DR. SVENJA BORCHERS
Für die achtsame Vernetzung
von Körper, Gehirn und Geist
Let’s talk Business – hier und jetzt
Was ist die Aufgabe unseres Gehirns?
Über das Herantasten und die ersten Schritte
Das Input-Output-Modell
Unser CEO
Das zentrale Nervensystem
Vom Gehirn in den Körper
In Balance: Sympathikus und Parasympathikus
Wie der CEO kommuniziert
Wie Signale übertragen werden
Wie aus elektrischer Aktivität Bewegung wird
Was den CEO glücklich macht und was ihn stresst
Verbindungen machen den Unterschied
Eindeutigkeit und Zuverlässigkeit sind gute Eigenschaften
Über Flow und Balance
Wahrnehmung und Bewegung
Neuronale Regelkreise und ihre Bedeutung
Über unsere Sinne
Die Welt im Innen und Außen
Multisensorische Wahrnehmung
Der bewegte Mensch
Der kleine Mensch in unserem Gehirn
Das Gehirn in Bewegung
Das Rückenmark in Bewegung
Was im Gehirn beim Lernen geschieht
Die Bedeutung von Fehlern und Kontext
Veränderungen im Gehirn durch Lernen
Leichter lernen durch multisensorische Informationen
Embodiment: Sitzen Emotionen im Körper?
Unsere Körperhaltung
Unser Körperbild
Embodiment und Emotionen
Yoga und unsere Anpassungsfähigkeit
Der Weg des Yoga
Bewegungsmuster und ihre Bedeutung für unseren Alltag
Die Körperhaltung verbessern
Wie du dein Gehirn mit Yoga fit hältst
Individuelles (Um-)Lernen
Wie Yoga das Gehirn verändert
Anpassungsfähigkeit kann man üben
Achtsamkeit, Atmung und Meditation
Achtsamkeit
Atembewusstsein und -training
Meditation
Bleib aktiv
Yoga hält dich gesund
Das eigene Körperbild verfeinern
Achtsame Instruktionen
Du hast es in der Hand
Du bist dein eigener CEO
Glossar
Leseliste und Links
Referenzen
Impressum
Die meisten von uns haben eine Idee davon, wie ein Unternehmen funktioniert: Es gibt einen Geschäftsführer, den sogenannten CEO, der sicherstellt, dass die Mitarbeiter optimal ihrer Arbeit nachgehen können. Der CEO kümmert sich darum, dass das Unternehmen nicht zu viel Energie verschenkt. Er schützt das Unternehmen vor äußeren Einflüssen und passt die strategische Richtung an, wenn es darum geht, das Überleben des Unternehmens zu sichern.
Nun fragst du dich sicher, warum wir hier über ein Wirtschaftsunternehmen sprechen, obwohl es in diesem Buch um Yoga und das Gehirn geht? Der CEO ist eine Analogie zu unserem Gehirn. Wie meist bei Analogien, so ist auch hier das Bild stark vereinfacht. Es soll verdeutlichen, warum es Sinn macht, über den »Kopf« des Unternehmens nachzudenken. Schließlich bestimmt der CEO, wie das buchstäbliche »Ganze« funktioniert. Wenn wir ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie der CEO wahrnimmt, bewertet und Entscheidungen trifft, können wir mit ihm zusammen am gemeinsamen Erfolg arbeiten. Schauen wir uns ausschließlich die Mitarbeiter an, um im Bild zu bleiben, also unseren restlichen Körper, machen wir es uns selbst schwer, zu verstehen, was das Unternehmen wirklich antreibt.
Wenn alle Mitarbeiter des Unternehmens durcheinanderreden, findet man keine sinnvolle Lösung. Ähnlich sieht es in unserem Kopf aus: Ein ganzer Chor an Stimmen – Erfahrungen, Pläne, Ängste und Sorgen – verwirrt unseren Geist. Zumeist praktizieren wir Yoga, um mit uns selbst in Kontakt zu kommen, die Verbindung mit unserem Körper zu spüren – vielleicht auch, um das Gedankenkreisen zur Ruhe zu bringen. Einer der bekanntesten Grundlagentexte des Yoga ist das Yoga-Sutra von Patanjali. Trotz seines Alters von rund 2000 Jahren ist es in seinen Aussagen zeitlos: Nach Patanjali wird Yoga als »das Zur-Ruhe-Bringen der Aktivitäten im Geist« definiert – »yogas citta vritti nirodhah«. Obwohl es demnach also um unser mentales Wohl geht, finden die meisten Menschen in unserer heutigen Zeit den Zugang zum Yoga eher durch die körperliche Praxis.
Genau darum geht es in diesem Buch: Körper und Geist sind nicht voneinander unabhängig denkbar. In den Neurowissenschaften beschreiben wir den Geist als Summe aller Wahrnehmungen und Denkprozesse oder als »Kognition« (von lateinisch cognoscere: erkennen, erfahren). Dieser Begriff bezieht sich auf Fähigkeiten wie das Wahrnehmen, Lernen, Sprechen, Denken, Planen und Problemlösen.
Dass Körper und Geist sich zu jeder Zeit gegenseitig beeinflussen, können wir durch Yoga erfahren und zum Positiven nutzen. Stellen wir uns verdeutlichend einen Menschen vor, der in Traurigkeit und Niedergeschlagenheit verharrt: Sein gesenkter Kopf, seine gebeugte Haltung und seine hängenden Schultern verursachen in uns selbst einen Eindruck der gleichen Traurigkeit. Zugleich verändert sich unser Atem, indem er flacher wird. Dieses Prinzip der Verknüpfung von Geist, Körper und Atem nennt sich Embodiment. Es wirkt in beide Richtungen: Eine aufrechte Körperhaltung hat positive Effekte auf unsere Kognition und unsere Emotionen.
Da Körper und Geist so eng vernetzt sind, wird klarer, warum es uns gelingen kann, durch Fokussierung auf unseren Körper unsere Gedanken zur Ruhe zu bringen und den Zugang zu uns selbst zu finden in einer Welt, in der wir permanent einem hohen Druck äußerer Reize ausgesetzt sind. Um zu verstehen, wie wir uns das Wissen über unser Gehirn in unserer Yogapraxis und in unserem Alltag zunutze machen können, beginnen wir im ersten Kapitel, zu betrachten, wie unser Gehirn aufgebaut ist und wie es funktioniert.
Im zweiten Kapitel beschäftigen wir uns mit einer der zentralen Aufgaben unseres Gehirns: der Bewegung. Wann immer wir uns bewegen, ist unser Nervensystem involviert und wird aktiviert. Es steuert, wie wir uns bewegen und wohin. Diese Aussage erscheint trivial, übersteigt aber rasch den Horizont unserer Alltagserfahrungen, wenn wir einbeziehen, dass Bewegung auch unser Gehirn beeinflusst – und das durchaus auf einer biologischen beziehungsweise auch anatomischen Ebene.
Neurowissenschaftler haben mit vielfältigen Ansätzen zeigen können, dass unser Gehirn seine Struktur auf mikroskopischer und biochemischer Ebene verändert, wenn wir uns bewegen – insbesondere dann, wenn wir dies bewusst und regelmäßig tun. Indem wir uns bewegen, liefern wir unserem Gehirn neue Informationen von außen: Die Umgebung ändert sich, wir sehen neue Dinge, hören andere Geräusche. So entsteht ein anhaltender Fluss aus Wahrnehmung, Anpassung und Bewegung. Alle Signale, die das Gehirn erhält, werden integriert, um Entscheidungen zu treffen; manche davon sind wichtiger als andere. Die höchste Priorität unseres Gehirns ist es, uns vor echten und manchmal auch vermeintlichen Gefahren zu schützen, um unsere Integrität zu sichern. Wenn wir dies verstehen, dann schaffen wir eine neue Perspektive auf uns selbst. Es gibt ein einfaches, verständliches Modell, das diese Zusammenhänge veranschaulicht: Unser Nervensystem ist wie ein Mobile. Bringt man es an einem Ende zum Schwingen, so schwingt es als Ganzes und erzeugt an anderer Stelle Bewegung.
Durch Bewegung bieten wir unserem Gehirn positiven Anreiz. Fehlt dieser, so bleibt dies nicht ohne negative Folgen, denn es ist Teil unserer Natur, nicht Genutztes abzubauen. Es liegt an uns, unser Gehirn fit zu halten, indem wir seinen Hunger nach Informationen stillen. Die Bewegung spielt dabei eine wesentliche Rolle. Die Yoga-Asana-Praxis, also die körperlichen Übungen, stillen diesen Hunger und verhindern zugleich Überreizung. Mehr noch: Yoga gleicht durch Fokussierung die negativen Folgen der Überreizung aus.
In den meisten Yoga- und Fitnesstrainings wird die funktionelle Anatomie des Körpers gelehrt. Vom Gehirn wird in der Regel selten gesprochen. Im Grunde »existiert« unser Körper allerdings nur durch unser Gehirn: Seine Wahrnehmung und das Bewusstsein, dass wir überhaupt einen Körper haben, die Möglichkeit, ihn zu bewegen und auch die Fähigkeit, zu lernen und unsere Bewegungs- und Denkmuster zu ändern – all das verdanken wir unserem Gehirn.
Mit diesem Hintergrundwissen können wir dann im dritten Kapitel die Zusammenhänge mit unserer Yogapraxis näher beleuchten. Wir verstehen, warum unsere Körperhaltung sich auf alle Ebenen unseres Seins auswirkt und wie wir lernen können, unseren »Monkey Mind« zu trainieren, die Gedanken zu fokussieren. Wenn wir unsere Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit trainieren, uns in unterschiedlicher Weise bewegen und kontinuierlich lernen, können wir unser Gehirn fit halten.
Dieses Buch ist kein klassischer Ratgeber. Es kann verlockend sein, sich auf der Suche nach einer gesünderen Lebensweise in Selbstoptimierung zu verlieren. Ständig stoßen wir auf Ratschläge, Werbung und Lebensweisheiten, die uns zu erklären versuchen, wie wir vieles noch besser machen und unser Leben optimieren können. Allerdings fehlt uns oft der Fokus nach innen und das Vertrauen auf den eigenen Weg, um mehr Zufriedenheit zu finden. Die Verbindung zum eigenen Körper hilft nicht nur, uns geerdet zu fühlen, sondern auch, uns als Gestalter des eigenen Lebens zu verstehen. In diesem Sinne möchte ich dir in diesem Buch ein Verständnis über die spannenden Wechselwirkungen zwischen Gehirn und Körper vermitteln, sodass du weißt, wie du dir dieses Wissen in deinem Alltag zunutze machen kannst. Übungsanregungen sollen dir helfen, deine eigenen mentalen und körperlichen Muster besser zu verstehen. Die neurowissenschaftlichen Hintergründe werden anschaulich erklärt und du erfährst, warum Yoga, Bewegung und Meditation auf so unterschiedlichen Ebenen auf unseren Körper und Geist wirken.
Ein Hinweis zum Lesen des Buches: Es empfiehlt sich, das Buch von vorne nach hinten zu lesen, da die Erklärungen aufeinander aufbauen. Als Nachschlagewerk kannst du auch in einzelne Abschnitte springen; du findest immer wieder Querverweise im Text. Im »Glossar« kannst du viele der speziell neurowissenschaftlichen Begriffe nachschlagen, die hier noch einmal kurz erklärt werden. Diese Fachausdrücke sind im Buch kursiv gedruckt.
In einigen Kapiteln findest du spezielle Kästen, um bestimmte Sachverhalte aus der Sicht der Neurologie zu vertiefen oder aus anderer Sicht zu erklären. Diese Kästen wurden von meinem Ehemann, Dr. Christian Borchers, verfasst. Er ist Neurologe und überzeugt davon, dass Yoga für viele Symptome und Probleme auf neurologischem Gebiet und darüber hinaus hilfreich sein kann.
Abschließend ein Wort zum Gendern: Der Einfachheit halber und um den Lesefluss nicht zu stören, habe ich mich entschieden, die männliche Form der jeweiligen Bezeichnungen zu wählen. Die Frauen sind selbstverständlich von Herzen miteingeschlossen.
Alles, was uns als Menschen ausmacht, nämlich die Fähigkeit, die Welt wahrzunehmen, uns individuell zu entwickeln, entsprechend unseren Intentionen zu handeln und emotionale Verbindungen aufzubauen und vieles mehr, ist auf Aktivitäten unseres Gehirns zurückzuführen. Dennoch kann das Gehirn nicht losgelöst von »seinem« Körper begriffen werden: Durch unseren Körper nehmen wir wahr und äußern uns. Unser Körper ermöglicht es, uns fortzubewegen und in der Form zu wirken, wie unser Gehirn es vorgibt. Gehirn und Körper bilden also eine sich gegenseitig beeinflussende Einheit.
Zum grundlegenden Verständnis der Funktionsweise des Gehirns kann uns ein einfaches Modell dienen (siehe Abbildung): Über unsere Sinnesorgane nehmen wir äußere Reize wahr. Aus unserem Körper bekommen wir zusätzlich innere Reize; das können zum Beispiel Meldungen über die Stellung der Gelenke oder über den Dehnungszustand der Blase sein. Beides zusammen, die inneren und äußeren Reize, bilden die Eingangssignale (Input) unseres Gehirns. Einige dieser Eingangssignale nehmen wir bewusst wahr, andere nicht. Sie werden im Gehirn interpretiert und bewertet. Auf dieser Basis werden Entscheidungen getroffen. Als Ergebnis bildet das Gehirn ein Ausgangssignal (Output). Diese Ausgangssignale resultieren häufig in Bewegung. Dabei kann es sich um Augen- oder Kopfbewegung, Fortbewegung des gesamten Körpers oder auch um Sprache oder Mimik handeln. Bewegung ist unsere Möglichkeit, uns mitzuteilen, mit der Welt zu interagieren und natürlich auch, uns in Sicherheit zu bringen. Aus diesem Schema wird offensichtlich, warum die Bewegung eine so große Rolle in unserem Leben spielt und warum unser Gehirn für die Bewegung gemacht ist.
Ein kleiner Exkurs über ein besonders spannendes Tier veranschaulicht diesen Aspekt in extremer Weise: Die Seescheide ist ein Manteltier, das auf dem Meeresboden lebt. Im Larvenstadium bildet sie ein Gehirn aus. Dieses benötigt sie, um sich zu bewegen und zu orientieren. Sie sucht sich einen Platz, an dem sie den Rest ihres Lebens bleiben wird. Sobald sie dort angekommen ist, bildet sich ihr Gehirn zurück, denn es wird praktisch nicht mehr benötigt und die Energie kann eingespart werden. Auch wenn dies sicherlich ein sehr extremes Beispiel ist, veranschaulicht es doch, dass unser Gehirn einen bestimmten Nutzen hat. Und dieser ist die Bewegung.
Nun ist klar, dass wir Menschen einen weitaus komplexeren Organismus haben als das Manteltier. Dennoch gibt es auch bei uns Menschen Beispiele, die zeigen, dass ein intakter Bewegungsapparat bis ins hohe Alter dazu beiträgt, auch das Gehirn fitter zu halten. Ältere Menschen, deren Mobilität weit eingeschränkt ist, verlieren schneller ihre Autonomie und kognitive Leistungsfähigkeit als Menschen, die sich bis ins hohe Lebensalter fit und beweglich halten. Natürlich gibt es dabei viele weitere Einflüsse. Im Allgemeinen bestätigen aber Studien den Effekt, dass ein aktiverer Lebensstil wie auch regelmäßige sportliche Betätigung positiv mit besserer kognitiver Leistung korrelieren. Diese Effekte wirken sich sowohl direkt als auch präventiv auf das höhere Lebensalter aus.
Wie und wo wir uns bewegen und wie wir mit der Umgebung interagieren, hat einen Einfluss darauf, was wir wahrnehmen und lernen. Das bedeutet, dass das Input-Output-Modell nicht nur eine Wirkrichtung kennt, sondern einen Kreislauf bildet. Unser Gehirn ist nicht losgelöst von der Umgebung und ihren Reizen vorstellbar. Was es uns jedoch als Realität widerspiegelt, ist das Ergebnis komplexer Verarbeitungsprozesse, die unsere Wahrnehmung der Umgebung durchaus verzerren kann. Das Gehirn selbst beeinflusst nämlich auch, was wir tatsächlich wahrnehmen und wessen wir uns dann bewusst werden.
Verständlich wird das anhand eines bekannten Beispiels. Sogenannte Kippbilder enthalten auf einem Bild zwei sich überlagernde Abbildungen, die geschickt miteinander verwoben sind. Unser Gehirn erlaubt uns allerdings, immer nur eine dieser Abbildungen wahrzunehmen, nicht beide gleichzeitig. Die Abbildung unten zeigt eine solche Überlagerung: Wir erkennen entweder zwei Gesichter oder eine Vase, aber niemals beide Objekte im gleichen Moment. Sofern wir die Abbildungen erstmals erkannt haben, können wir zwischen diesen Eindrücken bewusst wechseln. Das tatsächliche Bild oder Objekt bleibt dabei immer gleich. Alles, was sich ändert, ist unsere Wahrnehmung. Wie kann das sein?
Das Geheimnis dahinter ist unsere Aufmerksamkeit: Sie lenkt unsere Wahrnehmung auf das, was unser Gehirn im Moment als wichtig identifiziert. In ähnlicher Weise nutzen wir auch in der Yogapraxis bewusst die Lenkung unserer Aufmerksamkeit.
Unsere Wahrnehmung ist also ein Ergebnis der Verarbeitung der Reize durch unser Gehirn und damit kein exaktes Abbild der tatsächlichen Realität. Wenn die Aufmerksamkeit den Fokus der Wahrnehmung oder auch die Interpretation der Reize lenkt, nennen wir diese Verarbeitung Top-down. Das bedeutet, dass das Gehirn selbst beeinflusst, wie die Verarbeitung der Reize geschieht. In dem Kippbild-Beispiel oben ist die wechselnde Wahrnehmung zwischen Gesichtern und Vase auf die Top-down-Beeinflussung unserer Aufmerksamkeit zurückzuführen. Die umgekehrte Richtung der Wahrnehmung und Aufmerksamkeitslenkung nennt sich entsprechend Bottom-up. Hiermit ist die Verarbeitung von Reizen gemeint, die ohne Beeinflussung der Erwartung und Aufmerksamkeitslenkung geschieht. Intensive Farben oder Helligkeiten zum Beispiel können unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen und diese daher Bottom-up lenken. Im Alltag erleben wir das auch, wenn ein Licht flackert oder ein auffälliges, lautes Geräusch erklingt.
Je mehr Erfahrungen wir sammeln, desto wahrscheinlicher wird es, dass das Gehirn seine gelernten Informationen nutzt, um die Aufmerksamkeit entsprechend zu lenken. Die Top-down-Verarbeitung beeinflusst unsere Wahrnehmung zu einem großen Teil. Wir müssen daher stets davon ausgehen, dass das, was wir bewusst wahrnehmen, nur ein Ausschnitt der tatsächlichen Realität ist. Dies hat auch einen Sinn: Aus der Menge an Informationen, die um uns herum und auch in unserem Körper wahrgenommen werden können, muss selektiert werden. Täten wir dies in jeder Situation bewusst, wären wir nicht nur völlig überfordert, sondern wir würden uns auf nichts wirklich fokussieren können.
Evolutionär betrachtet, ist die Schnelligkeit der Verarbeitung und daher auch die Fokussierung in Gefahrensituationen unverzichtbar. Unsere Integrität zu sichern, ist die primäre Aufgabe unseres Gehirns. Dabei spielen Emotionen wie Angst eine große Rolle. Das Gefühl der Angst funktioniert wie eine Vorwarnung, wenn Situationen vom Gehirn nicht als ungefährlich oder bekannt eingeschätzt werden können. Dies kann berechtigt sein oder auch nicht und beruht auf der Interpretation des Gehirns. Durch spezielle Botenstoffe signalisiert das Gehirn dem Körper diese Ungewissheit. Dort macht sich das beispielsweise durch einen schnellen Herzschlag, weiche Knie oder Schweiß auf der Stirn bemerkbar. Diese Reaktionen nehmen wir als innere Reize je nach Intensität bewusst wahr. Angst wiederum kann sich auch darauf auswirken, worauf wir unsere Aufmerksamkeit legen und damit das von der Angst geleitete Verhalten verstärken.
Aus diesem Beispiel der Aufmerksamkeitslenkung sollte deutlich werden, dass das Input-Output-Modell stark vereinfacht ist. Informationsverarbeitung in unserem Gehirn, deren Beeinflussung und wie sich diese wiederum auf unser Verhalten auswirkt, ist noch weitaus komplexer. Dennoch ist dieses Modell sehr nützlich und soll uns weiter zu Erklärungszwecken begleiten.