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Einleitung

Vorwort von Ulrike Lovett

Pest, Cholera und Typhus

Pest – der Schwarze Tod

Cholera – die junge Seuche

Typhus – das Nervenfieber

Tuberkulose, Wundinfektionen, EHEC

Tuberkulose – die Weiße Pest

Tetanus/Wundstarrkrampf

Diphtherie – der Kinderschreck

Wundinfektionen, Kindbettfieber und ihre Bekämpfung

Alltagsbakterium mit gefährlichen Eigenschaften – EHEC

Die Hochrüstung im Körper

Malaria, Chagas, Schlafkrankheit und Gelbfieber

Malaria – das Sumpffieber

Kissing Bugs und Chagas-Krankheit

Die lebensbedrohliche Schlafkrankheit

Gelbfieber – Schrecken der Karibik

Pocken, Polio und Ebola

Pocken/Blattern

Polio/Kinderlähmung

Ebola – das Virus aus dem Dschungel

Geschlechtskrankheiten

HIV/Aids

Syphilis – die Lustseuche

Herpes – heimtückischer Verwandlungskünstler

Grippe und SARS

Grippe – der alltägliche Tod

Vogelgrippe – die Gefahr aus der Luft

Schweinegrippe/Neue Grippe

SARS – die globale Seuche

Nachwort

Anhang

Danksagung & Literaturverweise

Bildnachweis

Index

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Infektionskrankheiten sind weltweit nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache. Doch Zahlen können kaum erklären, warum wir uns so für Seuchen interessieren. Schon Texte aus der Antike zeichnen das Schreckgespenst der Seuchen als furchtbare wie faszinierende Erscheinung. Das plötzliche massenhafte Auftreten tödlicher Krankheiten, das Herausgerissenwerden aus dem Leben vieler Menschen, das ist etwas, dem man mit Schaudern zusieht.

Auch wenn wir das heute dank den Entwicklungen der Medizin viel gelassener tun können als früher – ein bisschen Angst ums eigene Leben ist auch immer dabei. Doch vor allem suchen wir Erklärungen. Wir möchten wissen, warum der Schwarze Tod im Mittelalter so grausam gewütet hat und ein Drittel aller Bewohner Europas dahingerafft hat. Wir möchten wissen, woher es kam, dass die Grippewelle 1918 so heftig war, dass ihr mehr Menschen zum Opfer fielen als dem Ersten Weltkrieg. Wir möchten wissen, warum die Schweinegrippe so plötzlich aufgetaucht ist und was sie so gefährlich macht.

Dieses Buch kann keine Antworten auf alle diese Fragen geben. Aber es kann die Erklärungsansätze nachzeichnen, die Mediziner, Mikrobiologen und Historiker verfolgen. Denn die Geschichte der Seuchen ist weder für die Vergangenheit fertig geschrieben, noch ist sie abgeschlossen. Jede Epoche sieht die Vergangenheit in einem neuen Licht.

Heute gehen Medizinhistoriker viel vorsichtiger vor als bis noch vor wenigen Jahren. Sie versuchen nicht mehr, jede Krankheit bis in die Nebel der grauen Vorzeit zurückzuverfolgen. Das Problem, dass Dinge um so unsicherer sind, je länger sie her sind, das haben alle Historiker. Bei den Medizinhistorikern kommt hinzu, dass sie sich bei Krankheiten auf zeitgenössische Schilderungen verlassen müssen. Doch eine Infektionskrankheit ist heute dadurch definiert, dass sie von einem bestimmten Erreger ausgelöst wird. Die Pest also durch das Bakterium Yersinia pestis, die Cholera durch Vibrio cholerae. Diese beiden Erreger sind aber erst seit 1894 bzw. 1854 bekannt und können daher frühestens seit dieser Zeit nachgewiesen werden. Jede Krankheitsdiagnose, die davor liegt, ist also unsicher. Auch wenn sich mit molekulargenetischen Methoden vereinzelt tatsächlich an Leichen aus früheren Jahrhunderten Erreger nachweisen lassen, können sie für die Einordnung von Seuchen nur Hinweise geben, keine Gewissheit.

Und auch die Krankheitserreger selbst ändern sich: Das Grippe-Virus von 1918 ist – zum Glück – ein anderes als das, das uns heute für ein paar Tage ans Bett fesselt. Denn auch die Erreger wandeln sich im Lauf der Jahrhunderte, sie unterliegen der Evolution.

Das Buch versucht nicht, die Fortschrittsgeschichte der Medizin nachzuzeichnen. Es erzählt vielmehr viele kurze Geschichten aus der Medizinhistorie. Diese Form des Exemplarischen entspricht der komplexen Wirklichkeit besser als eine durchgängige, scheinbar logische Erzählung.

Dabei läuft man natürlich immer Gefahr, einzelne Personen als Helden darzustellen, Entdecker von Erregern oder Erfinder von Gegenmitteln zu glorifizieren. Dennoch erzählt das Buch viele solcher Geschichten nach, denn diese sind spannend zu lesen und sie zeigen an einem persönlichen Beispiel, wie Wissenschaft funktioniert. Sie machen also die Medizingeschichte erlebbar. Einige der Fotos stammen aus der filmischen Nacherzählung dieser Geschichten. Diese waren Teil der sechsteiligen Fernsehdokumentation „Schatten des Todes“, welche die Firma Inter/Aktion für den Sender BR-alpha produziert hat.

Die Serie war Ausgangspunkt dieses Buches. Hintergrund war vor allem, dass so viele spannende Aspekte aus Zeitgründen weggelassen werden mussten, teilweise nur angeschnitten werden konnten oder dass sie sich nicht filmisch darstellen ließen. All diese Dinge kann das Buch jetzt zeigen.

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Seuchen, das zeigte auch die Schweinegrippe, rühren an den Urängsten der Menschen. Auch heute sind Krankheiten nicht so beherrschbar, wie sich das eine hochentwickelte Gesellschaft wünscht. Vielleicht sind sie es, dank der heutigen Mobilität, sogar weniger: Im Mittelalter wurde die Pest innerhalb von fünf Jahren zur Pandemie. Bei der Schweinegrippe dauerte es fünf Tage.

Wenn man erzählt, dass man an einer Sendereihe über Seuchen arbeitet, erntet man mitleidige Kommentare und wird nicht selten mit „IIIh“-Lauten bedacht. Dabei bietet das Thema so viel mehr als nur eklige Bilder von Pestbeulen und Pockennarben. Auch wenn es sich im Zusammenhang mit dem Thema merkwürdig anhören mag, gerade die Kulturgeschichte der Seuchen ist unheimlich vielfältig und spannend.

Natürlich sind wissenschaftlich-medizinische Informationen über Erreger, Krankheitsbild und Übertragung unumgänglich und auch spannend. Etwas anderes aber war ausschlaggebend, die Sendereihe vorzuschlagen:

Schon bei der oberflächlichen Recherche von Krankheiten wie Pest, Cholera, Pocken aber auch Aids oder Malaria finden sich ellenlange Listen von literarischen Werken, bekannten Bauwerken und Gemälden, von Liedern, Tänzen und vielem mehr, was von den Krankheiten inspiriert wurde. Dazu kommen berühmte Opfer – vom pockennarbigen Pharao Ramses V. bis zum malariakranken Albrecht Dürer – und Ereignisse von weltgeschichtlicher Bedeutung. Vielleicht gelang den Spaniern die Eroberung Amerikas nur dank der fürchterlichen Pockenepidemie unter den Indianern? Beeinflussten Impfungen und vorhandene oder nicht vorhandene Medikamente Kriegsausgänge? Wurde Rom wegen der Malaria nicht von den deutschen Kaisern erobert?

Die Geschichte der Seuchen ist ein unerschöpflicher Fundus an Anekdoten, Erkenntnissen, Überraschungen, Erstaunlichem. Ob, aus heutiger Sicht abstruse, Selbstversuche engagierter Wissenschaftler, albern klingende Erklärungsversuche zur Krankheitsübertragung oder zufällige Entdeckungen – die Geschichten hinter der Geschichte machen das Thema lebendig.

Denn die Essenz der Seuchen ist für uns rational eigentlich nicht zu erfassen, Sterberaten und Opferzahlen ergreifen uns nicht. Aber die Geschichten und Anekdoten und die Kunst packen uns über eine emotionale Ebene. Mit diesem Ansatz ist eine spannende sechsteilige Sendereihe für BR-alpha entstanden. Es hätten statt sechs auch sechzehn oder sechzig Teile werden können, so viele Geschichten gibt es zu erzählen. Doch die Fernsehproduktion unterliegt immer Beschränkungen, deshalb freue ich mich so sehr über dieses Buch: Die Geschichten gehen weiter!

 

 *    Ulrike Lovett ist Redakteurin bei BR-alpha, dem Bildungssender des Bayerischen Rundfunks. Sie betreute die sechsteilige TV-Dokumentation „Schatten des Todes“.

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Pest – der Schwarze Tod

Yersin und Kitasato: Kampf um die Pestleichen

1894 bricht in der britischen Kronkolonie Hongkong die Pest aus. In Europa ist die schreckliche Seuche noch immer tief im kollektiven Gedächtnis verwurzelt, obwohl sie dort seit bald 175 Jahren nicht mehr vorkommt. 25 Millionen Menschen sind dem Schwarzen Tod im Mittelalter zum Opfer gefallen. Zahlreiche Geschichten, Bilder und Denkmäler halten die Erinnerung daran bis heute lebendig. Der Pestausbruch in Hongkong macht den Kolonialmächten große Sorgen. Briten, Franzosen wie Japaner fürchten, von der wichtigen Hafenstadt aus könnte sich die Seuche auf ganz Asien ausdehnen, ja sogar mit dem Schiff Europa erreichen. Hongkong ist zu dieser Zeit eines der Zentren des Ostasienhandels.

1892 hat die Pest-Epidemie in der Mongolei ihren Anfang genommen. Sie erreichte ein Jahr später die chinesische Provinz Guangdong (Kanton), wo ihr 100.000 der knapp 1,5 Millionen Einwohner zum Opfer fielen. Flüchtlinge brachten die Seuche im Frühjahr 1894 nach Hongkong.

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Yersin war schlecht ausgestattet und musste in einer einfachen Bambushütte forschen. Doch wie sich herausstellen sollte, verschaffte ihm das den entscheidenden Vorteil. (nachgestellte Szene)

So schicken das Pasteur-Institut und die französische Kolonialverwaltung den 31-jährigen Arzt Alexandre Yersin 1894 nach Hongkong.

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Der junge Arzt Alexandre Yersin.

Yersin (1863–1943) arbeitet seit 1890 als Schiffsarzt auf Dampfschiffen, die vor der Küste von französisch Indochina (heute Vietnam, Kambodscha und Laos) verkehren. Zuvor hat er für kurze Zeit beim berühmten deutschen Bakteriologen Robert Koch gearbeitet, nachdem er bei dessen französischem Kollegen Émile Roux promoviert hatte. Roux hatte am von ihm mit gegründeten Pasteur-Institut wichtige Beiträge für das erste Mittel gegen die gefürchtete Diphtherie geleistet.

Als Yersin in Hongkong ankommt, wird er kühl empfangen. Drei Tage zuvor ist der renommierte japanische Bakteriologe Shibasaburo Kitasato (1853–1931) eingetroffen. Kitasato hat ebenfalls in Deutschland bei Robert Koch gearbeitet und zusammen mit Emil von Behring Medikamente gegen Tetanus und Diphtherie entwickelt. Kitasato bringt ein großes Team mit und der britische Gouverneur stellt ihm mehrere Räume in einem Krankenhaus zur Verfügung. Auch sorgt dieser dafür, dass die japanischen Forscher Leichen von Pestopfern für ihre Untersuchungen bekommen.

Yersin dagegen bringt nur einen Assistenten und wenig Gepäck mit. Sein wertvollster Ausrüstungsgegenstand: sein Mikroskop. Ihm wird zunächst ein Treppenabsatz in dem Krankenhaus zugewiesen, in dem Kitasato und sein Team etliche Räume belegen. Nachdem Yersin dort kaum vernünftig arbeiten kann, lässt er sich auf eigene Kosten eine einfache Bambushütte zusammenzimmern. Dort wohnt und arbeitet er die nächsten Wochen.

Nachdem die Kolonialverwaltung alle zur Untersuchung freigegebenen Pestleichen für Kitasato reserviert, muss Yersin sich auf die Arbeit mit den Blutproben Kranker beschränken. Darin kann er aber nichts Besonderes entdecken. So verschafft er sich anderweitig Zugang zum notwendigen Untersuchungsmaterial: Er besticht Totengräber. Aus den Leichen schneidet er Pestbeulen heraus und untersucht sie unter seinem Mikroskop. Und tatsächlich: Er sieht dort jede Menge stäbchenförmige Bakterien. Doch Yersin weiß: Damit ist er noch lange nicht am Ziel. Dass diese Bakterien die Ursache der Pest sind, muss er erst noch beweisen.

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Pestbakterien unter dem Mikroskop bei 1000-facher Vergrößerung.

Yersin impft also eine sterile Bouillon, die als Nährlösung dient, mit den Bakterien aus den Pestbeulen. Diese lässt er in seiner Hütte stehen und hofft das Beste. Eigentlich sind Brutschränke Stand der Technik in der jungen Forschungsdisziplin Mikrobiologie. In solchen Brutschränken wachsen die meisten Mikroorganismen viel besser, manche sogar erst überhaupt. Denn im Brutschrank herrschen optimale Bedingungen: konstant 37 Grad, schön feucht – genau wie im menschlichen Körper. Diese moderne Ausstattung hat aber nur Yersins Konkurrent Kitasato.

Kochsche Postulate

Robert Koch (1843–1910) und Louis Pasteur (1822–1895) begründeten Mitte des 19. Jahrhunderts die Mikrobiologie. Sie konnten zeigen, dass Bakterien und andere Mikroorganismen für viele bis dahin unverstandene Vorgänge verantwortlich sind – etwa für die alkoholische Gärung, die Essig-Entstehung, Milzbrand oder Tuberkulose.

Koch gilt als Begründer der heute Henle-Koch-Postulate genannten Regeln zum Nachweis eines Krankheitserregers. Diese sind:

1. Der Erreger muss sich in Erkrankten nachweisen lassen.

2. Der Erreger muss isoliert werden und im Labor rein gezüchtet werden, also ohne mögliche verunreinigende Stoffe und andere Organismen.

3. Dieser isolierte und vermehrte Erreger muss bei Versuchstieren die beschriebene Krankheit auslösen.

Erfüllt ein Mikroorganismus diese Postulate, ist sicher, dass er tatsächlich für die beobachtete Krankheit verantwortlich ist.

Doch genau das verschafft in diesem Fall Yersin den entscheidenden Zeitvorteil: Gerade die Pest-Bakterien verhalten sich anders als die meisten anderen und wachsen bei niedrigeren Temperaturen um 30 Grad deutlich besser. Das Klima in Hongkong bietet diesen Erregern also bessere Bedingungen als ein Brutschrank.

So kann Yersin die Bakterien innerhalb von ein bis zwei Tagen vermehren und mit ihnen Mäuse beimpfen. Diese erkranken in Kürze an Pest und sterben nach einem Tag unter Krämpfen einen grausamen Tod – damit ist Yersin der Nachweis gelungen, dass diese Bakterien die Ursache des Schwarzen Todes sind.

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Heute kann man Pestbakterien mit fluoreszierenden Antikörpern unter dem Mikroskop leicht sichtbar machen.

Er weist auch nach, dass die Pest-Bakterien schuld am massenhaften Rattensterben sind, das in Hongkong ebenso auftritt wie in allen anderen Gebieten, in denen die Pest wütet. Eine wichtige Erkenntnis, die hilft, die Ausbreitung der Pest zu stoppen. Und in der Tat gelingt es, die Seuche in den folgenden Wochen in den Griff zu bekommen.

Heute ist das Bakterium nach ihrem Entdecker benannt: Yersinia pestis.

„Am Morgen des 16. April trat der Arzt Bernard Rieux aus seiner Wohnung und stolperte mitten auf dem Flur über eine tote Ratte. […]

Am selben Abend stand Bernard Rieux unten im Hauseingang und suchte seine Schlüssel, bevor er in seine Wohnung hinaufstieg. Da sah er aus dem Dunkel des Gangs eine dicke Ratte auftauchen, mit feuchtem Fell und unsicherem Gang. Das Tier blieb stehen, schien sein Gleichgewicht zu suchen, wendete sich gegen den Arzt blieb wieder stehen, drehte sich mit einem leisen Schrei im Kreis und fiel schließlich zu Boden, wobei aus den halbgeöffneten Lefzen Blut quoll. […]

Aber in den folgenden Tagen verschlimmerte sich die Lage. Die Zahl der eingesammelten Nagetiere nahm ständig zu, und die Ernte war jeden Morgen reicher. Vom vierten Tag an kamen die Ratten in Gruppen heraus und starben. Aus den Verschlägen, den Untergeschossen, den Kellern, den Kloaken stiegen sie in langen, wankenden Reihen hervor, taumelten im Licht, drehten sich um sich selbst und verendeten in der Nähe der Menschen. Nachts hörte man in den Gängen und den engen Gassen deutlich ihren leisen Todesschrei. Am Morgen fand man sie in den Straßengräben der Vorstädte ausgestreckt, ein bisschen Blut auf der spitzen Schnauze, die einen aufgedunsen und faulig, die andern steif, mit gesträubten Schnauzhaaren.“

Aus: Albert Camus: Die Pest (1947)

Die Ratten sind schuld

Das Bakterium wird auch von Mensch zu Mensch übertragen, vor allem aber durch die Rattenflöhe. Dass Ratten Überträger der Pest sind, war keine neue Idee. Schon in indischen heiligen Schriften aus dem 11. Jahrhundert heißt es:

„Wenn Ratten von den Dächern fallen, und wie betrunken über die Straße torkeln, dann wisse, die Pest ist nah.“

Der Franzose Paul-Louis Simond (1858–1947) zeigt 1898 in Karachi (heute in Pakistan), dass es Flöhe sind, die die Pest von Ratte zu Ratte und von Ratte zu Mensch übertragen. Die Flöhe bevorzugen Nagetiere als Wirte und springen nur auf Menschen, wenn die Ratten sterben. Daher begünstigt ein enges Zusammenleben von Mensch und Ratte die Ausbreitung der Pest. Anfang des 20. Jahrhunderts ist deshalb eine der wichtigsten Schutzmaßnahmen vor der Seuche, die Häuser so zu bauen, dass darin Ratten möglichst wenig Unterschlupfmöglichkeiten finden.

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Ein Floh, der auf Nagetieren in den USA vorkommt. Noch heute können diese die Pest übertragen.

Vor allem in Europa ist die Ratte aber schon seit Jahrhunderten ein Symbol für Krankheit und Tod. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte des Rattenfängers von Hameln, der die Stadt zunächst von einer Rattenplage befreit. Erst als er dafür nicht bezahlt wird, lockt er mit seiner magischen Flöte die Kinder aus der Stadt.

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Dem Ausbruch der Pest ging oft ein massenhaftes Rattensterben voraus. Doch deutete man das jahrhundertelang nur als böses Omen.

Georg Trakl: Die Ratten (1913)

„Im Hof scheint weiß der herbstliche Mond.

Vom Dachrand fallen phantastische Schatten.

Ein Schweigen in leeren Fenstern wohnt;

Da tauchen leise herauf die Ratten.

Und huschen pfeifend hier und dort

Und ein gräulicher Dunsthauch wittert

Ihnen nach aus dem Abort,

Den geisterhaft der Mondschein durchzittert.

Und sie keifen vor Gier wie toll

Und erfüllen Haus und Scheunen,

Die von Korn und Früchten voll.

Eisige Winde im Dunkel greinen.“

Die Geschichte der Pest

Möchte man die Geschichte der Pest in Europa nachzeichnen, dann stößt man auf das Problem, dass man früher jede Krankheit Pest nannte, die in Epidemien auftrat und viele Todesopfer forderte.

Eine der ersten Epidemien, die der Pest zugeschrieben werden, ist die so genannte Justinianische Pest, die zur Zeit des oströmischen Kaisers Justinian (482–565) Mitte des 6. Jahrhunderts nach Christus auftrat. Sie fiel zusammen mit dem Ende des römischen Reiches. Die Epidemie nahm von Ägypten ihren Anfang und raffte im Lauf von knapp 50 Jahren schätzungsweise die Hälfte der damaligen Bevölkerung Europas dahin – sie gelangte bis nach Irland.

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Seit der Antike kennt die Menschheit Seuchen, die fast immer als Pest bezeichnet wurden. Was genau deren Ursache war, lässt sich allerdings im Nachhinein oft schwer feststellen.

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Typisch für die Pest sind die dicken, eitrigen Beulen. Meist treten sie in der Leistengegend oder unter den Achseln auf. Sie können aber überall dort erscheinen, wo Flöhe beißen. (nachgestellte Szene)

Jahrhunderte später, im Oktober 1347, liefen zwölf genuesische Galeeren im Hafen von Messina auf Sizilien ein. In der Nacht verließen einige der Ratten das Schiff, die bei einer Zwischenstation auf der Halbinsel Krim in der Nähe der belagerten Stadt Caffa zugestiegen waren. Sie brachten die Pest zum zweiten Mal nach Europa. Innerhalb weniger Tage erkrankten die Bewohner von Messina, innerhalb von sechs Monaten ist die Hälfte der Bevölkerung gestorben oder geflohen. Unzählige europäische Städte ereilte dasselbe Schicksal. Bis 1352 starben 25 Millionen Menschen am Schwarzen Tod – fast ein Drittel der Bevölkerung Europas. Damit ist dies die schwerste Krise, die Europa jemals heimgesucht hat. Sie hat das soziale Gefüge, die Herrschaftsverhältnisse und die politischen Strukturen nachhaltig beeinflusst.

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Pestkranke in Marseille 1720. Hier brach die letzte Pest-Epidemie in Europa aus.

„Ich sage also, dass die Jahre von der heilbringenden Menschwerdung des Sohnes Gottes schon bis zur Zahl eintausend dreihundert und achtundvierzig angewachsen waren, als das tödtliche Pestübel in die herrliche Stadt Florenz, die vor allen andern in Italien schön ist, gelangte, nachdem es einige Jahre früher in den Morgenlanden entweder durch Einwirkung der Himmelskörper oder als eine im gerechten Zorne über unseren sündlichen Wandel von Gott den Menschen herabgesandte Strafe begonnen, dort eine unzählbare Menge Lebendiger getödtet hatte und ohne anzuhalten von Ort zu Ort sich verbreitend nach den abendländischen Gegenden jammerbringend vorgeschritten war.

Gegen dies Uebel half keine menschliche Klugheit oder Vorkehrung, obgleich man es daran nicht fehlen und die Stadt durch eigens dazu ernannte Beamte von Unsauberkeit reinigen ließ, auch jedem Kranken den Eintritt verwehrte und über die Bewahrung der Gesundheit viel Rathschläge hielt.

Eben so wenig nützten demüthigen Gebete, die nicht ein, sondern viele Male wohlgeordneten Processionen und auf andere Weise den frommen Leuten Gott vorgetragen wurden. […]

Aus diesen und vielen andern ähnlichen und schlimmeren Ereignissen entstand ein allgemeines Schrecken und mancherlei Vorkehrung derer, die noch am Leben waren, welche fast alle zu ein und demselben grausamen Ziele hinstrebten – die Kranken nämlich, und was zu ihnen gehörte, zu vermeiden und zu fliehen, in der Hoffnung auf solche Weise sich selber zu retten.“

Aus: Giovanni Boccaccio: II Decamerone (um 1353)

Den meisten Menschen war damals klar, dass die Pest sich durch Ansteckung übertragen muss. Es wurden viele Methoden empfohlen, um sich davor zu schützen – doch da man die Ursache für die Krankheit nicht kannte, waren die meisten weitgehend nutzlos. So wurden Feuer auf der Straße entzündet, um die Luft zu reinigen, die Kleidung von Erkrankten verbrannt oder man vermied den Blickkontakt, um sich nicht anzustecken.

Die wirksamste Maßnahme war die Flucht. Damit vermied man nicht nur eine Ansteckung bei infizierten Menschen, sondern auch die durch infizierte Rattenflöhe.

Schon 1374 schrieb Venedig vor, dass Ladung und Passagiere ankommender Schiffe 30 Tage (trentana) auf der Insel Lazzaretto Nuovo bleiben müssen. Marseille folgte diesem Beispiel und erhöhte die Frist auf 40 Tage. Bis heute heißen solche Maßnahmen Quarantäne, von quarantena, dem damaligen italienischen Ausdruck für 40 Tage.

Viele Menschen flohen im 14. Jahrhundert vor der Seuche. Sündenböcke wurden gesucht, es kam in Deutschland und Frankreich mehrfach zu Judenpogromen. Manche Menschen wandten sich angesichts des stets drohenden Todes dem Hedonismus zu. Andere suchten Trost in der Religion – doch oft nicht bei der etablierten Kirche, sondern in Bewegungen wie den Flagellanten, die sich selbst geißelnd durch die Straßen zogen.

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Die imposante Ausstattung mit langem Mantel, Handschuhen und Gesichtsmaske mit langem Schnabel schützt tatsächlich gegen Flohbisse und dadurch vor der Ansteckung mit dem Pest-Erreger.

Die Historiker Francis Aidan Gasquet (1846–1929) und Egon Friedell (1878–1938) sehen die mittelalterliche Pest als entscheidenden Wegbereiter für die Renaissance. Auch wenn diese Sicht extrem ist – die Pest hat auch zu positiven Entwicklungen geführt. Der Schwarze Tod hat so viele Menschen dahingerafft, dass es zu einem Mangel von Arbeitskräften kam. Das zwang zum Beispiel die Zünfte, sich für neue Mitglieder zu öffnen. Das Leibeigentum in England wurde abgeschafft. Es gab etliche technische Innovationen, um Arbeitsprozesse mit weniger Menschen möglich zu machen.

In den nächsten Jahrhunderten wird die Seuche endemisch. Das heißt, sie ist in manchen Gebieten ständig vorhanden und bricht immer wieder aus – meist im Abstand von acht bis zwölf Jahren.

Pest und ihre Wirkung auf Gesellschaft und Kunst

Pest ist die Krankheit, an die die meisten Menschen beim Wort Seuche denken. Keine Seuche hat die Menschheit so sehr in Angst und Schrecken versetzt wie die Pest. Der Schwarze Tod entvölkerte ganze Landstriche und hinterließ traumatisierte Überlebende.

Doch Medizinhistoriker sind sich gar nicht mehr sicher: War es überhaupt die Beulenpest? Als Ursache für die Pandemie, die gewaltige Seuche, kommt möglicherweise auch ein so genanntes hämorrhagisches Fieber in Frage, ausgelöst etwa durch das Ebola-Virus. Oder die Pocken, Fleckfieber, Cholera oder Typhus. Es ist erstaunlich, wie sehr man heute im Dunkeln tappt.

Ein Grund dafür ist wie schon erwähnt: Der Begriff Pest ist nicht eindeutig. Im Lateinischen stand er allgemein für Seuche und auch in anderen Sprachen wird zunächst nicht zwischen Pest, Pocken, Typhus, Cholera und anderen Infektionskrankheiten unterschieden. Im Englischen heißt die Pest noch heute plague – also Heimsuchung, Plage.

Medizinhistoriker meinen aber auch, dass es letztlich auch gar nicht so wichtig ist, ob der Schwarze Tod tatsächlich von Yersinia pestis, dem erst 1894 von Yersin entdeckten Pest-Bakterium, verursacht wurde. Denn zum einen ist dies im Nachhinein für die Wirkung der Krankheit nicht mehr relevant. Zum anderen aber verändern sich die Erreger im Lauf der Jahrhunderte. Denn wie alle anderen Lebewesen auch unterliegen die Bakterien der Evolution. Sie verändern sich also, auch im Wechselspiel mit dem Menschen. Ist ein Erreger-Stamm so aggressiv, dass seine Opfer sterben, bevor sie die Krankheit weitergeben konnten, wird er recht schnell aussterben.

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Die Menschen waren entsetzt über das Sterben, das bei großen Epidemien um sich griff. Dabei nahm man die Schilderungen der Symptome oft weniger wichtig, was die Zuordnung von historischen Seuchen zu Krankheiten heute schwierig macht.

Doch sicher ist: Noch heute löst das Wort Pest bei jedem dunkle Assoziationen aus. Literaten sind seit Jahrtausenden fasziniert von der dunklen Krankheit. Schon der römische Dichter Ovid beschrieb die Pest in seinen „Metamorphosen“ (∼l/3–8 n. Chr.). Eines der bekanntesten literarischen Beispiele für die Aufarbeitung der Pest ist das Decamerone von Boccaccio (1353). Darin fliehen zehn junge Menschen vor der Pest aus Florenz auf einen Landsitz und erzählen sich dort heitere Geschichten von Liebe und Schicksal, um sich abzulenken.

Auch bei Daniel Defoe ging es um die Pest („Die Pest zu London“, 1722) sowie bei Edgar Allan Poe („König Pest“, 1835 und „Die Maske des roten Todes“, 1842 – wobei diese Erzählung von einem Choleraausbruch in Baltimore 1831 angeregt wurde). Ebenfalls befasste sich Jeremias Gotthelf mit der Pest („Die schwarze Spinne“, 1843). Alle drei Dichter hatten selbst direkt mit der Pest nie etwas zu tun – sie griffen nur ein Motiv auf, das in der Kunst Europas tief verwurzelt ist. Albert Camus schließlich beschrieb in „Die Pest“ (1947) den Ausbruch der Krankheit in einer Stadt als vielschichtige Metapher für die Gesellschaft, das Schicksal des Einzelnen und die existenzialistischen Probleme des Menschen an sich.

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Bei solchen Bildern assoziiert jeder sofort die Pest, nicht selten denkt man auch gleich ans Mittelalter. Solche Masken sind ist aber erst seit dem 16. Jahrhundert gebräuchlich. (nachgestellte Szene)

In der bildenden Kunst finden sich seit dem Mittelalter vielfach Darstellungen von Pestkranken wie auch von der personifizierten Pest. Und auch im Film wird das Thema immer wieder aufgegriffen, etwa von Friedrich Wilhelm Murnau (1922), Ingmar Bergman (1957) oder Werner Herzog (1979).

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Oft waren die Pestepidemien so heftig, dass die Leichen von der Straße gesammelt werden mussten und in Massengräber kamen.

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Die Pest war auch Jahrhunderte nach dem letzten Ausbruch in Europa Thema der Kunst, hier auf einem Gemälde von Arnold Böcklin von 1898.

„O du lieber Augustin, Augustin, Augustin,

O du lieber Augustin, alles ist hin.

Jeder Tag war ein Fest,

Und was jetzt? Pest, die Pest!

Nur ein groß’ Leichenfest,

Das ist der Rest.“