine Kräfte waren eine nie endende Quelle an Wundern für seine Angestellten. Es schien so, als hätte er buchstäblich alles in seiner Hand.“

Das erste große Filmstudio

Bei der Verlegung der Filmproduktion an die Westküste griff Laemmle auf die Erfahrung von David Horsleys Nestor Company aus dem Lager der Independents zurück, die jetzt zu Universal gehörte. Seit 1911 hatte Nestor gelegentlich in Kalifornien produziert. Horsley hatte hierzu die Blondeau Tavern in Hollywood gemietet und sie als Produktionsbüro eingerichtet. Man darf sich darunter allerdings weder ein modernes Studio noch zeitgemäße Geschäftsräume vorstellen. Im Grunde handelte es sich dabei um eine klapprige Blockhütte. Dieses „Produktionsbüro“ übernahm Laemmle nun, und es diente ihm als erster Stützpunkt für seinen Umzug an die Westküste.

Laemmle hatte Großes vor. Er hatte die Vision eines Ortes, an dem die Filmschaffenden wohnen und zugleich arbeiten konnten – und das alles in Ruhe und in Sicherheit vor Edisons Männern. So kam der Schwabe auf die Idee einer „Filmranch“ mit verschiedenen Kulissen und Studiobühnen. Im Dezember 1912eröffnete er das Oak Crest Ranch Studio als erstes Studio von Universal Pictures in Hollywood. Doch schon bald merkte er, dass dies nicht ausreichte und er größer planen musste. 1913 ließ er die Ranch in eine Filmstadt umbauen und nannte sie Universal City. Das neue Studio war nun das größte und modernste Studio der Vereinigten Staaten und produzierte 25.000 Fuß (ca. 7600 Meter) fertigen Films jeden Tag.

Aber das war erst der Anfang. Auch dieses Studio genügte seinen Ansprüchen und Plänen bald nicht mehr. Laemmle dachte in größeren Kategorien. Im Februar 1914 sah er sich nach einem neuen Standort für seine Studiostadt um. Die Oak Crest Ranch konnte den Bedarf an Flächen nicht decken. Er fand nun die Taylor Ranch, eine Hühnerfarm von 230 Acres im San Fernando Valley am Cahuenga Pass. Viele Zeitgenossen schüttelten den Kopf, was Laemmle in diesem abgelegenen Gebiet wollte. Damals verstand niemand Laemmles Plan, im Nachhinein erwies er sich natürlich als richtig. Seine Vorstellung von einem modernen Studio war so visionär, dass beinahe jedes größere Studio bis heute seinem Vorbild gefolgt ist. Das Universal Studio wurde zum Prototyp der großen Filmstudios.

Mit Werbeanzeigen in den Zeitungen und Werbeaktionen vor Ort lockte Laemmle das Filmpublikum zur Eröffnung von Universal City aus der Stadt in die Berge Hollywoods: „Kommen Sie am 15. März nach Universal City! Bieten Sie Ihren Kindern und Ihrer Frau etwas Außergewöhnliches, indem Sie sie in die Stadt der Wunder bringen! Denken Sie daran, was es Ihrer Familie und Ihnen selbst bedeuten wird, wenn Sie hinter die Kulissen des größten Filmunternehmens der Welt blicken können. Eine ganze Stadt, in der sich alles um das Filmemachen dreht, ein Märchenland, wo die verrücktesten Dinge passieren – ein Ort, über den Sie den Rest Ihres Lebens reden werden!“

Die Eröffnung von Universal City

Am 15. März 1915 wurde Laemmles Filmstadt feierlich eröffnet. 20.000 Schaulustige waren seinem Aufruf gefolgt, hatten sich in Autos oder zu Pferd auf den staubigen Weg von Los Angeles über den Cahuenga Pass zum Tor von Universal City gemacht. Alle waren begierig darauf, einen ersten Blick hinter die Kulissen des Filmgeschäfts zu werfen.

Innerhalb von Universal City bot sich den Zuschauern und Ehrengästen ein beeindruckendes Spektakel, das man heute wohl wiederum als „typisch amerikanisch“ bezeichnen würde. Die Massen drängten sich entlang des eine Meile langen Laemmle Boulevards, der die Hauptstraße der Studioanlagen bildete, und der vom Eingangstor bis zur Back Ranch, dem hintersten Drehort von Universal City, führte. Gleich zu Beginn konnten die Zuschauer eine riesige Studiobühne bestaunen, an der mehrere Produktionsteams an ihren Sets standen und darauf warteten, dem Publikum zu zeigen, „wie Filme gemacht werden“. Daneben waren überall Schauspieler von Universal in ihren Kostümen als Cowboys, Indianer und Kavallerie-Offiziere zu sehen und boten eine bunte Mischung aus Stunts, Explosionen und vielen Überraschungen dar.

Wie in seinen Werbeanzeigen angekündigt wartete auf das Publikum ein absoluter Höhepunkt: Eine gewaltige Flut aus Millionen Litern Wasser sollte eine Naturkatastrophe darstellen, wie sie laut Laemmle in einem der nächsten Universal-Filme vorkommen sollte. Im trockenen und wasserarmen Kalifornien wäre niemand auf die Idee gekommen, so viel Wasser für einen Showeffekt zu verwenden. Auch konnte sich niemand vorstellen, ein ganzes Dorf nur für den Zweck errichten zu lassen, damit es durch Wassermassen zerstört würde. Genau das war es aber, was Laemmle zeigen wollte. Die Zuschauer sollten über die „Wunder, die es bei Universal zu sehen gab“ staunen.

Nachdem das Publikum Zeuge der Flut geworden war, konnte es zur nächsten Attraktion weiterziehen, wo ihnen Stunts und Schießereien aus Western geboten wurden. Neben verschiedenen Filmszenen hatte Universal aber noch Weiteres zu bieten: beispielsweise einen eigenen Zoo. Hier arbeiteten Tierpfleger und Dompteure mit Tieren, die in künftigen Filmproduktionen eine Rolle spielen sollten. Die Zuschauer bewunderten Elefanten, Kamele, Löwen, Tiger, Affen, Schlangen und viele andere mehr.

Carl Laemmle selbst lag aber ein anderer Ort der weitläufigen Anlage am meisten am Herzen: die sogenannten „Straßen der Welt“, die sich weit hinten bei der Back Ranch am Laemmle Boulevard befanden. Dahinter ersteckte sich ein ausgedehntes Areal mit mehreren Straßen. Jede der Straßen war unterschiedlich gestaltet und hatte jeweils landestypische Gebäude. Eine Straße stellte Paris dar, eine andere New York, wiederum eine andere London, so dass Laemmles Filme künftig in allen möglichen Metropolen der Welt spielen konnten, aber quasi vor der Haustüre gedreht wurden.

Nach den großen Feierlichkeiten kehrten die Angestellten von Universal City wieder in ihren Alltag zurück. Dabei zeigte sich, dass Laemmles Idee, das Studio wie eine Stadt zu planen und zu bauen, für die Produktion brillant war. Neben den neunzig Sets, den Straßen der Welt, der Ranch und dem Zoo hatte Laemmle ein Postamt – hauptsächlich für Fanpost – bauen, eine Feuerwache und ein kleines Krankenhaus einrichten lassen und ein Bus-System etabliert, mit dem die Angestellten fahren und auch Filmutensilien vom einen Set zum anderen transportiert werden konnten. Daneben gab es verschiedene Universal