Über das Buch:
Nachdem sie den süßen Rick näher kennengelernt und ihn auf einem Westernturnier in voller Action erlebt hat, stellt sich Kat zwei Fragen.
Erstens: Wie kriegt sie es hin, auch so eine coole Westernreiterin zu werden?
Und zweitens: Wann wird Rick sie wohl küssen? Denn früher oder später wird er das doch bestimmt tun – oder etwa nicht?
Über die Autorin:
Birthe zur Nieden, Jahrgang 1979, hat schon mit fünf Jahren die erste Pferdegeschichte verfasst und mit dem Schreiben danach nicht wieder aufgehört. Das Reiten entdeckte sie erst vor einigen Jahren richtig für sich, dafür hat das Pferdevirus sie seitdem fest im Griff. Sie hat in Marburg studiert und lebt und arbeitet weiterhin dort – bis jetzt noch ohne eigenes Pferd …
8. Kapitel
… enthält mehr Wildwest, als Kat sich gewünscht hätte.
„Und, Kat, wie läuft’s mit deinem Freund?“ Isa hatte sich vor Kats und Hellis Tisch aufgebaut und schaute sie erwartungsvoll an. Hinter ihr standen Marie und Nesrin und spitzten die Ohren. Kat biss sich auf die Unterlippe und wünschte sich, Isa und Marie hätten das vergessen. Dabei war es eigentlich ein Wunder, dass sie nicht schon viel eher auf das Thema zu sprechen gekommen waren, sondern erst über eine Woche nach der Begegnung im Kino.
„Der sieht voll gut aus“, erklärte Marie Nesrin, und die fragte sofort: „Hast du ein Foto auf dem Handy?“
„Nein, hab ich nicht“, sagte Kat und schielte zu Helli hinüber. Helli schaute angestrengt auf ihr Mathebuch, als gäbe es darin etwas Spannendes zu lesen. Dabei mochte sie Mathe eigentlich gar nicht.
„Schade“, sagte Nesrin. „Wie alt ist er denn?“
„Sechzehn.“
„Und? Habt ihr schon … du weißt schon?“
Kat schnaubte empört. „Spinnst du? Wir sind doch erst seit Kurzem … wir kennen uns doch noch gar nicht lange!“
„Woher kennt ihr euch denn eigentlich?“, wollte Isa wissen.
„Vom Reiten.“
„Aber geknutscht habt ihr doch, oder?“ Nesrin war hartnäckig.
Kat stand auf. „Leute, ich muss jetzt erst mal dringend aufs Klo.“ Und schon wieder war sie auf der Flucht. Das wird ja langsam zur Gewohnheit, dachte sie, als sie die Toiletten erreichte. Und es war ätzend. Aber sie konnte doch nicht sagen: „Hört mal, Leute, ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt mit ihm zusammen bin, weil er immer noch keine Anstalten gemacht hat, mich zu küssen, und weil wir nie darüber geredet haben, ob wir was voneinander wollen.“
Was würden die anderen sagen, wenn sie das zugab? Kat fragte sich, was Rick seinen Freunden wohl erzählte, aber das ließ sich schlecht herausfinden. Außer ihm kannte sie nur Lara auf seiner Schule, und die würde sie sicher nicht danach fragen!
Als sie ins Klassenzimmer zurückkam, hatte sich das Thema zum Glück erledigt und kam auch für den Rest des Schultages nicht mehr zur Sprache. Ein Glück! Auf diese Weise konnte Kat das Problem noch mal beiseitedrängen.
Weil in der siebten und achten Stunde die Hockey-AG stattfand, aß Kat heute in der Schulmensa, statt mit Helli nach Hause zu gehen. Als sie schließlich am Nachmittag die Tür aufschloss, war Mom nicht da. Ob sie am Stall war?
Kat brachte ihren Rucksack in ihr Zimmer und schaute auf den Krimi, den sie derzeit las, der sie jetzt aber überhaupt nicht lockte, genauso wenig wie Computer oder Fernseher. Helli hatte heute keine Zeit, weil ihr kleiner Bruder Johann seinen Geburtstag feierte, also war auch kein Abhängen mit der besten Freundin drin.
Kat stand einen Moment mitten im Zimmer, dann sagte sie laut: „Was soll’s?“ und griff nach ihren Stallklamotten, die zusammengeknüllt in einer Zimmerecke am Boden lagen. Was sie jetzt brauchte, war eine Dosis Pferd! In kürzester Zeit war sie umgezogen und saß gleich darauf auf dem Fahrrad. Die Strecke zum Stall fuhr sich inzwischen fast schon von allein, und alle Gedanken an Jungen, Klassenkameradinnen und andere Schwierigkeiten verflogen augenblicklich.
Was Mom wohl heute mit Otto gemacht hatte? Es war immer noch heiß, wenn auch nicht mehr so drückend wie kürzlich, und als Kat am Stall ankam und ihr Fahrrad abstellte, war sie klatschnass geschwitzt und hatte Durst. Zu blöd, dass sie nicht daran gedacht hatte, sich etwas zu trinken oder Geld fürs Reiterstübchen mitzunehmen. Na, dann musste sie eben die Zähne zusammenbeißen und warten, bis sie wieder zu Hause war.
Mom war nicht auf dem Reitplatz, dort arbeitete stattdessen Anne mit ihrem neuen Turnierpferd Sally, einer zierlichen Fuchsstute, die einen hochmotivierten Eindruck machte. Anne übte fliegende Galoppwechsel, das erkannte Kat gleich und war deswegen ein bisschen stolz auf sich.
Auch in der Reithalle traf sie nicht auf ihre Mutter – dafür aber auf Rick und Blue, die gerade locker auf dem Hufschlag trabten. Sie überlegte, ob sie ihn begrüßen sollte oder ob sie damit seine Konzentration störte, aber da entdeckte er sie von selbst und parierte Blue zum Schritt durch. „Hi! Na, alles fit?“
„Klar, so spät war es gestern ja nun auch nicht … Du, ich will dich nicht stören, wollte nur gucken, wer hier drin ist.“
„Willst du mit Otto rein? Kannst du ruhig, ich bin so gut wie fertig, wollte gerade mit Trockenreiten anfangen.“
Kat schüttelte den Kopf. „Nee, mein Reittag ist ja erst morgen wieder. Ich wollte einfach nur ein bisschen Pferdeluft tanken. Und zu Hause fiel mir irgendwie die Decke auf den Kopf.“
Rick ritt durch die Mitte der Halle und hielt kurz vor dem Hufschlag an, sodass er ihr direkt gegenüberstand. „Willst du mal eine kleine Runde auf Blue reiten?“
Kat riss die Augen auf. „Ist das dein Ernst?“
„Warum nicht? Also, bloß gemütlich trockenreiten natürlich.“
„Nicht dass ich dann irgendwas kaputt mache, was du mühsam eintrainiert hast …“
„Quark. Erstens reitest du schon recht gut für das halbe Jahr, das du auf dem Pferd sitzt; zweitens kannst du bei Schritt um die ganze Bahn ja nun wirklich nicht viel falsch machen; drittens ist Blue nicht blöd. Der merkt sehr wohl, wenn da jemand anders als ich auf seinem Rücken sitzt, und weiß, dass er bei mir trotzdem wie immer laufen muss. Komm schon!“
Mehr Überredung brauchte es wirklich nicht. Kat kletterte über die Bande, während Rick vom Pferd sprang. „Ich halte dir gegen, steig auf!“
Kat schwang sich mit etwas Mühe hinauf – Blue war doch ein Stück größer als Otto! Sie setzte sich im Sattel zurecht, ließ die um einiges zu langen Steigbügel Steigbügel sein und griff nach den Zügeln, die auf der schwarzweißen Mähne vor ihr lagen.
„Lass die Zügel ganz locker, das ist wichtig – er hat ein Bit mit Shanks drin. Das sind diese Hebel an der Seite, da wirkt dann das Gebiss stärker, wenn du die Zügel annimmst. Aber du solltest sie eigentlich sowieso nicht brauchen, ihr geht ja nur außen rum, und außerdem lässt er sich leicht durch Gewicht und Schenkel lenken. Dann mal los!“
Kat schob die Hüfte nach vorn und legte die Beine an Blues Bauch, wie sie es gelernt hatte – und erschrak, weil der Hengst sofort in flottem Tempo losging. Von Otto war sie es gewohnt, dass man erst mehrmals auffordern musste, bis sich etwas tat, und dann wurde auch eher geschlurft, wenn man nicht dranblieb. Hier nahm sie sofort die Beine weg, bevor Blue noch antrabte.
Seine Schritte waren ungewohnt, weiter ausgreifend als Ottos wegen der längeren Beine, dadurch ergab sich ein ganz anderes Gefühl im Sattel. Aber es war schön, so zügig im Schritt zu gehen. Kat bemühte sich, gerade zu sitzen und in der Hüfte mitzuschwingen, noch mehr als bei Otto. Sie wollte Blue schließlich auf keinen Fall stören, der ja einen viel besseren Reiter gewöhnt war!
Nach einer knappen Runde ließ er den Kopf nach unten sacken und schnaubte.
„Super!“, sagte Rick. „Du sitzt echt gut für eine Anfängerin. Er entspannt richtig.“
Kat fühlte sich regelrecht wachsen vor Stolz.
„Magst du mal eine Runde traben?“, fragte Rick.
„Echt jetzt?“
„Beine leicht anlegen, schnalzen und Zügelhand vor.“
Zügel? Die hingen doch eh durch? Aber Kat gehorchte natürlich – und Blue trabte tatsächlich an. Oder doch nicht? Es war ein merkwürdiges Gefühl, ganz ohne im Sattel hochgeworfen zu werden, stattdessen waren es ganz weiche Bewegungen, die das Aussitzen zum Kinderspiel machten.
„Ist das richtig? Trabt er überhaupt?“, fragte sie irritiert.
„Er joggt. Alles in Butter, genau so sollte es sein. Hast du noch nie auf einem joggenden Pferd gesessen?“
„Nee. Otto hat zwar weiche Gänge, sagt Mom, aber so läuft der nie. Und auf Flora hab ich nur Leichttraben geübt.“
„Na, dann genieß es. Eine halbe Runde noch, dann lass ihn wieder Schritt gehen, sonst fängt er bei der Hitze gleich wieder an zu schwitzen.“
Nachdem sie noch einmal um die kurze Seite gejoggt waren, parierte Kat Blue wieder zum Schritt durch. Nicht die Zügel benutzen, befahl sie sich dabei selbst, sondern atmete nur aus und kippte das Becken nach hinten ab. Prompt blieb Blue komplett stehen, sodass Kat, die darauf nicht gefasst war, erst mal mit dem Oberkörper nach vorn fiel. Verwirrt setzte sie sich wieder auf.
Rick lachte. „Zu viel gemacht. Kein Wunder, du bist an Otto gewöhnt. Reit mal wieder an – vorsichtig, sonst trabt er womöglich gleich wieder.“
Ganz vorsichtig gab Kat die Hilfen, und Blue reagierte sofort mit entspanntem Schritt.
„Siehst du, geht doch! So wie gestern im Film – nur so viel Druck wie nötig, niemals mehr.“
„Stimmt. Bei Otto ist immer ziemlich viel nötig. Mal gucken, ob man ihm das auf Dauer abtrainieren kann.“
Während Kat am langen Zügel auf dem Hufschlag ritt und Blue sichtlich entspannte, unterhielt sie sich mit Rick über den Film und darüber, wie man einige der Trainingsmethoden auf das eigene Reiten übertragen konnte.
Schließlich sagte Rick: „So, das reicht für heute. Bring ihn mal in die Mitte – am besten ganz ohne Zügel, nur den Oberkörper reindrehen reicht eigentlich.“
Tatsächlich, gehorsam bog Blue ab. In der Mitte der Halle hielt Kat ihn an und strahlte zu Rick hinunter. „Das war grenzgenial. Danke!“
„Kein Ding.“
Kat sprang ab und streichelte Blue noch einmal über den Hals. Sein Fell war ganz glatt und weich. Otto hatte natürlich auch kein raues Fell, aber es war irgendwie anders, vielleicht waren die Haare einfach dicker. Jetzt riss Blue das Maul auf und gähnte.
„Na, der ist ja tiefenentspannt“, bemerkte Rick und streichelte sein Pferd von der anderen Seite. „Komm, Dicker, dann satteln wir mal ab. Feierabend.“
Kat folgte den beiden aus der Halle und schloss das Tor hinter ihnen.
„Und, was hast du jetzt vor?“, wollte Rick wissen.
„Ich mache mich weiter auf die Suche nach Mom. Ich war mir eigentlich total sicher, dass sie zum Stall gefahren ist, aber ich hab sie noch nirgends gesehen. Vielleicht ist sie auf dem Roundpen.“
„Okay, man sieht sich!“ Rick ging los, und sein Hengst folgte ihm, die Nase hinter seiner Schulter. Die beiden waren wirklich ein schönes Paar, fand Kat. Dann drehte sie sich um und ging beschwingt um die Halle herum zum kreisrunden, eingezäunten Platz dahinter. Aber dort war überhaupt niemand, also machte sie sich auf den Weg zu den Weideflächen. Wahrscheinlich war Mom längst fertig und danach noch einkaufen gefahren oder sonstwohin, aber dann wollte Kat wenigstens noch ein bisschen Otto knuddeln.
Aber als sie an der Koppel ankam, auf der Otto seine Tage verbrachte, war er dort auch nicht zu sehen. Nur Flora, Toast und die beiden anderen Pferde der kleinen Herde standen unter dem Baum. War Mom also tatsächlich ausreiten gegangen? Bisher hatte sie sich das noch nicht allein getraut, sondern immer nur, wenn Anne in der Reitstunde mitkam.
Tja, dann war es wohl an der Zeit, nach Hause zu fahren. Oder Rick beim Absatteln zuzuschauen, falls er noch dabei war, wenn sie den Stall erreichte. Aber beeilen würde sie sich bei diesen Temperaturen nicht. Langsam bummelte sie also zurück.
„Kaathiii! Suchst du uns?“ Kat blieb stehen und drehte sich um. Tatsächlich, es waren Mom und Otto, die sich vom Ende der Weideflächen her näherten. Aber Mom ritt nicht, sondern führte Otto neben oder eher hinter sich.
„Wo kommt ihr denn her?“, fragte Kat, als sie in Hörweite waren, ohne dass man rufen musste. Jetzt sah sie, dass Otto seine Trense trug, aber keinen Sattel. „Warst du ohne Sattel ausreiten und bist runtergeflogen?“
„Quatsch mit Soße. Das trau ich mich nun wirklich nicht. Nein, wir waren spazieren.“
Kat blinzelte. „Spazieren? Du bist mit deinem Pferd Gassi gegangen?“
„Sozusagen, ja“, sagte Mom und grinste. „Nur dass Otto dabei nicht an Bäume gepinkelt hat. Und Bällchen und Stöckchen habe ich auch keine geworfen.“
„Und wozu das?“, wollte Kat wissen.
„Es stärkt die Bindung, macht uns beiden Spaß, und wir können mal was anderes sehen als immer nur das Stallgelände, ohne dass ich mich gleich auf seinem Rücken in unbekannte Gefilde wagen muss. So kann er mich sehen, und wir sind eine kleine Herde, die neue Gebiete erforscht. Wir waren sogar im Wald.“ Mom zeigte hinter sich, wo sich nach dem Ende der mit Stromzäunen abgesteckten Koppelflächen linker Hand ein kleines Wäldchen erhob. „Und dahinter auch, du weißt schon, wo er sich im Frühling in diesem alten Schafzaun verfangen hatte. Der ist jetzt Gott sei Dank weg, und Otto hat sich auch nicht irgendwie anders benommen dort. Entweder er erinnert sich nicht mehr daran, oder es ist ihm klar, dass da jetzt nichts Gefährliches mehr ist. Er war die ganze Zeit völlig cool.“ Mom kraulte Ottos Mähne.
„Aha“, sagte Kat. „Wie lange wart ihr unterwegs?“
„Ach, nur zwanzig Minuten oder so. War ja das erste Mal, da wollte ich es nicht gleich übertreiben. Wolltest du was von mir oder von Otto, weil du hier bist?“
Kat zuckte mit den Achseln. „Ich wollte bloß Pferdeluft schnuppern.“
„Wenn du noch mal reiten willst, kannst du das gerne machen. Er hat noch nicht viel getan, aber ich muss dringend nach Hause, hab um halb fünf einen Arzttermin. Er ist jetzt schon ein bisschen aufgewärmt und ganz lieb heute, von daher würde es sich anbieten. Aber du musst natürlich nicht.“
„Doch, klar will ich!“, sagte Kat schnell.
„Prima, dann kannst du ihn ja gleich mitnehmen, und ich verschwinde sofort zum Parkplatz. Aber nicht, dass du auf die Idee kommst, ihn zum Satteln an der Trense anzubinden!“
„Nein, ich weiß, wenn er sich dann erschreckt, verletzt er sich im Maul.“
„Genau.“
Kat grinste. „Das wusste ich sogar schon, bevor ich mit dem Reiten anfing – damit hast du Papa und mir ja jeden Western verleidet, weil die Cowboys das immer machen.“
„Na, verleidet …“
„War ein Witz, Mom!“
„Ach so.“
Inzwischen waren sie an den Ställen angekommen. „Dann viel Spaß, und mach keinen Unsinn! Mein Helm liegt im Spind, der passt dir ja auch.“ Mom winkte ihr noch einmal zu und verschwand Richtung Auto.
Kat nahm Otto die Trense ab und legte ihm das Halfter an, das noch am Balken angebunden war. Dann fuhr sie prüfend mit der Hand über Ottos Rücken, doch Mom hatte ihn sicher schon geputzt, denn es fand sich auch nicht das kleinste Dreckkrümelchen. Aber die Hufe sollte sie wahrscheinlich besser noch einmal auskratzen, nachdem er draußen herumgelaufen war. Also holte sie nur den Hufkratzer, den Helm und den Sattel und ließ die Putzbox im Spind.
Erst als sie Moms Helm aufsetzte und mit dem Drehrädchen an ihren Kopf anpasste, fiel Kat auf, dass sie eben auf Blue gänzlich ohne Helm gesessen hatte. Hups! Na ja, war ja nichts passiert. Aber Mom erzählte sie das besser nicht …
***
Anne war nicht mehr auf dem Reitplatz, der inzwischen leer in der Sonne dalag und nur darauf zu warten schien, dass jemand auf ihm übte. Kat führte Otto hinein und zog den Sattelgurt nach. Als sie aufsteigen wollte, machte Otto einen Schritt nach vorn, sodass sie den Fuß noch einmal aus dem Steigbügel nehmen musste.
„Lass das!“, sagte sie streng und nahm die Zügel kürzer, während sie sich in den Sattel schwang. Diesmal blieb er stehen. Sie angelte nach dem zweiten Bügel und drückte dann die Waden an Ottos Bauch – deutlich nachdrücklicher als bei Blue, aber trotzdem ließ sich Otto nur widerwillig in Gang bringen.
Schon nach einer Runde Schritt ließ Kat ihn antraben. Aufgewärmt war er schließlich schon, hatte Mom gesagt. Am liebsten wäre sie natürlich galoppiert, aber das durfte sie ja noch nicht allein. Stattdessen trabte sie mehrere Runden in beide Richtungen und übte sich zumindest im Aussitzen. Otto versuchte mehrfach, von selbst wieder in den Schritt zu fallen, aber nach dem ersten Mal war Kat aufmerksam und trieb ihn wieder an, wenn er auch nur langsamer wurde.
Das Aussitzen war heute schwieriger als in der letzten Reitstunde. War sie steifer, ging Otto schwungvoller, oder lag es daran, dass der Kontrast zu Blues gemütlichem Jog so stark war? Jedenfalls war es regelrecht unangenehm, weil sie so auf und ab geworfen wurde. Während Blue vorhin seinen Hals locker hatte nach unten sinken lassen, reckte sich Ottos Kopf immer mehr in die Höhe, je länger sie ritt. Anscheinend war er längst nicht mehr so entspannt wie nach dem Spaziergang mit Mom. Aber das war ja auch nur gut, er sollte schließlich arbeiten und nicht gemütlich Gassi gehen.
Kat parierte Otto zum Schritt durch und überlegte. Sollte sie wirklich bloß wieder Zirkel und Volten reiten? Eigentlich wollte sie lieber weiterkommen, nicht nur langweilig durch die Bahn traben. Wenn sie wüsste, wie sie ihm das Joggen beibringen könnte, würde sie ja das probieren, aber so …
Sie lenkte Otto ein Stück in die Mitte und hielt an. Einen Sliding Stop und die anderen Manöver der Reining konnte sie nicht üben, weil sie nicht galoppieren durfte, aber einen Spin sollte man doch hinkriegen. Schließlich hatte sie erst gestern Abend im Film gesehen, wie ein toller amerikanischer Trainer das seinem Pferd beibrachte.
Sie nahm die Zügel nach links herüber, sodass der rechte Zügel an Ottos Hals lag, drückte das rechte Bein an und streckte das linke weg. Otto machte einen Schritt nach vorne. Kat nahm die Zügel etwas kürzer und presste noch einmal den Schenkel an Ottos Bauch. Jetzt bewegte sich Otto leicht schräg, aber immer noch vorwärts, sodass Kat am Zügel zog, um ihn zu bremsen. Er kaute auf dem Gebiss herum. Kat versuchte es noch einmal. Otto biss sich auf der Trense fest und zog ihr die Zügel durch die Hand.
„Mann!“, presste Kat durch die Zähne. Warum klappte das nicht? Wahrscheinlich hatte Otto einfach keine Lust, sich zu drehen. Aber er musste! Jetzt ging es ja gar nicht mehr anders, sonst hätte sie schließlich ihm nachgegeben, und das ging gar nicht, sonst wäre sie ihre Stellung als Herdenchef los. Er musste einfach!
Entschlossen zog sie ihm den Kopf ein wenig mit dem Zügel herum, während sie mit dem rechten Schenkel drückte und schließlich ausholte und klopfte. Otto riss den Kopf hoch.
„Lass das!“, schimpfte Kat und versuchte es noch einmal.
Und dann ging alles ganz schnell. Ottos Kopf verschwand mit einem Mal nach unten, er machte einen Satz, Kat verlor die Bügel und spürte, wie sie durch die Luft flog. Dann landete sie mit voller Wucht auf dem Rücken im Sand. Die Luft blieb ihr weg, und für einige verzweifelte Momente war es, als drückte ihr jemand die Brust zusammen. Als sie endlich wieder atmen konnte, begannen die Schmerzen. Sie pochten durch ihren Körper und sammelten sich immer stärker im unteren Bereich ihres Rückens. Kat hörte sich selbst aufstöhnen, wie von weit weg, und sie stöhnte noch einmal, ein jämmerliches Ächzen, weil es ein wenig Erleichterung brachte.
Irgendwo wurde etwas gerufen, aber sie konnte sich nicht darauf konzentrieren. Dann wurde es dunkel, als sich jemand über sie beugte.
Jetzt drang die Stimme durch die Watte in ihren Ohren durch. „Kat! Kannst du mich hören?“
„Ja“, krächzte sie. „Alles in Ordnung.“
„Das glaube ich kaum. Meine Fresse, du bist durch die Luft geflogen wie eine Stoffpuppe! Scheiße, und mein Handy liegt im Stall!“ Es war Rick, der sie jetzt berührte und ihr vorsichtig über die Wange strich. „Ich bin gleich wieder da. Bleib um Himmels willen bloß so liegen, rühr dich nicht! Du bist voll auf den Rücken gefallen. Beweg dich nicht, hörst du?!“
Dann war er weg. Kat versuchte zu verstehen, was er gesagt hatte, doch sie gab bald auf. Sie drehte den Kopf zur Seite und stöhnte noch einmal. Ihr tat alles weh, und plötzlich hatte sie das Gefühl, als würde sie durch eine Klorolle schauen, weil an den Rändern ihres Sichtfeldes alles dunkel und irgendwie verschwommen wurde. Sie riss die Augen weiter auf, aber das half auch nicht. Was war eigentlich passiert?
Rick tauchte wieder über ihr auf. „Hab zum Glück Anne getroffen. Der Krankenwagen ist unterwegs, und sie ruft gerade deine Mutter an. Wie geht’s dir?“
Kat stöhnte noch einmal, bevor sie die Worte herausbekam: „Mir ist so schwindlig.“
„Gehirnerschütterung wahrscheinlich. Aber immerhin bist du nicht bewusstlos. Kannst du deine Hände und Füße bewegen?“
Kat versuchte es. Ja, es ging. Sie schluckte, um die Übelkeit loszuwerden, die jetzt aufstieg. „Geht. Mir ist schlecht.“
„Au weia. Ich kann doch das mit der stabilen Seitenlage nicht! Aber wenn du dich jetzt übergeben musst …“
Kat schluckte noch einmal und zog dann die Beine an, um sich auf die Seite zu drehen.
„Ähm, ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist! Falls dein Rücken verletzt ist …“
„Ist er nicht“, murmelte Kat, stützte sich mit der Hand ab und schob sich in eine sitzende Position hoch. Daraufhin wurde ihr gleich fast ganz schwarz vor Augen, und sie ließ sich wieder zurücksinken.
„Sag ich doch, du solltest lieber liegen bleiben!“
Kat atmete tief durch und schluckte wieder. Langsam konnte sie wieder etwas sehen. „Was ist mit Otto?“
„Der döst friedlich in der Ecke. Um den brauchst du dir keine Gedanken zu machen.“
Jetzt trat Anne neben Rick. „Ich kümmere mich gleich um Otto, Kat, keine Sorge. Bleib du bei ihr, Rick, du hast den Unfall ja beobachtet und kannst den Sanitätern mehr sagen als ich, falls sie Fragen haben, was genau passiert ist.“
Ein Motorengeräusch ertönte, wurde lauter und erstarb. Autotüren klappten.
Rick stand auf. „Hier!“, rief er, und dann kniete sich jemand anders neben Kat hin. „So, bewusstlos bist du schon mal nicht. Wie heißt du?“
„Katharina Meißner. Mir ist schwindlig und ein bisschen schlecht, und mir tut der Rücken da unten am Steißbein weh und auf der rechten Seite.“
„Na, das klingt jedenfalls schon mal so, als ob dein Gehirn nicht allzu viel abbekommen hat.“ Der Sanitäter begann, sie zu untersuchen, während irgendjemand ihr etwas unter die Beine schob.
„Hast du heute genug getrunken?“
Kat versuchte nachzudenken. „Ich weiß nicht …“
Er nickte gerade und holte Luft, um etwas zu sagen, aber er kam nicht mehr dazu.
„Kat!“, rief jemand laut und atemlos. „Das ist meine Tochter, lassen Sie mich zu ihr!“
„Mom“, sagte Kat und spürte, wie sich ein Knoten in ihrer Kehle und Tränen in ihren Augen bildeten. Sie wollte, dass Mom sie in den Arm nahm und alles wieder gut würde.
„Kathilein, was machst du denn für Sachen!“, sagte Mom mit erstickter Stimme und hockte sich neben ihr hin.
„Frau Meißner?“, fragte der Sanitäter. Mom nickte stumm. „Gut, dass Sie da sind. Also, Ihre Tochter hat wohl keine Gehirnerschütterung, wie es aussieht, sondern nur einen leichten Kreislaufzusammenbruch durch den Schrecken und die Hitze. Sie war nach dem Sturz schon sehr schnell ansprechbar. Außerdem hat sie eine Prellung an der Hüfte. Wir bringen sie ins Krankenhaus, damit noch mal genau nachgeschaut wird. Es wäre gut, wenn Sie mitkommen würden. Am besten fahren Sie uns mit Ihrem Wagen hinterher.“
„Natürlich!“, sagte Mom, und Kat fasste nach ihrer Hand und ließ sie auch nicht los, während sie zum Krankenwagen gebracht wurde.
Aber sie mussten sich voneinander lösen, als Kat hineingeschoben wurde.
„Ich bin gleich wieder bei dir, mein Schatz! Alles wird gut, und vergiss nicht: Gott passt auf dich auf!“, rief Mom mit erstickter Stimme.
Die Türen schlossen sich und sperrten Mom aus, und Kat fühlte sich schrecklich allein. Ihre Hüfte tat weh, Mom war weg, um sie herum waren fremde Männer und medizinisches Gerät, sie konnte nicht sehen, wohin sie fuhr, und auf einmal war einfach alles zu viel. Sie begann zu weinen und hätte am liebsten laut nach Mom oder Papa gerufen, aber das half ja nicht.
Einer der Sanitäter beugte sich zu ihr und legte die Hand auf ihren Arm. „Na na, Mädchen, das wird schon wieder. Alles halb so schlimm. “
Aber das stimmte nicht. Es war alles so schlimm, wie es nur ging.