Widmen möchte ich dieses Buch allen Bewohnern des Welterbegebietes Fertö – Neusiedler See, die sich intensiver mit den Eigenarten und Qualitäten der traditionellen Baukultur auseinandersetzen möchten und denen die Bewahrung der einzigartigen Kulturlandschaft am Herzen liegt.
Rosalinde Kleemaier-Wetl
BAUKULTURELLES ERBE VERSUS KLIMASCHUTZ UND MODERNITÄT
Am Beispiel des Welterbegebietes Fertö – Neusiedler See
Department für Bauen und Umwelt
der Donau-Universität Krems (Hrsg.)
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ISBN 978-3-7281-3463-9 Printausgabe
ISBN 978-3-7281-3730-2 E-Book
DOI 10.3218/3730-2
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Inhalt
Vorwort
Einleitung
1 Die Kulturlandschaft um den Neusiedler See
1.1 Historischer Überblick, Bevölkerungs- und Siedlungsentwicklung
1.1.1 Von der ersten Besiedlung bis zur Eingliederung ins Römische Reich
1.1.2 Von der römischen Provinz Pannonien zum ungarischen Königreich
1.1.3 Das Königreich Ungarn im Mittelalter
1.1.4 Die Habsburger. Von den Türkenkriegen bis zum Ersten Weltkrieg
1.1.5 Von der Geburt des Burgenlandes bis zum Aufbruch ins 21. Jahrhundert
1.2 Geografische und wirtschaftliche Aspekte
1.2.1 Der See und die umgebende Landschaft
1.2.2 Das pannonische Klima
1.2.3 Landnutzung und Kulturlandschaft
1.3 Welterbe Kulturlandschaft Fertö - Neusiedler See
1.4 Literatur und Quellen
2 Traditionelle pannonische Baukultur
2.1 Was ist Volksarchitektur?
2.2 Siedlungsformen
2.2.1 Zur Entstehung von Straßen- und Angerdörfern
2.2.2 Siedlungsvarianten im Welterbegebiet
2.2.3 Soziale Differenzierung in den Dörfern
2.3 Hof- und Gebäudetypen
2.3.1 Der Streckhof als Grundform
2.3.2 Weitere Hofformen
2.3.3 Zur Definition der Hofformen
2.3.4 Stadelreihen als Hofabschluss und Siedlungsrand
2.3.5 Weinkeller
2.4 Bauweisen
2.4.1 Bautechnik und Baumaterialien
2.4.2 Entwicklung der Wohngebäude
2.5 Regionale Vielfalt in der traditionellen Baukultur
2.5.1 Variationen innerhalb der Welterberegion
2.6 Literatur und Quellen
3 Zwischen Tradition und Moderne
3.1 Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg
3.1.1 Ausdehnung in der Fläche
3.1.2 Entwicklung an den Ortsrändern
3.1.3 Veränderung der Ortskerne
3.2 Der Status quo
3.2.1 Typische Ortsbilder und regionale Unterschiede heute
3.2.2 Bestand an historischen Bauwerken
3.2.3 Ansätze zum Schutz traditioneller Bauten
3.3 Aktuelle Gefährdung der historischen Bausubstanz
3.3.1 Spezielle Aspekte der thermischen Sanierung pannonischer Bauten
3.3.2 Sanierungsbeispiel Streckhof
3.3.3 Diskussion der Anforderungen bzw. gesetzlichen Rahmenbedingungen
3.4 Literatur und Quellen
4 Anforderungen an eine regionale Baukultur des 21. Jahrhunderts
4.1 Was ist Modernität?
4.2 Klimawandel und Klimaschutz
4.2.1 Anpassung an den Klimawandel
4.2.2 Klimaschutz und Energieeffizienz
4.3 Sustainability oder die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen
4.3.1 Die ökologische Relevanz des Gebäudesektors
4.3.2 Von energieeffizienten zu nachhaltigen Gebäuden
4.3.3 Nachhaltigkeit umfassend betrachten
4.4 Literatur und Quellen
5 Qualitäten der traditionellen pannonischen Baukultur
5.1 Anpassung an Umgebung und Klima
5.1.1 Einfügen in die Umgebung
5.1.2 Umgebungspezifische Siedlungs- und Hofstruktur
5.1.3 Ausrichtung nach Sonne und Wind
5.1.4 Angepasste Bauweisen
5.2 Klare, funktionsorientierte Struktur
5.3 Sorgsamer Umgang mit Umwelt und Ressourcen
5.3.1 Sparsame Verwendung von Grund und Boden
5.3.2 Einsatz natürlicher Baumaterialien
5.3.3 Langlebigkeit und Wiederverwertbarkeit
5.3.4 Energiesparende Nutzungskonzepte
5.4 Wirtschaftliche und soziale Qualitäten
5.5 Nutzungsaspekte
5.5.1 Weiterführung der landwirtschaftlichen Nutzung
5.5.2 Wohnnutzung
5.5.3 Gemischte Nutzung (Wohnen und Arbeiten)
5.6 Typisch Fertö – Neusiedler See. Gemeinsame Merkmale traditioneller Baukultur
5.7 Literatur und Quellen
6 Strategien zur Erhaltung und Weiterentwicklung regionaltypischer Ortsbilder
6.1 Strategien zur Bewahrung historischer Bausubstanz
6.1.1 Umfassende Definition des baukulturellen Erbes
6.1.2 Erweiterte Schutzmechanismen
6.1.3 Umfassendes Inventar des Bestandes
6.1.4 Anpassung der Rahmenbedingungen
6.1.5 Innovative Nutzungskonzepte
6.1.6 Sanierungswissen
6.2 Diskussionsbeiträge zum Neubau im Bestand
6.2.1 Optimierung des Einzelobjektes zulasten des Ortsbildes
6.2.2 Abkehr von der Straße und Orientierung zum Garten und Hof
6.2.3 Bedürfnis nach regionaler Identität
6.3 Gedanken zur Siedlungserweiterung
6.4 Literatur und Quellen
Abkürzungsverzeichnis
7 Danksagung
Vorwort
Zwei vermeintlich unvereinbare Zielsetzungen der heutigen Zeit werden in Bezug auf die Erhaltung und Bewirtschaftung von historisch bedeutsamen Bestandsbauten oft diskutiert und gegeneinander ausgespielt: Aspekte des Klimaschutzes und der Nutzergerechtigkeit einerseits, baukulturelle Aspekte und gestalterische Anliegen andererseits. Gerade in einer Welterbestätte – wie im vorliegenden Fall in der Kulturlandschaft Fertö – Neusiedler See –, die einem regen Entwicklungsdruck ausgesetzt ist, zeigt dieser vermeintliche Zielkonflikt eine unverkennbare Prägung. Die kontroversen Debatten fokussieren sich – zumeist streng separierend – auf die ultimativen Potenziale und Vorzüge der jeweiligen Betrachtungsspektren.
Doch sind traditionelle Bauten wirklich derart umweltbelastend und nutzerfeindlich, wie ihnen oftmals nachgesagt wird? Waren unsere Vorfahren nicht auf einen optimierten Einsatz der zur Verfügung stehenden Baustoffe und auf einen sparsamen Umgang mit den spärlich vorhandenen Energieträgern angewiesen? Mussten die Bauwerke nicht optimal auf die örtlichen Gegebenheiten ausgelegt werden, um überhaupt nutzbar zu sein?
Natürlich haben sich Ansprüche an die Hygiene, an die thermische Behaglichkeit und überhaupt an die praktische Nutzbarkeit über die Zeit stark gewandelt. Es wäre heutzutage kaum zumutbar, mittelalterliche Wohnbauten in ihrer ursprünglichen Form zu nutzen. Hingegen bleibt auch zu hinterfragen, inwieweit Ansprüche, die für Neubauten formuliert werden, auf historische Altbauten projiziert werden dürfen. Müssen auch wirklich stets sämtliche Wohnbereiche schalldicht, barrierefrei und wohlkonditioniert ausgeführt werden? Unterscheidet sich ein Altbau mit seinen beachtlichen Speichermassen, seinen geringen Fensteranteilen und all seinen Undichtigkeiten in seinem thermodynamischen Verhalten nicht gänzlich von Bauten der heutigen Konstruktionsweise?
Die eingehende Untersuchung historischen Baubestands lässt erkennen, dass alte Bauwerke heutzutage oftmals vollkommen inadäquat verwendet werden, dass deren Potenziale bei Weitem nicht ausgeschöpft oder geradezu gegenteilig genutzt werden. Viel Wissen um das Verhalten historischer Bauwerke und deren Nutzbarkeit ist über die Zeit in Vergessenheit geraten. Auch werden die Qualitäten von Bestandbauten gerade in Bezug auf ihre Lebenszykluskosten oder ihre Beständigkeit in den vergleichenden Gegenüberstellungen zu Neubauten selten ausgiebig gewürdigt.
Mittels geeigneter Nutzungskonzepte, mit der planvollen Einbringung klimaverträglicher Haustechnikanlagen und durch gezielte bauliche Anpassungen lassen sich traditionelle Wohnbauten, wie im vorliegenden Falle die burgenländischen Hofbebauungen, sehr wohl adäquat an die heutigen Nutzungsansprüche anpassen, wobei zugleich die baukulturellen und denkmalpflegerischen Belange gewahrt werden können. Nicht nur die historische Bauweise vermag so der Nachwelt tradiert zu werden, sondern auch die Identität der Ortschaften, ja der ganzen Kulturlandschaften. Zugleich lassen sich die Vorzüge der historischen Bauten mit ihrem stabilen Innenraumklima, den beschaulichen Räumlichkeiten und dem charakteristischen Erscheinungsbild den Nutzern erschliessen.
Bei Grundsatzfragen um die Erhaltung und Nutzung des historischen Baubestands dürfen nicht die Argumente gegeneinander ausgespielt werden. Vielmehr ist geboten, durch die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Bauwerk, mittels der umfänglichen Analyse und Abwägung gestellter Anforderungen und der gewissenhaften Konzeptentwicklung aufzuzeigen, dass unser bauliches Erbe von uns genutzt und dabei auch der Nachwelt erhalten werden kann.
Das wissenschaftliche Werk von Frau Dr. Rosalinde Kleemaier-Wetl vermag einen essenziellen Beitrag in die beschriebene Auseinandersetzung zu leisten, nicht nur für die burgenländisch-ungarische Welterbestätte, sondern in verallgemeinerter Form auch für andere Regionen mit vorwiegend traditioneller Siedlungslandschaft. Möge mit der vorliegenden Publikation ein Impuls gesetzt werden für eine gesamtheitliche und wesensgerechte Betrachtungsweise im Umgang mit historisch bedeutsamen Bauten und ihrer Landschaften, um so das baukulturelle Erbe in Einklang mit berechtigten Klimaschutzzielen und angemessenen Modernitätsansprüchen zu bringen.
Krems an der Donau, 25. März 2015
Univ.-Prof. Dr. sc. techn. Dipl. Arch. ETH Christian Hanus
Dekan der Fakultät für Bildung, Kunst und Architektur
Donau-Universität Krems
Einleitung
Im Fokus dieses Buches steht das Bauen auf dem Lande, also die traditionellen Strukturen und Bauweisen der Dörfer. Auf die Entwicklung der Städte sowie auf herrschaftliche und kirchliche Bauten wird nicht näher eingegangen. Dazu existiert umfangreiche Literatur. Traditionelle Baukultur im ländlichen Raum, oft auch als Volksarchitektur bzw. Vernacular Architecture bezeichnet, ist nur in einem regionalen Kontext zu interpretieren. Den Rahmen für das vorliegende Buch bildet die traditionelle Baukultur Pannoniens, die sich deutlich von der alpinen oder mediterranen Tradition abhebt. In Anlehnung an die ehemalige römische Provinz subsumiert man unter der Regionsbezeichnung Pannonien ein Gebiet, das im Westen durch den Alpenostrand und Wienerwald, im Norden und Osten durch die Donau und im Süden durch das Tiefland der Save begrenzt wird. Diese Region hat über lange Zeiträume in der Geschichte eine ähnliche Entwicklung erfahren, sodass man heute nicht nur von einer pannonischen Klimaregion, sondern wohl auch von einem gemeinsamen Kulturraum sprechen kann. Berücksichtigt man die heutigen Staatsgrenzen, umfasst die Region Pannonien in Österreich das gesamte Bundesland Burgenland, den Südosten Niederösterreichs und die Oststeiermark. Dazu kommen in Ungarn die Gebiete westlich der Donau sowie Teile Sloweniens, Kroatiens und Serbiens. Klaus Jürgen Bauer bezeichnet diese abstrakte Landschaft Pannonien auch als Leere zwischen den sechs europäischen Hauptstädten Wien, Bratislava, Budapest, Belgrad, Zagreb und Ljubljana. In dieser „Leere“ leben etwa neun Millionen Menschen – die Hauptstädte nicht mitgerechnet.1
Die österreichisch-ungarische Grenzregion um den Neusiedler See ist Teil der europäischen Großregion Pannonien und zählt seit 2001 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die traditionellen Straßen- und Angerdörfer sind ein wesentlicher Bestandteil des regionalen Kulturerbes und tragen somit erheblich zum außergewöhnlichen universellen Wert der Welterbekulturlandschaft Fertö – Neusiedler See bei. Dem baukulturellen Erbe der Kulturlandschaft um den Neusiedler See ist dieses Buch speziell gewidmet. Dieses kulturelle Erbe ist jedoch durch den permanenten Wandel bedroht. Die Bedrohung besteht einerseits in der laufenden Zerstörung der wenigen noch vorhandenen traditionellen Bauten, andererseits schreitet die Zersiedelung immer weiter voran. Trotz umfangreicher Förderungen für Sanierungen hält der Trend zum Neubau auf der „grünen Wiese“ ungebrochen an. Es wird nach wie vor viel zu wenig zur Erhaltung und Entwicklung der traditionellen Baukultur getan. Eine zunehmende Gefährdung für die traditionelle Bausubstanz stellen neben dem Wunsch nach Komfort und Modernität die Maßnahmen zum Klimaschutz dar. Die Verbesserung der Energieeffizienz steht immer öfter im Widerspruch zur Erhaltung des kulturellen Erbes. Hanna-Antje Liebich2 bringt den Konflikt mit ihrer Frage Kulturelles Erbe oder unzeitgemäße Energieschleuder? auf den Punkt.
Das vorliegende Buch spannt einen sehr weiten Bogen von der historischen Entwicklung der Kulturlandschaft über die wesentlichen Merkmale der traditionellen Siedlungs- und Baustrukturen, deren regionale Vielfalt bis hin zu den Veränderungen des 20. Jahrhunderts, den aktuellen Bestand an historischen Bauten sowie deren Schutz und Gefährdung. Der Problematik der thermischen Sanierung wird dabei eigens Raum gegeben. Der zweite Teil widmet sich der Gestaltung der Zukunft. Es werden die Anforderungen an eine zukunftsfähige Baukultur diskutiert, wie Modernität, Klimawandel und Klimaschutz, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit. Dem gegenübergestellt werden die großteils in Vergessenheit geratenen bzw. nicht ausreichend geschätzten Qualitäten der traditionellen dörflichen Bauweise. Zum Abschluss werden Strategien zur Bewahrung und Weiterentwicklung der regionalen Baukultur skizziert.
Wichtig war mir die Beleuchtung der Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln, um ein umfassendes Bild zu zeichnen, eingebettet in einen größeren Zusammenhang. Trotzdem sollten meine Ausführungen auch für Laien lesbar sein. Aufgrund der Breite der Thematik, des interdisziplinären Ansatzes und der unterschiedlichen Tiefe meines Fachwissens in den verschiedenen Disziplinen konnten manche Aspekte nur gestreift werden. Die Fachexperten und -expertinnen ersuche ich daher, mir eventuelle Ungenauigkeiten nachzusehen. Ich hoffe, mit meinen Betrachtungen geänderte Sichtweisen anzuregen und damit Anstöße für weiterführende Diskussionen und Forschungsarbeiten zu geben.
Wie kam es zu meiner intensiven Beschäftigung mit dieser umfangreichen, vielfältigen und spannenden Thematik? Zum einen ging dem eine jahrzehntelange berufliche Tätigkeit in der Energie- und Umwelttechnik und im betrieblichen Umweltmanagement voraus. Dazu kam privates Engagement im Klimabündnis auf kommunaler Ebene. Nach einer postgradualen Ausbildung mit dem Schwerpunkt Sanierungsmanagement folgten auch Beratungen und Konzepte für die thermische Gebäudesanierung. Ich näherte mich dem Thema also zuerst von der Seite der Energieeffizienz.
Zugleich hatte ich das Glück, mich in der Welterberegion Neusiedler See in einer dörflichen Umgebung niederlassen zu können. Erfahrungen mit der Sanierung des eigenen – ursprünglich in traditioneller Bauweise errichteten – Objektes sowie Erfahrungen von Nachbarn und Bekannten zeigten sehr bald die Diskrepanz zwischen dem Anspruch an die Energieeffizienz und den Möglichkeiten im Umgang mit der historischen Bausubstanz auf. Es zeigte sich auch, welche Schäden unsachgemäße Renovierungen an der Bausubstanz anrichten können. Außerdem entwickelte sich mit der Zeit und der Beschäftigung mit der Thematik ein zunehmendes Bewusstsein für die Besonderheiten und Schätze der Region und damit auch für die baukulturellen Werte. Die Bewahrung und Weiterentwicklung der traditionellen Baukultur in der Welterberegion ist für mich zu einem wichtigen Anliegen geworden, und so hoffe ich, unter anderem mit der Weitergabe meines im vergangenen Jahrzehnt erworbenen Wissens einen Beitrag dazu leisten zu können.
Die Basis dieses Buches bildet ein umfangreiches Studium der Literatur zu den verschiedenen Fachgebieten. Dieses wurde erweitert durch die Analyse von historischem und aktuellem Kartenmaterial, Katasterplänen, historischen Aufnahmen, statistischen Daten, Gesetzen und Richtlinien sowie aktuellen Dokumenten. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der einzelnen Kapitel wird die verwendete Literatur jeweils am Ende des Kapitels angeführt. Ergänzt wurde das Material durch Besichtigungen und Gespräche in den Orten. Dabei wurden die Ortsteile mit noch teilweise vorhandener traditioneller Bebauung identifiziert und charakteristische Objekte fotografisch dokumentiert. Für eine systematische Untersuchung wurde das Welterbegebiet in drei Regionen unterteilt: Hügelland/ Westufer, Seewinkel/Heideboden östlich des Sees und Fertö-Becken/Hanság im Süden. Ziel war es, nicht nur die allgemeinen Merkmale der pannonischen Bauweise herauszufiltern, sondern auch kleinräumige regionale Unterschiede und Besonderheiten innerhalb des Welterbegebietes zu identifizieren. Trotz großzügiger Unterstützung durch den ungarischen Welterbeverein ist das Material für den ungarischen Teil lückenhafter, da viele Informationen und Unterlagen nicht in deutscher oder englischer Sprache zur Verfügung stehen bzw. nur mit größerem Aufwand zu beschaffen sind.
Für viele ist zuwenig greifbar, was das kulturelle Erbe in den Dörfern ausmacht. Wenn auch ein einzelnes Haus nicht als im denkmalpflegerischen Sinn schutzwürdig anzusehen ist, so bildet doch die Gesamtheit der Häuser ein charakteristisches Straßenbild, das typisch für die Region und damit ein Teil der Kulturlandschaft ist. Ein vorrangiges Ziel dieses Buches ist es daher, aufzuzeigen, worin die Besonderheit und der Wert der traditionellen Dorfstrukturen und Bauweisen liegen. Welche Merkmale bilden die Kernqualitäten und sollen daher auch im Zuge einer Modernisierung und Weiterentwicklung beibehalten werden? Was entsprang den jeweiligen Bedürfnissen, Ressourcen und Ausdrucksformen der Zeit und unterlag dem stetigen Wandel? Was macht den außergewöhnlichen universellen Wert der bebauten Umwelt im Welterbegebiet aus?
Zum besseren Verständnis der Entstehung und Entwicklung der Dorfstrukturen wurde in Kapitel 1 den geschichtlichen Ereignissen und der wirtschaftlichen Entwicklung ausreichend Raum gegeben. Sie spiegeln sich in den gebauten Strukturen und deren Veränderung wider. In Kapitel 2 wird die traditionelle pannonische Baukultur primär anhand von Beispielen aus dem Welterbegebiet besprochen. Die wesentlichen Aussagen gelten aber ebenso für die angrenzenden Gebiete bzw. für Pannonien insgesamt und auch noch darüber hinaus (z. B. für das nördliche Niederösterreich und die angrenzenden Regionen Tschechiens und der Slowakei). Kapitel 3 widmet sich den einschneidenden Veränderungen im 20.Jahrhundert, skizziert den Status quo der Dörfer im Welterbegebiet und beschäftigt sich mit der Frage des Schutzes der Restbestände an historischen Bauten und deren Gefährdung. Dabei wird insbesondere die Problematik der thermischen Sanierung behandelt. Die thermische Sanierung traditioneller Bauwerke ist aufgrund der Struktur und Anordnung der Häuser (Grundstücksgrenzen, Einfahrten etc.) oftmals technisch schwierig durchzuführen und denkmalpflegerisch problematisch. Außerdem besteht die Gefahr von Bauschäden durch Störung des physikalischen Gleichgewichts. Die eindimensionale Fokussierung auf die Reduktion des Heizwärmebedarfs birgt die Gefahr in sich, mit viel Aufwand und öffentlichen Mitteln wesentlich geringere Einsparungen des Primärenergieverbrauchs zu erzielen als erwartet und dabei viele Bauschäden und zukünftige Altlasten zu produzieren.
Auf der anderen Seite ist kein Thema heutzutage so omnipräsent wie der Klimaschutz und das mit gutem Grund. Die Prognosen der Forscher sagen einen deutlichen Anstieg der mittleren Temperaturen und einen damit verbundenen Klimawandel voraus. Zum einen ist mit direkten negativen Auswirkungen der klimatischen Veränderungen – vermehrte Hitzeperioden und Unwetter – auf die Bausubstanz zu rechnen. Andererseits können Maßnahmen für den Klimaschutz (Energieeinsparung) indirekt eine Gefährdung für das kulturelle Erbe darstellen. Die gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Energieeffizienz von Gebäuden werden laufend angehoben. Neben Modernität, Klimawandel und Klimaschutz widmet sich Kapitel 4 auch der Nachhaltigkeit (Sustainability). Nachhaltigkeit ist wesentlich mehr als nur die Einsparung von Heizenergie.
Traditionelles Bauen war immer besonders gut an das Klima und die Umgebung angepasst. Mit Energie und Rohstoffen wurde sparsam umgegangen. Gebäude waren langlebig und Baumaterial wurde nach Möglichkeit wiederverwendet. Viele historische Gebäude verhalten sich thermisch besser, als es vereinfachte und standardisierte Rechenmethoden vorhersagen. Die bauphysikalischen Grundlagen sind jedoch bei historischen Bauten noch zuwenig erforscht. Daher widmet sich Kapitel 5 den „versteckten“ Qualitäten der traditionellen Bauweise. Ein wesentliches Ziel war es, diese Qualitäten in einer umfassenden Sichtweise – ökologisch, sozial und strukturell – herauszuarbeiten. Schon Roland Rainer war überzeugt, von der traditionellen Bauweise in den Dörfern viel für die moderne Architektur ableiten zu können.3
Im abschließenden Kapitel werden schließlich Strategien zur Erhaltung und Weiterentwicklung regionaltypischer Ortsbilder vorgestellt. Maßnahmen zur Bewahrung der historischen Bausubstanz werden durch Diskussionsbeiträge zur Siedlungserweiterung ergänzt. In den Regionen mit wachsender Bevölkerung wird man um Strategien zur Neuentwicklung außerhalb des Ortskerns nicht herumkommen. Die Überlegungen dazu basieren auf dem erarbeiteten Wissen zur traditionellen Bauweise sowie den aktuellen Herausforderungen in der Welterberegion.
Als meine wesentlichen Beiträge zur wissenschaftlichen Bearbeitung dieses breiten Themenfeldes sehe ich
– die systematische Erforschung und Darstellung der Siedlungs- und Baustrukturen im Welterbegebiet mit ihren kleinräumigen regionalen Unterschieden und Besonderheiten;
– die umfassende Darstellung der Problematik und Einschränkungen bei der thermischen Sanierung typischer traditioneller Bauten am Beispiel eines Streckhofes;
– das Herausarbeiten der Qualitäten der traditionellen Strukturen und Bauweisen im Hinblick auf die Anforderungen an eine zukunftsfähige nachhaltige Entwicklung.
Bewegt man sich weg von der eindimensionalen Fokussierung auf die Energieeffizienz in der Nutzungsphase hin zu einer umfassenderen Sichtweise von Nachhaltigkeit zeigt sich, dass wir viel von der traditionellen Baukultur lernen können.
1 Bauer, Klaus-Jürgen: Pannonien.Archipel, Theorie der Provinz, edition lex liszt, Oberwart 2007, S. 10
2 Liebich, Hanna-Antje: Kulturelles Erbe oder unzeitgemäße Energieschleuder?, in: Denkmal heute, 1/2009, S. 48
3 Rainer, Roland: Anonymes Bauen im Nordburgenland, Verlag Galerie Welz, Salzburg 1961, S. 6–7